Weibliche Regimentschefs und Heldenjungfrauen - Thomas Weißbrich
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KultGeP Colloquien 2 (2016) Thomas Weißbrich Weibliche Regimentschefs und Heldenjungfrauen. Frauen, Uniformen und Militär im Königreich Preußen Abstract In der gemeinhin als frauenfrei geltenden königlich preußischen Armee waren gelegentlich sehr wohl Frauen anzutreffen, zum Teil versteckt handelnd, zum Teil in offiziellrepräsentativer Funktion. Der folgende Beitrag untersucht erstmals diese beiden Phänomene in der Doppelperspektive: die Frauen aus der Bevölkerung, die als Mann verkleidet in die Armee eintraten und in Mannschaftsrängen Kriegsdienst leisteten, sowie die Frauen, die zum Haus Hohenzollern gehörten und von den Herrschern zu Regimentschefs ernannt wurden. Während das Transvestieren, also das Einnehmen der Rolle eines anderen Geschlechts mittels Kleidung, das Forschungsinteresse vor allem der Gender Studies bereits mehrfach auf sich gezogen hat, ist das höfischmilitärische Ehrenamt adeliger Damen – eine preußische Erfindung – bislang vergleichsweise selten betrachtet worden. Dabei verliefen beide Entwicklungen weitgehend parallel. An Akteurinnen aus beiden Bereichen, unter ihnen Anna Sophia Dettloff und Eleonora Prochaska sowie Königin Luise und Prinzessin Victoria Luise, werden die Motive der Frauen und ihre Handlungsräume sowie die zeitgenössischen und historiografischen Deutungen der Phänomene umrissen. "Herr Lieutenant, ich bin ein Mädchen!" Mit diesem dramatischen, von einem Geschichtsschreiber vermutlich frei erfundenen, in der borussischen Historiografie über die Befreiungskriege jedenfalls oft kolportierten Ausruf soll Eleonore Prochaska, nachdem sie in der Schlacht bei Dennewitz am 16. September 1813 ein Schuss getroffen hatte, ihre wahre Identität preisgegeben haben.1 Die junge Frau hatte sich, so viel steht fest, als Mann ausgegeben, war in die preußische Armee eingetreten, kämpfte gegen die französischen Truppen und fiel. Das alles scheint zunächst nicht zu den geläufigen Vorstellungen vom Militär zu passen. Das preußische Heer war, wie die anderen europäischen Armeen, Macht und Herrschaftsfaktor und oft das letzte Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen. Dabei beeinflusste es, zusammen mit anderen sozialen und ideologischen Faktoren, auch nachhaltig die Konstruktion von Geschlechterrollen, die dem Mann aktiv kreative Eigenschaften zuschrieb, der Frau, gegengleich, passivrezeptive. 2 Diese gesellschaftlichen Rollen 1 * Die bei der Tagung vorgetragenen Überlegungen flossen zum Teil schon in den Aufsatz des Autors im Begleitband zur Ausstellung FRAUENSACHE ein. Vgl. Thomas Weißbrich: Die Königin in Uniform. Preußens weibliche Regimentschefs 1806 bis 1919, in: FRAUENSACHE. Wie Brandenburg Preußen wurde, hg. von der Generaldirektion der Preußischen Stiftung Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg, Ausstellung, Berlin, Schloss Charlottenburg, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg, 2015, Dresden 2015, 240251. Vgl. Susanne GöttingNilius / Marc Bastet: Eleonore Prochaska, gestorben 1813 in Dannenberg. Fakten, Mythen, Rezeptionsgeschichte, Gifkendorf 2014, 38f. – Seinen historiografischen Ursprung hat Prochaskas Ausruf bei Friedrich Christoph Förster: Preussens Helden im Krieg und Frieden. Eine Geschichte Preussens seit dem großen Kurfürsten bis zum Ende der Freiheitskriege, Bd. 5 (Die Befreiungskriege 1813, 1814, 1815, Bd. 1), Berlin 1856, 859. 2 Vgl. Karen Hagemann: Heldenmütter, Kriegerbräute und Amazonen. Entwürfe "patriotischer" Weiblichkeit zur Zeit der Freiheitskriege, in: Ute Frevert (Hg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert (Industrielle Welt, Bd. 58), Stuttgart 1997, 174200, hier: 196199. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
schlugen sich in Verhaltens und Umgangsweisen, in beruflichen Tätigkeiten und rechtlichen Auffassungen nieder. Im Königreich Preußen kam zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Vorstellung vom "Staatsbürger" als "Nationalkrieger" auf und die allgemeine Wehrpflicht machte das Heer zur "Schule der Nation". 3 Die Verbindung von Wehrpflicht und staatsbürgerlichen Rechten schloss Frauen von politischer Partizipation weitgehend aus. Dieser Ordnung der Geschlechter verlieh die Kleidung Sichtbarkeit. Die militärische Uniform galt als besonderer Ausdruck männlicher Stärke und sogenannter preußischer Tugenden wie Tapferkeit, Gehorsam und Pflichtbewusstsein.4 Doch konnte die strenge geschlechtsspezifische Kleiderordnung auch aufgebrochen werden: durch das, modern formuliert, cross dressing, durch den Tausch der Kleider.5 Seit der Frühen Neuzeit gab es immer wieder Frauen, die sich als Mann verkleideten und so zu Soldaten wurden. Dies änderte allerdings nichts an dem grundsätzlichen Umstand, dass das Militär ein quasi "frauenfreier Raum" war und blieb.6 Während Frauen, die Soldatenuniformen trugen, direkt am militärischen Leben teilnahmen und im Fall ihrer Entdeckung Fragen nach der Geschlechterordnung aufwarfen, wiesen Preußens Könige manchen adeligen Damen gänzlich andere Funktionen im Heer zu. Sie ernannten Königinnen, Prinzessinnen und Herzoginnen zu Regimentschefs und gaben ihnen damit repräsentative 3 Vgl. Karen Hagemann: Der "Bürger" als "Nationalkrieger". Entwürfe von Militär, Nation und Männlichkeit in der Zeit der Freiheitskriege, in: Dies. / Ralf Pröve (Hg.): Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel (Geschichte und Geschlechter, Bd. 26), Frankfurt am Main / New York 1998, 74102, hier: 8789. 