Ver anderung der Gletscher und ihrer Abfl usse 1900-2100 - Fallstudien Gornergletscher und Mattmark - Fachbericht
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Veränderung der Gletscher und ihrer Abflüsse 1900-2100 – Fallstudien Gornergletscher und Mattmark Fachbericht Im Auftrag von Kanton Wallis, Dienststelle für Energie und Wasserkraft DEWK, Sion Forces Motrices Valaisannes FMV SA, Sion Zürich, Mai 2011
Zusammenfassung Der Gletscherrückzug in den Alpen, der seit dem Ende der kleinen Eiszeit im Gan- ge ist und sich seit den 80er Jahren verstärkt hat, ist ein deutliches Anzeichen für die voranschreitende Klimaerwärmung. Aufgrund des erwarteten Temperatur- anstiegs, welcher durch verschiedene Klimastudien belegt wird, ist in Zukunft mit einem noch ausgeprägteren Gletscherschwund zu rechnen. Als Folge davon wird das Abflussregime in hochalpinen Räumen spürbaren Änderungen unterworfen sein. Das Ziel dieser Studie war es, den Einfluss der Klimaerwärmung auf die Gletscher beziehungsweise auf die Abflussverhältnisse bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu untersuchen. Dabei wurde ein kombiniertes glazio-hydrologisches Modell angewen- det, welches die Wasserbilanz in hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung berechnet und die Gletscheroberfläche in jährlichen Zeitschritten aktualisiert. Um die Glet- scherveränderungen in Zukunft modellieren zu können, muss das Eisvolumen sowie die räumliche Eisvolumenverteilung bekannt sein. Das Modell wurde mittels Eisvo- lumenänderungen in der Vergangenheit, Massenbilanz- sowie Abflussmessungen in einem iterativen Verfahren kalibriert. Für die klimatische Entwicklung, wurden die neusten Klimaszenarien des Instituts für Atmosphäre und Klima (IAC) der ETH Zürich verwendet. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts werden die Gletscher einen starken Rückgang erfahren. Aufgrund der Modellrechnungen ist zu erwarten, dass im Jahr 2100 die meisten der untersuchten Einzugsgebiete praktisch eisfrei sein werden. Ausgenom- men sind einzelne Eisreste in sehr hohen Lagen. Als eine Folge dieses Rückzuges werden die mittleren Jahresabflüsse in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts weiter ansteigen. In einer darauffolgenden Periode werden die Abflussmengen jedoch zum Teil stark zurückgehen und unter das heutige Niveau fallen. Das Ausmass des Ab- flussrückgangs hängt stark vom jeweiligen Gebiet ab, insbesondere von dessen Ver- gletscherung. Des Weiteren kommt es zu einer Veränderung des Abflussregimes. Auf- grund des Übergangs von einem Eisschmelze- zu einem Schneeschmelze-dominierten Abflussregime werden in Zukunft Abflussspitzen bereits Ende Juni und Anfangs Juli erreicht, rund ein Monat früher als heute.
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 1.1 Problemstellung und Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Aufbau des Berichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2 Untersuchungsgebiete 3 2.1 Einzugsgebiet Gorner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2.2 Einzugsgebiet Mattmark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3 Gletscherentwicklungs- und Abflussmodell GERM 7 3.1 Akkumulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3.2 Ablation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3.3 Gletscherentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.4 Evapotranspiration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3.5 Abflussbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 4 Datengrundlagen 13 4.1 Geländemodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4.2 Eisvolumenänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4.3 Massenbilanzmessungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 4.4 Abflussmessungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 4.5 Eisdickenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 4.6 Meteorologische Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4.6.1 Meteorologische Zeitreihen für die Vergangenheit . . . . . . . 18 4.6.2 Meteorologische Zeitreihen für die Zukunft . . . . . . . . . . . 19 5 Resultate 22 5.1 Einzugsgebiet Gorner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 5.1.1 Gletscherentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 5.1.2 Abflussentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I
5.2 Einzugsgebiet Mattmark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 5.2.1 Gletscherentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 5.2.2 Abflussentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 6 Schlussfolgerungen 33 6.1 Vergleich der beiden Untersuchungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . 33 6.2 Unsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 6.3 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II
Kapitel 1 Einleitung Die Alpen gelten als Wasserschloss Europas. Diese Wasserresourcen werden in der Schweiz intensiv für die Energiegewinnung eingesetzt. Die Gletscher als Teil des Wasserkreislaufs kontrollieren die Abflussverhältnisse in alpinen Einzugsgebieten. Obwohl die Gletscher in den letzten Jahrzehnten durch verstärkte Schmelze viel Eis verloren haben, liegen in den Schweizer Alpen noch bedeutende Eismassen. Kli- maprognosen bis Ende des Jahrhunderts zeigen einen weiteren Temperaturanstieg, welcher auch weitere, zum Teil markante Veränderungen der Gletscher erwarten lässt. 1.1 Problemstellung und Auftrag Um die Auswirkungen des Klimawandels auf Wasserkraftnutzung im Kanton Wal- lis zu untersuchen, haben die FMV SA und das Departement für Volkswirtschaft, Energie und Raumentwicklung (DVER) des Kantons Wallis mit der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL das gemeinsames Projekt Sektorielle Studie zum Einfluss der Klimaänderung auf die Wasserkraftnutzung im Kanton Wallis lanciert. Dieses Forschungsprojekt ist eine regionale Ergänzung zu einer vom Bundesamt für Energie und der Swisselectric finanzierten Studie zum Thema Klimaänderung und Wasser- kraftnutzung in der gesamten Schweiz. Im Rahmen von Modul B Auswirkungen der Klimaänderung auf die Walliser Glet- scher der sektoriellen Studie hat die WSL die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hy- 1
drologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich beauftragt Fallstudien für einzel- ne vergletscherte Einzugsgebiete im Kanton Wallis zu erarbeiten. In Absprache mit den beteiligten Forschungsgruppen in den verschiedenen Modulen wurden die beiden Einzugsgebiete Gorner und Mattmark ausgewählt. Für die beiden stark vergletscher- ten Einzugsgebiete sollen die Veränderung des Gletschervolumens, sowie die zu erwartenden mittleren Jahresabflüsse und die Veränderung im Abfluss- regime bis 2100 berechnet werden. Dabei kommen die durch Huss et al. (2008b) entwickelte Methodik, sowie die im Rahmen des CCHydro Projektes vom Bundes- amt für Umwelt (BAFU) vom IAC der ETH Zürich erarbeiteten Klimaszenarien zur Anwendung. Die beiden Einzugsgebiete ergänzen die analogen Untersuchungen von der VAW im Rahmen der des Projektes CCHydro in sieben über den gesamten Schweizer Alpenraum und alle Hauptstromgebiete verteilten Einzugsgebiete. Vier dieser weiteren Gebiete (Aletsch, Findelen, Gries und Rhone) liegen im Kanton Wallis. 1.2 Aufbau des Berichtes Der vorliegende Bericht ist in sechs Kapitel gegliedert. Nach der Einleitung werden die zwei untersuchten Einzugsgebiete hinsichtlich Morphologie und heutigem Klima kurz charakterisiert (Kapitel 2). Es folgt eine detaillierte Darstellung des verwen- deten hydro-glaziologischen Modells (Kapitel 3) und eine umfassende Übersicht der Datensätze, die für das betreiben des Modells notwendig sind (Kapitel 4). Besonde- res Augenmerk wird auf die Implementierung der vom IAC / ETHZ vorgegebenen Klimaszenarien gerichtet (Abschnitt 4.6). In Kapitel 5 werden die Resultate der Studie präsentiert. Für die beiden Einzugsgebiete sind die Merkmale der zu erwar- tenden Gletscher- und Abflussänderungen separat hervorgehoben. Am Schluss des Berichts werden in Kapitel 6 die Resultate der einzelnen Gebiete zusammengefasst und Empfehlungen für weitere Untersuchungen gegeben. 2
Kapitel 2 Untersuchungsgebiete Im den folgenden zwei Abschnitten werden die beiden untersuchten Einzugsgebiete charakterisiert. In kurzer Form werden dessen Morphologie, die im Gebiet vorkom- menden Gletscher und die während der Referenzperiode vorherrschenden klimati- schen Bedingungen vorgestellt. 2.1 Einzugsgebiet Gorner Das Einzugsgebiet Gorner (Abb. 2.1) ist durch die Wasserfassung, welche die Gor- nera auf einer Höhe von 2007 m ü.M. fasst, begrenzt und erstreckt sich über rund 81 km2 . Das Gebiet ist durch das Systems des Gornergletschers geprägt, welches im Jahre 2007 ein Gesamteisvolumen von etwa 4.4 km3 aufwies. Das Gebiet enthält so- mit knapp unter 10 % des gesamthaft in den Schweizer Alpen liegenden Gletschereis- volumens. Im Jahre 2007 waren 63 % der Gebietsfläche vergletschert und 33 % unbe- wachsen (Abb. 2.2 rechts). Nur ein unwesentlicher Gebietsanteil ist durch Vegetation eingenommen. Während der Referenzperiode 1980 – 2009 betrug der mittlere Jah- resniederschlag 1320±400 mm und die durchschnittliche Lufttemperatur -4.7±1.3 ◦ C (Abb. 2.2 links). Der Verlauf des Jahresniederschlags ist durch eine zweigipflige Ver- teilung charakterisiert, mit Maximas in den Monaten Mai und Oktober. 3
2 km Abbildung 2.1: Einzugsgebiet Gorner. Die Gletscherumrisse entsprechen dem Stand 2007. 1 1 1 200 5 1 Relative Verteilung der Niederschlag (mm) 0.98 33 64 Oberflaechentypen (%) Temperatur (oC) 0 0 100 0 6000 Gebietsflaeche 80.9 km2 100 −5 4.0 Hoehe (m u.M.) 4000 Oberflaechentypen J F M A M J J A S O N D Gletscher 0 Unbewachsen 0.28 0.5 9.5 1 3.0 Niedrige Vegetation Periode: 1980−2009 2000 Wald Temperatur See Niederschlag 2.0 Jahresniederschlag: 1320 mm Jahresmitteltemp.: −4.7 oC 0 Gorner 0 2 2 4 0 0 1 Flaeche (km2) 0 0 0 0 0 1 1 0 1 Abbildung 2.2: Klimatische Bedingungen in der Referenzperiode 1980 – 2009 und Hyp- sometrie der Oberflächentypen im Einzugsgebiet Gorner. 4
2.2 Einzugsgebiet Mattmark Das Einzugsgebiet Mattmark (Abb. 2.3) weist bis zum Ausgleichsbecken in Zer Meiggeren eine Gesamtfläche von 65.7 km2 auf. Das Einzugsgebiet ist Ursprung der Saaservispa und ist, nebst den enthaltenen Gletscher, durch den Stausee Matt- mark charakterisiert, welcher eine Fläche von nicht ganz 2 km2 einnimmt. Im Jahre 2008 waren etwa 30 % des Gebiets vergletschert, 52 % unbewachsen, 14 % durch Vegetation eingenommen und etwa 4 % durch Gewässer charakterisiert (Abb. 2.4 rechts). Ihrer Grösse nach, sind die wichtigsten Gletscher im Gebiet der Allalin-, der Schwarzberg-, der Hohlaub-, der Seewjinen- und der Chessjengletscher. Deren gesamtes Eisvolumen belief sich im Jahre 2008 noch auf rund 1.03 km3 . Der mittlere Jahresniederschlag betrug während der Referenzperiode (1980 – 2009) 1610±550 mm wobei der Jahresverlauf der Gesamtmenge zwei deutliche Maxima in den Monaten Mai und Oktober zeigt. Die durchschnittliche Lufttemperatur betrug in der gleichen Periode -2.3±1.3 ◦ C (Abb. 2.4 links). 2 km Abbildung 2.3: Einzugsgebiet Mattmark. Die Gletscherumrisse entsprechen dem Stand 2008. 5
1 1 1 1 Relative Verteilung der Niederschlag (mm) 0.98 15 52 30 Oberflaechentypen (%) Temperatur (oC) 5 0 0 100 200 4500 0 4.0 Gebietsflaeche 65.7 km2 4000 100 −5 Hoehe (m u.M.) 3500 Oberflaechentypen J F M A M J J A S O N D Gletscher 0 0.28 0.5 9.5 3.0 3000 Unbewachsen Niedrige Vegetation 1 Periode: 1980−2009 2500 Wald Temperatur See Niederschlag 2.0 2000 Jahresniederschlag: 1610 mm Jahresmitteltemp.: −2.3 oC 1500 Mattmark 0 22 4 0 0 1 Flaeche (km2) 0 0 0 0 0 1 1 0 1 Abbildung 2.4: Klimatische Bedingungen in der Referenzperiode 1980 – 2009 und Hyp- sometrie der Oberflächentypen im Einzugsgebiet Mattmark. 6
Kapitel 3 Gletscherentwicklungs- und Abflussmodell GERM Die ausgeprägte räumliche Variabilität der meteorologischen Phänomene machen hydrologische Modellierungen für hochalpine Einzugsgebiete zu einer Herausforde- rung. Hydrologische Modelle müssen in der Lage sein, eine Serie von Prozessen zu beschrieben, die untereinander interagieren und die zum Teil noch nicht ganz ver- standen sind (Becker, 2005). Schnee und Eis spielen in hohen Lagen eine wichtige Rolle und müssen im Wasserzyklus dementsprechend abgebildet werden. Das für diese Studie verwendete hydro-glaziologische Modell ist eine Weiterentwick- lung des Glacier Evolution Runoff Model (GERM) (Huss et al., 2008b, Farinotti et al., in press). Das Modell besteht aus fünf verschiedenen Modulen, die sich mit Akku- mulation, Ablation, Gletscherentwicklung, Evapotranspiration und Abflussbildung befassen. Das konzeptionelle, deterministische Modell operiert räumlich verteilt. Dies bedeutet, dass jede der betrachteten Grössen für jede einzelne Gitterzelle, in denen das jeweilige Einzugsgebiet unterteilt wird, berechnet wird. In der vorliegenden Stu- die wurde Gitterzellen von 25 m oder 50 m Gitterweite verwendet. Es werden sechs Oberflächentypen unterschieden: Eis, Schnee, Fels, niedrige und hohe Vegetation so- wie offene Gewässer. Das Modell wird durch Zeitreihen der Lufttemperatur und des Niederschlags angetrieben. Die einzelnen Module basieren auf bekannte Ansätze, die im Folgendem kurz beschrieben werden. 7
