Wehrpflicht und Ausmusterung von schwulen Männern in der Türkei

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Militär, Männlichkeit und sexuelle Orientierung

Wehrpflicht und Ausmusterung von schwulen Männern in der Türkei

Wie fast überall auf der Welt wird auch von Männern, die türkische Staatsbürger sind, verlangt, dass sie
eine Wehrpflicht ableisten. Schwule Männer werden dabei ausgemustert, wenn sie ihre Homosexualität
äußern und beweisen können. Der vorliegende Text beschäftigt sich mit den Verwicklungen von Nationa-
lismus, Militarismus und Maskulinität. (Die letzte Aktualisierung wurde am 17. September 2009 vorge-
nommen.)

«Es gibt die Möglichkeit, als homosexuell ausgemustert zu werden, indem ich mich auf einen so genannten
‹Faulheitsbericht› einlasse. Das wurde mir als geeignet präsentiert. Es zeigt aber nur, wie faul diese Anord-
nung selbst ist. […] Ich würde es als Beleidigung meiner selbst ansehen, eine Ausrede zu benutzen und ver-
weigere deshalb eine Zurückstellung oder Ausmusterung.» (Aus der Kriegsdienstverweigerungserklärung
des schwulen Aktivisten Mehmet Tarhan vom 17.10.2001)

I. Homosexualität im Osmanischen Reich und in der Türkischen Republik
Homosexuelle Handlungen waren im Osmanischen Reich nicht verboten und gesellschaftlich offen verbrei-
tet, so dass im Spätmittelalter gleichgeschlechtlicher Verkehr zwischen Männern in England als «die türki-
sche Sünde» bekannt war. Die homosexuellen Beziehungen waren nach dem transgenerationalen Modell
der griechischen Antike geregelt – im Osmanischen Reich als oğlancılık bezeichnet. Alter, sozialer Status
und sexuelle Rolle waren wichtiger als das Geschlecht des Sexualpartners bzw. der Sexualpartnerin. Wer-
den Homosexualität und das Osmanische Reich in Zusammenhang gebracht, wird in erster Linie immer an
die iç oğlanları gedacht, die körperlich Herausragendsten aus der Reihe der Knabenaushebung für die Ar-
mee – devşirme –, die nach ihrer Erziehung unter anderem für sexuelle Dienste im Palast lebten. Männliche
Prostituierte nahmen sogar als eigenständige Berufsgruppe an Festmärschen teil. Neben Café- und Bade-
häusern, die als Treffpunkte galten, wurden auch in Sufi-Bruderschaften homosexuelle Handlungen ausge-
lebt. Durch die Segregation der Geschlechter und Erschaffung von gleichgeschlechtlichen sozialen Lebens-
räumen war die Not-Homosexualität in der Gesellschaft ziemlich verbreitet. Viele Hinterlassenschaften sind
auch in der Poesie jener Zeit zu finden. Mit der Übernahme des französischen Strafrechts Ende des 19.
Wehrpflicht und Ausmusterung von schwulen Männern in der Türkei

Jahrhunderts wurde zusätzlich die völlige Straffreiheit bei einvernehmlichem Verkehr zwischen Männern
gesetzlich festgelegt.
Obwohl das französische Strafgesetz aus dem Osmanischen Reich 1926 in der Türkei übernommen wurde,
das den gleichgeschlechtlichen Sexualverkehr zwischen Erwachsenen erlaubt, nahm die Verdrängung der
Homosexualität mit der Europäisierung des Staates zu, welche die allgemein ablehnenden christlichen Mo-
ralvorstellungen in Bezug auf Homosexualität beinhaltete. Dies führte über die Jahre zu einer Ghettoisie-
rung und zur Entstehung von Subkulturen vor allem in den Großstädten. «Ein Homosexueller zu sein bedeu-
tet heute noch ein Krimineller zu sein, ohne eine Straftat begangen zu haben», schreibt der Aktivist Arslan
Yüzgün 1993 und beklagt sich über polizeilich legitimierte Razzien in Wohnungen von Homosexuellen und
Schwulenbars, Erpressungen, Anstiftungen zur «Denunziation» Homosexueller und Anwendung brutaler
Gewalt. Auch heute noch sind LGBTT-Personen nicht nur Diskriminierungen in der Gesellschaft ausgeliefert,
sondern haben auch große rechtliche Mängel zu beklagen. Wie Eickhof zusammenfasst, hängen Diskrimi-
nierungspraxen auch von weiteren Faktoren ab: «Die Akzeptanz in der Öffentlichkeit hängt mit der jeweili-
gen Schichtzugehörigkeit und mit der Akkumulation von ‹sozialen und kulturellen Kapitalien› wie Bildung,
sozialem Netz, Status und ökonomischer Sicherheit zusammen und wirkt hierarchisierend.» (Eickhof 2007, S.
22.)
Angeregt durch die im Westen erfolgreiche Emanzipationsbewegung, begann die türkische Lesben- und
Schwulenbewegung in den 1980ern und gelangte in den 1990ern zu nennenswerten Früchten. Dazu zählen
vor allem die Gründung der NGOs Lambdaistanbul 1993 und KAOS GL 1994. Zu der Zeit ging auch mit der
sukzessiven Implementierung des westlichen homosexuellen Identitätsmodells der englische Begriff «gay»
in den türkischen Sprachgebrauch als «gay» bzw. «gey» ein. In den Medien wiederum wird Homosexualität
zumeist entweder in Verbindung mit Transvestiten oder sexuellen Gewalttaten als Perversion oder Krank-
heit dargestellt. Zu einem liberaleren Umgang und zu positiver Thematisierung führten immer mehr offen
lesbisch oder schwul lebende Prominente. Weitere Schritte waren die Vernetzung der lokalen NGOs im
internationalem Raum und insbesondere die seit Anfang des 21. Jahrhunderts von der EU-Komission fest-
gesetzten Beschlüsse für den EU-Beitritt der Türkei. In der Türkei sind zurzeit neben Lambdaistanbul und
Kaos GL unter anderem noch die LGBTT-NGOs Pembe Hayat, Gökkuşağı, LeGaTo, Mor El, Piramid LGBTT,
Voltrans, Altırenk EBTT İnisiyatifi und Pembe Siyah Üçgen tätig. Weiterhin werden studentische LGBTT-
Clubs gegründet und themenspezifische Radiosendungen ausgestrahlt. Die Türkei ist auch das einzige Land
mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, in dem die so genannte «Onur Yürüyüşü» (vergleichbar mit
dem CSD) jährlich stattfindet.

