Vorlesung: Europäisches Wirtschaftsrecht (2021/22) 3. Warenverkehrsfreiheit - Josef Drexl

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Vorlesung: Europäisches Wirtschaftsrecht (2021/22) 3. Warenverkehrsfreiheit - Josef Drexl
Vorlesung: Europäisches Wirtschaftsrecht (2021/22)
         § 3. Warenverkehrsfreiheit

         Josef Drexl

Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb | München
Vorlesung: Europäisches Wirtschaftsrecht (2021/22) 3. Warenverkehrsfreiheit - Josef Drexl
I. Übersicht über die Rechtsprechungsentwicklung (1)

         1. Phasen der Rechtsprechungsentwicklung

          1974: “Dassonville”          Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung

          1979: “Cassis de Dijon”      Anerkennung von Art. 34 AEUV als Beschränkungsverbot und
                                       Rechtfertigungsprüfung im Rahmen immanenter Schranken
          1993: “Keck”                 Einschränkung der Anwendung von Art. 34 AEUV bei sog.
                                       “Verkaufsmodalitäten”
          “Post-Keck”: Einschränkung   -   Sonderfall der Verwendungsbeschränkungen?
          der Keck-Rechtsprechung?     -   Prüfung i.S. einer Marktzutrittsbeschränkung

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I. Übersicht über die Rechtsprechungsentwicklung (2)

         2. Prüfungsschema für Art. 34 AEUV
                                             Staatliche Maßnahme, die eine Ware betrifft

           Unmittelbare oder mittelbare, tatsächliche oder potenzielle Beschränkung des freien Handelsverkehrs zwischen
                                                   den Mitgliedstaaten (Dassonville)

         1. Stufe: Diskriminierungsverbot    2. Stufe: Verbot von unterschiedslos          3. Stufe: Verbot sonstiger
                                             anwendbaren produktbezogenen                  Marktzutrittsbeschränkungen
                                             Regelungen                                    insbes. bei Regelung von
                                                                                           Verkaufsmodalitäten (Keck)
         Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV?

                                                                Rechtfertigung durch zwingende Gründe des
                                                                Allgemeinwohls (Cassis de Dijon) oder Art. 36 AEUV,
                                                                einschließlich Prüfung von Geeignetheit und Erforderlichkeit

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I. Übersicht über die Rechtsprechungsentwicklung (3)

         2. Arten von Beschränkungen
          Beschränkung          Definition                            Beispiel

          Produktbezogene       Beschränkungen, die insbes. die       Regelung der Inhaltsstoffe von
          Beschränkungen        Produktzusammensetzung, Bezeichnung   Nahrungsmitteln und
                                oder Verpackung betreffen             Getränken
          Regelung von          Beschränkung der Art und Weise des    Beschränkungen der Art und
          Verkaufsmodalitäten   Vertriebs von verkehrsfähigen Waren   Weise der Werbung oder des
                                                                      Online-Verkaufs
          Verwendungs-          Beschränkung der bestimmungsgemäßen   Verbot von bestimmten
          beschränkungen        Verwendung einer Ware                 Glücksspielgeräten in
                                                                      kommerziellen Spielhallen
          Sonstige                                                    Import- oder
          Beschränkungen                                              Verkaufsmonopole

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II. Begriff der Ware (1)

         Bedeutung: Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit (siehe Art. 57 Abs. 1 AEUV)

         EuGH, Kommission gegen Belgien („Abfalltourismus“), C-2/90, EU:C:1992:310:
         (23) Es ist unstreitig, dass rückführbare und wiederverwendbare Abfälle — gegebenenfalls
         nach einer Behandlung — einen eigenen Handelswert haben und Waren sind,
         auf die der Vertrag Anwendung findet, und dass sie daher in den Anwendungsbereich
         der Artikel [34 AEUV] fallen. (…)
         (25) [Die belgische Regierung] hat (…) geltend gemacht, dass nicht rückführbare und
         nicht wiederverwendbare Abfälle nicht als Waren im Sinne der Artikel [34 AEUV] angesehen
         werden könnten. (…) Die Vorgänge der Beseitigung oder Ablagerung solcher Abfälle fielen
         unter die Vertragsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr.
         (26) Gegenüber diesem Vorbringen genügt der Hinweis, daß Gegenstände, die im Hinblick
         auf Handelsgeschäfte über eine Grenze verbracht werden, unabhängig von
         der Natur dieser Geschäfte Artikel [34 AEUV] unterliegen.

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II. Begriff der Ware (2)

         Merke:   Waren im Sinne der Warenverkehrsfreiheit sind alle körperlichen Gegenstände,
                  die Gegenstand des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs sein können und
                  einen Handelswert haben.

         Aber:    Körperlichkeit ist nicht unbedingt erforderlich. So unterliegt der
                  grenzüberschreitende Vertrieb von Strom der Warenverkehrsfreiheit (EuGH,
                  Gemeente Amelo, C-393/92, EU:C:1994:171)

         offen:   Datenübertragung im Internet (z.B. Musik, Film)
                  (Abgrenzung wichtiger für das Recht der Welthandelsorganisation WTO)

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III. Staatliche Maßnahme

         Merke:    Eine staatliche Maßnahme liegt vor, wenn die Berufung auf die
                   Warenverkehrsfreiheit sich gegen das Handeln einer staatlichen Einheit richtet.
                   Dabei reicht es aus, wenn sich im Rechtsstreit zwischen Privaten eine Partei auf
                   eine staatliche Vorschrift beruft und hierdurch die Warenverkehrsfreiheit
                   eingeschränkt wird

         Beispiele: Unternehmen A klagt gegen seinen ausländischen Wettbewerber B auf der
                    Grundlage des deutschen Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) mit
                    dem Argument die durch B importierte Ware enthalte eine irreführende
                    Kennzeichnung

                   Patentinhaber P klagt unter Berufung auf sein nationales Patentrecht gegen den
                   Import von rechtsverletzenden Waren aus einem anderen Mitgliedstaat, in dem
                   kein Patentschutz besteht

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IV. Verbot von Binnenzöllen und mengenmäßigen Beschränkungen (1)

         1. Zollunion und Verbot von Binnenzöllen

         Art. 28 Abs. 1 AEUV: Zollunion (seit 1. Juli 1968 verwirklicht)

         Zwei Elemente: (1) Zwischen den Mitgliedstaaten: Verbot von Ein- und
                            Ausfuhrzöllen und Abgaben gleicher Wirkung (Art. 31
                            AEUV)

                          (2)   Im Verhältnis zu Drittstaaten: Gemeinsamer Zolltarif (Art.
                                31 f. AEUV)

         Frage: Was unterscheidet die Zollunion von der Freihandelszone?
                Ist der Europäische Wirtschaftsraum eine Zollunion oder eine
                Freihandelszone?

