Wasserstoff für ganz Europa - Der Politikbrief - Open Grid Europe
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Reflexionen rund um die Gasbranche 2021 Der Politikbrief Der European Hydrogen Backbone Wasserstoff für ganz Europa Ab Seite 7 Interview mit Fit for 55: Gastbeitrag: Dr. Frank Reiners: Auf dem Weg zur Europa setzt den Wir kommen an Klimaneutralität Rahmen für den Wasserstoff nicht vorbei! Aufbau eines Ab Seite 14 Wasserstoffsystems Ab Seite 3 Ab Seite 17
Vorwort Europa verbindet Liebe Leserinnen, liebe Leser, das letzte Jahr war in vielerlei Hinsicht ein besonderes. Die Coronapande- mie hat alles verändert. Wie wir leben, wie wir arbeiten und wie wir rei- sen. Das Leben mit dem Virus war und ist anstrengend. Es kostet viel Kraft, bringt aber auch viel Solidarität und gegenseitige Unterstützung mit sich. Wenn für mich eines deutlich geworden ist, dann ist es, dass Menschen in herausfordernden Situationen anpacken können – und das gemeinsam. Für diesen Grundsatz steht auch die europäische Idee: das gemeinsame Handeln zum Fortschritt aller Europäerinnen und Europäer. Im letzten Jahr wurde dabei sehr deutlich, dass die Europäische Union auch in Kri- senzeiten wichtige Signale senden kann, die uns alle näher zusammenste- hen lassen. Von der Aufnahme von Patienten aus europäischen Nachbar- Dr. Jörg Bergmann ländern über wirtschaftliche Aufbauhilfen bis hin zur gemeinsamen Sprecher der Geschäftsführung Zulassung der ersten Impfstoffe. Auch im Bereich der Klima- und Energiepolitik tat sich einiges. Der EU Green Deal wurde ausgestaltet, die EU bekam eine eigene Wasser- stoffstrategie, und das Klimaziel für ganz Europa wurde deutlich ambitio- nierter festgelegt. Wir hoffen nun, dass 2021 das Jahr wird, in dem diese Pläne Gestalt annehmen, und möchten daher den Fokus der aktuellen Ausgabe des OGE Politikbriefs ganz auf Europa lenken. Dazu stellen wir Ihnen die für die Bereiche Gas- und Wasserstoffinfra- struktur wichtigsten EU-Vorhaben vor und erläutern den Plan der europäi- schen Fernleitungsnetzbetreiber, ein Wasserstoffrückgrat für Europa auf- zubauen. Der European Hydrogen Backbone ist ein zentrales europäisches Projekt auf Basis der bestehenden Gasnetzinfrastruktur zur Unterstützung des Markthochlaufs von Wasserstoff. Lesen Sie außerdem in einem Inter- view mit meinem Kollegen und OGE-CFO Dr. Frank Reiners, welche Schritte er in Europas Energiepolitik jetzt für wichtig hält. Freuen Sie sich auch über einen Gastbeitrag von Prof. Dr. Klaus-Dieter Borchardt, langjäh- riger stellvertretender Generaldirektor der EU-Generaldirektion Energie. Wir sind bereit für die Umsetzung der ambitionierten Ziele der EU und hoffen, dass es dieses Jahr weiter vorangeht. Denn auch in schwierigen Situationen kann es nur einen Weg geben: gemeinsam vorwärts. Packen wir es an. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. Ihr Dr. Jörg Bergmann 2
H 2 in Deutschland Wir kommen an Wasserstoff nicht vorbei! Interview mit Dr. Frank Reiners – Mitglied der Geschäftsführung der OGE. Herr Dr. Reiners, Sie sind seit Anfang 2018 bei OGE tätig und als Chief Financial Officer (CFO) ein Mitglied der Ge- schäftsführung des Unternehmens. Wie sind Sie zur OGE gekommen und welche Aufgaben hat ein CFO bei einem Betreiber von Gasfernleitungen? Da ich schon seit fast 20 Jahren in der Energiebranche tä- tig bin, unter anderem bei E.ON, kenne ich die OGE schon sehr lange. Es hat mich sehr gefreut, als ich vor drei Jahren als CFO zum Unternehmen stoßen und die Aufgaben von unserem heutigen Sprecher der Geschäftsführung, Dr. Jörg Bergmann, übernehmen konnte. In der OGE-Geschäftsführung habe ich einen breiten Ver- antwortungsbereich, der die traditionellen CFO-Bereiche Finanzen, Controlling, Rechnungswesen, aber auch Recht und Regulierung, Einkauf und IT umfasst. Als Fernleitungs- netzbetreiber ist die OGE ein reguliertes Unternehmen. Mein Bereich ist dafür verantwortlich, dass wir unseren gesetzlichen und regulatorischen Verpflichtungen nach- kommen. Wichtige aktuelle Themen sind z. B. gerade zu Zeiten der Coronapandemie das Vorantreiben der Digitali- sierung unseres Unternehmens sowie aus strategischer Sicht die Weiterentwicklung der OGE angesichts der Dekarbonisierungsziele. Dr. Frank Reiners, Jahrgang 1968, ist seit Februar 2018 Mitglied der Die gesamte europäische Wirtschaft steht im Hinblick Geschäftsführung der OGE. Er auf die Erreichung unserer Klimaziele vor enormen Ver- verantwortet die Bereiche Finan- änderungen, dies gilt in besonderem Maße auch für die zen, Recht und Regulierung, Ein- Energiewirtschaft. Welche Aspekte sind dabei für OGE kauf und IT-Management. Zuvor von besonderer Bedeutung? war der promovierte Betriebswirt in zahlreichen Leitungsfunktionen Wir unterstützen ausdrücklich die gesteckten Klimaziele bei der Deutschen Telekom, bei auf nationaler wie auf europäischer Ebene, die für uns so- E.ON und Uniper tätig. wohl Herausforderung als auch Motivation sind. Die interessante Aufgabe für die OGE besteht darin, dass wir zum einen die Versorgungssicherheit mit Erdgas sicher- stellen müssen, zum anderen eine schrittweise Ablösung von fossilen Gasen durch CO 2 -freie bzw. dekarbonisierte Energieträger wie z. B. Wasserstoff vorantreiben wollen. 3
Wasserstoff spielt in der energiepolitischen Arena zurzeit eine zentrale Rolle. Welche Rolle wird Wasserstoff aus Ih- rer Sicht in unserem zukünftigen Energiesystem spielen? Ich bin überzeugt, dass Wasserstoff gerade in Deutschland unter zwei Prämissen in Zukunft einen großen Teil der heu- tigen Rolle von Erdgas im Energiesystem übernehmen kann: Die Annahmen sind, dass wir zum einen die Klimazie- le ernsthaft und konsequent verfolgen und zum anderen „Wir brauchen den Status Deutschlands als Industrieland erhalten wollen. Wasserstoff also als Dann kommen wir an Wasserstoff nicht vorbei, da dieser im Vergleich zu Strom günstige Transportmöglichkeiten zusätzliche Säule bietet, gerade wenn bestehende Gasinfrastruktur genutzt werden kann. Zudem lässt sich Wasserstoff, wie fossile unserer zukünftigen Gase auch, langfristig speichern und ist somit das optimale Pendant zu erneuerbarem Strom. Er kann in allen Sektoren Energieversorgung.