Wasser- und Abwasserwirtschaft in Indien - Zielmarktanalyse - Durchführer - German Water ...
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Impressum Herausgeber Deutsch-Indisches Informationsbüro e.V. / Deutsch-Indische Handelskammer Citadellstraße 12 40213 Düsseldorf www.indien.ahk.de Text und Redaktion Marc Sauter Deutsch-Indische Handelskammer Maker Tower 'E', 1st Floor, Cuffe Parade Mumbai 400005 INDIEN marc.sauter@indo-german.com Gestaltung und Produktion Deutsch-Indische Handelskammer Maker Tower 'E', 1st Floor, Cuffe Parade Mumbai 400005 INDIEN Stand 04.09.2020 Bildnachweis --- Die Studie wurde im Rahmen des BMWi- Markterschließungsprogramms für das Projekt Geschäfts- anbahnung für deutsche Unternehmen, Technologie- und Lösungsanbieter für die indische Wasserwirtschaft zur Bekämpfung von Wasser-verschmutzung, -knappheit, -verlust nach Indien erstellt. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Die Zielmarktanalyse steht der Germany Trade & Invest GmbH sowie geeigneten Dritten zur unentgeltlichen Verwertung zur Verfügung. Sämtliche Inhalte wurden mit größtmöglicher Sorgfalt und nach bestem Wissen erstellt. Der Herausgeber übernimmt keine Gewähr für die Aktualität, Richtigkeit, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten Informationen. Für Schäden materieller oder immaterieller Art, die durch die Nutzung oder Nichtnutzung der dargebotenen Informationen unmittelbar oder mittelbar verursacht werden, haftet der Herausgeber nicht, sofern ihm nicht nachweislich vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verschulden zur Last gelegt werden kann.
Inhalt 1 Verzeichnisse ................................................................................................................................................................................... 3 Abbildungsverzeichnis .................................................................................................................................................................... 3 Tabellenverzeichnis ......................................................................................................................................................................... 3 2 Executive Summary......................................................................................................................................................................... 4 3 Indien Allgemein ............................................................................................................................................................................. 6 Geographie und Demographie ......................................................................................................................................................... 6 Politik .............................................................................................................................................................................................. 6 Wirtschaft ........................................................................................................................................................................................ 7 4 Branchenspezifische Informationen .............................................................................................................................................. 11 Der regulatorische Rahmen ........................................................................................................................................................... 11 Wasserressourcen & Wasserverfügbarkeit .................................................................................................................................... 13 Wassergewinnung (inkl. Wasserverluste) ..................................................................................................................................... 14 Wasserbehandlung ......................................................................................................................................................................... 17 Wasserverbrauch (inkl. Anschlussgrade) ...................................................................................................................................... 18 Wasserpreise .................................................................................................................................................................................. 19 Abwasserbehandlung ..................................................................................................................................................................... 20 Marktchancen und Geschäftsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen ...................................................................................... 22 5 Politische und Rechtliche Rahmenbedingungen ........................................................................................................................... 28 Geschäftsfreundlichkeit ................................................................................................................................................................. 28 Visa ................................................................................................................................................................................................ 28 Entstehen einer Betriebsstätte in Indien ........................................................................................................................................ 30 Steuern ........................................................................................................................................................................................... 32 Wechselkursrisiken........................................................................................................................................................................ 32 Finanzierung und Zahlungsverkehr ............................................................................................................................................... 33 Zoll ................................................................................................................................................................................................ 36 Arbeitskräfte vor Ort ..................................................................................................................................................................... 39 6 Schlussbemerkung ......................................................................................................................................................................... 41 7 Literaturverzeichnis ....................................................................................................................................................................... 42 8 Anhang .......................................................................................................................................................................................... 46 Grundwasserübernutzung – Gründe .............................................................................................................................................. 46 Regionen in Indien ........................................................................................................................................................................ 46 Grenzwerte .................................................................................................................................................................................... 47 Arsen im Grundwasser .................................................................................................................................................................. 52 Informationen zum relevanten Netzwerk ...................................................................................................................................... 53
ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN 3 1 Verzeichnisse Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Indien BIP Entwicklung 2010 – 2019 ................................................................................................................................. 8 Abbildung 2: Prognosen für Indiens Wirtschaftswachstum 2020 ............................................................................................................. 9 Abbildung 3: Der regulatorische Rahmen ............................................................................................................................................... 12 Abbildung 4: Verfügbarkeit von Wasser in Milliarden Kubikmeter ....................................................................................................... 13 Abbildung 5: Wassergewinnung nach Quelle ......................................................................................................................................... 14 Abbildung 6: Potentiale für Wassereinsparung nach Quelle in Milliarden Kubikmeter ......................................................................... 15 Abbildung 7: Zustand indischen Grundwassers 2019 ............................................................................................................................. 15 Abbildung 8: Wasserbehandlungsmethoden im privaten Bereich nach Haushalten ............................................................................... 20 Abbildung 9: Wasserbedarf 2010-2050 nach Verbrauchsart in Milliarden Kubikmeter ........................................................................ 