"Vertrauliche Geburt" - Wer die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur so genannten "vertraulichen Geburt" im Bundestag verfolgt ...

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"Vertrauliche Geburt" - Wer die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur so genannten "vertraulichen Geburt" im Bundestag verfolgt ...
SANDRA SABBE/FOTOLIA
  P O LI T I K

         »Vertrauliche Geburt«
  Wer die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur so genannten »vertraulichen
         Geburt« im Bundestag verfolgt hat, dem dürfte schnell klar geworden sein: Dieses
     Gesetz wird auf jeden Fall in Kraft treten. Denn: Die Parteien stritten, wenn auch heftig,
   lediglich über Detailfragen. Dagegen begegnen Teile der Zivilgesellschaft dem Vorhaben mit
                             grundsätzlicherer Skepsis. Ein Überblick.
                                                      Von Matthias Lochner

        erlin, 21. März, Deutscher Bun-      nünftiger Mittelweg zwischen der Ano-         Aber der Reihe nach: Ziel des Gesetz-

B       destag. So viel Einigkeit ist sel-
        ten: In der knapp halbstündigen
Debatte zur »Regelung der vertrauli-
                                             nymität der Mutter und dem Recht des
                                             Kindes«, befand der CSU-Politiker Nor-
                                             bert Geis. Katja Dörner von Bündnis 90/
                                                                                        entwurfes ist es, die für Mütter und Kinder
                                                                                        oft riskanten heimlichen Geburten außer-
                                                                                        halb von medizinischen Einrichtungen so
chen Geburt« begrüßten die sechs Red-        Die Grünen unterstrich: »Die Ziele, die    unnötig wie möglich zu machen. Zudem
ner aller im Bundestag vertretenen Par-      mit dem Gesetzentwurf verfolgt werden,     sollen die Fälle verhindert werden, in de-
teien unisono den entsprechenden, von        unterstützen wir uneingeschränkt.« Und     nen Neugeborene ausgesetzt oder getö-
Bundesfamilienministerin Kristina Schrö-     selbst die Abgeordneten Caren Marks        tet werden. In Deutschland werden jähr-
der erarbeiteten Gesetzentwurf (Druck-       (SPD) und Diana Golze (Die Linke) be-      lich etwa 20 bis 35 Kinder nach der Ge-
sache 17/12814). Schröder selbst beton-      grüßten grundsätzlich das Vorhaben der     burt ausgesetzt oder getötet. Eine ofizi-
te, ihr am 13. März vom Bundeskabi-          »vertraulichen Geburt«. Bei aller Einig-   elle Statistik existiert nicht, es muss daher
nett verabschiedeter Entwurf sei im Sin-     keit zeigte die Erste Lesung des Gesetz-   eine erhebliche Dunkelziffer angenom-
ne der Schwangeren, »die dringend Hil-       entwurfes allerdings einmal mehr: Der      men werden. Zu dem Ergebnis kommt
fe brauchen«, und im Sinne der Kinder,       Teufel steckt im Detail. Denn während      eine Studie des »Deutschen Jugendins-
»die dringend Schutz brauchen«. Miriam       die Politiker der schwarz-gelben Koali-    tituts« (DJI), die vom Familienministe-
Gruß von der FDP sprach von einer gu-        tion den Entwurf vehement verteidigten,    rium gefördert und Anfang 2012 unter
ten Regelung, »die Leben retten kann         sehen die Oppositionspolitiker trotz al-   dem Titel »Anonyme Geburt und Baby-
und Frauen Schutz bietet«. Ein »ver-         len Lobes Änderungsbedarf.                 klappen in Deutschland – Fallzahlen, An-