“ – Industrie, Verkehr, Wärmemarkt – zur Erreichung der Kli- maziele beitragen und ist in einigen Prozessen, z. B. in der Stahl- oder Chemieindustrie, sogar die einzige Möglichkeit zur Dekarbonisierung. Wir brauchen Wasserstoff also als zusätzliche Säule unse- rer zukünftigen Energieversorgung, als Grundstoff für in- dustrielle Prozesse und als Zukunftstechnologie für die deutsche Industrie. Sehen Sie politischen Handlungsbedarf, um Wasserstoff Leider fehlt in der europäischen und nationalen Gesetzge- zum Erfolg zu verhelfen? bung aktuell noch der regulatorische Rahmen für uns Fern- leitungsnetzbetreiber, um Wasserstoff in unseren beste- Zunächst begrüße ich es sehr, dass die Politik sowohl in henden Leitungen zu transportieren. Um die sukzessive Berlin als auch in Brüssel die Bedeutung des Themas Was- Umstellung unserer Leitungen auf den Wasserstofftrans- serstoff und der Gasinfrastruktur erkannt hat und die Ent- port vorzunehmen, benötigen wir hier zeitnahe Anpassun- wicklung vorantreibt. Was wir als Gasnetzbetreiber, aber gen. Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebe- auch potenzielle Produzenten und Abnehmer von Wasser- ne sind aktuell Gesetzesinitiativen unterwegs. Zudem ist stoff jetzt brauchen, um schnell in das Wasserstoffzeitalter die Finanzierungsfrage noch ungeklärt. Gerade in der An- zu starten, sind passende regulatorische Rahmenbedingun- fangsphase des Hochlaufs der Wasserstoffwirtschaft ent- gen und adäquate Fördermaßnahmen entlang der gesam- steht durch die noch kleine Kundenbasis eine Deckungslü- ten Wertschöpfungskette. Nur mit sicheren Investitionsbe- cke hinsichtlich der Rentabilität von Investitionen in die dingungen kann über Hochläufe in Produktion, Transport Infrastruktur. und Nutzung von Wasserstoff ein Markt entstehen. Bleiben wir einmal bei der Rolle der Gasnetze in der Zukunft. Wie sieht hier der Weg hin zur Dekarbonisie- rung aus? Hier muss man grundsätzlich zwischen den unterschiedli- chen Netzebenen und den in Zukunft eingesetzten Gasen unterscheiden. Auf der Fernleitungsebene werden wir ei- nen Teil der Infrastruktur auf Nutzung für reinen Wasser- stoff umstellen. Daneben wird es auch weiter ein Methan- netz geben, in dem dann Biomethan oder SNG, also synthetisches Erdgas, transportiert werden. Auf der Ver- teilnetzebene müssen wir zunächst über Beimischung von Wasserstoff die CO 2 -Quote senken, perspektivisch kann dann auch auf dieser Netzebene auf 100 % Wasserstoff umgestellt werden. 4
Die Energiewende lebt auch von einer stärkeren Integrati- on der europäischen Systeme, besonders auf der Ebene der Infrastruktur. Wie sehen Sie hier die Gasinfrastruktur aufgestellt, und welche Rolle soll sie künftig übernehmen? Der Vorteil der Gasinfrastruktur ist, dass wir hinsichtlich des Transportes von Erdgas schon eine über die Länder- grenzen hinausgehende, sehr gute Vernetzung der Infra- struktur haben. Das kann in Europa gegenüber anderen Teilen der Erde ein echter Startvorteil werden. Die vorhandene Infrastruktur können wir perspektivisch Die EU-Kommission hat vergangenes Jahr eine Wasser- auch für den Transport von Wasserstoff nutzen. Wir gehen stoffstrategie vorgestellt. Wie schätzen Sie diese ein und davon aus, dass ein großer Teil des zukünftig nachgefragten sehen Sie Ansatzpunkte für OGE? Wasserstoffs nicht in Deutschland erzeugt werden wird, sondern in anderen Gebieten Europas und der Welt, wo Wir unterstützen die Wasserstoffstrategie der EU und die Strom aus erneuerbaren Quellen noch viel günstiger ist. darin gesetzten Ziele ausdrücklich. Wichtig ist, dass die EU-Strategie die wichtige Rolle der bestehenden Gasinfra- Eine Studie von Guidehouse hat gezeigt, dass die europäi- struktur für die zu errichtende Wasserstoffwirtschaft er- schen TSO bis zu 75 % der bestehenden Gasinfrastruktur kannt hat. Nun gilt es, die Strategie durch Projekte in die weiterhin nutzen können, um beispielsweise Wasserstoff Realität umzusetzen. Dazu möchten wir gemeinsam mit von Spanien in Richtung Frankreich, Belgien, Niederlande unseren Partnern in Projekten wie H2morrow, Get H2 Nuk- und Deutschland zu transportieren. Der in der Studie vor- leus oder Westküste100 beitragen. gestellte „European Hydrogen Backbone“ beschreibt die Rolle der existierenden Gasinfrastruktur für die Wasser- OGE engagiert sich auf europäischer Ebene in zahlreichen stoffwirtschaft sehr gut. Verbänden und Initiativen. Was sind im europäischen Kon- text die zentralen Anliegen eines deutschen FNB? OGE ist ein Fernleitungsnetzbetreiber im Zentrum Europas mit Verbindungspunkten zu Netzbetreibern in acht Nach- barländern. Wir denken daher seit jeher europäisch und setzen grundsätzlich auf eine enge Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern. Beim Thema Wasserstoff ziehen die europäischen Fernlei- tungsnetzbetreiber an einem Strang und haben das klare Ziel, die Dekarbonisierung maßgeblich durch die Errich- tung einer Wasserstoffinfrastruktur voranzutreiben. Der Verband der deutschen Fernleitungsnetzbetreiber FNB Gas hat im letzten Jahr ein Konzept vorgestellt, das be- „Der Vorteil der Gas- reits im Jahr 2030 ein etwa 6.000 km langes Wasserstoff- netz vorsieht und zu rund 90 % auf bestehenden Gaslei- infrastruktur ist, dass tungen basiert. Auf europäischer Ebene gibt es Initiativen mit Vorschlägen für ganz Europa, wie das bereits ange- wir hinsichtlich des sprochene „European Hydrogen Backbone“. Das deutsche Wasserstoffnetz wäre dabei optimal in den europäischen Transportes von Erd- Kontext eingebunden. gas schon eine über die Ländergrenzen hinausgehende, sehr gute Vernetzung der Infrastruktur haben.“ 5
OGE ist Teil der von der EU ins Leben gerufenen Euro- pean Clean Hydrogen Alliance. Wie ist diese organisiert und welche Ziele verfolgt sie? Im Zuge ihrer Industriestrategie hat die EU-Kommission die Clean Hydrogen Alliance gestartet. Teil der Allianz ist eine Vielzahl von Organisationen aus allen Teilen der Wert- schöpfungskette der zukünftigen Wasserstoffwirtschaft. Im Dezember 2020 wurden sechs sogenannte Round Tab- les aufgesetzt, die sich der Erzeugung, dem Transport und der Verwendung von Wasserstoff widmen. Dabei sollen durch die an den Round Tables beteiligten Unternehmen, Verbände und Forschungsinstitute konkrete Projekte vor- angebracht werden. Die OGE ist beim Round Table „Clean Hydrogen in the ener- gy sector“ vertreten. Als Infrastrukturbetreiber wollen wir in der Clean Hydrogen Alliance erreichen, dass der Energie- sektor als integriertes System der Strom- und Gasinfrastruk- tur betrachtet wird und Investitionsprojekte entsprechend übergreifend geplant werden. