"Vertrauliche Geburt" - Wer die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur so genannten "vertraulichen Geburt" im Bundestag verfolgt ...
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SANDRA SABBE/FOTOLIA P O LI T I K »Vertrauliche Geburt« Wer die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur so genannten »vertraulichen Geburt« im Bundestag verfolgt hat, dem dürfte schnell klar geworden sein: Dieses Gesetz wird auf jeden Fall in Kraft treten. Denn: Die Parteien stritten, wenn auch heftig, lediglich über Detailfragen. Dagegen begegnen Teile der Zivilgesellschaft dem Vorhaben mit grundsätzlicherer Skepsis. Ein Überblick. Von Matthias Lochner erlin, 21. März, Deutscher Bun- nünftiger Mittelweg zwischen der Ano- Aber der Reihe nach: Ziel des Gesetz- B destag. So viel Einigkeit ist sel- ten: In der knapp halbstündigen Debatte zur »Regelung der vertrauli- nymität der Mutter und dem Recht des Kindes«, befand der CSU-Politiker Nor- bert Geis. Katja Dörner von Bündnis 90/ entwurfes ist es, die für Mütter und Kinder oft riskanten heimlichen Geburten außer- halb von medizinischen Einrichtungen so chen Geburt« begrüßten die sechs Red- Die Grünen unterstrich: »Die Ziele, die unnötig wie möglich zu machen. Zudem ner aller im Bundestag vertretenen Par- mit dem Gesetzentwurf verfolgt werden, sollen die Fälle verhindert werden, in de- teien unisono den entsprechenden, von unterstützen wir uneingeschränkt.« Und nen Neugeborene ausgesetzt oder getö- Bundesfamilienministerin Kristina Schrö- selbst die Abgeordneten Caren Marks tet werden. In Deutschland werden jähr- der erarbeiteten Gesetzentwurf (Druck- (SPD) und Diana Golze (Die Linke) be- lich etwa 20 bis 35 Kinder nach der Ge- sache 17/12814). Schröder selbst beton- grüßten grundsätzlich das Vorhaben der burt ausgesetzt oder getötet. Eine ofizi- te, ihr am 13. März vom Bundeskabi- »vertraulichen Geburt«. Bei aller Einig- elle Statistik existiert nicht, es muss daher nett verabschiedeter Entwurf sei im Sin- keit zeigte die Erste Lesung des Gesetz- eine erhebliche Dunkelziffer angenom- ne der Schwangeren, »die dringend Hil- entwurfes allerdings einmal mehr: Der men werden. Zu dem Ergebnis kommt fe brauchen«, und im Sinne der Kinder, Teufel steckt im Detail. Denn während eine Studie des »Deutschen Jugendins- »die dringend Schutz brauchen«. Miriam die Politiker der schwarz-gelben Koali- tituts« (DJI), die vom Familienministe- Gruß von der FDP sprach von einer gu- tion den Entwurf vehement verteidigten, rium gefördert und Anfang 2012 unter ten Regelung, »die Leben retten kann sehen die Oppositionspolitiker trotz al- dem Titel »Anonyme Geburt und Baby- und Frauen Schutz bietet«. Ein »ver- len Lobes Änderungsbedarf. klappen in Deutschland – Fallzahlen, An- 14 LebensForum 106
gebote, Kontexte« publiziert wurde (vgl. nymer Geburt beziehungsweise Kindes- führung der vertraulichen Geburt Baby- dazu »LebensForum« Nr. 102, 2012). abgabe zwar Mindeststandards, etwa die klappen und Einrichtungen zur anony- Die vertrauliche Geburt soll schließlich Plicht zur Meldung bei Standesamt in- men Geburt unverzüglich zu verbieten, eine Alternative zu den Angeboten ano- nerhalb von 24 Stunden. Der Entwurf anstatt wie in dem Entwurf vorgesehen nymer Kindesabgabe schaffen. Zwischen sieht jedoch vor, dass diese Angebote zu- erst drei Jahre nach Verabschiedung des 1999 und 2010 sind 973 Kinder anonym nächst weiter toleriert und erst nach drei Gesetzes zu evaluieren.