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gebote, Kontexte« publiziert wurde (vgl.     nymer Geburt beziehungsweise Kindes-                                               führung der vertraulichen Geburt Baby-
dazu »LebensForum« Nr. 102, 2012).           abgabe zwar Mindeststandards, etwa die                                             klappen und Einrichtungen zur anony-
Die vertrauliche Geburt soll schließlich     Plicht zur Meldung bei Standesamt in-                                              men Geburt unverzüglich zu verbieten,
eine Alternative zu den Angeboten ano-       nerhalb von 24 Stunden. Der Entwurf                                                anstatt wie in dem Entwurf vorgesehen
nymer Kindesabgabe schaffen. Zwischen        sieht jedoch vor, dass diese Angebote zu-                                          erst drei Jahre nach Verabschiedung des
1999 und 2010 sind 973 Kinder anonym         nächst weiter toleriert und erst nach drei                                         Gesetzes zu evaluieren.« Dagegen gab
geboren, in eine Babyklappe gelegt oder      Jahren evaluiert werden.                                                           Maria Geiss-Wittmann von »Donum
anderweitig anonym übergeben worden,            Während bei der Zielsetzung des Ge-                                             Vitae« zu bedenken, dass Frauen wäh-
so die DJI-Studie.                           setzes Einigkeit herrscht, sind die Auffas-                                        rend der Schwangerschaft zu einer sehr
   Die Idee der »vertraulichen Geburt«:      sungen über dessen Ausgestaltung unter-                                            schwierigen Entscheidung gedrängt wür-
Eine Mutter, die sich in einer Notlage be-   schiedlich. Diskutiert werden insbesonde-                                          den, wenn es die Möglichkeit zu einer völ-
indet, soll die Sicherheit erhalten, dass    re die weitere Billigung bestehender An-                                           lig anonymen Geburten nicht mehr gebe.
die Geburt eine Zeit lang jenen Perso-       gebote sowie die genaue Ausgestaltung                                                  Zu der geplanten, weiteren Tolerie-
nen verborgen bleibt, von denen sie Re-      der Anonymität. Die SPD-Abgeordnete                                                rung der Babyklappe erklärte die FDP-
pressalien befürchtet, etwa von der Fa-      Caren Marks etwa kritisierte in der Par-                                           Politikerin Miriam Gruß im Bundestag:
milie, vom Arbeitgeber oder von einzel-      lamentsdebatte scharf, dass der Gesetz-                                            »Wir sind uns der Grauzone bewusst.«
nen Ämtern. Aufgrund der Erfassung ih-

