UNTIEFEN - EIN DISKUSSIONSBEITRAG - TIEFSEEBERGBAU ZWISCHEN UMWELT UND ENTWICKLUNG - Fair Oceans

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UNTIEFEN - EIN DISKUSSIONSBEITRAG - TIEFSEEBERGBAU ZWISCHEN UMWELT UND ENTWICKLUNG - Fair Oceans
UNTIEFEN
     TIEFSEEBERGBAU ZWISCHEN UMWELT
                    UND ENTWICKLUNG

         EIN DISKUSSIONSBEITRAG
UNTIEFEN - EIN DISKUSSIONSBEITRAG - TIEFSEEBERGBAU ZWISCHEN UMWELT UND ENTWICKLUNG - Fair Oceans
Intro

Die Bodenschätze auf annährend der Hälfte unseres Pla-        GEFAHR FÜR DIE TIEFSEE
neten sind das gemeinsame Erbe der Menschheit. Es sind
dies die Rohstoffe im und auf dem Meeresboden der Tief-       Der Tiefseebergbau kann perspektivisch zu einem der gra-
see, jenseits der von den Küstenstaaten kontrollierten        vierendsten menschlichen Eingriffe in die Meereswelt wer-
Ausschließlichen Wirtschaftszonen. Mit dem Seerechts-         den. Einerseits handelt es sich um eine neue, zusätzliche
übereinkommen erklärten sich die unterzeichnenden             Belastung der ohnehin schon stark beeinträchtigten Mee-
Staaten 1982 bereit die Hoheit über diese Ressourcen im       resökosysteme, die mit dem Tiefseebergbau geschaffen
so genannten Gebiet am Meeresgrund der Hohen See              wird. Zum anderen stellt die Einführung des Bergbaus am
den UN zu überlassen. Nun verwaltet seit 1994 die Inter-      Meeresboden der Tiefsee eine neue Qualität der industriel-
nationale Meeresbodenbehörde auf Jamaika mit einem            len Nutzung der Ozeane dar.
Stab von nicht einmal 50 Mitarbeiter*innen diese Mee-
resschätze. Es ist eine wahrlich große Verantwortung,         Die Tiefsee wird seit Langem auf verschiedenste Weise
denn keine andere Institution der Welt hat einen ver-         durch Verschmutzungen wie Plastik- und Atommüll oder
gleichbar weitreichenden Auftrag zur Verwaltung globa-        Schadstoffe aus der Erdöl- und gasförderung belastet. Da-
ler Naturräume und ihrer Ressourcen.                          rüber hinaus werden neben Erdöl und -gas küstennah auch
                                                              Mineralien und Erze bereits aus dem Meer gewonnen. Ins-
Enorme Rohstoffvorkommen wurden in den Ozeanen bis            besondere der Abbau von Sand und Kies geschieht weltweit
hinab in über 5.000 Meter Tiefe bereits entdeckt. Die         im großen Maßstab. Der mit dem Tiefseebergbau geplante,
Lagerstätten sind allerdings nur mit einem hohen tech-        großflächige, industrielle Eingriff ähnelt in seinen drasti-
nischen und finanziellen Aufwand auszubeuten. Dennoch         schen Auswirkungen dem Sand- und Kies-Abbau. Die natür-
wächst nunmehr das Interesse an ihnen und ein Wettlauf        lichen Habitate am Meeresboden der offenen See werden
um den Zugriff auf die Bodenschätze der Tiefsee hat be-       dabei in den Fördergebieten zerstört. In mehreren hundert
gonnen. Das Erbe soll verteilt werden und dies geschieht      oder tausend Metern Tiefe hinterlassen die Bagger Schnei-
keineswegs harmonisch. Je teurer die Rohstoffe und            sen der Verwüstung. Diese mechanische Zerstörung ökolo-
deren Förderung an Land werden, um so stärker richtet         gisch wertvoller Meeresregionen ist eine unmittelbare
sich die Aufmerksamkeit auf die Ozeane. Eine Vielzahl         Konsequenz des Tiefseebergbaus und macht den qualitati-
unterschiedlicher Interessen treffen hierbei aufeinander      ven Sprung in der Nutzung der Tiefsee aus.
und eine Reihe von Fragen eröffnen sich, die weitrei-
chende Folgen für den Meeresschutz und die internatio-        Global sind derzeit drei Gruppen von marinen mineralischen
nale Rohstoffpolitik haben können.                            Ressourcen für den Tiefseebergbau von Interesse. Die Res-
                                                              sourcen entstehen durch chemische und geologische Pro-
In diesem Zusammenhang entsteht ein völlig neuartiger         zesse am Meeresboden. Kobaltkrusten und Manganknollen
Industriezweig. Der Tiefseebergbau soll unter den extre-      brauchen dabei Jahrmillionen um heranzuwachsen. Die Ab-
men Bedingungen am Meeresboden mit eigens dafür ent-          lagerungen von Massivsulfiden benötigen tausende von
worfenen Fördergeräten die kreuz und quer über alle           Jahren um sich aufzubauen. Jedes dieser drei Erze setzt sich
Weltmeere verteilten Vorkommen mineralischer Roh-             letztlich aus einem Gemenge von Metallen in unterschied-
stoffe abbauen. Er stößt das Tor zur Tiefsee auf, angetrie-   licher Konzentration zusammen.