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IV. Verbot von Binnenzöllen und mengenmäßigen Beschränkungen (2)

         1. Zollunion und Verbot von Binnenzöllen

         Frage: Unter welchen Voraussetzungen kommt eine Ware in den Genuss der
                Warenverkehrsfreiheit? Muss sie im Bereich der EU produziert worden
                sein?

         Art. 28 Abs. 2, 29 AEUV: Schutz aller Waren, die sich im freien Verkehr
                 befinden, d.h. auch von Waren aus Drittstaaten, für die die
                 Einfuhrformalitäten erfüllt wurden und der geforderte Zoll entrichtet wurde

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V. „Dassonville“ und der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung (1)

         Fall 12 (Dassonville, Rs. 8/74, EU:C:1974:82):
         Die Brüder Dassonville führen „Scotch Whiskey“ aus Großbritannien über Frankreich nach
         Belgien ein. Das belgische Recht verlangt für die Einfuhr eine Ursprungsbescheinigung der
         britischen Zollbehörden. Weil die Brüder Dassonville eine solche Bescheinigung nicht
         vorweisen können, wird gegen sie ein Strafverfahren eingeleitet. Das belgische Strafgericht
         legt die Frage der Vereinbarkeit der belgischen Regelung dem EuGH vor.

         Liegt eine Maßnahme gleicher Wirkung i.S. von Art. 34 AEUV vor?

         EuGH:

         „(5) Jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den
         innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell
         zu behindern, ist als Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung
         anzusehen.“

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V. „Dassonville“ und der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung (2)

         Merke:

         (1)   Eine tatsächliche Behinderung muss nicht nachgewiesen werden. Auf die Spürbarkeit
               der Behinderung kommt es nicht an; anders als im Kartellrecht gibt es keine de-
               minimis-Regel

         (2)   Erfasst wird jede nationale Handelsregelung

         (3)   Folge: Auch Fälle, in denen die grenzüberschreitende Wirkung höchst hypothetisch
               ist, werden dem EuGH vorgelegt

               Beispiel: Regelungen über nationale Landeschlusszeiten

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VI. „Cassis de Dijon“ und der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung (1)

         Fall 13 (EuGH, Rewe-Zentral-AG, Rs. 120/78, EU:C:1979:42):
         Das Einzelhandelsunternehmen Rewe beantragt bei der Bundesmonopolverwaltung für
         Branntwein die Genehmigung, aus Frankreich eine bestimmte Menge des Likörs Cassis de
         Dijon nach Deutschland einzuführen. Der Likör weist einen Alkoholgehalt von 15 bis 20 % auf.
         Die Behörde verweigert die Genehmigung, da dem Likör wegen des geringen Alkoholgehalts
         die Verkehrsfähigkeit fehle. Nach deutschem Recht müssen Branntweine einen
         Mindestalkoholgehalt von 32 % aufweisen. Rewe klagt gegen die Ablehnung der
         Genehmigung. Das deutsche Gericht legt dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob
         die deutsche Vorschrift eine Maßnahme gleicher Wirkung nach Art. 34 AEUV darstellt. Im
         Verfahren vor dem EuGH beruft sich die Bundesregierung zur Rechtfertigung der
         einschlägigen Vorschrift auf den Gesundheits- und Verbraucherschutz. Eine Diskriminierung
         liege nicht vor, da sich auch die deutschen Produzenten an die Bestimmung halten müssten.
         Die Kommission sieht die deutsche Vorschrift im Lichte des Gesundheits- und
         Verbraucherschutzes als nicht erforderlich an. Eine Kennzeichnungspflicht würde ausreichen.

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VI. „Cassis de Dijon“ und der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung (2)

         EuGH (Rewe-Zentral-AG = „Cassis de Dijon“):
         (8) In Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung der Herstellung und Vermarktung
         von Weingeist (…) ist es Sache der Mitgliedstaaten, alle die Herstellung und Vermarktung
         von Weingeist und alkoholischen Getränken betreffenden Vorschriften für ihr Hoheitsgebiet
         zu erlassen. Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den
         Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung dieser Erzeugnisse
         ergeben, müssen hingenommen werden, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um
         zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer
         wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der
         Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes.

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VI. „Cassis de Dijon“ und der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung (3)

         EuGH (Rewe-Zentral-AG = „Cassis de Dijon“):
         (10) Was den Schutz der öffentlichen Gesundheit anbelangt, legt die deutsche Regierung
         dar, die Festsetzung eines Mindestweingeistgehaltes im nationalen Recht solle die
         Überschwemmung des nationalen Marktes mit alkoholischen Getränken, insbesondere mit
         solchen mäßigen Weingeistgehalts verhindern, denn derartige Erzeugnisse könnten leichter
         zu einer Gewöhnung führen als Getränke mit höherem Weingeistgehalt.
         (11) Solche Erwägungen sind nicht stichhaltig, da dem Verbraucher auf dem Markt ein
         äußerst umfangreiches Angebot unterschiedlicher Erzeugnisse mit geringem oder
         mittlerem Alkoholgehalt zur Verfügung steht und überdies ein erheblicher Teil der auf dem
         deutschen Markt frei gehandelten Getränke mit hohem Weingeistgehalt üblicherweise
         verdünnt genossen wird.

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VI. „Cassis de Dijon“ und der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung (4)

         EuGH (Rewe-Zentral-AG = „Cassis de Dijon“):
         (12) Die deutsche Regierung trägt weiter vor, die Festsetzung eines Mindestweingeistgehalts
         bei bestimmten Likören solle den Verbraucher vor unlauterem Wettbewerb der Hersteller
         oder Händler alkoholischer Getränke schützen. Diese Argumentation stützt sich darauf, dass
         eine Verringerung des Alkoholgehalts bei bestimmten Getränken diesen einen
         Wettbewerbsvorteil gegenüber Getränken mit höherem Alkoholgehalt verschaffen würde,
         da Weingeist aufgrund seiner erheblichen Abgabenbelastung bei weitem der teuerste
         Bestandteil der Getränke sei. Wollte man ferner alkoholische Erzeugnisse zum freien Verkehr
         zulassen, wenn sie hinsichtlich ihres Weingeistgehaltes nur den Bestimmungen des
         Herstellungslandes entsprächen, so hätte dies, wie die deutsche Regierung meint, zur Folge,
         dass sich in der Gemeinschaft als gemeinsamer Standard der niedrigste in irgendeinem
         Mitgliedstaat zulässige Weingeistgehalt durchsetzen würde, ja dass sogar alle
         einschlägigen Bestimmungen hinfällig würden, da die Regelung mehrerer Mitgliedstaaten
         überhaupt keinen Mindestweingeistgehalt kenne.