4 Vgl. Elisabeth HackspielMikosch: Stärke, Macht und Eleganz – Die Uniform als Symbol eines neuen Ideals von Männlichkeit, in: Nach Rang und Stand. Deutsche Ziviluniformen im 19. Jahrhundert, hg. von der Stadt Krefeld, Deutsches Textilmuseum, Ausstellung, Deutsches Textilmuseum, 2002, Krefeld 2002, 1527, hier: 2022. 5 Zum Phänomen des weiblichen Transvestismus liegen zahlreiche Untersuchungen, besonders aus dem Forschungsgebiet der Gender Studies, vor. Vgl. zum Beispiel Rudolf Dekker / Lotte van de Pol: Frauen in Männerkleidern. Weibliche Transvestiten und ihre Geschichte, Berlin 2012; Helen WanatabeO'Kelly: Beauty or Beast? The Woman Warrior in the German Imagination from the Renaissance to the Present, Oxford 2010; Elisabeth Kimmer: In the Company of Men. Crossdressed Women around 1800, Detroit 2004; Rudolf Dekker / Lotte van de Pol: Republican Heroines. Cross dressing Women in the French Revolutionary Armies, in: History of European Ideas 10 (1989), 353363; Julie Wheelwright: Amazons and Military Maids. Woman Who dressed as Men in the Pursuit of Life, Liberty and Happiness, London 1989. 6 Dirk Alexander Reder: "… aus reiner Liebe für Gott, für den König und das Vaterland." Die "patriotischen Frauenvereine" in den Freiheitskriegen von 18131815, in: Karen Hagemann / Ralf Pröve (Hg.): Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel (Geschichte und Geschlechter, Bd. 26), Frankfurt am Main / New York 1998, 199222, hier: 201. – Vgl. den Forschungsüberblick in Jutta Nowosadtko, Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte (Historische Einführungen, Bd. 6), Tübingen 2002, 221230; Karen Hagemann: Venus und Mars. Reflexionen zu einer Geschlechtergeschichte von Militär und Krieg, in: Dies. / Ralf Pröve (Hg.): Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel (Geschichte und Geschlechter, Bd. 26), Frankfurt am Main / New York 1998, 1348 sowie den Tagungsband Klaus Latzel / Franka Maubach / Silke Satjukow (Hg.): Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Krieg vom Mittelalter bis heute (Krieg in der Geschichte, Bd. 60), Paderborn 2011. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
Ehrenstellungen.7 Im Folgenden werden diese beiden Phänomene, die die königlich preußische Armee von ihrem Entstehen bis zu ihrem Untergang begleiteten, in ihrer geschichtlichen Erscheinung und Entwicklung parallel betrachtet.8 Hierbei wird zum einen der Frage nachgegangen, in welchen Situationen sich den Frauen neue Handlungsräume eröffneten und wie diese beschaffen waren, und zum anderen der Frage, wie die Akteurinnen ihr Handeln begründeten und wie ihre männlichen Zeitgenossen es deuteten. Überlebensgemeinschaften und stehendes Heer Seit dem Mittelalter begleiteten ungezählte Frauen die Söldnerheere auf den Feldzügen kreuz und quer durch die Lande und bildeten mit Männern zusammen, vor allem während des Dreißigjährigen Krieges, Arbeits und Überlebensgemeinschaften.9 Die Aufgaben, die ihnen hierbei zufielen, unterschieden sich nur wenig von denen des zivilen Lebens: Frauen waren für die Verpflegung, Haushaltsführung und Kindererziehung zuständig und sorgten für Kranke und Verletzte.10 An den unmittelbaren Kampfhandlungen hatten sie keinen aktiven Anteil, griffen jedoch auch bei Plünderungen zu oder konnten, wenn der Tross in die Hände der Gegner fiel, zu Opfern von Raub, Vergewaltigung und Mord werden. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in der sich das Militär europaweit grundlegend wandelte, änderten sich diese Verhältnisse.11 Aus den im Bedarfsfall angeworbenen, sich selbst versorgenden und 7 Abgesehen vom deutschen Kaiserreich gab es in Europa zum Ende des 19. Jahrhunderts und zum Beginn des 20. Jahrhunderts weibliche Regimentschefs im russischen Zarenreich und im Königreich Rumänien. Zu den weiblichen Regimentschefs in Deutschland vgl. Wolfgang Klepzig: Die weiblichen Chefs bzw. Inhaber von Truppenteilen des deutschen Heeres mit Stand 1914, in: Zeitschrift für Heereskunde 453 (2014), 126133 u. Zeitschrift für Heereskunde 455 (2015), 3032; Reinhold RedlinFluri: Die weiblichen Regimentschefs und Inhaber der deutschen Armee, in: Zeitschrift für Heereskunde 40 (1976), 102106, 197; Klaus Schlegel: Weibliche Regimentschefs der deutschen Armee, in: Zeitschrift für Heereskunde 32 (1968), 111118. 8 Im Folgenden werden nicht die Beispiele von Frauen erörtert, die als Stadt oder Festungsverteidigerinnen in Erscheinung traten oder sich in aufständischen Bewegungen und Revolutionen engagierten, sondern um Frauen, die in eine militärische Organisation, der preußischen Armee, eingebunden waren. Vgl. Marian Füssel: Frauen in der Schlacht? Weibliche Soldaten im 17. und 18. Jahrhundert zwischen Dissimulation und Sensation, in: Klaus Latzel / Franka Maubach / Silke Satjukow (Hg.): Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Krieg vom Mittelalter bis heute (Krieg in der Geschichte, Bd. 60), Paderborn 2011, 159178, hier: 160. 9 Vgl. Bernhard R. Kroener: "… und ist der jammer nit zu beschreiben." Geschlechterbeziehungen und Überlebensstrategien in der Lagergesellschaft des Dreißigjährigen Krieges, in: Karen Hagemann / Ralf Pröve (Hg.): Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel (Geschichte und Geschlechter, Bd. 26), Frankfurt am Main / New York 1998, 279296. 10 Vgl. John A. Lynn: Essential women, necessary wives, and exemplary soldiers: The military reality and cultural representation of woman's military participation (16001815), in: Barton C. Hacker / Margaret Vining (Hg.): A Companion to Women's Military History (History of Warfare, Bd. 74), Leiden / Boston 2012, 93135. 11 Vgl. Jürgen Luh: Kriegskunst in Europa 16501800, Köln / Weimar / Wien 2004. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