19 Abbildung 10: Behandlungskapazität in Prozent des Abwasseraufkommens......................................................................................... 21 Abbildung 11: Marktvolumen Wasser- und Abwasserwirtschaft in Indien in Mrd USD ....................................................................... 25 Abbildung 12: Budgetaufteilung Jal Jeevan Mission .............................................................................................................................. 23 Abbildung 13: Marktgröße nach Produkten in Mio USD ....................................................................................................................... 27 Abbildung 14: Ausgaben nach Kategorie in Mrd USD ........................................................................................................................... 28 Abbildung 15: Wasserprojekte von Unternehmen nach Region ............................................................................................................. 25 Abbildung 16: Staatliche Wasserprojekte nach Region .......................................................................................................................... 25 Abbildung 17: Ease of Doing Business: Indien 2020 vs Indien 2016, Vietnam und Deutschland ......................................................... 29 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Unternehmen im indischen Wassermarkt ............................................................................................................................... 24 Tabelle 2: Markteintrittsformen in Indien ............................................................................................................................................... 31 Tabelle 3: Eigenschaften der wichtigsten Umschlagplätze Indiens ........................................................................................................ 37 Tabelle 4: Regulation im indischen Arbeitsmarkt ................................................................................................................................... 39
4 ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN 2 Executive Summary Die indische Wasser- und Abwasserwirtschaft sieht mittel- bis langfristig starken Wachstumszahlen entgegen. Diese Entwicklung wird sowohl durch die Nachfrage nach dem Rohstoff Wasser selbst und dem damit einhergehenden Bedarf neuer Infrastruktur als auch durch die Notwendigkeit zur Verbesserung der bestehenden Infrastruktur angetrieben. So liegt Indien global auf Platz 120/122 in Bezug auf die Trinkwasserqualität, mit hohen Verschmutzungsgraden in Grundwasser, Flüssen und Seen und hat die größte Zahl von Menschen weltweit, die unter Wasserknappheit leidet1. Aus diesem Grund plant die indische Regierung, bis 2025 insgesamt 750 Milliarden USD für die Verbesserung der Wasserversorgung und -qualität auszugeben. Die Wasser- und Abwasserversorgung in Indien liegt in öffentlicher Hand. Dabei sind die Kompetenzen und Zuständigkeiten über die verschiedenen Regierungsebenen verteilt: Während die Zentralregierung sich um die allgemeine Stoßrichtung und weitere allgemeinere Regulierung kümmert, werden diese von bundesstaatlichen Regierungen aufgegriffen und in praktisches Recht umgesetzt. Verantwortlich für die Implementierung der Maßnahmen sind die Städte und Kommunen, sowie – außerhalb von Stadtgrenzen – die Bundesstaaten. Die Zentralregierung übernimmt ausschließlich bei der Verteilung von Wasser zwischen Bundesstaaten Verantwortung für die Implementierung. Die Diskrepanz zwischen der Nachfrage und der Verfügbarkeit von Wasser ist in den letzten Jahren immer größer geworden, weil die Nachfrage steigt und die Verfügbarkeit sinkt. Die Nachfrage steigt hauptsächlich aufgrund der wachsenden Bevölkerung und der boomenden Wirtschaft, die zu größerer Pro-Kopf Nachfrage führt. Die Verfügbarkeit von Wasser sinkt aufgrund der zunehmenden Industrialisierung und steigenden Nachfrage der Industrie, der damit einhergehenden Verschmutzung von Frischwasser, sowie durch die vom Klimawandel verursachten unstetigeren Niederschläge. Während sich Indien vor einigen Jahren noch darauf verlassen konnte, dass ausreichend Wasser zur Verfügung steht, musste die Regierung inzwischen in umfassende Programme zur Verbesserung der Versorgungssituation investieren. Indien gewinnt sein Wasser zu 61% aus der Oberfläche, das heißt aus Flüssen, Seen und durch die Entsalzung von Meerwasser. Die verbleibenden 39% werden aus dem Grundwasser gewonnen, was oftmals dezentral geschieht. In Indien kann jeder Landbesitzer Grundwasser von seinem Land extrahieren, ohne dafür zusätzliche Genehmigungen zu benötigen. Auch der Verkauf von Grundwasser ist nicht weiter kompliziert: Die Gründung eines indischen Unternehmens (unabhängig der Rechtsform) genügt, um Grundwasser verkaufen zu können. Gleichzeitig ist das Grundwasser allerdings in vielen Teilen Indiens mit Arsen, Fluorid, Eisen, Nitrat und/oder Schwermetallen kontaminiert, was die Wasserversorgung weiter erschwert. Die staatliche Wasserbehandlung zur Versorgung von Haushalten und Unternehmen beschränkt sich im Wesentlichen auf die Filterung von groben und sichtbaren Verunreinigungen sowie der Chlorierung an jedem Zwischenspeicherungspunkt. Aus diesem Grund sind Wasserfilter bereits in 35% der Haushalte – mit steigender Tendenz - verbreitet. Die Preissetzung von Wasser in Indien liegt dennoch weit unterhalb der Kosten der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Während das für die Bevölkerung und Unternehmen auf den ersten Blick komfortabel erscheint, reduziert diese Preispolitik jedoch automatisch das Budget für Ausbau und Instandhaltung bestehender Infrastruktur und wirkt sich so negativ auf die Wasserqualität aus. Dennoch hat bis heute keine Regierung den politischen Mut besessen, die wirklichen Kosten der Bereitstellung von Wasser in Rechnung zu stellen. Gleichzeitig ist eine faire, verbrauchsbasierte Verteilung der Gesamtkosten schwierig, weil die Infrastruktur für Wasserverbrauchsmessung für Haushalte kaum verbreitet ist. 2013 lag der Anteil der Haushalte mit Wasserverbrauchsmessung bei 13%2 (neuere Daten sind nicht verfügbar), während verschiedene Stimmen aus der Branche auf eine weiterhin geringe Verbreitung von Wassermessung hindeuten. Viele Haushalte werden die konventionellen Wasserzähler überspringen und direkt mit Smart-Metering einsteigen. Bis 2025 wird hier die jährliche Marktgröße auf 500,000 Einheiten geschätzt.3 Die Abwasserbehandlung in Indien wird den Anforderungen bislang nicht gerecht. So wird Abwasser hauptsächlich in Städten behandelt. Und selbst dort schwankt die Abwasserbehandlungskapazität zwischen 10 und 30 Prozent des Abwasseraufkommens, was 1 Callister, F. (2019) 2 IHHS. (2015) 3 Frost & Sullivan (2020)
ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN 5 zu der erheblichen Verschmutzung von Flüssen und weiteren Gewässern beiträgt. Insbesondere die Abwasserbehandlungskapazität steht daher im Fokus der Regierung bei der Verbesserung der Versorgungssituation. COVID-19 hat der indischen Wirtschaft einen schweren Schlag versetzt. Auch wenn noch unklar ist, welche Branchen wie stark getroffen sind, haben drei Monate des Lockdowns Indiens BIP-Wachstum wahrscheinlich in negative Bereiche gebracht. Die Krise ist zum Zeitpunkt der Publikation dieser Marktstudie (August 2020) noch immer akut; so ist beispielsweise der internationale Flugverkehr sehr stark eingeschränkt und die meisten Unternehmen arbeiten mit stark verringerter Kapazität. Dennoch besteht mittel- bis langfristig weiterhin großes Potential für die indische Wirtschaft insgesamt sowie für die Wasser- und Abwasserbranche. Günstige Bedingungen für Unternehmen, Rechtssicherheit, die gut ausgebildete junge Bevölkerung sowie die weite Verbreitung von Englisch als Geschäftssprache machen das Land äußerst wettbewerbsfähig im globalen Markt und werden Indien zu einem globalen Wachstumstreiber machen. Deutsche Unternehmen aus der Wasser- und Abwasserbranche können das Potential Indiens nutzen und am Wachstum der Branche teilhaben. Insbesondere die großen Investitionsprogramme der Regierung bieten eine großartige Chance zum direkten oder indirekten Markteinstieg, da sie auch durch die Corona-Krise unbeeinflusst sind und so für ein großes Gesamtauftragsvolumen sorgen werden. Chancen ergeben sich insbesondere in der Abwasserwirtschaft, weil die Vergrößerung der Abwasserbehandlungskapazität zu den höchsten Prioritäten der Regierungsprogramme gehört und weil die jetzige unzureichende Abwasserbehandlung Umweltprobleme massiv verschärft und daher letztendlich auch für die wasserabhängigen Branchen zum Problem wird. So ist beispielsweise der primäre Sektor, der einen Großteil des indischen Wassers verbraucht, für die Mehrheit der Inder die Haupteinnahmequelle. Entsprechend wichtig ist die Wasserversorgung. Auch Systeme zur präzisen Überwachung der Wasserqualität finden verstärkte Nachfrage, weil sich die Infrastruktur insgesamt verbessert und weil der Staat zunehmend auch Unternehmen in die Pflicht nimmt, ihr Abwasser aufzubereiten. Das bietet auch Raum für stark spezialisierte Unternehmen, deren Systeme spezielle Arten der Verunreinigung aus dem Abwasser entfernen können. Diese Felder stehen jedoch nur beispielhaft für das Potential in der indischen Wasser- und Abwasserwirtschaft. Die Größe der (aufkommenden) Versorgungskrise bedarf aller Arten von Lösungen, die in Deutschland schon lange etabliert sind. Der indische Markt birgt daher großes Potential für deutsche Unternehmen mit entsprechender Erfahrung und kosteneffizienten Lösungen.