« Dagegen gab geboren, in eine Babyklappe gelegt oder Jahren evaluiert werden. Maria Geiss-Wittmann von »Donum anderweitig anonym übergeben worden, Während bei der Zielsetzung des Ge- Vitae« zu bedenken, dass Frauen wäh- so die DJI-Studie. setzes Einigkeit herrscht, sind die Auffas- rend der Schwangerschaft zu einer sehr Die Idee der »vertraulichen Geburt«: sungen über dessen Ausgestaltung unter- schwierigen Entscheidung gedrängt wür- Eine Mutter, die sich in einer Notlage be- schiedlich. Diskutiert werden insbesonde- den, wenn es die Möglichkeit zu einer völ- indet, soll die Sicherheit erhalten, dass re die weitere Billigung bestehender An- lig anonymen Geburten nicht mehr gebe. die Geburt eine Zeit lang jenen Perso- gebote sowie die genaue Ausgestaltung Zu der geplanten, weiteren Tolerie- nen verborgen bleibt, von denen sie Re- der Anonymität. Die SPD-Abgeordnete rung der Babyklappe erklärte die FDP- pressalien befürchtet, etwa von der Fa- Caren Marks etwa kritisierte in der Par- Politikerin Miriam Gruß im Bundestag: milie, vom Arbeitgeber oder von einzel- lamentsdebatte scharf, dass der Gesetz- »Wir sind uns der Grauzone bewusst.« nen Ämtern. Aufgrund der Erfassung ih- BUNDESTAG WWW.LIBERALE-FRAUEN.DE rer Daten ist die Frau bei der »vertrauli- chen Geburt« jedoch für Hilfsangebote und Beratung erreichbar. Damit soll eine Balance zwischen dem Wunsch der Mut- ter nach Anonymität sowie dem Lebens- recht des Kindes und seinem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ge- schaffen werden. Konkret sieht der Gesetzentwurf des- halb vor, dass eine Mutter ihr Kind un- ter Angabe eines Pseudonyms entbinden kann. Nur die Beratungsstelle nimmt die tatsächlichen Personaldaten der Frau auf und gibt sie in einem Umschlag versiegelt an das »Bundesamt für Familie und zivil- gesellschaftliche Aufgaben« (BAFzA) zur Aufbewahrung weiter. Entscheidet sich die Mutter nach der Geburt nicht für das Kind, kommt es zu einem Adoptionsver- fahren. Bei Vollendung des 16. Lebens- jahres soll das betroffene Kind dann die Kristina Schröder, CDU Miriam Gruß, FDP Identität seiner leiblichen Mutter erfah- ren dürfen, sofern diese keinen Einspruch entwurf nicht weit genug gehe, weil »die Es sei ein Balanceakt, denn es gehe um einlegt. In diesem Fall soll ein Familien- anonyme Geburt und das Betreiben von die Rettung von Kindern, die ansonsten gericht entscheiden, ob die Identität der Babyklappen« unberührt blieben. Marks ausgesetzt oder getötet würden. »Schon Mutter weiterhin vertraulich bleiben soll, ärgert vor allem, dass Babyklappen nicht die Rettung eines einzigen Kindes recht- etwa weil Beeinträchtigungen von Leib, verboten werden: »Babyklappen sind das fertigt die Existenz von Babyklappen«, ar- Leben, Gesundheit, persönlicher Frei- schlechteste Angebot, was man Kindern gumentierte Gruß. Und auch Grünen-Po- heit oder ähnlich schutzwürdiger Belan- machen kann.« Sie verhinderten keine litikerin Katja Dörner lobte ausdrücklich, ge der Mutter befürchtet werden müssen. Tötung, aber das Recht auf Herkunft, ar- dass die vorhandenen Angebote bestehen Darüber hinaus sieht der Gesetzent- gumentierte die SPD-Politikerin. Frau- bleiben und evaluiert werden. en, die ihr Kind aussetzten oder töteten, Die Familienpolitikerin und stellvertre- seien in einem psychischen Ausnahme- tende Vorsitzende der CDU/CSU-Bun- zustand und durch Babyklappen nicht zu destagsfraktion Ingrid Fischbach hinge- »Wir sind uns der erreichen. Vielmehr böten Babyklappen gen ist skeptisch. Fischbach, die sich seit Grauzone bewusst.