Virtupolis - beschleunigte Stadtgeschichte im Second Life
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Abb. 1 Stadtimitation Miramare Cityimitation Miramare Virtupolis – beschleunigte Stadtgeschichte im Second Life Franziska Lang / Helge Svenshon / Martin Kim Obwohl das Second Life dem Nutzer abso- Virtupolis – Second life in an Urban Context lute Freiheit in der Gestaltung seiner Lebens Although Second Life offers, or even near- umwelt gestattet, ja geradezu von ihm zu ly imposes on its user limitless freedom in fordern scheint, hat sich die Mehrheit seiner designing and defining his or her environ- Bewohner für eine Parallelexistenz im urba- ment, most of its participants have decided nen Kontext entschieden. Unsere laufende to create their parallel existence in the Studie scheint zu belegen, dass die komple- context of an urban reality. xe Stadt in Einzelphänomene fragmentiert In our current study it becomes apparent und als Wunschraum je nach Bedürfnis der that the complex entity of a city is frag- Akteure spezifisch überformt wird. Diese mented in its different phenomena only to flüchtigen Konstrukte bleiben jedoch nicht be rebuilt within Second Life according to statisch, sondern unterliegen einem perma- the specific needs of its players. nenten Transformationsprozess, der sich However these fleeting urban constructs do wie im Zeitraffer mitverfolgen lässt. not remain static. They undergo a constant Gespiegelt in der virtuellen Welt entfaltet process of transformation, which one can sich ein breites Panorama individueller Ein- experience as if in a fast forward mode. zelaspekte von „realer“ Stadtwahrnehmung, A broad spectrum of individual aspects of das zugleich die unterschiedlichen städtischen “real” urban perception is mirrored in the Codes kataloghaft präsentiert. virtual world where it unfolds and offers a catalogue of a variety of urban codes. 42 TU Darmstadt•thema forschung 2/2008 080915_Thema.indd 42 15.10.2008 18:18:47 Uhr
Das ständig wachsende Angebot an digitalen Compu terspielen mit virtueller 3D-Umgebung zeigt eine deutliche Tendenz, die Aktionsräume mit ausgefeilten Architekturen und städtebaulichen Konfigurationen unterschiedlichster Provenienz auszustatten. Hohe Rechnergeschwindigkeiten und Speicherkapazitäten erlauben es, den Spielern komplexe Welten zur Ver fügung zu stellen, die im Spielverlauf in den verschie densten Kombinationen interaktiv neu zusammengestellt werden können. Doch diese vermeintliche Freiheit täuscht darüber hinweg, dass alle wesentlichen Ele mente der Spiel“räume“ von den Herstellern entwickelt worden sind und nur innerhalb der spielinternen Regeln beeinflusst und modifiziert werden können. Stadt im „Metaversum“ Mit der Internet 3D-Infrastruktur Second Life (SL), einer seit 2003 im Netz verfügbaren Parallelwelt zum Real Life (RL), wurde eine grundlegende Alternative Abb. 2 zu den vorgefertigten Virtual Realities der Computer Ausschnitt Second Life spiele geschaffen, die dem Nutzer nahezu unbegrenz Survey im Second Life Karte te Freiheiten für die Gestaltung seiner Welt gestattet. Detail Second Life Map Als „user-generated-content“ konzipiert, stellt die Für eine solche Untersuchung bedurfte es einer um Entwicklerfirma LindenLab lediglich den frei formba fassenden Bestandsaufnahme der Aktivitäten, die in ren Avatar – das elektronische alter ego des Users –, SL überhaupt stattfinden. Dazu wurde ein Projektse einfach bedienbare Bau- und Bearbeitungswerkzeuge minar mit dem Ziel einer ersten qualifizierten Analyse und das Grid zur Verfügung – einen nach Rechtwin von SL eingerichtet. Zur Erforschung und gezielten kelkoordinaten