Wärmewende 2030 STUDIE - Schlüsseltechnologien zur Erreichung der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele im Gebäudesektor - Agora Energiewende
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Wärmewende 2030 Schlüsseltechnologien zur Erreichung der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele im Gebäudesektor STUDIE
Wärmewende 2030 IMPRESSUM STUDIE DURCHFÜHRUNG DER STUDIE Wärmewende 2030 Hauptbearbeitung Schlüsseltechnologien zur Erreichung der mittel- Fraunhofer-Institut für Windenergie und und langfristigen Klimaschutzziele im Gebäude Energiesystemtechnik (IWES) sektor Königstor 59 | 34119 Kassel Norman Gerhardt, Fabian Sandau, Dr. Sarah ERSTELLT IM AUFTRAG VON Becker, Angela Scholz Agora Energiewende Anna-Louisa-Karsch-Straße 2 | 10178 Berlin Entwicklung Gebäudewärme und Einbindung T +49 (0)30 700 14 35-000 von Wärmepumpen F +49 (0)30 700 14 35-129 www.agora-energiewende.de Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) info@agora-energiewende.de Gottschalkstr. 28 a | 34127 Kassel Patrick Schumacher, Dr. Dietrich Schmidt PROJEKTLEITUNG Matthias Deutsch DANKSAGUNG matthias.deutsch@agora-energiewende.de Wir danken den Teilnehmern des Expertenworkshops für die Beiträge zur Diskussion und den Verantwortlichen der in dieser Analyse verglichenen Szenariostudien für ihre Mitwirkung – darunter Vertreter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, des Öko-Instituts und der Prognos AG. Die Verantwortung für die Ergebnisse und Schlussfolgerungen liegt ausschließlich bei Agora Energiewende und Fraunhofer IWES und IBP. Bitte zitieren als: Fraunhofer IWES/IBP (2017): Wärmewende 2030. Satz: UKEX GRAPHIC und Juliane Franz Schlüsseltechnologien zur Erreichung der Titelbild: iStock/bubutu- mittel- und langfristigen Klimaschutzziele im Druck: produtur GmbH Gebäudesektor. Studie im Auftrag von Agora Energiewende 107/01-S-2017/DE Veröffentlichung: Februar 2017 www.agora-energiewende.de
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung gibt Bauphysik (IBP) beauftragt, Mindestniveaus für auch für den Gebäudesektor ein Klimaschutzziel vor: Schlüsseltechnologien und -ansätze zur Dekarboni- Dieser soll im Jahr 2030 nur noch 70 bis 72 Millionen sierung zu untersuchen. Im Ergebnis zeigt sich, dass Tonnen CO2 ausstoßen. Die Wärmewende bei Gebäu- wir bei der energetischen Sanierung, der Markt- den muss sich auf drei Pfeiler stützen: Energieeffizi- durchdringung mit Wärmepumpen und dem Ausbau enz, CO2-arme Wärmenetze und objektnahe Erneuer- der Wärmenetze noch deutlich nachlegen müssen, um bare Energien. Offen ist jedoch, wie groß der Beitrag die Energiewende im Gebäudewärmesektor auf den dieser Ansätze jeweils ausfallen sollte – gerade auch richtigen Weg zu bringen. mit Blick auf den Pfad in Richtung des ehrgeizigen Klimaschutzziels 2050. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre! Wir haben daher die Fraunhofer-Institute für Wind Ihr Dr. Patrick Graichen energie und Energiesystemtechnik (IWES) und für Direktor Agora Energiewende Die Ergebnisse auf einen Blick: Der Wärmesektor braucht den Ölausstieg: Der klimagerechte und kosteneffiziente Gebäude wärmemix im Jahr 2030 enthält rund 40 Prozent Gas, 25 Prozent Wärmepumpen und 20 Pro zent Wärmenetze – aber fast kein Öl. Während Gas in seiner Bedeutung damit ungefähr dem heutigen Niveau entspricht, sollten aus Klimaschutzsicht die Ölheizungen bis 2030 weitest- 1 gehend durch Umweltwärme (Wärmepumpen) ersetzt werden. Wärmenetze sind ebenfalls zentral; bis zum Jahr 2030 vor allem in Verbindung mit Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und zunehmend stärker mit Solarthermie, Tiefengeothermie, industrieller Abwärme und Großwärmepumpen. Effizienz entscheidet: Der klimagerechte Gebäudewärmeverbrauch im Jahr 2030 ist um ein Viertel kleiner als 2015. Energieeffizienz ist die tragende Säule der Dekarbonisierung, sie macht 2 Klimaschutz kostengünstig. Hierfür ist eine Sanierungsrate von zwei Prozent pro Jahr ver- bunden mit einer großen Sanierungstiefe nötig. Die Trendentwicklung bei der energetischen Gebäudesanierung ist aber völlig unzureichend, um dieses Ziel zu erreichen. Die Wärmepumpenlücke: In Trendszenarien werden bis 2030 rund zwei Millionen Wärme pumpen installiert – gebraucht werden aber bis dahin fünf bis sechs Millionen. Um dies zu erreichen, sollten Wärmepumpen nicht nur in Neubauten, sondern auch in Altbauten frühzeitig installiert werden, zum Beispiel als bivalente Wärmepumpensysteme mit fossilen Spitzen- 3 lastkesseln. Werden die Wärmepumpen flexibel gesteuert und ersetzt man bis 2030 die a lten Nachtspeicherheizungen durch effiziente Heizungen, führen die fünf bis sechs Millionen Wärmepumpen kaum zu einer Steigerung der Spitzenlast, die durch thermische Kraftwerke ge- deckt werden muss. Erneuerbarer Strom für die Wärmepumpen: Für 2030 brauchen wir ein Erneuerbare-Energien- Ziel von mindestens 60 Prozent am Bruttostromverbrauch. Um das 2030-Klimaziel zu errei 4 chen, muss der zusätzliche Stromverbrauch, der aus dem Wärme- und Verkehrssektor kommt, CO2-frei gedeckt werden. Die im EEG 2017 beschlossenen Erneuerbare-Energien-Ausbau-Men- gen reichen hierfür aber nicht aus. 3
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Inhalt Kurzfassung7 2 Hintergrund und methodischer Ansatz 21 3 Dekarbonisierungsoptionen in den Sektoren 25 3.1 Gebäudewärme 25 3.2 Industrielle Prozesswärme 31 3.3 Verkehr 32 3.4 Strom 33 4 Szenarienvergleich: Mindestniveaus zum E insatz von Schlüsseltechnologien im Gebäudewärmesektor 37 4.1 Verglichene Szenarien 37 4.2 Treibhausgasemissionen 38 4.3 Gebäudewärmeverbrauch 39 4.4 Wärmenetze und Erneuerbare-Energien-Optionen 41 4.5 Dezentrale Wärmepumpen 42 4.6 Stromverbrauch für Wärmeanwendungen 46 4.7 Zusammenfassung 47 5 Sensitivitätsrechnungen zum Energiesystem 2030 51 5.1 Klimaziele für 2030 in Deutschland und Europa 51 5.2 Einführung und Übersicht der S ensitivitäten 52 5.3 Basisszenario (Basis KK) 56 5.4 Basisszenario mit Berücksichtigung von Brennstoffwechsel (Basis KK + Gas) 60 5.5 Defizitvariante mit geringerer Dämmung (Dämm(-)) 63 5.6 Defizitvariante mit weniger E-Mobilität (EMob(-)) 66 5.7 Defizitvariante mit weniger dezentraler Flexibilität (Flex(-)) 69 5.8 Zusammenfassung: Wärmepumpen und Spitzenlast 72 6 Kritische Weichenstellungen vor 2030 75 6.1 Pfadabhängigkeiten 2030 für Gebäudewärme in Hinblick auf langfristige Klimaziele und offene Fragen 75 6.2 Schlussfolgerungen für den Stromsektor 79 7 Anhang 83 7.1 Vergleich zur Energieeffizienzstrategie Gebäude 83 7.2 Luftwärmepumpen, bivalente Wärmepumpensysteme, Erdwärmepumpen, Gaswärmepumpen und Ölheizungen 84 7.3 Kosten zusätzlicher Gasturbinen zur Deckung der Spitzenlast 88 7.4 Szenarioannahmen und Detailergebnisse zu Gebäuden 88 Literaturverzeichnis89 5
