Täter- und Opferpositionen aus geschlechtertheoretischer Perspektive - DVJJ
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Täter- und Opferpositionen aus geschlechtertheoretischer Perspektive Anke Neuber Vortrag auf der Tagung Jugendstrafrecht ist Jungenstrafrecht. Zu Männlichkeit und Geschlechterrollen im Kontext von Delinquenz. Evangelische Akademie Bad Boll, 23.02.–25.02.2018
Gliederung 1. Doing masculinity – not doing victimhood – Konstruktionen von Männlichkeit und Opferschaft 2. Doing violence – doing masculinity? Täter-Opfer- Ambivalenzen 3. Ausblick
1. Doing masculinity – not doing victimhood – Konstruktionen von Männlichkeit und Opferschaft Sozialkonstruktivistische und interaktionstheoretische Perspektive auf Opferschaft Opferschaft ist ein sozial konstruierter Gegenstand Das Attribut Opfer ist somit nicht beschreibend, sondern zuschreibend
1. Doing masculinity – not doing victimhood – Konstruktionen von Männlichkeit und Opferschaft Sozialkonstruktivistische und interaktionstheoretische Perspektive auf Geschlecht – doing gender Geschlecht ist kein persönliches Merkmal, sondern das Ergebnis von Zuschreibungen, die in komplexen Interaktionsprozessen ausgehandelt werden Geschlecht ist nichts, was Menschen haben oder sind, sondern was sie tun Geschlechterdifferenz ist eine kulturell erzeugte
1. Doing masculinity – not doing victimhood – Konstruktionen von Männlichkeit und Opferschaft Raewyn Connell: Hegemoniale Männlichkeit Männlichkeit ist nicht gleich Mann, sondern ein kulturelles Ideal Dominanz-, Über- und Unterordnungsverhältnisse nicht nur zwischen den Geschlechtern sondern auch unter Männern Hegemoniale Männlichkeit steht in Relation zu nichthegemonialen Männlichkeiten, die sie unterteilt in: • marginalisierte, • untergeordnete und • komplizenhafte Männlichkeiten (Connell 1999) Opferschaft und Verwundbarkeit stehen im Widerspruch oder Konflikt zu Entwürfen hegemonialer Männlichkeit
1. Doing masculinity – not doing victimhood – Konstruktionen von Männlichkeit und Opferschaft Argumentationsmuster der ersten Diskursphase Darstellung der Opfer als für ihre Rechte kämpfende Menschen ohne besonderen Bezug zur Kategorie Geschlecht Argumentationsmuster der zweiten Diskursphase Hilfsbedürftigkeit der Opfer, die als weiblich beschrieben werden Fokussierung auf Ausschnitt der Opferhilfe: frauenspezifische Hilfen Gewaltbetroffenheit der Bevölkerung unter Bezugnahme auf die Fallzahlen der Opferberatungsstellen – Nicht-Thematisierung von männlichen Opfern (Kersten 2012)
2. Doing violence – doing masculinity? Täter-Opfer-Ambivalenzen Der Zusammenhang von Männlichkeit und Gewalt Gewalt ist „doing masculinity“ (Meuser) „die Bewerkstelligung von Geschlecht“ (Kersten) „a masculine resource“ (Messerschmidt)
2. Doing violence – doing masculinity? Täter-Opfer-Ambivalenzen Das Sprechen über Gewalt erfolgt über polarisierte Denkfiguren Eindeutige Gefangenenhierarchie: oben - unten eindeutige Täter – Opfer – Positionen Die Demonstration kein Opfer zu sein (Neuber 2009)
2. Doing violence – doing masculinity? Täter-Opfer-Ambivalenzen Geschlecht als Konfliktkategorie Kulturelle Zuschreibungen von Männlichkeit und Weiblichkeit werden von den Subjekten nicht einfach übernommen oder zurückgewiesen, sondern lebenslang angeeignet Männlichkeit ist „vielmehr Ausdruck einer Vielzahl sich überschneidender und durchaus gegenläufiger Identifikationen und Abgrenzungen mit anderen Menschen, Kontexten und symbolischen Bedeutungen, was sowohl bewusste und unbewusste Vorgänge umschließt“ (Bereswill 2006b: 53). Unterscheidung zwischen Handlungsmustern, kulturellen Deutungsmustern und dem biografischen Eigensinn von Menschen (vgl. Bereswill 2014)
2. Doing violence – doing masculinity? Täter-Opfer-Ambivalenzen Donald: Da hätt ich beinah ein totgeschlagen I: Hm erzählen Sie mal? Donald: Na ich war nich allene zu dritt ja zu dritt warn wer zu dritt und zwe Weiber […] und [er] is dann auf ne Tussi von mir los und ich dann hinterher hab den dann kalt gemacht also flach gelegt auf'n Fußboden […] ich war in dem Moment so sauer hab immer drauf eingetreten wie so ne Wildsau und dann is nen Kumpel noch mit druff gekommen und der dann och noch und dann hat der da unten gelegen und dann is von allen Seiten Blaulicht gekommen und weg (I: Hm) Kumpel hat sich dann noch um den nen bisschen gekümmert der hat zum Glück kene Anzeige gemacht [...] hätt ich och doof dagestanden (I: Hm) dreifacher Raub versuchter Totschlag.