3.1 Akkumulation Für eine beliebige Gitterzelle i wird die Akkumulation, d.h. die anfallenden Menge an Festniederschlag Pfest,i , berechnet durch: Pfest,i = Pref · (1 + cprec ) · [1 + (zi − zref ) · dP/dz] · Dsnow,i · rs . (3.1) Dabei ist Pref die Niederschlagsmenge, die von der vorgegebenen Niederschlagsrei- he für den Referenzpunkt angegeben wird, cprec ein Korrekturfaktor, der den so- genannten gauge-catch deficit berücksichtigt (Bruce and Clark, 1981), zi − zref der Höhenunterschied zwischen der betrachteten Gitterzelle und dem Referenzpunkt, dP/dz die Rate, mit welcher der Niederschlag mit der Höhe zunimmt (Peck and Brown, 1962), Dsnow,i ein räumlich verteilter Faktor, der die Effekte von Schneeum- verteilungsprozessen vereint (Tarboton et al., 1995; Huss et al., 2008b) und rs der Anteil Niederschlag, der in fester Form anfällt. Dsnow,i wird aus Charakteristiken der Oberflächentopographie hergeleitet (Huss et al., 2008b) während rs im Intervall Tff − 1 ◦ C und Tff + 1 ◦ C linear von 1 auf 0 abfällt, wobei Tff eine Grenzwerttem- peratur ist, welche Fest- und Flüssigniederschlag trennt (Hock, 1999). Gemäss der Definition von rs lässt sich die Menge an Flüssigniederschlag Pfl ebenfalls aus Glei- chung 3.1 berechnen, in dem rs mit (1 − rs ) ersetzt wird. 3.2 Ablation Die Ablation wird mit einem räumlich verteilten Grad-Tag-Faktor-Ansatz model- liert, welcher den Effekt der Strahlung mitberücksichtigt (Hock, 1999). Die Schmelze Mi wird für jede Gitterzelle i berechnet als: Mi = fM + rSchnee/Eis · Ipot,i · T i wenn T i > 0 ◦ C. (3.2) Dabei sind fM ein Schmelzfaktor, rSchnee/Eis zwei unterschiedliche Strahlungsfakto- ren für Schnee und Eis, Ipot,i die direkte, potentielle Sonneneinstrahlung für die Gitterzelle i und T i die Tagesmitteltemperatur der Luft am selben Ort. Für Tage an welchen T i ≤ 0 ◦C ist, fällt keine Schmelze an. Die räumliche Verteilung von T i wird aus der Tagesmitteltemperatur, die die vorgegebene Temperaturzeitreihe für den Referenzpunkt vorgibt, und einem konstanten Temperaturgradienten berechnet. 8
4500 4000 Höhe (m ü.M.) 3500 3000 2500 2000 −4 −3 −2 −1 0 Mittlere Eisdickenänderung (m a−1) Abbildung 3.1: Beziehung zwischen Eisdickenänderung und Höhe über Meer am Beispiel des Gornergletschers. Jede der grauen Kurven entspricht dem Verlauf aus der Differenzie- rung zweier DHMs. Da für den Gornergletscher 4 unterschiedliche DHMs zur Verfügung stehen, können 6 unterschiedliche solcher Kurven erstellt werden. Die rote Kurve ist der Mittelwert der Kurvenschar. 3.3 Gletscherentwicklung Die Geometrie der Gletscher im jeweiligen Einzugsgebiet wird in Jahresschritten ak- tualisiert. Dies erfolgt mit dem nicht-parametrischem Ansatz von Huss et al. (2010). Dabei wird die Eisvolumenänderung, die das Akkumulations- und Ablationsmodul berechnet nach einer gletscherspezifischen, höhenabhängigen Funktion ∆h umver- teilt. Die ∆h-Funktion wird dazu aus der beobachteten Eisdickenänderung in der Vergangenheit abgeleitet. Für jede Periode zwischen zwei vorhandenen Geländemo- dellen (DHMs) wird die Eisdickenänderung als Funktion der Höhe ermittelt und über alle Perioden gemittelt gemittelt (Abb. 3.1). Stehen für ein Gebiet n DHMs zur Verfügung, können n(n−1) 2 unterschiedliche Perioden gebildet werden, aus de- nen die Funktion bestimmt werden kann. Der ∆h-Ansatz ist massenerhaltend und schreibt vor, dass die grössten Eisdickenänderungen im Zungenbereich stattfinden (Bauder et al., 2007). Geometrieänderungen im Akkumulationsgebiet sind dabei vernachlässigbar. Die Eignung des Ansatzes für die Modellierung von Gletschern wurde von Huss et al. (2010) gezeigt, in dem die Resultate mit denjenigen eines 3D finite-Elemente-Modells (Jouvet et al., 2008) verglichen wurden. 9
3.4 Evapotranspiration Die tatsächliche Evapotranspiration ETact,i für jede Gitterzelle i wird berechnet in dem die potentielle Evapotranspiration nach dem Ansatz von Hamon (1961) mit einem Oberflächentypabhängigen Faktor fETp,j reduziert wird: 35.77 · DL · es ETact,i = · Sj · fETp,j . (3.3) T i + 273.3 Dabei ist DL die als Tagesanteil ausgedrückte potentielle Sonnenscheindauer (ei- ne Funktion des Tages innerhalb des Jahres), es der Sättigungsdampfdruck (eine Funktion von T i ), T i die mittlere Tagestemperatur der Luft für die Gitterzelle i und Sj ein empirischer Faktor, der die Eigenschaften des Oberflächentyps j hin- sichtlich Evapotranspiration charakterisiert. Im Sommer kann Sj über Schnee- und Eisoberflächen ein negatives Vorzeichen annehmen, was bedeutet, dass Kondensati- on stattfindet (Lang et al., 1977; Bernath, 1991). Solange ein Interzeptionsreservoir gefüllt ist, wird der Faktor fETp,j auf 1 gesetzt. 3.5 Abflussbildung Das verwendete Abflussbildungsmodul ist eine Weiterentwicklung des Schemas wel- ches von Huss et al. (2008b) präsentiert wurde und löst für jede Gitterzelle i und jeden Modellierungszeitschritt die lokale Wasserbilanz X Qi = Pfl,i + Mi − ETi − ∆ Vr,i . (3.4) r Dabei ist Qi der Abfluss aus Gitterzelle i und ∆ Vr,i die Speicheränderung von Re- servoir r am selben Ort. Je nach dem ob eine Schneebedeckung für die Gitterzelle i vorhanden ist, unter- scheidet das Modul zwischen drei oder vier Reservoiren (Abb. 3.2). Ein Interzep- tionsreservoir, wird bei jedem Niederschlags- und Schmelzereignis als erstes gefüllt und hat eine vorgegebene, oberflächentypabhängige Maximalgrösse. Das vom In- terzeptionsreservoir nicht aufgenommene Wasser infiltriert in tiefere Schichten, die durch ein schnelles und ein langsames Reservoir repräsentiert sind. Das schnelle Reservoir stellt den oberflächennahen, schnellansprechenden Abfluss dar während das langsame Reservoir den Abfluss aus tiefere Bodenschichten, in denen das Was- ser über längere Zeiträume gespeichert werden kann, repräsentiert. Wieviel Wasser 10
Eis Fels Wiese Wald Wasser Schnee 4 1 2 ETpot ETact Pfl Pfest 3 MSchnee 4 kSchnee QSchnee 1 kschnell Qtot 2 Qschnell 3 klangsam Qlangsam 1 INTERZEPTION 2 SCHNELL 3 LANGSAM 4 SCHNEE Abbildung 3.2: Schema des Abflussmoduls, welches vier verschiedene Reservoire un- terscheidet: ○ 1 Interzeptionsreservoir, ○ 2 schnelles Reservoir, ○ 3 langsames Reservoir, ○ 4 Schneereservoir. Die anfallende Schnee- und Eisschmelze M und der flüssige Niederschlag Pfl infiltrieren zunächst ins Interzeptionsreservoir, bis es gefüllt ist. Danach infiltriert das Wasser ins langsame und schnelle Reservoir. Das Schmelzwasser des vom Festniederschlag Pfest gespiesenem Schneereservoirs MSchnee fliesst zu einem Teil in die Reservoire ○ 1 bis ○, 3 zum anderen direkt ab (QSchnee ). Der Gesamtabfluss Qtot entspricht der Summe aus den Abflüssen aus dem langsamen, dem schnellen und dem Schneereservoir. Das Interzep- tionsreserviors wird durch die Evapotranspiration ETpot entleert. Ist dieses Reservoir leer, erfolgt die Evapotranspiration mit einer veränderten Rate ETact aus dem langsamen und dem schnellen Reservoir. Das Schema wurde aus Farinotti et al. (submitted) übernommen. 11
