Die Post-Covid-19-Wirtschaft: Welche unerwarteten Spuren hinterlässt die Krise in Branchen, Regionen und Strukturen? - ifo Institut

Die Seite wird erstellt Heinrich Hammer
 
WEITER LESEN
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Die Post-Covid-19-Wirtschaft:
Welche unerwarteten Spuren
hinterlässt die Krise in Branchen,
Regionen und Strukturen?
Die Coronakrise und der anhaltende Lockdown dürften die Struktur der deutschen
Wirtschaft zumindest in einigen Bereichen nachhaltig verändern. Die Arbeits­
organisation hat sich in Richtung Homeoffice verschoben, und der Online-Handel
weist hohe Wachstumsraten auf, während der stationäre Fachhandel unter starken
Einbußen leidet. Auch bei kundennahen Dienstleistungen wie in der Gastronomie, im
Tourismus und im Kultur- und Freizeitbereich sind die Einbrüche im Lockdown mas-
siv. Sind, je länger der Lockdown und die Beeinträchtigungen andauern, nachhal-
tige Strukturschäden für die Wirtschaft zu erwarten? Welche Folgen zeigen sich auf
dem Arbeitsmarkt? Werden sich regionale Disparitäten in Deutschland verstärken?

Klaus-Heiner Röhl
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Strukturwandel
– zwischen Zombiefirmen, Investitionslücken und
Digitalisierungsschub
Die Corona-Pandemie verläuft in mehreren Wellen, und       und der Gastronomie sind existenziell bedroht, zumal
ein Ende ist trotz laufender Impfungen auch nach ei-       versprochene staatliche »Sofort«-Hilfen nur zögerlich
nem Jahr nicht absehbar. Der Lockdown konsumnaher          fließen und das Unternehmereinkommen von Selb-
Wirtschaftsbereiche und Verschiebungen der Nachfrage       ständigen und Freiberuflern nicht abdecken. Wenig
etwa in Richtung Onlinehandel könnten den Struktur-        Klarheit herrscht derzeit darüber, ob die Coronakrise
wandel beschleunigen, aber auch zu Strukturbrüchen         zu langfristigen strukturellen Verwerfungen führen
führen. Als Bremse im Aufschwung kann neben einer          wird oder ob sich die Branchen- und Regionalstruk-
»Zombifizierung« mancher Branchen die anhaltende           turen mit Überwindung der Pandemie und Erholung
Investitionsschwäche wirken, die die Verbreitung um-       der Wirtschaft nur wenig verändern werden.
weltfreundlicher und digitaler Technologien – die prin-
zipiell durch die Kontaktbeschränkungen einen Boom         ZÖGERLICHE ERHOLUNG
erleben – ausbremst. In räumlicher Hinsicht könnte der
starke Urbanisierungstrend in Deutschland auslaufen        Wirtschaftliche Prognosen und Unternehmensbefra-
und einer gleichgewichtigeren regionalen Entwicklung       gungen lassen derzeit keine schnelle
Platz machen.                                              Erholung zum Vorkrisenniveau
                                                           er war ten. Die Bundesregie-
Die Auswirkungen der Pandemie auf Wirtschaft und           rung rechnet für 2021 vor dem
Gesellschaft lassen sich als ein Wechselbad der Ge-        Hintergrund des verlängerten
fühle beschreiben. Nachdem der Einbruch 2020 mit           Lockdowns nur noch mit ei-
einem BIP-Rückgang von ca. 5% moderater als be-            nem Wachstum von 3% (BMWi
                                                                                                     Dr. Klaus-Heiner Röhl
fürchtet ausfiel, scheint nun die vielfach für 2021 pro-   2021), das Vorkrisenniveau dürfte
gnostizierte zügige Erholung später und langsamer zu       frühestens Ende 2022 wieder er-         ist Senior Economist im Kompe-
erfolgen. Die Impfung der Bevölkerung kommt nur            reicht sein. In der IW-Konjunktur­      tenzfeld »Digitalisierung, Struk-
                                                                                                   turwandel und Wettbewerb«
schleppend voran, und ansteckendere Virusmuta-             umfrage wurden die Unternehmen          am Institut der deutschen Wirt-
tionen erzwingen einen längeren Lockdown. Viele            im November 2020 zu ihren aktu-         schaft, Büro Berlin.
Unternehmen in den persönlichen Dienstleistungen           ellen und erwarteten Produktions-,

                                                                         ifo Schnelldienst   3 / 2021   74. Jahrgang   17. März 2021   3
ZUR DISKUSSION GESTELLT

    Beschäftigungs- und Investitionslücken befragt. Eine          finanzielle Situation der Unternehmen zu stabilisieren,
    zügige Erholung könnte strukturelle Verwerfungen              wäre eine deutliche Ausweitung der Verlustrücktrags-
    und eine starke Zunahme der Insolvenzen verhindern.           möglichkeiten, wie sie von vielen Ökonomen gefor-
    Die Unternehmen erwarteten jedoch im Durchschnitt             dert wird (Bofinger und Hüther 2020; Fuest 2020; Hey
    nicht nur für das erste Quartal 2021 wieder anstei-           2020). Durch eine Anhebung der derzeit auf 5 Mio. Euro
    gende Lücken, sondern zur Hälfte auch 2022 noch               (vor Corona: 1 Mio. Euro) gedeckelten Obergrenze,
    Produktionseinschränkungen im Vergleich zum Vor-              eine Einbeziehung der Gewerbesteuer und eine zeit-
    krisenniveau (Bardt und Grömling 2021, S. 31). Ein            liche Ausdehnung auf das Jahr 2018 könnten auch
    Drittel der Unternehmen befürchtet dabei 2022 noch            größere Mittelständler profitieren. Hier sperrte sich
    immer ein Produktionsdefizit von mehr als 5%. An-             die Bundesregierung bislang trotz der zu erwartenden
    gesichts des erneuten Lockdowns waren die Firmen              Stabilisierung der Unternehmen und positiven Investi-
    zum Befragungszeitpunkt im November 2020 sogar                tionswirkungen, die für eine nachhaltige gesamtwirt-
    pessimistischer als im ersten Halbjahr. Am wenigsten          schaftliche Erholung wichtig wären. Anfang Februar
    zuversichtlich sind die Hersteller von Investitionsgü-        wurde eine Verdoppelung auf immerhin 10 Mio. Euro
    tern; 58% von ihnen sehen auch im kommenden Jahr              beschlossen, was für große Mittelständler aber wei-
    noch Beeinträchtigungen (Bardt und Grömling 2021,             terhin nicht ausreicht.
    S. 32). Dies hängt mit der anhaltenden Investitionszu-
    rückhaltung in der Wirtschaft zusammen, die sich in           DROHT EINE ZOMBIFIZIERUNG VON TEILEN DER
    den geschätzten Investitionslücken der Unternehmen            WIRTSCHAFT?
    niederschlägt: Im November 2020 lag der Rückstand
    im Vergleich zu 2019 bei den befragten Unternehmen            Je länger der Lockdown und die Beeinträchtigun-
    im Durchschnitt bei 13%, für 2022 wird immer noch             gen andauern, desto eher sind nachhaltige Struktur-
    von einer Lücke in Höhe von 6% ausgegangen.                   schäden für die Wirtschaft zu erwarten. Bardt und
                                                                  Hüther (2021) heben die asymmetrische Wirkung auf
    INVESTITIONSAUSFÄLLE BESONDERS                                die Wirtschaftsbranchen hervor, die für viele Firmen
    PROBLEMATISCH                                                 in konsumnahen Branchen zur Existenzbedrohung
                                                                  werden kann. Befürchtet wird angesichts der anhal-
    Die Investitionszurückhaltung der Unternehmen ist             tenden Pandemie und des Lockdowns vieler Branchen
    aus Unternehmenssicht nachvollziehbar, »hat aber              mit Publikumsverkehr auch eine »Zombifizierung«-
    für die Gesamtwirtschaft mittelfristig schwere Fol-           der deutschen Wirtschaft, zumal die Zahl der Unter-
    gen, weil so der Rückstau bei wichtigen strukturellen         nehmensinsolvenzen 2020 trotz der Krise deutlich –
    Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit immer           voraussichtlich um 13% – gesunken ist. Angesichts
    größer wird« (Köhler-Geib 2021). 2020 gingen die Un-          der Schwere des Einbruchs wäre jedoch eher eine
    ternehmensinvestitionen demnach um 6,6% zurück,               Zunahme um mindestens 15% zu erwarten gewesen
    die Ausrüstungsinvestitionen sanken sogar um 12,5%            (Röhl und Vogt 2020).
    (Destatis 2021).                                                   Zum Rückgang der Insolvenzzahlen dürften die
         Die Investitionsschwäche könnte sich daher zur           Maßnahmen der Bundesregierung – die Aussetzung
    Achillesferse des Nach-Corona-Aufschwungs entwi-              der Insolvenzantragspflicht von April bis Septem-
    ckeln und durch dann fehlende effizientere sowie digi-        ber und darüber hinaus für den Insolvenzgrund der
    tal vernetze Maschinen und Anlagen auch die Struktur          Überschuldung sowie die umfangreichen Kredit- und
    der deutschen Wirtschaft schädigen. Die investive Zu-         Finanzhilfen für Unternehmen – beigetragen haben.
    rückhaltung scheint zudem im Widerspruch zur poli-            Das Ausscheiden von Unternehmen ist aber für einen
    tisch gewünschten grundlegenden Umgestaltung der              funktionierenden Strukturwandel wichtig, weshalb
    Wirtschaft hin zu umweltfreundlichen Technologien             der Staat grundsätzlich nicht als Retter schlecht wirt-
    mit weniger Ressourcenverbrach und CO2-Ausstoß                schaftender Unternehmen auftreten sollte (Röhl 2020).
    zu stehen. Unternehmen, denen in der Coronakrise              Der Trend zum Onlinehandel war z. B. schon vor der
    die Nachfrage weggebrochen ist und die Verluste               pandemiebedingten Beschleunigung in vollem Gange,
    schreiben, sind durch politische Zielvorgaben aller-          so dass Kaufhäuser und Shopping Malls unter Druck
    dings kaum zu höheren Investitionen zu bewegen.               gerieten.
    Auch die bis Ende 2021 befristete degressive Sonder-               2021 ist ein Nachholeffekt bei den Firmenin-
    abschreibung für neue Maschinen und Anlagen (BMF              solvenzen zu erwarten, dessen Umfang jedoch nur
    2020) scheint ins Leere zu laufen. Wenig hilfreich ist        schwer absehbar ist. Aus der Lücke zwischen den auf-
    in diesem Zusammenhang, dass die Hilfen der Bun-              grund des Wirtschaftseinbruchs zu erwartenden Insol-
    desregierung nur sehr schleppend ausgezahlt werden.           venzen 2020 (s.o.) und des tatsächlichen Rückgangs
    Weitere Kredithilfen sind angesichts der gestiegenen          auf nur ca. 16 300 Fälle (Creditreform 2021) lässt sich
    Verschuldung vieler Unternehmen seit Beginn der               eine Differenz von gut 5 000 nicht realisierten Insol-
    Coronakrise vor nunmehr einem Jahr nicht zielfüh-             venzen berechnen. Eine mögliche Erklärung ist, dass
    rend, während höhere Direktzahlungen EU-beihilfe-             es sich hierbei um sogenannte Zombieunternehmen
    rechtlich problematisch sind. Der wirksamste Weg, die         handelt, die wirtschaftlich nicht dauerhaft überle-