organisierten, horizontal ausgebreite Erschließung großer Gebiete eignet sich eine beson ten ‚Ozean‘, der mit quadratischen Einheiten gleicher dere archäologische Feldforschungsmethode, der Größe, den so genannten SIMs, gefüllt und beliebig Survey. Hierbei werden – anders als bei einer Ausgra erweitert werden kann (Abb. 2). Auf der Basis dieser bung – in einem definierten Gebiet die Oberflächen schlichten Vorgaben ist innerhalb der letzten vier prospektiert und sämtliche Hinweise auf Aktivitäten Jahre ein ausgedehntes und kaum noch überschau systematisch dokumentiert. Der Survey war insofern bares „Metaversum“ entstanden, dessen ausschließlich gut durchführbar, als die SL-Entwickler ihre Welt nicht von den Bewohnern geschaffene Landschaften mit kugelförmig, sondern konsequent als flächiges, ‚un ihrem differenzierten architektonischen und städte endlich‘ erweiterbares Modell konzipiert haben, das baulichen Ambiente die Erwartungen und Prognosen sich aus einem Koordinatenraster zusammensetzt, in von LindenLab weit übertroffen haben. welches wiederum einzelne Quadranten (SIMs) mit Das anhaltend rasante Wachstum von SL hat zur einer Größe von 256 x 256 Metern eingebunden sind. Folge, dass diese virtuellen Konstrukte nicht statisch Auf der Grundlage eines von uns zuvor angefertigten bleiben, sondern einem permanenten Wandlungspro Gesamtplanes konnte ein Rastersurvey durchgeführt zess unterliegen. Schon bei unserer anfänglichen werden, bei dem jede/r Studierende ca. 300 dieser Erkundung war zu beobachten, dass sich bestimmte SIMs besuchen, kartieren und dokumentieren sollte. Einzelaspekte, wie z.B. städtebauliche Entwicklungen, Anhand eines gemeinsam erarbeiteten Kriterienkatalogs in extremer Beschleunigung vollziehen. Genau dieses (Architektur, Städtebau, Kultur, soziales Gefüge usw.) Phänomen war der Anlass, sich aus der Perspektive wurden die einzelnen SIMs klassifiziert und alle Koor historischer Fächer intensiver mit der digitalen Paral dinaten und Kriterien in eine Datenbank eingetragen. lelwelt zu beschäftigen – in der Annahme, dass dabei So entstand eine umfangreiche Materialsammlung zu Prozesse, die im RL – im wirklichen Leben also – über den unterschiedlichen Aktivitäten auf den ‚bewohnten‘ längere Zeiträume ablaufen, dort gleichsam wie im SIMs, mit der nun auch qualitative Aussagen über die Zeitraffer verfolgt werden können. allgemeine Nutzung des SL gemacht werden können. TU Darmstadt•thema forschung 2/2008 43 080915_Thema.indd 43 15.10.2008 18:18:49 Uhr
Abb. 3 Stadttypen im Second Life Stadtkopie Frankfurt am Main Stadt und Architektur sind ein wesentlicher Aspekt Citycopy Frankfurt am Main von SL. In ca. 15% der untersuchten Quadranten konnten städtische oder stadtähnliche Strukturen beobachtet werden. Obwohl das SL dem Nutzer ab solute Freiheit in der Gestaltung seiner Lebensumwelt gestattet und ihn darüber hinaus weitgehend unab hängig macht von physikalischen Einschränkungen, wie Schwerkraft und Klima, spiegelt sich diese Mög lichkeit so gut wie gar nicht in seinen virtuellen Stadtgebilden. Im Gegenteil, die Städte in SL erschei nen mehrheitlich als Simulationen jener im RL; die Abb. 4 Stadtkopie Amsterdam Vorbilder reichen von maßstäblichen Kopien bis hin Citycopy Amsterdam zu phantasiereichen Kompilationen und lassen sich thematisch nach Stadtkopien, -imitationen, historisie renden Nachempfindungen und frei erfundenen role- play-Städten klassifizieren. Stadtkopien, die Pendants real existierender Städte (Frankfurt (Abb. 3), Berlin, Dublin, Amsterdam (Abb. 4) u.a.) – meist nur ausschnitthaft auf ihre Erken nungszeichen und Architekturhighlights reduziert – sind größtenteils von