6 ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN 3 Indien Allgemein Die nachfolgenden Ausführungen geben einen detaillierteren Überblick über Indien. Neben einer geographischen Einordnung werden auch wirtschaftliche und politische Entwicklungen erläutert. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation soll auch die ökonomische Beziehung von Indien und Deutschland näher beleuchtet werden. Geographie und Demographie Mit einer Gesamtfläche von 3.287.263 km² ist Indien neunmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland (357.021 km²). Das Land verfügt über gemeinsame Landgrenzen mit Pakistan, China, Nepal, Bhutan, Myanmar und Bangladesch. Der äußerste Norden Indiens ist durch Hoch- und Mittelgebirge geprägt. Südlich davon schließen sich die Täler der Flüsse Indus, Yamuna und Ganges an. Der flache Küstenstreifen im Westen ist sehr schmal. Direkt hinter diesem Streifen verlaufen über die gesamte Westküste von Norden nach Süden die Western Ghats, ein Gebirge mit Erhebungen von bis zu 2.700 m. Zentralindien ist geprägt durch das Deccan Plateau. Der durch Gebirge von Bangladesch abgeschirmte Nordosten des Landes ist mit dem Rest Indiens nur durch einen schmalen Korridor verbunden, der sich zwischen Nepal und Bangladesch befindet. Der Osten Indiens ist ebenfalls durch eine lange Küste geprägt, die im Landesinneren durch die von Norden nach Süden verlaufenden flachen Eastern Ghats im Rücken begrenzt wird. Beide Ghats treffen an der Südspitze Indiens zusammen. Insgesamt verfügt das Land über rund 7.000 km Küstenlinie. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten im Jahr 2019 ca. 1,39 Milliarden (Mrd.) Menschen im Land. Indien hatte damit 2019 rund 16-mal so viele Einwohner wie Deutschland (ca. 83,1 Millionen (Mio.)).4 Obwohl Indien gerade einmal über 2,4% der bewohnbaren Erdoberfläche verfügt, betrug der Anteil der indischen Bevölkerung an der Weltbevölkerung 2015 ca. 18%.5 Dies hat entsprechende Auswirkungen auf die Bevölkerungsdichte. Durchschnittlich lebten 2018 in Indien 454 Menschen pro km² 6, wobei es durchaus noch dichter besiedelte Bundesstaaten mit über 1.000 Einwohnern pro km² gibt. Das Bevölkerungswachstum hat sich über die letzten Jahrzehnte kontinuierlich abgeschwächt und lag 2018 bei 1,13%. Im Jahr 2015 betrug der Altersmedian7 der indischen Bevölkerung 26,5 Jahre8 und es wird davon ausgegangen, dass 2020 das durchschnittliche Alter bei 28,2 Jahren liegen wird.9 Politik Die Republik Indien besteht aus einem Verbund von 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien, die unmittelbar von der Zentralregierung in Neu-Delhi verwaltet werden. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass sich Indien nicht mit allen seinen Nachbarländern über den Grenzverlauf einig ist. So bestehen besonders mit Pakistan, aber auch mit China Differenzen über einige der nördlichen Gebiete Indiens. Indien gilt mit regelmäßigen Wahlen, Parteienwettbewerb und verfassungsrechtlich verankerten Grundrechten als die größte Demokratie der Welt. Trotz erschwerender Umstände, wie weit verbreiteter Armut, ethnischer, religiöser und linguistischer Vielfalt sowie tiefgreifender Kasten- und Klassengegensätze, ist es in Indien seit der Unabhängigkeit am 15. August 1947 gelungen, ein gefestigtes demokratisches System aufzubauen. Bei den ersten Wahlen im Dezember und Januar 1950/51 siegte der linksliberale Indian National Congress (INC) unter der Führung von Jawaharlal Nehru, der zum ersten Premierminister gewählt wurde, deutlich. Bis Mitte 4 Statistisches Bundesamt (2019) 5 United Nations Department of Economic and Social Affairs (2015) 6 Weltbank (2020) 7 50% der Bevölkerung sind jünger und 50% sind älter. 8 Weltbank (2020) 9 Kaushik Basu, BBC (British Broadcast Corporation) (2007)
ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN 7 der 1990er Jahre dominierte die Kongresspartei – meist unter Führung der Nehru-Gandhi-Familie – mit nur zwei kurzen Unterbrechungen die Politik des Landes. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2014 konnte der INC allerdings gerade noch knapp 20% der Stimmen auf sich vereinen. Die oppositionelle Bharatiya Janata Party (BJP) unter Führung von Narendra Modi, der bis zu seiner Vereidigung als Premierminister Indiens Ministerpräsident in Gujarat war, erhielt über 30% der Stimmen. Die Erwartungen an Narendra Modi waren und sind gewaltig, weil Gujarats Wirtschaft unter seiner Legislatur überdurchschnittlich stark gewachsen ist. Bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2019 erhielt die BJP 37,5% der Stimmen und Modi wurde für eine zweite Amtszeit als Premierminister im Amt bestätigt.10 Wirtschaft 3.3.1 Entwicklung der Wirtschaft in der Vergangenheit Während 1960 in Indien noch fast die Hälfte der Wirtschaftsleistung (rund 43%) in der Landwirtschaft entstand, dominierte 2019 mit 54,3% der Dienstleistungssektor.11 Der Anteil der Landwirtschaft am indischen BIP ist, wie auch in den Vorjahren, weiter gesunken. Lag er 1996 noch bei über 27%, fiel er 2007 auf knapp 18%. 2018 lag der Anteil des Primärsektors an der gesamtwirtschaftlichen Produktion bei 14,46%.12 Dennoch ist die Landwirtschaft für mehr als die Hälfte der Bevölkerung noch immer die Haupteinnahmequelle. Auch der Klimawandel wird Einfluss auf die südasiatische Region nehmen, bedingt durch hohe Abhängigkeit des primären Sektors von klimatischen Bedingungen und insuffiziente klimaresiliente Infrastruktur. Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Hochwasser, Bodenerosion oder Erdrutsche wirken sich destruktiv aus. Die Asian Development Bank prognostiziert, dass ohne gezielte wirtschaftspolitische Veränderungen das BIP in 2100 für Südasien auf Grund des Klimawandels um ca. 9% sinken wird. Hier sind keine Kosten für Überschwemmungen, Dürren und extreme Wettervorfälle enthalten. Indien, Bangladesch, Bhutan, Sri Lanka werden hierbei die größten Verluste erleiden. Der Anteil der Industrie an der Wertschöpfung lag 2018/2019 bei 29,6% des indischen BIPs (zum Vergleich: In China liegt der Anteil der Industrie bei über 40%).13 Das geringe Durchschnittsalter sorgt für ein großes Angebot an Arbeitskräften - eine Tatsache, die großes volkswirtschaftliches Potential bietet und damit ein zentraler Aspekt der wirtschaftlichen Entwicklung Indiens sein wird. Generell haben sich die Märkte nach turbulenten Jahren um die Jahrtausendwende mittlerweile wieder beruhigt: Bis zum Ausbruch von COVID-19 hat sich die indische Rupie deutlich stabilisiert und auch Leistungsbilanzdefizit hat sich leicht verbessert.14 Nach Angaben der Weltbank reduzierte sich das Defizit von 5% des BIP im Jahr 2012 auf 2,6% in 2013, respektive 1,3% in 201415 bis auf 0,7% in 2016 und auf 1,4% in 2017.16 Momentan profitiert die indische Regierung von dem (verglichen mit 2014) gesunkenen Ölpreis, weil sie gleichzeitig die Preise für Benzin und Diesel nicht zu stark senkte und dadurch in diesem Bereich einen Überschuss erzielen konnte. Dieser wurde genutzt, um Energiesubventionen abzubauen und den Haushalt zu konsolidieren. Da Indien einen Großteil seines Bedarfs an fossilen Energieträgern durch Importe deckt, ist durch den gesunkenen Ölpreis auch das Zahlungsbilanzdefizit zurückgegangen. Beide Entwicklungen und die neue Reformfreudigkeit der Regierung haben den wirtschaftlichen Ausblick für Indien verbessert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Indiens lag 2019 bei 2.972,99 Mrd. US-Dollar (USD) und hat sich damit im Vergleich zu 2007 verdoppelt.17 Auch wenn sich das prozentuale Wachstum abgeschwächt hat, wuchs das BIP pro Kopf bis vor kurzem recht stabil. Seit Ende 2018 ist jedoch ein Einbruch des Wachstums zu beobachten, der auch die Arbeitslosigkeit erhöht hat. 10 British Broadcasting Corporation (2019) 11 Jagran, J. (2020) 12 Weltbank (2020) 13 Ibid. 14 Wallstreet Online (2014) 15 Weltbank (2018) 16 Knoema (2018) 17 International Monetary Fund (2018)
8 ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN Abbildung 1 verdeutlicht die Wachstumsraten des indischen BIP von 2010 bis 2019.18 Abbildung 1: Indien BIP Entwicklung 2010 – 201919 10,3% 8,0% 7,4% 7,1% 6,7% 6,8% 6,6% 6,4% 5,5% 5,0% 2875 2653 2731 2295 2039 2104 1823 1828 1857 1675 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 BIP in Milliarden INR BIP Wachstum in Prozent 3.3.2 Wachstum in der Zukunft Die Covid-19-Pandemie hat Indiens Wachstumsaussichten für dieses Jahr erheblich geschwächt. Die Weltbank geht davon aus, dass die indische Wirtschaft im laufenden Fiskaljahr um 3,2% schrumpfen wird, bedingt durch die Einschränkungen des landesweiten Lockdowns. Zusätzlich wird die indische Wirtschaft durch die schwächere globale Nachfrage sowie steigende Schuldenlasten im finanziellen Sektor belastet. Für das kommende Fiskaljahr (FY22: April 2021 bis März 2022) wird damit gerechnet, dass sich die indische Wirtschaft leicht mit 3,1% erholen wird, was jedoch deutlich geringer ist als die im Januar prognostizierten Steigung von 6,1%.20 Eine Reihe von Unternehmen, darunter Goldman Sachs und Nomura, haben für das laufende Geschäftsjahr 2021 einen Rückgang von bis zu 5% für Indien prognostiziert. Auch FitchRatings geht davon aus, dass die Wirtschaftskraft im Geschäftsjahr bis März 2021 (FY21) um 5% schrumpfen wird, bevor sie sich im FY 22 um 9,5% erholt. Fitch hat deshalb Indiens Bewertung von BBB zu BBB- herabgestuft.21 Der Internationale Währungsfond (IWF) geht im Moment davon aus, dass Indien die am stärksten von der Pandemie betroffene größere Volkswirtschaft sein wird und hat deshalb ein negatives Wachstum von 4,5 % vorausgesagt. Anfang des Jahres hatte es ein Wachstum von 2 % für das laufende Geschäftsjahr prognostiziert. 18 Weltbank (2020) 19 Weltbank (2020) 20 Indivjal Dhasamana,(2020) 21 FitchRatings, (2020)
ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN 9 Abbildung 2: Prognosen für Indiens Wirtschaftswachstum 2020 4,5% 2,2% 2,0% -3,2% -5,0% -5,0% Weltbank (April) Weltbank (Juni) Goldman Sachs Fitch Ratings IWF (April) IWF (Juli) Die Regierung geht zurzeit noch von einer V-förmigen Erholung aus. Viele Ökonomen und Analysten sind allerdings nicht so optimistisch, denn Arbeitsplatzverluste, Lohnkürzungen und sinkende Umsätze sind auch struktureller Natur und schwächen den privaten Konsum, der rund 60% zum indischen BIP beiträgt, auf nachhaltige Weise.22 Dennoch ist es zum Zeitpunkt der Publikation dieser Studie noch nicht absehbar wie sich die Wirtschaft erholen wird. Indiens Exporte gingen im April 2020 verglichen mit dem Vorjahresmonat um 36,6% zurück, während die Importe um 47,36% zurückgingen. Im Mai 2020 lagen die Exporte 31,1 % und die Importe 51 % unter den Vorjahreswerten. Auch im Juni lagen die Exporte 12% unter dem Vorjahresniveau, während Importe um 51% gefallen waren. Der Silberstreif dieser starken Handelsrückgänge ist, dass Indien im Juni 2020 zum ersten Mal seit Januar 2002 einen Handelsbilanzüberschuss erreichen konnte.23 Bisher gelten als besonders stark betroffene Sektoren die Automobil- und Immobilienbranche, das Gastgewerbe und der Tourismus sowie der Einzelhandel ohne essenzielle Güter wie Lebensmittel. Die Landwirtschaft gilt dagegen als einer der Hoffnungsschimmer für die indische Wirtschaft. Die Prognose eines normalen Monsuns (jährliche Regensaison), und damit verbunden eine gute Haupternte zusammen mit den kürzlich angekündigten ländlich ausgerichteten Programmen der Regierung unterstützen die Landwirtschaft, welche sich möglicherweise schneller erholen kann als der sekundäre und tertiäre Sektor. 