II. Militär und Wehrpflicht
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts orientierte sich das Osmanische Reich zusehends an Europa. Auch das Mili-
tärwesen sollte die europäische Organisationsstruktur übernehmen. Sultan Mahmud II (1785–1839) ent-
machtete 1826 die Janitscharen – das stehende Heer und die spätere Elitetruppe des Osmanischen Reiches
– und führte die neue moderne Armee ein. Infolgedessen wurden auch durch die Reformierung der Schul-
bildung Schulen für militärische Ausbildung gegründet. 1843 wurde das Gesetz erlassen, dass jeder männli-
che muslimische Bürger eine fünfjährige Armeepflicht zu absolvieren hat. Der nächste Gesetzeserlass 1870
entband bestimmte Gruppen wie Ärzte, Behinderte, Imame, Lehrer, Richter und Scheichs von der Armee-
pflicht. 1909 wurde auch diese Regelung aufgehoben und nur noch die männlichen Mitglieder der Familie
des Sultans wurden von der Armeepflicht ausgeschlossen.
Am 30. Oktober 1918 ergab sich das Osmanische Reich den Siegermächten des Ersten Weltkrieges. Der
Zerfall des Reiches führte auch zur Auflösung der Armee. Viele Deserteure formierten sich in Anatolien neu,
viele Bauern schlossen sich den Freikorps und den Fahnenflüchtigen an. Im Laufe des Unabhängigkeits-
kriegs fanden auch weiterhin Zwangsaushebungen statt. Seit der Gründung der Republik am 29. Oktober
1923 erlangte die türkische Armee großen Einfluss. Die Offiziere galten als die ersten, die die Verwestli-
chung mit militärischer Geisteshaltung vorantrieben. Als Mitgründer des Staates hat die Armee eine beson-

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dere Bedeutung. Seit dem Putsch von 1980 hat sie Sitz und Stimme im Nationalen Sicherheitsrat und hat
auch eigene Geheimdienste. Außerdem besitzt die Armee ihren eigenen Konzern, die 1961 gegründete
Militärunterstützungskasse (OYAK). Durch die drei Putsche im 20. Jahrhundert – 1960, 1971 und 1980 – hat
die Armee ihren enormen politischen Einfluss kenntlich gemacht. Die Militärregierung nach dem letzten
Putsch dauerte sogar drei Jahre an. Kritik am Militär, das als Bewahrer des Säkularismus und der Demokra-
tie gilt, ist in der Türkei immer noch ein großes Tabu.
   «Artikel 72. – Der Vaterlandsdienst ist jedes Türken Recht und Pflicht. Auf welcher Art und Weise dieser
   Dienst in den Streitkräften oder im öffentlichen Sektor erfüllt wird oder als erfüllt gilt, wird durch das
   Gesetz geregelt.»
Nach dem Artikel 72 der Verfassung und Artikel 1 des Militärdienstgesetzes Nr. 1111 aus dem Jahr 1927 ist
jeder Türke verpflichtet, in der Praxis nur türkische Männer, der Wehrpflicht nachzugehen. Alle Männer, die
das 20. Lebensjahr erreichen, gelten als wehrpflichtig. Einfache Soldaten leisten 15 Monate Wehrdienst.
Akademiker leisten entweder als einfache Soldaten sechs Monate ab oder werden je nach Eignung zu Re-
serveoffizieren. Türkische Staatsbürger im Ausland haben die Möglichkeit, einen Betrag zu zahlen und er-
halten eine 21–tägige militärische Grundausbildung. Nach ihrer Musterung erhalten sie den Marschbefehl.
Alle Männer können bis zum 40. Lebensjahr erneut einberufen werden. Und bevor der Marschbefehl erteilt
wird, unterziehen sich alle potenziellen Soldaten der Musterung.

