WB goes digital - das Projekt ,Nachlass digitali sierung Waldemar Bonsels'
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20 WB goes digital – das Projekt ,Nachlassdigitalisierung Waldemar Bonsels‘ In einem Kooperationsprojekt von Monacensia / Münchner Stadt- bibliothek und Waldemar-Bonsels- Stiftung wurde der literarische Nachlass des Schriftstellers digitalisiert und online auf www.monacensia-digital.de zur Verfügung gestellt. Digitalisierung aller Orten Längst ist es keine Neuheit mehr, wenn Archive, Bibliotheken, Museen und andere Institutionen mit umfangreichen Sammlungen ihre Bestände digitali- sieren und im Internet veröffentlichen. Längst ist die digitale Erfassung sowohl bei der Sicherung als auch bei der Verbreitung von (schriftlichem und) kulturellem Erbe und der Vernetzung der sie aufbe- wahrenden Institutionen aus der Arbeits- und Ver- mittlungspraxis nicht mehr wegzudenken. Neben Waldemar Bonsels am Bahnhof von Meran, dem Schutz wertvoller Neujahr 1931; Sign. WB F 2 Unikate vor Abnutzung Jede Sammlung, jeder und Zerstörung ist ein Nachlass hat spezielle zentraler Vorteil die sorgsame Umgang mit den Unikaten steht hier im orts- und zeitunabhän- Vordergrund. Der Vorgang der Digitalisierung sollte Eigenheiten und Anforde- gige Nutzung des Mate- den Dokumenten, Objekten, Fotos, Film- oder Ton rungen, unterschiedliche rials sowie ein demo- aufnahmen keinen (weiteren) Schaden zufügen. kratischer Zugriff auf Besonders bei bereits angegriffenem Material kein Materialien wollen unter- zuvor nur schwer zu- leichtes Unterfangen. Außerdem gilt es bei der schiedlich behandelt, Briefe gängliche Bestände. Überführung der analogen Vorlagen ins Digitale, auf Qualitätsstandards wie eine vollständige Erfas- anders beschrieben werden Mit den sich rasant wei- sung und eine hohe Auflösung der Ablichtungen zu als Manuskripte, Fotos terentwickelnden tech- achten. Weiterhin müssen die Daten in verschiedene nischen Möglichkeiten Formate überführbar sein, um so eine Langzeit oder Objekte. wandeln sich stetig sicherung zu gewährleisten. Nur so bleiben sie für auch die Herausforde- zukünftige Generationen verfügbar. rungen, die es zu meistern gilt. Jede Sammlung, jeder Nachlass hat spezielle Eigenheiten und Anfor- Auch die verschiedenen Möglichkeiten der Online- derungen, unterschiedliche Materialien wollen un- Präsentation und Verknüpfung der Daten mit ande- terschiedlich behandelt, Briefe anders beschrieben ren Quellen und externen Beständen müssen eruiert werden als Manuskripte, Fotos oder Objekte. Der und entsprechend umgesetzt werden. Bei der Veröf-
Bibliotheksforum Bayern 21 fentlichung gilt es, rechtliche Bestimmungen – wie schaftliche Mitarbeiterin, Lizenzen für notwendige die Frage nach dem Urheberrecht – zu beachten Software sowie die Digitalisierung der Archivalien und eine Balance zwischen wissenschaftlichen Inte- durch einen professionellen externen Dienstleister. ressen und dem Schutz individueller Rechte zu wah- ren. Bei der Digitalisierung von Nachlässen und Waldemar Bonsels’ Witwe Rose-Marie Bonsels anderen Sammlungen profitiert man mittlerweile (1909 – 1993) gründete 1977 die Stiftung und initiier- von zahlreichen, aus der Praxis heraus entstande- te auch die Übergabe des Nachlasses an die Münch- nen Leitfäden und Erfahrungsberichten. Auch der ner Stadtbibliothek 1994. Seitdem verwahrt die Digitalisierte Seite aus Bonsels’ Notizbuch, 1907–1920; Sign. WB M 435 vorliegende Bericht möchte zum Erfahrungsaus- Monacensia das heterogene Material des Schrift- tausch und Ideentransfer anregen. Festzuhalten ist: stellers in fast 100 Kassetten als Depositat in ihrem Digitalisierungsvorhaben bleiben für Kulturinstituti- Literaturarchiv. Über 170 Original-Manuskripte und onen nach wie vor kosten-, arbeits- und zeitintensiv. Typoskripte des Dichters, 10.500 einzelne Briefe – privater wie geschäftlicher Natur – von