Blick ins Gehirn: Wie Emotionen entstehen
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017_vaitl 15.05.2006 11:08 Uhr Seite 17 Dieter Vaitl Blick ins Gehirn: Wie Emotionen entstehen In unserem alltäglichen Leben und Sprachge- innere Reize (z. B. Hunger, Durst, sexuelle Lust) brauch zählen Emotionen zu den eher uner- hervorgerufen wird, während Emotionen oft wünschten Eigenschaften. Überlegtes und ra- auf äußere Reize hin entstehen. Die Qualität tional abgewogenes Verhalten und Urteilen ist aber, die beiden gemeinsam ist, lässt sich auf das, was wir bevorzugen. Und dennoch: zu un- der Dimension von Annäherung–Vermeidung serer Lebenswirklichkeit gehören Emotionen beschreiben. Sie reicht von der Bereitschaft wie die Luft zum Atmen. Es sind Handlungsdis- oder sogar dem Drang, eine Situation aufzusu- positionen, die eng mit unserem Verhalten ver- chen, bis hin zu Flucht- und Vermeidungsver- knüpft sind und mitbestimmen, in welcher halten, das garantiert, dass dem Organismus Weise wir handeln. Noch mehr: es sind Früh- kein Schaden entsteht. Emotionen erlauben – warnsysteme, die, wenn sie fehlen, bedrohli- und darin liegt ihre grundlegende biologisch che Zustände und soziale Komplikationen zur adaptive Funktion – eine flexible Nutzung von Folge haben können. Die folgende Abbildung Ressourcen aus der Umwelt, und zwar im Hin- (Abb. 1) gibt einen Überblick über die verschie- blick auf individuelle Zielsetzungen sowie auf denen Emotionen, deren Auslöser und Funktio- der Grundlage bisheriger Erfahrungen. Es be- nen, wie wir sie aus Untersuchungen am Tier steht außerdem Einigkeit darüber, dass die an und am Menschen kennen. Emotionen beteiligten neuronalen Schaltkreise (s.u.) eine äußerst rasche Informationsverarbei- Einige Grundannahmen tung von äußeren Reizen und Gefahrenquellen erlauben (im unteren Millisekundenbereich) Die heute gültigen, biologisch orientierten und somit eine schnelle Verhaltensantwort ga- Emotionstheorien gehen von einigen wenigen rantieren. Dass diese sehr frühen Prozesse un- Grundannahmen aus. Sie alle betonen – ohne bewusst ablaufen, bedeutet aber nicht, dass Ausnahme – den evolutionsbiologischen Ur- Emotionen „unbewusst“ bleiben müssen. Erst sprung von Emotionen so- wie deren Verankerung in spezifischen Hirnstrukturen und physiologischen Pro- zessen. Es sind Vorgänge, die den Organismus darauf vorbereiten, mit seiner Um- welt in einer effizienten Weise zu interagieren. Die Grenzen zwischen Moti- vation und Emotion ver- schwimmen dabei zwangs- läufig, obwohl sich, nach herkömmlicher Betrach- tung, Motivation als Akti- onstendenz beschreiben Abb. 1: Beispiele für die Verschiedenartigkeit von Emotionen und der Beschrei- lässt, die vorwiegend durch bungsebenen (verbaler Bericht, Verhalten, Funktion). 17
017_vaitl 15.05.2006 11:08 Uhr Seite 18 Abb. 2: Schema der Untersuchung von Emotionen mit funktioneller MRT – Die emotionalen Reize (hier: eine Schlange) führen zu neuronaler Aktivität, die mit MRT messbare vaskuläre Reaktionen hervorruft. Die vom MRT-Scanner in Ab- ständen von wenigen Sekunden gelieferten Hirnbilder durchlaufen nach dem Experiment eine Phase des so genannten Preprocessing (z.B. zur Korrektur von Bewegungsartefakten). Anschließend werden die Zeitreihen jedes Voxels (Volu- menelement) mit Hilfe linearer Regression modelliert und die Parameter auf Signifikanz getestet. Eine Korrektur der In- flation des Fehlers I. Art durch multiples Testen schließt die Auswertung ab. dann, wenn später (im oberen Millisekunden- tralnervöse (z. B. erhöhter Schreckreflex, desyn- bereich) neokortikale Strukturen, wie z. B. die chronisierte elektrokortikale