Unisex-Tarife in der Lebensversicherung - politisch gewollt, statistisch widerlegt? - Dietmar Pfeifer Institut für Mathematik
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Unisex-Tarife in der Lebensversicherung – politisch gewollt, statistisch widerlegt? Dietmar Pfeifer Institut für Mathematik
Was ist ein Unisex-Tarif? Ein Unisex-Tarif ist ein Versicherungstarif, der das Geschlecht des Versicherungsnehmers nicht als Tarifkriterium verwendet, obwohl es die Risikobewertung beeinflusst. Bei einem Unisex- Tarif erhalten bei ansonsten gleichen Voraussetzungen Männer und Frauen für den gleichen Beitrag gleiche Leistungen. Das Geschlecht spielt insbesondere in der Lebens- und Ren- tenversicherung als Tarifkriterium eine wichtige Rolle, da die Lebenserwartungen der Geschlechter teilweise stark voneinan- der abweichen (Frauen haben z.B. in Deutschland eine um ca. fünf Jahre längere Lebenserwartung als Männer). Politische Bestrebungen zur Einführung von Unisex-Tarifen hat es bisher nur dann gegeben, wenn Frauen höhere Beiträge als Männer zahlen mussten, nicht aber im umgekehrten Fall. 1
Versicherungen mit Unisex-Tarifen Seit dem 1. Januar 2006 müssen in Deutschland Rentenversi- cherungen, die als Riester-Rente förderfähig sind, auf Unisex- Tarifen basieren. Bereits davor bestehende Verträge sind von dem Gesetz nicht betroffen. Rentenversicherungen, die nicht förderfähig sind, benutzen weiterhin das Geschlecht als Tarifkri- terium. Versicherungen mit geschlechtsspezifischen Tarifen Lebensversicherungen Bei Risikolebensversicherungen kommen Unisex-Tarife nicht zur Anwendung, daher sind die Beiträge für Frauen bei gleicher Leistungshöhe niedriger als für Männer. 2
Private Krankenversicherungen Teilweise werden auch für die privaten Krankenversicherungen solche Tarife gefordert, da hier die Tarife für Frauen bedeutend höher sind. Grund dafür ist das höhere Risiko des Versicherers, das vor allem durch die längere Lebensdauer von Frauen und ihre häufigeren Arztbesuche, aber auch durch Schwangerschaf- ten bedingt ist. Durchgesetzt haben sich solche Vorschriften jedoch noch nicht. Der gescheiterte Entwurf des Antidiskriminierungsgesetzes sah vor, dass das Datenmaterial und die Berechnung offen gelegt werden müssten, wenn das Geschlecht ein bestimmender Fak- tor bei der Risikobewertung in Krankenversicherungstarifen sei. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Unisex-Tarif 3
Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang zu und bei der Ver- sorgung mit Gütern und Dienstleistungen Anwendung auf den Versicherungsbereich Die Richtlinie untersagt grundsätzlich die Berücksichtigung des Faktors Geschlecht bei der Berechnung von Prämien und Leis- tungen im Bereich des Versicherungswesens sowie bei anderen Finanzdienstleistungen. Dies gilt für alle nach dem 21. Dezem- ber 2007 abgeschlossenen neuen Verträge. Die bei Versiche- rungsgesellschaften gängige Praxis, bei der Prämienberech- nung Frauen und Männer als zwei separate Versichertengrup- pen zu behandeln - mit dem Argument, dass die Risiken, insbe- sondere mit Blick auf die Lebenserwartung, nicht dieselben sei- en - stellt aus Sicht der Kommission eine Diskriminierung dar. 4