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STUDIE | Wärmewende 2030 Kurzfassung Wo müssen wir 2030 stehen, damit wir identifizieren. Besonders relevant sind dabei mögli- die Energiewendeziele 2050 erreichen che Pfadabhängigkeiten – also die Frage, unter wel- können? chen Bedingungen die Gesellschaft 2030 tatsächlich noch die Wahl hat, sich für einen Pfad in Richtung Der Weg zur Verringerung der deutschen Treibhaus 95 Prozent Treibhausgasminderung bis 2050 zu ent- gasemissionen um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 scheiden. ist noch lang. Dabei alleine auf das Zieljahr 2050 zu schauen, birgt das Risiko, die notwendigen Maß- In einem zweiten Schritt werden Sensitivitätsrech- nahmen auf die lange Bank zu schieben. Für die nungen für 2030 mit einem Energiesystem-Opti- Zwischenetappe 2030 gab es bisher vor allem ein mierungsmodell durchgeführt. Auf dieser Basis wird Gesamtminderungsziel von minus 55 Prozent Treib- analysiert, inwieweit das Mindestziel einer Reduk hausgasemissionen gegenüber 1990 sowie ein Unter- tion der Treibhausgase um 55 Prozent bis 2030 er- ziel für den nicht vom EU-Emissionshandel abge- reicht werden kann, wenn Defizite bei einzelnen deckten Bereich von minus 38 Prozent gegenüber Schlüsseltechnologien durch Maßnahmen in ande- 2005.1 ren Bereichen kompensiert werden müssen. Aus- gangspunkt der Betrachtung ist ein Basisszenario Die vorliegende Analyse liefert robuste Leitplanken mit einer Sanierungsrate von zwei Prozent bei hoher für den Zwischenschritt 2030, um einen klareren Sanierungstiefe, mit sieben Millionen Elektroautos Rahmen für wichtige Zielgrößen entwickeln und und dem Einsatz von Oberleitungs-Lkws2 sowie der rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen mit dem systemdienlichen Steuerung von Wärmepumpen und Planungshorizont 2030 anstoßen zu können. Sie fo- Elektroautos. Die in den Sensitivitätsrechnungen kussiert auf Mindestniveaus für die Durchdringung variierten Parameter betreffen dabei die Gebäude von Schlüsseltechnologien an der Schnittstelle von dämmung, die Durchdringung der Elektromobilität Strom- und Wärmesektor, die bis 2030 erreicht wor- sowie die Flexibilität von Wärmepumpen und Elek- den sein müssen. Hierbei handelt es sich vor allem tromobilität (Pkw und Lkw). Als weitere Nebenbe- um Gebäudeeffizienz, Wärmenetze und Wärmepum- dingung muss im Rahmen des europäischen Kli- pen, von denen die letzteren beiden vertieft analysiert maschutzbeschlusses das Reduktionsziel (Basisjahr werden. 2005) von minus 38 Prozent bis 2030 für den deut- schen Nicht-Emissionshandels-Sektor eingehalten Zur Bestimmung der Mindestniveaus werden in ei- werden, das heißt für die Bereiche dezentrale Wärme, nem ersten Schritt wesentliche aktuelle Zielszenarien Verkehr und Landwirtschaft. für eine Treibhausgasminderung um 80 bis 95 Pro- zent miteinander verglichen (Abbildung 1). Hieraus ergeben sich Bandbreiten für die benötigte Entwick- lung bis 2030 und 2050, die den bisher erwarteten Trends gegenübergestellt werden, um Defizite zu 1 Zusätzlich liegen seit Ende 2016 die Sektorziele des Kli- 2 Elektro-Lkws (inklusive Batterie-elektrische und maschutzplans 2050 vor. Diese konnten in der vorliegen- Plug-in-Hybrid-elektrische Lkws) haben dabei einen den Arbeit noch nicht berücksichtigt werden (Bundesre- Anteil von 24 Prozent am Gesamtenergieverbrauch aller gierung 2016). Lkws. 7
Agora Energiewende | Wärmewende 2030 Methodischer Ansatz: Szenarienvergleich und Sensitivitätsrechnungen Abbildung 1 2030 2050 Betrachtete Szenarien Energiereferenzprognose (Prognos et al. 2014) Trendszenarien Trendszenarien Projektionsbericht (UBA 2015) Szenarienvergleich BWP-Branchenprognose 2015 (BWP 2016) zur Bestimmung von Mindestniveaus und Klimaschutzszenarien (Öko-Institut et al. 2015) Defiziten Zielszenarien * Zielszenarien * Interaktion EE-Strom, Wärme, Verkehr (Fh-IWES et al. 2015) -80 % | -95 % -80 % | -95 % Was kostet die Energiewende? (Fh-ISE 2015) Nebenbedingung -38 % Emissionen gegenüber 2005 für den Nicht-ETS- Zielszenario ** Bereich (europäischer Lastenausgleich) -55 % Sensitivitäts Defizite gegenüber BasisZielszenario rechnungen Dämmung: geringere Sanierungstiefe bei gleicher Sanie- zu Wärmepumpen Defizite bei rungsrate (2 %) und -netzen mit • Dämmung E-Mobilität: keine Oberleitungs-Lkw bei ansonsten gleicher Optimierungsmodell • E-Mobilität Anzahl an Elektroautos (7 Mio.) • Flexibilität Flexibilität: kein systemdienlicher, sondern rein nachfrage- gesteuerter Betrieb von Wärmepumpen und Elektroautos * Treibhausgasemissionen 2050 gegenüber 1990 ** Treibhausgasemissionen insgesamt 2030 gegenüber 1990 Eigene Darstellung Der klimaneutrale Gebäudebestand 2050 dustriehallen durch Einsparungen um durchschnitt- muss auf Effizienz, objektnahe Erneuer- lich 40 bis 60 Prozent gesenkt werden. Noch mehr bare Energien und dekarbonisierte Wär- Gebäudeeffizienz erscheint angesichts einer Vielzahl menetze setzen an Restriktionen schwer möglich. Für objektnahe Er- neuerbare Energie aus Umweltwärme, Solarthermie Stand der politischen Diskussion im Bereich der und Biomasse mit ihren jeweiligen technologiespezi- Gebäudewärme ist die Energieeffizienzstrategie Ge- fischen Restriktionen werden „realistisch erschließ- bäude der Bundesregierung.3 In dieser werden Poten- bare“ Potenziale angegeben. Erweitert man diese um ziale und Restriktionen für Verbrauchseinsparungen aktuellere Potenzialschätzungen für Umweltwärme4 und Erneuerbare Energien ausgewertet, um daraus ei- und den hierfür benötigten Wärmepumpenstrom, so nen Lösungsraum zum Erreichen eines nahezu klima- ergibt sich eine Bandbreite für objektnahe Wärme aus neutralen Gebäudebestands abzuleiten – das heißt eine Erneuerbaren Energien von 196 bis 447 Terawatt- Reduktion des nicht erneuerbaren Primärenergiebe- stunden pro Jahr.5 Die Differenz im Vergleich zum darfs bis 2050 um rund 80 Prozent gegenüber 2008. Wärmeverbrauch muss durch dekarbonisierte Wär- menetze erbracht werden. Alle drei Säulen der Treib- Laut diesem Lösungsraum kann der Wärme-End energieverbrauch von Haushalten, Gewerbe und In- 4 ifeu (2016) 5 Solarthermie: 53 bis 69 Terawattstunden pro Jahr; Bio- 3 Die hier gemachten Aussagen beziehen sich dabei ins- masse: 69 bis 139 Terawattstunden pro Jahr; Umwelt- besondere auf das Hintergrundpapier (Prognos, ifeu, wärme: 58 bis 186 Terawattstunden pro Jahr. Hinzu IWU 2015) zur Energieeffizienzstrategie Gebäude kommt ein abgeschätzter Wärmepumpenstrom von 17 bis (BMWi 2015). Siehe dazu auch Bundesregierung (2016). 53 Terawattstunden pro Jahr. 8