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass ein effizienter Aufbau der Was- serstoffwirtschaft nur bei optimaler Abstimmung über die „Als Infrastrukturbe- Wertschöpfungskette möglich ist. Wir als OGE arbeiten bereits an konkreten Projekten und wollen unsere Erkennt- treiber wollen wir in nisse sowie unser Know-how beim Management und Trans- port gasförmiger Stoffe in die Diskussionen einbringen. der Clean Hydrogen Wenn Sie drei Wünsche für die energiepolitischen Alliance erreichen, Entwicklungen auf europäischer Ebene für das Jahr 2021 frei hätten, was wäre Ihnen wichtig? dass der Energiesek- Zunächst ist es wichtig, dass wir die rechtlichen und regula- tor als integriertes torischen Rahmenbedingungen so setzen, dass Wasser- stoffprojekte nun schnell begonnen werden können. System der Strom- Zweitens ist Technologieoffenheit hinsichtlich der Erzeu- und Gasinfrastruktur gung von dekarbonisiertem Wasserstoff wichtig. Mittel- bis langfristig ist die Fokussierung auf den mit erneuerbarem betrachtet wird.“ Strom erzeugten „grünen“ Wasserstoff wünschenswert. In der Übergangsphase brauchen wir aber z. B. auch den Ein- satz von „blauem“ Wasserstoff, bei dem das bei der Produk- tion entstehende CO 2 zunächst abgespalten und anschlie- ßend wiederverwendet oder dauerhaft gespeichert wird. Schließlich sollte die Politik offen hinsichtlich der Anwen- dungsfelder von Wasserstoff sein. Grundsätzlich breit an- erkannt ist der zukünftige Einsatz in der Industrie und beim Schwerlastverkehr. Wir sehen aber auch andere Ein- satzmöglichkeiten, vor allem im Wärmemarkt, die genauso betrachtet und gefördert werden müssen. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Reiners. 6
1 2 3 European Hydrogen Backbone Wasserstoff für 4 ganz Europa 5 Gasnetzinfrastruktur als Rückgrat „Wasserstoff erfährt sowohl in Europa als auch weltweit erneut erhöhte und rasch wachsende Aufmerksamkeit. Er der Wasserstoffwirtschaft: Der kann als Einsatzstoff, Brennstoff oder Energieträger und European Hydrogen Backbone. 6 -speicher und für zahlreiche mögliche Anwendungen in der Industrie, im Verkehr, im Energie- und im Gebäudesek- tor genutzt werden. Vor allem aber verursacht er bei sei- ner Nutzung keine CO 2 -Emissionen und fast keine Luft- schadstoffemissionen. Er bietet somit eine Lösung für die Dekarbonisierung von Industrieverfahren und Wirtschafts- zweigen, in denen eine Verringerung der CO 2 -Emissionen sowohl dringend erforderlich als auch schwer zu erreichen ist. Aus all diesen Gründen wird Wasserstoff bei der Erfül- lung der Verpflichtung der EU, bis 2050 die Klimaneutrali- tät zu erreichen, und bei den weltweiten Bemühungen zur Umsetzung des Übereinkommens von Paris eine maßgebli- che Rolle spielen und dabei gleichzeitig zum Null-Schad- stoff-Ziel beitragen.“ – Wasserstoffstrategie der Europäischen Kommission (8. Juli 2020) – Die Europäische Union hat in ihrem im Juli 2020 veröffent- lichten Strategiepapier die Rolle des Wasserstoffs für die Dekarbonisierung Europas richtig erkannt und strebt ambi- tionierte Ziele für dessen Einsatz in unserem Energiesys- tem an. Der Wasserstoff bietet dabei auch die Perspektive zur Schaffung von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen in einem zukunftssicheren, nachhaltigen und global relevan- ten Sektor. Die EU lässt klar den Ehrgeiz erkennen, den Hochlauf von Wasserstoff bereits vor 2030 voranzutrei- ben, und zwar auf Angebots- und Nachfrageseite. 7
19 Produktionsseitig gibt es große Potenziale für die Herstel- lung von Wasserstoff innerhalb der Europäischen Union. Die europäische Wasserstoffproduktion wird dabei über- wiegend auf Solarenergie in südeuropäischen Regionen und auf Offshore-Wind in Nordwesteuropa basieren. Die 20 EU plant, bis 2030 Elektrolyseure mit einer Mindestleis- tung von 40 Gigawatt (GW) zu errichten. Darüber hinaus ist auch der groß angelegte Import von Wasserstoff aus Ländern außerhalb der EU vielversprechend. Hier sollen weitere 40 GW entstehen und weitere Potenziale identifi- ziert werden. Dadurch wird deutlich, dass sich die Aussich- ten auf kostenseitig wettbewerbsfähigen klimaneutralen Wasserstoff rapide verbessern werden. Auf der Nachfrageseite entstehen durch die Anforderun- Wie jeder Energieträger benötigt auch Wasserstoff eine gen der EU-Klimaziele in allen relevanten Sektoren Bedar- geeignete Infrastruktur, um volkswirtschaftlich effizient fe für den Einsatz von Wasserstoff. Die Gas-for-Climate- eingesetzt werden zu können. Wasserstoff wird in Zukunft Studie „Gas Decarbonisation Pathways 2020 to 2050“ zu den geringstmöglichen Kosten von Hersteller zu Abneh- beschreibt, dass bis 2050 ca. 1.700 TWh Wasserstoff pro mer transportiert werden müssen. Die gute Nachricht dabei Jahr innerhalb der EU verbraucht werden könnten. In der ist, dass sich Wasserstoff als gasförmiger Energieträger in Industrie ermöglicht Wasserstoff zum Beispiel die Dekar- bereits bestehende Infrastruktur integrieren lässt: in die bonisierung von Stahlproduktion und Prozessen der Che- Gastransportinfrastruktur. Pipelines von der Ferngasstufe mieindustrie. Im Verkehr werden besonders Schwerlast- bis zum Endkunden liegen bereits im Boden. Sie können straßenverkehr, Schiff- und Luftfahrt auf den Energieträger schon heute große Energiemengen transportieren und ge- angewiesen sein. Auch in Pkw lässt sich Wasserstoff ein- nießen gleichzeitig hohe gesellschaftliche Akzeptanz, sind setzen. In der Wärmeversorgung kann Wasserstoff eben- genehmigt und betriebsbereit. Ein großer Anteil wird zu- falls dazu beitragen, den CO 2 -Ausstoß zu verringern. Au- künftig für Wasserstoff genutzt werden können, besonders ßerdem kann die Gasinfrastruktur die Nachfragespitzen dort, wo so kundenseitig zu volkswirtschaftlich geringst- des Wärmesektors bei kaltem Wetter abdecken und hier die Strominfrastruktur sinnvoll ergänzen. 21 möglichen Kosten dekarbonisiert werden kann. Der Frage, wie sich diese Infrastruktur für den Aufbau der europäi- schen Wasserstoffinfrastruktur nutzen lässt, widmet sich die Initiative zum European Hydrogen Backbone (EHB). Ihr 23 gehören aktuell 23 europäische Fernleitungsnetzbetreiber (u. a. OGE) an, die insgesamt 21 Länder abdecken und es sich zum Ziel gesetzt haben, aufzuzeigen, wie die beste- 22 hende transeuropäische Gasinfrastruktur zum Wegbereiter für die Entwicklung eines europäischen Wasserstoffmarkts und einer sicheren wettbewerbsfähigen Versorgung mit dem Energieträger werden kann. Im April 2021 haben diese Unternehmen die weiterentwickelte Vision des EHB vorge- stellt. Er beschreibt ein knapp 40.000 km langes Leitungs- Die Kosten des EHB netz für reinen Wasserstoff in Europa als Rückgrat der eu- ropäischen Wasserstoffwirtschaft auf Basis der Für den Aufbau des EHB werden Kosten bestehenden Gasinfrastruktur. in Höhe von ca. 43 bis 81 Milliarden Euro veranschlagt, was im Gesamtkontext der europäischen Energiewende ein relativ überschaubarer Betrag ist. Die geschätzten Transportkosten belaufen sich auf 0,11 ¤ bis 0,21 ¤ pro kg Wasser- stoff pro 1.000 km. Dies ermöglicht einen wirtschaftlichen Transport über große Entfernungen in Europa. Bis ca. 10.000 km Entfernung ist der leitungs- gebundene Transport die günstigste Transportalternative für Wasserstoff. Die relativ große Spanne in der Schät- zung ist im Wesentlichen auf Unsicher- heiten bei den standortabhängigen Verdichtungskosten zurückzuführen. 8