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VI. „Cassis de Dijon“ und der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung (5)

         EuGH (Rewe-Zentral-AG = „Cassis de Dijon“):
         (13) Wie die Kommission zu Recht ausführt, kann die Festsetzung von Grenzwerten beim
         Weingeistgehalt von Getränken der Standardisierung von Erzeugnissen und ihrer
         Kennzeichnung im Interesse einer größeren Transparenz des Handels und der Angebote
         an die Verbraucher dienen. Andererseits kann man jedoch nicht so weit gehen, die
         zwingende Festsetzung eines Mindestweingeistgehaltes in diesem Bereich als wesentliche
         Garantie eines lauteren Handelsverkehrs zu betrachten, denn eine angemessene
         Unterrichtung der Käufer lässt sich ohne Schwierigkeiten dadurch erreichen, dass man
         die Angabe von Herkunft und Alkoholgehalt auf der Verpackung des Erzeugnisses
         vorschreibt.

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VI. „Cassis de Dijon“ und der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung (6)

         Merke:
         (1)   In „Cassis de Dijon“ wird Art. 34 AEUV eindeutig als Beschränkungsverbot anerkannt.
         (2)   Gleichzeitig schränkt der EuGH das Verbot wieder ein, indem er eine Rechtfertigung
               im Lichte „zwingender Erfordernisse“ des Allgemeinwohls und der Beachtung des
               Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für möglich hält.
         (3)   Die zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls i.S. von „Cassis de Dijon“ sind
               immanente Schranken des Art. 34 AEUV. Die Cassis-Formel sollte daher vor Art. 36
               AEUV geprüft werden.
         (4)   Die vom EuGH genannten Erfordernisse haben nur beispielhaften Charakter
               („insbesondere“). Somit schafft der EuGH im Wege der Negativintegration z.B. die
               Grundlage für eine inhaltliche Verbraucherschutzpolitik. Das Leitbild des
               „informationsbereiten“ Verbrauchers im Gegensatz zum früheren deutschen Leitbild
               des flüchtigen Verbrauchers nimmt hier seinen Ausgangspunkt.

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VI. „Cassis de Dijon“ und der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung (7)

         Folgen:
         In den Folgejahren beschäftigten sich zahlreiche Entscheidungen mit produktbezogenen
         Vorschriften. Der EuGH arbeitet dabei den Vorrang der Verbraucherinformation vor einem
         Vermarktungsverbot noch besser heraus. Dieser Grundsatz entspricht dem
         Herkunftslandprinzip. Damit liegt die Bedeutung der Cassis de Dijon-Rechtsprechung nicht
         nur in der Anerkennung weiterer Rechtfertigungsgründe neben Art. 36 AEUV, sondern vor
         allem in einer Förderung der Warenverkehrsfreiheit (sog. „Negativintegration“).
         Siehe u.a.: EuGH, Kommission gegen Deutschland („Reinheitsgebot für Bier“), Rs. 178/84,
         EU:C:1987:126; EuGH, Kommission gegen Italien („Fettgehalt für Käse“), C-210/89,
         EU:C:1990:357.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (1)

         1. GB-Inno und das Recht auf grenzüberschreitenden Vertrieb
         Fall 14 (EuGH, GB-Inno, C-362/88, EU:C:1990:102):

         Ein in Belgien gelegener Supermarkt verteilt Werbeprospekte auch im benachbarten
         Luxemburg. Eine luxemburgische Verordnung aus dem Jahre 1974 über den unlauteren
         Wettbewerb verbietet es, bei Angeboten, die mit einem Preisnachlass verbunden sind, auf die
         voraussichtliche Dauer des Sonderangebots oder auf die früher erhobenen Verkaufspreise
         hinzuweisen. Der Betreiber des Supermarktes, das belgische Unternehmen GB-Inno, wird in
         Luxemburg durch einen Wettbewerbsverband auf Unterlassung verklagt, da die Werbung der
         GB-Inno gegen das luxemburgische Verbot verstieß. GB-Inno beruft sich auf Art. 34 AEUV.
         Das luxemburgische Gericht legte die Frage nach der Vereinbarkeit einer entsprechenden
         nationalen Verbotsvorschrift mit Art. 34 AEUV dem EuGH zur Entscheidung vor. Luxemburg
         und Deutschland argumentieren vor dem EuGH, dass der Fall nur die Werbung und nicht den
         grenzüberschreitenden Warenverkehr betreffe.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (2)

         1. GB-Inno und das Recht auf grenzüberschreitenden Vertrieb
         Frage: Liegt eine Maßnahme gleicher Wirkung vor?
         EuGH (GB-Inno):

         (7) (…) Wie der Gerichtshof in [Rs. Oosthoek] bereits entschieden hat, können Rechtsvorschriften, die
         bestimmte Formen der Werbung und bestimmte Methoden der Absatzförderung beschränken oder
         verbieten, obwohl sie den Handel nicht unmittelbar regeln, geeignet sein, das Handelsvolumen zu
         beschränken, weil sie die Absatzmöglichkeiten beeinträchtigen.“
         (8) Der freie Warenverkehr betrifft aber nicht nur den gewerblichen Handel, sondern auch
         Privatpersonen. Dies bedeutet, und zwar insbesondere für Grenzgebiete, dass es den in einem
         Mitgliedstaat ansässigen Verbrauchern möglich sein muss, sich frei in das Hoheitsgebiet eines
         anderen Mitgliedstaats zu begeben zu können, um dort unter denselben Bedingungen wie die
         ortsansässige Bevölkerung einzukaufen. Dieses Recht der Verbraucher wird beeinträchtigt,
         wenn ihnen der Zugang zu dem im Einkaufsland erhältlichen Werbematerial verwehrt wird. Ein
         Verbot, derartiges Werbematerial zu verbreiten, muss folglich in den Geltungsbereich der Artikel [34,
         35 und 36 AEUV] fallen.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (3)

         1. GB-Inno und das Recht auf grenzüberschreitenden Vertrieb
         Frage: Ist die Maßnahme gerechtfertigt?
         EuGH (GB-Inno):

         (17) [Es ist] darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein Verbot,
         bestimmte Erzeugnisse in einen Mitgliedstaat einzuführen, gegen [Art. 34 AEUV] verstößt,
         wenn sich das mit diesem Verbot verfolgte Ziel auch durch eine geeignete Etikettierung des
         betreffenden Erzeugnisses erreichen lässt, durch die der Verbraucher die notwendigen
         Angaben erhalten und somit seine Wahl in Kenntnis aller Umstände treffen kann.
         (18) Es erweist sich somit, dass das Gemeinschaftsrecht eines der grundlegenden
         Erfordernisse des Verbraucherschutzes in der Unterrichtung der Verbraucher sieht. [Art. 34
         AEUV] kann daher nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass nationale
         Rechtsvorschriften, die den Verbraucher den Zugang zu bestimmten Informationen
         verwehren, durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes gerechtfertigt
         werden könnten.“

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (4)

         1. GB-Inno und das Recht auf grenzüberschreitenden Vertrieb
         Siehe schon vorher: EuGH, Oosthoek, Rs. 286/81, EU:C:1982:438 (zur Anwendbarkeit des
         niederländischen Verbots von Zugaben beim Import von Lexika aus Belgien).
         Siehe auch: EuGH, Yves Rocher, C-126/91, EU:C:1993:191: Der EuGH überträgt die
         Rechtsprechung in GB-Inno auf den deutschen § 6e UWG a.F. für den Fall eines französischen
         Unternehmens, das in Deutschland Kosmetika über Kataloge vertreibt. § 6e UWG verbietet den
         blickfangmäßigen Eigenpreisvergleich.

