Wahlen in Spanien 2015 - Das Ende des Zweiparteiensystems

Die Seite wird erstellt Judith Römer
 
WEITER LESEN
INTERNATIONALE POLITIKANALYSE

                   Wahlen in Spanien 2015
                         Das Ende des Zweiparteiensystems

                                                                 MICHAEL EHRKE
                                                                      März 2015

„„ 2015 ist für Spanien ein Wahljahr. Im März wird ein neues Regionalparlament in
   Andalusien gewählt, im Mai folgen landesweite Kommunalwahlen sowie Parlaments­
   wahlen in 13 der 17 autonomen Regionen, im September wählen die Katalanen das
   Parlament ihrer autonomen Region. Parlamentswahlen auf nationaler Ebene bilden
   im November den Abschluss.

„„ Spanien hatte seit 1982 ein stabiles Zweiparteiensystem, dominiert von der sozia­
   listischen PSOE und der konservativen Volkspartei (PP). Dies liegt nicht zuletzt am
   spanischen Wahlsystem, das zwei große Parteien begünstigt. 2015 sind jedoch zwei
   neue Parteien hinzugekommen, die das Zweiparteiensystem und dessen Repräsen­
   tanten bekämpfen wollen: Die linkspopulistische Podemos (»Wir können es«) und
   die konservative Partei Ciudadanos (»Bürger«).

„„ Die Regionalwahlen in Andalusien sind von besonderer politischer Bedeutung, da
   die neue Kräftekonstellation hier zum ersten Mal getestet wird. Die Wahlergebnisse
   in Andalusien und die Bildung einer neuen Regionalregierung könnten ein Muster
   abgeben, an dem sich die späteren Wahlen und Regierungsbildungen orientieren.
   In den Regionalwahlen in Katalonien dagegen dürfte auch über die staatliche Un­
   abhängigkeit dieser Region entschieden werden.
Michael Ehrke | Wahlen in Spanien 2015