42 41 Der European Hydrogen Backbone: Die Entwicklung der Wasserstoffinfrastruktur für Europa 43 Der EHB ist eine Vision für ein wirklich europäisches Pro- jekt, das die Wasserstoffherstellung mit der Wasserstoff- nachfrage verbindet – von Nord nach Süd und von West nach Ost. Im Juli 2020 wurde eine erste Analyse für zehn europäische Länder (Deutschland, Frankreich, Italien, Spa- nien, Niederlande, Belgien, Tschechische Republik, Däne- mark, Schweden und Schweiz) veröffentlicht. Im April 2021 wurde diese nun erweitert und sieht ein Leitungsnetz in 21 Staaten vor, das sich ab Mitte der 2020er-Jahre all- mählich entwickelt. Bis 2030 entsteht so ein rund 11.600 km 44 langes Pipelinenetz. Es verbindet die in der europäischen Wasserstoffstrategie vorgesehenen „Hydrogen Valleys“. Die Planung für diese erste Phase muss Anfang der 2020er-Jahre beginnen. In einer zweiten und dritten Phase wird die Infrastruktur bis 2035 weiter ausgebaut und er- streckt sich bis 2040 auf fast 40.000 km. Insgesamt wird dieses Netz zu fast 70 % aus bestehenden Gasleitungen be- stehen, nur etwas mehr als ein Viertel der Leitungen müss- ten demnach neu errichtet werden. Technische Machbarkeit: Kann Wasserstoff in Erdgas- netzen transportiert werden? OGE hat sich zur Aufgabe gemacht, (niederländische Organisation für zur Gewährleistung von Sicherheit technische und netzrelevante Frage- Angewandte Naturwissenschaftliche und Zuverlässigkeit entwickelt sich stellungen rund um Wasserstoff zu Forschung) belegt außerdem, dass in Richtung einer Wasserstoffinfra- klären und eine zuverlässige Daten- durch die erhöhten Strömungsge- struktur. So ist die Beimischung von lage für die technische Umstellung schwindigkeiten bei energiegleichem 10 % Wasserstoff bereits heute nach unserer Leitungen zu schaffen, die Transport von Wasserstoff keine sig- DVGW Regelwerk möglich. Für 20 % ursprünglich für den Transport von nifikanten Probleme wie bspw. Wasserstoffbeimischung und die Um- Erdgas errichtet wurden. Schwingungen oder Geräuschbildung stellung auf 100 % Wasserstoff wird zu erwarten sind. Verglichen mit der das Regelwerk aktuell angepasst. Von der Rohrleitung über Dichtungs- Energietransportkapazität von Erd- materialien bis hin zum Verdichter gas sind mindestens 80 % der Ener- Aus technischer Sicht ist OGE damit werden alle Bestandteile des Netzes gietransportkapazität beim Transport heute schon im Stande, neue Wasser- von den internen Fachexperten, unab- von reinem Wasserstoff in umgestell- stoffpipelines zu bauen und Erdgas- hängigen Instituten und Prüfgesell- ten Leitungen möglich. pipelines auf Wasserstoff umzustel- schaften auf deren Wasserstofftaug- len. Damit möchten wir einen wesent- lichkeit untersucht. So konnte durch Die gesamten technischen Daten und lichen Beitrag für die Etablierung ei- den TÜV Nord und TÜV Süd bereits das gewonnene Wissen bilden den ner kosteneffizienten Transportinfra- die grundsätzliche Wasserstofftaug- Grundstein der bereits laufenden und struktur für Wasserstoff leisten. lichkeit verschiedener Leitungsab- zukünftigen Wasserstoffprojekte von schnitte im Bestandsnetz nachgewie- OGE. Auch das für die deutsche Erd- sen werden. Eine Studie von TNO gasinfrastruktur geltende Regelwerk 9
58 Phase 1: Verbindung von Industrieclustern mit einer aufkommenden Infrastruktur bis 2030 59 Bis 2030 könnte die Produktionskapazität für klimaneutra- len Wasserstoff in Europa 40 GW erreichen. Dieses Ziel wird in der europäischen Wasserstoffstrategie formuliert. Elektrolyseure mit dieser Kapazität könnten jährlich rund 100 TWh erneuerbaren Wasserstoff produzieren. Um diese Energie zum Einsatz zu bringen, sieht der EHB vor, bis 2030 ein dediziertes europäisches Wasserstoffnetz mit ei- 60 ner Länge von 11.600 km zu entwickeln. Dieses in der Abbil- dung dargestellte Netz enthält die in den Niederlanden und in Deutschland auf nationaler Ebene vorgeschlagenen Was- serstoffstartnetze mit zusätzlichen Zweigen nach Belgien und Frankreich. Darüber hinaus werden regionale Netzwer- ke in Italien, Spanien, Dänemark, Schweden, Frankreich und Deutschland entstehen. So fügen sich die Planungen für den EHB in den nationalen Plan in Deutschland ein. Der Verband der deutschen Fernleitungsnetzbetreiber, FNB Gas, hat 2020 in den Entwürfen zum Netzentwicklungsplan Gas (NEP) erstmals eine Grüngasvariante einfließen lassen. Das sog. H 2 -Startnetz soll bis 2030 entstehen, ist 1.200 km lang und basiert zu über 90 % auf umgestellten Erdgaslei- tungen. Im Vereinigten Königreich könnten vier der fünf großen Industriecluster des Landes durch die schrittweise Umstellung bestehender Gaspipelines zu einem ersten Wasserstoffrückgrat verbunden werden. H 2 -Leitungen durch Umstellung Helsinki bestehender Erdgasleitungen Tallinn Leitungen in UK 2030 abhängig von Stockholm Auswahl der Wasserstoffcluster Göteborg Edinburgh Neubau H 2 -Leitungen H 2 -Leitungen für den Export/Import Kopenhagen (auf Basis bestehender Gasleitungen) Dublin H 2 -Unterwasserleitungen Manchester Danzig Cork (umgestellt oder neu errichtet) Hamburg Amsterdam Länder innerhalb der EHB-Studie London Berlin Warschau Länder außerhalb der EHB-Studie Köln Leipzig Frankfurt Prag Potenzieller H 2 -Speicher: Salzkaverne Krakau Potenzieller H 2 -Speicher: Porenspeicher Paris Potenzieller H 2 -Speicher: frühere Gaslagerstätten München Wien Energieinsel für H 2 -Produktion auf See Bratislava Städte, zur besseren Orientierung Budapest Lyon Bordeaux Mailand Ljubljana Bilbao Venedig Marseille Madrid Barcelona Rom Valencia Tarifa Almería Palermo Athen European Hydrogen Backbone initiative 2021, supported by Guidehouse 10