III. Ausmusterungspraxis von schwulen Männern
Die Musterung ist die obligatorische körperliche und geistige Untersuchung der zukünftigen Wehrpflichti-
gen. Zwischen dem 1. Juli und dem 31. Oktober treten die Männer vor eine Aushebungskommission, die
aus einem Verwaltungsbeamten, dem Leiter der Rekrutierungsstelle, einem Personenstandsbeamten, je-
weils einer Person von der Stadtverwaltung und dem Gemeindeausschuss und zwei Ärzten besteht, von
denen einer auch zivil sein kann. Die besonderen Fähigkeiten, der Ausbildungsgrad sowie weitere Persona-
lien der Gemusterten werden aufgenommen. Die Männer werden von den Ärzten der Kommission nach
den Richtlinien der Regelung für die gesundheitliche Leistungsfähigkeit der türkischen Streitkräfte am gan-
zen Körper untersucht. Jedoch können die Musterungspraxen je nach Rekrutierungsstelle stark differieren.
Nach dem Abschluss der Untersuchungen wird über den Tauglichkeitsgrad der Männer entschieden und sie
können eventuell ausgemustert werden – und Homosexualität ist ein Ausmusterungsgrund.
Homosexualität wird vom Militär als «psychosexuelle Störung» bezeichnet. Homosexuelle Männer können
bei der Musterung einen Antrag stellen, sich im Militärkrankenhaus untersuchen zu lassen. Wenn der Psy-
chiater einen Betroffenen auf Grund seiner Homosexualität als «psychosexuell gestört» diagnostiziert und
die Kommission die Diagnose anerkennt, wird die Person ausgemustert. In einigen Fällen wird die Wehr-
pflicht um ein Jahr verschoben. Im zweiten und dritten Jahr wird die Prozedur wiederholt. Im dritten erfolgt
schließlich die Ausmusterung. Diese Prozedur kann je nach Psychiater, Krankenhaus oder Kommission diffe-
rieren. Die Diagnose der «psychosexuellen Störung» basiert auf Artikel 17 der Regelung für die gesundheit-
liche Leistungsfähigkeit der türkischen Streitkräfte. Der dazugehörende Artikel soll hier wiedergegeben
werden:
   «Artikel 17, Absatz B, Abschnitt 3: Psychosexuelle Störung: Es ist nötig, dass die sexuellen Verhaltensstö-
   rungen, deren Bekanntgabe während der Wehrpflicht Nachteile hervorrufen, der von diesem Abschnitt
   betroffenen Personen mit einem Fragebogen oder mit amtlichen Bescheinigungen bestimmt werden.»
   «Artikel 17, Absatz D, Abschnitt 3: Fortgeschrittene psychosexuelle Störungen: Es ist nötig, dass die se-
   xuellen Verhaltensstörungen der Personen, die von diesem Abschnitt betroffen sind, in ihrem ganzen
   Leben auf fortgeschrittener Art sichtbar sind und dass dies während der Wehrpflicht eine benachteili-
   gende Situation hervorruft oder hervorrufen könnte. Und diese müssen durch Beobachtung oder Be-
   scheinigungen bestimmt werden.»

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Wehrpflicht und Ausmusterung von schwulen Männern in der Türkei

Dieser Artikel stützt sich auf das Klassifikationssystem für psychische Störungen DSM II von 1968, in der
Homosexualität noch als psychische Störung diagnostiziert wird, doch schon seit DSM II von 1974 wird Ho-
mosexualität nicht mehr als Krankheit aufgeführt. Auffällig ist, dass ein Artikel, der zur Ausmusterung von
schwulen Männern zu Rate gezogen wird, den Begriff selbst nicht enthält: Die Worte «homosek-
süel»/«homoseksüellik» bzw. «eşcinsel»/«eşcinsellik» kommen in der gesamten Regelung nicht vor. Dem-
nach bietet dieser Artikel eine breite Interpretationsmöglichkeit von psychosexueller Störung. Aus dem
Wortlaut ist auch zu entnehmen, dass es sich nicht in erster Linie um die Ausmusterung von psychosexuel-
len Kranken handelt, sondern wie sichtbar oder nicht sichtbar jene Erkrankungen sind, oder wie störend
und nicht störend sie empfunden werden. Und was unter «benachteiligende Situation» zu verstehen ist,
und vor allem für wen, ist auch nicht ersichtlich.
Der Türkische Ärzteverband schließt in seiner Stellungnahme die Homosexualität als Krankheit aus, da es
für die Homosexualität keine Grundsymptome gibt, während Cem Cimilli, der Vizepräsident des Vereins der
Psychiater der Türkei, auf die DSM von 2000 verweist und zur Homosexualität sagt: «Es ist wie Blond-Sein.»
sagt (Korkut 2006). Trotz der Veränderungen im DSM, den Expertenaussagen aus dem eigenen Land und
der Empfehlungen des Human Rights Watch besteht das türkische Militär auf dieser «Diagnose».