Inhalt

         1. Das spanische Wahlsystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     2

         2. Autonomie-Wahlen in Andalusien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           3

         3. Autonomie-Wahlen in Katalonien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          4

         4. Das Ende der Gewissheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    5

                                                       1
Michael Ehrke | Wahlen in Spanien 2015

Wäre das Wort nicht so blöd, könnte man es auf das Jahr           oder die Europäische Union verstanden wird, sondern
2015 in Spanien gut anwenden: 2015 wird ein »Super­               das »Regime von 1978«, die Institutionen also, die aus
wahljahr«. Die wichtigste Wahl wird die des nationalen            dem Übergang von der Franco-Diktatur zur Demokratie
Parlaments sein, die im November ansteht. Dem gehen               hervorgegangen waren. Hier steht an erster Stelle das
im Mai die Gemeindewahlen sowie die regulären Wahlen              etablierte Zweiparteiensystem. Ein zweiter, im Augen­
der Parlamente in 13 der 17 autonomen Regionen des                blick noch schwächerer, in den Umfragen aber schnell
Landes voraus. Hiervon sind die drei »historischen« Re­           wachsender Konkurrent von PSOE und PP bildet sich mit
gionen (Katalonien, Galizien und das Baskenland) sowie            Ciudadanos (»Bürger«) heraus, der landesweiten Version
Andalusien ausgenommen; regulär würden Wahlen hier                der ursprünglich katalanischen Partei Ciutadans, die sich
erst 2016 stattfinden, in zwei der vier Ausnahmefällen            explizit als Gegengewicht gegen den katalanischen Na­
wurden sie aber vorverlegt: In Andalusien auf den März            tionalismus versteht. Auf nationaler Ebene tritt die als
und in Katalonien auf den September des Jahres. Hinzu             konservativ eingestufte Ciudadanos ebenfalls als Gegner
kommen aller Wahrscheinlichkeit nach offene Vorwahlen             des Zweiparteiensystems auf; in der Rangliste der Par­
in der Sozialistischen Partei (PSOE), in denen Mitglieder         teien besetzt sie den vierten Platz.
und Sympathisanten den Spitzenkandidaten für die nati­
onalen Parlamentswahlen bestimmen; diese werden für               Opfer des schnellen Aufstiegs von Podemos und
den Juli, also zwischen den Autonomie- und Gemeinde­              Ciudadanos sind nicht nur die beiden großen, sondern
wahlen und den Parlamentswahlen, erwartet.                        auch die beiden kleineren Parteien, die bislang auf na­
                                                                  tionaler Ebene angetreten waren, die von den Kommu­
Die Wahlen des Jahres 2015 sind nicht nur deshalb von             nisten dominierte Vereinigte Linke (IU) und die 2004
Bedeutung, weil sie innerhalb des gegebenen Wahlsys­              gegründete liberale Partei für Fortschritt und Demokratie
tems die relative Stärke der Parteien messen und hiervon          (UPyD). Beide waren die Opfer des spanischen Wahlsys­