                                                                                           BUNDESTAG

                                                                                                       WWW.LIBERALE-FRAUEN.DE
rer Daten ist die Frau bei der »vertrauli-
chen Geburt« jedoch für Hilfsangebote
und Beratung erreichbar. Damit soll eine
Balance zwischen dem Wunsch der Mut-
ter nach Anonymität sowie dem Lebens-
recht des Kindes und seinem Recht auf
Kenntnis der eigenen Abstammung ge-
schaffen werden.
   Konkret sieht der Gesetzentwurf des-
halb vor, dass eine Mutter ihr Kind un-
ter Angabe eines Pseudonyms entbinden
kann. Nur die Beratungsstelle nimmt die
tatsächlichen Personaldaten der Frau auf
und gibt sie in einem Umschlag versiegelt
an das »Bundesamt für Familie und zivil-
gesellschaftliche Aufgaben« (BAFzA) zur
Aufbewahrung weiter. Entscheidet sich
die Mutter nach der Geburt nicht für das
Kind, kommt es zu einem Adoptionsver-
fahren. Bei Vollendung des 16. Lebens-
jahres soll das betroffene Kind dann die     Kristina Schröder, CDU                                                             Miriam Gruß, FDP
Identität seiner leiblichen Mutter erfah-
ren dürfen, sofern diese keinen Einspruch    entwurf nicht weit genug gehe, weil »die                                           Es sei ein Balanceakt, denn es gehe um
einlegt. In diesem Fall soll ein Familien-   anonyme Geburt und das Betreiben von                                               die Rettung von Kindern, die ansonsten
gericht entscheiden, ob die Identität der    Babyklappen« unberührt blieben. Marks                                              ausgesetzt oder getötet würden. »Schon
Mutter weiterhin vertraulich bleiben soll,   ärgert vor allem, dass Babyklappen nicht                                           die Rettung eines einzigen Kindes recht-
etwa weil Beeinträchtigungen von Leib,       verboten werden: »Babyklappen sind das                                             fertigt die Existenz von Babyklappen«, ar-
Leben, Gesundheit, persönlicher Frei-        schlechteste Angebot, was man Kindern                                              gumentierte Gruß. Und auch Grünen-Po-
heit oder ähnlich schutzwürdiger Belan-      machen kann.« Sie verhinderten keine                                               litikerin Katja Dörner lobte ausdrücklich,
ge der Mutter befürchtet werden müssen.      Tötung, aber das Recht auf Herkunft, ar-                                           dass die vorhandenen Angebote bestehen
   Darüber hinaus sieht der Gesetzent-       gumentierte die SPD-Politikerin. Frau-                                             bleiben und evaluiert werden.
                                             en, die ihr Kind aussetzten oder töteten,                                              Die Familienpolitikerin und stellvertre-
                                             seien in einem psychischen Ausnahme-                                               tende Vorsitzende der CDU/CSU-Bun-
                                             zustand und durch Babyklappen nicht zu                                             destagsfraktion Ingrid Fischbach hinge-
»Wir sind uns der                            erreichen. Vielmehr böten Babyklappen                                              gen ist skeptisch. Fischbach, die sich seit
Grauzone bewusst.«                           Eltern die Möglichkeit, sich ihrer Ver-                                            Jahren intensiv mit dem Thema befasst,
                                             plichtung zur Fürsorge zu entziehen.                                               erklärte kürzlich in einem Interview mit
                                             Die Bundesregierung verfahre nach dem                                              dem »Deutschen Ärzteblatt«, sie habe ih-
                                             Motto »Billigung durch Nichtregelung«.                                             re Einstellung geändert. Zu Beginn der
wurf vor, Beratungsangebote für Schwan-         Bereits im Vorfeld der Debatte hatte                                            Diskussion vor 13 Jahren habe sie argu-
gere in Notlagen auszubauen, um ihnen        die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats,                                           mentiert, wenn die Babyklappe auch nur
die Chance für ein Leben mit ihrem Kind      Christiane Woopen, die Billigung der be-                                           ein Menschenleben rette, dann habe sie
zu ermöglichen. Erst nach der erfolgten      stehenden Angebote als »schädlich und                                              sich gelohnt. Diese Argumentation sei
Beratung soll den Frauen die »vertrauli-     sogar widersprüchlich« kritisiert. Und                                             aber aufgrund der vorliegenden Zahlen
che Geburt« angeboten werden. Im Ple-        auch das internationale Kinderhilfswerk                                            und der Ergebnisse der DJI-Studie nicht
num forderte Familienministerin Schrö-       »terre des hommes« erklärte: »Wir for-                                             mehr zu halten. Die Studie habe gezeigt,
der für die bestehenden Angebote ano-        dern den Gesetzgeber auf, mit der Ein-                                             »dass durch Babyklappen die Zahl der

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"Vertrauliche Geburt" - Wer die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur so genannten "vertraulichen Geburt" im Bundestag verfolgt ...
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Kindstötungen nicht zurückgegangen          lich, wenn sich die Mutter beim Träger                       gefordert, »die vorhandenen Babyklap-
ist. In weiteren Fällen hat dieses System   meldet. Bei einer anonymen Übergabe                          pen und bisherigen Angebote zur anony-
zu Missbrauch geführt. So wurde bei-        übergibt die abgebende Person ihr Kind                       men Geburt« aufzugeben, und Vorschläge
spielsweise in einem Fall ein 14 Mona-      bei einem persönlichen Treffen, nachdem                      zur »vertraulichen Geburt« unterbreitet.
te altes Kind abgegeben«, argumentiert      sie zuvor telefonisch Ort und Zeitpunkt                      Und die bereits zitierte DJI-Studie kam
die CDU-Abgeordnete. Dass die Baby-         mit dem Anbieter vereinbart hat.                             zu dem Ergebnis, dass bei einem Fünf-
                                                                                                         tel der anonym geborenen beziehungs-
                                                                                                         weise abgegebenen Kinder niemand ge-