STUDIE | Wärmewende 2030 Dekarbonisierungs-Optionen am Beispiel einer 40-prozentigen Verringerung des Endenergieverbrauchs an Wärme bei Gebäuden in TWh pro Jahr Abbildung 2 TWh/Jahr objektnahe dekarbonisierte Effizienz 1.000 erneuerbare Wärme Wärmenetze 869 800 - 40 % 600 521 447 74 400 200 197 0 Energiever- Energiever- Erneuerbare Wärme und Wärmenetze brauch 2008 brauch 2050 Wärmepumpenstrom Schraffierte Flächen symbolisieren Bandbreiten der Effizienz- und Erneuerbaren-Potenziale. Ein Teil der objektnahen Erneuerbare-Wärme- Quellen kann auch in Form von Nahwärmenetzen zusammengefasst werden. Eigene Berechnung auf der Basis von Prognos, ifeu, IWU (2015); ifeu (2016) und eigenen Annahmen zum Wärmepumpenstrom hausgasverringerung im Gebäudewärmesektor sind dann nicht, wenn auf eine Treibhausgasminderung um beispielhaft anhand einer 40-prozentigen Verringe- 95 Prozent gegenüber 2008 abgezielt werden soll. rung des Wärmeenergieverbrauchs in Gebäuden in Abbildung 2 dargestellt. Dabei ist eine gewisse Tren- Wärmenetze helfen vor allem in Ballungsräumen, nunschärfe unvermeidlich, da ein Teil der objektna- wo der Einsatz dezentraler Erneuerbarer an Gren- hen Erneuerbare-Wärme-Quellen auch in Form von zen stößt. Im Szenarienvergleich erscheint das Po- Nahwärmenetzen zusammengefasst werden kann. tenzial des Ausbaus von (Fern-)Wärmnetzen von heute circa 10 Prozent6 auf etwa 23 Prozent des End Die Trendentwicklung bei Gebäudewär- energiebedarfs bis 2050 deutlich steigerbar (Abbil- meeffizienz und Wärmenetzen ist unzu- dung 3), aber dennoch beschränkt, da der Großteil des reichend. Wärmemarktes in allen Szenarien von dezentralen Heizkesseln bestimmt wird. Während bei den Mi- Energieeffizienz ist die tragende Säule der Dekarbo- nus-80-Prozent-Szenarien noch größere Bandbrei- nisierung. Der Schlüssel für das Erreichen klimapoli- ten für den notwendigen Wärmenetzanteil denkbar tischer Zielpfade liegt in der Sanierung von Bestands- sind, werden die Spielräume in den Minus-95-Pro- gebäuden. Die verglichenen Zielszenarien gehen fast zent-Szenarien erheblich kleiner: Bis 2030 muss sich einheitlich von einem starken Rückgang des Wärme- der Anteil von Wärmenetzen am Endenergiebedarf der verbrauchs um rund 40 Prozent bis 2030 und etwa Gebäude insbesondere dann deutlich steigern, wenn 60 Prozent bis 2050 gegenüber 2008 (temperatur- für 2050 eine Verringerung der Treibhausgasemissi- bereinigt) aus. Die Trendentwicklung beim Wärme- onen um 95 Prozent gegenüber 1990 angestrebt wird. verbrauch reicht hierfür nicht aus – ganz besonders 6 ohne ländliche biogene Nahwärmenetze 9
Agora Energiewende | Wärmewende 2030 Andernfalls erscheint der Sprung von einem niedrigen und sie haben ein großes Potenzial für Wärmenetze. Niveau 2030 auf das hohe Niveau 2050 unrealistisch. Insbesondere wenn höhere Quelltemperaturen und damit eine höhere Effizienz möglich ist, ist auch eine Für eine nachhaltige Dekarbonisierung der Wärme- frühere Wirtschaftlichkeit gegeben. Im Bereich der netze sind eine starke Temperaturabsenkung und die Tiefengeothermie gibt es bereits heute einzelne Pro- Einbindung von Tiefengeothermie, Großsolarthermie jekte, wohingegen Industrieabwärme bislang in ei- oder/und Ab- und Umweltwärmenutzung (Abwasser, nem äußerst geringen Maße genutzt wird. Industrie, Flüsse, Klärwasser u. a.) mittels Groß- wärmepumpen wesentlich. In den Sensitivitätsrech- Bis 2030 benötigt Deutschland fünf bis nungen für 2030 ergibt sich ein Ausbaubedarf der sechs Millionen Wärmepumpen, um eine Wärmenetze auf 15 bis 21 Prozent des Gebäudeend Treibhausgasminderung um 55 Prozent energieverbrauchs.7 Dabei erscheint insbesondere die im Jahr 2030 und mindestens 80 Prozent Kombination mit Freiflächensolarthermie sinnvoll, im Jahr 2050 erreichen zu können. was allerdings stark von den lokalen Gegebenheiten abhängt. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf. In allen Zielszenarien zeigt sich die dezentrale Großwärmepumpen sind heute schon wirtschaftlich, Wärmepumpe zur Gebäudeversorgung als eine wenn Kühlung und Wärmbedarf gleichzeitig anfallen, Schlüsseltechnologie mit hoher bis sehr hoher Marktdurchdringung. Im Vergleich dazu treten in den Trendszenarien die Hemmnisse des gegenwärti- 7 Hier werden höhere Werte als im Szenarienvergleich 2030 erreicht, da der größere Zubau an Kraft-Wärme-Kopp- gen regulatorischen Rahmens zutage. Damit klafft im lungsanlagen in Wärmenetzen dazu dient, Defizite bei Jahr 2030 eine Lücke von etwa drei bis vier Millionen einzelnen Schlüsseltechnologien zu kompensieren. Wärmepumpen zwischen dem Niveau der Trend Szenarienvergleich: Anteil von Wärmenetzen am Endenergiebedarf der Gebäude in Prozent Abbildung 3 Anteil 2012 2013 2014 2030 2050 Wärme- netze [%] Trend Klimaziel * Trend Klimaziel * - 80 % - 95 % - 80 % - 95 % 30 23,0 % 20,7 % 20 20,5 % 15,0 % 15,4 % 15,8 % 11,1 % 9,6 % 9,8 % 10,1 % 14,0 % 12,8 % 13,0 % 10 9,2 % 0 * Das Klimaziel minus 80 Prozent umfasst auch Szenarien mit 83 und 85 Prozent Treibhausgasminderung. Prognos et al. (2014); Fh-ISE (2015); Fh-IWES et al. (2015); Öko-Institut et al. (2015); UBA/BMUB (2015) 10
STUDIE | Wärmewende 2030 szenarien und dem benötigten Zielwert von fünf bis menetze zur Versorgung kleinerer Quartiere zum Bei- sechs Millionen Wärmepumpen (Abbildung 4).8 spiel auf Basis von Erdsondenfeldern gedeckt werden. Hier sind die Übergänge zwischen dezentralen und Der Wärmepumpenabsatz pro Jahr steigt in den netzgebundenen Wärmepumpen fließend. Trendszenarien zwar um rund 60 Prozent gegenüber dem heutigen Stand, er müsste sich aber für die Errei- Angesichts der bestehenden Trägheiten und Rest- chung der Zielszenarien im Mittel mehr als verfünf- riktionen für Veränderungen des Heizungsbestands fachen. Hierbei ist deutlich zwischen Neubau- und kann man nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt von Bestandsgebäuden zu unterscheiden. Im Neubaube- einem 80-Prozent- auf einen 95-Prozent-Treib- reich müssen gemäß Energieeinsparverordnung (fos- hausgasminderungs-Pfad umschwenken. Abbil- sile) Primärenergieanforderungen eingehalten wer- dung 5 zeigt die Gelegenheitsfenster für einen Hei- den, sodass Wärmepumpen trotz hoher Stromkosten zungstausch als gestrichelte Linien. Wenn keine seit 2016 im Absatzmarkt eine wichtige Rolle spielen. Heizungssysteme vor Ende ihrer eigentlichen techni- In Bestandsgebäuden beträgt der Anteil von Wärme- schen Lebensdauer ersetzt – und damit entwertet – pumpen an allen Heizungssystemen derzeit