Aktivität) Reaktio- Großhirnrinde, am emotionalen Geschehen nen. mitwirken, kommt Bewusstheit zustande, erst Diese Messmethoden geben allerdings nur ei- dann kann sprachlich beschrieben werden, was nen indirekten Einblick in die emotionalen Pro- gerade erlebt wurde. Ob Emotionen wahrge- zesse und ihre Komponenten. Erst in den letz- nommen werden oder nicht, ist also im we- ten zehn Jahren hat sich eine Wissenschaftsdis- sentlichen eine Frage der Zeit. ziplin herausgebildet, die den Namen „emotio- nal neuroscience“ trägt und die sich ausschließ- Methoden der Emotionsforschung lich mit den funktionellen und strukturellen Hirnprozessen beschäftigt, die am emotionalen Die Erforschung von Emotionen am Menschen Geschehen beteiligt sind. Eine der wichtigsten bedient sich verschiedener Methoden, die den und aussagekräftigsten Methoden ist die funk- drei Ebenen der Manifestation von emotio- tionelle Magnetresonanztomographie (MRT), nalen Reaktionen zuzuordnen sind: die so genannte Landkarten von umschriebe- a) Subjektive Erlebnis-Ebene: verbaler Bericht nen Hirnarealen liefert, die während emotio- über emotionales Erleben (z.B. Fragebogen- naler Prozesse aktiviert sind (Abb. 2). Dieses daten über Form und Ausmaß von Angst, bildgebende Verfahren beruht auf dem Prinzip Ekel oder sexueller Erregung) der neuro-vaskulären Kopplung. Darunter ver- b) Verhaltens-Ebene: Fluchttendenzen oder steht man die kurzfristige Veränderung der Vermeiden einer gefährlichen Situation, mi- Blutverteilung (Blutvolumen und Blutfluss) in mische Reaktionen bestimmten Hirnregionen, wenn dort die neu- c) Physiologische Ebene: peripher-physiologische ronale Aktivität zunimmt: je stärker also die (z. B. erhöhter Blutdruck und Pulsschlag, neuronale Aktivität ist (z. B. aufgrund gestei- Schweißausbrüche, Atemnot), neuroendokri- gerter Angst, Entscheidungsunsicherheit, sexu- ne (z. B. Noradrenalinausschüttung) und zen- eller Erregung), umso größer ist auch der Anteil 18
017_vaitl 15.05.2006 11:08 Uhr Seite 19 an mit Sauerstoff angereichertem Blut und verdeutlichen: zum einen die negativen Emo- umso stärker fällt das Signal (die so genannte tionen Furcht/Angst und Ekel und zum ande- “Blood-Oxygen-Level-Dependent (BOLD)-Reak- ren die positiven Emotionen, wie sie bei der Be- tion”) aus (Einzelheiten zur Methode bei trachtung von sexuell erregendem Material Jäncke, 2005). Sie gibt indirekten Aufschluss auftreten. über jene Hirnregionen, die an emotionalen Prozessen beteiligt sind. Ein Vorteil dieser Me- Angst und Ekel thode ist, dass sie auch Prozesse in tiefer gele- genen Hirnstrukturen (im Unterschied z. B. zum Furcht einflößende oder Angst auslösende Situa- Elektroenzephalogramm) erfassen kann und tionen werden von zwei Systemen im Gehirn keine Strahlenbelastung der Untersuchungs- verarbeitet: einem rasch und ungenau arbei- teilnehmer durch radioaktiv markierte Substan- tenden und einem langsamer, dafür aber ge- zen (wie z. B. bei der Positron-Emissions-Tomo- nauer arbeitenden System; letzteres ist auch an graphie) stattfindet. Dem hohen räumlichen der bewussten Wahrnehmung beteiligt. Diese Auflösungsvermögen (erfasst werden Hirnvolu- Vorgänge illustriert – sehr vereinfacht – folgen- mina von 2 mm Kantenlänge) des Verfahrens de Darstellung (Abb. 3). steht seine geringe zeitliche Auflösung (maxi- Eine zentrale Schaltstelle im Gehirn sind die male BOLD-Reaktion erst etwa 5 Sekunden Mandelkerne (Amygdala). Hier wird in Millise- nach Reizbeginn) gegenüber. Neuere Entwick- kunden-Geschwindigkeit entschieden, ob ein lungen in unserem Institut erlauben mittlerwei- Reiz für den Organismus schädlich oder von le eine nahezu verzögerungsfreie