GLOBALER GAS LOCK-IN BRÜCKE INS NIRGENDWO - Rosa Luxemburg Brussels

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GLOBALER GAS LOCK-IN BRÜCKE INS NIRGENDWO - Rosa Luxemburg Brussels
BÜRO BRÜSSEL

GLOBALER
GAS LOCK-IN
BRÜCKE INS NIRGENDWO
AL F O N S PÉR EZ

                    DE
GLOBALER GAS LOCK-IN BRÜCKE INS NIRGENDWO - Rosa Luxemburg Brussels
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GLOBALER GAS LOCK-IN
BRÜCKE INS NIRGENDWO
ALFONS PÉREZ
Co-Autoren der Studie: Anna Pérez, David Panadori, Nicola Scherer, Alfred Burballa,
Josep Nualart und Raül Sánchez

Wir möchten uns bei Alba del Campo, Luis González, Pedro Pietro, Antonio Turiel,
Sara Sánchez, Elena Gerebizza, Samuel Martín-Sosa, Frida Kieninger, Marijke
Vermander und Marlis Gensler für ihre Kommentare und Verbesserungsvorschläge
zu diesem Text bedanken.

Brüssel, im April 2018
GLOBALER GAS LOCK-IN BRÜCKE INS NIRGENDWO - Rosa Luxemburg Brussels
INHALT
EINLEITUNG: WORUM GEHT ES IN DIESER STUDIE?          4

I GRUNDBEGRIFFE ZUM THEMA ERDGAS                     7
Was ist Gas?                                         8
Welche Arten von Erdgas gibt es?                     9
Wie werden Gasmengen angegeben?                     10
Wie kommt Gas zum Verbraucher?                      11

II GAS DAMALS: LANGSAMES REGIONALES WACHSTUM        14

III GAS HEUTE: RASANTES GLOBALES WACHSTUM           19
Geopolitik: neue Gasbeziehungen                     21
Import- und Exportprojekte                          25
Große Öl- und Gaskonzerne                           30

IV GAS IN EUROPA                                    33
Daten zu Gas in Europa                              34
Verbrauch                                           34
Gasförderung                                        36
Gas-Importe                                         37
Abhängigkeit von Erdgas                             39

Energieversorgungssicherheit und die Energieunion   43
Infrastruktur: Pipelines und LNG-Terminals          46
Freihandelsabkommen                                 55
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V FINANZIALISIERUNG IM GASSEKTOR                         56
Gas als ‘Treibstoff‘ für Finanztransaktionen             57
Finanzialisierung von Infrastruktur                      59

VI ABHÄNGIGKEIT UND UNSICHERHEIT DER EXPORTLÄNDER        63
Abhängig von der Öl- und Gas-Förderung                   64
Indizes zur Situation in Exportländern                   66
Auswirkungen auf die Bevölkerung                         70

VII FOSSILES GAS: KLIMAFREUNDLICH ODER KLIMASCHÄDLICH?   73

VIII KONKLUSION UND ABSCHLIESSENDE BETRACHTUNG           79

LITERATUR                                                84   ~3~
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EINLEITUNG:
      WORUM GEHT ES IN
      DIESER STUDIE?
      Erdgas wird im globalen Energiesektor immer wichtiger. Ohne Kohle und Öl hinter sich zu
      lassen, wird Erdgas als Brücken- oder Übergangstreibstoff hin zu einer emissionsarmen
      Wirtschaft beworben. Damit soll der Weg für seine weltweite Erschließung geebnet
      werden. In dieser Studie wird der weltweite und vor allem europäische „Run auf Gas“
      kritisch untersucht. Ziel der Studie ist es, dieses komplexe Thema in verständlicher Form
      für die aktuelle Debatte aufzubereiten, insbesondere hinsichtlich der geopolitischen, wirt-
      schaftlichen und finanziellen Interessen und Fragen.

      Diese Publikation beginnt mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Eigenschaften von
      Gas, die seine historische Entwicklung bestimmt haben (Kapitel 1). Erdgas ist ein Neben-
      produkt der Rohölgewinnung und galt lange Zeit wegen seiner Gasförmigkeit als schwer
      transportier- und speicherbar (Kapitel 2). Heute, mit dem unerwarteten Aufkommen von
      unkonventionellem Erdgas, scheint sein Aufstieg unaufhaltsam; Exploration, Extraktion
      und Infrastrukturprojekte vervielfältigen sich. Die geostrategische Bedeutung von Regi-
      onen mit Erdgasreserven und das Interesse an der Schaffung eines globalen Gasmarkts
      steigt (Kapitel 3).
~4~
      Die Erdgasförderung innerhalb der Europäischen Union geht zurück. Damit wird Europa
      stärker abhängig von energiereichen Drittländern, die folglich mit einem größeren Druck
      auf ihre fossilen Brennstoffe konfrontiert sind. Die EU verfolgt mit der „Energieunion“
      eine neue Energiepolitik, auch in Bezug auf Gas. Die externe Dimension dieser Strategie
      zielt auf eine Diversifizierung der Gasimporte außerhalb des russischen Einflussbe-
      reichs ab; die interne Dimension setzt auf neue Pipelineverbindungen zwischen den
      EU-Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission rechtfertigt diese Strategie mit dem Russland-
      Ukraine Konflikt. Neue Gaspipelines und Import-Terminals für Flüssiggas werden gebaut,
      obwohl die bereits vorhandene Gasinfrastruktur in der EU gar nicht voll genutzt wird.
      Diese europäischen Infrastrukturprojekte sind zumeist den „Vorhaben von gemein-
      samem Interesse“ zugeordnet, was sie zu EU-Förderung und staatlichen Garantien
      berechtigt (Kapitel 4).
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Das Thema Finanzen ist ein wichtiger Aspekt dieser Studie. Hier ist einiges in Bewe-
gung angesichts der millionenschweren Investitionen in neue Gasinfrastrukturen. Zum
einen soll ein globaler Gasmarkt entwickelt werden, der die bisherige Preisbindung an
Rohölpreise ersetzt. Zum anderen öffnet die Finanzialisierung die Tür für neue Akteure in
diesem Feld (z. B. Investmentfonds), denen es in erster Linie nicht um die Energieversor-
gung der Bevölkerung geht (Kapitel 5).

Die Studie behandelt auch die andere Seite der Gasgeschäfte: die Auswirkungen auf die
Exportländer und deren Bevölkerungen. Um diese zu beschreiben, werden die Daten
verschiedener Indizes und lokale Konfliktfälle herangezogen (Kapitel 6).

Abschließend werden die Emissionen von Erdgas betrachtet und dafür die Gas-Leckagen
in der Erdgas-Lieferkette, von der Förderung bis zum Verbrauch, untersucht. Die Zahlen
werfen schwere Zweifel auf an der Idee „Klimaretter Erdgas“ und zeigen, dass die politi-
sche Entscheidung, Erdgas vermehrt zu produzieren und verbrauchen, den Kampf gegen
den Klimawandel und das Übereinkommen von Paris behindern (Kapitel 7).

   ERDGAS ODER FOSSILES GAS
   Das Wort „natürlich“ im Wort „natural gas“ (engl. für Erdgas) kann zu einer
   gewollten Zweideutigkeit führen. Das Wort „natural“ weist darauf hin, dass
   Erdgas aus der Natur gewonnen wird – anders als die aus Kohle oder Öl gewon-
   nenen Gase. Die Gasindustrie setzt das Wort „natürlich“ nun neu ein, um Erdgas
   als ein umweltfreundliches und „grünes“ Produkt darzustellen, gleichwohl Erdgas          ~5~
   ein fossiler Brennstoff ist. Um die sozialen und klimatischen Auswirkungen von
   Erdgas zu betonen und das Greenwashing der Industrie sichtbar zu machen,
   nennen wir es lieber „fossiles Gas“.
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I
GRUNDBEGRIFFE ZUM
THEMA ERDGAS        ~7~
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Um die Welt des Erdgases besser verstehen zu können, ist es notwendig einige Grund-
      begriffe zu kennen, die in der Literatur zu Erdgas verwendet werden.