IV. Die Entdeckung des Homosexuellen
Die Militärärzte sind verpflichtet, Antragssteller auf ihre Homosexualität hin zu untersuchen. Dazu benut-
zen sie nicht nur den bei psychischen Störungen weltweit eingesetzten MMPI-Persönlichkeitstest, sondern
bedienen sich auch weiterer Diagnosemethoden. Laut einer Feldforschung von Lambdaistanbul aus dem
Jahre 2006 haben 27 von 215 Männern einen Ausmusterungsantrag wegen ihrer Homosexualität gestellt.
Sechs von ihnen wurden gar nicht überstellt und von den verbliebenen 21 wurden sieben abgelehnt. Zu den
Gründen geben Sie unter anderem an: «Sie fanden mich nicht zu feminin. Sie sagten, ich wäre nicht effemi-
niert.», «Man sagte mir: ‹Du bist männlicher als ich.› Und ich wurde zurückgeschickt.», «Aus dem Grund,
dass ich nicht homosexuell aussehe, bekam ich keine Genehmigung.» (Lamdaistanbul 2006, S. 151.). Einem
weiteren Antragsteller wurde vorgeworfen, seine Homosexualität sei nicht zu erkennen, da er keine Frau-
enkleider trage. Wie aus den Erfahrungsberichten zu entnehmen ist, setzen die Militärpsychiater Homose-
xualität mit Transsexualität, Transvestitismus oder schlicht mit der Imitation von Frauen gleich. Der effemi-
nierte homosexuelle Mann wird gleichgesetzt mit dem Pendant des heterosexuellen Mannes – der hetero-
sexuellen Frau. Dieses in der Gesellschaft verbreitete und von dem Militär propagierte Bild des Schwulen
führte auch einige Antragssteller zu verzweifelten Maßnahmen, wie eben zum Tragen von Frauenkleidern,
sich die ganzen Körperhaare abzurasieren oder sich zu schminken, auch wenn es zum größten Teil nicht
dem empfundenem individuellen Genderverhalten entsprach. Die Homosexualität wird allein durch die
Position der Machthabenden im erwarteten Muster extern definiert. Diese fragwürdige Annahme kulmi-
niert in der nächsten Diagnosepraktik. Von 21 Männern aus der oben erwähnten Umfrage wurden 13 einer
Analuntersuchung – fiili livata – unterzogen:
   «Bei dieser Prozedur, die vom Chirurgen ausgeführt wird und ein paar Minuten dauert, wird ein mit Va-
   seline beschmierter Finger im Handschuh in den Anus eingeführt. Das Untersuchungsergebnis wird als
   positiv (hat Analsex praktiziert) oder negativ (hat keinen Analsex praktiziert) vermerkt. (Coşkun 1997, S.
   11.)
Diese Methode gilt als ein sicherer Beweis der Homosexualität. Hierbei wird unter anderem die Kontrakti-
onsfähigkeit des Rektums untersucht. Abgesehen davon, dass es ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre ist,
kostet es viel Überwindung, solche als mittelalterlich und menschenunwürdig empfundenen Behandlungen
über sich ergehen zu lassen. Diese Untersuchung reduziert Homosexualität nicht nur auf das Sexualverhal-
ten, sondern die gesamte Sexualität zwischen Männern auf eine einzige Praxis. Das führt dazu, dass schwu-
le Männer, die Analsex nicht praktizieren, ihrer Beweispflicht nicht nachkommen können. Aus vielen Be-
richten ist herauszulesen, dass das die erniedrigendste Erfahrung während des Untersuchungsprozesses sei.

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Weiterhin wurden von sechs der 21 Männer Photos verlangt. Es handelt sich um Photos, manchmal sogar
Videoaufnahmen, bei denen die Betroffenen beim passiven Analverkehr abgelichtet sind, auf denen neben
dem Akt noch ihr Gesichtsausdruck zu erkennen ist. Dabei ist die Identität des aktiven Partners unwichtig
und dieser muss auch nicht zu sehen sein. Einige Ärzte geben sich auch mit Photos beim Oralsex zufrieden.
Neben der erneut erniedrigenden Methode werden viele Menschen in die Not gebracht, selbst Pornogra-
phie für andere zu schaffen und eventuell einer Sexualpraktik nachzugehen, die ihrem Sexualverhalten
nicht entspricht. Es bringt nicht nur die Schwierigkeit mit sich, Personen zu finden, die diese Photos schie-
ßen und entwickeln, sondern auch Sexualpartner zu finden, die mit dieser Prozedur einverstanden sind.
Einige Männer wandten sich aus diesem Grund sogar an die lokalen NGOs. Unter anderem verstoßen beide
Praktiken, sowohl die Analuntersuchung, als auch das Verlangen nach Bildmaterial, gegen Artikel 17 des
Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte:
   «(1) Niemand darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine
   Wohnung und seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Ru-
   fes ausgesetzt werden.
   (2) Jedermann hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.»
Eine zusammenfassende Betrachtung der Praktiken zeigt, dass ein gewisses Bild des homosexuellen Man-
nes durch die Psychiater in den Militärkrankenhäusern erschaffen wird: «Dieser homosexuelle Mann; ist
jemand, der effeminiert ist, […] unbedingt Analsex praktizieren muss, und von dem sogar beim Analsex die
‹passive Position› erwartet wird.» (Lambdaistanbul 2006, S. 151.) Dass dieses Bild mit der Realität nicht
korreliert, dürfte auch den meisten Ärzten selbst bewusst sein. Doch wieso ist die Klassifizierung eines be-
stimmten passiven, femininen schwulen Mannes so wichtig und wieso ist ein aktiver schwuler Mann weni-
ger homosexuell und wird nicht als Gefahrenquelle der Männlichkeit betrachtet?