« Eltern die Möglichkeit, sich ihrer Ver- Jahren intensiv mit dem Thema befasst, plichtung zur Fürsorge zu entziehen. erklärte kürzlich in einem Interview mit Die Bundesregierung verfahre nach dem dem »Deutschen Ärzteblatt«, sie habe ih- Motto »Billigung durch Nichtregelung«. re Einstellung geändert. Zu Beginn der wurf vor, Beratungsangebote für Schwan- Bereits im Vorfeld der Debatte hatte Diskussion vor 13 Jahren habe sie argu- gere in Notlagen auszubauen, um ihnen die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, mentiert, wenn die Babyklappe auch nur die Chance für ein Leben mit ihrem Kind Christiane Woopen, die Billigung der be- ein Menschenleben rette, dann habe sie zu ermöglichen. Erst nach der erfolgten stehenden Angebote als »schädlich und sich gelohnt. Diese Argumentation sei Beratung soll den Frauen die »vertrauli- sogar widersprüchlich« kritisiert. Und aber aufgrund der vorliegenden Zahlen che Geburt« angeboten werden. Im Ple- auch das internationale Kinderhilfswerk und der Ergebnisse der DJI-Studie nicht num forderte Familienministerin Schrö- »terre des hommes« erklärte: »Wir for- mehr zu halten. Die Studie habe gezeigt, der für die bestehenden Angebote ano- dern den Gesetzgeber auf, mit der Ein- »dass durch Babyklappen die Zahl der LebensForum 106 15
P O LI T I K Kindstötungen nicht zurückgegangen lich, wenn sich die Mutter beim Träger gefordert, »die vorhandenen Babyklap- ist. In weiteren Fällen hat dieses System meldet. Bei einer anonymen Übergabe pen und bisherigen Angebote zur anony- zu Missbrauch geführt. So wurde bei- übergibt die abgebende Person ihr Kind men Geburt« aufzugeben, und Vorschläge spielsweise in einem Fall ein 14 Mona- bei einem persönlichen Treffen, nachdem zur »vertraulichen Geburt« unterbreitet. te altes Kind abgegeben«, argumentiert sie zuvor telefonisch Ort und Zeitpunkt Und die bereits zitierte DJI-Studie kam die CDU-Abgeordnete. Dass die Baby- mit dem Anbieter vereinbart hat. zu dem Ergebnis, dass bei einem Fünf- tel der anonym geborenen beziehungs- weise abgegebenen Kinder niemand ge- DANIEL RENNEN nau sagen könne, was aus ihnen gewor- den sei. »200 Babyklappen-Kinder ver- schwunden«, titelte daraufhin ziemlich reißerisch die Tageszeitung »Die Welt«. Bundesfamilienministerin Schröder kün- digte daraufhin an, ein legales Angebot auf den Weg zu bringen, das neben dem Schutz von Mutter und Kind für alle Be- teiligten Rechtssicherheit schaffe. In der Plenarsitzung sagte Schröder nun, dass ihr Entwurf »ziemlich genau das umsetzt, was der Ethikrat empfohlen habe, allen Beteiligten gerecht wird und erstmals Rechtssicherheit schafft«. Die Sozialdemokratin Marks indessen kriti- sierte, es werde »keine Rechtssicherheit« geschaffen und man hätte sich die Empfeh- lungen des Ethikrates und der DJI-Studie mehr zu eigen machen sollen. Auch Dia- na Golze bemängelte, diverse Rechtsstel- lungen, etwa die des Vaters, blieben im vorliegenden Entwurf ungelöst. Der Entwurf, so hingegen Miriam Gruß, berücksichtige den Wunsch der Mutter nach Schutz und Vertraulichkeit genauso wie das Recht des Kindes, die eigene