3.3.3 Geldpolitische Entwicklung Die Inflationsrate lag im Mai 2020 bei 5,3%,24 und folgt damit einem Trend sinkender Inflation über die letzten Jahre. Nach insgesamt sechs Zinssenkungen 2020, wurde der Leitzins Corona-bedingt auf 4.0% gesenkt, um der konjunkturellen Abkühlung entgegenzuwirken.25 Aufgrund sinkender Inflation ergeben sich auch im Folgezeitraum weitere Möglichkeiten zur Zinssenkung. Gleichzeitig muss die indische Notenbank derzeit indische Banken mit hohem Anteil risikoreicher Kredite unterstützen.26 Nach dem CARE Rating Report belegt Indien weltweit den fünften Rang für riskante Kredite.27 22 V Venkateswara Rao (2020) 23 Sidhartham (2020) 24 Economic Times (2020) 25 Christoph Hein (2019) 26 Reserve Bank of India (2016) 27 Scroll.in (2017)
10 ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN 3.3.4 Regulation in Indien In den 1990er Jahren wurden die Regeln für ausländische Direktinvestitionen, sogenannte Foreign Direct Investment (FDI), in Indien zunehmend gelockert. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends hielt dieser Trend weitgehend an; viele Beschränkungen für FDI wurden beseitigt, die meisten Branchen delizensiert.28 Vor allem aber konnten auch durch das „Make in India“-Programm, welches im September 2014 mit Ministerpräsident Modi etabliert wurde, weitere Erfolge bei der Öffnung des Landes erzielt werden. Nichtsdestotrotz sind bürokratische Hemmnisse noch immer eine der größten Wachstumsbremsen in Indien. 2019 belegte Indien den 16. Platz im Global FDI Confidence Index.29 30 3.3.5 Handel mit Deutschland Mit Deutschland hatte Indien 2019 ein Handelsdefizit von 2,5 Mrd. Euro, basierend auf Importen von 11,9 Milliarden Euro und Exporten im Wert von 9,4 Milliarden Euro. Dabei waren die Hauptexportgüter Indiens chemische Erzeugnisse (22,5%), Textilien und Bekleidung (21,1%) und Maschinen (10,5%). Deutschlands Hauptausfuhrgüter nach Indien dagegen waren Maschinen (28,5%), chemische Erzeugnisse (17,6%) sowie sonstige Fahrzeuge (14,4%). Aus deutscher Sicht belegt Indien damit den 27. Platz bei Importen und den 23. Platz bei Exporten 28 In der Zeit des „License Raj“ bis Ende der 1980 konnten in kaum einer Branche ohne Lizenzen Geschäfte gemacht werden. Die Lizenzen waren oft sehr detailliert bestimmt und enthielten Vorgaben zu Preis- und Mengenpolitik für Unternehmen. 29 Der Global FDI Confidence Index ist eine jährliche Analyse, wie politische, ökonomische und regulatorische Änderungen den FDI-Zufluss in den kommenden Jahren beeinflussen könnten. 30 Kearney (2019)
ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN 11 4 Branchenspezifische Informationen Der regulatorische Rahmen Abbildung 3: Der regulatorische Rahmen31 Auf oberer Ebene sorgen das Ministerium für Umwelt, Wald und Klimawandel, das Ministerium „Jal Shakti“ sowie die Zentrale Organisation für öffentliche Gesundheit und Umweltschutz – als verlängerter Arm des Gesundheitsministeriums – für den rechtlichen Rahmen und die strategische Richtung bei der Entwicklung der indischen Wasserressourcen. Gleichzeitig sorgen diese Institutionen auch für die Verteilung von Wasserressourcen zwischen Bundesstaaten. Die auf oberster politischer Ebene etablierten Zuständigkeiten bilden den Rahmen für die Implementierung, an deren oberster Stelle die bundesstaatlichen Regierungen stehen. Diese setzen verschiedenste lokale Behörden auf kommunaler Ebene für die Ausführung verschiedenster Aufgaben ein, wie Wassergewinnung, Wasseraufbereitung, Wasserverteilung inklusive Instandhaltung und Erweiterung des öffentlichen Wasserrohrnetzes sowie. Die finanziellen Mittel für diese Aufgaben kommen jedoch von föderaler und bundesstaatlicher Ebene.32 4.1.1 Participatory Irrigation Management Um das Potential in der Bewässerung besser auszunutzen hat Indien das System/Modell des partizipativen Bewässerungsmanagements (Participatory Irrigation Management - PIM) etabliert. PIM ist definiert als die Einbeziehung der Bewässerungsnutzer in alle Aspekte und alle Ebenen des Bewässerungsmanagements, insbesondere durch die Gründung von Wassernutzervereinigungen (Water Users Associations, WUAs). PIM trägt dazu bei, Probleme mit öffentlich verwalteten Bewässerungssystemen wie die schlechte 31 Shen, D. & Reddy, V. R. (2016) 32 EY & Assocham (2019)