ausgehend die Besetzung der nationalen, regionalen                tems, das kleinere Parteien auf nationaler Ebene in eine
und kommunalen Regierungen bestimmen, sondern                     dauerhafte Marginalisierung zwingt. Die große Frage des
auch deshalb, weil das Wahl- und Parteiensystem ins­              Wahljahrs 2015 ist, ob Podemos und Ciudadanos ein
gesamt zur Disposition steht. In Spanien hatte sich seit          ähnliches Schicksal beschieden sein wird.
dem Ende der Franco-Diktatur ein stabiles Zweipartei­
ensystem durchgesetzt, dominiert von der PSOE und
der konservativen Volkspartei (PP). Dieses System, das            1. Das spanische Wahlsystem
vom spanischen Wahlrecht begünstigt wird, gilt bereits
heute als überholt – was zweierlei heißen kann: Ent­              Die 350 Abgeordneten des spanischen Kongresses (für
weder verlieren beide bislang dominierenden Parteien              die zweite Kammer, den Senat, gelten andere Regeln)
ihre vorherrschende Position, so dass sich trotz des im           werden im Rahmen eines uneingeschränkten Verhältnis­
Wahlsystem angelegten bias für zwei große Parteien ein            wahlrechts gewählt, in dem pesonenbezogene Elemente
Mehrparteiensystem durchsetzt und zur Bildung von Ko­             (Direktmandate) nicht vorgesehen sind. Wahlkreise sind
alitionen zwingt; oder eine der beiden dominierenden              die 50 Provinzen des Landes (plus die beiden »autonomen
Parteien wird von einer dritten Kraft auf den dritten Platz       Städte« Ceuta und Melilla), die in einigen Fällen mit den
verwiesen, was in der Logik des spanischen Wahlsystems            autonomen Regionen identisch sind; logischerweise sind
deren Marginalisierung bedeutet.                                  jedoch die meisten Regionen in mehrere Provinzen auf­
                                                                  geteilt. 248 Parlamentssitze werden gemäß der Bevölke­
Ein erster Anwärter auf den ersten oder zweiten Platz ist         rungsgröße verteilt, zusätzlich kommen pro Provinz zwei
mit den Europawahlen angetreten: Erst Anfang des Jah­             »Stamm-Mandate« hinzu (insgesamt also 100 Sitze), ein
res gegründet, erzielte die neue links-populistische Partei       Arrangement, das kleinere Provinzen bevorzugt. Wich­
Podemos acht Prozent der Stimmen und fünf Europa-­                tiger noch ist, dass die Bevölkerung der Provinzen und
Mandate. Seitdem ist ihre Popularität in den Umfragen             damit auch die Zahl der ihnen zustehenden Parlaments­
gestiegen, in denen sie – je nach Umfrage – den ersten            vertreter erheblich variiert. Es gibt Wahlkreise mit nur
oder zweiten Rang einnimmt. Podemos tritt bei kalku­              einem, zwei oder drei Abgeordneten, Valencia dagegen
lierter programmatischer Unklarheit als Anti-System-­             kann 16, Barcelona 31 und Madrid 35 Parlamentssitze
Partei an, wobei unter »System« nicht der Kapitalismus            beanspruchen; der Durchschnitt der Parlamentssitze pro