Registrierung Vorteil ist (Valenz-Dimension des Reizes). Die der BOLD-Reaktion, wodurch es möglich ist, zentral gelegenen Kerngebiete der Amygdala den Untersuchungsteilnehmern ein unmittelba- haben Verbindungen zu zahlreichen anderen res Feedback über die Aktivierung bestimmter Zielstrukturen im Gehirn, von wo aus jene Hirn- Hirnregionen zu geben (so genanntes Neuro- regionen angesteuert werden, die dafür ver- Feedback). antwortlich sind, dass die uns allen bekannten Welche Hirnregionen an der Verarbeitung von körperlichen Anzeichen einer Angstreaktion in Emotionen beteiligt sind, sollen zwei Beispiele Gang gesetzt werden (Abb. 4). Auf diesem Abb. 3: Illustration der Hirnfunk- tionen, die angeregt werden, wenn ein Mensch im Wald plötz- lich auf eine (gefährliche) Schlan- ge trifft. Die Reaktionen, wie z.B. Anstieg von Herztätigkeit und Blutdruck, Muskelkontraktionen, werden schnell und stereotyp über die Thalamus-Amygdala-Ver- bindungen und langsamer über die kortikalen Verbindungen von der Sehrinde zur Amygdala her- vorgerufen. Die sensorischen In- formationen vom Thalamus di- rekt zur Amygdala sind schemen- haft und auf die biologische Rele- vanz reduziert (s. grobe Konturen der Schlange), die vom Kortex zur Amygdala dagegen genau und elaboriert (s. scharfe Konturen der Schlange) (modifiziert nach LeDoux, 1995). 19
017_vaitl 15.05.2006 11:08 Uhr Seite 20 Wege wird gewährleistet, dass der Organismus tuation stattgefunden hat – man spricht in die- Energiereserven mobilisiert, die für raschen An- sem Falle von Habituation – sind an der Reiz- griff oder für Flucht nötig sind. verarbeitung außerdem noch Teile des Stirn- Eine wichtige Rolle spielt die Amygdala vor hirns beteiligt, insbesondere der orbitofrontale allem dann, wenn eine Furchtreaktion auf Kortex und das anteriore Cingulum (Abb. 5). einen Gefahrenreiz hin gelernt werden muss Hier laufen Prozesse ab, die (nach dem Prinzip des Pawlow’schen Konditio- a) mit der erneuten Bewertung des Reizes im nierens). Patienten, denen die Amygdala beid- Hinblick auf seine positiven und negativen seitig entfernt wurde (z.B. wegen eines Tumors Konsequenzen (Verstärkungsqualitäten) und oder eines hartnäckigen Epilepsie-Fokus), sind b) mit dem motorischen Reaktionsprogramm danach nicht mehr in der Lage, eine Assoziati- (Annäherung oder Vermeidung) zu tun ha- on zwischen einem neutralen Reiz (Warnsignal) ben, das in Gang gesetzt werden muss und und dem aversiven Reiz (Gefahrenquelle) her- dessen voraussichtliches Resultat von Vorteil zustellen. für den Organismus sein sollte. Neben diesem schnellen Reaktionssystem gibt es Mit großer Wahrscheinlichkeit wirken diese noch ein anderes, das gleichzeitig für eine ela- prospektiven Stirnhirnprozesse über Feedback- boriertere Reizverarbeitung sorgt. Hierzu zählt schleifen zurück auf die primären sensorischen die Sehrinde im okzipitalen Kortex und der in tie- Areale der Sehrinde im okzipitalen Kortex, wo fere Strukturen eingebettete Hippokampus, in sie zu einer zusätzlichen Aktivierung führen. Sie dem Gedächtnisinhalte gespeichert sind, die wiederum erlaubt eine Erweiterung und Präzi- nun abgerufen und mit der gegenwärtigen aku- sierung des Wahrnehmungsfeldes, aus dem die ten Gefahrensituation verglichen werden. Erst bedrohlichen Reize stammen. wenn diese Hirnstrukturen aktiviert werden, Welche Hirnprozesse bei Emotionen ablaufen, kann es zu einer bewussten Wahrnehmung und lässt sich sehr gut an Patienten mit Angst- Verarbeitung einer Gefahrensituation kommen. störungen studieren. An Patientinnen mit einer Während die Aktivierung der Amygdala rasch Spinnenphobie (Prävalenz: 5,6%) fanden