ben von technischen Innovationen und Risikokapital. Die
Ausbeutung der Erzlagerstätten in der Tiefsee zieht je-         a) Massivsulfide setzen sich in mehreren hundert bis
doch unweigerlich die Zerstörung der betroffenen mari-          4.000 Metern Tiefe im Umkreis von Hydrothermalfel-
nen Habitate nach sich. Der Meeresboden wird zum                dern ab
Bergbaugebiet. Das gesteigerte Angebot von Erzen wird
zudem Einfluß auf den Weltmarkt für Rohstoffe haben.            b) Kobaltkrusten finden sich in 800 bis 2.500 Metern
Neue Akteure sind dabei die Bühne zu betreten und mari-         Tiefe an den Hängen von Seebergen
time Rohstoffstrategien werden formuliert. Damit hat der
Tiefseebergbau das Potential unser Verhältnis zum Meer          c) Manganknollen lagern in 3.000 bis 6.500 Metern
als auch die Meerespolitik grundlegend zu verändern.            Tiefe auf den weiten Tiefseeebenen

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Die einzelnen Gruppen sind unmittelbar mit ganz bestim-              licher Rückschritt. Die Herstellung von Kohärenz zwischen
mten marinen Habitaten verbunden. Bei den Massivsulfiden             den verschiedenen Initiativen zum Meeresschutz und eine
sind es die Hydrothermalfelder entlang der mittelozea-               entsprechende Abstimmung der Maßnahmen sind Voraus-
nischen Rücken, bei den Manganknollen die weiten Flächen             setzungen, um diese erfolgreich umsetzen zu können. Wird
der Tiefseeebenen und bei den Kobaltkrusten die von ihnen            das Ökosystem eines Seebergs vor der Tiefseefischerei ge-
ummantelten Bereiche der Seeberge. Diese Habitate sind               schützt, aber dann kurze Zeit später durch Bagger bei der
es dann auch, die aufgrund ihrer Verbindung mit den mari-            Erzförderung zerstört, macht das alle vorangegangenen An-
nen Ressourcen in erster Linie durch den Tiefseebergbau              strengungen zunichte und schadet dem Ansehen der Mee-
geschädigt werden. Die Meeresforschung hat gezeigt, dass             respolitik. Genau diese Widersprüche gilt es auch in den seit
die Ökosysteme dieser drei Habitate eine hohe ökologische            2018 geführten Verhandlungen über ein neues »Durchfüh-
Wertigkeit und Artenvielfalt besitzen. Ihre Zerstörung durch         rungsübereinkommen im Rahmen des Seerechtsüberein-
den Tiefseebergbau wird deshalb zwangsläufig deutliche               kommens zum Erhalt und der nachhaltigen Nutzung der
Auswirkungen auf die marine Artenvielfalt und in der                 biologischen Vielfalt der Hohen See« [International legally
Summe auf den ökologischen Zustand der Ozeane insge-                 binding instrument under the United Nations Convention on
samt haben. Vor dieser Problematik wurde in einer Reihe              the Law of the Sea on the conservation and sustainable use
von wissenschaftlichen Publikationen und Debatten der                of marine biological diversity of areas beyond national
letzten Jahre verstärkt gewarnt. Eine besondere Rolle                jurisdiction: Biodiversity Beyond National Jurisdiction:
spielte der 2017 in Nature von C. L. Van Dover und anderen           BBNJ] im Blick zu behalten. Die kommenden Maßnahmen
führenden Wissenschaftler*innen der Tiefsee-Forschung                zum Schutz der Hohen See und der Nutzung ihrer gene-
veröffentlichte Artikel »Biodiversity loss from deep-sea             tischen Ressourcen sollten keinesfalls getrennt von den För-
mining«. Nachdem diese Publikation erschienen war wur-               dervorhaben auf ihrem Meeresgrund betrachtet werden.
den die öffentlichen Einschätzungen desTiefseebergbaus               Den Schutz der Wassersäule und des Meeresbodens unter-
seitens vieler Wissenschaftler*innen und der Zivilgesell-            schiedlich zu regeln wäre kontraproduktiv für ein Überein-
schaft kritischer.                                                   kommen, das eine zentrale Lücken der Meeresgovernance
                                                                     schließen soll.
Schon das Seerechtsübereinkommen [SRÜ | United Nations
Convention on the Law of the Sea: UNCLOS] fordert eine
nachhaltige Nutzung der marinen Ressourcen, die den                  FOLGENSCHWERE DER EINGRIFFE
Schutz der Meereswelt sicherstellt. Nicht umsonst sind die
hydrothermalen Quellen und Seeberge durch die UN-Gene-               Abgesehen von der mechanischen Schädigung der marinen
ralversammlung im Rahmen des Prozesses zur Eindäm-                   Ökosysteme, bringen die massiven Eingriffe in die Unter-
mung der ökologischen Schäden durch die Tiefseefischerei             wasserwelt weitere umfangreiche Probleme mit sich:
ausdrücklich als »Vulnerable Marine Ecosystems« [VMEs]
geschützt worden. Ebenfalls werden marine Habitate dieser              a) Durch die Abbautätigkeiten werden durchgehend er-
Art in den Schutzbestimmungen des »Übereinkommens                      hebliche Lärmemissionen verursacht. Unterwasserlärm
über die biologische Vielfalt« [Biodiversitätskonvention |             hat negative Auswirkungen auf Meeressäuger und an-
Convention on Biological Diversity: CBD] basierend auf ähn-            dere Meerestiere. In den letzten Jahren sind die Belas-
lichen Kriterien als »Ecologically or Biologically Significant         tungen durch Schall stärker in den Blick genommen
Marine Areas« [EBSAs] geführt. Beide Vertragswerke sind                worden und wurden zum Thema auf Ebene der UN.
aus den internationalen Debatten zum Meeresschutz her-
vorgegangen und stehen im Widerspruch zu den Vorhaben                  b) Die schweren Fördergeräte und der Abbauprozess er-
im Tiefseebergbau. Die Zerstörung von Hydrothermalfel-                 zeugen, wenn der Meeresboden abgetragen und die
dern und Seebergen zum Abbau von Massivsulfiden und                    Erze eingesammelt werden, Abraum und Sediment-
Kobaltkrusten würde die bisher auf internationaler Ebene               wolken. Der Abraum und die aufgewirbelten Sedimente
erzielten Erfolge beim Schutz der Meeresökosysteme in der              können unter anderem festsitzende Arten und die
Tiefsee deshalb grundlegend in Frage stellen. Für den inter-           Bodenbiologie beeinträchtigen.
nationalen Meeresschutz wäre dies in jedem Fall ein deut-

               Untiefen : Ein Diskussionsbeitrag                 3                        Fair Oceans
c) Während des Förderprozesses entstehen enorme             ökologische Fussabdruck der Bergbauindustrie wird also
  Mengen an Abwasser. Abwässer werden bei der För-            mit dem Tiefseebergbau weltweit wachsen. In das Zentrum
  derung, wenn die Erze vom Boden über mehrere tau-           der Betrachtungen gestellt werden sollte die viel zu oft nicht
  send Meter bis auf die Förderschiffe gepumpt werden         an Umweltstandards und Menschenrechten ausgerichtete
  wie auch der Reinigung der Erze an Bord erzeugt. Das        Praxis der Bergbauindustrie. Gehen die gleichen Akteure
  verwendete Wasser soll dann später wieder eingeleitet       unter den gleichen strukturellen Bedingungen auf See ans
  und in der Tiefsee abgelassen werden. Eingesaugte           Werk, so sind dort ähnliche gravierende Umweltverstöße
  Meereslebewesen werden dabei absterben, zusätzliche         und -desaster zu erwarten, zumal eine Kontrolle der Arbei-
  Sedimentwolken werden sich über den Meeresboden             ten in der Tiefsee wesentlich schwieriger ist als an Land. Die
  verteilen und eine Verunreinigung und Versauerung des       Praxis des Bergbaus muss nachhaltig ausgerichtet werden
  Wassers während des Förder- und Reinigungsprozesses         und die strukturellen Missstände sind zu beseitigen bevor
  ist wahrscheinlich. Grundsätzlich muss das Abwasser         dieser auf weitere Naturräume ausgeweitet wird, ganz
  anders als beim Landbergbau betrachtet werden, da es        gleich ob an Land oder auf See.
  sich nicht einfach um Wasser, sondern um ein biolo-
  gisches Element der betroffenen Ökosysteme handelt.