4   ifo Schnelldienst   3 / 2021   74. Jahrgang   17. März 2021
ZUR DISKUSSION GESTELLT

bensfähig sind (Röhl 2020). Aus diversen Unterneh-        Bereich Wohnen als dauerhaft zu bezeichnen. Etwa
mensbefragungen lässt sich eine hohe Gefährdung           seit dem Jahr 2000 ließ sich in Deutschland ein kräf-
der Unternehmensstrukturen durch die Covid-19-Pan-        tiger Urbanisierungstrend beobachten (Röhl 2018), der
demie ableiten. So gab in einer Befragung des DIHK        zur Verknappung von Wohnraum und zu Mietpreis­
jedes zehnte Unternehmen an, dass es existenziell         anstiegen in den Ballungen und Großstädten beige-
gefährdet sei, hochgerechnet wären dies 350 000. Das      tragen hat. Bezogen auf die Binnenwanderung setzte
ifo Institut (2020) sieht sogar gut jedes fünfte Unter-   aber schon vor etwa sechs Jahren ein gegenläufiger
nehmen (750 000) bedroht, während Creditreform mit        Trend einer erneuten Suburbanisierung ein (Henger
550 000 und für 2021 mit bis zu 800 000 Unternehmen       und Oberst 2019), der sich mit den Auswirkungen der
rechnet (Dierig et al. 2020). Die überschaubare Anzahl    Pandemie nun auch auf stadtfernere Gebiete zu rich-
von nur 4 500 bis 5 000 »Zombies« in den IW-Berech-       ten scheint. Hierzu beitragen könnte eine reduzierte
nungen im Vergleich zur hohen Anzahl insolvenzge-         Belastung durch weite Pendelstrecken infolge der
fährdeter Unternehmen, die sich aus umfragebasierten      dauerhaften Etablierung des Homeoffice als akzep-
Hochrechnungen ergibt, kann auf mehrere Gründe            tierte Arbeitsform und – endlich – Fortschritte bei
zurückgeführt werden. So durchlaufen nur wenige           der Anbindung ländlicher Räume ans schnelle Inter-
sehr kleine Unternehmen in Gastronomie und Handel         net sowie eine bessere Mobilfunkversorgung (BMVI
als aktuell hauptgefährdeten Bereichen ein Insolvenz­     2020). Sollte sich der neue, bislang eher zaghafte
verfahren, die meisten von ihnen stellen einfach den      Trend zur ländlichen Wohnortwahl als dauerhaft er-
Betrieb ein. Zudem ist bei Umfragen in einer Pande-       weisen, könnte nicht nur der demografische Wandel
miesituation auch eine gewisse Übertreibung im Ant-       mit einer Entleerung und Überalterung vieler ländli-
wortverhalten einzukalkulieren, nicht alle Unterneh-      cher Räume (Hüther et al. 2019) gebremst, sondern
men, die sich als gefährdet bezeichnen, dürften akut      auch der Wohnraummangel in den Kernstädten ge-
insolvenzbedroht sein.                                    mildert werden.
     Trotzdem könnte allein bei einer Realisierung der
Insolvenz im Falle dieser rechnerisch 5 000 Zombie­       LITERATUR
unternehmen die Insolvenzzahl 2021 um über 40%            Bardt, H. und M. Grömling (2021), »Kein schnelles Ende der Corona-­
auf etwa 23 250 ansteigen, worunter sich auch eine        Krise«, IW-Trends 48(1), 23–39.