Identität zu erfahren. Man habe Babyklappen wie diese sollen evaluiert, aber vorerst nicht abgeschafft werden. eine lange Frist von 16 Jahren durchge- setzt, da zu diesem Zeitpunkt »mit hoher klappen nicht jetzt schon ganz verboten All diese Angebote werden in Deutsch- Sicherheit« die Gründe für den Wunsch würden, habe nach Aussagen von Fisch- land bislang als »Ultima Ratio« toleriert, der Mutter nach Anonymität vorbei sei- bach vor allem föderale Gründe: »Die obwohl ihnen eine gesetzliche Grundlage en. Doch auch das mögliche Wider- Einrichtung und der Betrieb von Ba- fehlt. Nach § 1591 BGB ist die Mutter spruchsrecht der Frau auf Preisgabe ih- byklappen fallen in die Kompetenz der stets die Frau, die das Kind geboren hat, rer Anonymität stößt bei der SPD-Poli- Länder, deshalb kann der Bund hier kei- das heißt, in der Geburtsurkunde muss tikerin Marks auf Kritik: Es sei proble- ne einheitliche Entscheidung treffen. Im zwingend der Name der Mutter stehen. matisch, dass die schutzwürdigen Belan- Moment werden Gespräche geführt, um Das Personenstandsgesetz unterwirft je- ge der Mutter höher eingestuft würden bundesweit Mindeststandards für Baby- de Person, die von der Geburt eines Kin- als die Persönlichkeitsrechte des Kindes. klappen einzuführen und so Missbrauch des weiß beziehungsweise an einer Ent- Katja Dörner, deren differenzierter zu verhindern.« Nach der dreijährigen Redebeitrag in der Debatte hervorstach, Evaluierungsphase werde dann ein Urteil ist da entschieden anderer Meinung: Es über die Zukunft der Babyklappen gefällt. sei zwar wichtig, für das Kind die größt- Fakt ist: Die aktuellen Angebote an- »Komplementäres Angebot, mögliche Chance zu schaffen, die eige- onymer Kindesabgabe bewegen sich in das erhalten bleiben muss.« ne Herkunft zu erfahren. Zunächst müsse einer juristischen Grauzone. Zu unter- aber die Voraussetzung geschaffen wer- scheiden sind die anonyme Geburt, die den, »dass dieses Recht überhaupt wahr- anonyme Übergabe und Babyklappen. genommen werden kann«. Es sei fraglich, Die anonyme Geburt gewährleistet ei- bindung beteiligt ist, der Anzeigenplicht ob mit dem Entwurf »die Interessen der ne medizinische Versorgung von Mut- gegenüber dem Standesamt. Frauen, die Mutter und des Kindes in einen guten ter und Kind vor, während und nach der ihr Kind anonym abgeben, und alle Per- und tragbaren Ausgleich gebracht wer- Geburt. Babyklappen hingegen sind öf- sonen, die bei einer anonymen Geburt den«. So sieht Dörner die eingeschränk- fentlich zugängliche, geschützte Wärme- oder Übergabe beteiligt sind oder insti- te Anonymität der Mutter skeptisch: Stu- betten, in die Frauen ihr Neugeborenes tutionell eine Babyklappe betreiben, han- dien belegten, dass in einer absolut aus- legen und damit zur Adoption freigeben deln demnach rechtswidrig. weglosen Situation, in der der Frau ein können. Eine medizinische Versorgung Bereits 2009 hatte deshalb die Mehrheit reguläres Adoptionsverfahren völlig un- oder Beratung der Mutter ist nur mög- des Deutschen Ethikrats in einem Votum möglich erscheine, »die Zusicherung der 16 LebensForum 106