und an Bon- Das Kooperationsprojekt sels, zahlreiche Notizbücher mit Werkentwürfen So auch die Digitalisierung des umfangreichen lite- und Alltagsaufzeichnungen, biografische Dokumente, rarischen Nachlasses von Biene Maja-Erfinder Wal- Fotos und Zeitungsartikel gehören zur Sammlung. demar Bonsels (1880 – 1952). Anfang 2019 startete das auf zwei Jahre angelegte Kooperationsprojekt Mit der Digitalisierung gehen Stiftung und Monacen- von Waldemar-Bonsels-Stiftung und Monacensia/ sia einen weiteren Schritt, den bisher nur vor Ort Münchner Stadtbibliothek. Während die Monacen- zugänglichen Nachlass einer breiten Öffentlichkeit sia dem Projekt neben der technischen Infrastruktur zugänglich zu machen. Die Stiftung kommt damit – samt Datenbankzugang und Metadatenabzug von außerdem in einer zeitgemäßen Form der Aufgabe ca. 7.700 Katalogeinträgen – ihre wertvollen Erfah- und dem Gründungszweck nach, die Erinnerung an rungen aus der Digitalisierung der Nachlässe von das Werk und die Person Waldemar Bonsels auf- Erika, Klaus und Monika Mann zur Verfügung stellte, rechtzuerhalten und die (kritische) Auseinanderset- übernahm die Stiftung die Kosten für die wissen- zung mit beidem zu fördern.
22 Der QR-Code führt Sie zum digitalisierten Nachlass Walde- mar Bonsels. Einstiegsseite zum digitalisierten Nachlass von Waldemar Bonsels auf www.monacensia-digital.de/bonsels Der Digitalisierungsprozess im Vordergrund. Eine externe Dienstleistungsfirma Nachdem die Entscheidung für das Projekt gefallen übernahm das Digitalisieren mit einem Auflicht- und die Kooperation vertraglich festgehalten war, Scanner, mit dem das Material berührungslos auf galt es, den umfangreichen Nachlass komplett vom schonende Weise abgelichtet werden konnte. Analogen ins Digitale zu überführen. Einzeldoku- mente mit Bezug zu Waldemar Bonsels aus anderen Der nächste Arbeitsschritt war das Einspielen der Institutionen, u. a. der Landes- und Universitäts Scans in das Datenbanksystem ‚Visual Library‘. Paral bibliothek Dresden und des Archivs der deutschen lel hierzu fand die optische und technische Quali- Jugendbewegung in der Burg Ludwigstein bei Wit- tätskontrolle statt. Diese prüfte nicht nur eine voll- zenhausen, fanden ebenfalls Eingang in das Projekt. ständige Erfassung der Dokumente, sondern auch die korrekte Auflösung und richtige Farbigkeit für Nach vorbereitenden Arbeiten – wie der Ordnung eine optimale Nachnutzung. Danach erfolgte die und Strukturierung der Dokumente – startete im Verknüpfung der Scans mit den Metadaten aus den Juni 2019 der eigentliche Digitalisierungsprozess. vorhandenen Katalogeinträgen der Münchner Stadt- Dieser richtete sich nach den wissenschaftlichen bibliothek. Diese ermöglichen eine Recherche im Standards der Deutschen Forschungsgemeinschaft Bestand nach den Kriterien Dokumententyp, Datum, (DFG). Deren Praxisregeln ‚Digitalisierung‘ dienten Entstehungsort und Verfasser*in. als Grundlage für einen eigenen Leitfaden, der Bei Briefen kommen außerdem die Korrespondenz- die Besonderheiten des partner*innen hinzu. Durch diese Anreicherung der Durch diese Anreicherung Schriftstellernachlasses digitalen Dokumente mit Metadaten ist der Nach- der digitalen Dokumente berücksichtigte und De- lass in sich, aber auch mit anderen Datenbanken tails zur Behandlung und externen Beständen verknüpf- und durchsuch- mit Metadaten ist der der einzelnen Doku- bar. So besteht die Möglichkeit, ihn aus immer neu- Nachlass in sich, aber mententypen festlegte. en Blickwinkeln zu betrachten und in wechselnde Eine möglichst authenti- Kontexte einzubinden. Zusammenhänge, die an- auch mit anderen Daten- sche Wiedergabe der hand des physischen Archivs nie hätten hergestellt banken und externen analogen Originale im werden können, allein aufgrund verschiedener Digitalen stand hierbei Aufbewahrungsorte, werden so sichtbar. eständen verknüpf- und B durchsuchbar.