                                                                                         DANIEL RENNEN
                                                                                                         nau sagen könne, was aus ihnen gewor-
                                                                                                         den sei. »200 Babyklappen-Kinder ver-
                                                                                                         schwunden«, titelte daraufhin ziemlich
                                                                                                         reißerisch die Tageszeitung »Die Welt«.
                                                                                                         Bundesfamilienministerin Schröder kün-
                                                                                                         digte daraufhin an, ein legales Angebot
                                                                                                         auf den Weg zu bringen, das neben dem
                                                                                                         Schutz von Mutter und Kind für alle Be-
                                                                                                         teiligten Rechtssicherheit schaffe.
                                                                                                             In der Plenarsitzung sagte Schröder
                                                                                                         nun, dass ihr Entwurf »ziemlich genau
                                                                                                         das umsetzt, was der Ethikrat empfohlen
                                                                                                         habe, allen Beteiligten gerecht wird und
                                                                                                         erstmals Rechtssicherheit schafft«. Die
                                                                                                         Sozialdemokratin Marks indessen kriti-
                                                                                                         sierte, es werde »keine Rechtssicherheit«
                                                                                                         geschaffen und man hätte sich die Empfeh-
                                                                                                         lungen des Ethikrates und der DJI-Studie
                                                                                                         mehr zu eigen machen sollen. Auch Dia-
                                                                                                         na Golze bemängelte, diverse Rechtsstel-
                                                                                                         lungen, etwa die des Vaters, blieben im
                                                                                                         vorliegenden Entwurf ungelöst.
                                                                                                             Der Entwurf, so hingegen Miriam
                                                                                                         Gruß, berücksichtige den Wunsch der
                                                                                                         Mutter nach Schutz und Vertraulichkeit
                                                                                                         genauso wie das Recht des Kindes, die
                                                                                                         eigene Identität zu erfahren. Man habe
Babyklappen wie diese sollen evaluiert, aber vorerst nicht abgeschafft werden.                           eine lange Frist von 16 Jahren durchge-
                                                                                                         setzt, da zu diesem Zeitpunkt »mit hoher
klappen nicht jetzt schon ganz verboten        All diese Angebote werden in Deutsch-                     Sicherheit« die Gründe für den Wunsch
würden, habe nach Aussagen von Fisch-       land bislang als »Ultima Ratio« toleriert,                   der Mutter nach Anonymität vorbei sei-
bach vor allem föderale Gründe: »Die        obwohl ihnen eine gesetzliche Grundlage                      en. Doch auch das mögliche Wider-
Einrichtung und der Betrieb von Ba-         fehlt. Nach § 1591 BGB ist die Mutter                        spruchsrecht der Frau auf Preisgabe ih-
byklappen fallen in die Kompetenz der       stets die Frau, die das Kind geboren hat,                    rer Anonymität stößt bei der SPD-Poli-
Länder, deshalb kann der Bund hier kei-     das heißt, in der Geburtsurkunde muss                        tikerin Marks auf Kritik: Es sei proble-
ne einheitliche Entscheidung treffen. Im    zwingend der Name der Mutter stehen.                         matisch, dass die schutzwürdigen Belan-
Moment werden Gespräche geführt, um         Das Personenstandsgesetz unterwirft je-                      ge der Mutter höher eingestuft würden
bundesweit Mindeststandards für Baby-       de Person, die von der Geburt eines Kin-                     als die Persönlichkeitsrechte des Kindes.
klappen einzuführen und so Missbrauch       des weiß beziehungsweise an einer Ent-                           Katja Dörner, deren differenzierter
zu verhindern.« Nach der dreijährigen                                                                    Redebeitrag in der Debatte hervorstach,
Evaluierungsphase werde dann ein Urteil                                                                  ist da entschieden anderer Meinung: Es
über die Zukunft der Babyklappen gefällt.                                                                sei zwar wichtig, für das Kind die größt-
   Fakt ist: Die aktuellen Angebote an-
                                            »Komplementäres Angebot,                                     mögliche Chance zu schaffen, die eige-
onymer Kindesabgabe bewegen sich in         das erhalten bleiben muss.«                                  ne Herkunft zu erfahren. Zunächst müsse
einer juristischen Grauzone. Zu unter-                                                                   aber die Voraussetzung geschaffen wer-
scheiden sind die anonyme Geburt, die                                                                    den, »dass dieses Recht überhaupt wahr-
anonyme Übergabe und Babyklappen.                                                                        genommen werden kann«. Es sei fraglich,
Die anonyme Geburt gewährleistet ei-        bindung beteiligt ist, der Anzeigenplicht                    ob mit dem Entwurf »die Interessen der
ne medizinische Versorgung von Mut-         gegenüber dem Standesamt. Frauen, die                        Mutter und des Kindes in einen guten
ter und Kind vor, während und nach der      ihr Kind anonym abgeben, und alle Per-                       und tragbaren Ausgleich gebracht wer-
Geburt. Babyklappen hingegen sind öf-       sonen, die bei einer anonymen Geburt                         den«. So sieht Dörner die eingeschränk-
fentlich zugängliche, geschützte Wärme-     oder Übergabe beteiligt sind oder insti-                     te Anonymität der Mutter skeptisch: Stu-
betten, in die Frauen ihr Neugeborenes      tutionell eine Babyklappe betreiben, han-                    dien belegten, dass in einer absolut aus-
legen und damit zur Adoption freigeben      deln demnach rechtswidrig.                                   weglosen Situation, in der der Frau ein
können. Eine medizinische Versorgung           Bereits 2009 hatte deshalb die Mehrheit                   reguläres Adoptionsverfahren völlig un-
oder Beratung der Mutter ist nur mög-       des Deutschen Ethikrats in einem Votum                       möglich erscheine, »die Zusicherung der