                                                              REICHWEITE DER AUSWIRKUNGEN
  d) Durch den Abbau der Erze, insbesondere von Sulfid-
  erzen, können schädliche Stoffe wie Schwermetalle frei-     Alle mechanischen und nicht-mechanischen Beeinträch-
  gesetzt werden, die sich durch Bioakkumulation in den       tigungen der Meereswelt werden Auswirkungen haben, die
  Nahrungsnetzen anreichern und unter Umständen zu            in vielerlei Hinsicht nicht an den Grenzen der Fördergebiete
  einer Belastung der menschlichen Nahrungsgrundlagen         halt machen. Dies ist sowohl dem Charakter der oben be-
  aus dem Meer führen. Die Einleitungen von Landberg-         schriebenen Eingriffe geschuldet als auch der weitreichen-
  werken ins Meer verdeutlichen die möglichen Folgen.         den Vernetzung der marinen Ökosysteme. Unter anderem
                                                              horizontale Wanderungsbewegungen und Strömungen oder
  e) Darüber hinaus werden Betrieb und Versorgung der         die vertikale Tag-Nacht-Wanderung und Auftriebsgebiete
  Förderschiffe sowie der Abtransport der Erze eine er-       zwischen den Meeresschichten tragen wie die Bioakkulmu-
  hebliche Ausweitung der umweltschädlichen Aspekte           lation und die verzweigten Nahrungsketten zu diesen Ver-
  der Schifffahrt in den betroffenen Regionen nach sich       netzungen bei und können damit zu einer Ausweitung der
  ziehen.                                                     Probleme führen. Denkbar ist selbst die Störung ozean-wei-
                                                              ter und globaler Kreisläufe. In diesem Zusammenhang er-
  f ) Nicht vernachlässigt werden dürfen zudem die Um-        fordert der Tiefseebergbau, dass mögliche grenzüber-
  weltbelastungen durch die Aufbereitung der Erze an          schreitende Auswirkungen einkalkuliert werden, die sich
  Land. Hier kommen große Energiemengen und Chemi-            nicht auf eine isolierte Meeresregion konzentrieren und ent-
  kalien zum Einsatz und mehr oder weniger stark konta-       sprechende politische Regulierungen erfordern.
  minierte Abfallprodukte entstehen.
                                                              Wie stark die Schädigungen sein werden, die räumlich und
  Diese Auflistung lässt sich mit einer Reihe weiterer ne-    zeitlich über die direkte Zerstörung der Fördergebiete
  gativer Auswirkungen verlängern, die weniger relevant       hinausgehen, ist aufgrund des begrenzten Wissens über die
  sind.                                                       Ökologie der Tiefsee und mangelnder mittel- und langfris-
                                                              tiger Bobachtungen derzeit nicht exakt zu bestimmen. Um
Zu behaupten, es wäre umweltfreundlicher die Tiefsee für      die Aussagekraft von Einschätzungen zu den Umweltfolgen
den Bergbau zu erschließen, als weiterhin in den Tropischen   des Tiefseebergbaus allgemein zu verbessern, wurden in
Regenwäldern Erze abzubauen, ist eines der gängigen Ar-       den letzten Jahren vermehrt wissenschaftliche Begleitfor-
gumente der Befürworter*innen des Tiefseebergbaus. Der        schungen beantragt. Die Ergebnisse einiger der bereits
Tiefseebergbau wird jedoch nicht den Bergbau an Land er-      durchgeführten Untersuchungen haben nicht nur wissen-
setzen. Er wird zusätzlich zum Bergbau an Land stattfinden    schaftlich untermauert, dass die Auswirkungen des Tiefsee-
und eine zusätzliche globale Umweltbelastung sein. Der        bergbaus auf die betroffenen Habitate schwerwiegend sein

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können, sondern auch bestätigt, dass diese langfristig sind.         sich bringt, unterschätzen die Dimension der möglichen
Wissenschaftliche Beiträge wie »Mind the seafloor« von               Umweltfolgen. Die Offshore-Erdölförderung liefert hierfür
Antje Boetius und Matthias Haeckel 2018 in Science weisen            sinnvolle Anhaltspunkte. Mit ihrem, vom Weltmarktpreis ab-
auf diese Problematik hin.                                           hängigen Marktanteil von stellenweise mehr als 25 Prozent
                                                                     an der Produktion und Investitionen von über 1 Milliarde
Generell ist die Forschung zur Meeresbiologie im Wandel.             US-Dollar [USD] pro Tag verdeutlicht dieser Industriezweig
Grundlegende Betrachtungen zur Biologie der Tiefsee                  das mögliche Ausmaß des Tiefseebergbaus. Ohne eine sol-
haben aktuell verschiedene der bisherigen Annahmen kon-              che, weltwirtschaftlich orientierte Perspektive wären die
kretisiert oder korrigiert. Ein verlässliches theortisches Ge-       aufgewendeten Fördermittel und die internationalen Ver-
rüst fehlt noch. Nicht zuletzt die Bedeutung der Evolu-              handlungen weder sinnvoll noch zu rechtfertigen.
tionsbiologie und ihrer Faktoren für die Ökologie und Bio-
geographie der Tiefsee gilt es zu klären. Um mehr Licht ins
Dunkel zu bringen, müssen ozeanografischen Studien hin-              UMWELT UND ENTWICKLUNG
reichend Zeit und angemessene Mittel gewährt werden, um
die zeitlichen und räumlichen Bedingungen der Wanderung,             Angesichts dieser Situation und mit Blick auf das Verhältnis
Fortpflanzung und Vernetzung von Arten sowie der Struktur            von Umwelt und Entwicklung stellen sich aus meerespoli-
und des Wandels ihrer Ökosysteme zu erfassen. Unter den              tischer Sicht zwei grundsätzliche Fragen:
schwierigen Bedingungen der Tiefsee bedeutet dies einen
weit höheren Aufwand als in anderen Umgebungen. Die Er-                a) Welche ökonomischen oder entwicklungspolitischen
forschung der Biologie braucht ihre Zeit.                              Vorteile können die unvermeidliche Zerstörung der
                                                                       Habitate in der Tiefsee, den Artenverlust und die mög-
Ökosystemmodelle sind unverzichtbar, um qualifizierte Vor-             lichen ökologischen Folgewirkungen rechtfertigen und
hersagen über die Folgen menschlicher Eingriffe in die Tief-           stehen diese in Übereinstimmung mit den Zielen inter-
see machen zu können. Die vorausschauende und ökosys-                  nationaler Prozessen wie der »Agenda 2030« oder dem
temare Bewertung als auch der Ausgleich von Eingriffen                 »Übereinkommen über die biologische Vielfalt«?