nach Erfüllung der Aufgaben entlassenen Söldnerheeren wurden stehende, dauerhaft eingerichtete Armeen, die der staatlichen Kontrolle unterlagen; es entstanden Garnisonen, Kasernen und Magazine. 12 Diese Veränderungen lieferten der Obrigkeit die Gründe, um immer weniger Frauen die Teilnahme an Feldzügen zu erlauben. Eine für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Stellung im Heer hatte Kurfürstin Dorothea, die zweite Gemahlin Friedrich Wilhelms von Brandenburg: 1676, im NiederländischFranzösischen Krieg, ernannte der Kurfürst seine Frau zur Inhaberin des neu aufgestellten "LeibRegiments zu Fuß". Chef eines Regiments zu sein, war ein Ehrenamt.13 Die Aufgaben waren vornehmlich repräsentativer Natur, die tatsächliche Führung der Truppe oblag einem Kommandeur. Verliehen wurde eine solche Stelle stets vom Herrscher, der dadurch seine Gunst ausdrückte, den Beliehenen aber auch in die Pflicht nahm – was die männlichen Familienmitglieder, Verwandte und dem Herrscherhaus Nahestehende für diese Position prädestinierte. Schon vor 1676 hatte Dorothea ihren Mann nicht nur auf seinen diplomatischen Reisen begleitet, sondern auch auf militärischen Unternehmungen (Abb. 1). Die Kurfürstin habe sich, so fasst es ein Chronist zusammen, weder durch "die Weite noch die Unbequemlichkeit des Weges so wol zu Lande als zu Wasser / noch auch die strengeste WintersZeit […] abhalten lassen / Sr. Churfürstl. Durchl. welcher aller HeerZüge Führer gewesen / in dero Expeditionen […] und […] Belägerungen zu folgen / und gemeine Gefahr / Mühe und Ungelegenheit mit deroselben auszustehen" – ein Verhalten, das man damals als Ausweis von besonderer Liebe und Treue deutete.14 12 Vgl. Beate Engelen: Soldatenfrauen in Preußen. Eine Strukturanalyse der Garnisonsgesellschaft im späten 17. und im 18. Jahrhundert (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit, Bd. 7), Münster 2005. 13 Walter Transfeldt: Wort und Brauch in Heer und Flotte. 9., überarb. Aufl., hg. von HansPeter Stein, Stuttgart 1986, 142f. 14 Anton Brunsen: Symbolum Pietatis, Denck oder WahlSpruch Der […] Frauen Dorothea / Marggräfin und Churfürstin zu Brandenburg […] Bey Dero ChurFürstlichen Beysetzung am 12. Septembr. 1689. […] in der ordentlichen Leich Predigt erkläret, Cölln an der Spree 1690, 72. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
Abb. 1: Dorothea von HolsteinGlücksburg bei ihrem Mann Friedrich Wilhelm von Brandenburg in der Batterie vor Anklam, Friedrich Georg Weitsch, 1800, Öl auf Leinwand, 116 × 161 cm, SPSG, GK I 5142. Foto: SPSG, DIZ/Fotothek, Jörg P. Anders Eine Herrscherin als Regimentschef war im Europa des ausgehenden 17. Jahrhunderts ein Novum. 15 Möglicherweise beabsichtigte Kurfürst Friedrich Wilhelm jedoch gar nicht, seine zweite Frau auf diese besondere Art auszuzeichnen, sondern sie lediglich als Platzhalterin für ihre gemeinsamen Söhne einzusetzen.16 Für öffentlichkeitswirksame Zwecke wurde ihre Sonderstellung nicht genutzt. Unbekannt ist, ob sie als Regimentschef bestimmte Kleidungsstücke oder spezielle Accessoires trug oder ob es eine besondere Inszenierung gab. Auch die Künstler, die in ihren Werken gerne die Gegenwart in Bezug zur griechischrömischen Mythologie und Historie und zur Bibel setzten, nutzen in ihren Darstellungen Kurfürstin Dorotheas nicht das zur Verfügung stehende Repertoire.17 Während sich beispielsweise Königin Christina von Schweden, die als 18jährige die Regierung über das Land im Dreißigjährigen Krieg übernommen hatte, als Amazonenkönigin oder Minerva inszenieren ließ, wurde Kurfürstin Dorothea nicht in vergleichbarer Weise dargestellt.18 Mit ihrem Tod im Jahre 1690 verschwand in Kurbrandenburg der mit einer Herrscherin besetzte Posten des Regimentschef. 15 Eduard Lange: Die Soldaten Friedrich's des Grossen, Leipzig 1853, 44. 16 Friedrich Wilhelms Söhne aus erster Ehe waren zu dieser Zeit bereits Regimentschefs. 17 Vgl. zum Beispiel die intensive künstlerische Rezeption des AmazonenMythos in der Renaissance und im Barock: Herbert Hunger: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie mit Hinweisen auf das Fortwirken antiker Stoffe und Motive in der bildenden Kunst, Literatur und Musik des Abendlandes bis zur Gegenwart, 6. Aufl., Reinbek bei Hamburg 1974, 2932. 18 Zur Darstellung der schwedischen Königin Christina siehe Helen WatanabeO'Kelly: Amazonen in der sozialen und ästhetischen Praxis, in: Kirsten Dickhaut / Jörn Steigerwald / Birgit Wagner (Hg.): Soziale und ästhetische Praxis in der höfischen FestKultur im 16. und 17. Jahrhundert (culturae, Bd. 1), Wiesbaden 2009, 127148, hier: 137140. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