H 2 -Leitungen durch Umstellung bestehender Erdgasleitungen Neubau H 2 -Leitungen H 2 -Leitungen für den Export/Import Helsinki (auf Basis bestehender Gasleitungen) Tallinn H 2 -Unterwasserleitungen Stockholm (umgestellt oder neu errichtet) Edinburgh Göteborg Länder innerhalb der EHB-Studie Kopenhagen Länder außerhalb der EHB-Studie Dublin Manchester Danzig Cork Potenzieller H 2 -Speicher: Salzkaverne Hamburg Potenzieller H 2 -Speicher: Porenspeicher Amsterdam Potenzieller H 2 -Speicher: frühere Gaslagerstätten London Berlin Warschau Energieinsel für H 2 -Produktion auf See Köln Städte, zur besseren Orientierung Leipzig Frankfurt Prag Krakau Paris München Wien Bratislava Budapest Lyon Bordeaux Mailand Ljubljana Bilbao Venedig Marseille Madrid Barcelona Rom Valencia Tarifa Almería Palermo Athen European Hydrogen Backbone initiative 2021, supported by Guidehouse Phase 2: Ein wachsendes Netzwerk deckt mehr Länder ab und erreicht große poten- zielle Importregionen von grünem H 2 in 2035 Zwischen 2030 und 2035 wird das ehrgeizige politische Umfeld, das durch den Green Deal und eine zunehmende Zahl von Projekten gesetzt wurde, den EHB weiter ausbau- 91 en, mehr Regionen abdecken und neue Verbindungen zwi- schen den Mitgliedsstaaten entwickeln. Zu den bemerkens- werten Ergänzungen des Backbone gehören dabei u. a. die Verbindung zwischen Dänemark und Deutschland, die Ent- stehung eines Korridors durch Spanien und Frankreich nach 89 Deutschland, eine zusätzliche Abdeckung in Mittel- und Ostdeutschland sowie eine Route von Ost- nach Westeuro- pa, die durch die Netze in der Slowakei und in der Tschechi- 90 schen Republik führt. Diese Entwicklungen ebnen außer- dem den Weg für Wasserstoffimporte aus weiter südlich gelegenen Ländern wie Spanien und Italien, die bis 2040 wahrscheinlich sind. In der Ostsee wird grüner Wasserstoff genutzt, um große Mengen intermittierender (Offshore-) Windenergie zu integrieren und zu speichern. 11
107 Phase 3: Ein ausgereifter europäischer Wasserstoff-Highway bis 2040 109 In seiner dritten Phase wird der EHB eine zentrale, EU-wei- te Wasserstoffinfrastruktur von fast 39.700 km Länge mit großen Korridoren sein, die den größten Teil der EU ver- 108 bindet. Das Netz wird zu 70 % aus umgestellten Erdgas- pipelines bestehen. In Kombination mit einem zweckmäßi- gen Verdichtungssystem dürfte der Backbone in der Lage sein, die derzeit erwarteten jährlichen Wasserstoffbedarfe in Europa bis 2040 zu decken. Zusätzlich ermöglicht der EHB in dieser Phase den Anschluss an globale Wasser- stoffströme, einschließlich Nordafrika, der Nordsee (Groß- britannien und Norwegen) und möglicherweise der Ukrai- ne und Russland. Die Phase bis 2040 ist ein Meilenstein, aber kein Endpunkt des Backbone als Vorhaben. Vielmehr stellt der EHB eine Vision für ein grundlegendes europaweites H 2 -Netz dar, auf dessen Basis weitere Entwicklungen über 2040 hinaus möglich sein sollen. H 2 -Leitungen durch Umstellung bestehender Erdgasleitungen Neubau H 2 -Leitungen Helsinki H 2 -Leitungen für den Export/Import Tallinn (auf Basis bestehender Gasleitungen) Stockholm H 2 -Unterwasserleitungen Göteborg Edinburgh (umgestellt oder neu errichtet) Kopenhagen Länder innerhalb der EHB-Studie Dublin Länder außerhalb der EHB-Studie Manchester Danzig Cork Hamburg Potenzieller H 2 -Speicher: Salzkaverne Amsterdam Potenzieller H 2 -Speicher: Porenspeicher London Berlin Warschau Potenzieller H 2 -Speicher: frühere Gaslagerstätten Köln Energieinsel für H 2 -Produktion auf See Leipzig Frankfurt Prag Städte, zur besseren Orientierung Krakau Paris München Wien Bratislava Budapest Lyon Bordeaux Mailand Ljubljana Bilbao Venedig Marseille Madrid Barcelona Rom Valencia Tarifa Almería Palermo Athen European Hydrogen Backbone initiative 2021, supported by Guidehouse 12
Die europäische Gasinfrastruktur steht bereit, jetzt ist politisches Handeln gefragt Die Unternehmen des EHB sehen in ihm ein entscheidendes Puzzlestück für den Einsatz von Wasserstoff in Europa und den daraus resultierenden Beitrag zur weiteren Dekarboni- sierung unseres Kontinents. Auch deshalb ist dieses echte paneuropäische Projekt eine offene Initiative, die in Zukunft auf weitere Teile Europas und weitere Gasinfrastrukturbe- treiber ausgeweitet werden soll. Denn das Ziel ist klar: die Integration von Wasserstoff und weiteren grünen Gasen in unserem Energiesystem als Ergänzung zum erneuerbaren Strom, damit Europa überall, zu jeder Zeit und in allen Sek- toren CO 2 -neutral werden kann. Mit dem europäischen 1 2 Green Deal ist diese Absicht klar formuliert. Nun müssen 125 3 weitere politische Weichenstellungen erfolgen, besonders um das volkswirtschaftliche Asset der bestehenden Gaslei- tungen für Wasserstoff einsatzfähig zu machen. Denn: Die 4 124 5 Planung und Umsetzung von Infrastrukturen wie z. B. Gas- 6 netzen benötigen Zeit, und die potenziellen Anwender von Wasserstoff brauchen Planungssicherheit für ihre Investiti- 7 onen. Das hat auch die EU-Wasserstoffstrategie erkannt 123 16 und festgehalten: 15 122 17 8 „Allerdings stehen die bestehenden Erdgaspipelines im 9 121 Eigentum von Netzbetreibern, die oft nicht das Recht auf 14 Eigentum, Betrieb und Finanzierung von Wasserstoffpipe- 10 lines haben. Damit vorhandene Anlagen umgewidmet wer- 120 101 18 13 11 den können, ist es daher zunächst erforderlich, die techni- 102 sche Eignung zu prüfen und im Rahmen der Überarbeitung 19 33 119 12 103 34 der Vorschriften für wettbewerbsorientierte dekarbonisier- 100 117 32 te Gasmärkte – vor dem Hintergrund der Gesamtperspekti- 20 4 104 118 114 31 35 ve des Energiesystems – den Betreibern3das Recht auf Fi- 113 29 30 5 nanzierung und Betrieb zu gewähren.“ 99 115 105 116 36 6 – EU-Wasserstoffstrategie, 2020. S. 19 – 21 2 98 112 23 22 28 7 27 37 1 97 106 24 110 111 25 26 96 107 38 109 95 108 94 93 91 92 89 39 88 90 87 40 42 41 86 83 84 43 85 44 57 82 58 74 59 76 75 45 77 60 56 81 73 61 55 78 72 46 62 71 64 47 80 65 63 70 66 48 79 54 69 67 49 68 53 50 51 52 13
Fit for 55 Auf dem Weg zur Klimaneutralität Ein energiepolitischer Ausblick der EU im Zeichen der Coronapandemie. Als die frisch ernannte Kommissions- Technologien fördert und umweltver- präsidentin Ursula von der Leyen im trägliche Arbeitsplätze schafft“, Dezember 2019 vor dem Plenum des schlussfolgerte Ursula von der Leyen Europäischen Parlaments in Brüssel in ihrer „State of the Union“-Rede im ihren ambitionierten Plan für einen September 2020. Der Wiederaufbau „Green Deal“ für Europa vorstellte, der leidenden europäischen Wirt- war von einer weltweiten Pandemie, schaft und der Ausbau von Erneuer- die die Wirtschaftssysteme der Natio- baren Energiequellen sollen nicht in nen in ihren Grundmauern erschüt- Konkurrenz zueinander stehen. Statt- tern würde, noch keine Rede. Was in dessen sollen die Wirtschaftshilfen den Monaten darauf folgte, machte der EU von den Mitgliedsstaaten ge- die Aufgabe für die neue EU-Kommis- zielt für Vorhaben eingesetzt werden, sion natürlich nicht leichter. Jetzt die auf die grüne Agenda der EU- ging es nicht mehr nur darum, den Kommission einzahlen und einen Bei- Klimaschutz und die Energiewende trag zu mehr Nachhaltigkeit leisten. weiter voranzutreiben, sondern zu- sätzlich auch noch den durch die Pan- Für die Erholung der europäischen demie wirtschaftlich besonders hart Wirtschaft und den Übergang in eine getroffenen Regionen Europas solida- nachhaltigere Gesellschaft steht der risch unter die Arme zu greifen. Doch Union für die kommenden Jahre der die EU-Kommission hat darin frühzei- größte jemals vereinbarte Haushalt tig eine Chance erkannt. „Europa wird zur Verfügung. Mit insgesamt ca. gestärkt aus der Coronavirus-Pande- 1,8 Billionen Euro im Zeitraum von mie hervorgehen, indem es in eine 2021 bis 2027 soll Europa grüner, kri- ressourcenschonende Kreislaufwirt- senfester, wohlhabender und digitaler schaft investiert, innovative saubere werden. 