Reihe größerer Insolvenzfälle befinden dürften. Auch      BMF – Bundesministerium der Finanzen (2020), »Umsetzung des
                                                          Konjunkturpakets – Mit Zuversicht und voller Kraft aus der Krise«,
wenn darüber hinaus voraussichtlich nicht mehrere         Pressemitteilung, 12. Juni, verfügbar unter: https://www.
100 000 Kleinbetriebe ihr Geschäft dauerhaft einstel-     bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/
                                                          Finanzpolitik/2020/06/2020-06-12-Umsetzung-Konjunkturpaket.html,
len werden, sind gerade die Innenstädte mit ihren         aufgerufen am 2. Februar .2021.
vielfältigen Kultur-, Geschäfts- und Gastronomiean-       BMVI – Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2020),
geboten von starken Strukturveränderungen bedroht.        »Die Altmark startet ins Gigabit-Zeitalter. Bund fördert Breitbandausbau
                                                          mit 135 Millionen Euro«, Pressemitteilung, 6. Juli, verfügbar unter:
                                                          https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2020/027-
RÄUMLICHE STRUKTURVERÄNDERUNGEN                           altmark-startet-ins-gigabit-zeitalter.html, aufgerufen am 29. Januar 2021.
                                                          BMWi – Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2021), »Jahres-
                                                          projektion 2021«, verfügbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/
In Fußgängerzonen und Einkaufsstraßen dürfte              DE/Artikel/Wirtschaft/Projektionen-der-Bundesregierung/
der Anblick zugeklebter Fensterfronten dauerhaft          projektionen-der-bundesregierung-jahresprojektion-2021.html,
                                                          aufgerufen am 27. Januar 2021.
geschlossener Ladengeschäfte, der bislang eher
                                                          Bofinger, P. und M. Hüther (2020), »Her mit der Negativ-Steuer für den
schrumpfenden Kleinstädten und wirtschaftsschwa-          Mittelstand«, Welt, 27. März, verfügbar unter: https://www.welt.de/
chen Stadtvierteln vorbehalten war, bald zur Regel        wirtschaft/article206818235/Peter-Bofinger-und-Michael-Huether-So-
                                                          laesst-sich-der-Mittelstand-retten.html, aufgerufen am 29. Januar 2021.
werden. Auch der Büroflächenbedarf könnte sinken,
                                                          Creditreform (2021), »Gefährdung nimmt zu – Insolvenzen nehmen ab«,
wenn die wirtschaftliche Erholung nur schwach aus-        Risikomanagement Newsletter, 13. Januar, verfügbar unter: https://
fällt und sich das Homeoffice zumindest in manchen        www.creditreform.de/aktuelles-wissen/pressemeldungen-fachbeitraege/
                                                          news-details/show/default-6efdcf0031, aufgerufen am 2. Februar 2021.
Unternehmen oder für einen Teil der Mitarbeiter dau-
                                                          Destatis (2021), »Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 um 5,0 % gesun-
erhaft durchsetzt. Zu bedenken ist in diesem Kontext,     ken«, Pressemitteilung Nr. 20, 14. Januar.
dass der kräftige Beschäftigungsaufbau der letzten        Dierig, C., C. Haas und D. Zwick (2020), »Zahl der »Zombieunternehmen«
Jahre, der durch die Corona-Pandemie abrupt zum           droht auf 800.000 zu steigen«, Welt, 16. August.
Stillstand kam, zukünftig schon aufgrund des durch        Fuest, C. (2020), »Der Staat sollte beim steuerlichen Verlustrücktrag die
                                                          Obergrenze erhöhen«, Handelsblatt, 25. Oktober, verfügbar unter:
den demografischen Wandel verursachten Rückgangs          https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-
des Erwerbspersonenpotenzials nicht mehr möglich          clemens-fuest-der-staat-sollte-beim-steuerlichen-verlustruecktrag-
                                                          die-obergrenze-erhoehen/26306200.html?ticket=ST-2200017-
ist. Dies dürfte auch die innerstädtischen Immobili-      GUi4C7WKTYT4nd56VTyD-ap2, aufgerufen am 1. Februar 2021.
enmärkte nicht unberührt lassen, während insgesamt        Henger, R. und C. Oberst (2019), »Immer mehr Menschen verlassen die
kein Corona-bedingter Einbruch der Immobilienpreise       Großstädte wegen Wohnungsknappheit«, IW-Kurzbericht 20/2019, ver-
                                                          fügbar unter: https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/
in Deutschland absehbar ist (Voigtländer 2020).           Kurzberichte/PDF/2019/IW-Kurzbericht_2019-Wohnungsknappheit.pdf,
      Weitergehende raumstrukturelle Veränderun-          aufgerufen am 28. Januar 2021.
gen infolge der Coronakrise sind möglich, obwohl es       Hey, J. (2020), Stellungnahme zum Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU
                                                          und SPD Corona-Steuerhilfegesetz (BT-Drucks. 19/19150), dem Antrag
noch zu früh ist, um den in der Pandemie erkennbaren      der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Verbesserte Verlustverrechnung (BT-
Trend zu stadtferneren Standorten zumindest für den

                                                                             ifo Schnelldienst   3 / 2021   74. Jahrgang   17. März 2021   5
ZUR DISKUSSION GESTELLT

                       Drucks. 19/19134) sowie den Anträgen BT-Drucks. 19/1872 u. 19/19164         Röhl, K.-H. (2020), »Droht eine Zombiefizierung der deutschen Wirt-
                       der AFD-Fraktion, verfügbar unter: https://www.bundestag.de/resource/       schaft?«, IW-Kurzbericht Nr. 130, verfügbar unter: https://www.iwkoeln.
                       blob/697504/4eebd50ec9aac0205895f431ba482bc9/12-Hey-data.pdf, auf-          de/fileadmin/user_upload/Studien/Kurzberichte/PDF/2020/IW-
                       gerufen am 2. Februar 2021.                                                 Kurzbericht_2020_Zombiefizierung.pdf, aufgerufen am 28. Januar 2021.
                       Hüther, M., J. Südekum und M. Voigtländer (2019), Die Zukunft der Re-       Röhl, K.-H. und G. Vogt (2020), »Unternehmensinsolvenzen: Corona-Krise
                       gionen in Deutschland: Zwischen Vielfalt und Gleichwertigkeit, IW-Studie,   verstört«, Wirtschaftsdienst 100(5), 384–387.
                       Institut der deutschen Wirtschaft, Köln.
                                                                                                   Voigtländer, M. (2020), »Mit Zuversicht ins neue Jahr«, IW-Kurzbericht Nr.
                       ifo Institut (2020), »Ein Fünftel der deutschen Firmen hält sich für ge-    127, verfügbar unter: https://www.iwkoeln.de/studien/iw-kurzberichte/
                       fährdet«, Pressemitteilung, 6. Juli.                                        beitrag/michael-voigtlaender-mit-zuversicht-ins-neue-jahr-495154.html,
                                                                                                   aufgerufen am 1. Februar 2021.
                       Köhler-Geib, F. (2021), »Kommentar zu KfW-Ifo Kredithürde Januar
                       2021«, 28. Januar.
                       Röhl, K.-H. (2018), »Regionale Konvergenz: Der ländliche Raum schlägt
                       sich gut«, Wirtschaftsdienst 98(6), 433–438.

                       Joachim Ragnitz
                       Langfristige regionalwirtschaftliche Auswirkungen der
                       Coronakrise
                           Die Corona-Pandemie hat Deutschland im Früh-                            REGIONALE PANDEMIEWIRKUNGEN HÄNGEN
                           jahr 2020 in eine zwar kurze, aber äußerst heftige                      PRIMÄR VON DER WIRTSCHAFTSSTRUKTUR AB
                                            Rezession gestürzt. Auch wenn seit
                                               den Sommermonaten eine Er­                          Regional differenzierte Effekte könnten sich zunächst
                                                holung einsetzte und aktuelle                      durch das regional unterschiedliche Infektionsgesche-
                                                Prognosen davon ausgehen,                          hen ergeben. Allerdings ist dies wenig wahrscheinlich:
                                                dass trotz des erneuten Lock-                      Zwar gibt es deutliche Unterschiede zwischen den
                                                downs für weite Teile der Wirt-                    einzelnen Regionen Deutschlands mit Blick auf die
                                               schaft das Vorkrisenniveau beim                     Zahl der Infektionen durch das Coronavirus, aber die
  Prof. Dr. Joachim Ragnitz
                                              Bruttoinlandsprodukt spätestens                      daraus resultierenden krankheitsbedingten Produkti-
ist stellvertretender Leiter der              im Jahr 2022 wieder erreicht sein                    onsausfälle sind zeitlich eng begrenzt und dürften des-
ifo Niederlassung Dresden und
                                              wird, sind bleibende Schäden                         halb die längerfristige Entwicklung der Unternehmen
Honorarprofessor an der Techni-
schen Universität Dresden.                    nicht auszuschließen – so ins-                       kaum beeinflussen. Dies gilt auch für die durch die
                                              besondere dann, wenn es in der                       Pandemie ausgelösten Todesfälle, da sich diese auf die
                                              Breite zu Unternehmensschließun-                     höheren Altersgruppen konzentrieren, die nicht mehr
                           gen käme oder eine »dritte Welle« erneut restriktive                    im Erwerbsleben stehen (Ragnitz 2021). Zudem waren
                           Maßnahmen notwendig machen würde. Auch wenn                             auch die von der Politik beschlossenen Restriktionen
                           dies alles heute noch nicht im Detail absehbar ist,                     (wie Geschäftsschließungen oder Kontaktbeschrän-
                           steht die Gefahr im Raum, dass es damit auch zu ei-                     kungen) bislang regional kaum unterschiedlich und
                           ner neuerlichen Verschärfung regionaler Disparitäten                    trafen die einzelnen Regionen daher in gleicher Weise.
                           kommen könnte, die dem politischen Ziel der »Gleich-                    Auch dies spricht gegen direkte Auswirkungen des
                           wertigkeit der Lebensverhältnisse« zuwiderlaufen                        regionalen Infektionsgeschehens auf die wirtschaft-
                           würde.                                                                  liche Entwicklung.
                               Bereits in einem früheren Beitrag des Autors                             Entscheidende Transmissionskanäle für mög-
                           wurde auf das Risiko negativer angebotsseitige Ef-                      licherweise regional divergierende wirtschaftliche
                           fekte der Corona-Pandemie hingewiesen, so insbe-                        Entwicklungen sind daher regional unterschiedliche
                           sondere auf eine Abschwächung des Wachstums des                         Wirtschaftsstrukturen und/oder eine unterschiedliche
                           Produktionspotenzials und eine Beschleunigung des                       Widerstandskraft (»Resilienz«) einzelner Regionen. Es
                           strukturellen Wandels (Ragnitz 2020). Hier soll es                      stellt sich die Frage, wie die Corona-Pandemie bzw.
                           hingegen vor allem um mögliche Auswirkungen der                         die zu ihrer Eindämmung beschlossenen Maßnahmen
                           Pandemie auf die regionalwirtschaftliche Entwick-                       die einzelnen Branchen beeinflusst haben.
                           lung gehen. Ungeachtet der aktuellen Herausforde-
                           rungen zur Bekämpfung der unmittelbaren Krisenfol-                      Industrie: Starker Einbruch im Frühjahr, Erholung
                           gen ist dies insbesondere mit Blick auf die regionale                   im Frühsommer
                           Wirtschaftspolitik von Relevanz, die einerseits von
                           Bund und Ländern gemeinsam sowie andererseits                           In der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020 war vor
                           von Ländern und Kommunen jeweils getrennt ge­-                          allem die Industrie stark negativ betroffen. Dies lag
                           tragen wird.                                                            weniger an den Corona-bedingten Einschränkungen in