V. Männlichkeit
Die Männlichkeit stützt sich auf der Prämisse der Geschlechterpolarität. Geschlechtliche Polarisierung führt
zur geschlechterspezifischen Implementierung von sozialen Strukturen und bildet das Geschlechterverhält-
nis einer Gesellschaft. Diese geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen werden in Anlehnung auf den Sozio-
logen Pierre Bourdieu als geschlechtlicher Habitus bezeichnet, die bestimmte Praxen entwickeln und ande-
re verhindern. Männlichkeit – Mann-Sein – wird in Abgrenzung zu Weiblichkeit – Frau-Sein – generiert. Der
von Bourdieu entwickelte Habitus ist ein Komplex von Handlungsstrategien, der bei Konfrontationen in
neuen Situationen in Gebrauch genommen wird. Der Habitus beruht auf einer charakteristischen Sozialla-
ge; Akteure, die dieselbe Soziallage teilen, verfügen über den gleichen Habitus. In Bourdieus Worten ist er
eine «Handlungs-, Wahrnehmungs- und Denkmatrix», die als ein gesellschaftlicher Orientierungssinn gelten
kann (Bourdieu 1979, S. 169.). Doch wie der Soziologe Michael Meuser es erfasst, besteht der geschlechtli-
che Habitus, in dem er sich durch das Handeln produziert und reproduziert, «so dass Geschlecht nicht et-
was dem Handeln der Akteure Externes ist.» (Meuser 2006, S. 117.) Dieser Prozess, auch als Doing-Gender
bezeichnet, normalisiert und normiert den Prozess der geschlechtlichen Habitualisierung und lässt mit der
Zeit die kulturell erzeugten geschlechtlichen Körper als natürlich gegeben erscheinen. Es gibt nicht «die»
Männlichkeit: Männlichkeiten hängen von vielen Faktoren ab und können in vielen unterschiedlichen Aus-
prägungen zu Tage treten.
Eine dieser Ausprägungen ist die von dem Soziologen Robert Connell – mittlerweile Raewyn Connell – ein-
geführte hegemoniale Männlichkeit. Sie ist Leitbild des Patriarchats, das nicht nur in Abgrenzung zu Weib-
lichkeit konstruiert wird, sondern auch das Merkmal der Dominanz über das andere Geschlecht enthält. Es
ist ein kollektiv akzeptiertes Leitbild, das kulturell und institutionell verankert ist und laut Meuser durch
diesen «kulturellen Moralkonsens» seine Legitimation bezieht. Die Hegemonialität wird neben der Abgren-
zung zur Weiblichkeit auch im homosozialen Raum generiert. Sie dient nicht nur als allgemein anerkanntes
gesellschaftliches Ideal, sondern führt auch zu einer inner-männlichen Hierarchisierung, und weitet ihre
Dominanz über Frauen hinaus. Die hegemoniale Männlichkeit basiert auf und reproduziert sich durch die

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von Connell eingeführten drei anderen Männlichkeitsformen: Die komplizenhafte Männlichkeit wird den
Männern zugesprochen, die nicht in der Lage sind, die hegemoniale Männlichkeit zu verkörpern, aber sie
anstreben, so dass sie von der patriarchalen Dividende profitieren. Die marginalisierte Männlichkeit impli-
ziert die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit oder zu einer untergeordneten Klassenzugehörig-
keit. Und mit untergeordneter Männlichkeit wird die männliche Homosexualität bezeichnet.