wir nachlässt, sobald eine erste Bewertung der Si- beispielsweise, dass es bei der Konfrontation mit dem phobischen Ob- jekt zu einer deutlichen Ak- tivierung in der Sehrinde, in der Amygdala, im Hippo- kampus und im seitlichen Stirnhirnbereich (dorsolate- raler präfrontaler Kortex) kommt. Im Unterschied zu gesunden Kontrollperso- nen waren die Patientin- nen auch ekelempfindli- cher und ängstlicher, was sich in einer erhöhten Akti- vierung der Amygdala wi- derspiegelte und erneut zeigt, dass dieses Kernge- Abb. 4: Die zentralen Kerngebiete der Amygdala sind der Ausgangsort für die Er- biet eine wichtige Rolle bei zeugung und Steuerung von Reaktionskomponenten, die z.B. Kennzeichen einer der primären „Bewertung“ Angstreaktion sein können (Herzrasen, Blutdrucksteigerung, feuchte Hände, Pu- von emotionsinduzieren- pillenerweiterung, Atemnot, erhöhte Schreckhaftigkeit und „Stressreaktion“). Die Amygdala besitzt zahlreiche Nervenverbindungen zu verschiedenen neuro- den Reizen spielt (Schienle funktionellen Zielregionen, die ihrerseits für diese unterschiedlichen Reaktions- et al., 2005). Nach einer komponenten verantwortlich sind. Behandlung mit einer Ver- 20
017_vaitl 15.05.2006 11:08 Uhr Seite 21 Abb. 5: Hirnschnitte, die verdeut- lichen sollen, wo die wichtigen Hirnregionen lokalisiert sind, die an der Entstehung von Emotionen beteiligt sind. Schnitt A zeigt die Lage der Amygdala (Rot), Schnitt B die Insula oder den insulären Kortex, der von Teilen der Groß- hirnrinde überlappt wird (Grün). Bei Schnitt C geht der Blick von unten zur Basis des Gehirns und zeigt den orbitofrontalen Kortex (Gelb), der bei dieser Sichtweise über den Augen liegt. Bei Schnitt D läuft die Schnittfläche zwischen den beiden Hirnhälften (rechts liegt die hintere Gehirnseite, links die vordere) und zeigt die Lage des vorderen (anterioren) Cingu- lum, das sich über das Corpus cal- losum wölbt, das die beiden Hirn- hälften miteinander verbindet. haltenstherapie, bei der die Patientinnen lern- material erzeugen. Auch hier kommt es wieder ten, die Spinnen anzufassen, kam es im Unter- zu einer Aktivierung der Amygdala und des or- schied zu einer Warte-Kontrollgruppe zu einer bitofrontalen Kortex. Bis vor kurzem nahm man starken Aktivierung im orbitofrontalen Kortex, an, dass die Hirnregion, die Ekel von Angst sobald ihnen im MRT Bilder von Spinnen ge- neurofunktional unterscheiden lässt, der Insel- zeigt wurden. Dies spricht dafür, dass es durch Kortex (s. Abbildung 5) sei. Zahlreiche Untersu- die Psychotherapie nicht nur zu einer Ab- chungen, die unsere Arbeitsgruppe zu dieser schwächung der Reaktionen in den bekannten kritischen Frage („Gibt es für spezifische Emo- Emotionsverarbeitungssystemen kommt, son- tionen auch spezifische Hirnstrukturen?“) dern dass die Patientinnen darüber hinaus ler- durchgeführt hat, deuten darauf hin, dass der nen, die phobischen Objekte neu zu bewerten Insel-Kortex keine emotionsspezifische Hirnre- und deren Gefährlichkeit bewusst anders einzu- gion, sondern vielmehr Teil eines Integrations- schätzen als vorher (Abb. 6). systems ist, in dem die aufsteigenden (afferen- Die Basisemotion Ekel ist ebenso wie Furcht und ten) Einflüsse aus dem Körperinneren reprä- Angst wichtig für unser Überleben. Phänomeno- sentiert sind und signalisieren, wann die logisch betrachtet gliedert sie sich, wie unsere Ar- Homöostase der vegetativen Prozesse aus der beitsgruppe (vgl. Schienle et al., 2002) gezeigt Balance gerät. Wie und wann immer dies ge- hat, in folgende fünf ekelerregende Verhaltens- schieht, ist der insuläre Kortex daran beteiligt. und Erlebnisdimensionen auf: „Tod/Deformati- Solche