                   6   ifo Schnelldienst   3 / 2021   74. Jahrgang   17. März 2021
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Deutschland selbst als vielmehr an der Beeinträchti-                zwar keine präjudizierende Wirkung für die künftige
gung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs und                    Entwicklung in den einzelnen Sektoren, zeigt aber,
der einsetzenden Rezession in wichtigen Außenhan-                   dass auch eine globale Industriekrise nicht notwen-
delspartnerländern. So brachen die deutschen Waren-                 digerweise in allen Bereichen gleichermaßen durch-
ausfuhren im März und April 2020 zusammengenom-                     schlägt und dass darüber hinaus auch andere, eher
men um beinahe 33% gegenüber dem Vorkrisenniveau                    längerfristig wirkende Trends des Strukturwandels
ein (Statistisches Bundesamt 2021a); die Industrie-                 eine Veränderung der industriellen Strukturen in
produktion schrumpfte infolgedessen um knapp 25%                    Deutschland und seinen Regionen bewirken können.
(Statistisches Bundesamt 2021b).                                    Die Corona-Pandemie mag diesen Strukturwandel
     Die industrielle Rezession war aber nicht von                  beschleunigt haben; Auslöser dessen war sie jedoch
Dauer. Bereits ab Mai 2020 erholten sich Exporte                    nicht.2
und Produktion wieder, so dass zum Jahresende das                        Eng mit der Industrie verknüpft sind Branchen
Vorkrisenniveau schon fast wieder erreicht wurde:                   wie der Großhandel, das Logistikgewerbe oder auch
Im Dezember waren 85% des anfänglichen Verlusts                     zahlreiche unternehmensnahen Dienstleistungsbe-
aufgeholt,1 und aktuelle Konjunkturprognosen gehen                  reiche. Dementsprechend ähnelt das Verlaufsbild
davon aus, dass auch im Jahr 2021 die Industrie weiter              der Konjunktur im Jahr 2020 hier dem in den in-
überproportional wachsen wird – dies auch deshalb,                  dustriellen Bereichen: Starke Umsatzeinbußen im
weil die neuerlichen Corona-bedingten Beschränkun-                  Frühjahr, aber eine nahezu ebenso starke Erholung
gen in Deutschland und im Ausland bislang nicht dazu                seit dem Frühsommer. Vereinzelt dürften diese Be-
geführt haben, dass grenzüberschreitende Lieferket-                 reiche von der Pandemiesituation sogar noch pro-
ten erneut zusammengebrochen sind.                                  fitiert haben, so z.B. durch vermehrte Online-Käufe
     Zudem dürfte es im Laufe des Jahres zu Nach-                   der privaten Haushalte, durch die Digitalisierung von
holeffekten beim bislang zurückgestauten Konsum                     Prozessen oder durch einen verstärkten Beratungs-
kommen, wenn Einzelhandelsgeschäfte wieder öff-                     bedarf von Unternehmen. Derartige positive Sonder-
nen dürfen. Auch wenn ein großer Teil der in Deutsch-               konjunkturen dürften allerdings ebenfalls nicht von
land nachgefragten Konsumgüter aus ausländischer                    Dauer sein.
Produktion stammt, dürften hiervon auch heimische                        Stark negativ betroffen durch die Coronakrise
Industrieunternehmen profitieren. Gleiches gilt zumin-              waren und sind demgegenüber Branchen, die in be-
dest mittelfristig auch für die Investitionsgüternach-              sonderer Weise unter den von der Politik erlassenen
frage, denn auch wenn die Krise und ihre Nachwirkun-                Kontaktbeschränkungen leiden, also der stationäre
gen die Neigung zur Ausweitung der Produktionskapa-                 Einzelhandel, Hotel- und Gastgewerbe, Kunst und
zitäten verringert haben und wohl auch auf mittlere                 Unterhaltung sowie eine Reihe sozialer und persön-
Sicht weiter dämpfen werden, dürfte der Bedarf an                   licher Dienstleistungen wie Friseure oder Kosmetik-
Ersatzinvestitionen für ausgesonderte Anlagegüter                   studios. Anders als es die öffentliche Wahrnehmung
künftig eher steigen und damit die Produktion von                   nahelegt, handelt es sich hierbei auch durchaus um
Investitionsgütern anregen. Insoweit ist wohl nicht zu              bedeutsame Wirtschaftszweige: So liegt die Zahl
befürchten, dass die Industrie als Ganzes in Deutsch-               der im »klassischen« stationären Einzelhandel (ohne
land dauerhaften Schaden nimmt.                                     Kfz-Handel) tätigen Personen bei immerhin 3,3 Milli-
                                                                    onen, im Hotel- und Gastronomiegewerbe bei 2,4 Mil-
Unterschiedliche Erholungsgeschwindigkeit und                       lionen, in den Bereichen Kunst und Kultur bei rund
-intensität                                                         1,3 Millionen und in den besonders betroffenen Teilen
                                                                    des sozialen Dienstleistungsgewerbes (z.B. Friseur-
Innerhalb der Industrie gibt es aber derzeit durch-                 und Kosmetikstudios; Betriebe des Fitnessbereichs;
aus noch erhebliche Unterschiede in der Erholungs-                  Saunas und Solarien) bei wenigstens 0,3 Millionen.3
geschwindigkeit und -intensität. So liegt derzeit bei-              Hieran wird deutlich, dass diese Bereiche in Summe
spielsweise die Produktion im Maschinenbau noch                     ähnlich groß sind wie die Industrie im engeren Sinne
weit unter dem Vorkrisenniveau. Auch die Automobil-                 (7,6 Millionen Erwerbstätige). Dass einzelne Indus-
produktion ist noch nicht so recht in Gang gekommen,                triebranchen (wie der Fahrzeug- oder der Maschi-
was hier aber eher mit den schon vor der Coronakrise                nenbau mit jeweils rund 1 Million Erwerbstätigen)
bestehenden Anpassungsnotwendigkeiten infolge des                   in Öffentlichkeit und Politik eine weitaus höhere Be-
politisch forcierten Übergangs zur Elektromobilität zu              achtung finden, scheint somit weniger auf deren Be-
tun haben dürfte. Umgekehrt sind zahlreiche konsum-                 deutung für die Beschäftigung als vielmehr auf ihre
nahe Branchen und insbesondere die Vorleistungsgü-                  Rolle für die internationale Sichtbarkeit und die Leis-
terindustrie (darunter vor allem die chemische und                  tungsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland
pharmazeutische Industrie) bislang vergleichsweise                  zurückzuführen zu sein.
gut durch die Krise gekommen. Dies alles entwickelt
                                                                    2
                                                                       Für regionale Wirtschaftspolitik ist es freilich letzten Endes unbe-
1
  Dies heißt aber nicht, dass die ausgefallene Produktion nachge-   deutend, wodurch regionale Anpassungsprozesse ausgelöst werden.
                                                                    3
holt worden wäre; der kumulierte Produktionsausfall der Industrie      Statistische Angaben hierzu liegen zum Teil nur für frühere Jahre
belief sich im Gesamtjahr 2020 auf 10%.                             vor, so dass genaue Aussagen nicht möglich sind.