         Fragen:
          Ist GB-Inno ein grenzüberschreitender Fall, der unter Art. 34 AEUV fallen sollte?
          Wie wäre der Fall - nach GB-Inno - zu entscheiden, wenn sich der werbende Supermarkt im
            selben Land befinden würde, wie die umworbenen Verbraucher?

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (5)

         2. Fälle ohne konkreten Auslandsbezug (Sunday Trading Cases)
         Fall 15 (EuGH, Torfaen, Rs. 145/88, EU:C:1989:593):
         In Großbritannien ist nach dem Shops Act 1950 der Verkauf von bestimmten Waren an
         Sonntagen verboten. Ein Garten- und Heimwerkermarkt, dessen Umsatz in Höhe von 10 % auf
         Waren aus anderen Mitgliedstaaten zurückgeht, verstößt gegen dieses Verbot und beruft sich
         im folgenden Prozess auf Art. 34 AEUV. Der freie Warenverkehr sei beeinträchtigt, da ohne das
         Sonntagsverkaufsverbot möglicherweise mehr Waren aus anderen Mitgliedstaaten abgesetzt
         werden könnten. Der EuGH wird angerufen, um die Vereinbarkeit eines solchen
         Sonntagkaufverbots mit Art. 34 AEUV zu überprüfen.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (6)

         2. Fälle ohne konkreten Auslandsbezug (Sunday Trading Cases)
         EuGH (Torfaen):
         (11) Zunächst ist festzustellen, dass innerstaatliche Regelungen, die es den Einzelhändlern
         verbieten, ihre Geschäfte sonntags offen zu halten, in gleicher Weise für eingeführte und
         inländische Erzeugnisse gelten. Grundsätzlich wird also der Vertrieb von aus anderen
         Mitgliedstaaten eingeführten Erzeugnissen nicht stärker erschwert als der von
         einheimischen Erzeugnissen.
         (12) (…) [E]in solches Verbot [ist] nur dann mit dem im Vertrag niedergelegten Grundsatz des
         freien Warenverkehrs vereinbar, wenn die etwaigen Behinderungen des
         innergemeinschaftlichen Handels, die sich aus [der] Anwendung [der nationalen] ergeben
         können, nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu
         erreichen und wenn dieses Ziel nach Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt ist.

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         2. Fälle ohne konkreten Auslandsbezug (Sunday Trading Cases)
         Frage: Wird ein unionsrechtlich gerechtfertigtes Ziel verfolgt?
         EuGH (Torfaen):
         (13) (…) Hierzu hat der Gerichtshof bereits in [der Rechtssache Oebel] entschieden, dass eine
         innerstaatliche Regelung der Arbeits-, Liefer- und Verkaufszeiten des Bäcker- und
         Konditorgewerbes eine berechtigte wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidung
         darstellt, die den im allgemeinen Interesse liegenden Zielen entspricht.
         (14) Diese Überlegung gilt auch für die innerstaatlichen Regelungen der Verkaufszeiten im
         Einzelhandel. Solche Regelungen sind Ausdruck bestimmter politischer und wirtschaftlicher
         Entscheidungen, da sie eine Verteilung der Arbeitszeiten und der arbeitsfreien Zeiten
         sicherstellen sollen, die den landesweiten oder regionalen sozialen und kulturellen
         Besonderheiten angepasst ist, deren Beurteilung beim gegenwärtigen Stand des
         Gemeinschaftsrechts Sache der Mitgliedstaaten ist. Überdies sind derartige Regelungen
         nicht dazu bestimmt, die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (8)

         2. Fälle ohne konkreten Auslandsbezug (Sunday Trading Cases)
         Ähnliche Fälle:
         EuGH (Oebel, Rs. 155/80, EU:C:1981:177): Deutsches Nachtbackverbot
         EuGH (Blesgen, Rs. 75/81, EU:C:1982:117): Belgisches Verbot, Alkohol an öffentlich
         zugänglichen Orten auszuschenken
         EuGH (Quietlynn, C-23/89, EU:C:1990:300): Verbot des Verkaufs von Sexartikeln in nicht
         konzessionierten Geschäften

         Folge: Vehemente Kritik des Schrifttums an der inkonsistenten Rechtsprechung; siehe
         insbes. White, 26 C.M.L. Rev. 235 (1989)

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (9)

         4. Einschränkung/Konkretisierung der Rechtsprechung in „Keck“ (1993)
         Fall 16 (Keck und Mithouard, C-267 und 268/91, EU:C:1993: EU:C:1993:905):
         Das französische Recht verbietet dem Einzelhandel den Verkauf unter Einstandspreis (vente à
         perte). Zwei Einzelhändler (Keck und Mithouard) aus dem Elsass werden wegen eines
         Verstoßes gegen dieses Verbot angeklagt. Sie berufen sich auf Art. 34 AEUV. Der Verkauf unter
         Einstandspreis sei ein Mittel den Verkauf generell zu fördern. Über den höheren Warenumsatz
         werde auch der Absatz von Waren aus anderen Mitgliedstaaten gefördert.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (10)

         4. Einschränkung/Konkretisierung der Rechtsprechung in „Keck“ (1993)
         EuGH (Keck und Mithouard):
         (12) Nationale Vorschriften, die den Weiterverkauf zum Verlustpreis allgemein verbieten,
         bezwecken keine Regelung des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten.
         (13) Zwar können solche Rechtsvorschriften das Absatzvolumen und damit das Volumen des
         Absatzes von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten insoweit beschränken, als sie den
         Wirtschaftsteilnehmern eine Methode der Absatzförderung nehmen. Es ist jedoch fraglich, ob
         diese Möglichkeit ausreicht, um die in Rede stehenden Rechtsvorschriften als eine Maßnahme
         mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung anzusehen.“
         (14) Da sich die Wirtschaftsteilnehmer immer häufiger auf [Art. 34 AEUV] berufen, um
         jedwede Regelung zu beanstanden, die sich als Beschränkung ihrer geschäftlichen Freiheit
         auswirkt, auch wenn sie nicht auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten gerichtet ist, hält es
         der Gerichtshof für notwendig, seine Rechtsprechung auf diesem Gebiet zu überprüfen
         und klarzustellen.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (11)