16                                                                                                                   LebensForum 106
"Vertrauliche Geburt" - Wer die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur so genannten "vertraulichen Geburt" im Bundestag verfolgt ...
absoluten Anonymität Voraussetzung            band. So ist der Psychologe Hermans                                                Möglichkeit als Ultima Ratio auch ohne
ist, sich überhaupt in Beratung zu bege-      überzeugt, dass die »vertrauliche Ge-                                              rechtliche Grundlage toleriert werden«,
ben«, so die Grünen-Politikerin. Im Ge-       burt« die Babyfenster nicht sofort über-                                           so das Sondervotum weiter.
setzentwurf hingegen werde der Mutter         lüssig mache. »Für das neue Angebot                                                   Die Träger von Angeboten anonymer
»die Letztentscheidung über die Anony-        müssen die Frauen in eine Beratungs-                                               Kindesabgabe argumentieren genau so:
mität« weggenommen. Der Vorteil der           stelle gehen, geben also ihre Anonymi-                                             Mütter in Not können ihr Neugebore-
»vertraulichen Geburt« bestehe zwar da-       tät auf. Diese Schwelle könnte für viele                                           nes hier unerkannt abgeben – statt es aus-
rin, »dass die Daten der Frau hinterlegt      Mütter, die ihr Kind bei uns abgeben, zu                                           zusetzen oder gar zu töten. Wenn dank
werden und dass Mutter und Kind sich          hoch sein«, meint Hermans. Dass drei                                               dieser Einrichtungen auch nur eine ver-
kennenlernen können«. Dies sei aber nur       Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes                                              zweifelte Mutter ihr Neugeborenes nicht
ein gangbarer Weg, wenn beide dies woll-      über den Fortbestand der Babyklappen                                               aussetze, wenn auch nur ein Kind geret-
ten, so Dörner weiter.                        entschieden werden soll, hält er deshalb                                           tet werde, dann habe sich der Einsatz ge-
    »Dass Mütter kein allgemeines Wi-         für zu früh. »Wenn nun jahrelang kein                                              lohnt. Die Träger äußern Unverständnis
derspruchsrecht haben, ist sehr wichtig«,     einziges Kind mehr in den Babyklappen                                              über die teils scharfe Kritik an ihren An-
sagt hingegen Björn Enno Hermans. Her-        landet, lasse ich mich natürlich eines Bes-                                        geboten. Am Ende zähle doch nur eines:
mans ist Geschäftsführer des »Sozialdiens-