                                                                                      ifo Schnelldienst   3 / 2021   74. Jahrgang   17. März 2021   7
ZUR DISKUSSION GESTELLT

         Statistische Angaben über die wirtschaftlichen                Geringer Beschäftigungsabbau
    Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die genann-
    ten Dienstleistungssektoren liegen allerdings nur ver-             Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in
    einzelt vor: So sind die (preisbereinigten) Umsätze                den von der Coronakrise betroffenen Wirtschaftszwei-
    im Einzelhandel im Gesamtjahr 2020 entgegen der                    gen ist hingegen bislang zumeist nur wenig zurückge-
    Intuition um immerhin 3,9% gestiegen. Dabei gibt es                gangen. Die absolut größten Beschäftigungsverluste
    aber große Unterschiede nach Sparten: Der stationäre               im Vorjahresvergleich waren bis zum November in
    Einzelhandel mit Textilien sowie Kaufhäuser hatten                 der Metall- und Elektroindustrie (– 159 000 Perso-
    zweistellige Umsatzeinbußen hinzunehmen, wäh-                      nen, – 3,5%), gefolgt vom Gastgewerbe (– 97 000 Per-
    rend insbesondere der Online-Handel seine Umsätze                  sonen, – 8,9%) und der Arbeitnehmerüberlassung
    um rund ein Viertel steigern konnte. Die Coronakrise               (– 48 000 Personen, 6,4%). Im stark von den pande-
    dürfte hier jedoch eher bereits vorhandene Trends                  miebedingten Restriktionen betroffenen Handelssek-
    verstärkt haben, denn der Online-Handel hatte auch                 tor belief sich der Beschäftigungsrückgang demge-
    schon in den Jahren zuvor deutlich überdurchschnitt-               genüber nur auf knapp 8 000 Personen (– 0,2%), wohl
    liche Zuwachsraten zu verzeichnen. Ob sich das hierin              auch wegen der positiven Entwicklung im Online-Han-
    zum Ausdruck kommende veränderte Käuferverhal-                     del. Auch die »Sonstigen Dienstleistungen«, zu denen
    ten in den kommenden Jahren wieder zurückbildet,                   u.a. die betroffenen sozialen Dienstleistungen gehö-
    erscheint indes fraglich. Man wird also davon ausge-               ren, haben in Summe nur einen verhältnismäßig ge-
    hen müssen, dass noch viel mehr Einzelhandelsge-                   ringen Beschäftigungsabbau zu verzeichnen (– 15 000,
    schäfte, aber auch Filialen von Handelsketten und                  entspricht – 1,2%). Dass der Arbeitsausfall insgesamt
    größere Warenhäuser in Zukunft ihren Betrieb gar                   aber höher ausfiel, zeigt sich an den bislang vorlie-
    nicht oder zumindest nicht in der bisherigen Form                  genden Angaben zu den geleisteten Arbeitsstunden
    fortführen können; aktuell sehen sich mehr als ein                 der Erwerbstätigen, die beispielsweise im Verarbei-
    Drittel aller Einzelhandelsunternehmen durch die                   tenden Gewerbe um 6,6%, im Bereich Handel, Verkehr
    Corona-bedingten Geschäftsschließungen in ihrer                    und Gastgewerbe um 7,4% und bei den Sonstigen
    Existenz gefährdet.4 Noch größere Umsatzeinbrü-                    Dienstleistern im Jahr 2020 um 8,5% zurückgingen.
    che waren im Gastgewerbe zu verzeichnen; hier la-                  Dies deutet darauf hin, dass insbesondere die ver-
    gen die (preisbereinigten) Umsätze zu den Zeiten der               breitete Nutzung von Kurzarbeit den Abbau von Ar-
    größten Einschränkungen zum Teil um fast 90% un-                   beitsplätzen bislang vermieden hat.5
    ter dem Vorjahresniveau. Vor allem Hotels und Gast-
    stätten (einschließlich Ausschank von Getränken)                   Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und
    waren hiervon betroffen, da diese sowohl während                   Liquiditätshilfen halten die Zahl der
    des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 wie auch im                  Unternehmensschließungen gering
    zweiten Lockdown seit November 2020 faktisch mit
    einem Tätigkeitsverbot belegt waren. Die zeitweisen                Ungewiss ist, ob sich die besonders stark von der
    Lockerungen im Sommer haben hier nicht ausgereicht,                Corona-Pandemie betroffenen Branchen so schnell
    die Umsatzverluste wieder aufzuholen, so dass die                  wieder erholen können, dass Unternehmensschlie-
    preisbereinigten Umsätze im Gesamtjahr 2020 um                     ßungen auf breiter Front vermieden werden kön-
    39% niedriger ausfielen als im Vorjahr. Dies wiederum              nen. Im Handel, im Gastgewerbe und bei einigen
    hat auch die Entwicklung in den vor- und nachgela-                 kulturellen und sozialen Dienstleistungen erscheint
    gerten Wirtschaftszweigen (wie z.B. Brauereien oder                dies aus heutiger Sicht fraglich, auch wenn – nicht
    Wäschereien) in Mitleidenschaft gezogen. Geradezu                  zuletzt wegen der bislang ausgesetzten Insolvenz­
    dramatisch ist die Situation bei den Reisebüros und                antragspflicht bei Überschuldung oder Zahlungs-
    -veranstaltern mit einem (nominalen) Umsatzrückgang                unfähigkeit und der Liquiditätshilfen für besonders
    von 68% gegenüber Vorjahr allein in den ersten drei                stark betroffene Unternehmen – die Zahl der In-
    Quartalen des Jahres, bei den Messe-, Ausstellungs-                solvenzen bislang nicht außergewöhnlich hoch ist.
    und Kongressveranstaltern (– 49%) oder der Filmbran-               Dass der Staat die Schließung von Unternehmen
    che einschließlich Kinos (– 34%). Gleiches gilt für die            mit einem grundsätzlich tragfähigen Geschäftsmo-
    Personenbeförderung im Luftverkehr (– 65%), in der                 dell verhindern will, ist dabei nicht grundsätzlich
    See- und Küstenschifffahrt (– 58%) oder im Eisenbahn-              zu beanstanden; allerdings bergen die getroffenen
    verkehr (– 32%). Auch in zahlreichen haushaltsnahen                Maßnahmen aufgrund ihrer Ausgestaltung das Ri-
    Handwerksbereichen waren kräftige Umsatzeinbußen                   siko, dass damit auch der notwendige Marktaustritt
    im Zeitraum Januar bis September 2020 hinzunehmen,                 nicht rentabler Unternehmen unterbunden wird. Dies
    um – 12% bei den Friseuren, – 18% bei den Textilrei-               könnte auf längere Sicht zu Wohlstandseinbußen
    nigern oder – 19% bei den Fotografen.                              aufgrund einer suboptimalen Ressourcenallokation
                                                                       führen.
    4
      Sonderauswertung der ifo Geschäftsklimabefragungen, Februar
                                                                       5
    2021. Im November 2020 betrug der Anteil der Einzelhandelsunter-      Dies könnte sich allerdings ändern, wenn ab 1. Juli 2021 die Ar-
    nehmen, die die Auswirkungen der Coronakrise als existenzgefähr-   beitgeber wieder an den Sozialversicherungsbeiträgen für Arbeitneh-
    dend einstuften, bei lediglich 18%.                                mer in Kurzarbeit beteiligt sind.