         4. Einschränkung/Konkretisierung der Rechtsprechung in „Keck“ (1993)
         EuGH (Keck und Mithouard):
         (15) Nach dem Urteil Cassis de Dijon (…) stellen Hemmnisse für den freien Warenverkehr, die
         sich in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften daraus ergeben, dass
         Waren aus anderen Mitgliedstaaten, die dort rechtmäßig hergestellt und in Verkehr gebracht
         worden sind, bestimmten Vorschriften entsprechen müssen (wie hinsichtlich ihrer
         Bezeichnung, ihrer Form, ihren Abmessungen, ihres Gewichts, ihrer Zusammensetzung, ihrer
         Aufmachung, ihrer Etikettierung und ihrer Verpackung) selbst dann, wenn diese Vorschriften
         unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten, nach [Art. 34 AEUV] verbotene Maßnahmen
         gleicher Wirkung dar, sofern sich die Anwendung dieser Vorschriften nicht durch einen Zweck
         rechtfertigen lässt, der im Allgemeininteresse liegt und den Erfordernissen des freien
         Warenverkehrs vorgeht.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (12)

         4. Einschränkung/Konkretisierung der Rechtsprechung in „Keck“ (1993)
         EuGH (Keck und Mithouard):
         (16) Demgegenüber ist entgegen der bisherigen Rechtsprechung die Anwendung nationaler
         Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf
         Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel im Sinne [des Urteils in
         „Dassonville“] unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese
         Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland
         ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus
         anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren.
         (17) Sind diese Voraussetzungen nämlich erfüllt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den
         Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten
         Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu
         versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese
         Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich des [Art. 34 AEUV].

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (13)

         4. Einschränkung/Konkretisierung der Rechtsprechung in „Keck“ (1993)
         Siehe auch EuGH, Hünermund, C-292/92, EU:C:1993:932:
         In dieser Entscheidung hatte der EuGH über Standesregeln der Apothekerkammer Baden-
         Württemberg zu entscheiden. Diese enthielten ein Verbot der Werbung außerhalb von
         Apotheken für apothekenübliche Waren. Der Generalanwalt Tesauro gibt noch vor der
         Entscheidung in Keck seine Stellungnahme ab und bereitet damit Keck vor. In Hünermund wird
         später unter Berufung auf Keck eine Maßnahme gleicher Wirkung abgelehnt.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (14)

         5. Geltungsumfang der Keck-Entscheidung
         Zweifelhaft: Fälle grenzüberschreitenden Vertriebs

         Schlussantrag Tesauro: „Oosthoek“, „GB-Inno“ und „Yves Rocher“ bilden eine von
         verschiedenen Gruppen von Fällen innerhalb einer in sich inkonsistenten Rechtsprechung.
         Tesauro macht nicht deutlich, ob er auch diese Fälle anders entscheiden würde.

         Joliet, GRUR Int. 1994, 979, 983: Die Richter am EuGH dachten vor allem an die Sunday
         Trading Cases. Mit der Keck-Entscheidung wollten sie dem Vorwurf der fehlenden Systematik
         begegnen. In„Keck“ sah sich der EuGH nicht in der Lage, alle früheren Fälle neu zu beurteilen.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (15)

         6. Begriff der „Verkaufsmodalitäten“
         Merke: Einzuordnen ist die Wirkung einer Vorschrift für den konkreten Fall. Bestimmte
         Vorschriften (Vorschriften mit Doppelcharakter) – wie etwa das Irreführungsverbot – können
         sich in einem Fall produktbezogen, in einem anderen Fall vertriebsbezogen auswirken.
         Siehe EuGH, Clinique, C-315/92, EU:C:1994:34: Behandelt ein nationales Recht die
         Produktbezeichnung „Clinique“ für kosmetische Produkte als irreführend, liegt darin ein Verstoß
         gegen die Warenverkehrsfreiheit.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (16)

         7. Die Keck-Formel als materieller Diskriminierungstest
         Keck-Formel: Regelungen über Verkaufsmodalitäten fallen nicht unter Art. 34 AEUV, es
         sei denn sie führen
               (1)   zu einer zumindest tatsächlichen Diskriminierung von Unternehmen aus
                     dem Ausland, die im Inland tätig werden, oder
               (2)   zu einer rechtlichen oder tatsächlichen Diskriminierung von Waren aus dem
                     Ausland beim Marktzutritt.

         Merke:
         (1)   Keck reduziert Art. 34 AEUV bei Verkaufsmodalitäten zu einem materiellen
               Diskriminierungsverbot
         (2)   Bei Verkaufsmodalitäten obliegt die Darlegungslast für den Verstoß demjenigen, der
               sich auf einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit beruft

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (17)

         8. Entscheidungen nach „Keck“ ohne Rechtfertigungsprüfung (kein Verstoß)

         EuGH, Tankstation `t Heukske, C-401/92, EU:C:1994:220: Niederländische
         Ladenschlussregelung.

         EuGH, Punto Casa, C-69/93, EU:C:1994:226: Italienische Ladenschlussregelung.

         EuGH, Leclerc-Siplec, C-412/93, EU:C:1995:26: Französisches Verbot der Werbung für den
         bloßen Warenvertrieb (Werbung eines Supermarktes für Tanken).

         EuGH, Kommission gegen Griechenland, C-391/92, EU:C:1995:199: Griechisches Verbot
         des Verkaufs von Milchprodukten für Säuglinge außerhalb von Apotheken.

         EuGH, Groupement national des négociants, C-63/94, EU:C:1995:270: Belgisches Verbot
         des Verkaufs zu äußerst geringer Gewinnspanne.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (18)

         9. Art. 34 AEUV und nationales Lauterkeits- und Werberecht

         EuGH, Clinique, C-315/92, EU:C:1994:34: Anwendbarkeit von Art. 34 AEUV auf nationale
         Werbebeschränkungen (Irreführungsverbot), die den Produktnamen betreffen.

         EuGH, Mars, C-470/93, EU:C:1995:224: Anwendbarkeit von Art. 34 AEUV auf nationale
         Werbebeschränkungen (Irreführungsverbot), die die Produktaufmachung betreffen.

         EuGH, Vereinigte Familiapress, C-368/95, EU:C:1997:325: Anwendbarkeit von Art. 34 AEUV
         auf ein nationales Werbeverbot (Preisrätsel), soweit es die Warenverkehrsfreiheit einer
         Zeitschrift beschränkt, die eine verbotene Werbung enthält.