VI. Homosexualität als untergeordnete Männlichkeit
Nach dem habituellen Geschlechtsprinzip von Bourdieu bildet sich der männliche Habitus in Abgrenzung
zur weiblichen und somit zur weiblichen Handlungspraktiken. Die Sexualität ist ein habituelles Grundprinzip
und bei der Homosexualität fällt das polare Schema der Mann-Frau-Dichotomie in sich zusammen und bil-
det das «Paradoxon» des Männer begehrenden Mannes. Wie bereits erwähnt, stützt sich die hegemoniale
Männlichkeit auf einen kulturellen Machtkomplex, welcher von Männern konstruiert wurde, die mehrheit-
lich heterosexuell sind und die Heterosexualität für ein Axiom des zweigeschlechtlichen Systems halten:
   «Die Strukturierung der Sexualität durch die hegemoniale heterosexuelle Matrix bildet nach Connell ei-
   nen unverzichtbaren Pfeiler patriarchaler Herrschaft, weil durch die Verallgemeinerung der heterose-
   xuellen Norm auch die Kultur der Zweigeschlechtlichkeit und das darin verborgene Machtgefälle veran-
   kert werden.» (Heilmann 2002, S. 29.)
Nach dem unegalitären Prinzip der hierarchischen Heterosexualität, in dem Männer die Sexualität der
Frauen kontrollieren, haben Männer männlichen Sex – in diesem Falle dominant/aktiv/penetrierend, und
Frauen weiblichen, unterwürfig/passiv/empfangend. Da homosexuelle Männer nicht in diese Zuschreibun-
gen passen aber weiterhin als Männer klassifiziert werden, werden sie als die am stärksten ausgegrenzte
Form der Männlichkeit in die Kategorie der untergeordneten Männlichkeit eingeordnet. Unter anderem
widerspricht Homosexualität auch der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung für das nötige Humankapital des
hegemonialen Systems. Dementsprechend gehört Homophobie zum «Kernbestand der hegemonialen
Männlichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft.» (Meuser 2006, S. 104.)
Als eine zentrale Institution der hegemonialen Männlichkeit, ist es nicht verwunderlich, dass der geschlech-
tliche Habitus im offiziellen Korpus der türkischen Streitkräfte sich rigide gegen die Homosexualität aus-
spricht. Homosexuelle Männer bekommen gemäß dem hegemonialen Sexualverständnis und im Sinne der
Abgrenzung zum männlichen Sexualverhalten die Merkmale des weiblichen Sexualverhaltens zugewiesen:
unterwürfig/passiv/empfangend. Dieser Abgrenzungsmechanismus erklärt auch die Analuntersuchung und
das Verlangen nach Bildmaterial während des passiven Anal- oder aktiven Oralverkehrs bei der Musterung.
Als rezeptive Praktiken bekommen beide die weiblichen Sexualzuschreibungen als unterwürfig, passiv und
empfangend.
Interessant ist hier die Tatsache, dass die männlichen Zuschreibungen bei aktivem Anal- oder passiven
Oralverkehr ihre Gültigkeit nicht verlieren, auch wenn der Sexualpartner nicht das weibliche Geschlecht
hat. Nach dem in der Türkei praktiziertem hegemonialem Konzept liegt die Homosexualität nur bei männli-
chen Personen mit weiblich verstandenem Sexualverhalten während des Sexualverkehrs mit Männern vor.
Alle männlichen Personen, die gleichgeschlechtliche Handlungen praktizieren, die dem nicht entsprechen,
werden nicht als homosexuell bezeichnet. Grund hierfür ist das Fehlen einer pluralistischen Koexistenz von
Maskulinitäten, die auch als Maskulinitäten anerkannt werden, und nicht durch die Definitionsmacht einer
Institution eine Aberkennung ihrer Männlichkeitskonzepte erleiden. Durch diese Prozedur werden homose-
xuelle Männer nicht nur marginalisiert, sondern auch ihr Männlichkeitsempfinden samt der geschlechtli-
chen habituellen Sicherheit wird ihnen abgesprochen, «welche die eigene Position im Geschlechtergefüge
als fraglos gegeben erfahren lässt.» (Meuser 2006, S. 312.)