in das langsame Reservoir infiltriert, hängt von dessen Füllstand ab. Je stärker das langsame Reservoir gefüllt ist, desto weniger Wasser infiltriert darin und desto mehr Wasser fliesst ins schnelle Reservoir. Das langsame Reservoir hat, wie das Inter- zeptionsreservoir, eine vorgegebene, vom Oberflächentyp abhängige Maximalgrösse während die Grösse des schnellen Reservoirs unbeschränkt ist. Wenn eine Schnee- decke vorhanden ist, kommt ein Schneereservoir dazu. Dieses wird durch den festen Niederschlag gespiesen. Ein Teil der Schmelze wird dabei wie der flüssige Nieder- schlag in die tieferen Reservoire (schnell und langsam) geleitet. Der andere Teil hingegen trägt direkt zum Abfluss bei. Sämtliche Reservoire entleeren sich nach dem Prinzip des linearen Speichers: ∆ Vr,i = Vr,i /kr , (3.5) wobei Vr,i der Füllstand von Reservoir r (r = Schnee, schnell oder langsam) an der Gitterzelle i und kr eine reservoirabhängige Retentionskonstante ist. Der Gesamtabfluss wird aus der Summe des Abflusses aus dem schnellen, dem lang- samen sowie dem Schneereservoir berechnet. Das Wasser aus dem Interzeptionsre- servoir trägt nicht zum Abfluss bei, sondern steht einzig für die Evapotranspiration zur Verfügung. Schliesslich werden die Abflüsse aus jeder Gitterzelle eines Gebietes aufsummiert, um den Betrag des entsprechenden Teil- oder Gesamteinzuggebietes zu ermitteln. 12
Kapitel 4 Datengrundlagen Für die Anwendung von GERM werden verschiedene Daten als Grundlage benötigt. Diese dienen entweder zur Charakterisierung des Gebiets (z.B. Höhenmodelle der Geländeoberfläche, Eisdickenverteilung der Gletscher), zur Kalibrierung der Para- meter der einzelnen Module (z.B. Massenbilanz- und Abflussmessungen) oder als Treiber für das Modell selbst (z.B. Temperatur- und Niederschlagszeitreihen). Im folgenden wird auf die verschiedenen benötigten Datensätze sowie dessen Bereitstel- lung näher eingegangen. Tabelle 4.1 gibt einen Überblick über die für jedes einzlne der bearbeiteten Einzugsgebiete verfügbaren Daten. Tabelle 4.1: Übersicht über die verfügbaren Datensätze. Unter ’DHMs’ ist die An- zahl zur Verfügung stehender Geländemodelle (#) sowie die Zeitpunkte dessen Aufnahme (Gletscherstände) aufgeführt. DHMs für kursiv gedruckten Zeitpunkte basieren auf topo- graphischen Karten, alle anderen auf Luftbildern. Die Spalten ’Massenbilanz’ und ’Abfluss’ geben die Perioden wieder, in denen entsprechende Messungen vorhanden sind. Gebiet DHMs Massenbilanz Abfluss # Gletscherstände Jahresbilanz Winterbilanz Gorner 4 1931, 1982, 2003, 2007 2004 - 2007 2004 - 2008 1969 - 2007 Mattmark 9 1932, 1946, 1956, 1967, 1982 1956 - 2007 1956 - 1997 1998 - 2009 1991, 1999, 2004, 2008 13
4.1 Geländemodelle Um die einzelnen Gebiete charakterisieren und modellieren zu können, muss des- sen Topographie abgebildet werden. Dies geschieht mittels digitaler Höhenmodelle (DHMs). Da sich die Gletscher im Laufe der Zeit verändert haben, ist es von zentra- ler Bedeutung, dass für jedes der modellierten Einzugsgebiete mehrere solche DHMs zur Verfügung stehen. Für diese Studie wurden DHMs aus zwei unterschiedlichen Quellen verwendet: einerseits aus historischen Karten, andererseits aus Luftbilder. Erste detaillierte Luftaufnahmen stammen aus den frühen 1960er Jahren. Um Glet- scherstände für frühere Zeitpunkte zu rekonstruieren, werden historische Karten digitalisiert. Diese reichen mit genügender Genauigkeit bis etwa 1930 zurück. Für die Modellierungen werden sämtliche DHMs auf ein regelmässiges Gitter mit 25 m Rasterweite interpoliert. Die vertikale Genauigkeit wird auf etwa 30 cm geschätzt (Bauder et al., 2007). Für die beiden untersuchten Einzugsgebiete sind vier (Einzugsgebiet Gorner) respek- tive neun (Einzugsgebiet Mattmark) DHMs vorhanden. Höhenmodelle vor 1967 wur- den durch das Auswerten von historischer Karten, jene späterer Zeitpunkte durch das Auswerten von Luftbildern erstellt (Tab. 4.1). Nichtvergletscherte Bereiche in- nerhalb des Einzuggebietes die durch keines der speziell aufgenommenes DHM ab- gedeckt sind wurden mit dem DHM25 von swisstopo (L+T, 1993) ergänzt. 4.2 Eisvolumenänderungen Durch den Vergleich zweier DHMs, die für unterschiedliche Zeitpunkte gelten, kann für die vergletscherten Gebiete die Eisvolumenänderung in der betrachteten Zeit- spanne bestimmt werden (Bauder et al., 2007). Diese Information wird für die Ka- librierung der Parameter des Akkumulations- und des Ablationsmoduls verwendet. Insbesondere werden durch ein stufenweise iteratives Verfahren die Parameter cprec , dP/dz (Gleichung 3.1) und fM , rSchnee/Eis (Gleichung 3.2) so angepasst, dass die aus den DHMs ermittelten Eisvolumenänderungen reproduziert werden können (Huss et al., 2008a). Abbildung 4.1 zeigt am Beispiel des Einzugsgebiet Gorner, wie sich die Eisvolumenänderung auf die Gletscherflächen verteilt. 14
Delta −200 −100 0 100 200 1931 − 2007 Abbildung 4.1: Beispiel für die aus den DHMs bestimmte Verteilung der Eisdi- ckenänderung. Gezeigt sind die Änderungen im Einzugsgebiet Gorner zwischen 1931 und 2007. 4.3 Massenbilanzmessungen Die Massenbilanz eines Gletschers beschreibt wie viel Masse dieser innerhalb einer bestimmten Periode gewonnen oder verloren hat. Normalerweise wird das hydro- logische Jahr (1. Oktober – 30. September) als Beobachtungsperiode gewählt. An- hand in die Gletscheroberfläche eingebohrten Pegeln wird für den jeweiligen Ort die Schneeakkumulation oder die Eisschmelze über den Beobachtungszeitraum ermit- telt. Existieren Zwischenablesungen am Ende des Winters, lassen sich die Schnee- akkumulation über den Winter und die Schnee-/Eisschmelze über den Sommer zusätzlich separieren. Massenbilanzmessungen dienen ebenfalls zur Kalibrierung der Akkumulations- und Ablationsmodule. Im Gegensatz zu den Eisvolumenänderungen, welche Aufschluss über die Gesamtänderung eines Gletschers über einen längeren Zeitraum geben, dienen die Massenbilanzmessungen zur Kalibrierung der kleinräu- migeren und kurzzeitigeren Variabilität. 15
Für die Gletscher im Einzugsgebiet Mattmark decken die jährlichen Massenbilanz- messungen eine Zeitspanne von rund 50 Jahre ab (Tab. 4.1). Die Zeitreihe der Winterbilanzmessungen ist eine Dekade kürzer. Für das Einzugsgebiet Gorner be- schränken sich die Messungen hingegen auf den Zeitraum 2004-2007. 4.4 Abflussmessungen Abflussmessungen dienen der Kalibration der Parameter des Abflussbildungsmo- dul. Tägliche Messungen verhelfen der Abstimmung der kurzzeitigen Variabilität während Jahresabflussmengen auch Aufschluss über Langzeitänderung der Spei- cher geben. Insbesondere kann dadurch auch die Plausibilität der mittels Volu- menänderungen kalibrierten Parameter des Akkumulations- und Ablationsmoduls überprüft werden. Für das Einzugsgebiet Gorner decken die Abflussmessungen bei der Wasserfassung an der Gornera den Zeitraum 1969-2007 ab (Tab. 4.1). Für das Einzugsgebiet Matt- mark stehen Zuflüsse zum Stausee für die Periode 1998-2009 zur Verfügung. 4.5 Eisdickenverteilung Für die räumliche Modellierung der Gletscherentwicklung muss die Verteilung der Eisdicke bekannt sein. Die Bestimmung derselben ist jedoch komplex, da das Glet- scherbett grundsätzlich nur anhand Bohrungen direkt zugänglich wird. Da solche Messungen mit sehr hohem Aufwand verbunden sind und eine flächendeckende An- wendung nicht praktikabel ist, wird die Eisdicke eines Gletschers oft durch Radio- Echo-Sondierungen vermessen. Dabei werden elektromagnetische Wellen ausgesen- det, welche sich im Gletschereis ausbreiten und an der Eis-Fels Kontaktfläche zum Teil reflektiert werden. Erreichen diese Reflexionen einmal wieder die Gletscherober- fläche, können sie von einem Messgerät aufgezeichnet werden. Anhand der Zeit, welche eine reflektierte Welle braucht, bis sie wieder an der Oberfläche ist (der so- genannten Laufzeit) und einer Annahme über die Geschwindigkeit mit welcher sich die elektromagnetischen Wellen im Eis ausbreiten, kann die Eismächtigkeit herge- leitet werden. Obwohl die Methode in ihrer Anwendung weniger aufwändig ist als Bohrungen, ist auch mit dieser Methode eine flächendeckende Vermessung nicht 16