      WAS IST GAS?
      Erdgas ist eine Mischung leichter gasförmiger Brennstoffe, die in Gasfeldern oder
      zusammen mit anderen fossilen Brennstoffen gefördert werden. Sein Hauptbestand-
      teil ist Methangas (87-97 %); es enthält aber auch kleine Mengen von Ethan, Propan,
      Butan, Stickstoff und Kohlendioxid.1 Hier ist es wichtig zu wissen, dass Erdgas zwar ein
      Gemisch ist, das vorwiegend aus Methan besteht, das bei der Verbrennung geringere
      Emissionen erzeugt, dass bei seiner Produktion und beim Transport jedoch Leckagen
      auftreten, deren Treibhauspotenzial (GWP-Wert) über 20 Jahre gesehen 86 mal höher ist
      als das von CO2.2

      TREIBHAUSPOTENZIAL VON METHAN IM VERGLEICH ZU CO2

          BERICHT               IN 20 JAHREN             IN 100 JAHREN
                      3
          IPCC 1995             56                       21
                      4
          IPCC 2007             72                       25
                      5
          IPCC 2013             86                       34

      Table 1 / Zusammenstellung der Autoren auf Basis von IPCC-Berichten
~8~
      An den fortlaufendenden Berichten des IPCC wird deutlich, dass der GWP-Wert
      (GWP=Treibhauspotential) von Methan höher angesetzt werden muss; viele Institutionen
      verwenden jedoch weiterhin einen niedrigen GWP-Wert von 21 oder 25.6

      1    Gas Union (ohne Datum) https://www.uniongas.com/about-us/about-natural-gas/Chemical-Composition-of-Natural-Gas
           aufgerufen am 16.11.2016
      2    IPCC (2007) Seite 84 http://www.ipcc.ch/pdf/assessment-report/ar4/wg1/ar4-wg1-chapter2.pdf
      3    IPCC (1995) pag.36 www.ipcc.ch/ipccreports/sar/wg_I/ipcc_sar_wg_I_full_report.pdf
      4    IPCC (2007) pag. 55 www.ipcc.ch/pdf/assessment-report/ar4/wg1/ar4-wg1-chapter2.pdf
      5    IPCC (2007) pag. 84 www.ipcc.ch/pdf/assessment-report/ar4/wg1/ar4-wg1-chapter2.pdf
      6    Martín-Sosa, Samuel (2016) https://www.elespanol.com/ciencia/ecologia/20161101/167603239_12.html
PFUND CO2-EMISSIONEN BEI EINEM ENERGIEVERBRAUCH
VON EINER MILLION BTU

       		                                                                   % IM VERHÄLTNIS ZU GAS
       Kohle (Anthrazit)                                  228,6                              195 %
       Kohle (Fettkohle)                                  205,7                              176 %
       Kohle (Braunkohle)                                 215,4                              184 %
       Kohle (Glanzbraunkohle)                            214,3                              183 %
       Diesel und Heizöl                                  161,3                              138 %
       Benzin                                             157,2                              134 %
       Propan                                             139,0                              119 %
       Gas                                                117,0                              100 %

Table 2 / Quelle: U.S. Energy Information Administration7

Erdgas ist unsichtbar und, entgegen dem Anschein, geruchlos. Die Gas-Leckagen
(Entweichungen) kann man erkennen, indem man zum Gas einen Stoff hinzufügt. Gas
ist nicht giftig, kann jedoch Sauerstoff verdrängen und dadurch zum Erstickungstod
führen.

WELCHE ARTEN VON ERDGAS GIBT ES?
Man kann Erdgas hinsichtlich seiner chemischen Zusammensetzung unterscheiden. Die                    ~9~
am häufigsten genutzte Unterscheidung bezieht sich aber darauf, in welchem Umfeld es
gefördert wird. Erdgas wird hauptsächlich in Gebieten mit Rohölförderung gewonnen,
daher ist seine Geschichte eng mit der Erdölförderung verbunden und dieser unterge-
ordnet. Neben dem konventionellen Gas gibt es so genannte unkonventionelle Gase wie
Schiefergas, Tight Gas oder Kohle-Flözmethan.

Schiefergas, manchmal auch Fracking-Gas genannt, kommt in Schiefergestein vor. Tight
Gas kommt in Gesteinen mit sehr geringer Durchlässigkeit vor, das wie Schiefergas zur
Förderung hydraulisch aufgebrochen wird. Kohle-Flözmethan ist, wie der Name schon
sagt, in Kohlevorkommen eingeschlossenes Methan und wird in der Regel durch eine
horizontale Bohrung erschlossen, mit oder ohne Fracking.

7   U.S. Energy Administration (2016) https://www.eia.gov/tools/faqs/faq.php?id=73&t=11
SCHEMA ZUR GEOLOGIE DER GASVORKOMMEN

                                                                   Landoberfläche

                   Konventionelles
                   Erdgas
                                                                                    Kohle-Flözmethan

                                                                                            Konventionelles Erdölgas

                           Sandstein                                     Barriere
                                                                                                                         Öl

                                                                       Tight Gas in Sandstei

                                                                      Gasreiches Schiefergestein

         Quelle: U.S. Energy Information Administration8

         WIE WERDEN GASMENGEN ANGEGEBEN?
         Mengenangaben von Erdgas scheinen zunächst verwirrend. Manchmal wird das
         Volumen angeben, die enthaltene Energie oder ihr Äquivalent und in manchen Fällen
~ 10 ~
         das Gewicht. Im Allgemeinen werden Reserven in Billionen Kubikmetern 9 (tcm) oder
         Billionen Kubikfuß (tcf) gemessen, Transport-, Export- und Importkapazitäten in Milli-
         arden Kubikmetern (bcm) oder Milliarden Kubikfuß (bcf) und die enthaltene Energie in
         Kilojoule (kJ), British Thermal Units (BTU), Kilowattstunden (kWh) oder Tonnen Rohöl-
         äquivalent (TOE).

         Es ist zu beachten, dass der Energiegehalt pro Gaseinheit – die wirklich wichtige Kenn-
         größe – nicht konstant ist und je nach Zusammensetzung des Erdgases bei Förderung
         und je nach Filterverfahren stark schwankt.

         Wenn Volumeneinheiten durch Zeiteinheiten ergänzt werden, geben sie die Menge an
         Gas an, die produziert, transportiert oder verbraucht werden kann, z. B. bcm/Jahr oder
         GWh/Tag.

         8   U.S. Energy Information Administration (2011) https://www.eia.gov/todayinenergy/detail.php?id=110
         9   Die englischen Zahlen „Trillion“ und „Billionen“ bezeichnen die Einheiten 1012 bzw. 10 9, weil sie in der so genannten
             „kurzen Skala“ ausgedrückt werden, die in den USA, dem englischsprachigen Teil von Kanada und dem Vereinigten
             Königreich verwendet wird.
UMRECHNUNG DER HÄUFIGSTEN MASSEINHEITEN FÜR GAS

            VOLUMEN    VOLUMEN    VOLUMEN    VOLUMEN     ENERGÍA    ENERGÍA    ENERGÍA    ENERGÍA    ENERGÍA    ENERGÍA    ENERGÍA

 von:/in:       tcm         tcf       bcm         bcf       BTU      MBTU         kWh       GWh           kJ        GJ        TOE

 tcm              1        35,3      1,000   3,53E+04   3,79E+16   3,79E+10   1,11E+13   1,11E+07   4,00E+16   4,00E+10   9,55E+08

 tcf        0,02833          1       28,33      0,001   1,07E+15   1,07E+09   3,15E+05     0,3145   1,13E+15   1,13E+09   2,70E+08

 bcm           0,001    0,0353          1        35,3   3,79E+13   3,79E+07   1,11E+10   1,11E+04   4,00E+13   4,00E+07   9,55E+05

 bcf        2,83E-05      0,001   0,02833           1   1,07E+12   1,07E+06   3,15E+08      314,5   1,13E+12   1,13E+06   2,70E+05

 BTU        2,80E-17   9,32E-16   2,80E-14   9,32E-13          1   1,00E-06   2,93E-04   2,93E-10       1,06   1,06E-06   2,52E-08

 MBTU       2,80E-11   9,32E-10   2,80E-08   9,32E-07   1,00E+06          1       293    2,93E-04   1,06E+06      1,055   0,025202

 kWh        9,00E-14   3,18E-12   9,00E-11   3,18E-09       3410    0,00341          1   1,00E-06      3600      0,0036   8,60E-05

 GWh        9,00E-08   3,18E-06   9,00E-05    0,00318   3,41E+09      3410    1,00E+06         1    3,60E+09      3600      85,980

 kJ         2,50E-17   8,83E-16   2,50E-14   8,83E-13      0,947   9,47E-07   2,78E-04   2,78E-10          1   1,00E-06   2,39E-08

 GJ         2,50E-11   8,83E-10   2,50E-08   8,83E-07   9,47E+05      0,947      277,8   2,78E-04   1,00E+06          1    0,02388

 TOE        1,05E-09   3,70E-08   1,05E-06   3,70E-05   3,97E+07      39,68   1,16E+04    0,01163   4,19E+07     41,868          1

Tabla 3 / Quelle: Energy Information Administration10

WIE KOMMT GAS ZUM VERBRAUCHER?
Der Weg von der Förderung zum Verbrauch (Erdgas-Lieferkette) ist relativ einfach, wenn
man sich auf die wichtigsten Elemente beschränkt. Von den Bohrlöchern wird das Erdgas
in die Verarbeitungsanlage transportiert, wo bestimmte Bestandteile wie Stickstoff und
Kohlendioxid, die den Transport und die Verbrennung verkomplizieren würden, vom Gas
abgeschieden werden.11 Nach diesem Prozess wird das Gas in eine Kompressorstation
                                                                                                                                     ~ 11 ~
geleitet, wo seine Dichte erhöht wird, damit es durch eine Gaspipeline zum Verbrau-
cher transportiert werden kann. Über große Entfernungen 12 oder wenn kein Pipelines
vorhanden sind, wird das Erdgas zu einer Verflüssigungsanlage (Exportterminal) trans-
portiert, und dort in einem teuren Verfahren verflüssigt. Dabei wird seine Temperatur auf
-162 °C gesenkt und sein Volumen um das 600-Fache reduziert. Gas in flüssiger Form
wird Flüssiggas oder LNG genannt (engl. liquefied natural gas). Als Flüssiggas können
große Gasmengen in LNG-Tankern auf dem Seeweg transportiert werden. Anschließend
wird das Flüssiggas in einer Wiederverdampfungsanlage (Importterminal) wieder in seine
Gasform überführt. Von dort wird es durch Gaspipelines zu Verdichteranlagen und dann
zu den Verbrauchern transportiert, oder wird für den späteren Verbrauch gespeichert
(Fernández Durán & González Reyes, 2014).