8   ifo Schnelldienst   3 / 2021   74. Jahrgang   17. März 2021
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Keine Anzeichen für regional unterschiedliche            die betroffenen Betriebe dauerhaft schließen und
Effekte                                                  auch nicht durch Neugründungen ersetzt werden.
                                                         Gerade das ist aber zu bezweifeln, denn sobald sich
Die Wahrscheinlichkeit von Unternehmensschließun-        das Pandemiegeschehen beruhigt hat und die Men-
gen wächst, je länger die gegenwärtigen Beschrän-        schen wieder reisen dürfen, werden im Zweifel Ho-
kungen für einzelne Branchen andauern – und für          tels und gastronomische Einrichtungen an attrakti-
einige Wirtschaftszweige wie die Kultur- und Veran-      ven Urlaubsorten wieder neu eröffnet werden. Ob
staltungsbranche oder das Tourismus- und Reisege-        es die gleichen Eigentümer sein werden und ob in
werbe ist zu befürchten, dass Lockerungen erst dann      den Krisenjahren entlassene Beschäftigte dort wie-
vorgenommen werden, wenn aufgrund erfolgreicher          der einen neuen Arbeitsplatz finden werden, ist zwar
Impfungen eine Herdenimmunität erreicht ist, also        nicht ausgemacht; dennoch sollte dies dazu führen,
frühestens ab Herbst 2021. Zu einer Verschärfung         dass die Wirtschaftskraft in den betroffenen Regi-
der regionalen Unterschiede in der Wirtschaftskraft      onen nicht dauerhaft niedriger ausfallen wird, als
würde dies jedoch nur dann führen, wenn sich Un-         es vor der Pandemie der Fall war. In anderen Berei-
ternehmensschließungen auf strukturschwächere Re-        chen wie Messe- und Veranstaltungswirtschaft mag
gionen konzentrieren würden. Wenig Anhaltspunkte         dies anders sein; diese sind aber gemeinhin nicht in
hierfür gibt es mit Blick auf den Handel, da dieser      den strukturschwächeren Regionen angesiedelt. In-
sich eher gleichmäßig auf die einzelnen Regionen         soweit ist mit einer Corona-bedingten Verschärfung
Deutschlands verteilt. In den Kreisfreien Großstäd-      regionaler Disparitäten auf lange Sicht wohl nicht zu
ten beträgt der Anteil des Handelssektors an den         rechnen.
Beschäftigten dabei insgesamt durchschnittlich                Problematischer wäre es, wenn es zum Verlust
rund 12%, in den übrigen Regionen ist er nur wenig       von Produktionsstätten in der Industrie käme, gerade
höher. Auch wenn es einige wenige Landkreise mit         auch weil dieser Sektor wegen seiner insgesamt hö-
einem deutlich überdurchschnittlichen Anteil des         heren Produktivität und dem zumeist überregionalen
Handels an den Beschäftigten gibt, sind dies nicht       Absatz seiner Produkte aus regionalpolitischer Sicht
unbedingt besonders wirtschaftsschwache Regio-           von besonderer Bedeutung ist. Zudem sind auch For-
nen (gemessen an der Wirtschaftskraft, der Arbeits-      schung und Entwicklung eine Domäne der Industrie,
losigkeit oder der Einstufung als GRW-Fördergebiet).     und zahlreiche Dienstleistungsunternehmen sind in
Gleiches gilt für viele andere der oben genannten        industrielle Wertschöpfungsketten eingebunden. Al-
konsumnahen Dienstleistungsbereiche wie Friseure,        lerdings ist die Industrie kein homogener Sektor, und
Textilpflegebetriebe oder Kinos. Insolvenzen in diesen   nur in einzelnen Industriezweigen besteht eine starke
Bereichen sind zwar bitter für die Betroffenen (und      räumliche Ballung (z.B. Automobilbau, chemische
möglicherweise auch schädlich für die Lebensquali-       Industrie). Die meisten Landkreise weisen ohnehin
tät in den jeweiligen Städten und Gemeinden), die        eine eher diversifizierte Industriestruktur auf, so dass
regionalwirtschaftlichen Auswirkungen sind jedoch        Probleme einzelner Branchen oder gar Unternehmen
begrenzt.                                                die regionale Entwicklung hier kaum beeinträchtigen
     Eine stärkere räumliche Ballung ist hingegen        dürften. Insoweit kann auch hier Entwarnung gege-
beim Gastgewerbe festzustellen. Landkreise mit           ben werden. Wenn es in einzelnen regional stärker
einem hohen Anteil dieses Sektors finden sich ins-       vertretenen Sektoren (wie z.B. dem Fahrzeugbau)
besondere in den typischen Tourismusgebieten an          Probleme gibt, so scheinen diese aus heutiger Sicht
Nord- und Ostsee sowie in den bayrischen Alpen. Hier     weniger mit der Corona-Pandemie zu tun zu haben
sind teilweise mehr als 10% aller Beschäftigten im       als vielmehr mit dem strukturellen Wandel, dem diese
Tourismussektor tätig. Zudem handelt es sich dabei       Branchen unterworfen sind. Hieraus kann sich eine
häufig um dünn besiedelte ländliche Regionen mit         Verschärfung regionaler Disparitäten ergeben, doch
einer geringen Wirtschaftskraft (auch deshalb, weil      hat dies dann nichts mit der Pandemiesituation zu
im Tourismus nur eine verhältnismäßig geringe Wert-      tun und wäre insoweit auch unter anderen Umstän-
schöpfung je Erwerbstätigen erzielt wird und weil        den so eingetreten.
Urlaubsregionen ihren Reiz gerade daraus beziehen,
dass andere Sektoren, insbesondere die Industrie,        RESILIENZ VON REGIONEN
hier nur schwach vertreten sind); hinsichtlich der re-
gionalen Beschäftigungssituation (gemessen an der        In der regionalökonomischen Forschung erlebt seit
Arbeitslosenquote) gibt es hingegen keinen systema-      einiger Zeit das Thema der »Resilienz« erhöhte Auf-
tischen Zusammenhang. Alles in allem gilt auch hier,     merksamkeit. Dabei geht es zum einen um die Vul-
dass es sich dabei nur zum Teil um Regionen handelt,     nerabilität (die, wie beschrieben, in den meisten Re-
die nach den Kriterien der Gemeinschaftsaufgabe          gionen nicht so hoch sein dürfte), zum anderen aber
»Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur«        auch um die Regenerationsfähigkeit eines Systems,
als strukturschwach gelten.                              also wie schnell nach einem (exogenen) Schock das
     Ein negativer Effekt auf die regionale Wirt-        Ursprungsniveau von Bruttoinlandsprodukt oder Be-
schaftsentwicklung setzt allerdings voraus, dass         schäftigung wieder erreicht werden kann. Eine ak-

                                                                       ifo Schnelldienst   3 / 2021   74. Jahrgang   17. März 2021   9
ZUR DISKUSSION GESTELLT

     tuelle Untersuchung des ifo Instituts (Förtsch et al.         KONSEQUENZEN FÜR DIE REGIONALE
     2021) zeigt anhand des Beispiels der Wirtschafts- und         WIRTSCHAFTSPOLITIK
     Finanzkrise 2008/2009, dass die Resilienz der deut-
     schen Landkreise grundsätzlich als hoch eingeschätzt          Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass
     werden kann – auch wenn die damaligen Erfahrun-               zumindest aus aktueller Sicht wenig Anlass zu der
     gen nicht unbedingt auf die aktuelle Situation über-          Befürchtung besteht, dass die Corona-Pandemie die
     tragen werden können, weil sich der Produktions-              regionalen Disparitäten in Deutschland verschärfen
     einbruch 2009 vor allem auf die Industrie konzen-             könnte. Insoweit besteht auch kein Grund, über die
     trierte, andere Sektoren hingegen nur schwach be­             zweifellos notwendigen Maßnahmen zur Unterstüt-
     troffen waren.                                                zung besonders betroffener Unternehmen und Bran-
          Im Jahr 2009 lag in 355 von 401 Landkreisen das          chen hinaus, das Instrumentarium der regionalen
     Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen unterhalb              Wirtschaftsförderung entsprechend zu modifizieren.
     des Niveaus von 2008; bei den nur wenig von der               Die trifft insbesondere auf das Kernstück der regio-
     Wirtschaftskrise betroffenen Landkreisen handelte es          nalen Wirtschaftspolitik, die Gemeinschaftsaufgabe
     sich überwiegend um Regionen mit einem niedrigen              »Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur«
     Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten            zu, bei der derzeit eine Neuabgrenzung der Förderge-
     Wertschöpfung. Gut die Hälfte davon (55,2%) konn-             biete für die Jahre 2021–2027 vor dem Hintergrund der
     ten das Vorkrisenniveau des BIP je Erwerbstätigen             geplanten Einbettung in eine »gesamtdeutsche För-
     bereits bis zum Jahr 2010 wieder erreichen, und im            derpolitik« ansteht. Denkbar wäre aber, entgegen bis-
     Jahr 2011 waren es schon 85,9%. Einige wenige (4%             heriger Gepflogenheiten eine »Halbzeitüberprüfung«
     aller betroffenen Landkreise) Regionen hatten aller-          der Fördergebietsabgrenzung nach Überwindung der
     dings auch fünf Jahre später noch ein niedrigeres             Corona-Pandemie vorzunehmen.
     BIP je Erwerbstätigen aufzuweisen, wobei dies nicht                Die Verbesserung regionaler Standortbedingun-
     notwendigerweise auf den konjunkturellen Einbruch             gen bleibt hingegen auch unter Pandemiebedingungen
     2008/2009 zurückzuführen ist. Insgesamt deuten                eine wichtige Aufgabe, zu der insbesondere Länder
     diese Daten darauf hin, dass die Resilienz deutscher          und Kommunen einen Beitrag leisten müssen. Durch
     Regionen im Hinblick auf den Schock der Wirtschafts-          Förderpolitiken allein lässt sich ja die »Gleichwertig-
     krise vergleichsweise hoch war.                               keit der Lebensverhältnisse« kaum erreichen; vielmehr
          Anders sieht es hingegen aus, wenn man nicht             bedarf es hierfür einer kontinuierlichen und zielori-
     das Vorkrisenniveau zum Maßstab nimmt, sondern                entierten Anpassung der wirtschaftsrelevanten Rah-
     den vorangehenden Wachstumspfad. Nur ein gutes                menbedingungen in den einzelnen Regionen. Hierzu
     Viertel (26,2%) aller Landkreise war bereits im Jahr          zählen Infrastrukturen, aber auch eine leistungsfähige
     2010 auf den Vorkrisen-Wachstumspfad zurückge-                Verwaltung. Die Pandemie hat hier eine Reihe von
     kehrt; bei 158 Landkreisen (44,5%) war dies selbst            Schwachpunkten aufgedeckt. Um bestehende Defizite
     2017 noch nicht der Fall. Dies ist ein Indiz dafür, dass      auszugleichen, bedarf es selbstkritischer Überprüfung
     auch ein temporärer Schock durchaus langfristige              bestehender Strukturen und Prozesse. Insoweit ist es
     negative Wirkungen auf die Entwicklungschancen                möglicherweise ein Problem, dass die Kosten der Pan-
     einer Region haben kann. Nicht auszuschließen ist             demiebekämpfung und die mit der Krise verbundenen
     allerdings, dass auch hier zusätzliche, nicht näher           Einnahmeausfälle eine hohe Bürde für die künftige
     berücksichtigte Faktoren (z.B. eine später einsetzende        Haushaltspolitik aller beteiligten Gebietskörperschaf-
     Strukturkrise wichtiger Branchen) es erschwert oder           ten darstellen. Es besteht die Gefahr, dass Schuldentil-
     gar verhindert haben, dass der vorherige Wachstums­           gungen – auch wenn diese zeitlich gestreckt erfolgen –
     pfad wieder erreicht wurde; in diesem Fall wäre es            zu Kürzungen insbesondere bei wachstumsrelevanten
     unzulässig, die Wirtschaftskrise 2009 hierfür verant-         Ausgaben (wie Investitionen, Ausgaben für Forschung
     wortlich zu machen.                                           und Entwicklung sowie für Bildung) führen, da diese
          Die erwähnte ifo-Studie zeigt u.a., dass die Erho-       kurzfristig eher disponibel sind als gesetzlich oder
     lungsdauer nach dem Konjunktureinbruch 2009 umso              vertraglich gebundene Ausgaben (wie Sozialleistungen
     länger war, je höher der Anteil des Verarbeitenden            oder Personalausgaben). Die Wiederherstellung der
     Gewerbes und der Unternehmensdienstleistungen in              Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte kann und
     einem Landkreis ist. Dies ist wegen des industriellen         sollte eher über ein hohes Wirtschaftswachstum als
     Charakters der Wirtschaftskrise auch nicht weiter             über beschleunigte Schuldentilgungen erfolgen, und
     verwunderlich. Als positive Faktoren für regionale Re-        da wären Ausgabenkürzungen in den genannten Be-
     silienz wurden zudem eine diversifizierte Wirtschafts-        reichen kontraproduktiv (Nitschke 2021).
     struktur, eine hohe Innovationskraft und eine hohe
     Gründungsintensität identifiziert – alles Faktoren,           LITERATUR
     die eher in strukturstärkeren Regionen angesiedelt            Förtsch, M., X. Frei, A. Kremer und J. Ragnitz (2021), Analyse regionaler
     sind. Ob dies in der gegenwärtigen Corona-Pande-              Risiko- und Resilienzfaktoren in Deutschland, ifo Dresden Studie,
                                                                   ifo Institut, München, im Erscheinen.
     mie ebenfalls der Fall sein wird, muss zum heutigen
     Zeitpunkt allerdings offen­bleiben.