möglich. Flächendeckende Eisdickenverteilungen werden deswegen durch eine Kom- bination aus direkten Messungen und theoretischen Überlegungen hergeleitet, wo- bei Informationen der Gletscheroberfläche und Kenntnisse über die Eisfliessdynamik miteinbezogen werden. In der vorliegenden Studie wurde die Eisdickenverteilung in den verschiedenen Ein- zugsgebieten durch das Eisdicken-Bestimmungsverfahren von Farinotti et al. (2009) hergeleitet. Die VAW hat in beiden untersuchten Gebieten Radarmessungen durch- geführt. Dabei kamen sowohl ein helikoptergestützten Radarsystem der Universität Münster, sowie konventionelle, bodengestützte Verfahren zum Einsatz. Die Abbil- dungen 4.2 und 4.3 zeigen die für die beiden Gebiete berechnete Eisdickenverteilun- gen sowie die Lage der vermessenen Radarprofile. Eisdicke (m) Gorner 0 200 100 400 100 100 20 0 10 100 100 0 100 30 200 10 0 0 10 0 100 10 0 100 100 100 10 0 100 100 100 1 km 0 10 Abbildung 4.2: Eisdickenverteilung und Position der Messprofile im Einzugsgebiet Gor- ner. Die Gletscherumrisse entsprechen dem Stand 2007. 4.6 Meteorologische Daten Nebst den Datensätzen, welche die einzelnen Einzusgebiete und die darin enthal- tenen Gletscher hinsichtlich ihrer Morphologie beschrieben, sind die klimatisch- meteorologischen Randbedingungen die zentralen Eingangsgrössen für die Model- lierungen mit GERM. Das Modell wird mit kontinuierlichen Temperatur- und Nie- derschlagszeitreihen angetrieben, wobei die zeitliche Auflösung ein Tag beträgt. Die 17
0 Eisdicke (m) 150 100 100 100 300 0 20 10 0 Mattmark 100 10 0 1 km Abbildung 4.3: Eisdickenverteilung und Position der Messprofile im Einzugsgebiet Matt- mark. Die Gletscherumrisse entsprechen dem Stand 2008. benötigten Zeitreihen für Vergangenheit und Zukunft werden mit zwei unterschied- lichen Ansätzen generiert. 4.6.1 Meteorologische Zeitreihen für die Vergangenheit Die Meteorologische Zeitreihen für die Vergangenheit wurden in dieser Studie nach den Methoden von Huss et al. (2008a) erstellt. Diese behandeln die beiden Variablen Lufttemperatur und Niederschlag unterschiedlich. Als Grundlage für die Temperaturzeitreihe dienen die homogeneisierten Zeitreihen, welche vom Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (MeteoSchweiz) für 12 Stationen bereitgestellt werden (Begert et al., 2005). Mit einer ’inverse distance’- Interpolation, in welcher die einzelnen Stationen umgekehrt-proportional zu ihrer Entfernung, ins Untersuchungsgebiet übertragen. Da die homogenisierten Zeitrei- hen der MeteoSchweiz nur in monatlicher Auflösung vorhanden sind, werden Tages- schwankungen von der nächstgelegenen Station mit einer kontinuierlichen Messreihe ab 1900 der Zeitreihe überlagert. Obwohl diese Station relativ weit vom betrachtetem 18
Tabelle 4.2: Übersicht über die Referenzstationen, die für die Lufttemperatur- und Niederschlagszeitreihen verwendet wurden. Die Spalte ’Zukunft’ führt auf, welche Station für die Fortsetzung der entsprechende Zeitreihe in die Zukunft dienen. Gebiet Temperatur Niederschlag Zukunft Gorner Sion Zermatt Zermatt Mattmark Sion Zermatt, Saas Fee (ab 1931) Saas Fee Gebiet entfernt sein kann, werden trotzdem gute resultate erziehlt, da die Lufttempe- ratur eine auch auf grössere Distanzen gut extrapolierbare Grösse ist (Begert et al., 2005). Um die Temperaturen schliesslich auf die benötigte Höhe jedes einzelnen Git- terpunktes anzupassen, kommt ein lokaler Temperaturgradient zur Anwendung, der aus Messstationen in einem Umkreis von 30 km ermittelt wird. Der Niederschlag hingegen weist grosse räumliche Unterschiede. Insbesondere in der alpinen Topographie sind diese kleinräumig sehr variabel (Fliri, 1986; Frei and Schär, 1998). Als Grundlage dient deshalb der PRISM-Gitterdatensatz von Schwarb et al. (2001). Für die Alpenregion liefert der PRISM-Datensatz mittlere Monatsnie- derschlagssummen mit einer horizontalen Auflösung von etwa 2 km. Die Mittelwer- te beziehen sich dabei auf die Periode 1971 – 1990. Um ebenfalls eine Zeitreihe in täglicher Auflösung zu erstellen, werden die Messungen an der nächstgelegenen Sta- tion linear skaliert, um mit den mittleren Monatssummen des PRISM-Datensatz übereinzustimmen. Dabei wird auch ein Wechsel dieser nächstgelegenen Referenz- tation während der Modellierungsperiode in Kauf genommen, um die klräumigen Variabilität im Niederschlag möglichst gut zu berücksichtigen. Die Tabelle 4.2 gibt Aufschuss, welche Messstationen für die Lufttemperatur und den Niederschlag in den einzelnen Untersuchungsgebieten als Referenz verwendet wurden. 4.6.2 Meteorologische Zeitreihen für die Zukunft Den notwendigen Temperatur- und Niederschlagsdaten für die Zukunft, liegt der sogenannte ’delta-change approach’ zu Grunde. In diesem wird der Effekt der Kli- maänderung zwischen zwei Perioden als Unterschied (’Delta’) im Mittelwert der betrachteten Variable (Temperatur oder Niederachlag) ausgedrückt. Die beiden Pe- 19
rioden haben dabei gleiche Länge und werden mit ’Referenz-’ und ’Szenarioperiode’ bezeichnet. Die jeweiligen ’Deltas’ müssen nicht notwendigerweise auf den Jahres- mittelwert bezogen sein, sondern können eine höhere zeitliche Auflösung aufweisen. Für die vorliegende Studie wurden ’Deltas’ in täglicher Auflösung verwendet, die für zwei unterschiedliche Szenarioperioden (2021 – 2050 und 2070 – 2099) vom IAC über das Center for Climate Systems Modeling (C2SM) der ETH Zürich bereitgestellt wurden (Bosshard et al., 2011). Als Referenz gilt die Periode 1980 – 2009. Es stehen zehn Klimaszenarien von ’Deltas’ des Niederschlags und der Lufttemperatur jeweils für beide Szenarioperioden zur Verfügung. Diese resultieren von 10 unterschiedlichen Modellketten von globalen und regionalen Klimamodellen aus dem ENSEMBLES Projekt (van der Linden and Mitchell, 2009). Die 10 unterschiedlichen Szenarien sind Ausdruck der Unsicherheit in den Klimamodellen selbst und erlauben es, für das zukünftige Klima eine Bandbreite anzugeben. Um aus den für zwei diskrete Perioden geltenden Szenarien eine transiente