                                                                                            WWW.CDUCSU.DE

                                                                                                            WWW.SPDFRAKTION.DE
tes Katholischer Frauen« (SkF) in Essen
und arbeitet als Psychologe und Kinder-,
Jugend- und Familientherapeut viel mit
Adoptivkindern. Seiner Erfahrung nach
erwache das Bedürfnis, die eigenen Wur-
zeln zu erkunden, nicht erst mit 16 Jahren.
»Ich hätte 12 als Altersgrenze gewählt.«
Da habe der Wunsch der Mütter, mög-
lichst lang anonym zu bleiben, offenbar
Vorrang gehabt. Als Träger des Essener
Babyfensters im »Haus Nazareth« weiß
man beim SkF, wie schwer die Bedürfnis-
se von Mutter und Kind auszubalancieren
sind: Wer hier ein Kind abgibt, erhält ei-
nen Briefumschlag, der über einen Code
dem Kind zuzuordnen ist; damit könn-
te die Mutter später ihrem Kind schrei-
ben. Seit Januar 2001 sind im Essener
Babyfenster 16 Kinder abgegeben wor-
den – nur eine Mutter hat an ihr Kind ge-
schrieben. Eine andere meldete sich sehr      Norbert Geis, CSU                                                                  Caren Marks, SPD
rasch mit dem Wunsch, ihr Baby zurück-
zubekommen. Begleitet vom Jugendamt           seren belehren.« Ob Babyfenster weitere                                            dass ein Kind nicht gestorben ist, dass es
ist das gelungen. »Von allen anderen ha-      Kindesaussetzungen oder -tötungen ver-                                             nicht getötet wurde, dass es eine Chan-
ben wir leider nie wieder etwas gehört«,      hindern, ist in Studien unterschiedlich be-                                        ce auf ein Leben bekommen hat. Sie äu-
bedauert Hermans.                             antwortet worden. »Das ist letztlich ei-                                           ßern Zweifel, dass das Gesetz zur ver-
    Der »Deutsche Caritasverband« er-         ne Glaubensfrage«, sagt Hermans. »Wir                                              traulichen Geburt ihre Angebote über-
klärte, es sei gut, dass durch das Gesetz     wissen nicht, welche Beweggründe Frau-                                             lüssig mache. Denn: Eine Frau, die von
sowohl die Notlage der Frau gesehen           en haben, sich für eine anonyme Geburt                                             niemandem identiiziert werden möchte
und ihrem Wunsch nach Vertraulichkeit         zu entscheiden und ihr Kind nicht selbst                                           und eine Datenerfassung ablehne, wer-
Rechnung getragen als auch dem Recht          zu erziehen. Es müssen aber schwerwie-                                             de diesen neuen Weg sicher nicht gehen.
des Kindes auf Kenntnis der Herkunft          gende Gründe sein, verbunden mit tief                                                 Berlins Sozialsenator Mario Czaja
entsprochen werde. Für die Entwicklung        sitzenden Ängsten, dass sie glauben, nur                                           (CDU) hält daher Babyklappen als nied-
und Identität eines Kindes sei das Wissen     dieser Weg komme für sie infrage«, sagt                                            rigschwelliges Hilfsangebot an Schwan-
um die eigene Herkunft sehr wichtig, so       Daniela Veith vom SkF in Koblenz.                                                  gere in extremen Notsituationen weiter-
Caritas-Präsident Peter Neher. Die SkF-          Man wisse nicht, »welches Schicksal                                             hin für unverzichtbar: »Es ist ein kom-
Bundesvorsitzende Anke Klaus betonte:         die abgegebenen Kinder ohne diese An-                                              plementäres Angebot, das erhalten blei-
»Frauen, die sich trotz ihrer schwierigen     gebote getroffen hätte«, hieß es in einem                                          ben muss.« Czaja plant, das Angebot in
Situation auf eine Beratung eingelassen       Sondervotum der bereits zitierten Stel-                                            Berlin sogar noch auszuweiten und eine
haben, brauchen eine Begleitung durch         lungnahme des Deutschen Ethikrates.                                                neue, fünfte Babyklappe einzurichten.
eine Beraterin, zu der sie Vertrauen ge-      »Da nicht auszuschließen ist, dass Le-                                             »Aus meiner Sicht ist es unsere Plicht,
fasst haben.« Der im Gesetz angelegte         ben und Gesundheit der von Aussetzung                                              alles dafür zu tun, dass Kinderleben ge-
Beratungsprozess ebne häuig den Weg           bedrohten Kinder in extremen Notfällen                                             rettet werden können«, erklärte Czaja ge-
zu weiteren Unterstützungsangeboten           durch die Angebote anonymer Kindesab-                                              genüber der Nachrichtenagentur »dpa«.
und lasse anonyme Geburt und Baby-            gabe tatsächlich gerettet werden und da                                            Die Kritik von Frau Schröder beziehe
klappe überlüssig werden.                     die Vermittlung der abgegebenen Kin-                                               sich vor allem auf die anonyme Geburt.
    Genau dies wird jedoch von vielen Sei-    der an Adoptivfamilien nicht per se als                                            Auch die werdenden Mütter, die sich für
ten bezweifelt – sogar im eigenen Ver-        problematisch einzustufen ist, kann diese                                          diesen Weg entschieden, wären über die