                                                              2
Michael Ehrke | Wahlen in Spanien 2015

Provinz liegt bei 6,7. Diese Regelung hat zur Folge, dass         sagen aber nichts darüber aus, wie viele Wählerstimmen
kleine Parteien in kleinen Wahlkreisen de facto keine             die Partei unter den Bedingungen des spanischen Wahl­
Chance haben, ein Mandat zu gewinnen. Um auch nur                 systems in Parlamentsmandate umsetzen kann (auch die
eins von den durchschnittlichen 6,7 Mandaten zu ge­               Europawahlen geben keinen Hinweis, da Spanien in den
winnen, müsste eine Partei mindestens 15 Prozent der              Europawahlen als ein einziger Wahlkreis gilt, in dem sich
Stimmen auf sich vereinigen, in kleineren Wahlkreisen             die Stimmenanteile proportional in Parlamentssitze um­
entsprechend mehr. Erbringt sie dieses Ergebnis nicht,            setzen).
sind die entsprechenden Stimmen verloren, es gibt kei­
nen die Wahlkreise übergreifenden Ausgleich. Folgerich­           Das spanische Wahlsystem lässt – so lange seine Logik
tig stellen kleinere Parteien in kleinen Wahlkreisen in der       nicht durch eine neue Konstellation außer Kraft gesetzt
Regel auch keine Kandidaten auf, und wenn sie es tun,             wird – auf nationaler Ebene nur zwei dominierende Par­
werden sie nicht gewählt, weil die Wähler wissen, dass            teien zu. Die drittstärkste Kraft wird ihren Stimmenanteil
ihre Stimme verloren ist.                                         nur innerhalb enger Grenzen in Mandate umsetzen kön­
                                                                  nen, auch dann, wenn sie nur wenige Prozentpunkte
Dieses System, das mit gewissen Variationen auch bei              von der zweitstärksten Kraft entfernt ist. Gegenwärtig
den Wahlen der Parlamente der autonomen Regionen                  sind den Umfragen zufolge PP, PSOE und Podemos annä­
Anwendung findet, privilegiert die beiden großen Par­             hernd gleich stark, Ciudadanos ist dabei, den Anschluss
teien, die auf nationaler Ebene antreten. Ihr Anteil an           zu gewinnen. Alle Parteien müssen es um den Preis ihrer
den Wählerstimmen setzt sich in einen deutlich höheren            Marginalisierung vermeiden, auf den dritten oder gar
Anteil an Parlamentssitzen um. Es schützt aber auch die           vierten Platz verwiesen zu werden – und das Schicksal
regionalen Parteien, die nur in einer begrenzten Zahl             der IU zu erleiden.
von Wahlkreisen Kandidaten aufstellen. So konnte die
nationale IU 2008 mit fast einer Million Wählerstimmen
nur zwei Mandate im Kongress besetzen, der katalani­              2. Autonomie-Wahlen in Andalusien
schen Regionalpartei CiU dagegen reichten weniger als
800.000 Stimmen für zehn Mandate. Nur in den großen               Am 22. März wird in Andalusien der Reigen der Wahlen
Städten haben national aufgestellte kleinere Parteien             durch die Wahl eines neuen Regional-Parlaments eröff­
eine gewisse Chance, Parlamentssitze zu erringen; hier            net. Den Wahlen in Andalusien kommt eine besondere
kommt allerdings auch die Drei-Prozent-Sperrklausel ins           politische Bedeutung zu, zum einen, weil es sich um die
Spiel, die in der großen Mehrheit der Wahlkreise gegen­           bevölkerungsreichste, aber zweitärmste Region Spaniens
standslos ist, da der für die Erlangung eines Mandats             handelt, die die höchste Arbeitslosenrate der ganzen
benötigte Stimmenanteil weit über drei Prozent liegt.             EU aufweist; zum andern, weil Andalusien – die letzte
                                                                  verbliebene Hochburg der PSOE – eine Schlüsselrolle für
Es liegt nahe, die Privilegierung der beiden großen Par­          die internen Auseinandersetzungen der Sozialisten spielt;
teien Spaniens als bewusste Selbst-Privilegierung zu              und drittens weil das Ergebnis der regionalen Wahlen
denunzieren, als informelles Bündnis, das von der nur             erste Hinweise darauf geben könnte, wie sich die Wahlen
scheinbar harten politischen Auseinandersetzung um                und die ihnen folgende Bildung der Regierungen in den
die Wählerstimmen verdeckt wird. Dies ist insofern irre­          anderen Regionen und auf nationaler Ebene gestalten
führend, als das Wahlrecht in der Verfassung von 1978             könnten.
kodifiziert wurde, also vor der Herausbildung der beiden
heute (noch) dominierenden Kräfte. Dies ist aber das              Dabei sind freilich auch die Unterschiede zu den anderen
Argument von Podemos, deren Wortführer in der PP                  Regionen bzw. zu Gesamt-Spanien zu berücksichtigen.
und PSOE (»PPSOE«) eine »Kaste« sehen, die sich die               Und diese Unterschiede sind erstens die relative Stärke
Ressourcen des Staates auf Dauer und auf Kosten der Be­           der PSOE. Die Sozialisten haben die Region seit 1982
völkerungsmehrheit angeeignet hat. Podemos bekämpft               ohne Unterbrechung regiert. Aus den Wahlen von 2012
folgerichtig beide großen Parteien, sieht in den nächsten         ging zwar die PP als stärkste Partei hervor, aber die PSOE
Parlamentswahlen aber in erster Linie ein Duell mit der           konnte eine Koalition mit der IU bilden, nach deren vor­
PP voraus – als sei die PSOE bereits aus dem Rennen aus­          zeitigem Auseinanderbrechen die Regierungspräsidentin
geschieden. Die für Podemos noch positiven Umfragen               Susana Díaz Neuwahlen ausschreiben ließ. Den Umfragen