den jeweiligen Stadtmarketingabtei lungen als 3D-Werbe- und Informationsflächen in Auftrag gegeben. Daneben finden sich realistische Abb. 5 Stadtkopie Second Stadtkopien, die wohl in privater Initiative realisiert Krakow wurden und als Begegnungs- bzw. öffentlicher ‚Sozi Citycopy Second alraum‘ in einem gewünschten, vertrauten Ambiente Krakow fungieren (Stuttgart, Second Krakau (Abb. 5) u.a.). Stadtimitationen dagegen sind zumeist Schöpfungen informeller Gruppen, die sich ihren virtuellen Lebens- und Aktionsraum thematisch gebunden als Stadtcol lage zusammenstellen. Diese Orte imitieren keine reale Stadt, sondern sind Fiktionen, die aus einzelnen entkontextualisierten Architektur- und Stadtelementen vorwiegend historischer Herkunft zu einer thematischen Stadtphantasie im SL zusammengefügt werden (Fach Abb. 6 Stadtimitation werksiedlung, Renaissancestadt (Abb. 6 – 7) u.a.) Neufreistadt Eine besondere Bedeutung unter den SL-Städten Cityimitation nehmen die für Roleplays (RP) geschaffenen Orte ein: Neufreistadt größtenteils einheitlich konzipiert und gestaltet, die nen sie einer speziellen Nutzergruppe als bildhafte Kulisse für deren Rollenspiel. Ebenso wie die auf prägnante Aspekte konzentrierten Charaktere der Akteure, ist die städtische Umgebung mit ihren aus geprägten Architekturformen jeweils auf das Thema des Rollenspiels zugespitzt. Diese konstruierte Iden tität wirkt unmittelbar auf die Bewohner zurück, denn Sprachstil, ‚Soziolekt‘ und Kleidung werden den teil weise aufwändig gestalteten Aktionsfeldern angepaßt: so z.B. in Crack Den (Abb. 8), das einer kleinen, her untergekommenen amerikanischen Provinzstadt nachempfunden ist und von Korruption und Verbrechen regiert wird. Hier bemühen sich die Akteure um eine vulgäre Verhaltensweise, die sich wiederum in der 44 TU Darmstadt•thema forschung 2/2008 080915_Thema.indd 44 15.10.2008 18:18:55 Uhr
MIT GROSSEN SCHRITTEN ZU IHREM ERFOLG Abb. 7 Stadtimitation Renaissance Island Cityimitation Renaissance Island Hallo Petra! Und Harald, Ellen, Lars, Simone, Gerd, Thomas, Linda, Petra, Angelika, Christiane, Karijm, Abb. 8 Florian, Otmar, Henning, Jonathan, Wilhelm, Margaretha, Cathrin, Benjamin, Jukka, Roger, Carlos, Hans-Josef, Andrea, Ludmila, Sylvester, Helmut, Dagmar, Marianne, Christina, Tobias, Roleplaystadt Crack Den Hannes, Ewald, Ferdinand, Wolfgang, Ulrike, Annette, Thi Kimdung, Stefanie, Konstantinos, Roleplaycity Crack Den Manuela, Clemens, Johann, Daniela, Luisa, Kai-Uwe, Patrick, Tihomir, Ruben, Wiebke, Tim, Jeannette, Günter, Hagen, Corinna, Werner, Nikolaos, Manfred, Annika, Tolga, Ramona, Leo, Burkhard, Markus, Birgit, Nazeem, Wilfried, Herbert, Christoph, Rainer, Erika, Angela, Horst, Yvonne, Wenzel, Georg, Massimiliano, Susanne, Joachim, Kastulus, Norbert, Uwe, Hermann, Sascha, Theodor, Chrissi, Matthias, Reinhard, Sebastian, Detlef, Alexander, Juliane, Ümit, Ivonne, Karl-Heinz, Andrew, Hildegard, Toni, Marcel, Rouven, Melanie, Eva-Maria, Hendrik, Natalie, Ulrich, Mirja, Cornelia, Jule-Marie, Brigitte, Stefan, Martina, Agata, Carsten, Klaus, Beate, Jozef, Marco, Rudy, Sandra, Heinz, Jörn, Regina, Gerrit, Myra, Peter, Kathrin, Antje, Iris, Jörg, Renate, Helga, Gina, Olaf, Nükhet, Ernst, Frank, Mike, Claudia, Mario, Elmar, Sarah, Uta, Roland, Niels, Isabel, Claude, Sigrun, Britta, Joanna, Nina, Sören, Björn, Oliver, Manuel, Grit, Marion, Alexej, Luigi, Carmen, Siegfried, Arnulf, Olga, Paul, Katja, Heiner, Astrid, Jürgen, Ralf, Guido, Diana, Carolin, Manja, Boris, Ilona, Fred, Janine, Silke, Marc, Ingo, Anja, Erich, Sonja, Ilva, Nischa, Arne, Dieter, Jane, Elena, Carla, Jeff, Elke, Axel, Julia, Ines. Dank unserer Mitarbeiter sind wir so vielfältig, menschlich und erfolgreich. Zudem wurden wir erneut zumTop-Arbeitgeber 2008 gewählt.Wenn Sie auch dazugehören möchten, besuchen Sie am besten unser Karriere Center. www.deutschebp.de/karriere Abb. 9 Roleplaystadt Midian City Roleplaycity Midian City beyond petroleum® TU Darmstadt•thema forschung 2/2008 45 080915_Thema.indd 45 15.10.2008 18:19:00 Uhr