Veränderungen drängen sich dann dif- on“, „Körperausscheidungen“, „Mangelnde Hy- fus als negative, objektunspezifische Gefühle giene“, „Verdorbenes“, „Ungewöhnliche Nah- oder Proto-Emotionen auf. rungsmittel“. Als physiologischer Indikator dient die Kontraktion des Lippenheber-Muskels (Mus- Sexuelle Reaktionen culus levator labii), der deutlich mit dem Ausmaß an Ekelempfinden korreliert. Seit langem sind die hirnphysiologischen Pro- Ekelreaktionen lassen sich im MRT sehr zuver- zesse bekannt, die bei sexuellem Verlangen lässig durch entsprechend abstoßendes Bild- und beim Orgasmus der Frau und des Mannes 21
017_vaitl 15.05.2006 11:08 Uhr Seite 22 xuelle. Personen ohne die- se sexuellen Präferenzen dienten zum Vergleich. Die Abbildung 7 gibt die Hirn- regionen wieder, in denen bei den entsprechenden Gruppen stärkere Aktivie- rungen auftraten. Hier zeigt sich deutlich, wie unter- schiedlich die Aktivierungs- muster (hier: die Anzahl der beteiligten Hirnregio- nen) bei den verschiede- nen Gruppen von Perso- nen mit unterschiedlichen sexuellen Präferenzen sind. So werden beispielsweise durch homoerotische Bil- der fast sämtliche Hirn- areale von Homosexuellen aktiviert, die nur irgendwie an emotionalen Prozessen beteiligt sind, während sich durch diese Bilder bei Abb. 6: Darstellung der Aktivierungszunahme im mittleren orbitofrontalen Kortex Heterosexuellen keine Ak- (Blickrichtung von vorne auf das Gehirn) von Spinnenphobikerinnen, die im MRT Bil- der von Spinnen gezeigt bekommen, nachdem sie in einer Verhaltenstherapie ge- tivierungen fanden (Abb. lernt haben, eine Spinne für eine bestimmte Zeit zu berühren (zur Erläuterung s. Text). 7b). Ein ähnliches Bild zei- gen Sadomasochisten (Abb. auftreten (Überblick bei Adler et al., 1985). Seit 7a). Diese Unterschiede zu Personen, die diese kurzem erst bemüht man sich unter Zuhilfe- sexuellen Präferenzen nicht haben, kommen nahme von bildgebenden Verfahren, die emo- wahrscheinlich dadurch zustande, dass die Bil- tionalen Prozesse genauer zu untersuchen, die der bei den Sadomasochisten und Homosexu- mit sexuellen Reaktionen verbunden sind. Wel- ellen Gefühle, Imaginationen sowie Erinnerun- che Emotionen aber erzeugt werden, hängt gen an entsprechende Situationen und Erfah- von den sexuellen Präferenzen der untersuch- rungen mit den sexuellen Praktiken hervorru- ten Personen ab. Erotisches Bildmaterial, das fen, die sie gewohnt sind. Hierbei spielt vor einen Sadomasochisten oder einen Homosexu- allem die Beteiligung des Gedächtnisses eine ellen erregt, wird höchstwahrscheinlich ver- entscheidende Rolle. schieden sein von dem, das einen Menschen Um die neuronalen Basismechanismen genau- stimuliert, der diese Neigungen nicht hat. Bei er zu bestimmen, die für positive und negati- dem einen kann ein und dasselbe Bildmaterial ve Emotionen verantwortlich sind, wurden die positive Emotionen, bei dem anderen dagegen Hirnantworten all derer zusammengefasst negative Emotionen hervorrufen. Unsere Ar- und gemittelt, die angaben, dass das Bildma- beitsgruppe bediente sich dieses differential- terial für sie positive bzw. negative Qualität psychologischen Unterscheidungsmerkmals, um besäße, in diesem Falle also unabhängig von die Effekte von subjektiv positiv oder negativ der jeweiligen sexuellen Präferenz. Hier zeigt empfundenen Reizen auf die Gehirnfunktio- sich ein interessanter Befund: die Hirnregio- nen zu untersuchen (Stark et al., 2005). Unter- nen, die bei sexuell erregendem Stimulusma- sucht wurden Sadomasochisten und Homose- terial aktiviert wurden, unterschieden sich 22