Zeitreihe zu erstellen, wurde zwischen den Perioden eine lineare Interpolation durchgeführt. Wenn man den Mittelwert der Variable P und T über die beliebige Periode [t − 15, t + 14] mit P (t) bzw. T (t) bezeichnet und das jeweilige ’delta-change’-Signal zwischen der Referenzperiode [r − 15, r + 14] und der Szenarioperiode [s − 15, s + 14] mit ∆P bzw. ∆T , kann geschrieben werden: ∆P P (t) = P (r) · ·t s−r ∆T (4.1) T (t) = T (r) + · t. s−r Da die ’Deltas’ tägliche Auflösung aufweisen, gilt die Gleichung für jeden einzelnen Tag im Jahr. Damit können für die zehn zur Verfügung stehenden Klimaszenarien (Modellketten) zehn unterschiedliche Entwicklungen der mittleren Lufttemperatur und des mittleren Niederschlags in der Periode 2010 – 2100 abgeleitet werden. Da- bei würde allerdings die natürliche Jahr-zu-Jahr Variabilität der beiden Variablen nicht berücksichtigt werden. Deshalb wurden für jede der 10 Entwicklungen, wie- derum jeweils 10 zufällige Zeitreihen generiert, welche den vorgegebenen Mittelwert einhalten, aber eine aus der Vergangenheit abgeleitete Variabilität aufweisen. Die 10 zufälligen Zeitreihen wurden dabei nach folgendem Schema generiert: Für jedes Jahr in der Zukunft wird zufällig ein Jahr in der Vergangenheit gewählt und entspre- chend skaliert, dass der vorgegebene Mittelwert gemäss Gleichung 4.1 in der Zukunft 20
erreicht wird. Damit stehen jeweils ein Satz von 100 möglichen Temperatur- und Nie- derschlagszeitreihen für die Periode 2010 – 2100 zur Verfügung mit welchen GERM angetrieben werden kann. Für die Zukunft gibt es somit für jedes der Einzugsge- biete 100 mögliche Abflussganglinien, was statistische Analysen von Mittelwert und Bandbreite für den zukünftigen Abfluss ermöglicht. 21
Kapitel 5 Resultate Im folgenden werden die Resultate der Modellierungen für die beiden untersuchten Einzugsgebiete vorgestellt. Jedes Einzugsgebiet wird in einem separatem Unterka- pitel betrachtet, das in zwei Abschnitte gegliedert ist. Der erste präsentiert einige glaziologische Kenngrössen, welche die Entwicklung der Eismassen im jeweiligen Ge- biet charakterisieren. Der zweite stellt die erwartete Entwicklungen der modellierten Abflüsse und Abflusskomponenten im Zeitraum 1900 – 2100 vor. Einige Kennzahlen sind für vier verschiedene Perioden (1940 – 1969, Referenzperiode 1980 – 2009 und Szenarioperioden 2021 – 2050 resp. 2070 – 2099) in tabellarischer Form zusammenge- stellt. 5.1 Einzugsgebiet Gorner 5.1.1 Gletscherentwicklung Gemäss den Modellrechnungen ist zu erwarten, dass sich das Eisvolumen im Ein- zugsgebiet Gorner bis 2040 – 2060 im Vergleich zur Referenzperiode halbiert haben wird (Abb. 5.1). Bis 2090 wird die Vergletscherung voraussichtlich auf etwas weniger als 25 % zurück gehen und für Ende Jahrhundert wird auch gemäss den günstigsten Szenarien weniger als ein Drittel des heute vorhandenen Eisvolumen übrig sein. Ab- bildung 5.2 zeigt die Gletscherausdehnung für vier ausgewählte Zeitpunkte. 22
6 Gorner Volumen (km3) 4 2 0 1900 1950 2000 2050 2100 Abbildung 5.1: Entwicklung des Eisvolumens im Einzugsgebiet Gorner. Die durch- gezogene Linie entspricht einem gleitenden Mittelwert über 15 Jahre. Das hellblaue Band enthält 95 % aller Realisierungen. Die Zeitpunkte für welche ein Geländemodell zur Verfügung steht, sind mit einem Dreieck gekennzeichnet. Die Jahresmassenbilanzen im Gebiet werden bis Mitte Jahrhundert stärker negativ werden und sich gegen Ende Jahrhundert leicht erholen(Tab. 5.1). Dies ist durch den Rückzug der Gletscher in sehr hohen Lagen bedingt. Dieser Rückzug ist auch im erwarteten Verlauf der Gleichgewichtslinie ersichtlich, welche bis Ende Jahrhun- dert fast 700 m höher zu liegen kommen sollte als in der Referenzperiode. Für die Winterbilanzen im Gebiet wird ein durchgehend negativer Trend vorhergesagt. Tabelle 5.1: Entwicklung glaziologischer Kenngrössen im Einzugsgebiet Gorner. Anga- ben sind Mittelwerte über 30 Jahre. ’Vergl.’: Vergletscherungsgrad, ’AGl ’: Gletscherfläche, ’VGl ’: Gletschereisvolumen, ’bn ’: Jahresmassenbilanz, ’bw ’: Wintermassenbilanz, ’ELA’: Höhe der Gleichgewichtslinie. Periode Vergl. AGl VGl bn bw ELA % (km2 ) (km3 ) (cm w.e.) (cm w.e.) (m ü.M.) 1940 – 1969 73 60 ± 1 6.32 ± 0.19 -30 ± 95 125 ± 40 3160 ± 170 1980 – 2009 68 55 ± 2 5.13 ± 0.42 -75 ± 90 95 ± 50 3300 ± 190 2021 – 2050 58 48 ± 4 3.13 ± 0.57 -110 ± 50 60 ± 20 3510 ± 170 2070 – 2099 30 24 ± 6 1.15 ± 0.34 -100 ± 50 70 ± 20 3980 ± 270 23
A: 51 km2 A: 48 km2 V: 4.3 km3 V: 3.3 km3 2010 2030 A: 34 km2 A: 19 km2 V: 1.8 km3 V: 0.94 km3 Eisdicke (m) 0 200 400 2060 2090 Abbildung 5.2: Gletscherentwicklung im Einzugsgebiet Gorner. Die Farbtönung ent- spricht der mittleren Eisdicke sämtlicher Realisierungen. Bereiche in denen mehr als die Hälfte der Realisierungen keinen Gletscher vorhersagen sind weiss dargestellt. Die gezeig- ten Gletscherumrisse entsprechen dem Stand 2007. 24
5.1.2 Abflussentwicklung Die grossen Eismassen, die im Einzugsgebiet Gorner gespeichert sind, lassen mar- kante Änderungen im Abfluss und dessen Jahresgang erwarten (Abb. 5.3 und 5.4). Bis etwa 2030 sagen die Modellrechnungen einen stetigen Anstieg der Jahresabfluss- mengen voraus. Im Mittel über alle Szenarien beträgt der Jahresabfluss zu diesem Zeitpunkt rund 160±20 mio m3 , was im Vergleich zur Referenzperiode einem Anstieg von etwa 20 % entspricht. Ab 2030 wird dann, aufgrund des zunehmend fehlenden 100 Abflusskomponenten: Eisschmelze Schneeschmelze Fluessigniederschlag 100 0 100 1900 1950 2000 2050 2100 (%) 50 50 0 0 1900 1950 2000 2050 2100 Gorner Abfluss Jahresabfluss (103 mm a−1) Jahresabfluss (106 m3a−1) Niederschlag 2.5 200 2.0 150 1.5 100 Abflussmessungen 1.0 1900 1950 2000 2050 2100 Abbildung 5.3: Entwicklung von Abfluss und Niederschlag im Einzugsgebiet Gorner. Gezeigt sind 100 mögliche Realisierungen des Jahresabflussverlaufs in der Periode 1900 – 2100 (graue Linien) und ein über 30 Jahre geglätteter Mittelwert (blaue Linie). Das blau schraffierte Band enthält 95 % der Realisierungen. Für den Jahresniederschlag ist nur der geglätteter Mittelwert gezeigt (schwarz gestrichelte Linie). Die relativen Beiträge zum Ge- samtabfluss sind im oberen Bereich der Graphik gezeigt. Aufgeschlüsselt sind die Beiträge von Eis- und Schneeschmelze sowie Flüssigniederschlag. Im selben Bereich ist auch der Ver- lauf der Vergletscherung im Gebiet dargestellt (rote Punkt-Strich Linie). Der grüne Balken im unteren Bereich der Graphik zeigt die Periode in welcher gemessene Abflussdaten zur Verfügung stehen. 25