Die Mitgliedstaaten können jedoch Ausnahmen vom Gleichbe- handlungsgebot zulassen in Fällen, in denen das Geschlecht ein bestimmender Faktor bei einer auf relevanten, genauen und öffentlich zugänglichen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ist. Die Mitgliedstaaten haben fünf Jahre nach Umsetzung der Richtlinie zu prüfen, inwieweit entsprechende Ausnahmen noch gerechtfertigt sind, wobei die neuesten versicherungsmathema- tischen und statistischen Daten zu berücksichtigen sind. Alle Mitgliedstaaten müssen jedoch gewährleisten, dass die Versi- cherungskosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft (z. B. in der Krankenversicherung) gleichmäßig auf Männer und Frauen verteilt werden. Die Mitgliedstaaten müssen die einschlägige Richtlinienbestimmung spätestens bis zum 21. Dezember 2009 umgesetzt haben. Quelle: http://europa.eu/scadplus/leg/de/cha/c10935.htm 5
qx Entwicklung der Sterblichkeiten über die Zeit 6
Entwicklung der restlichen Lebenserwartung über die Zeit 7
Alter Männer Frauen rohe Sterbewahrscheinlichkeiten für Beamte Quelle: Statistisches Bundesamt 2001 8
Alter Männer Frauen geglättete Sterbetafel R2004 der DAV (Quelle: Deutsche Aktuar-Vereinigung) 9
Alter Männer Frauen geglättete Renten-Sterbetafel von Heubeck (gesetzlich vorgeschrieben z.B. für Pensionsrückstellungen) 10
Rechnerische Auswirkungen auf den Rentenbarwert: deterministische Betrachtungsweise: n 1− v n an := v + v 2 + " + v n = ∑ v k = v k =1 1− v Barwert einer n − periodigen nachschüssigen Rente der Höhe 1 n−1 1− v n än := 1 + v + " + v n−1 = ∑ v k = k =0 1− v Barwert einer n − periodigen vorschüssigen Rente der Höhe 1 1 mit Zinssatz i und Diskontfaktor v = 1+ i 11
aktuarielle Betrachtungsweise: vorschüssiger Leibrentenbarwert für x-jährige Person mit ge- stutzter Restlebensdauer K x : ⎛ K x ⎞⎟ ⎜ ⎛1− v K x +1 ⎞⎟ 1− E v K x +1 ⎜ äx := E ⎜⎜∑ v ⎟ = E ⎜⎜ k⎟ ( ) ⎟⎟ = ⎜⎝ k =0 ⎟⎠⎟ ⎜⎝ 1− v ⎟⎠ 1− v mit: ∞ ∞ ( E v K x +1 )= ∑v k +1 P ( K x = k ) = ∑ v k +1 k px qx+k k =0 k =0 k −1 k p x = ∏ (1− q x+ j ) j=0 12
Leibrentenbarwerte für unterschiedliche Zinssätze: Zinssatz 2% 2,5% 3% 3,5% 4% ä67 (m) 16,68 15,13 13,99 13,09 12,35 ä67 ( w) 19,62 17,76 16,38 15,28 14,36 Statistisches Bundesamt (Beamte) Zinssatz 2% 2,5% 3% 3,5% 4% ä67 (m) 19,10 17,30 15,96 14,89 14,00 ä67 ( w) 22,04 19,76 18,08 16,75 15,66 DAV (mit Sicherheitszuschlag) Zinssatz 2% 2,5% 3% 3,5% 4% ä67 (m) 16,24 14,74 13,64 12,77 12,05 ä67 ( w) 19,04 17,26 15,93 14,88 14,00 Heubeck 13
Alter Differenzen Δ = q x − q y der männlichen und weiblichen Sterblichkeiten 14
Beobachtung: Sterblichkeits-Differenzen sind statistisch signifikant positiv und werden mit wachsendem Alter größer! Aber: Ist dieser Unterschied (rein) biologisch bedingt? Ein Auszug kritischer Kommentare: 15
Dr. Cornelia Lange, Bevölkerungswissenschaftlerin am Robert- Koch-Institut in Berlin: … Ein Blick auf die Todesursachen beleuchtet die Unterschiede genauer: Die wichtigsten Ursachen für die Übersterblichkeit der Männer sind • äußere Ursachen (also Unfälle), • Herz-Kreislauf-Krankheiten, • bösartige Neubildungen (Krebs), • Krankheiten des Atmungssystems (z.B. chronische Krank- heiten der unteren Atemwege) • Krankheiten des Verdauungssystems (z.B. alkoholische Le- berkrankheit). Allerdings ist nicht zu übersehen, dass auch bei den Frauen die Mortalität bei einzelnen Krankheiten steigt, z.B. bei Lungen- krebs. … 16