sind heute international anerkannnte Voraussetzungen für
die Nutzung von Naturräumen. Der augenblickliche Wis-                  b) Werden die ökologischen Grenzen, die Stabilität und
sensstand erlaubt allerdings keine Formulierung von fun-               Kipp-Punkte der Ozeane durch den Tiefseebergbau so
dierten Umweltverträglichkeitsprüfungen und -regularien.               stark gefährdet, dass dies die Existenzgrundlagen der
Das fehlende Basiswissen über die Ökologie macht den                   von intakten marinen Ökosystemen abhängigen Küsten-
Tiefseebergbau vielmehr zu einer Risikotechnologie, die                kommunen und Länder im globalen Süden in Mitleiden-
nicht verantwortungsvoll zu handhaben ist. Die Festschrei-             schaft zieht?
bung von Umweltvorschriften für den Tiefseebergbau wäre
derzeit bestenfalls ein Stochern im Dunkeln, das einer zü-           Zivilgesellschaftliche Organisationen in Ozeanien befürch-
gigen Etablierung des Tiefseebergbaus, aber keineswegs               ten seit Längerem, dass der Pazifik von Unternehmen aus
dem Meeresschutz gelegen kommt. Ohne Umweltregularien                den Industriestaaten als Versuchsgelände für den Tiefsee-
ist der Tiefseebergbau im Rahmen des Seerechtsüberein-               bergbau missbraucht werden wird. Sie ziehen Vergleiche
kommens nicht umsetzbar und politisch nicht zu legitimie-            mit den Atombombenversuchen, die auf Kosten der Insel-
ren.                                                                 staaten und ihrer Bevölkerungen über Jahrzehnte hinweg
                                                                     im Pazifik gemacht worden sind. Konkretisiert hat sich ihre
Die wahre Dimension des Eingriffs des Tiefseebergbaus in             Kritik zunächst am Beispiel des Vorhabens der Firma Naut-
die Ozeane und Meere wird erst dann vollständig erfasst,             lius Minerals in der Bismarck See vor Papua-Neuguinea
wenn davon ausgegangen wird, dass am Ende mehrere                    Massivsulfide in 1.600 Meter Tiefe abzubauen. Ziel des
hundert oder tausend parallel laufende Tiefseebergbau-Pro-           »Solwara 1« genannten Projekts war in erster Linie die För-
jekte den Meeresboden ausbeuten. Betrachtungen, die den              derung von Gold, Silber und Kupfer. Geschehen sollte dies
Tiefseebergbau nicht als eine Industrie begreifen, die global        dort in einer der ökologisch wertvollsten Meeresregionen
tätig werden wird und entsprechende Flächenansprüche mit             unseres Planeten; mitten im Korallendreieck, mit einer

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hohen marinen Artenvielfalt, Seebergen, be-      ZUGANG ZU DEN ROHSTOFFQUELLEN                    net werden, so spielen sie bei diesen Partner-
drohten Meeresschildkröten und geschützt                                                          schaften nur die Rolle des Türöffners. Nauru
durch die Biodiversitätskonvention. Der si-      An die Stelle von Nautilus MInerals ist inzwi-   hatte im Jahr 2018 12.704 Einwohner*innen
cherlich letzte Ort auf der Erde, den ein ver-   schen ein anderes Unternehmen getreten,          und 2016 ein Bruttoinlandsprodukt von 102
antwortungsbewusstes Gremium für den             das mit ähnlichen Argumenten auf der inter-      Millionen US-Dollar. Der DeepGreen-Partner
ersten Testlauf einer neuen maritimen Indus-     nationalen Bühne die Einführung des Tiefsee-     Maersk hatte 2016 einen Umsatz von über 27
trie und ihrer Technik ausgewählt hätte. Die     bergbaus vorantreibt. Wie zuvor schon            Milliarden US-Dollar und 2018 gut 80.000
Existenz von über 130 Millionen Menschen in      Nautilus Minerals, agiert DeepGreen von Ka-      Mitarbeitende. Die »Kleinen Inselentwick-
der Region hängt in der einen oder anderen       nada aus und sucht weltweit Projektpartner.      lungsländer« [Small Island Developing
Art von den Ökosystemen des Korallendrei-        Während die wesentlichen Partner und Fi-         States: SIDS] können lediglich den Zugang zu
ecks ab, die 29 Prozent aller weltweit vorhan-   nanzmittel von Nautilus Minerals noch aus        den Ressourcen in der Tiefsee ihrer Aus-
denen Riffe umfassen. Mittlerweile gelten        der Bergbauindustrie kamen, sind es bei          schließlichen Wirtschaftszonen und eben
ganze 78 Prozent dieser Riffe als mehr oder      DeepGreen Reedereien, die diesen Platz ein-      über ihre Rechte bei der Internationalen Mee-
weniger stark bedroht. Der Klimawandel,          nehmen. Zum einen ist es der Globalplayer        resbodenbehörde zu den Vorkommen im Ge-
Stressfaktoren wie Sediment- und Nährstoff-      der Schifffahrtsbranche, die dänische Reede-     biet anbieten. Ihre Interessen am Tiefsee-
eintrag, Verschmutzungen und perspekti-          rei Maersk, die neben der größten Container-     bergbau beruhen auf einer Beteilgung am Ge-
visch eventuell der Tiefseebergbau gehören       schiff-Flotte der Welt auch eine Offshore-       winn und sich darauf gründende Entwick-
zu den Belastungsfaktoren.                       Sparte besitzt, sowie die schweizer Offshore-    lungschancen, die bestimmte Strategien der
                                                 Reederei Allseas, die unter anderem über         Blue Economy versprechen. Ihre schwache
Nur wenige Kilometer entfernt vor der Küste      große Kapazitäten im Bereich des Pipeline-       Position birgt jedoch die Gefahr in sich, dass
Neuirlands lag das Lizenzgebiet in den Fang-     Baus am Meeresboden verfügt. Daneben hat         sie in Zukunft für den Meeresbergbau zu dem
gründen der ansässigen Kommunen, die sich        aber auch Glencore sein Interesse an Deep-       werden, was die Billigflaggenstaaten heute
gegen das Projekt aussprachen, nachdem sie       Green bekundet und hält eine Option auf eine     für die Schifffahrt sind. Sie würden dann
zunächst weder in die Entscheidungsfindung       Beteiligung, die dem Rohstoffkonzern die         gegen eine geringe Lizenzgebühr ihre Flagge
eingebunden noch ausgewogen über die             Hälfte der von DeepGreen aus der Tiefsee ge-     zur Verfügung stellen und nach internationa-
möglichen Folgen des Tiefseebergbaus infor-      förderten Mengen an Kupfer und Nickel zusi-      lem Recht den Betrieb von Tiefseebergbau-
miert worden waren. Die vorgesehenen finan-      chert.                                           Vorhaben auf Basis ihrer nationalen Gesetz-
ziellen Ausgleichszahlungen erschienen                                                            gebung legitimieren. In der Schifffahrt ermög-
angesichts der prognostizierten Gewinner-        Anders als Nautilus Minerals konzentriert        licht die billige Flagge den Reedereien ihre
wartungen als völlig unzulänglich. Sanitäran-    sich DeepGreen nicht zu Beginn auf ein Vor-      Flotten möglichst kostengünstig mit niedri-
lagen, wie Toilettenhäuser, sollten in den       kommen in einer der von den Küstenstaaten        gen Sozial- und Umweltstandards sowie ge-
Dörfern gebaut werden. Arbeitsplätze oder        verwalteten Ausschließlichen Wirtschaftszo-      ringen Steuerabgaben zu betreiben.