30 % der Finanzmittel – ein höherer Anteil als je zuvor – sollen dabei in Maßnahmen für den Klima- und Umweltschutz fließen. Das zeit- lich befristete Aufbauinstrument „Next Generation EU“ soll mit Darle- hen und Zuschüssen an die Mitglieds- staaten in Höhe von fast 700 Milliar- den Euro die unmittelbar corona- bedingten Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft abfedern. Finanziert werden sollen die Ausgaben der EU unter anderem durch ein neu einzu- führendes CO 2 -Grenzausgleichssys- tem sowie das bestehende Emissions- handelssystem. 14
Auch die politische Agenda der EU minderungsziel für das Jahr 2030 in entwickelte sich im Lichte der Pande- Höhe von minus 55 % gegenüber 1990 mie weiter. In ihrem Arbeitsprogramm benennt die EU Kommission ein ge- für das Jahr 2021 sieht die EU-Kom- plantes Gesetzespaket im Energiebe- mission sechs prioritäre Themenfel- reich als „Fit for 55“. Der Name ver- der vor. Neben dem Klimaschutz soll deutlicht das Ziel, das die EU-Kom- auch die Digitalisierung im Fokus ste- mission im Rahmen dieses Gesetzes- hen, die wirtschaftliche Situation der pakets verfolgen wird: Die Energie- einzelnen Bürger verbessert, die Rolle und Klimapolitik der EU soll in ihren Europas in der Welt gestärkt, die Zu- Grundsätzen überarbeitet werden, sammenarbeit im Gesundheitsbereich um einen signifikanten und schnellen ausgebaut und die demokratischen Rückgang von Treibhausgasemissio- Prozesse verbessert werden. Im Be- nen bereits in den kommenden Jah- reich des Klimaschutzes plant die EU- ren einzuleiten. Kommission nach den Ankündigun- gen und Strategien der vergangenen Das „Fit for 55“-Paket sieht 12 Legis- Monate und Jahre nun konkrete Ge- lativmaßnahmen in zwei Phasen vor. setzesvorschläge. In Anlehnung an das neu ausgehandelte Emissions- Fit for 55 Teil 1 Bis zum Sommer will die — die Energieeffizienzrichtlinie, die EU-Kommission Entwürfe Maßnahmen zur Einsparung von Energie und zur Sanierung von für die Überarbeitung der Gebäuden definiert folgenden Verordnungen und Richtlinien vorlegen: — die Verordnung über Landnutzung und Forstwirtschaft, die die Ein- beziehung der Emissionen und des Abbaus von Treibhausgasen aus Landnutzung, Landnutzungsände- rungen und Forstwirtschaft regelt — das Emissionshandelssystem (Emissions Trading System „ETS“), — die Energiebesteuerungsrichtli- das die Ausgabe und den Handel nie, die Wettbewerbsverzerrungen von Emissionszertifikaten regelt durch unterschiedliche nationale und eines der zentralen Instrumen- Steuersysteme verhindern soll te der europäischen Klimapolitik darstellt — die Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraft- — die Lastenteilungsverordnung, die stoffe, die unter anderem die Aus- individuelle Emissionsminderungs- arbeitung gemeinsamer technischer ziele für die einzelnen Mitglieds- Standards zwischen den Mitglieds- staaten für die Sektoren außerhalb staaten vorsieht des ETS vorsieht — die Verordnung zur Festsetzung — die Erneuerbare-Energien-Richtlinie, von CO2 -Emissionsnormen für neue die erst im Jahr 2018 überarbeitet Personenkraftwagen und für neue wurde und unter anderem ein Aus- leichte Nutzfahrzeuge, die CO2 - bauziel für Erneuerbare Energien in Emissionsdurchschnitte für Fahr- Höhe von 32 % bis 2030 vorsieht zeugflotten definiert 15
Darüber hinaus will die — die Einführung eines CO2 -Grenz ausgleichssystems, das das soge- EU-Kommission bis zum nannte Carbon-Leakage, also die Sommer die gesetzlichen Verlagerung von emissionsintensi- Grundlagen für zwei neue ven Produktionsprozessen in Re- klimapolitische Mechanis- gionen außerhalb der EU aufgrund men ausarbeiten: der strengen Klimaschutzvorgaben durch Zölle oder Zertifikate verhin- dern soll — die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Reduzierung von Methan- Emissionen im Energiesektor Fit for 55 Teil 2 Bis zum Ende des Jahres — die Richtlinie über die Gesamt- energieeffizienz von Gebäuden, 2021 sollen dann noch Ent- die unter anderem die Mitglieds- würfe für die Überarbeitun- staaten zur Ausarbeitung von lang- gen dieser Gesetze folgen: fristigen Renovierungsstrategien verpflichtet — das Dritte Energiepaket für Gas (Richtlinie 2009/73/EU und Ver- ordnung 715/2009/EU), das die Zugangsbedingungen zu Gasnetzen regelt und zukünftig um weitere Vorgaben zur Regulierung der Infra- struktur und der Wettbewerbsmärk- te für dekarbonisierte Gase wie Wasserstoff ergänzt werden soll Die Gesetzesvorhaben aus dem „Fit Auch wenn der „legislative Zug“ für for 55“-Paket schließen inhaltlich an den klima - und energiepolitischen den Entwurf zur Überarbeitung der Ordnungsrahmen der EU ohne Zwei- Verordnung für transeuropäische fel langsam Fahrt aufnimmt, so ist es Energienetze (TEN-E) an, der von der doch noch ein langer Weg bis zum EU-Kommission im Dezember ver- Ziel. Für das gemeinsame übergeord- gangenen Jahres vorgestellt wurde nete Ziel der Klimaneutralität der Uni- und aktuell zwischen den EU-Institu- on in weniger als 30 Jahren gilt es, tionen verhandelt wird. Die TEN-E- nicht nur technische Herausforderun- Verordnung definiert die Leitlinien für gen zu lösen, sondern auch die unter- den Aufbau der europäischen Ener- schiedlichen nationalen Interessen gieinfrastruktur und soll nach Wunsch auf einen gemeinsamen Nenner zu der Kommission zukünftig auch für bringen. Wasserstoff allgemein und den Aufbau einer Wasserstoffinfra- die Gasinfrastruktur im Speziellen struktur Anwendung finden. können einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung unserer Ziele leisten. Die notwendigen politischen Weichen dafür müssen in den nächsten Mona- ten gestellt werden. 16