017_vaitl 15.05.2006 11:08 Uhr Seite 23 nicht wesentlich vonein- ander, wenn diese Bilder emotional positiv oder ne- gativ erlebt worden waren. Nur eine Hirnregi- on erwies sich vor allem bei den positiven Emotio- nen als besonders akti- viert, nämlich der Nucleus accumbens. Dieses Kern- gebiet ist, wie Untersu- chungen am Tier und am Menschen gezeigt haben, eine zentrale Schaltstelle im so genannten Verstär- kersystem des Gehirns, das an der Beurteilung von positiven Valenzen Abb. 7: Übersicht über die Hirnregionen, die durch erotisches Bildmaterial bei Per- mitwirkt und u. a. eine sonen mit unterschiedlichen sexuellen Präferenzen (Sadomasochismus und Ho- mosexualität) aktiviert werden. – a) Betrachten Sadomasochisten (SM) Bilder mit entscheidende Rolle bei sadomasochistischen Darstellungen, kommt es im Vergleich zu Personen ohne der Entwicklung von diese sexuelle Präferenz (nonSM) zu einer Aktivierung fast sämtlicher Hirnareale, Suchtverhalten spielt (vgl. die an der Verarbeitung von Emotionen beteiligt sein können. – b) Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn homosexuelle Männer homoerotische Bilder betrachten. Auch Berridge, 2003). In unse- hier werden sämtliche an der Emotionsverarbeitung beteiligten Hirnareale aktiviert. rer Untersuchung fand sich dementsprechend auch ein enger Zusam- tet: Über das gesamte Gehirn hinweg sind die menhang zwischen der Aktivierung dieses neuralen Aktivierungsmuster sowohl bei positi- Kerngebiets und dem Ausmaß an sexueller ven als auch bei negativen Emotionen von Män- Erregung, wie sie die oben beschriebenen nern und Frauen vergleichbar. An einer großen Untersuchungsteilnehmer in den Fragebögen Stichprobe von 41 Frauen und 51 Männer kam angegeben hatten. unsere Arbeitsgruppe (Schienle u. a., 2005) zu einem ähnlichen Ergebnis. Es gab bei den zwei Geschlechtsunterschiede bereits bekannten Basisemotionen Furcht und Ekel keine Geschlechtsunterschiede in den Hirn- Erlebnisberichte und physiologische Reaktions- aktivierungsmustern. Dies spricht dafür, dass die muster sprechen dafür, dass Männer und Frau- an der Emotionsinduktion und -verarbeitung en emotional verschieden reagieren (Überblick beteiligten Hirnstrukturen für beide Geschlech- bei Adler et al., 1985). Erklärt werden diese Un- ter ähnlich sind. Vergleicht man aber einzelne, terschiede damit, dass sich Männer eher an se- spezifische Hirnstrukturen miteinander, so fin- xueller Selektion orientieren, während Frauen zu den sich bei den Männern stärkere Aktivierun- einer erhöhten Wachsamkeit im Sinne des gen in der Amygdala und im fusiformen Gyrus Selbstschutzes neigen. In deutlichem Gegensatz (an der Erkennung von Gesichtern beteiligt), dazu stehen jene Befunde, die die bildgebenden wenn sie Bilder mit Furcht einflößenden Szenen Verfahren geliefert haben. Eine erste Meta-Ana- sehen. Dies war vor allem bei solchen Szenen lyse über insgesamt 65 Studien zu bildgebenden der Fall, die Aggressionen von Menschen (z. B. Verfahren (Wager u. a., 2003) kam zu dem er- Attacke mit einem Messer) oder von Tieren staunlichen Ergebnis, dass sich die an der Verar- (z. B. Zähnefletschen eines Hundes) darstellten. beitung von Emotionen beteiligten Hirnfunktio- Außer diesem einen geschlechtsspezifischen nen zwischen Männern und Frauen nicht be- Befund gab es keine Unterschiede zwischen sonders unterscheiden. Der Hauptbefund lau- Männern und Frauen z. B. bei ekelerregenden 23