Porträts in Uniform und Transvestie In dem jungen, seit 1701 bestehenden Königreich Preußen baute Friedrich Wilhelm I., der militäraffine, doch kriegsscheue "Soldatenkönig", eine große Armee auf und schuf damit eine wichtige Grundlage für die spätere Machtstellung des Landes. Unter seiner Regierung etablierte sich das Tragen von Uniformen am Hof. Der Sohn und Thronfolger Friedrich II. nutze die geerbte Militärmacht schon bald zum Führen von Kriegen. In der von ihm bevorzugten Rolle des roiconnétable, des FeldherrnKönigs, ließ er sich auf Herrscherporträts immer wieder in seinem dunkelblauen, mit roten Aufschlägen versehenen Offiziersrock malen, und auch im Kreis der Generäle und Offiziere der preußischen Armee verbreitete sich das Porträt in Uniform (Abb. 2).19 Abb. 2: Ferdinand von BraunschweigWolfenbüttel in Uniform, Joachim Martin Falbe zugeschrieben, um 1755/60, Öl auf Leinwand, 188 × 144 cm, SPSG, GK I 1157. Foto: SPSG, DIZ/Fotothek, Roland Handrick Ihre Verbundenheit mit dem Militär demonstrierten auch die hohenzollerischen Herrscherinnen in Mode und Malerei: Friedrichs Mutter, Königin Sophie Dorothea, und seine Frau, Königin Elisabeth Christine, ließen sich in dunkelblauen Kleidern, deren Borten den schmückenden Stickereien preußischer Offiziersuniformen ähneln, malen. Die Botschaft von der engen Beziehung auch des weiblichen Teils der Hohenzollernfamilie zur Armee, die diese Porträts dem höfischen Publikum vermittelten, dürfte gut verstanden worden sein (Abb. 19 Vgl. Hans Bleckwenn: Altpreußische Offizierporträts. Studien aus dem Nachlaß, hg. von Bernhard Kroener, Osnabrück 2000; Helmut BörschSupan: Friedrich der Große im zeitgenössischen Bild, in: Oswalt Hauser (Hg.): Friedrich der Große in seiner Zeit, Köln 1987, 255270. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
3). Abb. 3: Elisabeth Christine von BraunschweigBevern, Königin von Preußen, Antoine Pesne, 1740/41, Öl auf Leinwand, 140 x 107 cm, Eigentum Haus Hohenzollern, SKH Georg Friedrich Prinz von Preußen, GK I 1027. Foto: SPSG, DIZ/Fotothek, Jörg P. Anders Zur gleichen Zeit gab es jedoch auch direkte weibliche Partizipation am friderizianischen Heer. Aus dem Siebenjährigen Krieg ist einer der ersten Fälle von Transvestie in Preußen bekannt. In der Armee Friedrichs des Großen diente eine Frau, die die reguläre Uniform trug und zusammen mit den Soldaten kämpfte: Anna Sophia Dettloff.20 Die junge, aus einfachen Verhältnissen stammende Frau trat zu Beginn des Krieges in das Heer ein. Für die Anwerbung hatte sie eine neue Identität angenommen; sie trug Männerkleidung und nannte sich Karl Heinrich Buschmann, "wobey ihr männliches Aussehen ihr ungemein sehr zu statten kam".21 Ihre Gestalt dürfte auch das Uniformtragen wesentlich begünstigt haben, denn der Justaucorps war im Bereich des Oberkörpers eng geschnitten.22 Nach erfolgreicher Aufnahme in ein KürassierRegiment nahm Dettloff an mehreren Schlachten teil, so im Jahr 1759 bei Kunersdorf, bekleidet mit Zweispitz, Kolett, Kürass, Hose und Reitstiefeln. Nach vier Jahren gab sie ihre wahre Identität preis, als sie, zu Unrecht des Diebstahls bezichtigt, in Arrest kam. In dieser Situation "ergriff sie halb aus Verzweifelung das Mittel, den 20 Vgl. Füssel: Frauen (wie Anm. 8), 169171. Johann Wilhelm Bernhard Hymmen: Zwey Beispiele preußischer Tapferkeit, in: Mannigfaltigkeiten. Eine gemeinnützige 21 Wochenschrift 3 (1772), 649651, hier: 651. Vgl. Daniel Hohrath: Friedrich der Große und die Uniformierung der preußischen Armee vom 1740 bis 1786, 2 Bde., 22 Wien 2011. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
Lieutenant der Kompagnie ihr Geschlecht zu bekennen und um Entlassung ihrer Dienste zuzusuchen". 23 Während unzählige Frauen an Feldzügen im Tross teilgenommen hatten und ihren etablierten Rollen nachgekommen waren, gab es nur relativ wenige Frauen, die wie Dettloff als Soldatinnen kämpften – umso größer war daher die Aufmerksamkeit, die ihnen von Zeitgenossen und späteren Generationen entgegengebracht wurde. Über die Zahl der verkleideten Soldatinnen in den frühneuzeitlichen Armeen kann nur spekuliert werden. Da sich alle unter falschen, männlichen Namen in die Regimentslisten eintrugen, sind nur "entdeckte" Fälle aus Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, England und den Vereinigten Staaten von Amerika bekannt geworden.24 Doch dürfte die Dunkelziffer nicht allzu hoch liegen, da sich das dauerhaft erfolgreiche Verbergen des eigentlichen Geschlechts unter den militärischen Bedingungen äußerst schwierig erwies. Die Gründe und Absichten, die zum cross dressing und Kriegsdienst veranlassten, waren verschieden und ergaben sich oft aus einem Bündel von Motiven.25 Mal war es der Wunsch, an den Vorteilen der männlichen Geschlechterrollen teilzuhaben, mal Abenteuerlust, mal patriotisches Engagement oder wirtschaftliche Erwägungen. Aufklärerische Zeitschriften deuteten den erwähnten Fall der "Pucelle de Pomeranie", der pommerschen Jungfrau. So erkannte ein 1784 in der Rubrik "Erzählungen und Anekdoten" erschienener Artikel in der Zeitschrift "Pommersches Archiv der Wissenschaften und des Geschmaks" als Ursache für Dettloffs Eintritt in die Armee ihr Streben nach Ehre sowie ihr Verlangen, "eine glänzende Rolle in der Welt zu spielen".26 Ihr mehr männliches als weibliches Aussehen habe den Entschluss unterstützt, "den Mann zu spielen, und weit über die Grenze ihres Geschlechts hinaus zu gehen". 