Investitionen in die Ökonomie der Insel waren    nen. Das Unternehmen zeigt vornehmlich In-
in keinem erwähnenswerten Umfang vorge-          teresse an den von der »Internationalen
sehen. Das über 200 Meter lange Förderschiff     Meeresbodenbehörde« [IMB | International         ZUKUNFTSOPTIONEN
sollte autark, in einem isolierten Umfeld mit    Seabed Authority: ISA] verwalteten Mangan-
allen Maschinen und dem gesamten Personal        knollenvorkommen im »Gebiet« [Area] der          Die Kleinen Inselentwicklungsländer drohen
an Bord, den Förderprozess von See aus steu-     Hohen See. Allerdings können laut Seerechts-     in die typische Falle rohstoffexportierender
ern. Die Bedürfnisse und traditionellen          übereinkommen nur Staaten, die einen Li-         Staaten zu laufen, die weder eine eigenstän-
Rechte der Küstenbevölkerung, die den Pazi-      zenzantrag bei der Behörde stellen, Zugang       dige Verarbeitung der Ressourcen aufbauen
fik als flüssigen Kontinent versteht und keine   zu dem gemeinsamen Erbe der Menschheit           noch die Industrialisierung ihres Landes er-
starre Grenze zwischen Land und Meer zieht,      und seinen Ressourcen erhalten. Unterneh-        folgreich vorantreiben und letztlich selbst
spielten nur eine untergeordnete Rolle.          men, die im Gebiet schürfen wollen, benöti-      Endprodukte herstellen. Der »Internationale
                                                 gen deshalb einen »Sponsoring State«, der        Währungsfonds« [IWF | International Mone-
Aktuell scheinen dieses Projekt wie auch alle    sie mit der Förderung beauftragt und beauf-      tary Fund: IMF] hat 2012 51 Staaten mit zu-
anderen Planungen von Nautilus Minerals ge-      sichtigt. DeepGreen hat Verbindungen zu den      sammen rund 1,4 Milliarden Einwohner*innen
scheitert zu sein, da das Unternehmen insol-     drei Inselstaaten Nauru, Tonga und Kiribati im   registriert, die mehr als 20 Prozent ihrer Ex-
vent ist, nachdem es für viele Jahre eine        Pazifik aufgebaut und verschafft sich so einen   port- oder Finanzeinnahmen aus nichterneu-
Vorreiterposition in Sachen Tiefseebergbau       Zugriff auf das gemeinsame Erbe. Allein mit      erbaren Ressourcen erzielten. Ein Großteil
inne hatte. Papua-Neuguinea, das an dem          dem Vertrag mit der Regierung von Nauru und      dieser von Rohstoffexporten abhängigen Län-
Projekt in seiner »Ausschließlichen Wirt-        der Übernahme der auf Nauru gegründeten          der liegt in Afrika. Eine ebenfalls sehr große
schaftszone« [AWZ | Exclusive Economic           Firma »NORI« [Nauru Ocean Resources Inc]         Bedeutung haben Rohstoffexporte unter an-
Zone: EEZ] finanziell beteiligt war, hat Ver-    kann DeepGreen nun über ein Lizenzgebiet         derem für Bolivien, Chile, Laos, Usbekistan,
luste von weit über 100 Millionen US-Dollar      von rund 75.000 Quadratkliometern im Ge-         Australien, Nauru und Papua-Neuguinea.
zu verkraften. Die derzeitige Regierung unter-   biet der Internationalen Meeresbodenbe-
stützt mittlerweile zusammen mit anderen         hörde verfügen.                                  Für wenige dieser Länder ist eine solche auf
pazifischen Inselstaaten die Forderung nach                                                       Rohstoffförderung und ihre Lizenzierung kon-
einem Moratorium für den Tiefseebergbau.         Wenn die Inselstaaten aufgrund ihrer oftmals     zentrierte ökonomische Strategie bisher er-
                                                 enorm großen Ausschließlichen Wirtschafts-       folgreich. Die Erlöse sind unter anderem stark
                                                 zonen auch als »Big Ocean States« bezeich-       von der globalen Konjunktur abhängig. Nach

                                   Untiefen : Ein Diskussionsbeitrag            6                            Fair Oceans
einer längeren Phase des Anstiegs sind die        turen und Akteure bleiben so weitgehend un-      den Antragstellungen ihrer Staaten selbst be-
Preise für Industrie- und Edelmetalle, die mit    verändert und unterscheiden sich prinzipiell     teiligt waren und dessen Transparenz in kei-
dem Tiefseebergbau auf den Weltmarkt ge-          nicht von den an Land etablierten. Schon das     nem Verhältnis zu seiner Bedeutung steht.
bracht werden sollen, seit etwa 2010 teil-        Seerechtsübereinkommen sieht aus diesem
weise erheblich gesunken. Außerdem sind           Grund einen Technologietransfer zwischen         Die Meeresgovernance sollte den Wettlauf
Korruption, soziale Ungleichheit, Menschen-       globalem Norden und Süden vor, damit auch        zwischen den Staaten um die Meeresschätze
rechtsverletzungen, Umweltzerstörung und          die Länder des Südens irgendwann die Mög-        gerecht gestalten und einen Ausgleich zwi-
bewaffnete Konflikte häufig verbunden mit         lichkeit erhalten selbst Tiefseebergbau zu be-   schen Umwelt und Entwicklung im Sinne des
einer derartig einseitigen Rohstoffpolitik. Die   treiben. Die momentan ungleiche Ausgangs-        Seerechtsübereinkommens suchen. Tatsäch-
»Welthandels- und Entwicklungskonferenz«          basis bei der Einführung des Tiefseebergbaus     lich wächst von Tag zu Tag der Druck den Tief-
[United Nations Conference on Trade and De-       ändert dies zunächst einmal nicht.               seebergbau trotz aller Gefährdungen der
velopment: UNCTAD] weist zudem auf die                                                             Meeresumwelt und der ungleichen Struktu-
tendenziell geringe Höhe der Abgaben hin,         Verschiedene Industrie- und Schwellenländer      ren im Rohstoffsektor zu beginnen. Die Fest-
die von den von Rohstoffexporten abhängi-         wie auch Unternehmen der Rohstoff- und Off-      legung der Regularien im Rahmen der Inter-
gen Ländern für ihre Produkte erhoben wer-        shore-Branche sichern sich derweil riesige       nationalen Meeresbodenbehörde wird voran-
den. Im schlechtesten Fall münden diese           Fördergebiete im Umfang von zehn- oder           getrieben und soll in absehbarer Zeit abge-
Verhältnisse in einem Ausverkauf der natür-       hunderttausenden von Quadratkilometern.          schlossen sein. Wenn die Inselstaaten und
lichen Ressourcen und lassen die Rohstoffab-      Solange der kommerzielle Tiefseebergbau          andere Entwicklungsländer angesichts der
hängigkeit der Länder zu einem Dauerzu-           noch in den Startlöchern steht, sind diese       bestehenden Verhältnisse reine Rohstofflie-
stand werden, wenn sich keine ökonomi-            Lizenzen in erster Linie Optionen auf die Roh-   feranten bleiben und die Weltgemeinschaft
schen Alternativen anbieten.                      stoffvorkommen der Zukunft. Es sind strate-      keine angemessene Entschädigung für die
                                                  gische Entscheidungen angetrieben von            entstehenden Umweltzerstörungen am Mee-
Die Bundesregierung und andere Staaten un-        möglichen Gewinnerwartungen und Fragen           resboden erhält, findet in der Konsequenz nur
terstützen die »Initiative für Transparenz in     der Rohstoffsicherheit. In gewisser Weise ist    eine preiswerte Übertragung des gemein-
der Rohstoffwirtschaft« [Extractive Industries    es eine Neuauflage des »Great Game«, nur         same Erbes der Menschheit in Richtung der
Transparency Initiative: EITI] von 2003, um       dass dieses Mal nicht die Kolonisierung Afri-    Industriestaaten statt.