10   ifo Schnelldienst   3 / 2021   74. Jahrgang   17. März 2021
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Nitschke, R. (2021), »Die Bürde der Corona-Schulden – Welche Belastun-     Statistisches Bundesamt (2021a), »Exporte im Dezember 2020: + 0,1%
gen erwarten die Länderhaushalte in den nächsten Jahren?«, ifo Dresden     zum November 2020, Exporte im Gesamtjahr 2020: – 9,3% zum Jahr
berichtet (1), 3–9.                                                        2019«, Pressemitteilung, 9. Februar, verfügbar unter:
                                                                           https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/02/
Ragnitz, J. (2020), »Langfristige wirtschaftliche Auswirkungen der
                                                                           PD21_054_51.html.
Corona-­Pandemie«, ifo Schnelldienst 73(11), 25–30
                                                                           Statistisches Bundesamt (2021b), »Konjunkturindikatoren, Produktions-
Ragnitz, J. (2021), »Hat die Corona-Pandemie zu einer Übersterblichkeit
                                                                           index, produzierendes Gewerbe«, verfügbar unter
in Deutschland geführt? – Aktualisierung«, 24. Februar, verfügbar unter:
                                                                           https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/
https://www.ifo.de/publikationen/2021/monographie-autorenschaft/
                                                                           Produktion/kpi111.html.
corona-pandemie-uebersterblichkeit-aktualisierung-feb2021.

Ulrich Walwei
Auswirkungen der Coronakrise auf den Arbeitsmarkt:
Kann Kurzarbeit auf Dauer Arbeitsplätze retten?
Die Covid-19-Pandemie hat zu einer schweren und                            Schocks wird ein längerfristiger Einsatz der Kurzarbeit
lang­anhaltenden Krise von Wirtschaft und Arbeits-                         immer fragwürdiger, weil die Weiterbeschäftigungs-
markt geführt. Seitens der Politik wurden vielfältige                      chancen im Zeitablauf sinken.
Anstrengungen unternommen, um die wirtschaftli-                                 Grundsätzlich setzen hierzulande die rechtlichen
che Lage zu stabilisieren. Unternehmen wurden durch                        Regelungen für die Nutzung von Kurzarbeit einen er-
Staatsbeteiligungen, Liquiditätshilfen und den Ersatz                      heblichen Arbeitsausfall auf Seiten der Beschäftigten
von Umsatzausfällen zumindest vorübergehend gesi-                          voraus. Die regelmäßige Arbeitszeit kann in einem
chert. Dennoch ist offen, wie Unternehmen mittel- und                      solchen Fall unter Gewährung von Kurzarbeitergeld
langfristig durch die Krise kommen werden. Im Mittel-                      entsprechend verringert werden. Die Bezugsdauer
punkt der Stützung des Arbeitsmarkts stand und steht                       der konjunkturellen Kurzarbeit beträgt in der Regel
der massive Einsatz der Kurzarbeit. Dabei stellt sich                      bis zu zwölf Monate. Das Kurzarbeitergeld beläuft sich
die Frage, ob und inwieweit hierdurch Arbeitsplätze                        normalerweise – analog zum Arbeitslosengeld – auf
auch auf längere Sicht gerettet werden können.                             60% (bei Personen mit Kindern: 67%) der Nettoent-
                                                                           geltdifferenz des Monats, in dem die Arbeit ausgefal-
KURZARBEIT ALS ARBEITSMARKTPOLITISCHES                                     len ist. Die maximale Bezugsdauer und die Höhe des
INSTRUMENT                                                                 Kurzarbeitergelds können in Krisenzeiten – befristet
                                                                           – heraufgesetzt werden. Kurzarbeit kann für alle Be-
In Krisenzeiten dient die konjunkturelle Kurzarbeit der                    schäftigten eines Betriebs oder auch nur für einen Teil
Stabilisierung von Beschäftigung und Einkommen. Aus                        der Beschäftigten in Anspruch genommen werden.
ökonomischer Sicht setzt sie Anreize, Arbeitskräfte zu                     Möglich ist, dass Beschäftigte mit einer verringerten
halten, die ohne ihren Einsatz womöglich freigesetzt                       Arbeitszeit (Teilzeit) weiterarbeiten und gleichzeitig
worden wären. Mit dem Einsatz von Kurzarbeit ist eine                      Lohn und Kurzarbeitergeld beziehen.
ganze Reihe von Vorteilen verbunden. Gut eingearbei-                            Die vorliegenden Wirkungsanalysen zum Einsatz
tete Arbeitskräfte können durch die Kurzarbeit in den                      von Kurzarbeit beziehen sich zumeist auf die Finanz-
Betrieben verbleiben, wodurch spezifisches Human-                          krise 2008/2009. Hijzen und Venn (2011) zeigen in einer
kapital gesichert wird. Durch das Festhalten an Ar-                        Kausalanalyse für 16 OECD-Länder, dass Kurzarbeit zur
beitskräften vermeiden die Betriebe Entlassungs- und                       Sicherung von Arbeitsplätzen in Krisenzeiten beitragen
Wiedereinstellungskosten (Crimmann und Wießner                             konnte. Vor allem für Japan und Deutschland konnte
2009). Die durch die Nutzung von Kurzarbeit geringere                      dies nachgewiesen werden. Bestä-
Lohnsumme stärkt die Liquidität von Unternehmen                            tigt wird das Ergebnis durch Boeri
in Krisenzeiten. Schließlich reduziert Kurzarbeit so-                      und Brücker (2011). Sie ermittel-
ziale Kosten im Vergleich zu Entlassungen, auch, und                       ten, dass durch den Einsatz von
gerade, weil Beschäftigungsverhältnisse aufrechter-                        Kurzarbeit in Deutschland rund
halten werden und der individuelle Arbeitszeit- und                        400 000 Arbeitsplätze erhalten
Verdienstausfall in vielen Fällen weniger als 100%                         werden konnten. Zu erwähnen ist                  Prof. Dr. Ulrich Walwei
beträgt.                                                                   jedoch, dass das 95%-Konfidenzin-
                                                                                                                          ist Vizedirektor am Institut für
     Der Einsatz von Kurzarbeit kann aber auch mit                         tervall für das Schätzergebnis zwar            Arbeitsmarkt- und Berufsfor-
Problemen einhergehen. Durch die Stabilisierung von                        im positiven Bereich bleibt, aber              schung und Honorarprofessor
Beschäftigung kann sich die Reallokation von Arbeit                        mit einer Bandbreite von 34 000                für Arbeitsmarktforschung am
                                                                                                                          Institut für Volkswirtschaftslehre
verringern, und das Ausscheiden unproduktiver Unter-                       bis 770 000 nicht so weit vom                  und Ökonometrie der Universität
nehmen aus dem Markt kann sich verzögern (Cahuc                            Nullpunkt entfernt ist. Zudem ist              Regensburg.
2019). Vor allem bei nachhaltigen und strukturellen                        bei der Interpretation der Effekte