Tabelle 5.2: Entwicklung von Temperatur und Niederschlag im Einzugsgebiet Gorner. Angaben sind Gebietsmittelwerte über 30 Jahre. ’Festanteil’ bezeichnet den Anteil Jah- resniederschlag, der in fester Form anfällt. Periode Temperatur Niederschlag Festanteil (◦ C) (mm a−1 ) (%) 1940 – 1969 -5.6 ± 1.2 1360 ± 410 84 % 1980 – 2009 -4.7 ± 1.3 1320 ± 400 78 % 2021 – 2050 -3.3 ± 1.2 1300 ± 415 71 % 2070 – 2099 -0.9 ± 1.6 1270 ± 430 60 % Beitrag der Eisschmelze zum Gesamtabfluss, mit einer Abnahme der Jahresabfluss- mengen gerechnet. Diese dürfte, im Vergleich zur Referenzperiode, bis 2090 in etwa -13 % betragen, was einem Jahresabfluss von 118±14 mio m3 entspricht. Dass diese Entwicklung hauptsächlich auf die Veränderungen der Eismassen zurückzuführen ist, ist auch am vorhergesagten Verlauf der Jahresniederschlagsmengen zu erkennen. Diese werden sich zwischen der Referenzperiode und Ende Jahrhundert gemäss den verwendeten Klimaszenarien nur unwesentlich ändern: im Mittel wird eine Abnahme des Jahresniederschlags um etwa -5 % vorausgesagt (Tab. 5.2). Die vorhergesagte Zu- nahme der Evapotranspiration ist zwar markant (Tab. 5.3), wird aber im Vergleich zu den Jahresabfluss- und -Niederschlagsmengen weiterhin von geringer Bedeutung bleiben. Tabelle 5.3: Entwicklung von Abfluss und Evapotranspiration (ET) im Einzugsge- biet Gorner. MEis , MSchnee und ’Pfl ’ bezeichnen den Abflussanteil der durch Eisschmelze, Schneeschmelze oder Niederschlag verursacht wird. Angaben sind Gebietsmittelwerte über 30 Jahre. Periode Abfluss MEis MSchnee Pfl ET (mm a−1 ) (%) (mm a−1 ) 1940 – 1969 1510 ± 260 40 45 15 5±5 1980 – 2009 1690 ± 260 42 41 17 10 ± 5 2021 – 2050 1950 ± 260 44 38 18 30 ± 10 2070 – 2099 1470 ± 170 24 47 29 85 ± 20 26
Bei der Entwicklung des Abflussjahresgang (Abb. 5.4) ist zu bemerken, dass sich der Maximalabfluss in den Monaten Juli und August bis Ende des Jahrhunderts deutlich verringern wird. Im Vergleich zur Referenzperiode wird für 2090 eine Ab- nahme um etwa 30 % vorhergesagt. Zudem wird erwartet, dass sich der Zeitpunkt des maximalen Abflusses um rund einen Monat verschieben wird (von Ende Juli auf Anfangs Juli) und dass insbesondere die Monate Oktober und November mehr Wasser führen werden. Tagesabfluss (mm d−1) 1940 − 1969 Gorner 15 15 1980 − 2009 2020 − 2049 2070 − 2099 (m3 s−1) 10 10 5 5 0 0 200 0 J F M A M J J A S O N D Abbildung 5.4: Zeitliche Entwicklung des Abflussregime im Einzugsgebiet Gorner. Ge- zeigt ist der Verlauf des mittleren Tagesabflusses gemittelt über eine Periode von 30 Jahre. 5.2 Einzugsgebiet Mattmark 5.2.1 Gletscherentwicklung Für das Einzugsgebiet Mattmark ergeben die Berechnungen, dass sich bis 2030 – 2050 das Eisvolumen gegenüber der Referenzperiode halbiert haben wird (Abb. 5.5). Für Ende Jahrhundert ist zu erwarten, dass sich die Gletscher in Höhenlagen über etwa 3500 m ü.M. zurückgezogen haben werden (Abb. 5.6), was die Vergletscherung des Gebiets auf weniger als 5 % schrumpfen lassen würde. Sowohl bei den Jahres- als auch bei den Wintermassenbilanzen lassen die Model- lierungen bis Ende Jahrhundert negative Trends erwarten (Tab. 5.4). Für 2090 wird von Jahresmassenbilanzen ausgegangen, die im Mittel etwa doppelt so negativ 27
Mattmark Volumen (km3) 1.0 0.5 0.0 1900 1950 2000 2050 2100 Abbildung 5.5: Entwicklung des Eisvolumens im Einzugsgebiet Mattmark. Die durch- gezogene Linie entspricht einem gleitenden Mittelwert über 15 Jahre. Das hellblaue Band enthält 95 % aller Realisierungen. Zeitpunkte für welche ein Geländemodell zur Verfügung steht sind mit einem Dreieck gekennzeichnet. sind wie in der Referenzperiode. Gemäss den Berechnungen wird der Anstieg der Gleichgewichtslinie bis Ende Jahrhundert etwa 600 m betragen. Dadurch würde die Gleichgewichtslinie von rund 3300 m ü. M. während der Referenzperiode auf etwa 3900 m ü. M. ansteigen. Tabelle 5.4: Entwicklung glaziologischer Kenngrössen im Einzugsgebiet Mattmark. An- gaben sind Mittelwerte über 30 Jahre. ’Vergl.’: Vergletscherungsgrad, ’AGl ’: Gletscher- fläche, ’VGl ’: Gletschereisvolumen, ’bn ’: Jahresmassenbilanz, ’bw ’: Wintermassenbilanz, ’ELA’: Höhe der Gleichgewichtslinie. Periode Vergl. AGl VGl bn bw ELA % (km2 ) (km3 ) (cm w.e.) (cm w.e.) (m ü.M.) 1940 – 1969 34 22.4 ± 1.0 1.30 ± 0.04 -15 ± 91 124 ± 37 3170 ± 170 1980 – 2009 32 21.1 ± 0.8 1.20 ± 0.11 -56 ± 82 110 ± 46 3270 ± 200 2021 – 2050 21 14.1 ± 2.5 0.62 ± 0.15 -102 ± 59 87 ± 28 3550 ± 240 2070 – 2099 6 4.5 ± 2.7 0.13 ± 0.13 -121 ± 60 78 ± 26 3900 ± 210 5.2.2 Abflussentwicklung Die Modellrechnungen lassen für das Einzugsgebiet Mattmark erwarten, dass die Jahresabflussmengen nur für etwa eine Dekade ansteigen werden (Abb. 5.7). Die 28
A: 18 km2 A: 15 km2 V: 1.0 km3 V: 0.69 km3 2010 2030 A: 7.9 km2 A: 2.5 km2 V: 0.31 km3 V: 0.06 km3 Eisdicke (m) 0 200 400 2060 2090 Abbildung 5.6: Gletscherentwicklung im Einzugsgebiet Mattmark. Gezeigt ist nur das Gebiet um den Hauptgletscher. Die Farbtönung entspricht der mittleren Eisdicke sämtlicher Realisierungen. Bereiche in denen mehr als die Hälfte der Realisierungen keinen Gletscher vorhersagen sind weiss dargestellt. Die gezeigten Gletscherumrisse entsprechen dem Stand 2008. 29
Maximalen Jahresabflussmengen werden für die Periode um 2020 vorhergesagt und werden rund 115±12 mio m3 betragen. Im Vergleich zur Referenzperiode wäre das ein Anstieg von nicht ganz 5 %. Ab 2020 wird von einer stetigen Abnahme der Jahresabflussmengen ausgegangen. Im Vergleich zur Referenzperiode, sind die für Ende Jahrhundert erwarteten Jahresabflüsse etwa 15 % niedriger, was einem Jah- resabfluss von rund 95±20 mio m3 entspricht. Der Rückgang ist hauptsächlich durch die fehlende Eisschmelze bedingt und in geringerem Masse durch den Rückgang der Jahresniederschlagsmengen und der zunehmenden Evapotranspiration. Im Vergleich 100 Abflusskomponenten: Eisschmelze Schneeschmelze Fluessigniederschlag 100 0 100 1900 1950 2000 2050 2100 (%) 50 50 0 0 1900 1950 2000 2050 2100 Mattmark Abfluss 2.5 Jahresabfluss (103 mm a−1) Jahresabfluss (106 m3a−1) Niederschlag 150 2.0 100 1.5 1.0 Abflussmessungen 50 1900 1950 2000 2050 2100 Abbildung 5.7: Entwicklung von Abfluss und Niederschlag im Einzugsgebiet Mattmark. Gezeigt sind 100 mögliche Realisierungen des Jahresabflussverlaufs in der Periode 1900 – 2100 (graue Linien) und ein über 30 Jahre geglätteter Mittelwert (blaue Linie). Das blau schraffierte Band enthält 95 % der Realisierungen. Für den Jahresniederschlag ist nur der geglätteter Mittelwert gezeigt (schwarz gestrichelte Linie). Die relativen Beiträge zum Ge- samtabfluss sind im oberen Bereich der Graphik gezeigt. Aufgeschlüsselt sind die Beiträge von Eis- und Schneeschmelze sowie Flüssigniederschlag. Im selben Bereich ist auch der Ver- lauf der Vergletscherung im Gebiet dargestellt (rote Punkt-Strich Linie). Der grüne Balken im unteren Bereich der Graphik zeigt die Periode in welcher gemessene Abflussdaten zur Verfügung stehen. 30