dagegen werden sollen, ist ein ambitioniertes Mindestniveau nur etwa zwei Prozent. Grundsätzlich können Teile an Wärmepumpen für 2030 notwendig. Im Vergleich dieses Wärmepumpenmarktes auch durch Nahwär- der beiden Beispielszenarien ISWV 83 und ISWV 95 zeigt sich, dass für 2030 der Punkt des oberen lang- fristigen Szenariopfades angestrebt werden müsste, 8 Der Wert von fünf Millionen Wärmepumpen ergibt sich aus den weiter unten beschriebenen Sensitivitätsrech- was einem Wärmepumpenbestand von rund 8,1 Mil- nungen für 2030; der Wert von 6 Millionen aus dem Kli- lionen Anlagen entspricht. Eine analoge Betrachtung maschutzziel von minus 95 Prozent bis 2050. für die beiden Klimaschutzszenarien KSz 80 und Anzahl der Wärmepumpen im Szenarienvergleich in Millionen und Wärmepumpenlücke Abbildung 4 Installierte Wärmepumpen [Mio.] 18 16 Zielszenarien 14 -80 % bis -95 % Treibhausgas- 12 emissionen 10 8 6 4 Wärmepumpenlücke Trendszenarien 2 0 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Ein Teil der Wärmepumpen in Einzelobjekten kann auch in Form von Nahwärmenetzen zusammengefasst werden. BWP (2016); Prognos et al. (2014); Fh-ISE (2015); Fh-IWES et al (2015); Öko-Institut et al. (2015); UBA/BMUB (2015) 11
Agora Energiewende | Wärmewende 2030 Anzahl Wärmepumpen in den ISWV-Szenarien in Millionen Abbildung 5 Installierte Wärmepumpen [Mio.] 20 Nur ein hohes Wärmepumpen-Niveau 2030 hält die Option 15 offen, auch 2050 ein hohes Niveau erreichen zu können. 10 5 Historisch Klimaziel -95 % - ISWV-95 0 Klimaziel -80 % - ISWV-83 2010 2020 2030 2040 2050 Hinweis: Das entsprechende hohe Niveau in den Klimaschutzszenarien (KSz 95) liegt bei rund 6 Mio. Wärmepumpen (2030), um bis 2050 dann rund 14 Mio. zu erreichen (Öko-Institut et al. 2015). Die gestrichelten Entwicklungspfade unterstellen, dass Heizungssysteme nicht vor Ende ihrer eigentlichen technischen Lebensdauer ersetzt werden. Diese beträgt bei fossilen Kesseln 25 Jahre. Fh-IWES et al. (2015) KSz 95 ergibt für 2030 rund 5,8 Millionen Wärme- Millionen Elektroautos im Jahr 2030 und einer früh- pumpen. Insgesamt liegt also ein Mindestniveau zeitigen Einführung des Oberleitungs-Hybrid-Lkw. 2030, welches dem Pfad in Richtung minus 95 Pro- Außerdem bieten die neuen Stromverbraucher Fle- zent Treibhausgasemissionen für 2050 offen hält, bei xibilität, weil Wärmepumpen mit Wärmespeichern etwa 6 bis 8 Millionen Wärmepumpen. installiert und Elektroautos systemdienlich geladen werden. Die Dekarbonisierung mithilfe von Wärmepumpen kann helfen, Defizite bei Zur Einordnung der folgenden Ergebnisse ist vorab Gebäudedämmung und Elektromobilität festzuhalten, dass auch ein stärkerer Zubau an bis 2030 zu kompensieren. Wärmepumpen Teil eines Heizungsmix ist, der sich vor dem Hintergrund der Dekarbonisierungsziele Ob die Emissionsziele für 2030 von minus 55 Pro- dynamisch über die Zeit weiterentwickelt. Für das zent Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 und hier relevante Zieljahr 2030 werden im berechneten minus 38 Prozent Emissionen im Nicht-ETS-Be- Basisszenario neben Wärmepumpen auch weiterhin reich gegenüber 2005 erreicht werden können, hängt in erheblichem Umfang dezentrale Gaskessel zuge- von den Beiträgen der einzelnen Sektoren ab. Im baut, weil der Optimierungsalgorithmus nach der Wärmebereich ist Gebäudedämmung entscheidend, volkswirtschaftlich kostengünstigsten Lösung unter im Verkehrssektor Elektromobilität. In einem Basiss- der Restriktion des vorgegebenen Treibhausgasemis- zenario für 2030 gehen wir von einer Steigerung der sionsziels sucht.9 Gebäudesanierungsrate auf zwei Prozent bei hoher Sanierungstiefe und von einer starken Durchdrin- 9 Details dazu finden sich im nächsten Abschnitt zum Ge- gung der Elektromobilität aus, das heißt von sieben bäudewärmemix 2030. 12
STUDIE | Wärmewende 2030 In der Basisrechnung („Basis KK“) werden 2030 gesetzt sind, schränken das verfügbare CO2-Budget, knapp vier Millionen installierte Wärmepumpen insbesondere im Nicht-ETS-Bereich, ein, während benötigt, um die Emissionsziele zu erreichen (Ab- eine höhere Wärmenachfrage durch Zubau zu decken bildung 6). Unterstellt man eine geringere Sanie- ist. Durch diesen Druck werden zum einen verstärkt rungstiefe („Dämm(-)“), steigt der Wärmeverbrauch. Fernwärmelösungen eingesetzt, die die Emissionen Die Dekarbonisierung der dezentralen Wärme- aus dem Nicht-ETS-Bereich der dezentralen Anla- versorgung ist in diesem Szenario eine besondere gen in den ETS-Bereich verschieben, zum anderen Herausforderung: Bestandskessel, deren Emissionen wird stärker über Wärmepumpen dekarbonisiert. Sensitivitätsrechnung mit Anzahl installierter Wärmepumpen in 2030 und Leistung und Energie für Wärmepumpen* Abbildung 6 Anzahl Wärmepumpen [Mio.] 6 5,0 5 4,3 3,9 4 3,6 3 2,9 2 1 0 Basis KK Basis KK+Gas Dämm- EMob- Flex- Bestand Neubau Basisszenarien Sensitivitäten Varianten 2030 Basis KK Basis KK+Gas Dämm EMob Flex Kohlekonsenspfad Keine dezentrale Kohlekonsenspfad + Brennstoffwech- geringerer Dämm- Geringerer Anteil Flexibilität bei Annahmen (18,5 GW Kohle- sel von Kohle auf standard von E-Mobilität Wärmepumpen und Kraftwerke) Gas Elektroautos** Höchste abgerufene Leistung durch 17 11 20 21 10 Wärmepumpen [GW] Verbrauchte Energie- menge durch Wärme- 36 22 42 43 16 pumpen [TWh] * Wärmepumpen beinhalten Erdwärmepumpen, monovalente und bivalente Luftwärmepumpen ** Elektroautos werden nicht netzdienlich geladen, Oberleitungs-Hybrid-Lkw können nicht auf Hybridbetrieb umschalten und Wärmepumpen werden ohne Wärmespeicher installiert 13
Agora Energiewende | Wärmewende 2030 I nsbesondere wird dies durch bivalente Luftwärme- Insgesamt zeigen die Sensitivitätsrechnungen, unter pumpen (in Kombination mit Gasspitzenlastkesseln) welchen Bedingungen die Klimaziele 2030 noch er- erreicht. Die Zahl der Wärmepumpen steigt damit auf reicht werden können. Vor dem Hintergrund einer über vier Millionen. Im Ausgleich dazu sinkt die An- unsicheren weiteren Entwicklung bei der Gebäude zahl der neu installierten Gaskessel. dämmung und der Elektromobilität sollte auf ein robustes Mindestniveau an Wärmepumpen für das Bei einer geringeren Durchdringung an Elektromo- Jahr 2030 abgezielt werden, mit dem auch mögliche bilität („EMob(-)“) wird das CO2-Budget im Nicht- Defizite in den beiden genannten anderen Bereichen ETS-Bereich noch stärker eingeschränkt. Im Ergeb- kompensiert werden können. Ein solches Niveau liegt nis muss bei der Wärmeversorgung von Gebäuden bei fünf Millionen Wärmepumpen. noch stärker dekarbonisiert werden: Gaskessel wer- den deutlich weniger zugebaut, dafür kommen mehr Der