                                                              3
Michael Ehrke | Wahlen in Spanien 2015

zufolge wird die PSOE 34 Prozent der Wählerstimmen               3. Autonomie-Wahlen in Katalonien
und 44 der 108 Parlamentssitze gewinnen, das heißt
wieder zur stärksten Partei werden, aber die absolute            Am 27. September wird das neue Parlament der auto­
Mehrheit verfehlen. Der zweite Unterschied: Podemos              nomen Region Katalonien gewählt, als Nachschlag zu
ist in Andalusien relativ schwach. Die Podemos vorausge­         den Autonomie-Wahlen im Mai. Die Besonderheit dieser
sagten 19 Prozent der Stimmen (und 22 Parlamentssitze)           Regionalwahl liegt in ihrer zentralen Bedeutung für die
werden zwar das lokale Parteiensystem durcheinander­             katalanische Unabhängigkeitsbewegung. Sie kann als
wirbeln, sie liegen aber unter dem Durchschnitt, den             Korrektur oder (je nach Gesichtspunkt) Bestätigung der
Podemos auf nationaler Ebene erzielen könnte.                    erfolgreichen oder (je nach Gesichtspunkt) gescheiter­
                                                                 ten Volksbefragung vom 9. November 2014 angesehen
Gleichwohl wird das Ergebnis von Podemos alle ande­              werden. Am 9. November hatten sich 80 Prozent der
ren Parteien (ausser Ciudadanos, die auf fünf Mandate            teilnehmenden Katalanen für die staatliche Unabhängig­
kommen könnten) zu Verlierern machen. Am glimpf­                 keit ihrer Region ausgesprochen – aber nur 32 Prozent
lichsten wird noch die PSOE davonkommen, die wohl                der Aufgerufenen hatten sich an dieser Befragung über­
drei Parlamentssitze verlieren wird. Bei der PP sind es          haupt beteiligt. 80 Prozent von 32 Prozent sind 25 Pro­
bereits 16 Mandate weniger (von vorher 50 auf 34) und            zent: Für die Beantwortung einer so existenziellen Frage
bei der IU mehr als die Hälfte (von zwölf auf fünf). Diese       wie der Sezession aus dem spanischen Staatsverband ließ
Ergebnisse bedeuten, dass die PSOE eine Koalition bilden         sich nur ein Viertel der Wahlberechtigten mobilisieren.
muss, als Partner kommen rechnerisch aber nur die PP             Man kann darauf hinweisen, dass die Befragung kein
oder Podemos in Frage, IU und Ciuadadanos werden aller           bindendes Referendum und daher unerheblich war, dass
Wahrscheinlichkeit nach selbst zusammen nicht die Par­           es keine Rechtssicherheit und keine angemessene Infra­
lamentssitze gewinnen, die den Sozialisten zur absolu­           struktur gab; gleichwohl lässt sich der Eindruck nicht
ten Mehrheit fehlen. In Andalusien stellt sich damit zum         vermeiden, dass die Millionen, die auf den Straßen für die
ersten Mal die Frage, ob PSOE und Podemos zusammen               Unabhängigkeit demonstrierten, eben nicht – zumindest
regieren können oder ob nur eine spanische Version der           noch nicht – die Mehrheit der Bürger Kataloniens sind.
Großen Koalition möglich ist – eine Frage, die vor und
nach den nationalen Wahlen von höchster Bedeutung                Die Vorverlegung der Regionalwahlen ist ein Kompro­
sein wird.                                                       miss zwischen den beiden führenden Parteien, die die
                                                                 Unabhängigkeit anstreben: Der bürgerlichen Convergen­
Das Wahlergebnis in Andalusien wird sich auch auf die            cia i Unió (CiU) und der linksnationalistischen Esquerra
inneren Auseinandersetzungen der PSOE auswirken. Vor             Republicana de Catalunya (ERC). Die ERC hatte nach
etwas mehr als einem halben Jahr hat die Partei mit              der Befragung auf sofortige Neuwahlen gedrängt, Ar­
Pedro Sánchez einen neuen Generalsekretär gewählt,               tur Mas, der Präsident der CiU und der Generalitat, der
der auch eine Art institutionellen Anspruchs auf die Spit­       Regierung Kataloniens, wollte an dem regulären Wahl­
zenkandidatur (und damit auf das Amt des nächsten                termin festhalten, der 27. September liegt nun irgendwo
spanischen Regierungschefs) hat. Der Spitzenkandidat             in der Mitte. Die Wahlen sollen – so wollen es CiU und
der Sozialisten soll aber in offenen Vorwahlen ermittelt         ERC – als Plebiszit für die Unabhängigkeit interpretiert
werden. Sollte das Wahlergebnis in Andalusien als für            werden; wenn die Unabhängigkeits-Parteien den Sieg
die PSOE positiv bewertet werden, könnte sich Susana             davontragen, könnte die von ihnen gebildete Regie­
Díaz als Gegenkandidatin aufstellen lassen. Sie selbst           rung – so das Szenario – die Unabhängigkeit ausrufen
bestreitet, Andalusien verlassen zu wollen, ihre Gegner          und die ersten praktischen Schritte ihrer Verwirklichung
im Wahlkampf dagegen halten ihr vor, sie benutze die             in Angriff nehmen.
Region nur als »Trampolin«, um auf die nationale Ebene
der Politik zu springen. Die Sozialisten stünden dann vor        Unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten erscheint es
der unbequemen Entscheidung, die Vorwahlen ausfallen             zumindest fragwürdig, eine Parlamentswahl zwischen
zu lassen (und damit ihren Anspruch auf verstärkte Parti­        politischen Parteien zu einem verbindlichen Referendum
zipation preiszugeben), sie zu einem Ritual zu degradie­         über eine Sezession umzuwandeln. Zudem wird der Cha­
ren oder kurz vor den wichtigsten Wahlen ein Bild der            rakter einer Parlamentswahl verzerrt, wenn de facto nicht
inneren Spaltung abzugeben.                                      über politische Optionen, sondern eine einzige Frage ab­