absoluten Anonymität Voraussetzung band. So ist der Psychologe Hermans Möglichkeit als Ultima Ratio auch ohne ist, sich überhaupt in Beratung zu bege- überzeugt, dass die »vertrauliche Ge- rechtliche Grundlage toleriert werden«, ben«, so die Grünen-Politikerin. Im Ge- burt« die Babyfenster nicht sofort über- so das Sondervotum weiter. setzentwurf hingegen werde der Mutter lüssig mache. »Für das neue Angebot Die Träger von Angeboten anonymer »die Letztentscheidung über die Anony- müssen die Frauen in eine Beratungs- Kindesabgabe argumentieren genau so: mität« weggenommen. Der Vorteil der stelle gehen, geben also ihre Anonymi- Mütter in Not können ihr Neugebore- »vertraulichen Geburt« bestehe zwar da- tät auf. Diese Schwelle könnte für viele nes hier unerkannt abgeben – statt es aus- rin, »dass die Daten der Frau hinterlegt Mütter, die ihr Kind bei uns abgeben, zu zusetzen oder gar zu töten. Wenn dank werden und dass Mutter und Kind sich hoch sein«, meint Hermans. Dass drei dieser Einrichtungen auch nur eine ver- kennenlernen können«. Dies sei aber nur Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zweifelte Mutter ihr Neugeborenes nicht ein gangbarer Weg, wenn beide dies woll- über den Fortbestand der Babyklappen aussetze, wenn auch nur ein Kind geret- ten, so Dörner weiter. entschieden werden soll, hält er deshalb tet werde, dann habe sich der Einsatz ge- »Dass Mütter kein allgemeines Wi- für zu früh. »Wenn nun jahrelang kein lohnt. Die Träger äußern Unverständnis derspruchsrecht haben, ist sehr wichtig«, einziges Kind mehr in den Babyklappen über die teils scharfe Kritik an ihren An- sagt hingegen Björn Enno Hermans. Her- landet, lasse ich mich natürlich eines Bes- geboten. Am Ende zähle doch nur eines: mans ist Geschäftsführer des »Sozialdiens- WWW.CDUCSU.DE WWW.SPDFRAKTION.DE tes Katholischer Frauen« (SkF) in Essen und arbeitet als Psychologe und Kinder-, Jugend- und Familientherapeut viel mit Adoptivkindern. Seiner Erfahrung nach erwache das Bedürfnis, die eigenen Wur- zeln zu erkunden, nicht erst mit 16 Jahren. »Ich hätte 12 als Altersgrenze gewählt.« Da habe der Wunsch der Mütter, mög- lichst lang anonym zu bleiben, offenbar Vorrang gehabt. Als Träger des Essener Babyfensters im »Haus Nazareth« weiß man beim SkF, wie schwer die Bedürfnis- se von Mutter und Kind auszubalancieren sind: Wer hier ein Kind abgibt, erhält ei- nen Briefumschlag, der über einen Code dem Kind zuzuordnen ist; damit könn- te die Mutter später ihrem Kind schrei- ben. Seit Januar 2001 sind im Essener Babyfenster 16 Kinder abgegeben wor- den – nur eine Mutter hat an ihr Kind ge- schrieben. Eine andere meldete sich sehr Norbert Geis, CSU Caren Marks, SPD rasch mit dem Wunsch, ihr Baby zurück- zubekommen. Begleitet vom Jugendamt seren belehren.« Ob Babyfenster weitere dass ein Kind nicht gestorben ist, dass es ist das gelungen. »Von allen anderen ha- Kindesaussetzungen oder -tötungen ver- nicht getötet wurde, dass es eine Chan- ben wir leider nie wieder etwas gehört«, hindern, ist in Studien unterschiedlich be- ce auf ein Leben bekommen hat. Sie äu- bedauert Hermans. antwortet worden. »Das ist letztlich ei- ßern Zweifel, dass das Gesetz zur ver- Der »Deutsche Caritasverband« er- ne Glaubensfrage«, sagt Hermans. »Wir traulichen Geburt ihre Angebote über- klärte, es sei gut, dass durch das Gesetz wissen nicht, welche Beweggründe Frau- lüssig mache. Denn: Eine Frau, die von sowohl die Notlage der Frau gesehen en haben, sich für eine anonyme Geburt niemandem identiiziert werden möchte und ihrem Wunsch nach Vertraulichkeit zu entscheiden und ihr Kind nicht selbst und eine Datenerfassung