                                                                                             ifo Schnelldienst   3 / 2021   74. Jahrgang   17. März 2021   11
ZUR DISKUSSION GESTELLT

     zu beachten, dass sich Betriebe mit einer höheren             gleich zum Vorjahr angesichts des starken BIP-Rück-
     Überlebensfähigkeit in die Kurzarbeit hineinselektiert        gangs nur um rund 430 000 oder 0,9 Prozentpunkte
     haben könnten. Zu einer insgesamt stabilisierenden            gestiegen. Eine wesentliche Ursache hierfür ist der
     Wirkung der Kurzarbeit auf den hiesigen Arbeitsmarkt          zuletzt beträchtliche Einsatz der Kurzarbeit.
     während der Finanzkrise kommen weitere Studien,
     die auf Betriebsdaten basieren (Dietz et al. 2011; Bell-      EINSATZ DER KURZARBEIT IN DER CORONAKRISE
     mann et al. 2015). Schließlich gibt es Hinweise auf
     positive Wirkungen der Kurzarbeit zur Stabilisierung          Um die Nutzung der Kurzarbeit in der aktuellen Krise
     der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und der indi-            zu erleichtern, hat die Bundesregierung durch Geset-
     viduellen Einkommen (da Silva et al. 2020).                   zesänderungen und Rechtsverordnungen folgende
                                                                   erweiterte Regelungen im Zuge der Corona-Pandemie
     BESONDERHEITEN DER COVID-19-PANDEMIE                          ergriffen:

     Die Covid-19-Pandemie hat schon jetzt schweren wirt-          ‒   Um Kurzarbeitergeld anzeigen zu können, reicht
     schaftlichen Schaden angerichtet. Im ersten Lockdown              in der momentanen Krise ein Anteil von 10% der
     wurden Absatzwege und Lieferketten durchbrochen,                  Beschäftigten mit Arbeits- und Entgeltausfall.
     was den internationalen Handel vorübergehend be-              ‒   Ein Aufbau negativer Arbeitssalden im Arbeits-
     einträchtigte. Durch die enorme Abschwächung der                  zeitkonto ist nicht erforderlich.
     Weltwirtschaft kam es zudem zu Nachfrageeinbrü-               ‒   Sozialversicherungsbeiträge auf den Arbeitsaus-
     chen. Die Schließung ganzer Wirtschaftszweige wie                 fall werden bis 30. Juni 2021 in voller Höhe erstat-
     Gastwirtschaften, Hotels und Tourismus sowie die                  tet, bis zum Jahresende 2021 sollen die Beiträge
     weitgehende Einschränkung von Großveranstaltun-                   zur Hälfte erstattet werden und bei Weiterbildung
     gen in Bereichen wie Kultur, Sport, Freizeit und Wirt-            der Beschäftigten in Kurzarbeit weiterhin in vol-
     schaftsmessen während der Lockdown-Maßnahmen                      ler Höhe.
     sind ein (negatives) Novum und halten noch immer              ‒   Bis zum 31. Dezember 2021 kann das Kurzarbei-
     an. In der Summe trug die Coronakrise maßgeblich                  tergeld bis zu 24 Monate gezahlt werden.
     zum Rückgang des Bruttoinlandsprodukts 2020 von               ‒   Bei einem Entgeltausfall von mindestens 50%
     gut 5% im Vergleich zum Vorjahr bei (Statistisches                wird das Kurzarbeitergeld ab dem vierten Be-
     Bundesamt 2021).                                                  zugsmonat auf 70% (77% mit Kindern) und dem
           Im Vergleich zur Finanzkrise von 2008 und ihren             siebten Bezugsmonat bis auf 80% (87% mit Kin-
     Folgen weist die Coronakrise vier wesentliche Unter-              dern) erhöht.
     schiede auf. Die Finanzkrise war hierzulande durch            ‒   In der Zeitarbeitsbranche kann Kurzarbeit ein-
     einen V-Verlauf mit relativ schneller Erholung, einer             gesetzt werden.
     ihr vorausgehenden Boomphase der Volkswirtschaft,             ‒   Ein Minijob im Nebenerwerb ist für Kurzarbei-
     einer starken Betroffenheit des exportorientierten                tende anrechnungsfrei.
     Verarbeitenden Gewerbes und einer vergleichs-
     weise geringen Bedeutung struktureller Begleitfak-            Mit der Coronakrise im Jahr 2020 sind die Kurzar-
     toren gekennzeichnet. Im Gegensatz dazu ist bei der           beitszahlen auf ein Rekordniveau geschnellt. Allein
     Coronakrise nicht zuletzt durch den nun schon zwei-           im April 2020 lag die Zahl der Personen in Anzeigen
     ten Lockdown in weiten Teilen Europas mit einer wohl          bei mehr als 8 Millionen und damit deutlich über
     erheblich längeren Erholungsphase zu rechnen. Er-             dem höchsten Wert in einem Monat während der
     schwerend kommt hinzu, dass der Coronakrise be-               Finanzkrise (rund 720 000). Dies gilt analog für die
     reits eine leicht rezessive Tendenz der Wirtschaft vor­       Inanspruchnahme und damit die Zahl der Leistungs-
     ausging, die Branchenbetroffenheit deutlich breiter           empfänger. Im April/Mai 2020 erhielten knapp 6 Mil-
     ist und sich gerade eine forcierte Transformation der         lionen Beschäftigte Kurzarbeitergeld, während es in
     Wirtschaft, insbesondere durch die pandemiebedingt            der Finanzkrise maximal gut 1,4 Millionen waren (vgl.
     schneller voranschreitende Digitalisierung, vollzieht         Abb. 1). Der durchschnittliche Arbeitszeitausfall lag
     (ifo Institut 2020).                                          zu dem Zeitpunkt bei knapp 51%. Bis zum November
           Vorliegende Prognosen und Szenarien sprechen            2020 gingen dann Anzeigen und Inanspruchnahme
     aus heutiger Sicht dafür, dass die Wirtschaft erst 2022       deutlich zurück, jedoch stieg der durchschnittliche
     wieder das Vorkrisenniveau erreichen wird und im              Arbeitsausfall wieder und erreichte zuletzt ein ähn-
     Jahr 2021 von einem BIP-Anstieg um die 3% auszuge-            liches Niveau wie im Frühjahr. In dem nun zweiten
     hen ist (BMWi 2021). Für den Arbeitsmarkt bedeutet            harten Lockdown geben insbesondere in Branchen
     dies, dass Beschäftigung und Arbeitslosigkeit 2021            wie dem Hotel- und Gaststättengewerbe, den Ver-
     stagnieren und sich erst langsam wieder erholen. Ins-         kehrsunternehmen sowie dem Veranstaltungswesen
     gesamt ist jedoch festzuhalten, dass sich der Arbeits-        wieder eine größere Zahl von Betrieben an, Kurzar-
     markt auch dank der staatlichen Stützungsmaßnah-              beit zu nutzen (IAB 2020). In diesen Wirtschaftsbe-
     men in der Krise als relativ robust erwiesen hat. So          reichen ist aufgrund der massiven Einschränkungen
     ist die durchschnittliche Arbeitslosigkeit 2020 im Ver-       der Arbeitsausfall pro Kurzarbeitenden eher hoch.

12   ifo Schnelldienst   3 / 2021   74. Jahrgang   17. März 2021
Sie können auch lesen