Bibliotheksforum Bayern 23 Das Online-Portal www.monacensia-digital.de Digitale Experimente Die bei der Digitalisierung entstandenen 75.000 Scans Das uneingeschränkte Verfügbarmachen und die wurden zwischen März und Dezember 2020 sukzes- Möglichkeit zum Herunterladen von PDFs bedeutet sive als neuer Baustein des Portals www.monacensia- neben den erwähnten Vorteilen und Chancen digital.de, das bereits die erwähnten Nachlässe jedoch auch, dass die Institutionen einen Teil der aus der Familie Mann sowie mittlerweile die Kriegs- Kontrolle und ,Hoheit‘ über ihre Bestände abgeben. tagebücher von Ludwig Ganghofer (siehe BFB 2020, Einmal heruntergeladen, kann ein interessantes Heft 4, S. 71) beheimatet, online gestellt. Weiterfüh- Dokument aus dem Bonsels-Nachlass theoretisch rende, erläuternde Texte und Fotos auf dem Portal zu allem (Un)Denkbaren verwendet werden – auch helfen, das Material weiter zu kontextualisieren. wenn es unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten Hier bieten sie Wissenschaftlerinnen und Wissen- nicht erlaubt sein mag. Von Archiv- und Instituti- schaftlern sowie allen Interessierten die Möglich- onsseite gehört ein ,Loslassen-Können‘ dazu, das keit, die Quellen als h ochauflösende Scans einzu häufig erst erlernt und in der Organisationskultur sehen und für ihre Forschung, Projektarbeit oder verankert und etabliert werden muss. private Zwecke kostenfrei und ohne Registrierung als PDF herunterzuladen. Für literatur- und buchwissenschaftliche sowie bio- grafische Forschungsprojekte und Publikationen Eine textkritische Edition der Erstausgabe von ‚Die wurde der (analoge) Nachlass bisher hauptsächlich Biene Maja und ihre Abenteuer‘ – ein Projekt der herangezogen. Nachdem Waldemar Bonsels' Nach- Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Lud- lass nun digitalisiert und online verfügbar ist, stellt wig-Maximilians-Universität München (Laufzeit sich die spannende Frage, wer, was und wie weiter- 2019 – 2020) – konnte als Erstes von den Digitali führend damit arbeiten will und wird. Auf Grundlage saten profitieren. Die Manuskripte von Waldemar der Digitalisate ist jetzt eine noch detailliertere und Bonsels, zu denen die Originale zu Romanen wie tiefergehende kritische Auseinandersetzung mit ‚Die Biene Maja und ihre Abenteuer‘, ‚Der Reiter in der Wüste – Eine Amerikafahrt‘ und ‚Mortimer. Der Getriebene der dunklen Pflicht‘ zählen – wurden als Erstes freigeschaltet, gefolgt von Briefen und biogra fischen Dokumenten des Autors. Diese beinhalten neben Geburtsurkunden und Personalausweisen auch Kuriositäten wie Handabdrücke des Autors und sein Horoskop. Da hier die Waldemar-Bonsels-Stif- tung die Urheberrechte innehat, besteht bei der Ver- öffentlichung keine rechtliche Einschränkung. Anders verhält es sich bei Briefen, Manuskripten und Illustrationen von fremder Hand. Hier war vor der Freischaltung sicherzustellen, dass die Urheber*in- nen bereits seit über 70 Jahren verstorben sind. War dies nicht der Fall, mussten die Rechte in teils müh- seliger Kleinstarbeit geklärt und gegebenenfalls eingeholt werden. Bei diesem Prozess kamen jedoch auch interessante Begegnungen zustande, die ande- re Institutionen und private Rechtsnachfolger*innen teils erst auf auch für sie relevante Bestände – etwa eine Briefkorrespondenz mit Bonsels – aufmerksam machten. Häufig lieferten diese Kontakte wichtige zusätzliche (biografische) Details zu den Urheber*in nen, mit denen die Dokumente weiter angereichert wurden. Durch die Einholung der Rechte zur Online- Veröffentlichung konnte zahlreiches weiteres Material freigeschaltet werden, u. a. mehr als fünf Jahrzehnte umspannende Briefwechsel. Scherenschnitt für ,Die Biene Maja und ihre Abenteuer‘, Künstlerin: Martha Tenzler; Sign. WB F 57