12 ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN Instandhaltung bestehender Infrastruktur, die unzureichende Nutzung der entwickelten Bewässerungsflächen, hohe Kosten, niedrige Wasserproduktivität33 und schlechte Bewässerungssysteme zu lösen. WUAs werden üblicherweise von Landwirten gebildet, die sich Wasser aus derselben Quelle teilen, um die gemeinsame Wasserressource in einer verantwortungsvollen Weise zu verwalten. Die Verwaltungskompetenz auf ihrer Ebene ist für diesen Zweck auf sie übertragen worden. Sie tragen aber auch zur Bewässerungs- und Wasserressourcenbewirtschaftung auf höherer Ebene bei. So modernisieren sie zum Beispiel Bewässerungstechniken, erheben Gebühren, führen die Wartung durch und bearbeiten interne Streitigkeiten.34 4.1.2 Grundgedanken der Wasserpolitik Die erste nationale Wassergesetzgebung Indiens wurde 1987 verabschiedet und bildete die Grundlage für die nachfolgenden gesetzlichen Rahmenwerke der Jahre 2002 und 2012. Die Reform zielte insbesondere darauf ab, einen weitestgehend kostendeckenden Tarif für Wasser sowohl für private als auch landwirtschaftliche und industrielle Nachfrager zu etablieren. Ein kostendeckender Tarif sollte eine sichere und umfassende Versorgung der Bevölkerung mit Wasser ermöglichen. Die Zentralregierung stellt den grundlegenden Rahmen für das Wassermanagement in Form der Nationalen Wasserpolitik (NWP) bereit, die seit 1987 alle 10-15 Jahre herausgegeben wird. In der jüngsten Reform aus dem Jahr 2012 wurden die Prioritäten der Wassernutzung wie folgt festgelegt: 1 - unbedenkliches Wasser für Trinkwasser und sanitäre Einrichtungen 2 - anderer häuslicher Wasserbedarf 3 - Wasser zur Erreichung der Ernährungssicherheit 4 - Wasser für die Landwirtschaft 5 - Mindestbedarf des Ökosystems. Besonders die Reform von 2012 markierte einen wichtigen Schritt nach vorne, weil sie zum ersten Mal einen breiten, übergreifenden nationalen Rechtsrahmen mit allgemeinen Grundsätzen zum Thema Wasser bot. Dieses Wasserrahmengesetz (Water Framework Law, WFL) ist wegweisend für eine grundlegende Gesetzgebung für die Wasserwirtschaft in jedem indischen Bundesstaat und für die Übertragung der notwendigen Befugnisse an die unteren Regierungsebenen zur Behandlung lokaler Wasserfragen. Der Rahmen erkennt Wasser nicht nur als eine knappe Ressource an, sondern auch als Träger des Lebens und der Ökologie. Die Richtlinien der Reform wurden jedoch nicht vollständig in die Praxis umgesetzt. Einerseits sind die Reformen nicht spezifisch genug; so bezieht sich beispielsweise die volumetrische Preisgestaltung über den Grundbedarf hinaus (Teil der Reform 2012) auf „einen Zeitraum“, ohne den genauen Zeitraum zu spezifizieren. Andererseits ist die Messung von Bewässerungswasser sehr schwierig umzusetzen. So haben einige Staaten, wie beispielsweise Andhra Pradesh, es aufgrund des politischen Widerstands versäumt, die Messung von Bewässerungswasser verpflichtend einzuführen. Daher liegen die Tarife für Wasser in Indien überall weit unterhalb der Kosten für die Bereitstellung, was die verfügbaren Gelder für die 2012 formulierten Prioritäten reduziert. Politische Parteien waren bis heute nicht willens, ihr politisches Kapital zu riskieren und die große Wählerschicht der Kleinbauern mit höheren Wasserpreisen zu verärgern. Außerdem liegt die Kompetenz für Wasserwirtschaft im Allgemeinen bei den Regierungen der Bundesstaaten. Sie sind für die Finanzierung, Kostendeckung und Verwaltung aller Wasserressourcen verantwortlich. Die politischen Richtlinien von zentraler Ebene werden daher nicht unbedingt in die Praxis der bundesstaatlichen Regulierung umgesetzt.35 33 Wasserproduktivität gibt die wirtschaftliche Leistung pro Kubikmeter entnommenen Wassers an; z.B. EUR je m³ 34 Aquiferindia (2020) 35 Shen, D. & Reddy, V. R. (2016)
ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN 13 4.1.3 Wasserrechte In Indien basieren die Wasserrechte auf dem Uferrecht, d.h. das Recht auf Wasser wird auf der Grundlage von geographischer Nähe gewährt. Gemeinden oder Einzelpersonen, die den Wasserquellen (wie Flüssen oder Grundwasserleitern) am nächsten liegen, haben das Vorrecht. Die Regulierung des Grundwassers wird durch das indische Grunddienstbarkeitsgesetz von 1882 geregelt, das sich auf private Eigentumsrechte an der Grundwassernutzung bezieht. Dieses Gesetz gibt jedem Landbesitzer das Recht, "innerhalb seiner eigenen Grenzen alles Wasser unter dem Land, das nicht in einem definierten Kanal fließt, zu sammeln und zu entsorgen". Das Grundwasser wird also als Anhängsel des Landes behandelt, weil es eine mit dem Land verbundene Dienstbarkeit ist: die Person, die das Land besitzt, besitzt das Grundwasser unter dem Land. Diese Regelung hat erhebliche Auswirkungen auf die Grundwassernutzung in Indien (siehe Kapitel 4.3.1). Die Kosten für die Gewinnung von Grundwasser beschränken sich für Landbesitzer daher auf die unmittelbaren Kosten der Gewinnung, d.h. Kapitalkosten für Maschinen und Stromkosten für den Betrieb der Pumpen. 36 Wasserressourcen & Wasserverfügbarkeit Hohen jährlichen Niederschlägen zum Trotz sinkt die jährliche Verfügbarkeit von Wasser pro Kopf jedes Jahr. So war die Verfügbarkeit 2010 13 % geringer als 2001 (1816 vs. 1588 Kubikmeter), was hauptsächlich auf zwei Faktoren zurückzuführen ist. Erstens, die Bevölkerung Indiens wächst jährlich um mehr als 1%. Das verfügbare Wasser muss daher auf eine steigende Anzahl Köpfe verteilt werden. Zweitens, die voranschreitende Industrialisierung reduziert die Verfügbarkeit von Wasser. Steigende Nachfrage nach verschiedensten Produkten erhöht auch die Emissionen in der Produktion und sorgt für stetig steigende Verschmutzung. So erreichte der Rhein selbst zu seinen giftigsten Zeiten nicht den gegenwärtigen Verschmutzungsgrad des indischen Ganges.37 Abbildung 4: Verfügbarkeit von Wasser in Milliarden Kubikmeter38 4 000 1 869 1 123 Jährlicher Niederschlag Durchschnittlicher Fluss in Flüssen Nutzbares Wasser 36 Ibid. 37 Envistats India 2020 38 Shekhar, H., Bhavnani, C, Chatterjee, A. (2016).