die strukturellen Defizite der Rohstoffindus-     kas, sondern die der Ozeane im Zentrum des
trie anzugehen. Eine gerechte und sozial in-      Geschehens steht. An die 2 Millionen Qua-        Für viele Teile der Zivilgesellschaft ist dies
klusive Rohstoffwirtschaft sowie der umwelt-      dratkilometer an Lizenzgebieten in der Tief-     nicht akzeptabel. Insbesondere zivilgesell-
freundliche Abbau der Vorkommen haben für         see wurden weltweit erworben. Parallel dazu      schaftliche Organisationen im Pazifik kritisie-
die Entwicklungspolitik eine große Bedeu-         wird die maritime technologische Entwick-        ren, dass ihre Länder mit dem Tiefsee-
tung. Mit dem Tiefseebergbau allerdings           lung beschleunigt, womit die Kapazitäten         bergbau eine weitere umweltzerstörende Ri-
könnten sich die problematischen Strukturen       aufgebaut werden, um weitere Rohstoffvor-        sikiotechnologie dulden müssen, um den
der Rohstoffwirtschaft verfestigen. Weltweit      kommen zu identifizieren. Die Akteure schaf-     Rohstoff- und Konsumbedürfnissen des glo-
verfügen nur wenige Staaten und Großunter-        fen sich also eine Art von strategischer         balen Nordens nachzukommen. Die Insel-
nehmen der Offshore- und Erdölbranche über        Reserve auf dem Meeresgrund auf die im Be-       staaten, welche nach wie vor Hoffnungen in
das nötige Knowhow und die entsprechende          darfsfall zurückgegriffen werden kann.           den Tiefseebergbau setzen, befinden sich in
Technologie die Tiefsee zu erkunden. Ent-                                                          einer Zwickmühle. Auf der einen Seite können
wicklungsländern fehlen diese Voraussetzun-       In diesen Zusammenhang müssen auch die           auch geringe Lizenzzahlungen und Anteile an
gen in der Regel wie auch die nötigen Finanz-     mittlerweile über 80 Anträge bei der             den neuen Meeresbergbau-Unternehmen
mitel und die institutionelle Infrastruktur, um   »Kommission zur Begrenzung des Festland-         Einnahmen erzeugen, aber auf der anderen
eigene Projekte im Tiefseebergbau umzuset-        sockels« [Festlandsockelkommission | Com-        Seite gefährden die Belastungen der Meeres-
zen. Zur Weiterverarbeitung der marinen Erze      mission on the Limits of the Continental         umwelt, gerade in den Ausschließlichen Wirt-
werden teilweise neue Verfahren benötigt, an      Shelf: CLCS] eingeordnet werden. Staaten         schaftszonen, wesentliche Bestandteile ihrer
denen in Industrieländern geforscht wird.         können hier auf Grundlage von Sonderrege-        existierenden Blue Economy. Tourismus, Küs-
Entwicklungsländer werden vielleicht zu           lungen im Seerechtsübereinkommen eine            tensschutz, Fischerei sowie die Gesundheit
Standorten für die Weiterverarbeitung ge-         Ausdehnung der von ihnen am Meeresboden-         der Bevölkerung können durch die Schädi-
macht, aber dass sie von dem Verkauf der          boden vor ihren Küsten verwalteten poten-        gung der Gewässer und Ökosysteme vor den
Raffinaden profitieren, die durchschnittlich      tiellen Abbaugebiete beantragen. Für die dort    Küsten vom Tiefseebergbau negativ beein-
einen doppelt so hohen Wert haben wie die         gewonnenen Rohstoffe müssen sie an die           flusst werden.