Gastbeitrag Europa setzt den Rahmen für den Aufbau eines Wasserstoffsystems Prof. Dr. Klaus-Dieter Borchardt, Senior-Berater bei Baker McKenzie und ehemaliger stellvertretender Generaldirektor von DG Ener. Foto: Baker McKenzie In den vergangenen zehn Jahren hat grundlegenden Errungenschaften völ- die EU dank des Auf- und Ausbaus lig ausgeblendet werden und statt- der transeuropäischen Energienetze dessen eine eher ideologische als fak- Prof. Dr. Klaus-Dieter Borchardt ist eines der drei Hauptziele europäi- tenbezogene Diskussion losgetreten Jurist und seit dem Jahr 2020 Senior- scher Energiepolitik, nämlich die Ver- wurde. Dies führte im Frühjahr 2020 Energieberater im Bereich des Euro- sorgungssicherheit in der EU, ent- anlässlich der Abstimmung über die päischen Wettbewerbsrechts im scheidend verbessert. Dies gilt vierte Liste der „Projects of Common Brüsseler Büro von Baker McKenzie. gleichermaßen für den Strom- wie für Interest“ (PCI) im Europäischen Parla- Vor dieser Tätigkeit hatte er über den Gasbereich. So ist es gelungen, ment zu offenem Widerstand gegen mehr als drei Jahrzehnte verschiede- alle Projekte auf den Weg zu bringen die Aufnahme von Gasinfrastruktur- ne Positionen innerhalb der Europäi- und teilweise auch schon abzuschlie- projekten in die PCI-Liste. Eine Min- schen Kommission inne und hat die ßen, die Energieinsellagen zu been- derheit aus den grünen und linken rechtlichen Rahmenbedingungen des den, eine weitgehende Diversifizie- Fraktionen scheiterte damals mit ei- wettbewerblichen Energiemarkts in rung der Quellen, Lieferanten und nem Erschließungsantrag zur Ableh- der EU entscheidend mitgeprägt. Routen besonders im Gasbereich her- nung der Liste aufgrund der unter an- Zuletzt war er als stellvertretender beizuführen und die Grundlage für derem darin enthaltenen 32 Vorhaben Generaldirektor der Generaldirektion einen funktionierenden europäischen zum Ausbau der europäischen Gasinf- Energie tätig. Zudem ist Prof. Dr. Energiebinnenmarkt zu schaffen. Dies rastruktur. Borchardt seit dem Jahr 2001 Hono- ist eine gewaltige Leistung, die vor rarprofessor für Europäisches Ge- allem auch durch die Umsetzung und Diese Auseinandersetzung war unnö- meinschaftsrecht an der Julius-Maxi- Nutzung der in der TEN-E-Verord- tig, da bereits weitgehend Einigkeit milians-Universität in Würzburg. nung geschaffenen Rahmenbedin- darüber bestand, dass im Rahmen der gungen gelingen konnte. turnusmäßigen Revision der TEN-E Verordnung die zukünftigen Infra- Es ist sehr bedauerlich, dass in Teilen strukturprojekte und Planungsverfah- des Europäischen Parlaments diese ren weitaus stärker als bis dahin auf 17
die Nachhaltigkeit und die mit dem dere für die Länder in Süd-, Ost- und und die Europäische Agentur für die Green Deal verbundene Erreichung zum Teil auch Mitteleuropa. Hier wird Kooperation der Regulierungsbehör- der Klimaziele 2030 und 2050 ausge- es auf absehbare Zeit nicht ohne Erd- den (ACER) vorgesehen, und auch die richtet werden müssen. gas gehen, und auch eine Umstellung Beteiligung aller interessierter Kreise auf Wasserstoff dürfte etwas länger wird wesentlich verstärkt. Der von EU-Energiekommissarin dauern als in Nord- und Westeuropa. Kadri Simson auf den Weg gebrachte Hier hätte man sich vielleicht zeitlich Die TEN-E-Verordnung ist eines der Vorschlag zur Revision der TEN-E- befristete Ausnahmeregelungen ge- vielen Schlüsselelemente zur Errei- Verordnung folgte kurz vor den wünscht, verbunden allerdings mit chung des gemeinsam festgelegten Weihnachtsfeiertagen. Wie erwartet, einem klaren Reduzierungspfad für Ziels eines klimaneutralen Wirt- zielt die EU-Kommission darauf ab, Treibhausgas-Emmissionen. schaftssystems in Europa bis zum den rechtlichen Rahmen für die Mo- Jahr 2050, denn die Energieinfra- dernisierung der europäischen Ener- Ein Positivum des Kommissionsvor- struktur spielt bei der Energiewende gieinfrastruktur dem Europäischen schlags ist ohne Zweifel der Beitrag, eine entscheidende Rolle. Ein nach- Green Deal anzugleichen und zukünf- den die neue Infrastruktur-Verordnung haltiger, sauberer und wettbewerbli- tig insbesondere den Ausbau von Inf- für den Aufbau einer europäischen cher Energiemarkt wird auch zukünf- rastruktur für Wasserstoff und Off- Wasserstoffwirtschaft leistet. So sind tig nur dann erreichbar sein, wenn die shore-Windparks zu fördern. weitreichende Möglichkeiten zur För- erforderliche Infrastruktur ausrei- derung von Infrastruktur für den chend und verlässlich zur Verfügung Die Förderung klassischer Erdgaspro- Transport und die Speicherung von steht. Dies ist nicht über Nacht zu er- jekte ist hingegen überhaupt nicht Wasserstoff sowie größere Elektroly- reichen. Die EU muss sich jetzt ent- mehr vorgesehen. Diese radikale Ab- seure im Rahmen des PCI-Prozesses scheiden, welche Energieinfrastruktur kehr von Erdgasprojekten ist ganz vorgesehen. Damit wird gleichzeitig sie in den kommenden Jahrzehnten sicher auch durch die vorangegange- dem grundsätzlichen Anliegen Rech- und darüber hinaus benötigen wird, ne politische Diskussion beeinflusst nung getragen, den Beitrag zu den und die entsprechenden Weichen worden, trägt aber auch dem Um- Nachhaltigkeitszielen der EU bei der stellen. Dass wir dabei nicht aus- stand Rechnung, dass in den vergan- Auswahl von PCI-Vorhaben zu stärken. schließlich auf erneuerbare Elektrizi- genen Jahren alle wesentlichen tät setzen können, ist offenbar mitt- grenzüberschreitenden Erdgaspro- Darüber hinaus schlägt die EU-Kom- lerweile auch dem letzten politischen jekte auf den Weg gebracht worden mission auch eine Überarbeitung der Entscheidungsträger in Europa klar sind. Gleichwohl vernachlässigt der Rahmenbedingungen für die Ener- geworden. Klimaneutraler Wasser- völlige Ausschluss von Erdgasprojek- gieinfrastrukturplanung auf EU-Ebene stoff wird unter anderem aufgrund ten zwei wichtige Anliegen, in denen vor. Im Sinne der im Sommer 2020 seiner effizienten Speicherbarkeit von Erdgasprojekte auch in den nächsten vorgelegten Strategie für die Integrati- besonderer Relevanz sein und die Jahren eine auch unter Klimaschutz- on der Energiesysteme soll die Ener- technische Herausforderung der Vola- gesichtspunkten entscheidende Rolle gienetzplanung stärker integriert und tilität und geringen Planbarkeit von spielen können. Da ist zunächst der infrastrukturübergreifend (z. B. Strom-, Erneuerbaren Energien lösen. Der Ein- Ausstieg aus der Kohle und Braun- Gas-, Wasserstoff-, Wärmenetze) erfol- satz von Wasserstoff ist oft auch die kohle: Wenn ein rascher Ausstieg aus gen. Darüber hinaus sind erweiterte der Kohle gelingen soll, geht dies nur Kompetenzen