klimagerechte Gebäudewärmemix Fernwärme und mehr und effizientere Wärmepum- im Jahr 2030 besteht aus rund 40 Pro- pen zum Einsatz (das heißt, der Anteil der Erdwärme- zent Gas, 25 Prozent Wärmepumpen und pumpen erhöht sich). Die Zahl der Wärmepumpen 20 Prozent Wärmenetzen. steigt auf fünf Millionen im Jahr 2030, um die Ein- haltung des Nicht-ETS-Ziels zu gewährleisten. Eine klimagerechte Deckung des nach den Effizi- enzmaßnahmen im Jahr 2030 noch verbleibenden Bei fehlender Flexibilität („Flex(-)“) von Wärme- Gebäudewärmeverbrauchs von Haushalten und Ge- pumpen und Elektroautos verringert sich die Zahl werbe in Höhe von 547 Terawattstunden wird durch der Wärmepumpen auf knapp drei Millionen. Da- einen Mix aus Gas, Wärmepumpen und Fern- und mit weicht das Optimierungsmodell diesen unflexi- Nahwärme bereitgestellt. blen Verbrauchern aus. Stattdessen verschieben die im Modell neu zugebauten Fernwärmelösungen die Aus der Berechnung der Sensitivität EMob(-) mit Emissionen aus dem Nicht-ETS- in den ETS-Bereich, fünf Millionen Wärmepumpen für 2030 ergeben wo sie durch einen verstärkten Einsatz von Gaskraft- sich dabei folgende Anteile am Wärmeverbrauch werken leichter kompensiert werden können. Diese (Abbildung 7): 40 Prozent Gaskessel, von denen kurzfristige Kostenoptimierung zahlt sich aber lang- knapp die Hälfte bis 2030 neu zugebaut werden; fristig nicht aus, wenn noch ambitioniertere Emissi- 22 Prozent Wärmepumpen, darunter mehr als die onsziele erreicht werden sollen und die Elektrifizie- Hälfte Erdwärmepumpen und knapp ein Drittel bi- rung dieser Verbraucher unerlässlich wird. Auf lange valente Luftwärmepumpen, die in Kombination mit Sicht ist die Flexibilität neuer Stromverbraucher wie Gaskesseln betrieben werden10; 20 Prozent Fernwär- Wärmepumpen oder Elektromobilität wesentlich, um menetze, 10 Prozent Biomasse inklusive biogener fluktuierende Erneuerbare Energien effizient einzu- Nahwärmenetze sowie 8 Prozent Ölkessel. Gegen- binden. Flexibilität und die Nutzung von bivalenten über der Ausgangsverteilung von 2015 mit einem Wärmepumpensystemen und Oberleitungs-Lkws gesamten Wärmeverbrauch von rund 730 Terawatt- können beide helfen, die Höchstlast zu reduzieren. stunden ergeben sich die größten prozentualen Ver- änderungen bei Ölheizungen, welche die höchsten Durch Wärmepumpen kommt es grundsätzlich zu ei- spezifischen CO2-Emissionen aufweisen. Der Ölan- ner Erhöhung der Spitzenlast. In den hier betrachte- teil fällt von 25 Prozent (2015) auf 8 Prozent (2030). ten Sensitivitäten liegt die höchste abgerufene Leis- tung der Wärmpumpen bei 10 bis 21 Gigawatt. 10 Komplettlösungen mit beiden Wärmerzeugern sind auch als sogenannte Hybridwärmepumpen erhältlich (BDH 2014). 14
STUDIE | Wärmewende 2030 Gebäudewärme-Mix 2015 und 2030 mit zwei verschiedenen Ambitionsniveaus für Wärmepumpen als Anteile am Wärmeverbrauch in Prozent Abbildung 7 2030 2015 2030 Mindestniveau: höhere Ambitionsniveau: 5 Mio. Wärmepumpen * 6 Mio. Wärmepumpen ** Biomasse Biomasse (inkl. KWK) (inkl. KWK) 10 % Ölkessel 10 % Ölkessel Wärmenetze Ölkessel 6% Wärmenetze 8% (ohne biogene 25 % Nahwärme- (ohne biogene Gas- Nahwärme- kessel netze) 20 % netze) 45 % 20 % Gas- 730 547 547 kessel TWh TWh TWh 38 % Biomasse + sonstiges Wärme- 20 % Gas- pumpen Wärme- kessel 22 % Wärme- Wärme- pumpen 40 % pumpen netze 1% 26 % 9% * Heizungssystem-Anteile gemäß der Sensitivität EMob(-) ** Extrapolation von EMob(-) : Die Energiemenge von einer Million zusätzlicher Wärmepumpen (24 TWh) wird bei konstantem Gesamtwärmeverbrauch zu gleichen Teilen von Gas- und Ölkesseln abgezogen. BMWi 2016 (für 2015); eigene Berechnungen (für 2030) Die CO2-ärmeren Gasheizungen verlieren im glei- Für 2030 brauchen wir ein Erneuerbaren- chen Zeitraum nur fünf Prozentpunkte. Die größten Ziel von mindestens 60 Prozent am Zuwächse verzeichnen dagegen Wärmepumpen und Bruttostromverbrauch. Wärmenetze. In der hier durchgeführten Modellierung wurden Wird ein höheres Ambitionsniveau mit sechs Millio- zwei Restriktionen für Deutschland im Jahr 2030 nen Wärmepumpen für 2030 angestrebt, welches den berücksichtigt: das Treibhausgasminderungsziel von Pfad in Richtung minus 95 Prozent Treibhausgase- insgesamt minus 55 Prozent gegenüber 1990 und das missionen für 2050 offen hält, kommt es zu weite- Reduktionsziel im Rahmen des europäischen Klima- ren Verschiebungen im Gebäudewärmemix, die hier schutzbeschlusses von minus 38 Prozent (Basisjahr nur mit einer Extrapolation bei gleichbleibendem 2005) für den deutschen Nicht-Emissionshandels- Gesamtwärmeverbrauch illustriert werden. Zieht Sektor. Daneben gibt es weitere Eingangsgrößen, die man die zusätzlichen Wärmepumpen-Energiemen- einen relevanten Einfluss auf das Ergebnis für 2030 gen zu gleichen Teilen von Öl und Gas ab, ergibt sich haben. Hierzu zählen auf der Erzeugungsseite ins- die rechte Verteilung in Abbildung 7, mit 6 Prozent besondere Vorgaben zur Kohlekraftwerksleistung11, Ölkesseln, 38 Prozent Gaskesseln sowie 26 Prozent die angenommenen Brennstoffpreise und Erneuer- Wärmepumpen. bare-Energien-Kosten. Nachfrageseitig geht es vor allem um den Nettostromexport von 32 Terawatt 11 auf Basis des von Agora Energiewende vorgeschlagenen Kohlekonsenspfades. 15
Agora Energiewende | Wärmewende 2030 Erneuerbare Energien-Anteil am Bruttostromverbrauch in Prozent Abbildung 8 Erneuerbare-Energien-Anteil am Bruttostromverbrauch [%] 80 Für 2030 brauchen wir kostenoptimaler 60 % Erneuerbare- 60 ein Erneuerbaren-Ziel von mindestens 60 % am Energien-Anteil Bruttostromverbrauch. zur Klimaziel- 55 % erreichung 2030 * 45 % 40 Ziele gemäß 40 % EEG 2017 32 % 20 Erneuerbare- Energien-Anteil am Bruttostrom- verbrauch 0 2010 2020 2030 2040 * -55 % Treibhausgasemissionen insgesamt gegenüber 1990 und -38 % im Nicht-ETS-Bereich gegenüber 2005. Eigene Darstellung stunden12 sowie neue Stromverbraucher in den Sek- Kosten zu erfüllen. Daher sollte der EEG-Zielkorridor toren Wärme und Verkehr mit den oben genannten entsprechend auf mindestens 60 Prozent bis zum Jahr Annahmen zur Gebäudeeffizienz und Elektromobilität. 2030 angehoben werden. Um die auferlegte Emissionsbeschränkung einzuhal- Wärmepumpe oder grünes Gas? ten, können im Modell verschiedene Dekarbonisie- rungsoptionen genutzt werden, wie der Zubau von Die in dieser Analyse verglichenen Energiesystem- Gaskraftwerken und Erneuerbaren Energien. Ausge- zielszenarien und Sensitivitätsrechnungen mit einem hend von diesen Optionen wird der günstigste Mix Optimierungsmodell kommen übereinstimmend zu ermittelt. Aus den Sensitivitätsrechnungen für 2030 dem Ergebnis, dass Wärmepumpen in Zukunft eine ergibt sich damit unter den dargestellten Annahmen wichtige Rolle bei der Wärmebereitstellung für Ge- ein kostenoptimaler Erneuerbare-Energien-Anteil bäude einnehmen sollten. Gleichzeitig gibt es in der am Bruttostromverbrauch im Bereich von knapp 58 energiepolitischen Diskussion Stimmen, die diese bis 62 Prozent (Abbildung 8). Schlussfolgerung infrage stellen. Ein häufig vorge- brachtes Gegenargument ist, dass ein rascher und Im Ergebnis zeigt sich, dass der aktuelle Erneuerbare- breiter Einbau moderner Gasbrennwertkessel schnel- Energien-Korridor – von 40 bis 45 Prozent bis 2025 ler und günstiger CO2-Emissionen reduzieren würde. und 55 bis 60 Prozent bis 2035 – nicht ausreicht, um Angesichts dieser Kontroverse sollen hier noch ein- die übergeordneten Klimaschutzziele zu minimalen mal die wichtigsten Herausforderungen für Wärme- pumpen benannt und insbesondere im Zusammen- 12 Dieser ergibt sich aus der europäischen Strommarktsimu- lation für 2030. 16