Erze, ist so weniger wahrscheinlich.              Meeresbodenbehörde zwar gewisse Abgaben
                                                  zahlen, aber die Kontrolle obliegt dann den
So bleiben die Kleinen Inselentwicklungslän-      Küstenstaaten. Durch die Vielzahl der An-        EINE PREISFRAGE
der und andere rohstoffabhängige Staaten im       träge und den enormen Umfang der Flächen,
Rahmen dieser neuen Industrie letzten Endes       auch hier geht es immer wieder um zehn-          Mit Blick auf das, von der Internationalen
auf die Rolle des Türöffners beschränkt und       oder hunderttausende von Quadratkilome-          Meeresbodenbehörde verwaltete Gebiet
die großen Rohstoff- und Offshore-Konzerne        tern, kann ein erheblicher Teil des Gebiets in   unter der Hohen See wird ein weiterer sehr
erhalten über sie, aber auch über die Lizenz-     nationale Oberhoheit übergehen. Bearbeitet       zweischneidiger Aspekt deutlich. Einnahmen
gebiete der Industriestaaten den Zugriff auf      werden die Anträge bei der Kommission von        in Größenordnungen, die für ein paar zehn-
die Erzvorkommen. Die ökonomischen Struk-         einem Gremium, in dem viele Mitglieder an        tausende von Menschen durchaus relevant

                       Untiefen : Ein Diskussionsbeitrag              7                            Fair Oceans
sein können, sind für bevölkerungsreichere Länder weit we-     Wird dieser Gedanke zuende geführt, ergibt sich daraus,
niger interessant. Sollten sich bei den aktuellen Verhand-     dass der mögliche Startpunkt des Tiefseebergbaus im Zwei-
lungen der Abbauregeln, dem formell letzten erforderlichen     felsfall eine reine Preisfrage ist. Das veränderte Verhältnis
Schritt vor Start des Tiefseebergbaus auf der Hohen See,       von Angebot und Nachfrage wirkt sich aller Voraussicht
bei der Internationalen Meeresbodenbehörde die Gruppen         nach vorteilhaft für die Abnehmer*innen in den Industrie-
durchsetzen, die sich für eine geringe Abgabenhöhe und         staaten aus. Darüber hinaus kommt eine Preisstabilisierung
eingeschränkte Umweltauflagen stark machen, dann wird          für mineralische Rohstoffe, wenn auch auf einem höheren
die gesamte Preisgestaltung für Abbaulizenzen in der Tief-     Niveau als derzeit, einer wachstumsorientierten Wirt-
see voraussichtlich dauerhaft niedrig sein. Dies kann in der   schaftspolitik zugute. Geringe Abgaben für die Rohstoffe
Folge Auswirkungen auf die zukünftigen Weltmarktpreise         der Tiefsee zu fordern und die Zerstörung der marinen Öko-
für die entsprechenden mineralischen Rohstoffe haben. Wie      systeme zu akzeptieren hat deshalb den Charakter einer
beim Offshore-Erdöl so wird es auch bei den Erzen eine         grundlegenden Pfadentscheidung. Eine Entscheidung, die
Preisgrenze geben, ab der die Förderung in der Tiefsee ge-     auf ein ungebrochenes, ressourcenintensives Wachstum
winnbringend wird. Wenn diese Grenze überschritten ist         zielt und sich nicht an den planetaren ökologischen Grenzen
und die Förderungen beginnen, dann kann es durch das ge-       orientiert. Viele Teile der Zivilgesellschaft im globalen Nor-
wachsene Angebot auf dem Weltmarkt zur Abbremsung              den sehen in der Abkehr von einer ressourcenschonenden
oder zumindest zu einer Abflachung weiterer Preisanstiege      Gesellschaftsentwicklung eine der Hauptgefahren, die vom
kommen. Eine Dynamik, die zum Nachteil aller rohstoffex-       Tiefseebergbau ausgeht.
portierenden Staaten ist.
                                                               Die Befürworter*innen des Tiefseebergbaus gehen nicht
Die Inselstaaten und andere Lizenzgeber für den Tiefsee-       näher auf diese entwicklungspolitischen Dynamiken ein, sie
bergbau könnten also perspektivisch zu einer relativen         stellen stattdessen angeblich objektive Gründe für die Ein-
Preisstabilisierung bei den mineralischen Rohstoffen bei-      führung des Tiefseebergbaus in den Vordergrund. Einer die-
tragen. Dies minimiert die Entwicklungschancen der roh-        ser Gründe, die häufig vorgebracht werden, ist ein angeb-
stoffabhängigen Länder, die auf langfrisitg steigende Preise   lich zu erwartender Mangel an mineralischen Ressourcen,
für ihre Ressourcen gehofft haben und mehr benötigen als       die für die Technologien der Zukunft gebraucht werden, und
begrenzte Lizenzabgaben. Hieraus erwächst ein Konflikt         den der Tiefseebergbau beseitigen kann. Doch handelt es
zwischen den onshore- und offshore-rohstoffexportieren-        sich hierbei um eine bloße Behauptung. Wissenschaftliche
den Ländern, der bereits aufflackert. Auch diese entwick-      Untersuchungen und selbst Industrieverbände wie der Bun-
lungspolitisch äußerst relevante Problematik wurde - wie       desverband der deutschen Industrie sehen auf absehbare
die Notwendigkeit eines Technologietransfers - schon in den    Zeit keinen solchen Mangel an mineralischen Ressourcen,
70er Jahren in den Verhandlungen zum Seerechtsüberein-         der die globale Wirtschaft lähmen wird. Der Tiefseebergbau
kommen berücksichtigt. Den rohstoffexportierenden Ent-         wird also nicht gebraucht, um eine sich anbahnende Versor-
wicklungsländern, die aufgrund des Tiefseebergbaus Ein-        gungslücke zu schließen. Genausowenig stärkt der Tiefsee-
nahmeverluste erleiden, wurden aus diesem Grund Aus-           bergbau die Rohstoffsicherheit einzelner Sponsoring
gleichszahlungen für ihre Verluste zugestanden. Der Verlauf    States, wenn letzlich private Meeresbergbau-Konsortien die
der Verhandlungen bei der Internationalen Meeresboden-         gefördeten Rohstoffe auf dem Weltmarkt anbieten. Die Stär-
behörde lässt es fraglich erscheinen, ob ein entsprechender    kung der Rohstoffsicherheit war dennoch in Industrielän-
Fonds ausreichend mit Finanzmitteln ausgestattet werden        dern lange Zeit das dominierende Pro-Argument für den
wird, die Abgaben für die geförderten Ressourcen einen         Tiefseebergbau. Wenn auch mit unterschiedlichen Zuspit-
nennenswerten Gewinn für die Weltgesellschaft garantieren      zungen ist die zentrale Argumentationsfigur zur Legitima-
oder die Industrie für mögliche ökologische Schäden in vol-    tion des Tiefseebergbaus, dass die mineralischen Vorkom-
lem Umfang wird aufkommen müssen. Um den Tiefseeberg-          men an Land in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichen wer-
bau gewinnbringend zu machen und bald starten zu lassen,       den, um den globalen Rohstoffbedarf zu decken. Tatsächlich
wollen viele Akteure die Nebenkosten für die Bergbaukon-       geht es jedoch nicht um das Ende der mineralischen Res-
zerne niedrig halten.                                          sourenvorkommen an Land, um eine Situation des absolu-
                                                               ten Mangels, sondern vielmehr um eine relative Zunahme

                           Untiefen : Ein Diskussionsbeitrag        8                            Fair Oceans
des technischen Aufwands und der Förderkosten, weil auf              hen von Nautilus Minerals in Papua-Neuguinea haben hin-
weniger ergiebige bzw. weniger lukrative Vorkommen zu-               gegen gezeigt, dass der Tiefseebergbau in Ausschließlichen
rückgegriffen werden muss. Einen solchen, durch einen un-            Wirtschaftszonen durchaus Menschenrechtsfragen aufwer-
gebrochen hohen Rohstoffverbrauch angetriebenen Kosten-              fen kann. Zivilgesellschaftliche Organisationen im Pazifik
anstieg kann der Tiefseebergbau abfedern. So geht es hier            beschreiben diese Problematik in ihren Veröffentlichungen
im Kern ebenfalls um eine Preis- bzw. Kostenfrage.                   ausführlich. Werden zudem die möglichen rohstoffpoli-
                                                                     tischen Konsequenzen des Tiefseebergbaus einbezogen,
Die einfachste Alternative zum Tiefseebergbau und seinen             die hier geschildert wurden, so können die sozialen und ent-
Risiken wäre an sich einen höheren Rohstoffpreis zu akzep-           wicklungspolitischen Auswirkungen erheblich sein.