                                                             4
Michael Ehrke | Wahlen in Spanien 2015

gestimmt wird. Da ein regionales Referendum über den             und Podemos, versprechen einen radikalen »Ausstieg«,
Verbleib im oder den Auszug aus dem spanischen Staats­           im Falle der Unabhängigkeitsbewegung aus dem spani­
verband dem spanischen Verfassungsgericht zufolge ver­           schen Staat und im Falle von Podemos aus dem »Regime
fassungswidrig ist, sieht der Rückgriff auf eine reguläre        von 1978«.
(wenn auch vorverlegte) Wahl aus wie eine Notlösung,
zu der es keine Alternative gibt. Unklar ist aber auch, ob
die beiden pro-Unabhängigkeits-Parteien eine Mehrheit            4. Das Ende der Gewissheiten
erringen können. Zum einen könnte der landesweite
Aufstieg von Ciudadanos auch positiv auf die katala­             Alle Wahlen – Gemeinde-, Regional- und innerparteiliche
nische Ciutadans zurückwirken. Vor allem aber könnte             Vorwahlen – werden sich auf die Parlamentswahlen zum
Podemos auch in Katalonien die Verhältnisse durcheinan­          Jahresende (vielleicht auch Januar 2016) auswirken, jedes
derbringen. Podemos setzt sich zwar dafür ein, dass die          Wahlergebnis kann die Strategie der politischen Akteure
Katalanen ein »Recht auf Entscheidung« haben, keines­            verändern und die innerparteilichen Machtverhältnisse
wegs ist die Partei aber für die staatliche Unabhängigkeit       verschieben. Daher lässt sich auch kaum vorhersagen,
Kataloniens. Für die ERC ist Podemos in allererster Linie        wie das nationale Wahlergebnis nach neun Monaten
eine spanische – und damit abzulehnende – Partei. Viele          Wahlmarathon aussehen wird. Gewiss ist nur eines: Die
Wähler jedoch könnten in Podemos eine Alternative zur            Wahlen des Jahres 2015 sind in ihrem Ergebnis die unge­
Unabhängigkeitsbewegung und deren politischen Re­                wissesten seit dem Beginn der Demokratisierung.
präsentanten sehen: Beide, Unabhängigkeitsbewegung

                                                             5
Über den Autor                                                       Impressum

Michael Ehrke ist Leiter des Büros Madrid der Friedrich-­Ebert-      Friedrich-Ebert-Stiftung | Referat Westeuropa/Nordamerika |
Stiftung. Er war Mitarbeiter der Internationalen Politikanalyse in   Abteilung Internationaler Dialog
Bonn und vertrat die FES in Tokyo, Budapest und Belgrad.             Hiroshimastraße 28 | 10785 Berlin | Deutschland

                                                                     Verantwortlich:
                                                                     Anne Seyfferth, Leiterin des Referats Westeuropa   /   Nordamerika

                                                                     Tel.: ++49-30-269-35-7736 | Fax: ++49-30-269-35-9249
                                                                     http://www.fes.de/international/wil
                                                                     www.facebook.com/FESWesteuropa.Nordamerika

                                                                     Bestellung/Kontakt hier:
                                                                     FES-WENA@fes.de

                                                                     Eine gewerbliche Nutzung der von der Friedrich-Ebert-Stiftung
                                                                     (FES) herausgegebenen Medien ist ohne schriftliche Zustimmung
                                                                     durch die FES nicht gestattet.

Das Büro Madrid der Friedrich-Ebert-Stiftung wurde 1976 eröffnet.

Seine Aufgabe ist es, den internationalen Dialog zwischen Politikern, Gewerkschaftern, Wissenschaftlern, Journalisten und Vertretern
der Zivilgesellschaft aus Spanien, Deutschland und anderen Ländern zu intensivieren, gemeinsame Interessen herauszuarbeiten und
Konflikte konstruktiv zu lösen. Im Zentrum der Arbeit stehen die Europäische Integration und deren Auswirkungen auf die Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft Spaniens. Konkret bedeutete dies seit 2010 die Konzentration auf die spanische Variante der Euro-Krise
und die europäischen Bemühungen ihrer Überwindung.

Weitere Arbeitsschwerpunkte sind der Mittelmeerraum und das Verhältnis zwischen Zentralstaat und autonomen Regionen.

Mehr Informationen unter info@fesmadrid.es

Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten                                                ISBN 978-3-95861-119-1
sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Sie können auch lesen