STUDIE | Wärmewende 2030 hang mit der Alternative Gas verglichen werden.13 Wärme übrigbleiben.17 Zwischen den Wärmeausbeu- Kriterien für den Vergleich sind Treibhausgasemis- ten beider Anwendungen liegt also ein Faktor von sionen, Energieeffizienz und Auswirkungen auf die rund 4 bis 19. Natürlich bietet Power-to-Gas dabei Spitzenlast. zusätzlich den Vorteil der langfristigen Speicherbar- keit.18 Aber selbst wenn man bei der Wärmepumpe Während die Treibhausgasemissionen eines aus- die Verluste eines saisonalen Wärmespeichers hinzu- schließlich mit fossilem Gas betriebenen Heizkessels addiert, ändert sich diese Betrachtung nicht wesent- über die Zeit gleich bleiben, verringert sich die heute lich.19 Damit ist die Nutzung von Strom in Wärme- schon geringe Emissionsintensität von Wärmepum- pumpen der Nutzung über Power-to-Gas aus Sicht pen mit zunehmendem Erneuerbare-Energien-Anteil der Energieeffizienz grundsätzlich klar überlegen. an der Stromerzeugung weiter. Für einen zukünftigen Mehrverbrauch an Strom durch neue Wärmeanwen- Eine wichtige Herausforderung beim gleichzeitigen dungen muss dann auch ein zusätzlicher Ausbau an Betrieb einer großen Anzahl von Wärmepumpen (und Erneuerbaren Energien erfolgen.14 Will Gas hier mit- zukünftig auch Elektroautos) stellt die Erhöhung der halten, muss es mit steigendem Dekarbonisierungs- Spitzenlast dar. In einem Stromsystem mit weiter druck auch zunehmend selbst „grün“15 werden. Und steigenden Anteilen aus Windkraft und Photovol- bei begrenzten Biomassepotenzialen16 wird Erdgas taik kann es Zeiten mit größerer und mit kleinerer nur mithilfe von Power-to-Gas weitreichend dekar- Erzeugung aus Erneuerbaren Energien geben – wobei bonisieren können. Damit geht es in der Konsequenz die Erzeugung aus Windkraftanlagen grundsätz- um den konkurrierenden Einsatz von erneuerbar er- lich besser zur Stromnachfrage für Wärmepumpen zeugtem Strom für zwei verschiedene Anwendungen: in der Heizperiode passt. Diese fluktuierende Er- Wärmepumpen und Power-to-Gas. zeugung beinhaltet insbesondere auch Perioden mit wenig Sonnenenergie und gleichzeitig wenig Wind Angesichts langfristig begrenzter Flächenpotenziale (Dunkelflaute). Zusätzlich können auch noch beson- Erneuerbarer Energien in Deutschland und abseh- ders niedrige Temperaturen auftreten mit besonders baren Akzeptanzproblemen wird es darum gehen, hohem Heizbedarf und besonders geringer Effizienz bei der Nutzung einer Kilowattstunde Erneuerba- von Wärmepumpen. In der hier durchgeführten Mo- re-Energien-Strom auf eine möglichst hohe Energie dellierung wurden diese Zusammenhänge so gut wie effizienz zu achten. Während Wärmepumpen über möglich abgebildet, um den Einfluss auf die Spitzen- die Nutzung von Umweltwärme aus einer Kilo- last zu bestimmen: Für das repräsentative Wetterjahr wattstunde Strom rund 3 bis 4,5 Kilowattstunden 2006 wurde in stündlicher Auflösung fluktuierende Heizwärme erzeugen, macht Power-to-Gas aufgrund Erneuerbaren-Erzeugung simuliert, zusammen mit von Umwandlungsverlusten das Gegenteil und re- dynamischen, außentemperaturabhängigen Wärme- duziert die eingesetzte Kilowattstunde Strom grund- pumpenwirkungsgraden, die sich nach Technologien sätzlich, sodass dann 0,24 bis 0,84 Kilowattstunden und Gebäudetypen unterscheiden. 17 FENES et al. (2015, Tab. A 2.5.1). Abwärmenutzung in de- 13 Weitere technische Details finden sich in Kapitel 6.1 und zentralen Power-to-Gas-Anlagen kann dabei helfen, die im Anhang 7.2. Ausbeute zu verbessern (dena 2016). 14 Eine weitergehende Diskussion zur Emissionsintensität 18 Eine Eigenschaft, die Power-to-Gas als Langzeitspeicher des Wärmepumpenstroms findet sich in Kapitel 3.4. für ein Stromsystem mit hohen Anteilen Erneuerbarer 15 BDEW et al. (2016) Energien sehr wichtig macht (FENES et al. 2014). 16 Vgl. Kapitel 3.1 und Fh-IWES (2015a). 19 Prognos, ifeu, IWU (2015, Tab. 3-6) 17
Agora Energiewende | Wärmewende 2030 Hinsichtlich einer Erhöhung der Spitzenlast ist zu im Vergleich zu anderen möglichen Dekarbonisie- unterscheiden zwischen Fragen der Versorgungs rungsoptionen vernachlässigbar sind.21 sicherheit – das heißt der Leistungsvorhaltung für die kritischste Stunde im Jahr – und der Stromerzeugung Das Problem der Wärmepumpenspitzenlast ist also aus thermischen Kraftwerken über längere Zeit- beherrschbar. Im Gegensatz dazu taucht ein solches räume, zum Beispiel während einer Dunkelflaute. In Problem bei Gas nicht auf, da die Gasinfrastruktur für diesem Zusammenhang müssen drei relevante Fälle solche Heizlasten ausreichend dimensioniert ist. betrachtet werden: 1. Bis zum Jahr 2030 dürfte die Zunahme des Leis- Die wohl größte Herausforderung für Wärmepumpen tungsbedarfs durch Wärmepumpen verkraft- besteht in der Notwendigkeit einer hinreichenden bar sein, wie die obigen Sensitivitätsrechnungen Gebäudeeffizienz. Damit hängt ihre Durchsetzung zeigen. Zwar benötigen diese bis zu 21 Gigawatt wesentlich an der Absenkung des Gebäudewärme- zusätzliche Spitzenleistung. Aber angesichts der bedarfs vor allem in Bestandsgebäuden, welcher in heute circa 35 Gigawatt benötigten Leistung für den hier durchgeführten Berechnungen per Annahme Direktstrom (insbesondere Durchlauferhitzer und vorgegeben wurde. In den Sensitivitätsrechnungen Nachtspeicherheizungen) kann ein Austausch werden beispielsweise eine Steigerung der Sanie- von Nachtspeicherheizungen durch Wärmepum- rungsrate auf zwei Prozent und eine hohe Sanie- pen oder effiziente Gaskessel die Integration einer rungstiefe unterstellt. Wird eine solche Verbrauchs- zunehmenden Zahl von Wärmepumpen in das reduktion in der Realität nicht erreicht, sind