Prof. Dr. Marc Luy, Bevölkerungswissenschaftler an der Uni- versität Rostock: … Die dominante Todesursache [von Männern] wandelte sich seit dem 19. Jahrhundert von Infektionskrankheiten (Tbc) über Verkehrsunfälle hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Neu- bildungen (Krebs). Schon diese empirischen Daten im internationalen und histori- schen Vergleich zeigen eine solche Varianz, dass biologisch orientierte Erklärungen [für Sterblichkeitsunterschiede] allein nicht plausibel erscheinen. … „Klosterstudie“ von Prof. Luy: 17
Insgesamt fanden die Daten von 11600 Personen aus 11 baye- rischen Klöstern mit nahezu identisch geregeltem Tagesablauf Eingang in die Studie. Es zeigt sich, dass die Vergrößerung der Lebenserwartungsdifferenz seit 1950 in der Klosterbevölkerung nicht stattfand. Nonnen und Frauen der Allgemeinbevölkerung leben annä- hernd gleich lang, dicht gefolgt von den Mönchen. Die Gruppe, die deutlich nach unten ausschert, sind die Männer der Allgemeinbevölkerung. In der Entwicklung der Sterblich- keitsreduktion bleiben die Männer der Allgemeinbevölkerung deutlich hinter dem Niveau der Frauen, Nonnen und Mönche zurück. Die Ursache für die Differenz muss im Verhalten und der Um- welt dieser Gruppe liegen, da den Daten der Mönche zufolge die Biologie nur etwa 1-2 Jahre der Differenz erklären kann. 18
Dr. Paola Di Giulio, Bevölkerungswissenschaftlerin am Max Planck Institute for Demographic Research in Rostock: … Anhand von 20 Items z.B. über Rauchgewohnheiten, Body- Mass-Index, Gesundheits- und Arbeitsverhalten wurden vier Lebensstilgruppen gebildet: • "Active Bon-Vivants": Arbeiten, rauchen, sind häufig über- gewichtig. Überwiegend Männer. • "Interventionists": Rauchen nicht, trinken nicht, ernähren sich gesund, haben keinen (Stress-)Job. Überwiegend Frauen. • "Nihilists": Betreiben keine Gesundheitsvorsorge und keinen Sport, sind korpulent. Eine kleinere Gruppe, die sich unge- fähr paritätisch zusammengesetzt. • "Past workaholics": Hatten in der Vergangenheit einen Stress-Job. Eine kleine Gruppe. 19
Im Vergleich zwischen den Lebensstilen gemessen an den "In- terventionists" haben die anderen Gruppen eine 2- bis 2,8-fach höhere Mortalität. Innerhalb aller Lebensstilgruppen leben die Frauen länger, wobei die Geschlechterdifferenz bei den "Inter- ventionists" am geringsten ist. … Es ist also Erfolg versprechend, an den Lebensstilen und den Lebensarrangements anzusetzen, um die Lebenserwartung von Männern zu erhöhen. … Quelle: http://www.genderkompetenz.info/aktuelles/fachtagungen/lebenserwartung/ 20
Provokante These (Pfeifer): Wenn also keine biologischen (d.h. geschlechtsspezifischen), sondern Verhaltensgründe Ursache der statistisch signifikan- ten unterschiedlichen Sterblichkeiten zwischen Männern und Frauen sind, ist dann nicht gerade eine unterschiedliche Tarifie- rung von Lebensversicherungsprodukten kompatibel mit der europäischen Richtlinie ?? Literatur: J. Geppert, J. Kühl (Hrsg.): Gender und Lebens- erwartung, Kleine Verlag 2006. 21
Sie können auch lesen