ablehne, wer- Rechnung getragen als auch dem Recht zu erziehen. Es müssen aber schwerwie- de diesen neuen Weg sicher nicht gehen. des Kindes auf Kenntnis der Herkunft gende Gründe sein, verbunden mit tief Berlins Sozialsenator Mario Czaja entsprochen werde. Für die Entwicklung sitzenden Ängsten, dass sie glauben, nur (CDU) hält daher Babyklappen als nied- und Identität eines Kindes sei das Wissen dieser Weg komme für sie infrage«, sagt rigschwelliges Hilfsangebot an Schwan- um die eigene Herkunft sehr wichtig, so Daniela Veith vom SkF in Koblenz. gere in extremen Notsituationen weiter- Caritas-Präsident Peter Neher. Die SkF- Man wisse nicht, »welches Schicksal hin für unverzichtbar: »Es ist ein kom- Bundesvorsitzende Anke Klaus betonte: die abgegebenen Kinder ohne diese An- plementäres Angebot, das erhalten blei- »Frauen, die sich trotz ihrer schwierigen gebote getroffen hätte«, hieß es in einem ben muss.« Czaja plant, das Angebot in Situation auf eine Beratung eingelassen Sondervotum der bereits zitierten Stel- Berlin sogar noch auszuweiten und eine haben, brauchen eine Begleitung durch lungnahme des Deutschen Ethikrates. neue, fünfte Babyklappe einzurichten. eine Beraterin, zu der sie Vertrauen ge- »Da nicht auszuschließen ist, dass Le- »Aus meiner Sicht ist es unsere Plicht, fasst haben.« Der im Gesetz angelegte ben und Gesundheit der von Aussetzung alles dafür zu tun, dass Kinderleben ge- Beratungsprozess ebne häuig den Weg bedrohten Kinder in extremen Notfällen rettet werden können«, erklärte Czaja ge- zu weiteren Unterstützungsangeboten durch die Angebote anonymer Kindesab- genüber der Nachrichtenagentur »dpa«. und lasse anonyme Geburt und Baby- gabe tatsächlich gerettet werden und da Die Kritik von Frau Schröder beziehe klappe überlüssig werden. die Vermittlung der abgegebenen Kin- sich vor allem auf die anonyme Geburt. Genau dies wird jedoch von vielen Sei- der an Adoptivfamilien nicht per se als Auch die werdenden Mütter, die sich für ten bezweifelt – sogar im eigenen Ver- problematisch einzustufen ist, kann diese diesen Weg entschieden, wären über die LebensForum 106 17
P O LI T I K normalen Beratungseinrichtungen nicht Weg der vertraulichen Geburt nicht ge- ten und Kliniken Rechtssicherheit ge- erreichbar. »Die Erfahrungen in Berlin hen will, muss auch eine anonyme Ge- währt«, forderte Glück. zeigen aber, dass nur aufgrund der Nied- burt möglich sein. Denn: Was nützt dem Die geplanten Neuregelungen sollen rigschwelligkeit des Angebots in den letz- Kind das Recht auf Kenntnis seiner Ab- zum 1. Mai 2014 in Kraft treten, um die ten Jahren einige Hundert Frauen in Ber- stammung, wenn es das Alter, in dem es erforderlichen Vorkehrungen für die Um- lin in ihrer Not eine Klinik aufgesucht sich darauf berufen kann, gar nicht er- setzung treffen zu können. Dazu gehören haben«, argumentiert der Sozialsenator. reicht?