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         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung

         Fall 17 (EuGH, De Agostini, C-34/95, EU:C:1997:344):
         Das britische Fernsehunternehmen TV3 strahlt Fernsehsendungen über Satellit nach
         Dänemark, Schweden und Norwegen aus. Die schwedische De Agostini-Verlagsgesellschaft,
         lässt in TV3 einen Werbespot für ihre schwedischsprachige Kinderzeitschrift zeigen, wobei der
         Druck in Italien, dem Land des Mutterunternehmens, erfolgt. Schwedisches Recht untersagt
         allgemein Werbung, die sich an Kinder unter 12 Jahre richtet. Der schwedische
         Konsumentenombudsman klagt gegen De Agostini vor schwedischen Gerichten auf
         Unterlassung der Werbung. Nach der früheren Fernseh-Richtlinie 89/552 (jetzt RL über
         audiovisuelle Mediendienste) richtet sich die Ausübung der Sendetätigkeit ausschließlich nach
         dem Recht des Sendestaates (Art. 2), wobei die Richtlinie gleichzeitig die
         Mindestanforderungen an die Kontrolle von Sendeinhalten, auch hinsichtlich der Werbung, trifft.
         De Agostini behauptet einen Verstoß gegen die Richtlinie sowie eine Verletzung von Art. 34 und
         56 AEUV. Der Fall wird dem EuGH vorgelegt. Liegt ein Verstoß gegen Art. 34 AEUV vor?
         
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         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung

         EuGH (De Agostini):
         (40) In [Keck] hat der Gerichtshof festgestellt, dass nationale Maßnahmen, die bestimmte
         Verkaufsmodalitäten verbieten, nicht unter Art. [34 AEUV] fallen, sofern sie für alle
         betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie
         den Absatz der inländischen Erzeugnissen und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten
         rechtliche wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren.
         (41) Die erste Voraussetzung ist in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten offenkundig erfüllt.
         (42) Hinsichtlich der zweiten Voraussetzung lässt sich nicht ausschließen, dass das
         vollständige Verbot einer Form der Förderung des Absatzes eines Erzeugnisses in einem
         Mitgliedstaat, das dort regelmäßig verkauft wird, stärkere Auswirkungen auf Erzeugnisse aus
         anderen Mitgliedstaaten hat.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (21)

         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung

         EuGH (De Agostini):
         (44) Somit fällt das vollständige Verbot von Werbung, die an Kinder unter zwölf Jahren gerichtet
         (...) ist, nicht unter Art. [34 AEUV], sofern nicht nachgewiesen wird, dass dieses Verbot
         den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen
         Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich nicht in gleicher Weise berührt.
         (45) Sollte dies der Fall sein, müsste das vorlegende Gericht prüfen, ob das Verbot aus
         zwingenden Gründen des Allgemeininteresses oder zur Erreichung eines der in [Art. 30 EG;
         Art. 36 AEUV] genannten Ziele erforderlich ist, ob es hierzu in einem angemessenen Verhältnis
         steht und ob diese Ziele oder zwingenden Gründe nicht durch Maßnahmen hätten erreicht
         werden können, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beeinträchtigen.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (22)

         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung

         Merke:   Seit De Agostini steht fest, dass die Anwendung von Vorschriften über
                  Verkaufsmodalitäten, die in den Anwendungsbereich des Art. 34 AEUV fallen,
                  nach den Grundsätzen der Cassis-Rechtsprechung gerechtfertigt werden
                  können. Folglich ist u.U. nach Prüfung der Keck-Formel noch die Cassis-Formel zu
                  prüfen.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (23)

         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung

         Fall 18 (EuGH, Gourmet International, C-405/98, EU:C:2001:135): Schwedisches Recht
         verbietet generell Werbung für alkoholische Getränke (über 2,25 Volumenprozent) gegenüber
         Verbrauchern, u.a. auch in Zeitungen und Zeitschriften. Gourmet gibt eine Zeitschrift mit
         entsprechendem Titel heraus, die zu 90 % von Gewerbetreibenden und nur zu 10 % von
         Verbrauchern abonniert wird. Ein Exemplar enthielt auch Werbung für alkoholische Getränke.
         Hiergegen klagt der schwedische Ombudsman auf Unterlassung. Gourmet beruft sich auf
         Unionsrecht. Der Fall wird dem EuGH vorgelegt.

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         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung
         EuGH (Gourmet International):
         (21) Ohne dass eine genaue Untersuchung der die Lage in Schweden kennzeichnenden
         tatsächlichen Umstände nötig wäre – diese Untersuchung obläge dem nationalen Gericht –
         kann festgestellt werden, dass bei Erzeugnissen wie den alkoholischen Getränken, deren
         Genuss mit herkömmlichen gesellschaftlichen Übungen sowie örtlichen Sitten und Gebräuchen
         verbunden ist, ein Verbot jeder an die Verbraucher gerichtete Werbung durch Anzeigen in
         der Presse oder Werbeeinblendungen in Rundfunk und Fernsehen, durch Direktversand nicht
         angeforderten Materials oder durch Plakatieren an öffentlichen Orten geeignet ist, den
         Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker zu behindern, als es
         dies für inländische Erzeugnisse tut, mit denen der Verbraucher besser vertraut ist.
         (25) Ein Werbeverbot von der Art desjenigen, um das es im Ausgangsverfahren geht,
         beeinträchtigt somit die Vermarktung von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten stärker als
         diejenige inländischer Erzeugnisse und stellt daher ein Hemmnis für den Handelsverkehr
         zwischen den Mitgliedstaaten dar, das in den Anwendungsbereich des [Art. 34 AEUV] fällt.
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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (25)

         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung
         EuGH (Gourmet International):
         (26) Ein derartiges Hemmnis lässt sich jedoch mit dem Gesundheitsschutz rechtfertigen, der
         zu den in [Art. 34 AEUV] anerkannten Gründen des Allgemeininteresses gehört.
         (33) Für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des im Ausgangsverfahren streitigen
         Werbeverbots insbesondere zu der Frage, ob das angestrebte Ziel durch Verbote oder
         Beschränkungen erreicht werden könnte, die weniger umfangreich sind oder den
         innergemeinschaftlichen Handel weniger beeinträchtigen, bedarf es der Untersuchung der
         rechtlichen und tatsächlichen Umstände, die die Lage in dem betroffenen Mitgliedstaat
         kennzeichnen und die durchzuführen das vorlegende Gericht besser in der Lage ist als der
         Gerichtshof.