017_vaitl 15.05.2006 11:08 Uhr Seite 24 Bildern. Dies spricht dafür, dass Männer wahr- Rascher zu realisieren erscheinen unserer Ar- scheinlich eine erhöhte Sensitivität für Signale beitsgruppe dagegen zwei neue Forschungs- entwickelt haben, die Gefahr und Aggression ansätze: (1) das Neuro-Feedback zur Emotions- ankündigen. Die mit bildgebenden Verfahren regulation, bei dem die Aktivitäten bestimmter, gewonnenen Erkenntnisse legen also die Ver- an der Emotionsregulation beteiligter Hirnre- mutung nahe, dass geschlechtsspezifische Mo- gionen in Echtzeit den Probanden mit der Bitte dulationen von Emotionen auf ganz spezifische zurückgemeldet werden, diese in eine be- Reizsituationen beschränkt bleiben. stimmte Richtung willentlich zu verändern und (2) die Klassifikation und Vorhersage von Emo- Ausblick tionen, die die Probanden aktuell erleben, und zwar aufgrund von neuronalen Netzwerken, in Mit bildgebenden Verfahren, insbesondere mit die jene an der Emotionsverarbeitung beteilig- der nicht-invasiven Methode der funktionellen ten Hirnregionen eingebunden sind (so ge- Magnetresonanztomographie, gelingt also der nanntes mind reading). Blick in das emotionsverarbeitende menschliche Gehirn. Eine anspruchsvolle Emotionsforschung Literatur kann heutzutage auf dieses Verfahren nicht mehr verzichten. Ein Hinweis darauf ist die Pu- Adler, N., Pfaff, D., & Goy, R.W. (Eds.): Reproduction. Handbook of Behavioral Neurobiology. Vol. 7. New York: blikationsaktivität auf diesem Gebiet: seit den Plenum. letzten zehn Jahren nimmt sie exponentiell zu. Berridge, K.C. (2003): Pleasures of the brain. Brain and Auch erobert sie stetig noch unerforschtes kli- Cognition, 52, 106–128. nisch-psychologisches Terrain und eröffnet so Jäncke, L. (2005): Methoden der Bildgebung in der Psy- chologie und den kognitiven Neurowissenschaften. neue Einblicke in die Gehirnfunktionen von Pati- Stuttgart: Kohlhammer. enten, deren emotionale Reaktionsmuster ge- LeDoux (1995): Emotions: Clues from the brain. Annual stört bzw. dysfunktional sind, wie z. B. bei Review of Psychology, 46, 209–235. Schienle, A., Walter, B., Stark, R., & Vaitl, D. (2002): Ein Angststörungen, affektiven Störungen oder Ess- Fragebogen zur Erfassung der Ekelempfindlichkeit (FEE). störungen (Vaitl et al., 2004). Wenn sich die vor- Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, angegangene Darstellung auch nur auf die neu- 31, 110–120. Schienle, A., Schäfer, A., Stark, R., Walter, B., & Vaitl, D. rovaskulären Vorgänge im Gehirn beschränkt (2005): Gender differences in the processing of disgust- hat, bedeutet dies natürlich nicht, dass nicht and fear-inducing pictures: an fMRI study. Neuroreport, noch viele andere, ebenso zentrale Prozesse an 16, 1–4. der Entstehung und Verarbeitung von Emotio- Stark, R., Schienle, A., Girod, C., Walter, B., Kirsch, P., Blecker, C., Ott, U., Schäfer, A., Sammer, G., Zimmer- nen beteiligt sind, wie z. B. all jene Prozesse, die mann, M. & Vaitl, D. (2005): Erotic and disgust-inducing durch die verschiedenen Neurotransmitter-Sys- pictures – Differences in the hemodynamic responses of teme (z. B. Noradrenalin, Serotonin, Dopamin, the brain. Biological Psychology, 70, 19–29. Vaitl, D., Schienle, A., & Stark, R. (2004): Emotionen in Glutamat) und endokrinen Systeme gesteuert der Psychotherapie: Beiträge des Neuroimaging. In: G. werden. Multivariate Untersuchungsansätze, die Schiepek (Hrsg.): Neurobiologie der Psychotherapie. in der Emotionsforschung die neurovaskulären Stuttgart, New York: Schattauer, S. 158–185 mit den neuromodulatorischen Prozessen ver- Wager, T.D., Phan, K.L., Liberzon, I., & Taylor, F. (2003): Valence, gender, and lateralization of functional brain knüpfen, sind allerdings – aufgrund methodi- anatomy in emotion: a meta-analysis of findings from scher Barrieren – noch in der Minderzahl. neuroimaging. NeuroImage, 19, 513–531. 24
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