2. Doing violence – doing masculinity? Täter-Opfer-Ambivalenzen Gewalt ist aus seiner Sicht selbstverständlich und legitim Sie wird mit dem Angriff einer Frau legitimiert, die er verteidigt In der Erzählung geht es um die Demonstration von Stärke und Stolz; es geht um Wettbewerb und Vergemeinschaftung (vgl. Neuber 2011)
2. Doing violence – doing masculinity? Täter-Opfer-Ambivalenzen Ist der in der geschlechtertheoretischen Diskussion angenommene Zusammenhang von Männlichkeit und Gewalt tatsächlich so eindeutig? Was wird hier unter Umständen ausgeblendet? Wie können wir besser in den Blick bekommen, welche Rolle Gewalt in den Biografien von Frauen und Männern spielt und was das mit Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit zu tun hat?
2. Doing violence – doing masculinity? Täter-Opfer-Ambivalenzen Donald: Da hätt ich beinah ein totgeschlagen I: Hm erzählen Sie mal? Donald: Na ich war nich allene zu dritt ja zu dritt warn wer zu dritt und zwe Weiber […] und [er] is dann auf ne Tussi von mir los und ich dann hinterher hab den dann kalt gemacht also flach gelegt auf'n Fußboden […] ich war in dem Moment so sauer hab immer drauf eingetreten wie so ne Wildsau und dann is nen Kumpel noch mit druff gekommen und der dann och noch und dann hat der da unten gelegen und dann is von allen Seiten Blaulicht gekommen und weg (I: Hm) Kumpel hat sich dann noch um den nen bisschen gekümmert der hat zum Glück kene Anzeige gemacht [...] hätt ich och doof dagestanden (I: Hm) dreifacher Raub versuchter Totschlag.
2. Doing violence – doing masculinity? Täter-Opfer-Ambivalenzen These: Die Demonstration von Stärke und die Überbetonung als Täter gehen mit der Abwehr von Schwäche einher Es werden Machtphantasien in den Erzählungen sichtbar Demonstration von Stärke und Abwehr von Schwäche Erfahrungen von Ohnmacht? Die subjektive Bedeutung von Gewalt gewinnt im Kontext von biografischen Erfahrungen ihren Sinn und ist mehr als die Darstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit (vgl. Neuber 2011)
3. Ausblick Stärke einer konstruktionstheoretischen Perspektive Der Zugang ist hilfreich, um die eigenen Vorannahmen zu reflektieren und immer wieder hin- und herzuwandern zwischen der konkreten Arbeit mit jungen Männern (und jungen Frauen) im Feld von Abweichung und sozialer Kontrolle und den eigenen und feldspezifischen Zuschreibungen von Geschlecht.
3. Ausblick „Die Ambivalenz von Gewalt, die Angst, die mit der eigenen Verletzungsoffenheit verbunden ist, droht somit einmal mehr verdrängt zu werden.“ (Bereswill 2006a: 246)
3. Ausblick Es fehlen Forschungen zu Gewaltprävention sowie sozialpädagogischen und therapeutischen Interventionsformen aus geschlechtertheoretischer Perspektive Erwerb von Konfliktfähigkeit und Ambivalenztoleranz Es müssten daher Ansätze identifiziert und entwickelt werden, die es jungen Männern erlauben, ihre Verletzungsoffenheit und ihre Opfererfahrungen zur Sprache zu bringen. (Bereswill 2009a & Silkenbeumer 2011: 334)
Verwendete Literatur Bereswill, Mechthild (2006b): Autonomiekonflikte junger Männer. Biographische Studien zur Beziehung zwischen Abhängigkeit und Geschlecht. In: Jacob, Jutta und Heino Stöver (Hg.): MannSuchtMännlichkeiten – Sucht und Männlichkeiten in Theorie und Praxis in der Schriftenreihe „Studien interdisziplinäre Geschlechterforschung“. Wiesbaden, S.51-67. Bereswill, Mechthild (2009a): Adoleszenz, Devianz und Geschlecht. Sozialwissenschaftliche Befunde und präventionspolitische Perspektiven. Expertise zu „Jugend: Pro- und Dissozialität. Welche Rolle spielt die Geschlechteridentität für das Gelingen von Präventionspolitik. Verfasst im Auftrag des Landtages Nordrhein-Westfalen, Enquetekommission III. Bereswill, Mechthild (2009b): Offensichtliche Unterschiede – verdeckte Hintergründe. Abweichendes Verhalten aus der Perspektive der Geschlechterforschung. In: Schweer, Martin K.W. (Hg.): Sex and Gender. Interdisziplinäre Beiträge zu einer gesellschaftlichen Konstruktion. Frankfurt am Main, Berlin, New York, Oxford, Wien, S. 9-22. Bereswill, Mechthild (2014): Geschlecht als Konfliktkategorie, in: C. Behnke, D. Lengersdorf & S. Scholz (eds.), Wissen – Methode – Geschlecht: Erfassen des fraglos Gegebenen. Wiesbaden, pp. 189–199.