die Stromsystem ermöglichen. technischen Voraussetzungen für den massiven Aus- 2. Im Jahr 2050 hängt die Deckung der Spitzenlast bau an Wärmepumpen nicht hinreichend gegeben. vor allem von den Treibhausgasminderungszielen Andererseits ist bei alten Bestandsgebäuden nicht und dem damit noch bestehenden Emissionsbudget zwingend sofort eine Vollsanierung notwendig, um ab. Bei einem Emissionsziel von minus 80 Prozent Wärmepumpen zu ermöglichen. Schon eine Erneue- bis 2050 darf der Stromsektor noch weiter (kleine rung von Fenstern und Dach kann viel erreichen. Und Mengen) CO2 emittieren, sodass die Spitzenlast auch Fußbodenheizungen sind entbehrlich, wenn relativ kostengünstig durch zusätzliche erdgasbe- stattdessen Niedertemperaturradiatoren eingebaut triebene Gasturbinen gedeckt werden kann.20 werden, die im Vergleich nur unwesentlich schlech- 3. Bei einem ambitionierten Klimaschutzziel von tere Ergebnisse erzielen. Außerdem können bivalente minus 95 Prozent darf der Stromsektor im Jahr Luftwärmepumpen in Kombination mit Gas- oder 2050 dagegen überhaupt kein CO2 mehr emittieren, Ölkesseln für besonders kalte Stunden eine Brü- weil das verbleibende Emissionsbudget den nur ckentechnologie darstellen, um der Herausforderung schwer zu dekarbonisierenden nicht energetischen Emissionen vorbehalten bleiben muss. Zur Siche- 21 Die Power-to-Gas-Rückverstromung in einem Gas-und- rung der Spitzenlast muss dann beim Betrieb der Dampf-Kraftwerk macht aus einer Kilowattstunde Strom Gaskraftwerke auf Power-to-Gas zurückgegriffen nur noch 0,3 bis 0,38 Kilowattstunden Strom (FENES et al. 2015, Tab. A 2.5.1). Aus diesem Strom wird danach mit werden. Aufgrund der hohen Power-to-Gas-Um- Wärmepumpen unter Verwendung von Umweltwärme wandlungsverluste ist diese Form der Leistungs- allerdings wieder eine größere Heizwärme erzeugt. Nur in sicherung teurer als im Fall von fossilem Gas. den wenigen Stunden, in denen bei Temperaturen unter Trotzdem gilt auch hier, dass aufgrund der weni- null Grad Celsius der Wirkungsgrad der Luftwärmepumpe (COP) unter 2,5 fällt und gleichzeitig keine Erneuerbaren gen relevanten Stunden im Jahr diese Zusatzkosten Energien einspeisen, verschlechtert sich die Effizienz der Power-to-Gas-Rückverstromung mit Wärmepum- 20 siehe Anhang 7.3 zur Illustration der Zusatzkosten von pe gegenüber einer Kombination von Power-to-Gas mit Gasturbinen im Vergleich zu Wärmepumpen Brennwertkessel. 18
STUDIE | Wärmewende 2030 i terativer Sanierung zu begegnen. Zur Vermeidung Pfad zum Erreichen der Klimaziele 2050 lässt sich von Lock-in-Effekten müsste in der Anlagenausle- damit allein aber nicht geben. Wenn grünes Gas eine gung dabei gewährleistet werden, dass die Leistung Rolle im dekarbonisierten Gebäudesektor haben wird, der Wärmpumpe ausreicht, um das Gebäude nach dann gegebenenfalls aufgrund von Konsumenten- umfassender Gebäudesanierung alleine zu versorgen. präferenzen: Wenn ein Teil der Bürger es präferieren, Zudem existieren weitere innovative Wärmepum- ihre Häuser weiterhin mit Gas zu beheizen anstatt zu pentechnologien wie zum Beispiel Kombinationen sanieren beziehungsweise eine Wärmepumpe einzu- von Eisspeichern mit Solarabsorbern oder hocheffi- bauen, dann sollte dies möglich sein – das Gas müsste ziente Direktverdampfer.22 Es gibt also unterschied- dann nur, analog zum Strom, stetig grüner werden liche Möglichkeiten, um Bestandsgebäude wärme- und würde dementsprechend teurer. pumpenkompatibel zu machen. Instrumentell kann Gas auf zwei Wegen grün ge- Nicht untersucht wurden im Rahmen dieses Projek- macht werden: tes mögliche Verteilnetz-Implikationen bei hoher (1) durch sich immer weiter verschärfende CO2- Gleichzeitigkeit im Einsatz von Wärmepumpen. Hier Benchmarks beziehungsweise entsprechende Pri- können weitere Kosten anfallen, die im Rahmen der märenergiefaktoren als notwendige Anforderun- hier durchgeführten Modellierung nicht erfasst wur- gen an Heizungssysteme und/oder den. Andererseits steht der Ausbau der Stromverteil- (2) durch eine Pflicht zur Beimischung von zuneh- netze ohnehin an und dürfte auch mit Verweis auf die mend mehr CO2-neutralem Gas mithilfe von be- als Alternative bereits existierenden Gasverteilnetze grenzt vorhandener Biomasse und mittels Power- kaum zur Disposition stehen.23 to-Gas. Insgesamt erscheint der stark zunehmende Einsatz Damit stellt sich für zukünftige Arbeiten die Frage, von Wärmepumpen im Gebäudewärmesektor für das welcher Entwicklungspfad für den Großteil der Be- Energiesystem treibhausgasmindernd, energieeffi- standsgebäude langfristig günstiger ist: in Rich- zient und hinsichtlich der Spitzenlast beherrschbar. tung Wärmepumpen oder in Richtung zunehmend Seine Achillesferse ist, dass für alte Bestandsgebäude grünem Gas. Und da die Konkurrenz um Flächen ein Mindestmaß an energetischer Modernisierung für Erneuerbare-Energien-Strom in Deutschland benötigt wird – was beim alternativen Betrieb von groß ist, wird die Antwort auf diese Frage maßgeb- Gasheizkesseln mit fossilem Erdgas zunächst ent- lich davon abhängen, zu welchen Kosten zukünf- fallen kann. Allerdings muss auch der Energieträger tig Power-to-Gas-Produkte wie Wasserstoff und Gas einen Beitrag zur Dekarbonisierung liefern und synthetisches Erdgas im Ausland erzeugt und nach über die Zeit zunehmend grüner werden. Damit stei- Deutschland importiert werden können. Zudem wird gen die Kosten von Gas, sodass es sich immer mehr entscheidend sein, mit welchen weiteren Power- lohnen wird, auch gasbeheizte Gebäude hinreichend to-Gas-Nachfragern in Verkehr und Industrie der zu dämmen. Langfristig erscheint grünes Gas im Be- Gebäudewärmesektor dann konkurrieren muss, in- stand ganz ohne Sanierung aus Kostensicht wenig soweit diese noch schlechter elektrifiziert werden plausibel. Hinsichtlich der Anforderungen an die Ge- können als die Gebäudewärme – oder teilweise gar bäudehülle mögen die ersten Schritte auf dem Weg nicht. Diese Fragen sollen in künftigen Studien ge- der Dekarbonisierung mit Gas also etwas einfacher nauer untersucht werden. ausfallen. Eine Garantie für den kostengünstigeren 22 siehe Kapitel 6.1 und Anhang 7.2 für Details 23 E-Bridget et al. (2014) 19
Agora Energiewende | Wärmewende 2030 20