künstlichen Tristesse nach Bedürfnis der User – auf einschichtige Funktionen der städtischen Um und klare Bildwirkung herunter gebrochen, die sich gebung und der für fragmentiert auf den unterschiedlichen SIMs über das das Spiel notwendi gesamte „Metaversum“ verteilen. gen Stadtmöblierung Genau an dieser Stelle zeichnet sich eine städtebau widerspiegelt. Ein liche Entwicklung ab, die SL gegenüber ihrem Grün völlig anderes Bei dungszustand in kürzester Zeit massiv verändert hat: spiel ist Midian City Das mainland, der ursprüngliche Siedlungskern von (Abb. 9– 10), eine SL, wurde als große Fläche zusammenhängend ge Metropolisadaption, stalteter Landmasse zur Verfügung gestellt, dem, deren Formensprache außer der Grundstücksgröße, kein Bebauungsplan der Hochhausarchi oder anderes Ordnungsprinzip zugrunde lag. Chaoti tektur aus dem Chi sche Siedlungstätigkeit – vergleichbar den Gecekondus cago und New York türkischer Metropolen – war die Folge, sodass diese Abb. 10 der 1930er Jahre ent Gegenden aufgrund ihrer Heterogenität und Unüber Roleplaystadt Midian City nommen scheint und zusammen mit einem künstlichen sichtlichkeit heute zu den weniger angesehenen der Roleplaycity Midian City Ruinenfeld, aus dem die Betonskelette sich düster virtuellen Welt gehören. Als Gegenreaktion etablierte über dem virtuellen Schutt erheben, eine apokalypti sich ein Siedlungskonzept, das immer noch wirksam sche Stadtlandschaft imaginieren. Dieses Szenarium ist. Kleinteilige, nach traditionellen Ordnungskriteri ist die Bühne für literarisch gefärbte Rollenspiele, en (z.B. Verkehrsräume) strukturierte und in sich deren endzeitlicher Inhalt in z.T. artifiziellen Dialogen geschlossene Siedlungsinseln verteilen sich, meist transportiert wird. zusammenhanglos, im Ozean von SL und zeigen eine deutliche Ähnlichkeit mit den „gated communities“ Stadtentwicklung im Second Life des „new urbanism“. Obwohl diese fragmentierte Konstruktion von Stadt Literatur/Links/Quellen Trotz der großen Unterschiede, die die virtuellen im SL extrem überzeichnet erscheint, bietet das SL- Stephenson, Neal (1992): Stadtkonstrukte in SL auszeichnet, ist ihnen eines eigene Instrumentarium gleichzeitig die Möglichkeit Snow Crash; New York gemeinsam: Ihre Funktion reduziert sich auf die Wir einer ‚globalen‘ Vernetzung: der grenzüberschreiten Galouye, Daniel F. kung von Kulissen; prominente und signifikante Ele de Bewegungsmodus des Teleportens (tp) erlaubt es (1964): Simulacron-3; mente realer Städte werden gleichsam als Zitate ins dem Nutzer, seinen Standort in Sekundenschnelle zu New York SL transformiert und zu zeichenhaften Bildwelten wechseln. Damit wird er zum Schöpfer einer indivi Rymaszewski, Michael collagiert. All das, was eine Stadt im RL ausmacht, duellen imaginierten Stadt, die er aus den Fragmenten et al. (2007): Second life. The official guide; findet sich in SL nur noch als Fassade. Die Komplexi in immer neuen Kombinationen für sich zusammen Indianapolis tät und Heterogenität realer Städte wird im SL – je setzen kann. Abb. 11 Abb. 12 Feriensiedlung Rapture Stadtimitation Nakama Holiday village Rapture Cityimitation Nakama 46 TU Darmstadt•thema forschung 2/2008 080915_Thema.indd 46 15.10.2008 18:19:06 Uhr
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