10     Agencia Internacional de la Energía (2016) http://wds.iea.org/wds/pdf/Gas_documentation.pdf
11     U.S. Energy Information Administration (2006) https://www.eia.gov/naturalgas/archive/feature_articles/2006/ngprocess/
       ngprocess.pdf
12     Nach Schätzungen mancher Autoren 4000 km über Land und 2000 km unter Wasser (Fernández Durán & González
       Reyes, 2014)
ERDGAS-LIEFERKETTE

                   PRODUKTION                                 VERTEILUNG                ENERGIENUTZUNG

             Konventionelle und
             unkonventionelle Förderung
BIOPHYSIKALISCHE GRENZEN
Erdgas ist ein nicht erneuerbarer fossiler Brennstoff. Seine intensive und extensive
Nutzung bringt uns immer schneller an den Punkt seiner maximalen Extraktion,
dem Gasfördermaximum (Peak Gas). Schätzungen zufolge könnte dieser Punkt
schon im Jahr 2030 erreicht sein. Ab diesem Punkt ist eine Abnahme der Förder-
mengen unumkehrbar. Es sind vor allem geologische Gründe, die zu diesem
Gasfördermaximum führen. Andere Gründe für die Abwärtskurve können die
schwankenden und tendenziell steigenden Preise für Gas sein, aber auch Konflikte
um die Kontrolle der Ressource und damit verbundenen negativen Auswirkungen
auf gefährdete Bevölkerungsgruppen.

ÜBERBLICK ÜBER MAXIMALE GASFÖRDERUNG (TCF/JAHR)

                                                 250

                                                 200
   Billionen Kubik fuß pro J a hr (TCF/J a hr)

                                                 150

                                                 100

                                                  50
                                                                                                                                              ~ 13 ~

                                                   0
                                                       1990           2010     2030            2050            2070         2090

                                                              Lahèrrere 2006      Mohr&Evans 2011 Hohes Szenario       WEO2010 Produktion
                                                                                                                       derzeitige Strategie
                                                              ASPO2009            Mohr&Evans 2011 Beste Schätzung
                                                                                                                       Historische Daten
                                                                                  Mohr&Evans 2011 Niedriges Szenario

Grafik 1 / Quelle: The transition towards renewable energies:
Physical limits and temporal conditions (Mediavilla et al., 2012)
II
         GAS DAMALS:
         LANGSAMES REGIO-
~ 14 ~
         NALES WACHSTUM
Die erste bekannte unterirdische Bohrung nach Erdgas erfolgte durch William Hart im Jahr
1821 in Fredonia im Bundesstaat New York. Der weniger als 8 Meter tiefe Schacht war
mit einer Rohrleitung aus hohlen Baumstämmen verbunden, die mit Lumpen und Teer
abgedichtet waren. Weil der Transport durch Pipelines nicht einfach war, wurde Erdgas
bis zum zweiten Weltkrieg nur eingeschränkt genutzt. Durch verbesserte Metallverar-
beitungsverfahren während des Krieges wurden Pipeline-Netze wirtschaftlich attraktiv.13

Die großen Öl- und Gasunternehmen entstanden Ende des 19. und zu Beginn des 20.
Jahrhunderts. Standard Oil wurde im Jahr 1870 von John D. Rockefeller gegründet. Als
die Gesellschaft aufgrund des US-amerikanischen Kartellrechts gezwungen wurde, sich
in vier Unternehmen zu entflechten, entstanden Exxon Mobil und Chevron. Shell wurde
1907 gegründet und kurz darauf British Petroleum (BP). Im Jahr 1920 bot die Deutsche
Bank Frankreich 25 % der Turkish Petroleum Company als Reparation für die Schäden
von Deutschland während des Ersten Weltkriegs in der französischen Republik. Dies war
die Grundlage für das Unternehmen Total.

Mit der Entdeckung des niederländischen Groningen-Gasfeldes im Jahr 1959 nahm die
Erdgasförderung in Europa Fahrt auf. Schon drei Jahre später exportierten die Niederlande
Gas nach Frankreich, Belgien und Deutschland. Damals suchte der niederländische Wirt-
schaftsminister Jan Willem de Pous eine Formel für die Festlegung des Exportpreises,
der dem sowohl dem Exportland als auch dem Lizenz-Unternehmen Gewinne garan-
tierte. Die Lösung war ein „Referenzwert“, durch den der Erdgaspreis an einen anderen
Brennstoff gekoppelt wurde, der Erdgas ersetzen konnte. Damals war dies Rohöl.14                       ~ 15 ~

Mit der Zeit wurde diese Formel als „Ölpreisbindung“ bekannt. Durch diese Indexierung
machten Exxon, Shell und die niederländische Regierung höhere Gewinne, als wenn die
Gaspreise an die Förderkosten im Groningen-Gasfeld gebunden gewesen wären.

Das De Pous-Verfahren bildete auch die Basis von Gaslieferverträgen. Diese Verträge
haben eine Laufzeit von 20-25 Jahren und enthalten garantierte Abnahmemengen, d. h.
der Käufer ist verpflichtet, Mindestgasmengen zu bezahlen, auch wenn er diese womög-
lich gar nicht importiert. Ziel dieser Vertragsform ist es, „stabile Beziehungen“ zwischen
Exportländern und Importländern zu schaffen. Einerseits können die Exportländer die für
den Export notwendige extrem teure Infrastruktur entwickeln, bei vermindertem Risiko,
dass sie später nicht mehr genutzt wird. Andererseits können die Importländer durch
garantierte Liefermengen die nötige Energieversorgungssicherheit gewährleisten.

In den 1960er Jahren entdeckte das Vereinigte Königreich die ersten Gasfelder in der
Nordsee, für den heimischen Verbrauch.15

13   New York State (ohne Datum) https://www.dec.ny.gov/docs/materials_minerals_pdf/nyserda2.pdf
14   The Global Gas Historical Network (ohne Datum) http://archive.is/GDgWK aufgerufen am 16.11.2016
15   Das Adjektiv „heimisch“ bezieht sich auf das Hoheitsgebiet eines Staates.
Auch Norwegen ging diesen Weg. Weil der heimische Markt beschränkt war, baute
         Norwegen Gaspipelines für den Export ins Vereinigte Königreich und nach Europa (Stern,
         2004).

         NETZWERK VON GASPIPELINES NORWEGEN-EUROPA, 2016

                                                                                         NORWEGEN

~ 16 ~
                                                                                                                SCHWEDEN

                                                                                       DÄNEMARK

                                    GROß
                               BRETANNIEN

                                                                                  DEUTSCHLAND
                                                             NIEDERLANDE
                                                                                                Bestehende Gaspipeline
                                                                                                  Projektierte Gaspipeline
                                                                                                       Sonstige Pipelines
                                                         BELGIEN
                                        FRANKREICH

         Karte 1 / Quelle: Norwegian Petroleum16

         16   Norwegian Petroleum (2016) https://www.norskpetroleum.no/en/production-and-exports/exports-of-oil-and-gas/
Auch Algerien errichtete in den 1960ern seine erste Exportanlage und begann, das
Vereinigte Königreich und Frankreich zu beliefern.17 1983 wurde die Trans-Mediterrane
Gasleitung an die italienischen Netzwerke angeschlossen und lieferte folglich Erdgas von
Algerien über Tunesien nach Sizilien. Im Jahr 1996 erreichte die zweite algerische Pipe-
line Spanien und Portugal, dieses Mal über Marokko. 2010 nahm schließlich MEDGAZ
den Betrieb auf, eine Gaspipeline, die Algerien direkt mit Spanien verbindet (Stern, 2004).

NETZWERK VON GASPIPELINES ALGERIEN-EU, 2016

                                                                                                                         ~ 17 ~

Karte 2 / Quelle: ENTSOG/GIE18

Erdgasexporte von Russland nach Europa begannen mit der Mega-Pipeline Brotherhood
(auch Urengoj-Pomari-Uschgorod-Pipeline genannt), die 1983 in Betrieb genommen
wurde, und der späteren Jamal-Europa-Pipeline im Jahr 1997.