27 Ihr Transvestismus galt als Transsexualität: Die militärischen Erfolge der preußischen Armee "gaben ihren jugendlichen Leidenschaften eine gewisse Beimischung von Neid und eine Art von Unzufriedenheit, ein Mädchen und nicht ein Mann geboren zu seyn, mit dem Wunsche, dies Hindernis, welches das Schicksal ihrer Ehrbegierde in den Weg gelegt, durch irgend ein Mittel überwinden zu können".28 23 Anonym: Pucelle de Pomeranie, in: Pommersches Archiv der Wissenschaften und des Geschmaks 2 (1784), 5557, hier: 57. 24 Aus den frühneuzeitlichen Niederlanden sind ungefähr 120 solcher Fälle bekannt. Vgl. Dekker / van de Pol: Frauen (wie Anm. 5). 25 Vgl. Helen WatanabeO'Kelly: "Damals wünschte ich ein Mann zu sein, umb dem Krieg meine Tage nachzuhängen." Frauen als Kriegerinnen im Europa der Frühen Neuzeit, in: Klaus Garber u.a. (Hg.): Erfahrung und Deutung von Krieg und Frieden: Religion – Geschlechter – Natur und Kultur, München 2001, 357368, hier: 365. 26 Anonym: Pucelle (wie Anm. 23), 56. 27 Anonym: Pucelle (wie Anm. 23), 55. 28 Anonym: Pucelle (wie Anm. 23), 55. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
Transvestieren war in den christlich geprägten Gesellschaften Europas seit dem Mittelalter streng verboten, von Transsexualität ganz zu schweigen. Wer die Kleidung des anderen Geschlechts trug, der handelte nicht gottgefällig: "Eine Frau soll nicht Männersachen tragen und ein Mann soll nicht Frauenkleider anziehen; denn wer das tut, der ist dem Herrn, deinem Gott, ein Gräul."29 Doch nicht nur aus dem Alten Testament wurden Verbote abgeleitet. Auch nach dem zeitgenössischen Verständnis der Geschlechterrollen war es nicht vorstellbar, Frauen offiziell zum Militär zuzulassen. So erörterte der Jurist Johann Christian Lünig 1723 die "curieuse Frage", ob Frauen im Krieg als Soldaten zu gebrauchen seien und kam dabei zu dem Schluss, dass es "einer bürgerlichen Gesellschaft höchst nachtheilig seyn, und den Wohlstand verletzten würde, wenn entweder die Männer zu Hause bleiben, und die Weiber in Krieg lauffen, oder beyde zugleich Soldaten abgeben wollten, indeme dadurch die KinderZucht […] vernachlässiget, und die Haußhaltung, welcher vorzustehen der Weiber vornehmstes Amt ist, zu Grunde gehen, und die Unzucht befördert werden würde".30 Und drei Jahre später stellte Hans Friedrich von Fleming in seiner enzyklopädischen Abhandlung über das Heerwesen apodiktisch fest: "Es schicket sich keine WeibesPerson zum Soldaten Diensten." 31 Weibliche Regimentschefs und Heldenjungfrauen An den für lange Zeit unverrückbar festen Vorstellungen von Geschlechterrollen begann sich erst zum Ende des 18. Jahrhunderts etwas zu ändern – jedoch nicht in Preußen, sondern in Frankreich. Die Impulse dazu gab 1789 die Französische Revolution. An den umwälzenden Vorgängen hatten auch zahlreiche Frauen teilgenommen, und diese forderten daraufhin ihre Gleichberechtigung sowie das Recht auf Bewaffnung. Im März 1792 erklärte Pauline Léon, Sprecherin der Pariser Frauen, der Nationalversammlung mit Verweis auf die égalité: "Ja, Waffen sind es, die uns fehlen, und wir möchten Euch um Erlaubnis bitten, uns damit auszustatten […]. Ihr dürft uns nicht zurückweisen, und die Gesellschaft darf uns dieses von der Natur gegebene Recht nicht streitig machen, es sei denn man behauptet, die Deklaration der Rechte habe auf die Frauen keinerlei Anwendung." 32 Im Sinne bürgerlicher Gleichberechtigung forderten auch andere Französinnen das Recht, sich zu bewaffnen 29 5. Mose, 22,5. Johann Christian Lünig: Erörterung der Frage: Ob die Weiber im Kriege als Soldaten zu gebrauchen?, in: Ders.: 30 Corpus Iuris Militaris Des. Heil. Röm. Reichs […], 2 Bde., Leipzig 1723, Bd. 2, 513515, hier: 514. 31 Hans Friedrich von Fleming: Der Vollkommene Teutsche Soldat […], Leipzig 1726, 493. 32 Zitiert nach Ursula Geitner: "Die eigentlichen Enragées ihres Geschlechts." Aufklärung, Französische Revolution und Weiblichkeit, in: Helga Grubitzsch / Hannelore Cyrus / Elke Haarbusch (Hg.): Grenzgängerinnen. Revolutionäre Frauen im 18. und 19. Jahrhundert. Weibliche Wirklichkeit und männliche Phantasien, Düsseldorf 1985, 181217, hier: 205. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
und in die Armee einzutreten.33 Die Frage, welche Uniformen sie tragen würden, blieb undiskutiert. Hatten die verkleideten Soldatinnen bislang aus persönlichen Gründen gehandelt, wurden nun erstmals auch politischemanzipatorische Motive artikuliert. Die französische Nationalversammlung lehnte die Frauenforderungen allerdings strikt ab.34 Die zunächst vom revolutionären, dann vom napoleonischen Frankreich ausgelösten Kriege zerrissen bald ganz Europa. Während sich der seit 1797 regierende preußische König Friedrich Wilhelm III. außenpolitisch um Neutralität bemühte, bezog seine junge Gattin Luise am Hofe klare Position: gegen Napoleon I., den Kaiser der Franzosen. In dieser Zeit des krisenhaften Übergangs von alter ständisch geprägter zu moderner, nationalbewusster Staatlichkeit wurde in Preußen wieder ein weiblicher Regimentschef ernannt. Im März 1806 hatte sich die Lage so zugespitzt, dass eine neutrale Position Preußens unmöglich wurde. Als während einer Parade in