STUDIE | Wärmewende 2030 2 Hintergrund und methodischer Ansatz Der Weg zur Verringerung der deutschen Treib- zent Treibhausgasminderung bis 2050 zu entschei- hausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent gegen- den. Denn eine solche Entscheidung dürfte effektiv über 1990 ist noch lang. Dabei alleine auf das Zieljahr nur dann möglich sein, wenn die Marktentwicklung 2050 zu schauen, birgt das Risiko, die notwendigen bei Schlüsseltechnologien bis 2030 ausreichend ver- Maßnahmen auf die lange Bank zu schieben. Für die läuft. Zwischenetappe 2030 gab es bisher vor allem ein Gesamtminderungsziel von minus 55 Prozent Treib- In einem zweiten Schritt werden Sensitivitätsrech- hausgasemissionen gegenüber 1990 sowie ein Unter- nungen für 2030 mit einem Energiesystem-Optimie ziel für den nicht vom EU-Emissionshandel abge- rungsmodell durchgeführt. Auf dieser Basis wird deckten Bereich von minus 38 Prozent gegenüber analysiert, inwieweit das Mindestziel einer Reduk 2005.24 tion der Treibhausgase um 55 Prozent bis 2030 er- reicht werden kann, wenn Defizite bei einzelnen Die vorliegende Analyse liefert robuste Leitplanken Schlüsseltechnologien durch Maßnahmen in ande- für den Zwischenschritt 2030, um einen klareren ren Bereichen kompensiert werden müssen. Aus- Planungsrahmen für wichtige Zielgrößen entwickeln gangspunkt der Betrachtung ist ein Basisszenario und rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen mit mit einer Sanierungsrate von zwei Prozent bei hoher dem Planungshorizont 2030 anstoßen zu können. Sie Sanierungstiefe, mit sieben Millionen Elektroau- fokussiert auf Mindestniveaus für die Durchdringung tos und dem Einsatz von Oberleitungs-Lkws sowie von Schlüsseltechnologien an der Schnittstelle von der systemdienlichen Steuerung von Wärmepumpen Strom- und Wärmesektor, die bis 2030 erreicht wor- und Elektroautos. Die in den Sensitivitätsrechnun- den sein müssen. Hierbei handelt es sich vor allem gen variierten Parameter betreffen dabei die Gebäu- um Gebäudeeffizienz, Wärmenetze und Wärmepum- dedämmung, die Durchdringung der Elektromobili- pen, von denen die letzteren beiden vertieft analysiert tät (Fokus Oberleitungs-Lkws) sowie die Flexibilität werden. von Wärmepumpen und Elektromobilität (Pkws und Lkws). Als weitere Nebenbedingung muss im Rahmen Zur Bestimmung der Mindestniveaus werden in des europäischen Lastenausgleichs das Reduktions- einem ersten Schritt wesentliche aktuelle Zielsze- ziel (Basisjahr 2005) von minus 38 Prozent für den narien für eine Treibhausgasminderung um 80 bis deutschen Nicht-Emissionshandels-Sektor einge- 95 Prozent miteinander verglichen (Abbildung 9). halten werden. Hieraus ergeben sich Bandbreiten für die benötigte Entwicklung bis 2030 und 2050, die den bisher er- Auf Basis des Szenarienvergleichs und der Sensiti- warteten Trends gegenübergestellt werden, um Defi- vitätsrechnungen sollen die Einflussgrößen auf die zite zu identifizieren. Besonders relevant sind dabei notwendige Durchdringung der Schlüsseltechnolo- mögliche Pfadabhängigkeiten – also die Frage, unter gien ermittelt werden. Ziel ist es dabei, ein besseres welchen Bedingungen wir 2030 tatsächlich noch die Verständnis für die Abhängigkeiten zwischen den Wahl haben, uns für einen Pfad in Richtung 95 Pro- Zielen 2030 und 2050 zu vermitteln. Während sich im Bereich der Mobilität der ener- 24 Zusätzlich liegen seit Ende 2016 die Sektorziele des giepolitische und wissenschaftliche Konsens hin- Klimaschutzplans 2050 vor. Diese konnten in der vorliegenden Arbeit noch nicht berücksichtigt werden sichtlich der zentralen Rolle der Elektromobilität (Bundesregierung 2016). verdichtet hat, bestehen in der Transformation der 21
Agora Energiewende | Wärmewende 2030 Methodischer Ansatz: Szenarienvergleich und Sensitivitätsrechnungen Abbildung 9 2030 2050 Betrachtete Szenarien Energiereferenzprognose (Prognos et al. 2014) Trendszenarien Trendszenarien Projektionsbericht (UBA 2015) Szenarienvergleich BWP-Branchenprognose 2015 (BWP 2016) zur Bestimmung von Mindestniveaus und Klimaschutzszenarien (Öko-Institut et al. 2015) Defiziten Zielszenarien * Zielszenarien * Interaktion EE-Strom, Wärme, Verkehr (Fh-IWES et al. 2015) -80 % | -95 % -80 % | -95 % Was kostet die Energiewende? (Fh-ISE 2015) Nebenbedingung -38 % Emissionen gegenüber 2005 für den Nicht-ETS- Zielszenario ** Bereich (europäischer Lastenausgleich) -55 % Sensitivitäts Defizite gegenüber BasisZielszenario rechnungen Dämmung: geringere Sanierungstiefe bei gleicher Sanie- zu Wärmepumpen Defizite bei rungsrate (2 %) und -netzen mit • Dämmung E-Mobilität: keine Oberleitungs-Lkw bei ansonsten gleicher Optimierungsmodell • E-Mobilität Anzahl an Elektroautos (7 Mio.) • Flexibilität Flexibilität: kein systemdienlicher, sondern rein nachfrage- gesteuerter Betrieb von Wärmepumpen und Elektroautos * Treibhausgasemissionen 2050 gegenüber 1990 ** Treibhausgasemissionen insgesamt 2030 gegenüber 1990 Eigene Darstellung Wärmeversorgung (Gebäude und Industrie) immer eingeführt. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht noch größere Divergenzen hinsichtlich der Rolle ein- dabei der Gebäudewärmesektor. zelner Erneuerbarer Energien untereinander (Bio- →→ In Kapitel 4 wird auf Basis eines breiten Szenarien masse, Solarthermie, Umweltwärme, Tiefengeo- vergleichs von Minus-80-Prozent-Zielszenarien thermie) und im Vergleich zur Gebäudesanierung, einerseits und Minus-95-Prozent-Zielszenarien hinsichtlich der Rolle dezentraler Kessel versus Wär- anderseits die notwendige Durchdringung von menetze sowie hinsichtlich der Rückwirkungen einer Schlüsseltechnologien für das Zwischenziel 2030 zunehmenden Elektrifizierung auf den Stromsektor. bewertet. Diese werden mit Trendszenarien kont- Aus diesem Grund fokussiert sich die vorliegende rastiert, um absehbare Fehlentwicklungen zu iden- Studie auf den Bereich der Wärme und Strom-Wär- tifizieren und Handlungsempfehlungen abzuleiten. me-Kopplung, eingebunden in das Gesamtenergie- →→ In Kapitel 5 wird auf Basis eigener Sensitivitäts- versorgungssystem. Sie setzt den Wärmebereich in rechnungen zur Erreichbarkeit eines Mindestziels Wechselwirkung mit dem Straßenverkehr und be- von minus 55 Prozent Treibhausgasemissionen im trachtet damit die Beiträge aller dieser Bereiche zur Jahr 2030 bewertet, wie Ziel- oder Maßnahmen- Erreichung der Klimaziele. verfehlungen in einzelnen Bereichen in anderen Bereichen wieder kompensiert werden müssen, um Die Studie ist folgendermaßen aufgebaut: das Mindestziel sicher zu erreichen. →→ In Kapitel 3 wird in die aktuelle Struktur des Ener- →→ In Kapitel 6 werden Schlussfolgerungen gezogen in gieverbrauchs und in mögliche Dekarbonisie- Hinblick darauf, was robuste Pfade zur Erreichbar- rungsoptionen in den Sektoren Gebäudewärme, keit von Klimazielen für einzelne Technologien und industrielle Prozesswärme, Verkehr und Strom für die Transformation von Anwendungsbereichen bedeuten können. 22
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