17   Algerische Botschaft in London (ohne Datum) http://www.algerianembassy.org.uk/index.php/algeria-uk-relations.html
     aufgerufen am 16.11.2016
18   ENTSOG/GIE (2016) https://www.entsog.eu/public/uploads/files/maps/systemdevelopment/ENTSOG-GIE_SYSDEV_
     MAP2015-2016.pdf
NETZWERK VON GASPIPELINES RUSSLAND-EU, 2007

                                                            Zum Shtokman-Feld
                  Gaspipeline
                  Geplante Gaspipeline                                               Zu den Jamal-Gasfeldern

                  Mitgliedstaaten der EU
                  Russland
                                500 Km

         Karte 3 / Quelle: Samuel Balley, 2009

~ 18 ~   Obwohl Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und Belgien bereits Flüssiggas-
         Importterminals an ihren Küsten haben, verzeichnet der LNG-Sektor aufgrund der hohen
         Kosten nur ein langsames Wachstum. Im Gegensatz dazu zementierte das Netzwerk
         russischer Erdgaspipelines die Gasbeziehungen der mittel- und osteuropäischen Staaten
         zu den sibirischen Gasfeldern und verstärkte deren Abhängigkeit von russischem Gas.

         IMPORT AUS DER UDSSR, RUSSISCHE FÖDERATION (BCM)

         160,00    DEUTSCHLAND           ITALIEN   TÜRKEI     FRANKREICH        UNGARN    SONSTIGES
         140,00

         120,00

         100,00

          80,00

          60,00

          40,00

          20,00

           0,00
                  1973       1975          1980    1985       1990      1995       2000      2003

         Grafik 2 / Zusammenstellung der Autoren basierend auf Daten aus Stern, 2004
III
GAS HEUTE: RASANTES
GLOBALES WACHSTUM ~ 19 ~
Gegenwärtig wächst der Gassektor beschleunigt und weltweit. Dafür gibt es Indi-
         zien. In fast allen Weltregionen werden neue Gasreserven entdeckt, wird mehr Erdgas
         gefördert und verbraucht, mehr Verflüssigungsanlagen und Mega-Pipelines installiert,
         und die Flotten von LNG-Tankern vermehren sich. Hunderte Milliarden Euro werden in
         die Entwicklung dieses Sektors investiert. Weil Erdgas heute im offiziellen Diskurs als
         der Übergangstreibstoff hin zu einer emissionsarmen Wirtschaft und als Partner der
         erneuerbarer Energien gilt, sind die Türen für seine umfassende Nutzung weit geöffnet.
         Multinationale Öl- und Gaskonzerne profitieren von dem rasanten Wachstum im
         Gassektor. Indem sie ihren Anteil am Gasgeschäft konsolidieren, stärken sie ihre Hege-
         monie in der Energiewirtschaft.

         NACHGEWIESENE ERDGASRESERVEN (TCM)

         90,0
         80,0
         70,0
         60,0
         50,0
         40,0
         30,0
         20,0
         10,0
            0
                     Nord-           Mittel-    Europa (Nicht-EUSt.)      EU        West-            Afrika          Asien-
                    amerika      und Südamerika    & Eurasien                       Asien                            Pazifik

~ 20 ~                                                                                      1995          2005        2015
         Grafik 3 / Quelle: Datenbank von BP

         GASFÖRDERUNG (BCM)

         1200,0

         1000,0

          800,0

          600,0

          400,0

          200,0

                0
                        Nord-           Mittel-    Europa (Nicht-EUSt.)        EU     West-             Afrika          Asien-
                       amerika      und Südamerika    & Eurasien                      Asien                             Pazifik

                                                                                              1995            2005        2015

         Grafik 4 / Quelle: Datenbank von BP
GASVERBRAUCH (BCM)

1200,0

1000,0

 800,0

 600,0

 400,0

 200,0

     0

            Nord-        Mittel-    Europa (Nicht-EUSt.)   EU        West-           Afrika        Asien-
           amerika   und Südamerika    & Eurasien                    Asien                         Pazifik

                                                                             1995         2005      2015

Grafik 5 / Quelle: Datenbank von BP

Wie diese Grafiken zeigen, nehmen Gasreserven und Gasförderung in der EU stark ab.
Westasien19 hingegen beherbergt beträchtliche Reserven, und Nordamerika, mit den
USA an der Spitze, hat seine Fördermengen im letzten Jahrzehnt drastisch erhöht. Global
gesehen sind Importregionen die EU und die asiatisch-pazifische Region; Exportregionen
sind Westasien und Afrika. Alle anderen Regionen halten ein Gleichgewicht zwischen
Förderung und Verbrauch. Ein differenzierter Blick auf einzelne Länder dieser Regionen
zeigt jedoch ein ganz anderes Bild.

                                                                                                                      ~ 21 ~
GEOPOLITIK: NEUE GASBEZIEHUNGEN
Viele Ereignisse in den letzten 10 Jahren weisen auf eine neue Geopolitik hin bezüglich
der Energieressourcen und insbesondere von Erdgas. Die Finanzkrise 2007-08, der so
genannte Arabische Frühling in Ägypten, Libyen, Tunesien, Jemen und Syrien (2010-13),
die Katastrophe von Fukushima (2011), der Erdgaskonflikt zwischen Ukraine und Russland
(mit Höhepunkten in 2006 und 2009), der Bürgerkrieg in der ehemaligen Sowjetrepublik
(2014-), die Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran (seit 2016), der plötzliche Abfall
des Rohölpreises (Mitte 2014) und der Boom unkonventioneller Brennstoffe in den USA 20
(2007-) ergeben ein globales Szenario, das sich ohne Zweifel von dem des vorherge-
henden Jahrzehnts unterscheidet.

19   Im allgemeinen Sprachgebrauch der „Nahe Osten“. Dieser Name wird jedoch als eurozentrisch kritisiert.
20   Mit dem Boom unkonventioneller Brennstoffe ist das starke Wachstum bei der Förderung von Schiefergas und Tight
     Gas und in der Fracking-Technologie in den USA seit 2007 gemeint. https://www.eia.gov/energyexplained/index.
     cfm?page=natural_gas_where
TOP 10 BEI GASRESERVEN, GASFÖRDERUNG UND GASVERBRAUCH
          RESERVEN		             JÄHRL. WACHS-       FÖRDERUNG		   JÄHRL. WACHS-               VERBRAUCH 		   JÄHRL. WACHS-
          2015      TCM            TUM (2006–15)     2015      BCM   TUM (2006–15)             2015       BCM   TUM (2006–15)

          Iran           34,02           2,2 %       USA           767,3           4,0 %       USA           778,0           2,3 %

          Russische Föd. 32,27           0,3 %       Russische Föd. 573,3         -0,3 %       EU            402,1           -2,0 %

          Katar          24,53          -0,4 %       Iran          192,5           6,1 %       Russische Föd. 391,5          0,0 %

          Turkmenistan 17,48            32,5 %       Katar         181,4          12,4 %       China         197,3          15,3 %

          USA            10,44           6,3 %       Kanada        163,5          -1,4 %       Iran          191,2           6,5 %

          Saudi-Arabien 8,33             2,0 %       China         138,0           9,4 %       Japan         113,4           3,9 %

          Arab. Emirate 6,09             0,0 %       EU            120,1          -6,0 %       Saudi-Arabien 106,4           4,2 %

          Venezuela      5,62            2,7 %       Norwegen      117,2           2,9 %       Kanada        102,5           0,5 %

          Nigeria        5,11           -0,1 %       Saudi-Arabien 106,4           3,9 %       Mexiko        83,2            3,3 %

          Algerien       4,50            0,0 %       Algerien      83,0           -0,7 %       Deutschland 74,6              -1,3 %

         Tabelle 4 / Zusammenstellung der Autoren basierend auf Daten von BP
         Anmerkung: Die TOP 10 bei Gasreserven, Gasförderung und Gasverbrauch zeigen die potenziellen
         Reserven im Iran, die steigende Förderung in den USA und die Zunahme bei Förderung und Verbrauch
         in China. Dies alles steht im Gegensatz zu den sinkenden Fördermengen in der Europäischen Union.

         Auch wenn in der Arktis in naher Zukunft keine Erkundungen und keine massive Förderung
~ 22 ~
         von Gas geplant sind, ist Erdgas hier Grund für Konflikte. Schätzungen zufolge befinden
         sich 13 % der Öl- und 30 % der weltweiten Gasreserven in der Arktis (Aoun, Lojanica,
         & Mathieu, 2015). Die Polarstaaten (Russland, USA, Kanada, Norwegen und Dänemark)
         befinden sich ständig in Auseinandersetzung über die Grenzziehung in dieser Region. 21
         Nordafrika ist eine relevante Erdgasregion. Die Reserven in Algerien (4,5 tcm), Ägypten
         (1,8 tcm) und Libyen (1,5 tcm)22 sind für die Europäische Union von großer Bedeutung.23
         Die Gasförderung und der Gasexport laufen in diesen drei nordafrikanischen Ländern
         jedoch nicht reibungslos ab. In Amena (Algerien) griff Al-Qaida im Februar 2013 eine
         Erdgasanlage an, es gab 40 Tote.24 Weil die algerischen Gasfelder versiegen, nicht in
         neue Explorationsprojekte investiert wird und der heimische Verbrauch steigt, sinken
         die Exportkapazitäten in Algerien (Hamouchene & Pérez, 2016). In Libyen wurden die
         Gasexporte während des Bürgerkriegs 2011 vorübergehend unterbrochen; die einzige
         libysche Verflüssigungsanlage wurde im Bürgerkrieg beschädigt und ist bis heute nicht