tieren und weiterhin nur die Vorkommen an Land auszubeu-
ten. Weitreichendere Konsequenzen hätten eine Redu-                  Diese und andere zentrale entwicklungspolitische Frage-
zierung des globalen Rohstoffverbrauchs und die Umstel-              stellungen finden bei den Verhandlungen zu den Regularien
lung auf eine ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft. Die          für den Tiefseebergbau im Gebiet der Internationalen Mee-
Argumentationsgebäude für den Tiefseebergbau konzen-                 resbodenbehörde zu wenig Beachtung. Während die um-
trieren sich in Hinblick auf Alternativen zu einer verstärkten       weltpolitischen Streitpunkte zumindest erörtert werden,
Rohstoffförderung auf das Recycling und analysieren des-             werden die entwicklungspolitisch relevanten Aspekte in der
sen Potential als unzureichend zur Deckung des in ihren              Regel übergangen. Wird der Verhandlunsprozess weiterhin
Prognosen unaufhaltsam wachsenden Rohstoffbedarfs. In                von den Befürworter*innen beschleunigt, wird keine Zeit
vielen Rohstoffstrategien, die statt auf eine Ausweitung des         bleiben, um die offenen Grundsatzfragen zu klären. Eine
Ressourcenangebots auf Ressourcenschonung setzen, geht               Reihe von Akteuren, wie DeepGreen, der Generalsekretär
es mit Blick auf die Einführung einer Kreislaufwirtschaft je-        Michael Lodge und verschiedene Mitgliedsstaaten der In-
doch um weit mehr als nur um das Recycling von Metallen.             ternationalen Meeresbodenbehörde, drängen auf eine zü-
Eine Neuausrichtung der Produktionsprozesse soll Metalle             gige Verabschiedung der Regularien, während sie gleich-
durch andere, regnerative Stoffe ersetzen, oder die Re-              zeitig ihre verantwortungsvolle Haltung betonen. Doch tat-
cyclingquote und die Lebensdauer der Endprodukte erhö-               sächlich verhindert die Forcierung und Abkürzung der inter-
hen. Recycling ist aus einer solchen Perspektive gesehen             nationalen Gespräche eine gründliche und ausgewogene
lediglich ein Element eines viel umfangreicheren Ansatzes.           Entscheidungsfindung.

Jenseits ihrer rohstoff- und umweltpolitischen Argumente             Worin sollte das Interesse der Weltgemeinschaft bestehen,
für den Tiefseebergbau, heben Befürworter*innen wie                  das gemeinsame Erbe der Menschheit zu einem Zeitpunkt
DeepGreen in ihrer Programmatik schließlich zwei weitere             zu verkaufen, an dem kein guter Preis zu erzielen ist?
Motive hervor, die einen offensichtlicheren Bezug zur Ent-           Warum sollte die Meerespolitik den Tiefseebergbau als zu-
wicklungspolitik haben. Die mineralischen Rohstoffe aus              sätzliche Belastung der Ozeane akzeptieren, wenn deren
der Tiefsee sollen zur Bekämpfung des Klimawandels die-              Zustand ohnehin kritisch ist und jahrelang für den Erhalt der
nen und ohne Unterschied eine gerechte Rohstoffversor-               marinen Artenvielfalt gekämpft wurde? Eine Reihe von zivil-
gung der Weltbevölkerung sichern. DeepGreen greift auch              gesellschaftlichen Organisationen fordert angesichts der
hier auf die gleichen Argumentionsmuster zurück wie in den           schon jetzt absehbaren negativen Auswirkungen des Tief-
Jahren zuvor schon Nautilus Minerals. Doch führt ein erhöh-          seebergbaus auf Umwelt und Entwicklung und der vielen,
tes Angebot an Metallen zwangsläufig weder zu ihrer global           bis heute unbeantworteten Fragen nicht nur ein Morato-
gerechten Verteilung noch zu einem umweltschonenden                  rium, sondern einen Stopp des Tiefseebergbaus. Auch Fair
Einsatz der Ressourcen. Ein sinnvoller Einsatz von Naturgü-          Oceans hat sich diese Forderung zu Eigen gemacht. Auf kei-
tern ist, wie die Geschichte der Rohstoffpolitik zeigt, keine        nen Fall darf sich die Einführung des Tiefseebergbaus auf
simple Frage von Angebot und Nachfrage. Mit der gleichen             eine Preisfrage reduzieren, der eine betriebswirtschaftliche
Oberflächlichkeit wird behauptet, dass der Tiefseebergbau            Betrachtung zugrunde liegt, die die ökologischen und so-
ein Fortschritt für die Menschen im globalen Süden sei, weil         zialen Folgekosten für die Weltgesellschaft außer Acht lässt
es auf See zu keinen Vertreibungen und Menschenrechts-               und das gemeinsame Erbe ohne jede Notwendigkeit ver-
verletzungen kommt. Das Projekt Solwara 1 und das Vorge-             schleudert.

               Untiefen : Ein Diskussionsbeitrag                 9                        Fair Oceans
Hinweise
Literaturauswahl

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                            Untiefen : Ein Diskussionsbeitrag        10                             Fair Oceans
Impressum
Herausgeber                                                      Fair Oceans
Verein für Internationalismus und Kommunikation e.V.             Der Verein unterstützt seit 1998 die entwicklungspolitische
(IntKom)                                                         Bildungs- und Informationsarbeit und konzentriert sich
Kai Kaschinski und Christoph Spehr (Vorstand)                    seit 2009 mit seinem Arbeitsschwerpunkt Fair Oceans auf
Bernhardstraße 12 - 28203 Bremen                                 die entwicklungspolitische Dimension der meerespolitik.
E-mail: verein.intkom@gmx.de
                                                                 Gerne steht Fair Oceans für Informationsveranstaltungen,
Allein der Herausgeber ist verantwortlich für den Inhalt.        Diskussionsrunden und Capacity Bildung unter den
                                                                 folgenden Kontaktdaten zur Verfügung:
                                                                 Fair Oceans
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                                                                 E-mail: contact@fair.info
                                                                 Web: www.fair-oceans.info
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Redaktion: Kai Kaschinski und Christoph Spehr
Text: Kai Kaschinski                                             und gefördert durch Bingo! Die Umweltlotterie
Fotos: Harry Loges (Seite 1); NOAA (Seite 12)                    und durch den Senator für Umwelt, Bau und Verkehr
Druck: Druckwerkstatt Schmidtstraße                              der Freien Hansestadt Bremen

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Erscheinungsjahr: 2019
Auflage: 2.000
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Fair Oceans
für die Weltmeere
als gemeinsames Erbe der Menschheit
und ihre nachhaltige Nutzung
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