Berlin das DragonerRegiment Nr. 5 die Aufmerksamkeit des königlichen Paares auf sich zog, ernannte Friedrich Wilhelm III. seine Gattin Luise kurzerhand zum Chef dieser Einheit, die darauf per allerhöchster Kabinettsorder in "DragonerRegiment der Königin" umbenannt wurde.35 Hinter dem schnellgefassten Entschluss, Luise die durch den Tod des alten Inhabers freigewordene Stelle zu geben, steckte vermutlich Friedrich Wilhelms Versuch, das antinapoleonische Engagement seiner Frau zu unterstützen. Der Handlungsraum, der sich Königin Luise eröffnete, war begrenzt. Sie wurde zwar über alle wichtigen Regimentsangelegenheiten regelmäßig informiert, hatte jedoch keine Befehlsgewalt. Das Prestige ihrer Stelle war indes groß: Zu den repräsentativen Aufgaben gehörte nämlich die öffentlichkeitswirksame Demonstration militärischer Macht, das Abnehmen der Parade. Zu diesem Zwecke wurde zum ersten Mal eine speziell weibliche Uniform angefertigt. Luise ließ sich ein Kleid im Stil der Offiziersuniform ihres Regiments schneidern, in dem sich ihr Modebewusstsein und der "Uniformtick" des Königs niederschlugen.36 Es bestand aus einem eng geschnittenen blauen Spenzer mit karmesinroten Rabatten und Aufschlägen, silbernen Litzen sowie einem farblich dazu passenden Reitrock. Anstelle des von den Offizieren 33 Vgl. Dekker / van de Pol: Heroines (wie Anm. 5), hier: 354. 34 Vgl. Hagemann: Heldenmütter (wie Anm. 2), 197199. Vgl. Heinrich Ravenstein: Historische Darstellung der wichtigsten Ereignisse des KöniglichPreußischen Zweiten 35 Kürassier Regiments (genannt Königin) von dessen Stiftung im Jahre 1717 bis zum Jahre 1820, Berlin 1827, 60f. 36 Vgl. Bärbel Hedinger: Luise. Kleider für die Königin. Mode, Schmuck und Accessoires am preußischen Hof um 1800, hg. von der Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg, Ausstellung, Paretz, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg, 2010, München 2010; Karen Hagemann: "Mannlicher Muth und Teutsche Ehre". Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens (Krieg in der Geschichte, Bd. 8), Paderborn u.a. 2002, 430. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
vorschriftsmäßig getragenen Zweispitzes trug Luise einen schwarzen Hut. So gekleidet, fuhr sie am 18. September 1806 vor dem in den Krieg ziehenden Regiment durch Berlin und ließ es hinter dem Brandenburger Tor an sich vorbeiziehen. Ein weiblicher Regimentschef rief in der Truppe indes nicht nur Begeisterung hervor, sondern auch den Spott des alten Offizierskorps. Für Friedrich August Ludwig von der Marwitz war die Angelegenheit eine "harmlose Weiberfreude".37 Vor allem die französische Presse überzog die Königin mit Hohn. Die napoleonische Propaganda publizierte verschiedene Flugblätter, darunter eines, auf dem sie ihre Truppen mit Worten in den Kampf schickt, die ihr der Teufel ins Ohr flüstert.38 Eine nähere Beziehung zwischen dem Regiment und seinem neuen Chef vermochte sich nicht zu entwickeln, denn nur wenige Monate nach der Verleihung wurde die Einheit in der Schlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 fast vollständig aufgerieben. Nicht mehr in Uniform, sondern in einem modischen Kleid traf Königin Luise im Juli des darauffolgenden Jahres Kaiser Napoleon in Tilsit und bat ihn um milde Friedensbedingungen. Nach dem frühen Tod von Luise 1810 durfte das Regiment den Namen der Königin weiterhin führen. "Der Eindruck", heißt es in der Regimentsgeschichte dazu, "welchen diese Allerhöchste Gnade damals auf das ganze Regiment machte, war ungemein erhebend, und in dieser Stimmung ward der Entschluß feierlich erneuert, unter allen Verhältnissen durch unerschütterliche Treue und, wo sie gefordert werden möchte, auch mit völliger Hingebung, dieses höchsten Namens sich überall würdig zu bezeigen".39 In dieser Reaktion zeigt sich die offenbar enge, emotional und moralisch verpflichtend empfundene Beziehung der Soldaten zur Königin. Der vergebliche Tilsiter Bittgang wurde später zu einem Grundstein für den nationalen Luisenmythos, und auch ihre Rolle als Regimentschef wurde bis ins frühe 20. Jahrhundert immer wieder in Erinnerung gerufen (Abb. 4).40 Und mehr noch: Seit Luise galten alle Königinnen von Preußen als Chef des "Regiments der Königin". 37 Zitiert nach Hedinger: Luise (wie Anm. 36), 172, Kat.Nr. 32. 38 Vgl. Hedinger: Luise (wie Anm. 36), 172175, Kat.Nr. 32. 39 Ravenstein: Darstellung (wie Anm. 35), 92f. 40 Vgl. Günter de Bruyn: Preußens Luise. Vom Entstehen und Vergehen einer Legende, Berlin 2001. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