         21   Greenpeace hat 2012 eine Kampagne ins Leben gerufen, mit der eine Ausbeutung von Kohlenwasserstoffen und der
              nicht nachhaltige industrielle Fischfang in der Arktis verhindert werden sollen. Greenpeace (ohne Datum) https://www.
              savethearctic.org/ aufgerufen am 16.11.2016.
         22   Datenbank von BP. Schätzungen bis Ende 2014.
         23   4 Gaspipelines verbinden Nordafrika mit der EU: 3 von Förderstätten in Algerien und eine aus Libyen. Der Bau einer
              neuen Gasleitung von Algerien nach Italien ist geplant.
         24   Geiselnahme von In Amenas https://de.wikipedia.org/wiki/Geiselnahme_von_In_Am%C3%A9nas
funktionsfähig.25 In Ägypten hat sich der heimische Verbrauch zwischen 2000 und 2012
verdreifacht; um diesen Bedarf zu decken, wurde mehr Gas gefördert und weniger
exportiert.26

In Westasien ist Iran ein wichtiger Akteur. Die kürzlich erfolgte Aufhebung des Embargos
und die Atomvereinbarung mit Iran27 eröffnet dem Erdgasriesen eine neue Zukunft. Schät-
zungen zufolge verfügt der Iran über Reserven von 34,02 tcm und exportiert mindestens
9 bcm/Jahr in die Türkei, nach Armenien und Aserbaidschan.28 Die Gasförderung dient
zwar auch dem heimischen Verbrauch; die National Iranian Gas Company will jedoch ihre
Exportquoten auf 128 bcm/Jahr erhöhen und damit zu den Weltmarktführern in diesem
Sektor aufschließen. Mit diesem Ziel vor Augen plant der Iran eine Verflüssigungsanlage,
mit der Gas über die Türkei und die arabische Halbinsel nach Europa exportiert werden
kann,29 sowie Gaspipelines wie der Iran-Pakistan-Leitung und der persischen Gaspipeline.

Turkmenistan, im Norden von Iran, könnte mit der Entdeckung neuer Reserven zu einem
wichtigen Exporteur aufsteigen, weshalb die Europäische Union und China darum wett-
eifern, Verbindungen zu dieser zentralasiatischen Republik aufzubauen.

KONZENTRATION DER GASRESERVEN 2015 (TCM)

                                                                                 1 Aserbaidschan                     1,15

                                                                                 2 Russische Föderation            32,27

                                                                                 3 Turkmenistan                    17,48
                                                                                                                            ~ 23 ~
                                                                                 4 Iran                            34,02
                                                 2
                                                                                 5 Irak                             3,69

                                                                                 6 Katar                           24,53

                                                                                 7 Saudi-Arabien                    8,33

                                                                                 8 Vereinigte Arabische Emirate     6,09
                                                     1        3                  9 Algerien                         4,50

                                                 5        4                      10 Ägypten                         1,85
                9           11       10                                          11 Libyen                          1,50
                                                 7 6 8

Karte 4 / Zusammenstellung der Autoren basierend auf Daten von BP
Anmerkung: Mehr als 70 % der globalen Reserven befinden sich in dieser Region.

25   U.S. Energy Information Agency (2015) https://www.eia.gov/beta/international/analysis.cfm?iso=LBY
26   U.S. Energy Information Agency (2015) https://www.eia.gov/beta/international/analysis.cfm?iso=EGY
27   US-Außenministerium (2015) https://www.state.gov/e/eb/tfs/spi/iran/jcpoa/
28   U.S. Energy Information Agency (2015) https://www.eia.gov/beta/international/analysis.cfm?iso=IRN
29   S&P Global. Platts (2016) https://www.platts.com/latest-news/natural-gas/london/feature-iran-eyes-major-gas-export-
     boost-but-26448318
In der Beziehung zwischen EU und Russland spielt Erdgas eine wichtige Rolle. Die
         gegenwärtige EU-Energiepolitik (insbesondere die Diversifizierung der Energieimporte)
         wird mit dem Krieg in der Ukraine und der hohen Abhängigkeit von russischem Gas
         gerechtfertigt. Die EU importiert ungefähr 30 % aller Gasimporte aus der Russischen
         Föderation, wovon 50 % durch die Ukraine fließen.

         Sowohl die EU als auch Russland betonen, wie wichtig es ist, die Gasbeziehungen zu
         diversifizieren. Die EU installiert deshalb neue Pipelines, z. B. den Südlichen Gaskor-
         ridor 30, der Gas aus Aserbaidschan (und Turkmenistan) nach Italien leiten soll. Sie baut die
         Beziehungen zu Nordafrika aus und führt Energieverhandlungen mit Algerien, USA und
         Kanada. Sie möchte sich für LNG aus Katar, Nigeria, Ägypten, Libyen, Australien, Alge-
         rien, USA und neuen Exportländern wie Angola, Mosambik, Tansania, Israel, Libanon,
         Iran und Irak öffnen.31

         Umgekehrt richtet die Russische Föderation ihre Gasgeschäfte stärker nach Asien
         aus. Im Jahr 2014 unterzeichnete Gazprom, der staatliche russische Gaskonzern, einen
         30-Jahres-Vertrag mit der China National Petroleum Corporation (CNPC) über die Liefe-
         rung von 38 bcm pro Jahr und zur Installation der Megapipeline „Kraft Sibiriens“.32
         Insgesamt sollen 55 Mrd. US-Dollar investiert werden. Allerdings hat der Fall des Rohöl-
         preises einigen Quellen zufolge die Pläne des Kremls gebremst. 33

         Seit dem Boom unkonventioneller Brennstoffe sind neue Akteure auf der Bildfläche
         erschienen. Innerhalb weniger Jahr ist in den USA Förderung von Schiefergas steil ange-
~ 24 ~   stiegen, von nahe Null auf 40 % der Förderung aller fossilen Brennstoffe im Jahr 2013.
         Dadurch fielen in den USA die Preise für Erdgas34 und Importe sind auf den Stand von
         1986 zurückgegangen. 35 Wie zahlreiche Organisationen berichten, ist diese Entwicklung
         jedoch von schweren Gesundheits- und Umweltschäden begleitet. 36

         Um den Preisverfall zu mindern, möchte die USA die Spitze der Weltexporte übernehmen,
         und setzt ihre technische Kapazitäten dafür voll ein. Sie könnte nach Asien exportieren,
         wo die Preise attraktiv sind, oder nach Europa, was zwar weniger lukrativ ist, aber strate-
         gisch interessant, um die russische Gashegemonie in Europa zu beenden.

         30   Der Südliche Gaskorridor wurde früher Transkaspische Gaspipeline genannt.
         31   Europäische Kommission (2016) https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/1_EN_ ACT_part1_v10-1.pdf
         32   Gazprom (ohne Datum) http://www.gazprom.com/about/production/projects/pipelines/built/ykv/ aufgerufen am
              16.11.2016
         33   Reuters (2016) https://www.reuters.com/article/us-russia-china-gas-exclusive/exclusive-russia-likely-to-scale-down-
              china-gas-supply-plans-idUSKCN0UT1LG
         34   Der Preis lag 2008 bei 8,86 $/Mbtu und 2015 bei 2,62 $/Mbtu, ein Rückgang um 70 % auf das Preisniveau der 90er
              Jahre. U.S. Energy Information Agency (2016) https://www.eia.gov/naturalgas/importsexports/annual/
         35   U.S. Energy Information Agency (2016) www.eia.gov/naturalgas/importsexports/annual/
         36   Greenpeace (2014) https://www.greenpeace.org/usa/global-warming/issues/natural-gas/case-studies/
Gegenwärtig sind die Gasfördergesellschaften in den USA hoch verschuldet, aufgrund
der abnehmenden Förderung und wegen Millionenverluste im Zusammenhang mit dem
Fall des Ölpreises.37

Australien beschloss neue Reserven von konventionellen Brennstoffen und Kohle-
Flözmethan zu erschließen und Exportanlagen zu bauen – nach der Fukushima-Katastrophe
in Japan. Heute steht Japan an der Spitze der LNG-importierenden Länder und allgemein
besteht in Asien eine hohe Nachfrage nach Erdgas (Südkorea, China, Indien usw.). Über 90 %
der australischen Reserven von konventionellem Gas befinden sich in maritimen Gebieten
im Nordwesten des Landes, Gebieten von großem ökologischen Wert und einer hohen
Biodiversität. Anders als die USA verfügt Australien über wenige Exportanlagen. Weil die
Projekte in entlegenen Regionen angesiedelt sind, wo es keine spezialisierten Arbeitskräfte
gibt, sind die Kosten für Exportanlagen astronomisch hoch; der Gasexportkomplex Gorgon
LNG im Nordwesten Australiens hat 54 Milliarden Dollar gekostet (Lee, 2013).

Auch Kanada verfügt über große Gasreserven, ist aber mit ähnlichen Problemen konfron-
tiert wie Australien: die Projekte liegen in entlegenen Regionen ohne Infrastruktur und auf
Territorien von Indigenen. In Mosambik planen die amerikanische Gesellschaft Anadarko
und der italienische Konzern Eni ab 2021 den Export von LNG; der früher geplante Beginn
verzögert sich voraussichtlich aufgrund der niedrigen Gaspreise (Maugeri, 2014).