« Man müsse die anonyme Ge- unter anderem die Qualiizierung von Be- Er unterstützt deshalb das Vorhaben der burt aus der rechtlichen Grauzone und ratungsfachkräften, die elektronische Um- Bundesregierung, die Angebote zur Hil- »klare Regeln schaffen, den Müttern Si- stellung beim Geburtenregister und die fe und Beratung für schwangere Frauen, cherheit geben«, so Merk. Einrichtung eines bundeszentralen Not- die sich in einer Notlage beinden, öffent- Auch das »Zentralkomitee der deut- rufs. Schon jetzt ist klar: Bis zur Verab- lich noch bekannter zu machen. schen Katholiken« (ZdK) erklärte, das schiedung des Gesetzes werden noch ei- WWW.MDL-BEATE-MERK.DE WWW.CDU-FRAKTION.BERLIN.DE BUNDESTAG Beate Merk, CSU Mario Czaja, CDU Ingrid Fischbach, CDU Bayerns Justizministerin Beate Merk neue Gesetz könne heimliche Entbin- nige Wochen verstreichen und der vorlie- wirbt ebenfalls dafür, Babyklappen weiter dungen und die Abgabe von Kindern in gende Entwurf in den Ausschüssen noch offen zu halten. »Es ist ein Schritt in die Babyklappen überlüssig machen. Das sei einige Korrekturen erhalten. Bis dahin ist richtige Richtung, wenn der Gesetzgeber ebenso zu begrüßen wie der hohe Stel- eine »breite Beratung über den Gesetz- Müttern in verzweifelter Situation jetzt lenwert, den das Gesetz der Beratung der entwurf mit Experten und Verbänden«, die Möglichkeit der vertraulichen Geburt betroffenen Frauen einräume. Zugleich wie sie Grünen-Politikerin Katja Dörner eröffnen will, also das Recht, auch ohne äußerte ZdK-Präsident Alois Glück al- forderte, sehr zu wünschen. Angabe ihres Namens im Krankenhaus lerdings die Sorge, dass das Gesetz in der zu gebären, wobei sie ihre persönlichen praktischen Umsetzung an der Lebens- Daten hinterlegen.« Das eine zu tun, wirklichkeit der Betroffenen vorbeige- IM PORTRAIT könne aber nicht heißen, das andere zu he. »Im Übrigen habe ich große Zwei- lassen. »Für äußerste Notfälle brauchen fel, ob das Recht auf Kenntnis der eige- Matthias Lochner wir weiterhin auch die Babyklappen«, er- nen Abstammung im konkreten Einzel- Der Autor, Jahrgang 1984, studierte Ger- klärte Merk. »So kommt das Neugebore- fall wirklich denselben Stellenwert hat wie manistik, Geschichte und Katholische ne wenigstens schnell und zuverlässig in das Recht auf Leben und körperliche Un- Theologie für das Lehramt an Gymnasi- professionelle Hände – statt beispielswei- versehrtheit«, so der CSU-Politiker. Die en und Gesamt- se in irgendeinem ungeschützten Haus- verplichtende Erfassung der Personenda- schulen an der eingang ausgesetzt zu werden.« Das Ar- ten der Mutter sei mit Blick auf das Kind Universität zu gument, die Babyklappe weise keine ein- zwar verständlich. Sie könne aber dazu Köln. Er ist seit heitlichen Standards auf und sei zu we- führen, »dass gerade diejenigen Frauen, 2001 Mitglied der nig kontrolliert, lässt die CSU-Politike- die am dringendsten auf Hilfe angewiesen ALfA und war von rin nicht gelten: »Das kann doch kein sind, das neue Angebot nicht annehmen Mai 2008 bis April Grund sein, die lebensrettenden Klap- werden, weil sie Angst davor haben, ihre 2013 Vorsitzender der »Jugend für das pen zu schließen. Sondern man muss Anonymität aufzugeben«. Um schwange- Leben« (JfdL) Deutschland, der Jugend- eben entsprechende Standards entwi- re Frauen in existenziellen Notlagen zu organisation der ALfA. Als freier Journa- ckeln.« Außerdem setzt sich Merk nach erreichen, brauche es »im Ausnahmefall list publiziert Matthias Lochner regelmä- wie vor für die Möglichkeit der anony- ein Angebot, das den Müttern dauerhaft ßig auch in »LebensForum«. Er ist verhei- men Geburt im Krankenhaus ohne Na- Anonymität und den beteiligten Berate- ratet und lebt im Rheinland. mensangabe ein. »Wenn die Mutter den rinnen, Ärzten, Hebammen, Plegekräf- 18 LebensForum 106
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