Abb. 4: "Königin Luise empfängt […] ihr Regiment KöniginDragoner", Richard Knötel, 1896, Chromolithografie, 17,2 x 23,6 cm, DHM, RA 56/4956 . Foto: DHM Doch fast 30 Jahre lang blieb der Posten zunächst vakant. Erst im August 1840 gab es mit Königin Elisabeth wieder einen weiblichen Regimentschef. Als Inhaberin des inzwischen zu Kürassieren gewordenen "Königin"Regiments zeichnete sie sich in den folgenden Jahren durch soziales Engagement aus. Dies war nicht nur Ausweis klassischer Herrschertugenden, sondern galt seit dem Befreiungskrieg auch als Beleg patriotischer Gesinnung.41 Das politische Leben in Preußen war fast frei von Frauen. Die 1813 ausgerufene allgemeine Wehrpflicht begünstigte nämlich nicht nur den weiteren Ausschluss von Frauen aus dem Armeetross, der bereits im späten 17. Jahrhundert eingesetzt hatte. Da die Wehrpflicht den Dienst an der Waffe mit Staatsbürgerrechten koppelte, schloss sie auch Frauen von öffentlichen Aktivitäten weitgehend aus.42 Im Befreiungskrieg engagierte sich die weibliche Bevölkerung oft in "patriotischen Frauenvereinen", die sich um die Ausstattung der neu gebildeten Freiwilligeneinheiten oder um die Versorgung von Verletzten in Lazaretten kümmerten.43 Die überwiegende Mehrheit der Frauen vertrat stillschweigend die Ansicht, dass es sich für sie nicht zieme, "die ehrenvolle und glänzende Bahn der Vertheidiger des Vaterlands zu betreten, und an dem blutigen Kampf für Deutschlands Ehre, Unabhängigkeit und Freiheit unmittelbaren Antheil zu nehmen […]".44 Die im Mai 1813 im "RussischDeutschen Volksblatt" geforderte Aufstellung eines 41 Vgl. Schlegel: Regimentschefs (wie Anm. 7), 112; Hagemann: Heldenmütter (wie Anm. 2), 190. 42 Vgl. Ute Frevert: Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001, 1862. 43 Vgl. Reder: Liebe (wie Anm. 6). 44 Zitiert nach Reder: Liebe (wie Anm. 6), 199. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
"AmazonenHeer[es]" aus jungen, unverheirateten Frauen löste daher eine große Kontroverse aus.45 Die Initiative stieß jedoch überwiegend auf Ablehnung, und König Friedrich Wilhelm III. unterband die Diskussion schließlich. Diesen Vorzeichen zum Trotz kämpften im Befreiungskrieg mehrere als Männer verkleidete Frauen in der preußischen Armee. Von den 23 namentlich bekannt gewordenen erwarb Marie Christine Eleonora Prochaska die wohl größte Berühmtheit.46 Diese Tochter eines invaliden Unteroffiziers aus Potsdam meldete sich im Juni 1813 unter dem Namen August Renz zum "Lützowschen Freikorps". Ihrem Bruder schrieb die 28jährige nach mehreren Wochen: "Nun habe ich Dir noch etwas ganz neues zu erzählen, worüber Du mir aber vorher versprechen mußt, nicht böse zu seyn. Ich bin seit vier Wochen schon Soldat! erstaune nicht, aber schelte auch nicht; Du weißt, daß der Entschluß schon seit Anfang des Krieges meine Brust beherrschte. […] [I]ch war im Innern meiner Seele überzeugt, keine schlechte oder leichtsinnige That zu begehen; denn siehe Spanien oder Tyrol, wie da die Weiber handelten! […] [M]einer Klugheit kannst du trauen, daß ich unerkannt bleibe."47 Ihr Handeln legitimierte Prochaska nicht nur als patriotische Tat, sondern auch durch Verweis auf Vorbilder: In Spanien hatten sich Frauen am 1808 begonnenen Aufstand gegen die napoleonische Herrschaft engagiert, und ebenso beteiligten sich Tirolerinnen 1809 am Kampf gegen die Franzosen. 48 Die wahre Identität des Soldaten Renz blieb mehrere Wochen lang verborgen. Da sich der Lützower Freiwilligenverband zunächst selbst mit Kleidung ausstattete, mag es Prochaska gut gelungen sein, ihr Geschlecht durch entsprechend ausgewählte Stücke zu kaschieren. Ihre Weiblichkeit zu verbergen erforderte Geschicklichkeit, denn die Freikorpssoldaten trugen eine eng anliegende Litewka. 49 Als Prochaska am 16. September 1813 in der Schlacht an der Göhrde eine schwere Verwundung am 45 Vgl. Hagemann: Muth (wie Anm. 36), 390392. 46 Vgl. Hagemann: Muth (wie Anm. 36), 384; Thoralf Rauchfuß: "Doch ich müsste mich schämen, ein Mann zu heissen…" Über verkleidete Kämpferinnen der Befreiungskriege, in: Gerhard Bauer / Gorch Pieken / Matthias Rogg (Hg.): Blutige Romantik. 200 Jahre Befreiungskriege. Essays, Dresden 2013, 148155; Karen Hagemann: 'Heroic Virgins' and 'Bellicose Amazons': Armed Women, the Gender Order and the German Public during and after the AntiNapoleonic Wars, in: European History Quarterly 37 (2007), 507527. 47 Zitiert nach GöttingNilius / Bastet: Prochaska (wie Anm. 1), 22. 48 Vgl. John Lawrence Tone: A Dangerous Amazon: Agustina Zaragoza and the Spanish Revolutionary War, 18081814, in: European History Quarterly 37 (2007), 548561. Die preußische Linieninfanterie trug hingegen einen frackartigen, zugeknöpften Rock. Vgl. Oliver Schmidt: Prussian 49 Regular Infantryman 180815 (Warrior, Bd. 62), Oxford 2003. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
Oberschenkel erlitt, bemerkten die zu Hilfe Eilenden, dass es sich bei ihrem vermeintlichen Kameraden in Wirklichkeit um eine Frau handelte. Am 5. Oktober starb sie, die Beinverletzung war von Wundbrand befallenen worden. Nachdem König Friedrich Wilhelm III. von ihrem Schicksal erfahren hatte, erklärte er "es werde von ihm auf die Erhaltung des ruhmwürdigen Andenkens der für König und Vaterland in den Tod gegangenen Eleonore Prochaska Bedacht genommen werden". 50 Zu solch offiziellen Initiativen kam es jedoch nicht. Die Kriegsberichterstattung hatte die Nachrichten über das "Mädchen" schnell in der Öffentlichkeit verbreitet, und auch das dichterische Interesse richtete sich rasch auf die Soldatin, die zur "Heldin" stilisiert wurde. So veröffentlichte der Hofrat Carl Heun im Dezember 1813 in der "FeldZeitung" ein Gelegenheitsgedicht, in dem er sie als "deutsche Jeanne d'Arc" heroisierte. 