         Merke: Absolute Werbeverbote für bestimmte Produktgruppen unterliegen dem Art. 34
         AEUV, können aber u.U. gerechtfertigt werden.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (26)

         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung
         Fall 19 (EuGH, A-Punkt Schmuckhandel, C-441/04, Slg. 2006, I-2093):
         Frau Schmidt betreibt von Deutschland aus einen Haustürvertrieb von niedrigpreisigen
         Schmuckwaren. Im Dezember 2003 veranstaltet Schmidt eine „Schmuckparty“ in einem
         privaten Haushalt im österreichischen Klagenfurt. Ein Wettbewerber erhebt gegen diese Praktik
         Unterlassungsklage. Nach österreichischem Recht ist der Haustürvertrieb von Silberschmuck
         gewerberechtlich untersagt; in Deutschland ist er dagegen zulässig. Das nationale Gericht legt
         dem EuGH die Frage nach der Vereinbarkeit des Verbots mit Art. 34 AEUV vor.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (27)

         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung
         EuGH (A-Punkt Schmuckhandel, C-441/04):
         (17) Wie aus Randnummer 9 des Urteils [Keck] hervorgeht, betrifft die in Rede stehende
         nationale Regelung über das Verbot des Vertriebs im Wege von Haustürgeschäften eine
         Vertriebsmethode. Es steht fest, dass sie nicht eine Regelung des Warenverkehrs zwischen
         den Mitgliedstaaten bezweckt. Doch fällt sie nur dann nicht unter das Verbot des Art. 34
         AEUV, wenn sie die beiden in Randnummer 15 des vorliegenden Urteils genannten
         Voraussetzungen erfüllt.
         (18) Was die erste Voraussetzung angeht, so gilt § 57 GewO offenbar für alle betroffenen
         Wirtschaftsteilnehmer, die ihre Tätigkeit in Österreich ausüben, ungeachtet ihrer
         Staatsangehörigkeit. (…)
         (19) In Bezug auf die zweite Voraussetzung steht fest, dass die Regelung über das Verbot des
         Vertriebs von Schmuck im Wege von Haustürgeschäften nicht nach dem Ursprung der
         fraglichen Erzeugnisse unterscheidet.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (28)

         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung
         EuGH (A-Punkt Schmuckhandel, C-441/04):
         (20) Sodann ist zu prüfen, ob das allgemeine Verbot, im Wege von Haustürgeschäften
         Silberschmuck zu vertreiben oder Bestellungen auf Silberschmuck zu sammeln, nicht
         tatsächlich geeignet ist, den Marktzugang betroffener Erzeugnisse aus anderen
         Mitgliedstaaten stärker zu behindern als den inländischer Erzeugnisse.
         (21) Eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende ist
         grundsätzlich geeignet, das Gesamtvolumen des Absatzes der in dem betreffenden
         Mitgliedstaat erfassten Erzeugnisse zu beschränken und kann folglich das Absatzvolumen
         dieser Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Eine solche Feststellung
         kann jedoch nicht ausreichen, um die genannte Bestimmung als Maßnahme gleicher Wirkung
         anzusehen (…).

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (29)

         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung
         EuGH (A-Punkt Schmuckhandel, C-441/04):
         (24) In dieser Hinsicht steht fest, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verbot
         nicht alle Formen des Vertriebs der betroffenen Waren erfasst, sondern nur eine davon,
         und daher die Möglichkeit nicht ausschließt, diese Waren im Gebiet des betreffenden Staates
         mit anderen Methoden zu vertreiben.
         (25) Der Gerichtshof kann jedoch anhand der ihm zur Verfügung stehenden Angaben nicht mit
         Sicherheit entscheiden, ob das in § 57 GewO vorgesehene Verbot des Vertriebs im Wege
         von Haustürgeschäften den Vertrieb der aus anderen Mitgliedstaaten als Österreich
         stammenden Erzeugnisse stärker berührt als den der Erzeugnisse aus Österreich. Unter
         solchen Umständen ist es daher Sache des vorlegenden Gerichts, insbesondere im Licht der
         in den Randnummern 20 bis 24 des vorliegenden Urteils entwickelten Überlegungen zu prüfen,
         ob diese Voraussetzung erfüllt ist.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (30)

         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung
         EuGH (A-Punkt Schmuckhandel, C-441/04):
         (26) Stellt das vorlegende Gericht nach dieser Prüfung fest, dass das in § 57 GewO
         vorgesehene Verbot die Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten im Hinblick auf den Zugang
         zum inländischen Markt mehr berührt als die inländischen Erzeugnisse, so hat es zu klären, ob
         dieses Verbot durch ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel im Sinne der durch das Urteil
         vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 (Rewe-Zentral, „Cassis de Dijon“, Slg. 1979,
         649) begründeten Rechtsprechung oder eines der in Artikel 30 EG/Art. 36 AEUV genannten
         Ziele gerechtfertigt ist und ob es zur Verwirklichung dieses Zieles erforderlich ist und dazu in
         einem angemessenen Verhältnis steht.
         (27) Insofern kann der Verbraucherschutz einen Rechtfertigungsgrund für das im
         Ausgangsverfahren in Rede stehende Verbot unter der doppelten Voraussetzung darstellen,
         dass dieses Verbot geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten Zieles zu gewährleisten, und
         nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

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VII. Art. 34 AEUV und Vermarkungsvorschriften (31)

         10. Prüfung der materiellen Diskriminierung und Rechtfertigungsprüfung
         EuGH (A-Punkt Schmuckhandel, C-441/04):
         (28) Die Beurteilung muss das Schutzniveau berücksichtigen, das für die Verbraucher nach
         der Richtlinie 85/577 im Rahmen des Vertriebs der betroffenen Erzeugnisse und des
         Sammelns von Bestellungen auf diese Erzeugnisse besteht.
         (29) Bei dieser Prüfung sind auch die Besonderheiten, die mit dem Vertrieb von Silberschmuck
         im Wege von Haustürgeschäften verbunden sind, zu berücksichtigen, insbesondere die
         möglicherweise größere Gefahr einer Irreführung der Verbraucher, die auf mangelnder
         Information, der nicht vorhandenen Möglichkeit eines Preisvergleichs, ungenügenden Garantien
         in Bezug auf die Echtheit der Schmuckstücke und dem psychologischen Kaufdruck beruht, der
         bei einem im privaten Rahmen veranstalteten Verkauf höher ist.

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VIII. Art. 34 AEUV, „Keck“ und Verwendungsbeschränkungen (1)

         Problem: Sollte neben den Fällen der „Verkaufsmodalitäten“ (Keck) auch jene der
         „Verwendungsbeschränkungen“ anerkannt werden, in denen die Dassonville-Formel auf ein auf
         Marktzutrittsbeschränkungen reduziertes Diskriminierungsverbot beschränkt werden sollte?

         Beispiel aus der Rechtsprechung:
         EuGH, Kommission gegen Portugal, C-265/06, EU:C:2008:210:
         Portugiesisches Verbot der Verwendung von farbigen Folien auf den Windschutzscheiben von
         Kraftfahrzeugen: Der EuGH bejaht ohne Diskussion eine Maßnahme gleicher Wirkung und prüft
         die Rechtfertigung.