für die EU-Kommission mit einem Umstieg zunächst auf Erd- gas und später auf Wasserstoff. In den klassischen Kohleregionen gibt es nicht genügend Erneuerbare Ener- giequellen, die diesen Umstieg be- schleunigen können. Dies kann nur das Erdgas. Dabei sollte man bei diesem Umstieg ebenfalls länderübergreifend denken. Viele Kohleregionen liegen dicht an- Was ist die TEN-E-Verordnung? einander, wenn man etwa an die Lau- sitz (DE), Schlesien (PL) und Usti Die Verordnung (EU) Nr. 347/2013 über Leitlinien für die (CZ) denkt. Deshalb sollte man den transeuropäische Energieinfrastruktur (TEN-E) legt den Auf- und Ausbau der Gasnetze auch Rahmen für die grenzüberschreitende Energieinfrastruktur- überregional organisieren und bereits planung fest. Im Mittelpunkt stehen dabei die Verfahren für einen späteren Umstieg auf Was- und Methoden zur Erarbeitung zehnjähriger Netzentwick- serstoff vorbereiten, eine Aufgabe, lungspläne (TYNDP) sowie die Auswahl der grenzüber- die sehr wohl auch in das Nachhaltig- schreitenden Infrastrukturprojekte von gemeinsamen keitskonzept der TEN-E Verordnung Interesse (PCI), für die beschleunigte Planungsprozesse gepasst hätte. vorgesehen werden und die Zugang zu EU-Fördermitteln (insbesondere die Fazilität „Connecting Europe“-CEF) Ein weiterer Aspekt, der mit dem ra- erhalten können. dikalen Ansatz außer Acht gelassen wird, ist die Tatsache, dass nicht alle Mitgliedsstaaten die gleichen Start- bedingungen für die Erreichung der Klimaziele haben. Dies gilt insbeson- 18
einzige effiziente Lösung zur Dekar- entsprechend grundsätzlich die rich- Die Verhandlungen von Rat und Par- bonisierung von schwer elektrifizier- tigen Leitplanken. In Bezug auf die lament über die Revision der TEN-E- baren Sektoren. Dies betrifft zum Bei- europäische Energieinfrastrukturpla- Verordnung haben bereits begonnen, spiel Teile der Industrie, der Mobilität nung und die Zuteilung von Rollen und man kann nur hoffen, dass sie und des Wärmesektors. und Verantwortlichkeiten stellt sie schnellstmöglich zu einem erfolgrei- sicherlich eher eine Evolution als eine chen Abschluss gebracht werden, da- Revolution dar und setzt auf die posi- mit nicht nur die Planungen, sondern „Der Aufbau einer tiven Erfahrungen der vergangenen auch die Umsetzung konkreter Pro- Jahre beim Aufbau der eng verbun- jekte in Angriff genommen werden Wasserstoffwirtschaft können. Dies ist auch deshalb von so denen europäischen Strom- und Gas- in Europa muss schritt- netze. Die Integration der Planung entscheidender Bedeutung, weil bis weise erfolgen.“ von Wasserstoffinfrastruktur in die- zum Jahre 2026 die Mittel für das eu- sem etablierten Prozess ist sicherlich ropäische Wiederaufbauprogramm richtig, muss aber schnellstmöglich nach der COVID-19-Krise zur Verfü- Der Aufbau einer Wasserstoffwirt- und bereits im Rahmen des nächsten gung stehen und auch für den Aufbau schaft in Europa muss schrittweise Ten-Year Network Development Plans einer europäischen Wasserstoffwirt- erfolgen und wird sich zunächst auf (TYNDP) 2022 in Angriff genommen schaft, inklusive der notwendigen Inf- einzelne Regionen und Cluster be- werden, damit keine wertvolle Zeit rastruktur, eingesetzt werden können. schränken. Mittel- und langfristig verloren geht. braucht die EU aber ein belastbares, Entscheidend für den Erfolg der Mis- grenzüberschreitendes Wasserstoff- Der Aufbau des Wasserstoffverbund- sion Klimaziele 2030/2050 ist aber verbundnetz, das den Langstrecken- netzes, primär durch die Umstellung auch, dass schrittweise vorgegangen transport aus Regionen mit günstigen bestehender Gasinfrastruktur, ist ein wird und Entwicklungen von dem Produktionsbedingungen innerhalb wichtiges Element zum Aufbau eines heute Machbaren zum morgen Not- und außerhalb Europas in die Ver- Wasserstoffmarkts in Europa. Gleich- wendigen eingeleitet werden, wobei brauchszentren ermöglicht. Lediglich wohl müssen auch andere Aspekte immer darauf zu achten ist, dass alle, durch isolierte Wasserstoffcluster zeitnah rechtlich geregelt werden, um d. h. alle Bürger und alle Mitglieds- wird kein wettbewerblicher Wasser- die notwenigen Anreize für den Hoch- staaten, auf diesem Weg mitgenom- stoffmarkt in Europa entstehen. Wie lauf der Produktion von und die Nach- men werden. auch bei den anderen Energieträgern frage nach sauberem Wasserstoff zu ist die Voraussetzung für einen funk- setzen. Die EU-Kommission hat dazu tionierenden Markt, dass den Ver- in ihrem aktuellen Arbeitsprogramm brauchern diversifizierte Bezugsmög- für das vierte Quartal 2021 eine Revi- lichkeiten und eine verlässliche sion der rechtlichen und regulatori- Versorgung zur Verfügung stehen, schen Rahmenbedingungen für den was nur über ein entsprechendes Ver- Zugang zum Gasbinnenmarkt ange- bundnetz erreicht werden kann. kündigt, die auf eine Förderung der Integration von erneuerbaren und de- Beim Aufbau dieses Verbundnetzes karbonisierten Gasen sowie den Ab- werden die Fernleitungsnetzbetreiber bau von entsprechenden regulatori- eine entscheidende Rolle spielen, da schen Barrieren abzielen wird. sie bereits über ein gut ausgebautes Leitungssystem verfügen, das mit dem erwarteten Absinken des Erd- „Unser gemeinsames gasbedarfs in den kommenden Jahr- zehnten schrittweise für den Trans- Ziel sollte ein Wasser- port von anderen, emissionsfreien stoffmarkt auf Basis der Gasen zur Verfügung steht. Die Nut- zung der bestehenden Gasinfrastruk- bestehenden und er- tur für den Transport von Wasserstoff probten Prinzipien sein.“ ist dabei offensichtlich wirtschaftlich effizienter als der Neubau von Leitun- gen. Des Weiteren verfügen die Netz- Die EU-Kommission sollte dabei auf betreiber bereits über die notwenigen den Erfolgen des bestehenden euro- Erfahrungen zum sicheren Betrieb päischen Energiesystems aufbauen eines Systems der öffentlichen Ener- und für Wasserstoff nicht etwas völlig gieversorgung. Die teilweise andau- Neues erfinden. Unser gemeinsames ernden Diskussionen über eine mögli- Ziel sollte ein Wasserstoffmarkt auf che Neuverteilung von Rollen Basis der bestehenden und erprobten scheinen in Anbetracht dieser Aspek- Prinzipien sein: entflochtene Netzbe- te wenig sinnvoll. treiber, Zugangsrechte für Dritte, dis- kriminierungsfreie Netzentgelte und Der Vorschlag der EU-Kommission transparente Zugangsbedingungen zur Überarbeitung der TEN-E-Verord- – mit einer gewissen Flexibilität für nung durch eine Ausweitung des Gel- passgenaue Lösungen in der Phase tungsbereichs auf Wasserstoff setzt des Markthochlaufs. 19
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