IMPORT- UND EXPORTPROJEKTE
Das rasante Wachstum im globalen Gassektor hat weltweit zahllose Gasprojekte ange-                                        ~ 25 ~
kurbelt. Globale Exportkapazitäten (Pipelines und LNG) werden sich um 50 % erhöhen
(286 MTA bereits in Betrieb und 139 MTA im Bau) und auf wenige Ländern konzentrieren
– vor allem auf USA und Australien. Rechnet man dazu die Anlagen, die derzeit geplant
und entworfen werden, könnte sich die globale Exportkapazität sogar mehr als verdop-
peln, jedoch sind Projekte, die noch nicht die Bauphase erreicht haben, mit Vorsicht zu
behandeln, denn sie konkurrieren miteinander um Anteile an den Märkten und nicht alle
erhalten die notwendigen Lizenzen und Investitionen. Der Fall des Ölpreises wirkt sich
auch auf die Investoren aus, die planten, als die Preise noch hoch waren.

Interessanterweise wächst die Anzahl von Wiederverdampfungsanlagen (zum Import
von Flüssiggas) nur moderat (1499 MTA in Betrieb und 144 MTA im Bau), weshalb auf
globaler Ebene ein starkes Ungleichgewicht zwischen der Export- und der Importkapa-
zität für LNG besteht. Es wird allerdings geschätzt, dass die Flotte der LNG-Tanker in ein
paar Jahren um 25 % wachsen wird.38

37   Bloomberg (2015) https://www.bloomberg.com/news/articles/2015-09-17/an-oklahoma-of-oil-at-risk-as-debt-shackles-u-
     s-shale-drillers
38   Nach Angaben des IGU World Gas LNG Report, Ausgabe 2016, sind derzeit 614 LNG-Tanker in Betrieb und 150 im Bau.
KAPAZITÄT DER VERFLÜSSIGUNGSANLAGEN 2015
         (METRISCHE TONNEN PRO JAHR/MTPA)

         80,00                                                                                                                                                        In Betrieb                                                               Im Bau
         70,00
         60,00
         50,00
         40,00
         30,00
         20,00
         10,00
          0,00
                          Indonesien

                                       Australien

                                                    Malaysia

                                                               Nigeria

                                                                         Algerien

                                                                                    Trinidad u.Tobago

                                                                                                        Ägypten

                                                                                                                  Oman

                                                                                                                         Russland

                                                                                                                                    Brunei

                                                                                                                                             Jemen

                                                                                                                                                     Arabi. Emirate

                                                                                                                                                                      Angola

                                                                                                                                                                               Peru

                                                                                                                                                                                      Norwegen

                                                                                                                                                                                                 Äquatorialguinea

                                                                                                                                                                                                                    Papua-Neuguinea

                                                                                                                                                                                                                                      Libyen

                                                                                                                                                                                                                                                USA

                                                                                                                                                                                                                                                      Kamerun
                  Katar

         Grafik 6 / Zusammenstellung der Autoren basierend auf Daten aus International Gas Union, 2016

         KAPAZITÄT DER WIEDERVERDAMPFUNGSANLAGEN 2015
         (METRISCHE TONNEN PRO JAHR/MTPA)

         200,00

         150,00                                                                                                                                                       In Betrieb                                           Im Bau

~ 26 ~   100,00

          50,00

           0,00
                                Japan
                                  USA
                                 Korea
                              Spanien
                                 China
                   Verein. Königreich
                                Indien
                           Frankreich
                               Mexiko
                               Taiwan
                             Brasilien
                                Italien
                                Türkei
                             Ägypten
                         Niederlande
                          Indonesien
                         Argentinien
                               Kanada
                              Belgien
                             Singapur
                               Kuwait
                             Portugal
                             Thailand
                                  Chile
                            Jordanien
                             Malaysia
                             Pakistan
                        Griechenland
                                 Israel
                              Litauen
                   Arabische Emirate
                    Domini. Republik
                         Puerto Rico
                          Philippinen
                                 Polen

         Grafik 7 / Zusammenstellung der Autoren basierend auf Daten aus International Gas Union, 2016

         Von allen Erdgasexporten umfasste LNG nur 9,8 % im Jahr 2015 (International Gas Union,
         2016), Tendenz steigend aufgrund des großen Interesses an Erdgas. Interessant ist, wie LNG
         die Gasbeziehungen zwischen den Weltregionen neu gestaltet: LNG ist flexibler als Gaspipe-
         lines und dadurch konkurrieren auch Länder um eine Position auf dem globalen Gasmarkt.

         Wachsende LNG-Exportkapazitäten hindert nicht auch die Planung neuer Gaspipelines weiter
         zu verfolgen. Megapipelines verbinden Länder; politisch gehen sie meist über reine Energie-
         fragen hinaus. In vielen Fällen ist es schwierig, Informationen über Technik und Baufortschritt
         zu finden. Die folgende Tabelle enthält eine Liste der wichtigsten internationalen Gaspipelines.
GEPLANTE INTERNATIONALE MEGA-GASPIPELINES
                             LÄNGE UND
 GASPIPELINE/LÄNDER          KAPAZITÄT        STATUS                 UNTERNEHMEN
                                                                     Northwest Pipeline (Pemex Gas und Petroquimica Basica
                                                                     (PGPB), eine Tochtergesellschaft von Pemex, + Ienoca
                                                                                               39
 Los Ramones                 860 km                                  (Sempra Mexico) > Phase I ; Chihuahua-Pipeline, Toch-
                                              In Betrieb seit 2016
 USA-Mexiko                  22 bcm                                  tergesellschaft von PGPB > Phase I; MGI Supply > Phase I;
                                                                     SunGard > Phase I; GDF Suez + Pemex > Phase II 40 ;
                                                                     TAG Pipeline, Teil von Pemex > Phase II
 Power of Siberia            3944 km          Im Bau. Betriebs-    Gazprom
                                                                41
 China-Russland              38 bcm           bereit Ende 2019     China National Petroleum Corporation (CNPC)
 TAPI Turkmenistan-Afgha- 1420 km             Im Bau. Betriebs-      Turkmengaz; GAIL India;
 nistan-Pakistan-Indien   33 bcm              bereit Ende 2019 42    ISGS > Pakistan; Afghan Gas Enterprise (AGE)
                                                                     National Iranian Gas Company > Iran
                                              Im Bau.
                             2775 km                                 Khatam al-Anbia (Subunternehmen) >Iran
 Iran-Pakistan                                Unklar wann
                             40 bcm                          43      Sui Northern Gas Pipeline Limited + Sui Southern Gas
                                              betriebsbereit
                                                                     Company Limited (Konsortium) > Pakistan
                                                                     National Iranian Gas Export Company (NIGEC)
                                                                     Som Petrol (Türkei) – Option 1: Iranisches Unternehmen +
 Persische Gaspipeline       3300 km                       44        ausländisches Unternehmen (Konsortium); – Option 2:
                                              In Planung
 (ITE) Iran-Türkei-Europa    37 bcm                                  2 iranische Unternehmen + 2 ausländische Unternehmen;
                                                                     Iranisch-türkische Grenze: gemeinsames Unternehmen;
                                                                     Türkisch-griechische Grenze: gemeinsames Unternehmen
                                                                     Nigerian National Petroleum Corporation
 Transsahara-Gaspipe-        4128 km                       45        Sonatrach > Algerien; Mögliche Teilnehmer, wenn sie
                                              In Planung
 line Nigeria-Algerien       30 bcm                                  neben finanziellen Mitteln auch technische Unterstützung
                                                                     leisten. Gazprom, GAIL India, Total, Eni, Royal Dutch Shell
 Nord Stream 2               1200x2 km                               Gazprom > Anteilseigner (100 %); OMW > Träger; Shell >
                                              In Planung 46
 Russland-Deutschland        27,5x2 bcm                              Träger; Wintershall (BASF-Gruppe) > Träger; ENGIE > Träger
                                                                     BP (Großbritannien), SOCAR (Aserbaidschan),
 Südlicher Gaskorridor                                          47
                             3500 km          Betriebsbereit         Lukoil (Russland), Snam (Italien), BOTAS und TPAO (Türkei),
 Aserbaidschan und
                             10-32 bcm        2021                   Fluxys (Belgien), Enagás (Spanien), Total (Frankreich), Naftiran
 Turkmenistan-Italien
                                                                     Intertrade (Iran), Petronas (Malaysia) und Axpo (Schweiz)          ~ 27 ~
 Galsi                       288 km           Betriebsbereit 48      Sonatrach (Algerien), Edison (Italien), Enel (Italien),
 Algerien-Italien            7,6 bcm          2019                   Sfirs (Italien), Hera Trading (Italien)
 TurkStream                  900 km           Betriebsbereit 49      Gazprom – Gemein. Unternehmen; im Überlandabschnitt der
 Russland-Türkei             31,5 bcm         2019                   Gaspipeline Eigentum einer türkischen Gesellschaft
 South Stream
                                                                     South Stream Transport AG (Joint Venture) > 16.9.2011
 Russland-Bulgarien-         2380 km          2014
                                                                     Gazprom (50 %); Eni (20 %); Électricité de France (15 %);
 Serbien-Ungarn-Slowakei-    63 bcm           eingestellt 50
                                                                     Wintershall (BASF-Gruppe) (15 %)
 Slowenien-Österreich