Tabelle 5.5: Entwicklung von Temperatur und Niederschlag im Einzugsgebiet Matt- mark. Angaben sind Gebietsmittelwerte über 30 Jahre. ’Festanteil’ bezeichnet den Anteil Jahresniederschlag, der in fester Form anfällt. Periode Temperatur Niederschlag Festanteil (◦ C) (mm a−1 ) (%) 1940 – 1969 -3.1 ± 1.2 1680 ± 590 71 1980 – 2009 -2.3 ± 1.3 1610 ± 550 66 2021 – 2050 -1.0 ± 1.2 1600 ± 560 59 2070 – 2099 1.2 ± 1.7 1570 ± 580 50 zur Referenzperiode, wird für den Jahresniederschlag bis 2090 von einer Abnahme um etwa -4 % ausgegangen (Tab. 5.5) während sich Evapotranspiration zwischen den beiden Perioden in etwa verdoppelt haben dürfte (Tab. 5.6). Markante Änderungen sind in der Entwicklung des Abflussregimes zu erwarten (Abb. 5.8). Insbesondere ist mit einer starken Reduktion des Abflusses in den Mo- naten Juli und August zu rechnen, was bis Ende Jahrhundert zu einer ziemlich konstanten Abflussmenge während den Monaten Juli bis Oktober führen wird. Bis 2090 sagen die Modellrechnungen für den Monat Juli eine Abnahme des mittleren Abflusses um mehr als die Hälfte voraus. Der maximale mittlere Abfluss wird sich bis Ende Jahrhundert um etwa anderthalb Monate verlagern: von Mitte Juli in der Referenzperiode auf Anfangs Juni. Tabelle 5.6: Entwicklung von Abfluss und Evapotranspiration (ET) im Einzugsge- biet Rhone. MEis , MSchnee und ’Pfl ’ bezeichnen den Abflussanteil der durch Eisschmelze, Schneeschmelze oder Niederschlag verursacht wird. Angaben sind Gebietsmittelwerte über 30 Jahre. Periode Abfluss MEis MSchnee Pfl ET (mm a−1 ) (%) (mm a−1 ) 1940 – 1969 1650 ± 160 14 % 62 % 24 % 120 ± 15 1980 – 2009 1670 ± 230 16 % 57 % 27 % 130 ± 20 2021 – 2050 1700 ± 210 16 % 53 % 31 % 170 ± 25 2070 – 2099 1470 ± 270 6% 52 % 42 % 235 ± 30 31
Tagesabfluss (mm d−1) 15 1940 − 1969 Mattmark 1980 − 2009 2020 − 2049 10 2070 − 2099 (m3 s−1) 10 5 5 0 0 200 0 J F M A M J J A S O N D Abbildung 5.8: Zeitliche Entwicklung des Abflussregime im Einzugsgebiet Mattmark. Gezeigt ist der Verlauf des mittleren Tagesabflusses gemittelt über eine Periode von 30 Jahre. 32
Kapitel 6 Schlussfolgerungen 6.1 Vergleich der beiden Untersuchungsgebiete Obwohl die beiden untersuchten Einzugsgebiete geographisch gesehen nicht sehr weit auseinanderliegen, unterscheiden sich dessen Charakteristiken und die daraus her- geleiteten Prognosen beträchtlich. Nebst den recht unterschiedlichen Jahresnieder- schlagsmengen (das Einzugsgebiet Mattmark ist in den Modellierungen etwa 15 % trockener als das Einzugsgebiet Gorner, Abb. 2.2 und 2.4) und dem unterschied- lichen Vergletscherungsgrad der beiden Gebiete (die Vergletscherung des Einzugs- gebiets Gorner ist doppelt so hoch wie im Gebiet Mattmark) betrifft der wich- tigste Unterschied die Verteilung der in den Gebieten vorkommenden Eismassen. Während im Einzugsgebiet Gorner volumenmässig das meiste Eis in relativ tiefen Lagen liegt (nämlich im flachen Bereich unterhalb des Gornersees, zwischen 2300 und 2600 m ü.M., Abb. 4.2), sind die Eismassen im Einzugsgebiet Mattmark in bedeutend höheren Lagen anzutreffen (mehr als zwei drittel des Eisvolumens liegen höher als 2800 m ü.M., Abb. 4.3) und wesentlich homogener mit der Höhe verteilt. Insbeson- dere dieser Unterschied in der Höhenverteilung des Eisvolumens führt dazu, dass im Gornergebiet relativ grosse Eismassen in kurzer Zeit hohen Temperatur ausgesetzt sind und so in einem relativ begrenzten Zeitraum zu einer markant erhöhten Eis- schmelze führen, während sich der Effekt im Einzugsgebiet Mattmark nur nach und nach, und somit wesentlich gedämpfter, bemerkbar macht. Im Einzugsgebiet Matt- mark widerspiegelt die Entwicklung der Jahresabflussmengen die sich allmählich verkleinernde Gletscherfläche. Hingegen sorgen die grossen Eismassen im Einzugs- 33
gebiet Gorner für eine verstärkte Schmelze und Abflüsse in den kommenden Jahren. Zur Illustration ist in Abbildung 6.1 die Entwicklung der Jahresabflussmenge in den beiden untersucten Gebieten einader gegenübergestellt. 2000 specifischer Abfluss (mm a−1) Gorner 1500 Mattmark 1900 1950 2000 2050 2100 Abbildung 6.1: Entwicklung des spezifischen Abflusses in der Vergangenheit und der Zukunft in den beiden untersuchten Einzugsgebieten Gorner (rot) und Mattmark (grün). Im Zeitraum 2009 – 2100 ist für die beiden Gebiete jeweils nur das Mittel aller 100 Reali- sierungen gezeigt. Die Referenzperiode sowie die beiden Szenarioperioden sind durch die schraffierten Flächen markiert. 6.2 Unsicherheiten In der vorliegenden Studie wurden einzelne, stark vergletscherte Einzugsgebiete un- tersucht. Dazu wurde das dafür ausgelegte glazio-hydrologische Modell GERM ver- wendet (siehe Kapitel 3). Kern darin sind das Massenbilanz- und Gletscherentwick- lungsmodell. Verglichen mit der ersten Version des Modells, welche von Huss et al. (2008b) präsentiert wurde, konnten entscheidenede Fortschritte bei der Berechnung der Entwicklung der Gletschergeometrie erziehlt werden. Mittlerweile liegt auch ein neues 3D Gletscherfliessmodell (Jouvet et al., 2008) vor, welches für operationelle Anwendungen zur Verfügung steht. Das Massenbilanzmodell basiert auf einen ro- busten Ansatz, dessen Parameter für jedes Einzugsgebiet seperat kalibriert werden 34
müssen. Allerdings zeigten Studien (z.B. Huss et al., 2009), dass die verwendeten Parameter insbesondere bei grossen Veränderung der Vergletscherung über längere Zeit nicht unbedingt konstant bleiben. Weiterer Forschungsbedarf besteht auch bei der Berechnung der räumlichen wie zeitlichen Verteilung der Akkumulation. Ebenso wäre es empfehlenswert, das Modul, welches die Evapotranspiration inner- halb des Modells abbildet, auf seine Genauigkeit zu überprüfen. Für Alpine Ein- zugsgebiete wird in der Regel davon ausgegangen, dass aufgrund der relativ tiefen Temperaturen und der spärlichen Vegetation der Evapotranspiration nur eine un- tergeordnete Rolle im Wasserkreislauf zukommt (z.B. Bernath, 1991; Verbunt et al., 2003). Die vorgelegten Resultate deuten jedoch darauf hin, dass dieses Verhältnis sich in Zukunft signifikant ändern könnte. Auch in diesem Falle wären entsprechende Abklärungen von grosser Bedeutung. Die präsentierten Vertrauensintervalle und Bandbreiten beschränken sich auf die Unsicherheiten in der zukünftigen Entwicklung des Klimas. Weitere Unsicherhei- ten, die aufgrund des gewählten Modellansatzes entstehen (z.B. die oben erwähnten Modellparameter oder das Evaporationsmodul), wurden in der vorliegenden Studie nicht untersucht. 6.3 Schlussbemerkung An dieser Studie haben Dr. Daniel Farinotti, Stephanie Usselmann, Jeannette Gab- bi, Dr. Andreas Bauder und Prof. Dr. Martin Funk mitgearbeitet. Ohne die bereits vorhandene, detailierte Datengrundlage, welche in verschiedenen durch den Schwei- zer Nationalfonds und die Kraftmerke Mattmark AG unterstützten Projekte der VAW erarbeitet wurde, wäre die Studie im durchgeführten Rahmen nicht möglich gewesen. Die verwendeten Abflussmessungen der Gornera und Zuflussdaten zum Mattmarkstausee haben die Grand Dixence SA sowie die Kraftmerke Mattmark AG zur Verfügung gestellt. Zürich, Mai 2011 Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich 35
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