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VII. Argumente für die Ausmusterungspraxis
Eines der häufigsten Argumente ist, dass diese Prozedur auch als Schutzmechanismus gegen das stark ho-
mophobe Klima während der Wehrpflicht wahrgenommen werden kann, wovor die homosexuellen Männer
beschützt werden sollen. Zum Beispiel erzählt Kerem dem Human Rights Watch, dass er verbal und körper-
lich misshandelt wurde, als seine Homosexualität unter den anderen Soldaten bekannt wurde. Er ergriff die
Flucht. Coşkun rät in seinem Artikel über Homosexualität und Wehrpflicht sogar dazu, den Psychiater nicht
als einen Staatsanwalt, sondern als den eigenen Verteidiger zu betrachten. In wieweit der vermeintliche
Schutz vor einer homophoben gewalttätigen Atmosphäre die Diskriminierung aus bürokratischer Sicht
rechtfertigt und an welcher Stelle «Maßnahmen» ergriffen werden, ist eine andere Frage.
Aus Erfahrungsberichten ist auch zu entnehmen, dass überraschenderweise Verständnis gezeigt wird. Vor
einer Kommission von sechs Ärzten wurde Fatih gefragt, warum er seiner Wehrpflicht nicht nachgehen
möchte, mit der Erklärung, dass in Europa und Amerika viele Schwule es täten (Kocatürk 2007). A. A. wurde
sogar mitgeteilt:
   «Nun ist Homosexualität für uns kein Problem. Wir könnten auch homosexuell sein, es ist nichts dabei.
   Dass du homosexuell bist, ist nicht sichtbar, du hast kein effeminiertes Verhalten. Du musst nicht sagen,
   dass du schwul bist. Geh und leiste wie ein junger Mann deine Wehrpflicht.» (A. A. 2006.)
Auch wenn die vermeintliche psychosexuelle Störung diagnostiziert wird, versuchen die Ärzte den Kranken
zur Wehrpflicht zu überzeugen, in dem sie ihn dazu bewegen, es geheim zu halten. Wenn es sich um eine
wirklich medizinisch haltbare psychosexuelle Störung handeln würde, würden sie dadurch das Gemeinwohl
und die Gesundheit der anderen Soldaten aufs Spiel setzen. Diese Aussagen führen die ganze Untersu-
chungsprozedur ad absurdum und beweisen, dass auch die eigenen Ärzte nicht an eine Pathologie glauben.
Es scheint viel mehr eine Methode zu sein, den scheinbar allgemeingültigen habituellen Duktus der hege-
monialen Männlichkeit nach Außen hin aufrechtzuerhalten.

VIII. Soziale Konsequenzen der Wehrpflicht
Ein weiterer Überzeugungsansatz ist die Darstellung der Wehrpflicht als eine wichtige Lebensphase, die
zukunftsweisende und gewinnbringende Erfahrungen parat hält, deren Mangel später Schwierigkeiten im
gesellschaftlichen Leben mit sich bringen können. Moderne Nationalstaaten setzen ein erwartetes Idealbild
des Staatsbürgers mit «eindeutig definierten und streng regulierten nationalen, religiösen, und sexuellen
Identitäten ein» (Leezenberg 2007, S. 18.) und ihre Durchsetzung geschieht allzu oft durch militärische
Intervention. Wie bereits erwähnt, hat das türkische Militär einen großen Einfluss auf die türkische Gesell-
schaft. Als eine Institution des Militärs und Lieferant des männlichen Leitbildes über den Soldaten für das
Volk, hat die Ableistung der Wehrpflicht enorme Konsequenzen auf der sozialen Ebene. Die Fotos in Solda-
tenuniformen aus der Zeit der Wehrpflicht in türkischen Familienalben könnten dafür als Belege gelten.
Ein wichtiger Punkt dabei ist die Verwebung von Militarismus und Nationalismus: Im alltäglichen Leben
wird der Bürger ständig in der Schule, im Fernsehen, bei nationalen Festen und Aufmärschen mit dem Mili-
tär konfrontiert. In Anlehnung an den Befreiungskrieg wird das Militär als Befreier und Bewahrer der Nation
zelebriert, wovon die nationalen Militarismen wie «Her Türk Asker Doğar» («Jeder Türke wird als Soldat
geboren») und «Asker Ulus» («Soldatennation») Kenntnis geben (Görgü 2007, S. 15.). Dementsprechend
gilt die Wehrpflicht auch als Loyalität dem Staat gegenüber und als Beweis für eine verdiente Staatsbürger-
schaft.
Emma Sinclair-Webb und Ayşe Gül Altınay listen eine Reihe von sozialen Faktoren auf, die die Wehrpflicht
für den männlichen habituellen Duktus mit sich bringt. Eines davon ist das Wissen gegenüber den Frauen,
das die Männer sich während der Wehrpflicht aneignen. Für viele Männer bedeutet die Wehrpflicht, dass
sie zum ersten Mal ihren gewohnten Wohnort verlassen und die Möglichkeit bekommen, durch Mobilität
ihren Horizont zu erweitern. Weiterhin wird Analphabeten das essenzielle Lesen und Schreiben beigebracht

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Wehrpflicht und Ausmusterung von schwulen Männern in der Türkei