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"Vertrauliche Geburt" - Wer die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur so genannten "vertraulichen Geburt" im Bundestag verfolgt ...
P O LI T I K

normalen Beratungseinrichtungen nicht                                                              Weg der vertraulichen Geburt nicht ge-                    ten und Kliniken Rechtssicherheit ge-
erreichbar. »Die Erfahrungen in Berlin                                                             hen will, muss auch eine anonyme Ge-                      währt«, forderte Glück.
zeigen aber, dass nur aufgrund der Nied-                                                           burt möglich sein. Denn: Was nützt dem                       Die geplanten Neuregelungen sollen
rigschwelligkeit des Angebots in den letz-                                                         Kind das Recht auf Kenntnis seiner Ab-                    zum 1. Mai 2014 in Kraft treten, um die
ten Jahren einige Hundert Frauen in Ber-                                                           stammung, wenn es das Alter, in dem es                    erforderlichen Vorkehrungen für die Um-
lin in ihrer Not eine Klinik aufgesucht                                                            sich darauf berufen kann, gar nicht er-                   setzung treffen zu können. Dazu gehören
haben«, argumentiert der Sozialsenator.                                                            reicht?« Man müsse die anonyme Ge-                        unter anderem die Qualiizierung von Be-
Er unterstützt deshalb das Vorhaben der                                                            burt aus der rechtlichen Grauzone und                     ratungsfachkräften, die elektronische Um-
Bundesregierung, die Angebote zur Hil-                                                             »klare Regeln schaffen, den Müttern Si-                   stellung beim Geburtenregister und die
fe und Beratung für schwangere Frauen,                                                             cherheit geben«, so Merk.                                 Einrichtung eines bundeszentralen Not-
die sich in einer Notlage beinden, öffent-                                                            Auch das »Zentralkomitee der deut-                     rufs. Schon jetzt ist klar: Bis zur Verab-
lich noch bekannter zu machen.                                                                     schen Katholiken« (ZdK) erklärte, das                     schiedung des Gesetzes werden noch ei-
                                              WWW.MDL-BEATE-MERK.DE

                                                                      WWW.CDU-FRAKTION.BERLIN.DE

                                                                                                                                                 BUNDESTAG

Beate Merk, CSU                                                                                    Mario Czaja, CDU                                          Ingrid Fischbach, CDU