24 Waldemar Bonsels’ Werk und Biografie möglich als Bonsels’ soziales Netzwerk umfasste Literat*innen bisher. Die Manuskripte, Briefe, Fotos und biografi- wie Heinrich Mann, Paula Roesler und Bernd Ise- schen Dokumente spiegeln seine Arbeitsweise und mann, Schauspieler*innen wie Pamela Wedekind seine weitgespannten literarischen, kulturellen und und Wilhelm Dieterle, Künstler*innen wie Hans politischen Netzwerke ebenso wie seinen Alltag in Paule und Paula Ludwig und Tänzerinnen wie Edith München, Ambach am Starnberger See und Berlin von Schrenck. oder seine Reisen durch Europa, nach Indien, Ame rika, Ägypten und in die Türkei. Nutzer*innen können und sollen nicht nur aus wis- senschaftlichem Interesse, sondern auch aus reiner Ebenso lassen sich die verschiedenen Rollen erfor- Neugier und Entdeckungsfreude zum Stöbern im schen, in die Bonsels im Laufe seines Lebens Nachlass angeregt und dabei zu kreativen, literari- schlüpfte – sei es als empfindsamer Dichter, Ver- schen und vielleicht bisher noch nicht in Betracht lagsinhaber, geschäftstüchtiger Kaufmann, Welt gezogenen Produktionen inspiriert werden. Um reisender oder Opportunist während des Nazi-Regi- einen niedrigschwelligen Zugang auch für nicht- mes, der wegen seiner antisemitischen Äußerungen wissenschaftliche Interessierte, beispielsweise für nach dem Zweiten Weltkrieg ein temporäres Pu- Schüler*innen oder Künstler*innen zu ermöglichen, blikationsverbot erhielt. wäre in Zukunft eine tiefere Erschließung etwa in Form von Texterkennung oder Transkripten von Aufgrund seines (zeitlichen) Umfangs und seiner Manuskripten und handschriftlichen Briefen denk- Heterogenität bietet der Nachlass Einblicke in zahl- bar. So wäre eine intensive inhaltliche Beschäftigung, reiche weitere Biografien, Themengebiete und etwa mit Dokumenten in Sütterlin, auch für Laien A spekte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. leichter möglich. Um Möglichkeiten der Quellennutzung aufzuzeigen und auf das Projekt aufmerksam zu machen, rückt u. a. die Reihe ‚Fundstücke‘ auf der Homepage der Waldemar-Bonsels-Stiftung einzelne Objekte aus dem Nachlass in den Fokus und erzählt die damit verbun denen Geschichten. Außerdem erschien – in Form von Artikeln im Blog der Münchner Stadtbibliothek – eine lose Porträtreihe zu spannenden Schriftstel- lerinnen, Tänzerinnen und Künstlerinnen aus dem Umfeld Bonsels'. Diese Textreihen zeigen, dass sich, je tiefer man in den Nachlass eintaucht, immer mehr Geschichten und Zusammenhänge offenbaren – nicht nur zu Waldemar Bonsels’ Leben selbst, sondern auch zu dem seiner Zeitgenoss*innen. Von Christina Lemmen Die Kulturanthropologin Christina Lemmen verant- wortete als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Waldemar-Bonsels-Stiftung die Digitalisierung und Veröffentlichung des literarischen Nachlasses von Waldemar Bonsels. Webseiten: www.monacensia-digital.de/bonsels www.muenchner-stadtbibliothek.de/ monacensia-im-hildebrandhaus www.waldemar-bonsels-stiftung.de Lesetipp: Waldemar Bonsels: Mortimer. Der Getriebene der dunklen Pflicht. Wien/München 1977. Bernhard Viel: Der Honigsammler. Waldemar Erste Seite des Typoskripts zu ,Der Reiter in der Wüste‘, 1935; Sign. WB M 110 Bonsels, Vater der Biene Maja. Berlin 2016.
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