Tabelle 5 / Zusammenstellung der Autoren

39   Business News Americas (ohne Datum) http://www.bnamericas.com/project-profile/en/ducto-de-transporte-de-gas-
     natural-los-ramones-fase-i-los-ramones-fase-i aufgerufen am 01.12.16
40   Business News Americas (ohne Datum) http://www.bnamericas.com/project-profile/en/ducto-de-transporte-de-gas-
     natural-los-ramones-fase-ii-norte-los-ramones-fase-ii-norte aufgerufen am 01.12.16
41   Gazprom (ohne Datum) http://www.gazprom.com/about/production/projects/pipelines/built/ykv/ aufgerufen am 05.14.18.
42   Asian Development Bank (ohne Datum) https://www.adb.org/projects/44463-013/main#project-overview (aufgerufen 01.12.16.)
43   Modern Diplomacy (2018) https://moderndiplomacy.eu/2018/03/05/ip-gas-pipeline-fading-opportunity-pakistan/
44   ITE gas pipeline project (ohne Datum) http://en.turangtransit.com.tr/
45   OECD (2014) http://www.oecd.org/swac/maps/02-Transsaharan%20gas%20pipeline.pdf
46   Nord Stream 2 (2016) https://www.nord-stream2.com/
47   EU Kommission (2018) https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/pci_annex2_7_1_1_en_2017.pdf
48   Hydrocarbons Technology (ohne Datum) https://www.hydrocarbons-technology.com/projects/algeria-sardinia-italy-
     gas-pipeline-galsi/ consulté le 05/04/2018.
49   TurkStream (2018) http://www.turkstream.info/press/news/2018/177/
50   South Stream http://www.south-stream-transport.com/
Erdgasförderung, Verflüssigungs- und Wiederverdampfungsanlagen, LNG-Tanker und
         Pipelines sind mit Risiken verbunden: 1) die Millionen-Investitionen in Infrastruktur
         basieren auf absichtlich optimistischen Projektionen zum künftigen Verbrauch, 2) die
         Mehrzahl dieser Investitionen stützen sich auf Finanzmittel und/oder Garantien aus
         öffentlicher Hand, die das Risiko auf die Allgemeinheit abwälzen, 3) wenn alle geplanten
         Gaskapazitäten in Betrieb gingen, führte dies zum Sturz der Gaspreise zur trüge zur Klima-
         katastrophe bei, 4) die Lebensdauer der Infrastrukturen ist auf 40-50 Jahre berechnet;
         das Gasfördermaximum (Peak Gas) wird jedoch vorher eintreten, sodass viele dieser
         Infrastrukturen nicht mehr gebraucht werden.

         ‘OPTIMISTISCHE‘ PROGNOSE DES EU-GASVERBRAUCHS

                                            600
         Million tonnes of oil equivalent

                                            500
         Gross inland consumption

                                            400

~ 28 ~

                                            300
                                                  2000

                                                         2002

                                                                2004

                                                                       2006

                                                                              2008

                                                                                     2010

                                                                                            2012

                                                                                                   2014

                                                                                                            2016

                                                                                                                   2018

                                                                                                                          2020

                                                                                                                                 2022

                                                                                                                                        2024

                                                                                                                                               2026

                                                                                                                                                      2028

                                                                                                                                                             2030

                                                                        2003 Forecast                     2005 Forecast                 2007 Forecast
                                                                        2009 Forecast                     2011 Forecast                 2013 Forecast
                                                                                                                                        Actual consumption

         Grafik 8 / Quelle: Europäischer Rechnungshof, 2015
         Anmerkung zur Originalgrafik: Alle Projektionen betreffen den Verbrauch in der EU-27 in 5-Jahres-
         Intervallen (2005, 2010, 2015 usw.).
DER JÜNGSTE FALL DES ROHÖLPREISES
     Die starke Verbindung zwischen Erdgas- und Ölförderung und die Bindung des
     Gaspreises an den Ölpreis führen dazu, dass sinkende Ölpreise sich auf den
     Gassektor auswirken.

     Im Allgemeinen führen Zeiten mit hohen Ölpreisen anfänglich zu einem Anstieg
     der Fördermengen und bremsen dann das weltweite Wirtschaftswachstum.
     Zeiten mit niedrigen Preisen führen zur vermehrten Exploration und Förderung.
     Die Mehrzahl der großen Gasinfrastukturprojekte wurde in einem Zeitraum (2010-
     14) mit stabilen Öl- und Gaspreisen geplant. Bei den heutigen Preisen sehen
     Investoren die künftigen Gewinne der Öl- und Gasindustrie in weniger rosigem
     Licht. Dies kann zu Verzögerungen beim Bau teurer Verflüssigungs- und Wieder-
     verdampfungsanlagen und Mega-Gaspipelines führen. Anlagen, die sich bereits
     in der Bauphase befinden, haben Probleme, aus den Investitionen Gewinne zu
     erwirtschaften. Daher müssen die staatlichen Garantien für diese Projekte analy-
     siert werden, weil sie zu rechtswidrigen Schulden51 führen können, die letzten
     Endes der Steuerzahler begleichen muss.

     KORRELATION ZWISCHEN ÖL- UND GASPREISEN

                          140                                                                         14
                                                                                                                           ~ 29 ~
                          120                                                                         12
                                           Ölpreis
                          100                                                                         10
                                           Gaspreis                                                   8
                           80

                           60                                                                         6
                                                                                                           Gas ($/Mmbtu)

                           40                                                                         4
          Öl ($/Barrel)

                           20                                                                         2

                            0                                                                         0

                           6.1.1990   6.1.1995        6.1.2000   6.1.2005   6.1.2010       6.1.2015

     Grafik 9 / Quelle: IMF Cross Country Macroeconomics Statistics

51   Plataforma Auditoria Ciudadana de la Deuda (undatiert) https://www.dropbox.com/s/1pla1din3znkbkz/Definicion%20
     Schulden%20Ilegitim.pdf aufgerufen am 18/11/16
GROSSE ÖL- UND GASKONZERNE
         Die großen Öl- und Gasunternehmen gehören zu den größten Konzernen überhaupt.
         Obwohl die gesunkenen Ölpreise ihre Erträge stark beeinträchtigt haben, bestimmen sie
         aufgrund ihres Geschäftsvolumens und ihres Einflusses die Zukunft der Energie maßgeb-
         lich mit. Im Allgemeinen produzieren sie Öl und Gas; einige spezialisieren sich auf Erdgas.

         GLOBALE ÖL- UND GASKONZERNE NACH ERTRAG IM JAHR 2015

                                                                        ERTRAG 2015      ERTRAGSZUWACHS
          RANGLISTE*     KONZERN              LAND                      (MILLIONEN $)    2015 (%)

            3            China National       China                        299 000               -30,2

            4            Sinopec Group        China                        294 000               -34,1
                                              Niederlande u.
            5            Royal Dutch Shell                                 272 000               -36,9
                                              Großbritannien
            6            Exxon Mobil          USA                          246 000               -35,6

            10           BP                   Verein. Königreich           223 000               -37,0

            24           Total                Frankreich                   143 000               -32,4

            31           Chevron              USA                          131 000               -35,7

         Tabelle 6 / Zusammenstellung der Autoren auf Grundlage von Fortune.com
         * Rangordnung der Unternehmen in allen Sektoren.

~ 30 ~
         EUROPÄISCHE ÖL- UND GASKONZERNE NACH ERTRAG IM JAHR 2014

          RANGLISTE*     KONZERN             LAND                               ERTRAG 2014 (MILLIONEN $)

             1           Royal Dutch Shell    Niederlande u. Großbritannien                484 489

             2           BP                   Vereinigtes König-reich                      386 463

             3           Total                Frankreich                                   231 580

             6           Gazprom              Russland                                     157 830

             8           Eni                  Italien                                      153 676

             16          Statoil              Norwegen                                     119 561

             21          Lukoil               Russland                                     111 433

             37          Repsol               Spanien                                       81 122

             49          Rosneft              Russland                                      65 093

             78          OMV                  Österreich                                    47 349

         Tabelle 7 / Zusammenstellung der Autoren auf Grundlage von Fortune.com
         *Die Rangliste ist nicht fortlaufend, weil hier nur die Energieriesen herausgenommen wurden aus
         der Rangliste der Konzerne aller Sektoren.
Die geographische Reichweite der großen Öl- und Gasunternehmen ist global. Royal
Dutch Shell ist in über 70 Ländern aktiv.52 Auch British Petroleum ist in mehr als 70
Ländern tätig und hat seine Explorationsfläche im Jahr 2015 um 8000 km2 erweitert.53
Total ist in 130 Ländern vertreten und beschäftigt mehr als 100 000 Mitarbeiter. 54
Gazprom kontrolliert 17 % der weltweiten Gasreserven und beliefert über 30 Länder.55

Diese Unternehmen haben viel Macht akkumuliert, die sie über verschiedenste Mecha-
nismen zur direkten und indirekten Einflussnahme einsetzen. Außerdem haben die
Unternehmen in diesem Sektor Lobbyorganisationen und Interessengruppen gebildet,
die zur Förderung ihrer eigenen Interessen Einfluss auf institutionelle Entscheidungspro-
zesse nehmen.