   Bayerns Justizministerin Beate Merk                                                             neue Gesetz könne heimliche Entbin-                       nige Wochen verstreichen und der vorlie-
wirbt ebenfalls dafür, Babyklappen weiter                                                          dungen und die Abgabe von Kindern in                      gende Entwurf in den Ausschüssen noch
offen zu halten. »Es ist ein Schritt in die                                                        Babyklappen überlüssig machen. Das sei                    einige Korrekturen erhalten. Bis dahin ist
richtige Richtung, wenn der Gesetzgeber                                                            ebenso zu begrüßen wie der hohe Stel-                     eine »breite Beratung über den Gesetz-
Müttern in verzweifelter Situation jetzt                                                           lenwert, den das Gesetz der Beratung der                  entwurf mit Experten und Verbänden«,
die Möglichkeit der vertraulichen Geburt                                                           betroffenen Frauen einräume. Zugleich                     wie sie Grünen-Politikerin Katja Dörner
eröffnen will, also das Recht, auch ohne                                                           äußerte ZdK-Präsident Alois Glück al-                     forderte, sehr zu wünschen.
Angabe ihres Namens im Krankenhaus                                                                 lerdings die Sorge, dass das Gesetz in der
zu gebären, wobei sie ihre persönlichen                                                            praktischen Umsetzung an der Lebens-
Daten hinterlegen.« Das eine zu tun,                                                               wirklichkeit der Betroffenen vorbeige-                      IM PORTRAIT
könne aber nicht heißen, das andere zu                                                             he. »Im Übrigen habe ich große Zwei-
lassen. »Für äußerste Notfälle brauchen                                                            fel, ob das Recht auf Kenntnis der eige-                      Matthias Lochner
wir weiterhin auch die Babyklappen«, er-                                                           nen Abstammung im konkreten Einzel-                           Der Autor, Jahrgang 1984, studierte Ger-
klärte Merk. »So kommt das Neugebore-                                                              fall wirklich denselben Stellenwert hat wie                   manistik, Geschichte und Katholische
ne wenigstens schnell und zuverlässig in                                                           das Recht auf Leben und körperliche Un-                       Theologie für das Lehramt an Gymnasi-
professionelle Hände – statt beispielswei-                                                         versehrtheit«, so der CSU-Politiker. Die                                             en und Gesamt-
se in irgendeinem ungeschützten Haus-                                                              verplichtende Erfassung der Personenda-                                              schulen an der
eingang ausgesetzt zu werden.« Das Ar-                                                             ten der Mutter sei mit Blick auf das Kind                                            Universität zu
gument, die Babyklappe weise keine ein-                                                            zwar verständlich. Sie könne aber dazu                                               Köln. Er ist seit
heitlichen Standards auf und sei zu we-                                                            führen, »dass gerade diejenigen Frauen,                                              2001 Mitglied der
nig kontrolliert, lässt die CSU-Politike-                                                          die am dringendsten auf Hilfe angewiesen                                             ALfA und war von
rin nicht gelten: »Das kann doch kein                                                              sind, das neue Angebot nicht annehmen                                                Mai 2008 bis April
Grund sein, die lebensrettenden Klap-                                                              werden, weil sie Angst davor haben, ihre                      2013 Vorsitzender der »Jugend für das
pen zu schließen. Sondern man muss                                                                 Anonymität aufzugeben«. Um schwange-                          Leben« (JfdL) Deutschland, der Jugend-
eben entsprechende Standards entwi-                                                                re Frauen in existenziellen Notlagen zu                       organisation der ALfA. Als freier Journa-
ckeln.« Außerdem setzt sich Merk nach                                                              erreichen, brauche es »im Ausnahmefall                        list publiziert Matthias Lochner regelmä-
wie vor für die Möglichkeit der anony-                                                             ein Angebot, das den Müttern dauerhaft                        ßig auch in »LebensForum«. Er ist verhei-
men Geburt im Krankenhaus ohne Na-                                                                 Anonymität und den beteiligten Berate-                        ratet und lebt im Rheinland.
mensangabe ein. »Wenn die Mutter den                                                               rinnen, Ärzten, Hebammen, Plegekräf-

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"Vertrauliche Geburt" - Wer die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur so genannten "vertraulichen Geburt" im Bundestag verfolgt ... "Vertrauliche Geburt" - Wer die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur so genannten "vertraulichen Geburt" im Bundestag verfolgt ... "Vertrauliche Geburt" - Wer die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur so genannten "vertraulichen Geburt" im Bundestag verfolgt ... "Vertrauliche Geburt" - Wer die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur so genannten "vertraulichen Geburt" im Bundestag verfolgt ...
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