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VIII. Art. 34 AEUV, „Keck“ und Verwendungsbeschränkungen (2)

         GA Kokott, Rs. C-142/05, Mickelsson, EU:C:2006:782 (Verbot der Nutzung von
         Wassermotorrädern):
                Vorschlag, Regelungen von „Nutzungsmodalitäten“ gemäß Keck wie solche von
                 „Verkaufsmodalitäten zu behandeln
               Grund: In beiden Fällen greift die Regelung erst nach Einfuhr des Produkts. Erst die
               Entscheidung des potenziellen Käufers wirkt negativ auf die Einfuhr zurück. Die
               Regelung bezweckt keine Regelung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten.

         Noch bevor der EuGH den Fall entscheidet, erhält er in der Rs. C-110/05, Kommission gegen
         Italien („Italienisches Anhängerverbot“), Gelegenheit, Stellung zu beziehen.

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VIII. Art. 34 AEUV, „Keck“ und Verwendungsbeschränkungen (3)

         Fall 20 (EuGH, Rs. C-110/05, Kommission gegen Italien, EU:C:2006:782 – „Italienisches
         Anhängerverbot“):

         Die Kommission erhebt eine Vertragsverletzungsklage gegen Italien mit der Begründung, Italien
         habe mit der Regelung der Straßenverkehrsordnung, die das Ziehen von Anhängern durch
         Krafträder, dreirädrige und kleine vierrädrige Kraftfahrzeuge (sog. „Kradfahrzeuge“) verbietet,
         gegen Art. 34 AEUV verstoßen.

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VIII. Art. 34 AEUV, „Keck“ und Verwendungsbeschränkungen (4)

         EuGH („Italienisches Anhängerverbot“):
         (34) Aus ebenfalls ständiger Rechtsprechung geht hervor, dass [Art. 34 AEUV] die Verpflichtung
              widerspiegelt, sowohl die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der gegenseitigen
              Anerkennung von Erzeugnissen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig
              hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden, einzuhalten als auch Erzeugnissen
              aus der Gemeinschaft einen freien Zugang zu den nationalen Märkten zu
              gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juli 1983, Sandoz, 174/82, Slg. 1983,
              2445, Randnr. 26, vom 20. Februar 1979, Rewe-Zentral, „Cassis de Dijon“, 120/78, Slg.
              1979, 649, Randnrn. 6, 14 und 15, und Keck und Mithouard, Randnrn. 16 und 17). (…)
         (37) Daher sind Maßnahmen eines Mitgliedstaats, mit denen bezweckt oder bewirkt wird,
              Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln, sowie die in
              Randnr. 35 des vorliegenden Urteils genannten Maßnahmen als Maßnahmen mit gleicher
              Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen in Sinne des [Art. 34 AEUV]
              anzusehen. Ebenfalls unter diesen Begriff fällt jede sonstige Maßnahme, die den
              Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten
              behindert.

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VIII. Art. 34 AEUV, „Keck“ und Verwendungsbeschränkungen (5)

         EuGH („Italienisches Anhängerverbot“):
         (52) Was erstens die Anhänger betrifft, die nicht eigens für Kradfahrzeuge konzipiert sind,
         sondern an Kraftwagen oder andere Fahrzeuge angehängt werden sollen, so hat die
         Kommission nicht nachgewiesen, dass das in Art. 56 der Straßenverkehrsordnung
         vorgesehene Verbot den Marktzugang für diese Anhängertypen versperrt.
         (54) Zweitens bleibt die von der Kommission geltend gemachte Vertragsverletzung im Hinblick
         auf die Anhänger zu prüfen, die eigens zum Anhängen an Kradfahrzeuge konzipiert und in
         anderen Mitgliedstaaten als der Italienischen Republik rechtmäßig hergestellt und in den
         Verkehr gebracht worden sind.
         (55) Die Kommission hat (…) vorgetragen, dass die Möglichkeiten, eigens für Kradfahrzeuge
         konzipierte Anhänger anders als zusammen mit Kradfahrzeugen verwenden, äußerst
         gering seien. (…).
         (56) Hierzu ist festzustellen, dass ein Verbot der Verwendung eines Erzeugnisses im
         Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erheblichen Einfluss auf das Verhalten der Verbraucher hat,
         das sich wiederum auf den Zugang des Erzeugnisses zum Markt des Mitgliedstaats
         auswirkt.
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VIII. Art. 34 AEUV, „Keck“ und Verwendungsbeschränkungen (6)

         EuGH („Italienisches Anhängerverbot“):
         (57) Denn die Verbraucher (…) haben praktisch kein Interesse daran, einen solchen Anhänger
         zu kaufen (vgl. entsprechend zum Verbot, farbige Folien an der Windschutzscheibe von
         Kraftwagen zu befestigen, Urteil vom 10. April 2008, Kommission/Portugal, C-265/06,
         Slg. 2008, I-2245, Randnr. 33). Damit verhindert Art. 56 der Straßenverkehrsordnung die
         Nachfrage nach derartigen Anhängern auf dem betreffenden Markt und behindert somit
         deren Einfuhr.
         (59) Ein solches Verbot kann durch einen der in [Art. 36 AEUV] aufgezählten Gründe des
         Gemeinwohls oder durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt sein (…). In beiden Fällen
         muss die nationale Maßnahme geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu
         gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was dazu erforderlich ist (…).
         (60) Im vorliegenden Fall begründet die Italienische Republik das Verbot mit dem Erfordernis,
         die Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten, was nach der Rechtsprechung einen
         zwingenden Grund des Gemeinwohls darstellt, der geeignet ist, eine Behinderung des freien
         Warenverkehrs zu rechtfertigen (…).

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VIII. Art. 34 AEUV, „Keck“ und Verwendungsbeschränkungen (7)

         EuGH („Italienisches Anhängerverbot“):
         (64) Hierzu ist festzustellen, dass das Verbot geeignet ist, das angestrebte Ziel der
         Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs zu erreichen.
         (65) Was zum anderen die Beurteilung der Erforderlichkeit dieses Verbots angeht, so kann
         der Mitgliedstaat nach der in Randnr. 61 des vorliegenden Urteils angeführten
         Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich der Sicherheit des Straßenverkehrs
         entscheiden, auf welchem Niveau er diese Sicherheit gewährleisten will und wie dieses
         Niveau erreicht werden soll. Da dieses Niveau von einem Mitgliedstaat zum anderen
         abweichen kann, ist den Mitgliedstaaten ein Beurteilungsspielraum zuzuerkennen. Folglich
         bedeutet der Umstand, dass ein Mitgliedstaat weniger strenge Vorschriften erlässt als ein
         anderer Mitgliedstaat, nicht, dass dessen Vorschriften unverhältnismäßig sind (…).
         (69) Daher ist festzustellen, dass das für Kradfahrzeuge geltende Verbot, einen Anhänger
         mitzuführen, der eigens für sie konzipiert ist und in anderen Mitgliedstaaten als der
         Italienischen Republik rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden ist, aus
         Gründen des Schutzes der Sicherheit des Straßenverkehrs gerechtfertigt ist.

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