Die größte europäische Lobbyorganisation der Gasindustrie ist GasNaturally. Sie vertritt
sieben wichtige Organisationen, zu deren Mitgliedern z. B. Shell, Eni, E.on, Statoil, BP,
Exxon, Chevron, Gazprom Germania, Fluxys, Enagas und über hundert weitere Unter-
nehmen gehören.

                                                                                                                          ~ 31 ~

GasNaturally formuliert ihre Vision wie folgt: „In unserer Vision trägt Gas dazu bei,
eine saubere Zukunft Wirklichkeit werden zu lassen. Es ersetzt kohlenstoffintensive
Energieträger und arbeitet an der Seite der Erneuerbaren am Aufbau dieser sauberen
Energiezukunft.“56

Zwei der größten europäischen Organisationen für erneuerbare Energien, der Europäische
Verband für Windenergie (EWEA) und die European Photovoltaic Industry Association
(EPIA) haben diese Vision übernommen, weil Total, Iberdrola, E.on und Enel eine domi-
nante Stellung in ihrem Vorstand inne haben und sich diese Organisationen regelmäßig
mit GasNaturally treffen.57

52   Shell (2016) https://www.shell.com/about-us/who-we-are.html
53   BP (2016) https://www.bp.com/en/global/corporate/what-we-do/bp-at-a-glance.html
54   Total (2016) https://www.total.com/en/energy-expertise/exploration-production/oil-gas
55   Gazprom (2016) http://www.gazprom.com/about/production/reserves/
56   Gas Naturally (ohne Datum) https://gasnaturally.eu/about-gasnaturally/our-vision aufgerufen am 16.11.2016
57   The Guardian (2015) https://www.theguardian.com/environment/2015/jan/22/fossil-fuel-firms-accused-renewable-lobby-
     takeover-push-gas
Aber auch der Drehtür-Effekt (revolving doors) ist eine Möglichkeit, unternehmerische
         Interessen in den Vordergrund zu rücken. Beispiele hierfür sind Marcus Lippold, ein
         ehemaliger Mitarbeiter von ExxonMobil, der später als Berater der Generaldirektion
         Energie der EU für die Kooperation mit der OPEC zuständig war, oder das Mitglied des
         Europäischen Parlaments Chris Davies, der seine politische Tätigkeit nach 15 Jahren
         beendete und jetzt in seiner „Umweltberatungsfirma“ mit Fleishman-Hillard zusammen-
         arbeitet, dem großen Lobbyisten, der alle großen Öl- und Gasunternehmen vertritt. Auch
         der Spanier Joaquín Almunia ist Teil dieses Phänomens. Der frühere EU-Kommissar
         für Wettbewerb wurde Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses für den von Enel
         finanzierten Bericht „Building the Energy Union to stimulate growth in Europe“ [Schaf-
         fung der Energieunion für mehr Wachstum in Europa]. Dasselbe gilt für Nathalie Tocci,
         die ihre Arbeit als Beraterin der Kommission mit einem Aufsichtsratsposten bei Edison
         verbindet, einer Konzerngesellschaft des Energieriesen EDF.58

         Und natürlich Arias Cañete, Kommissar für Klimaschutz und Energie, der für seine Verbin-
         dungen zu Ölunternehmen wie Petrolífera Dúcar SL und Petrologis Canarias SL. bekannt ist.59

         Lobbyarbeit und der Drehtür-Effekt sind legal, wenn auch nicht besonders legitim. Hinzu
         kommen aber zahlreiche Korruptionsfälle in diesem Sektor und Vergehen wie Beste-
         chung, Veruntreuung 60 und zahlreiche weitere kriminelle Praktiken (Pérez, 2014).

~ 32 ~
              DIE MACHT DER KONZERNE BRECHEN 61
              Mehrere zivilgesellschaftliche Gruppen und Organisationen haben eine weltweite
              Kampagne ins Leben gerufen, die den Machtmissbrauch der Konzerne anprangert,
              die durch ihren Einfluss und einen sie schützenden asymmetrischen Rechtsrahmen
              ungestraft handeln können. Die Kampagne fordert ein Internationales Völke-
              rabkommen, das einen politischen Rahmen für die Arbeit lokaler, nationaler und
              internationaler Bewegungen und für Gemeinschaften schafft und sie beim Wider-
              stand und bei der Umsetzung von Alternativen zur Macht multinationaler Konzerne
              und zum herrschenden Wirtschaftsmodell unterstützt. Außerdem nimmt die
              Kampagne an entsprechenden Gesetzgebungsverfahren auf Ebene der Vereinten
              Nationen teil, die betroffenen Gruppen einen Zugang zum Recht gewährleistet
              und die Tätigkeit multinationaler Konzerne reguliert, sodass die Verletzung von
              Menschenrechten verhindert und deren Straflosigkeit beendet wird.

         58   Corporate Europe Observatory (2015) https://corporateeurope.org/revolving-doors/2015/11/brussels-big-energy-and-
              revolving-doors-hothouse-climate-change
         59   Corporate Europe Observatory (2014) https://corporateeurope.org/power-lobbies/2014/09/many-business-dealings-
              commissioner-designate-miguel-arias-canete
         60   Transparency International (2016) https://www.transparency.org/topic/detail/oil_and_gas
         61   Kampagne Stop Corporate Impunity https://www.stopcorporateimpunity.org/
IV

GAS IN EUROPA    ~ 33 ~
DATEN ZU GAS IN EUROPA
         Die europäische Gaspolitik beruht in weiten Teilen auf Daten oder Indikatoren, die sich je
         nach Intention sehr unterschiedlich auslegen lassen. Die Interpretation von Daten beein-
         flusst letzten Endes die Projektion von Infrastrukturmaßnahmen, die Vergabe öffentlicher
         Mittel, die Beziehungen zu Exportländern und viele weitere Aspekte.

         In diesem Abschnitt möchten wir diese unterschiedliche und manchmal sogar
         widersprüchliche Auslegung von Daten näher erläutern. Schließlich sind die Schlussfol-
         gerungen, die unterschiedliche Akteure aus ihrer Analyse der Daten ziehen, von enormer
         Bedeutung. Die in diesem Abschnitt enthaltenen quantitativen Informationen sind auch
         nützlich für das Verständnis der nachfolgenden Abschnitte.

         VERBRAUCH Verbrauch im Jahr 2014: 327.5 bcm
         GASVERBRAUCH IN DER EU-28 (BCM)

         450,0

         400,0

         350,0

         300,0

         250,0

         200,0

         150,0

         100,0
~ 34 ~
          50,0

              0,0
                    1990

                           1991

                                  1992

                                         1993

                                                1994

                                                       1995

                                                              1996

                                                                     1997

                                                                            1998

                                                                                   1999

                                                                                          2000

                                                                                                 2001

                                                                                                        2002

                                                                                                               2003

                                                                                                                      2004

                                                                                                                             2005

                                                                                                                                    2006

                                                                                                                                           2007

                                                                                                                                                  2008

                                                                                                                                                         2009

                                                                                                                                                                2010

                                                                                                                                                                       2011

                                                                                                                                                                              2012

                                                                                                                                                                                     2013

                                                                                                                                                                                            2014

              SPANIEN             NIEDERLANDE                  FRANKREICH                  ITALIEN             VER. KÖNIGREICH                    DEUTSCHLAND                   ÜBRIGE EU-28

         Grafik 10 / Zusammenstellung der Autoren basierend auf Eurostat-Daten

         Der Gasverbrauch in der EU-28 stieg (+3 % pro Jahr) im Zeitraum 1990-2005 stark an,
         stagnierte dann für einige Jahre und ging danach (23 % zwischen 2010 und 2014) auf das
         Level von 1995 zurück, was vorwiegend auf die Folgen der Finanzkrise zurückzuführen
         ist. Seitdem steigt der Verbrauch von Erdgas jedoch wieder.62

         Dabei ist zu beachten, dass der „Verbrauch der EU-28“ von sechs Ländern dominiert wird,
         in denen drei Viertel des Gesamtverbrauchs stattfinden: Deutschland (18 %), Großbritannien
         (17 %), Italien (15 %), Frankreich (10 %), Niederlande (8 %) und Spanien (7 %). Wie wir später
         noch sehen werden, ist diese Top 6-Gruppe auch die Gruppe der wichtigsten Importländer.

         62     Wichtig: Die Grafiken in diesem Kapitel zeigen nicht den Anstieg des EU-Gasverbrauchs in den letzten Jahren, da die
                Recherche für dieses Booklet bereits im Jahr 2016 durchgeführt wurde. Wir bitten dies zu entschuldigen. Siehe: Eurostat
                (2018) http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=nrg_103a&lang=en
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