und Menschen mit anderen Erstsprachen als Türkisch erlernen die türkische Sprache. Die Wehrpflicht wird
unter anderem als Initiationsritus zur Mannwerdung betrachtet und ist eine Hürde vor der Eheschließung.
In der Regel heiraten Männer erst nach dem Wehrdienst und es ist verbreiteter Usus, dass weder die Fami-
lie, noch die Frauen selbst generell einer Heirat zustimmen, wenn die Wehrpflicht noch nicht absolviert ist.
Eine andere Hürde bildet die Arbeitssuche, da viele Arbeitgeber nur diejenigen einstellen, die ihren Wehr-
dienst absolviert haben.
Ein weiterer Punkt, den Altınay anschneidet, sind die eigenen Militärgeschichten. Diese Geschichten aus
der Wehrpflichtzeit haben einen großen Stellenwert im Alltag der Männer, ist doch der Wehrdienst im All-
gemeinen ein Thema, dass beim gegenseitigen Kennenlernen und sich Einfügen in homosozialen Räumen
allgegenwärtig ist. Diese Militärgeschichten, «eine eigentümliche Kombination aus Stolz, männlicher Ver-
bundenheit und ein Gefühl von Weisheit» (Altınay 2004, S. 81.), tradieren laut Altınay die erlernte militäri-
sche Maskulinität in einem post-militärischem Kontext in die Gesellschaft hinein. Doch was ist, wenn man
nichts zu erzählen hat?
Als homosexuell ausgemustert zu werden bringt nicht nur den Status der untergeordneten Männlichkeit
mit sich, sondern entsagt dem homosexuellen Mann auch die männlichen Sozialisationskapitalien, die nach
dem militärischen hegemonialen Männlichkeitsprinzip aufgestellt wurden. Somit teilt sich der homosexuel-
le Mann auch den Status des marginalisierten Mannes, der nicht Wehrdienst geleistet hat. Ihm wird der
Status des Komplizenhaften nicht zugesprochen, da er ja nicht aus unfreiwilligen Behinderungen wie Hör-
schwäche usw. ausgemustert wurde, sondern sich aus freien Stücken dafür entschied, sich als Schwuler
erkennen zu geben. Somit wird dem homosexuellen Mann nicht nur seine Männlichkeit abgesprochen,
sondern auch seine Loyalität zur Nation und eine gewisse Reife, die durch die Wehrpflicht allgemein erlangt
zu werden geglaubt wird. Er versagt zweifach: Als Mann und als Staatsbürger.

IX. Zum Schluss
   «Artikel 10. – Jeder ist ohne Rücksicht auf Unterschiede wegen der Sprache, Ethnizität, der Hautfarbe,
   des Geschlecht, der politische Ansicht, Weltanschauung, Religion, seinem Bekenntnis und ähnlichem vor
   dem Gesetz gleich.» (Die Verfassung der Türkischen Republik)
Die türkische Armee führt die Ausmusterungspraxis auf Grund von Homosexualität fort, die als ein Instabili-
tätsfaktor des herrschenden hegemonialen Männlichkeitsbildes gesehen wird und nicht auf eine individuel-
le Gefühls- und Geisteswelt, sondern auf ein passives Sexualverhalten reduziert werden muss: «Beim
Wehrdienst sind nicht die sexuellen Identitäten, sondern die sexuellen Handlungen verboten.» (Coşkun
1997, S. 11.)
Ein Zugeständnis als eigenständige Maskulinität würde nicht nur das hierarchische System des Militärs
komplett dekonstruieren, sondern auch das der gesamten Gesellschaft. Es würde bedeuten, dass die Kate-
gorien Mann und Frau überdacht werden müssten, so dass Geschlechterkategorien ihre vermeintlich «na-
türliche» Norm verlieren und als Konstrukte wahrgenommen werden. Um diese Schlussfolgerung zu ver-
meiden, die zur enormen Machtverschiebungen innerhalb der Gesellschaft führen würde, steckt das Militär
Homosexualität in den Topf der psychosexuellen Störungen und festigt auf sozial und legal «nachvollzieh-
bare» Weise seinen heterosexistisch hegemonialen Gültigkeitsanspruch. Somit entwickelt sich das Militär
zum zentralen «Machtorgan eines militaristischen nationalistischen, sexistischen und homophoben Gesell-
schaftsverständnisses» (Görgü 2007, S. 17.) und wird zur Zielscheibe der homosexuellen Protest-
Männlichkeit.
Solange die Grundhaltung der Geschlechterpolarität in der Gesellschaft herrscht, werden keine anderen
eigenständigen Sexualitätsformen frei bestehen können. Um dieses Ziel in der Türkei annähernd zu errei-
chen, muss durch Gesetze die rechtliche Sicherheit von LGBTT-Personen gewährleistet werden. Wie auch
LGBTT-NGOs proklamieren, sollte der oben zitierte Anti-Diskriminierungsartikel 10 der Verfassung soweit
geändert werden, dass «sexuelle Orientierung» hinzugefügt wird. Speziell im Militär sollte Homosexualität

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Militär, Männlichkeit und sexuelle Orientierung

als Ausmusterungsgrund ausgeschlossen werden. Wenn nicht das, dann sollten zumindest die erniedrigen-
den Diagnosemethoden eingestellt und der Aussage des einzelnen in Bezug auf seine sexuelle Selbstidenti-
fizierung Glauben geschenkt werden.
Veränderungen der gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse sind lange Prozesse, die sich über Jahrzehn-
te hinziehen. Ein Bruch der sozial normierten hegemonialen Männlichkeit und Aufbau neuer vielfältiger
gleichberechtigter habitueller Männlichkeiten mag ein Idealbild sein – es ist aber das einzig demokratische.

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Wehrpflicht und Ausmusterung von schwulen Männern in der Türkei

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XI. Gesetze, Pakte, Regelungen
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Wehrpflichtgesetz (Askerlik Kanunu), vom 21.06.1927:
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http://www.mevzuat.adalet.gov.tr/html/20176.html
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