Verwendete Literatur Connell, Robert W. (1999): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Opladen: Leske + Budrich. Kersten, Anne (2012a): Geschlecht im öffentlichen Opferhilfe-Diskurs der Schweiz. In Josef Estermann (Hrsg.), Der Kampf ums Recht. Akteure und Interessen im Blick der interdisziplinären Rechtsforschung. Beiträge zum zweiten Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologischen Vereinigung, Wien 2011 (S. 173-189). Wien: LIT Verlag. Kersten, Anne (2012b): Männlichkeit und Opferstatus im öffentlichen Opferhilfe-Diskurs der Schweiz. Vortrag auf der 8. Fachtagung AIM Gender, 29.-30.06.2012, Stuttgart- Hohenheim, unveröffentlichtes Vortragspapier. [Elektronische Ressource] Verfügbar unter: http://www.fk12.tu-dort-mund.de/cms/ISO/de/soziologie/soziologie_der_geschlech- terverhaeltnisse/Medienpool/AIM_8_Tagung/Kersten_Maennlichkeit_und_Opferstatus.pdf Kersten, Joachim (1995): Junge Männer und Gewalt. Neue Kriminalpolitik, 22-27. Kersten, J. (1997a): Gut und Geschlecht, Berlin. Kersten, J. (1997b): Risiken und Nebenwirkungen: Gewaltorientierung und die Bewerkstelligung von ‚Männlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘ bei Jugendlichen der underclass, in: Kriminologisches Journal, Beiheft 6, 103-114.
Verwendete Literatur Lenz, Hans-Joachim (2002): Mann oder Opfer? Kritische Männerforschung zwischen Verstrickung in herrschende Verhältnisse und einer neuen Erkenntnisperspektive. Eine Einführung ins Thema. In Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Mann oder Opfer? Dokumentation einer Fachtagung der Heinrich Böll Stiftung und des „Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse“ am 12./13. Oktober 2001 in Berlin (S. 24-46). Berlin: Schriften zur Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung Nr. 4. Messerschmidt, James W. (2000): Nine Lives. Adolescent Masculinities, the Body, and Violence. Cumnor Hill: Westview Press. Meuser, Michael (1999): Gewalt, hegemoniale Männlichkeit und „doing masculinity“. In: Smaus, Gerlinde; Löschper, Gaby (Hg.): Kriminologisches Journal, 7. Beiheft: Das Patriarchat und die Kriminologie, S. 49-65. Meuser, Michael (2003): Gewalt als Modus von Distinktion und Vergemeinschaftung. Zur ordnungsbildenden Funktion männlicher Gewalt. In Siegfried Lamnek & Manuela Boatcặ (Hrsg.), Geschlecht Gewalt Gesellschaft (S. 37-54) Opladen: Leske + Budrich. Neuber, Anke (2008): Gewalt und Männlichkeit bei inhaftierten Jugendlichen. In Jens Luedtke; Nina Baur (Hrsg.), Die soziale Konstruktion von Männlichkeit. Hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland (S. 201-221). Opladen; Farmington Hills: Barbara Budrich Verlag.
Verwendete Literatur Neuber, Anke (2009): Die Demonstration kein Opfer zu sein. Biographische Fallstudien zu Gewalt und Männlichkeitskonflikten. Interdisziplinäre Beiträge zur kriminologischen Forschung, Band 35. Baden-Baden: Nomos. Neuber, Anke (2011): Same, same but different? Methodologische Überlegungen zum Verhältnis von Gewalt und Geschlecht. sozialer sinn 12: S. 3-27. Owen, Julie M. (1995): Women-talk and men-talk: Defining and resisting victim status. In R. Emerson Dobash; Russell P. Dobash & Lesley Noaks (eds.), Gender and Crime (S. 246-268). Cardiff: University of Wales Press. Silkenbeumer Mirja (2011): Gewalt von Mädchen: Warum Gewalt kein Geschlecht hat und geschlechtsgezogenes Fallverstehen herausfordert. In: Deegener, Günther; Körner, Wil- helm (Hg.): Aggression und Gewalt im Kindes- und Jugendalter. Weinheim, S. 318-335. Stanko, Eliszabeth A. & Hobdell, Kathy (1993): Assault on Men. Masculinity and Male Victimization. British Journal of Criminology, 33, (3): 400-415.
Sie können auch lesen