14 ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN Wassergewinnung (inkl. Wasserverluste) Aufgrund topographischer, hydrologischer und anderer Einschränkungen können nur etwa 32 Prozent des verfügbaren Wassers genutzt werden. Dies hat verschiedene Gründe: die Niederschläge in Indien weisen eine sehr große räumliche Variation auf und konzentrieren sich auf die Monsunzeit. Gleichzeitig haben einige der Flüsse des Landes wie der Ganges, der Brahmaputra und der Indus riesige Einzugsgebiete mit hohen Niederschlägen, und führen daher, obwohl sie nur etwa ein Drittel der Gesamtfläche des Landes ausmachen, 60 Prozent der gesamten Oberflächenwasserressourcen. Die räumliche und zeitliche Konzentration der Niederschläge erlaubt es Indien nicht, die Wassermassen aus den Monsunmonaten effektiv aufzufangen, zu speichern und über das ganze Land zu verteilen 39, was zu Wasserknappheit in manchen Regionen und Monaten führt. Abbildung 5: Wassergewinnung nach Quelle40 Grundwasser 39% An der Oberfläche 61% Die Mehrheit des genutzten Wassers wird an der Oberfläche gewonnen. Dabei spielt Entsalzung wegen der damit verbundenen hohen Kosten eine sehr geringe Rolle, auch wenn beispielsweise Chennai Entsalzungsanlagen zur Unterstützung der lokalen Wasserversorgung installiert hat. Auch Grundwasser spielt eine zentrale Rolle bei der Wasserversorgung, insbesondere im ländlichen Bereich mit großer Entfernung zu Flüssen oder Bächen. Insgesamt gibt es bei der Wassergewinnung spürbares Potential für Effizienz im Bezug auf Bewässerung, die von der Quelle abhängen. Besonders bei der Gewinnung von Oberflächenwasser gibt es deutliches Einsparpotenzial (Abbildung 6).41 Die Regierung hat bereits einen Plan zur Steigerung der Bewässerungseffizienz. Nach diesem Plan wird das Einsparpotenzial auf 68 bzw. 44 Milliarden Kubikmeter (Oberfläche vs. Grundwasser) geschätzt.42 39 National Council of Educational Research and Training (2016) 40 CWC (2014) 41 Ibid. 42 Ibid.
ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN 15 Abbildung 6: Potentiale für Wassereinsparung nach Quelle in Milliarden Kubikmeter43 4.3.1 Grundwasser Grundwasser deckt in Indien etwa 35% des Bewässerungsbedarfs des Landes. Besonders wichtig ist Grundwasser für den ländlichen Trinkwasserbedarf, der dort zu 85% mit Grundwasser abdeckt wird. Diese starke Nutzung des Grundwassers hat zu einem Absinken des Grundwasserspiegels und einer Verschlechterung der Wasserqualität in weiten Teilen des Landes geführt. 2013 befanden sich 19% des indischen Grundwassers in einem kritischen Zustand und 11% in einem halb-kritischen Zustand aufgrund von Übernutzung und Verschmutzung.44 Abbildung 7: Zustand indischen Grundwassers 201945 Übernutzung 16% Kritischer Zustand 3% Halbkritischer Zustand 11% Guter Zustand 70% 43 Ibid. 44 Gründe für die Übernutzung finden sich im Anhang 45 Press Information Bureau (2019)
16 ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN Die Entwicklung der Grundwasserressourcen in den verschiedenen Gebieten des Landes ist nicht einheitlich. Die sehr intensive Erschließung des Grundwassers in bestimmten Gebieten des Landes hat zu einer Übernutzung geführt, die einen Rückgang des Grundwasserspiegels zur Folge hatte. Das Central Groundwater Board (CGWB) hat eine Schwankungsanalyse des Wasserspiegels durchgeführt, um die Veränderung des Wasserspiegels in den letzten 10 Jahren zu bewerten. Wasserstandsdaten von 2016 weisen im Vergleich zum dekadischen Durchschnitt (2006-2015) darauf hin, dass mehr als 50% der Brunnen in fast allen Staaten/ Unionsterritorien (UTs) des Landes einen Rückgang des Grundwasserspiegels, meist im Bereich von 0-2 m, verzeichnet haben. Ein Rückgang um mehr als 4 m wurde in den Staaten/UTs Andhra Pradesh, Chhattisgarh, Dadra & Nagar Haveli, Delhi, Gujarat, Haryana, Karnataka, Madhya Pradesh, Maharashtra, Punjab, Rajasthan, Telangana und Westbengalen beobachtet. Nur fünf von 36 Staaten/UTs (Arunachal Pradesh, Goa, Pondicherry, Tamil Nadu und Tripura) lassen keinen Rückgang erkennen. Vor diesem Hintergrund versucht die Zentralregierung dieser Entwicklung mit mehreren Schritten entgegenzuwirken und fördert u.a. Maßnahmen zur Regenwassernutzung in verschiedenen Teilen des Landes. Für eine effektive Bewirtschaftung der Grundwasserressourcen müssen jedoch die lokalen klimatischen, geomorphologischen, hydrologischen und hydrogeologischen Gegebenheiten berücksichtigt werden, um gebiets- und problemspezifische Strategien zu entwickeln. Das macht eine einheitliche Herangehensweise unmöglich.46 Grundwasserverschmutzung Das Central Groundwater Water Board (CGWB) überwacht die Grundwasserqualität der Grundwasserleiter auf regionaler Ebene regelmäßig einmal pro Jahr. Daten zur Grundwasserqualität, die bei verschiedenen wissenschaftlichen Studien und der Überwachung der Grundwasserqualität gewonnen wurden, deuten darauf hin, dass das Grundwasser im größten Teil des Landes trinkbar ist. Einige Teile verschiedener Staaten sind jedoch durch Salzgehalt, Arsen, Fluorid, Eisen, Nitrat und Schwermetalle über die zulässigen Grenzwerte der BIS (Bureau of Indian Standards)47 hinaus verunreinigt. Eine entsprechende Übersicht über die Grenzwerte findet sich im Anhang. Quellen der Grundwasserverschmutzung sind auf industrielle Einleitungen, Deponien, landwirtschaftliche Verschmutzungsquellen wie Düngemittel und Pestizide von landwirtschaftlichen Feldern usw. zurückzuführen. Um diesen entgegenzuwirken hat das Central Pollution Control Board (CPCB) Industrieanlagen dazu verpflichtet, Systeme zur Überwachung der Wasserqualität einzurichten, um Echtzeit-Informationen über die Abwasserqualität zu erhalten. Gleichzeitig wird die Einrichtung gemeinsamer Abwasserbehandlungsanlagen (Common Effluent Treatment Plants - CETPs) für mehrere kleine Industrieanlagen immer häufiger. 48 Arsenproblem im Grundwasser Arsen im Grundwasser ist eine geogene, d.h. durch natürliche geologische Prozesse verursachte Verunreinigung. Arsenhaltiges Grundwasser im Ganga-Flussbecken wird von den Sedimenten aufgenommen, die von den Flüssen während des späten Quartärs oder Holozäns (
ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN 17 Wasserquellen zu erschließen, damit die Einheimischen vor den negativen Auswirkungen von Arsen im Grundwasser geschützt werden können. Um die Bevölkerung mit arsenfreiem Wasser zu versorgen wurden beispielsweise in Teilen der Bezirke Ballia und Ghazipur in Uttar Pradesh unter Einsatz moderner Technologie Brunnen gebaut, die arsenfreie Grundwasserleiter anzapfen. Momentan genutzte Verfahren, um mit Arsen aus dem Grundwasser umzugehen, sind: - In-situ-Sanierung von Arsen aus Grundwassersystemen, - Ex-situ-Sanierung von Arsen aus angezapftem Grundwasser durch Technologien zur Arsenentfernung - Wasserfilter basierend auf - chemischer Oxidation durch Natriumhypochlorit - Acqua-Bind: Filter basierend auf Manganoxid und aktiviertem Aluminiumoxid - Filter von RPM Marketing Pvt. Ltd., basierend auf aktiviertem Aluminium - AdsorpAs Technology: Filter basierend auf körnigem Eisen(III)-Hydroxid49 - die Nutzung von Oberflächenwasserquellen als Alternative zu den kontaminierten Grundwasserquellen - die Anzapfung alternativer sicherer Grundwasserleiter für die Versorgung mit arsenfreiem Grundwasser - eine Kombination der oben genannten Techniken Von den oben genannten Optionen werden Arsenentfernungstechnologien und Ex-situ-Behandlungstechniken in großem Umfang eingesetzt, um die Menschen in den arsenbelasteten Gebieten nach der Behandlung des kontaminierten Grundwassers mit Trinkwasser zu versorgen. Es wurde über ihren großflächigen Einsatz in Westbengalen berichtet, der auf unterschiedlichen Funktionsprinzipien beruht, mit unterschiedlichem Erfolg und Misserfolg.50 Wasserbehandlung Bevor das aus verschiedenen Quellen gewonnene Wasser genutzt wird, wird es grob gereinigt. Für die Reinigung wird an jedem Wasser- Zwischenspeicherungspunkt Chlor eingesetzt, um Bakterien abzutöten. Außerdem werden Filter eingesetzt, die grobe, sichtbare Verunreinigungen herausfiltern. Dennoch ist das Leitungswasser in Indien in den meisten Städten nicht ohne Weiteres trinkbar. Daher setzen Haushalte weitere Wasserfilter und Wasserbehandlungsmethoden ein, deren Verteilung in Abbildung 8 aufgezeigt wird. Hier zeigt sich einerseits, dass bei den sanitären Standards in Indien noch Verbesserungsbedarf besteht. Andererseits zeigt dies auch, dass Menschen auch verunreinigtes Wasser durch Gewöhnung trinken können. Europäer jedoch, die sauberes Trinkwasser gewöhnt sind, sollten das indische Trinkwasser nicht unbehandelt trinken. Die Standards und Grenzwerte für Wasser sind im Anhang näher zusammengefasst. Hier findet sich eine detaillierte Übersicht der maximalen Verschmutzungslevel für verschiedenste Arten der Verunreinigung. Durch die schnell wachsende Mittelschicht wächst auch der Anteil derjenigen, die ausschließlich gereinigtes Wasser zu sich nehmen.51 49 Bhardwaj, A. et al. (2019). Liste ist unvollständig. Für einen vollständigen Überblick siehe https://www.researchgate.net/publication/330338958_Status_of_Arsenic_Remediation_in_India 50 Ibid. 51 Ibid.
18 ZIELMARKTANALYSE WASSER- UND ABWASSERWIRTSCHAFT IN INDIEN Abbildung 8: Wasserbehandlungsmethoden im privaten Bereich nach Haushalten52 65% 12% 8,70% 7,70% 4% 1,40% 2% Unbehandelt Reinigung mit Elektrische Abkochen Nicht-Elektrische Chemische Andere Tüchern Reinigung Reinigung Reinigung Wasserverbrauch (inkl. Anschlussgrade) Die Pro-Kopf-Verfügbarkeit von Wasser nimmt aufgrund des Bevölkerungswachstums von Tag zu Tag ab. Die verfügbaren Wasserressourcen werden auch durch industrielle, landwirtschaftliche und häusliche Abwässer verschmutzt, was wiederum die Verfügbarkeit der nutzbaren Wasserressourcen weiter einschränkt. Im August 2020 hatten etwa 26% der indischen Bevölkerung Zugang zu Trinkwasser über ein öffentliches Trinkwassernetzwerk. Dabei ist besonders die ländliche Bevölkerung benachteiligt, von der lediglich 18% Zugang zu einem Leitungswasseranschluss haben.53 Auch unterscheiden sich die Anschlussgrade nach Bundesstaat recht deutlich, wobei südliche und westliche Staaten tendenziell höhere Anschlussgrade haben als nördliche oder östliche Staaten. Im Rahmen der zweiten Phase der „Jal Jeevan Mission“ sucht die Zentralregierung, den Anschlussgrad bis 2024 auf 100% zu bringen, und so einer drohenden Wasserkrise entgegenzuwirken.54 Diese wird in Kapitel 4.8 in Detail vorgestellt. Für die Nachfrage nach Wasser wird zwischen 2010 und 2050 ein starkes Wachstum prognostiziert. Einerseits liegt das am bereits erwähnten Bevölkerungswachstum, andererseits aber auch an steigendem Wohlstand. Der pro-Kopf Verbrauch wächst mit der stetig steigenden Kaufkraft und der wachsenden indischen Wirtschaft, und sorgt so in allen Kategorien für steigenden Bedarf an Wasser. Der größte Anteil am Wasserverbrauch entfällt in Indien auf Bewässerung; sowohl 2010 als auch (prognostiziert) 2050. Auch das absolute Wachstum in dieser Periode entfällt auf Bewässerung. Dennoch steigt auch der Anteil anderer Sektoren am Gesamtwasserverbrauch, wie Industrie oder Energie (z.B. Kohlekraft).55 52 Ministry of Statistics and Programme Implementation (2019) 53 Jal Jeevan Mission (2020). Aktuelle Daten können hier abgerufen werden: https://ejalshakti.gov.in/WaterDashboard/HouseHoldConnection.aspx 54 JM Financial (2019) 55 Ministry of Statistics and Programme Implementation (2019)
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