51 Die männlichen Zeitgenossen legitimierten Prochaskas Bruch mit den Konventionen mit dem Verweis auf ihre Tapferkeit und Vaterlandsliebe und deuteten so das grundsätzlich Verbotene in ihrem Sinne um. Dabei waren sie stets darauf bedacht, die Einzigartigkeit des Falls hervorzuheben, um Nachahmungstaten zu verhindern. Was ihnen allerdings nicht ganz gelang: Die Bremerin Anna Lühring fühlte sich durch Prochaska inspiriert und trat 1814 in das "Lützowsche Freikorps" ein. Die Erinnerung an die gefallene Eleonora Prochaska wurde im 19. Jahrhundert zum Zweck patriotisch nationalistischer Erziehung wach gehalten, besonders zum 100. Jubiläum des Befreiungskriegs.52 In geschichtlichen Arbeiten fand das "Heldenmädchen" einen festen Platz, und auch zahlreiche Gedichte, Erzählungen und Theaterstücke befassten sich mit ihr. Diese literarischen Verarbeitungen zeigten Prochaska oft nicht als selbständig handelnde junge Frau, sondern als Tochter, die im väterlichen Sinn agiert.53 Viele bildliche Darstellungen fixierten den Moment ihrer Verwundung oder die Entdeckung ihrer Weiblichkeit (Abb. 5). Im Laufe der Jahre entwickelten sich aus den wenigen Fakten viele Fiktionen, etwa die von der Trommlerin, die in der Schlacht den Angriff vorantrug. 54 50 Zitiert nach Förster: Helden (wie Anm. 1), 860. 51 Vgl. Hagemann: Heldenmütter (wie Anm. 2), 196199. 52 Vgl. GöttingNilius / Bastet: Prochaska (wie Anm. 1), 3445. 53 Vgl. Helen WatanabeO'Kelly: Representations of the Heroic Maiden. Eleonore Prochaska in NineteenthCentury German Literature, in: Nigel Harris / Joanne Sayner (Hg.): The Text and its Context. Studies in Modern German Literature and Society. Presented to Ronald Speirs on the Occasion of his 65th Birthday, Oxford u.a. 2008, 315326. 54 Vgl. GöttingNilius / Bastet: Prochaska (wie Anm. 1), 38f. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
Abb. 5: "Eleonore Prohaskaʼs Tod", Wilhelm Lindenschmitt, 1863, Holzstich, 19,7 x 28,4 cm. Foto: bpk Eine bemerkenswerte, in der Erinnerungskultur jedoch weit weniger präsente militärische Karriere absolvierte Sophia Dorothea Friederike Krüger, auch Auguste Friederike Krüger genannt.55 Als die preußische Armee Anfang 1813 in ihrer Heimat warb, nutzte die 23jährige diese Gelegenheit, um als Mann namens August Lübeck in das "Colbergsche InfanterieRegiment" einzutreten. Krüger gelang es, ein halbes Jahr als Mann zu gelten, wenngleich ihre hohe Stimme mehrfach auffiel. 56 In der Schlacht bei Dennewitz am 6. September 1813 wurde sie an Schulter und Fuß verletzt. Bei der Behandlung ihrer Wunden erkannte der Arzt ihr Geschlecht. Wegen der von ihr bewiesenen Tapferkeit vor dem Gegner wurde sie noch während der Schlacht zum Unteroffizier ernannt und später mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse und dem russischen St. GeorgsOrden ausgezeichnet.57 Krüger verbrachte mehrere Wochen in einem Berliner Lazarett, in dem König Friedrich Wilhelm III. sie besuchte. Mit seiner Zustimmung kehrte sie zum Regiment zurück, in dem sie nun offiziell als Frau weiter kämpfte. Dies ist bemerkenswert, denn in der Regel wurden die Soldatinnen nach ihrer Entdeckung schnell aus dem Kriegsdienst entlassen. Dass Krügers Integration in das preußische Militär auf ein gewisses Unbehagen stieß, lässt die Reaktion Ludwig von Borstells erkennen. Der Generalleutnant hielt fest, dass ihre "Annahme als Soldat" zunächst "pflichtgemäß verweigert […] und nur ungern zugebilligt […]" worden sei.58 55 Vgl. Hagemann: Muth (wie Anm. 36), 386388. 56 Vgl. Heinrich Arminius Riemann: Der Unteroffizier im Regimente Colberg Sophia Dorothea Friederike Krüger, Ritter des eisernen Kreuzes und des russ. GeorgenOrdens aus Friedland in MeklenburgStrelitz. Keine Novelle, sondern ein Lebensbild, nach Urkunden gezeichnet, Berlin 1865, 20. 57 Vgl. Riemann: Unteroffizier (wie Anm. 56), 24. 58 Zitiert nach Riemann: Unteroffizier (wie Anm. 56), 38. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
Nach dem Krieg beschloss Krüger, "den Waffenrock alsbald für immer auszuziehen".59 Sie verließ die Armee und heiratete im März 1816 den Unteroffizier Karl Köhler. Ein Schreiben von König Friedrich Wilhelm III. zur Hochzeit enthielt neben Glückwünschen auch die Bemerkung, der Monarch hoffe, "sie möge nun auch den Unteroffizier ganz vergessen, ihrem Manne folgsam sein und das Wort der heiligen Schrift stets vor Augen haben: er soll dein Herr sein".60 Durch die Heirat wurde Krüger in die zivilgesellschaftlich akzeptierte Frauenrolle gedrängt, und so war die gewohnte Ordnung wiederhergestellt. Mit dem Hinweis auf die "Subordination" in der Ehe endet auch das 1817 erschienene Gedicht "Der Unteroffizier Auguste Friederike Krüger" von Friedrich Rückert, dessen Strophen zuvor die durch die Transvestie verursachten Irritationen thematisieren.61 Für die Festigung der bestehenden Verhältnisse und die weitere Bindung der Armee an das Haus Hohenzollern sorgten vor allem die preußischen Herrscher. Sie hielten nicht nur an den Regimentsverleihungen an die Königin fest, sondern vergaben noch mehr dieser Ehrenämter an Frauen. Während die Verleihung des "Königin"Regiments an Königin Elisabeth 1840 Teil der dynastischen Traditionspflege war, waren die nachfolgenden Verleihungen vor allem innenpolitisch motiviert. Am 18. Oktober 1861, dem Tag der Krönung Wilhelms I. und seiner Frau zum neuen preußischen Königspaar, wurde Augusta nämlich nicht nur folgerichtig nächster Chef des "Königin"Regiments, sondern zugleich Chef des neu aufgestellten "Königin Augusta GardeGrenadierRegiment Nr. 4" (Abb. 6). Zudem bekam die Königinwitwe Elisabeth das "Königin Elisabeth GardeGrenadierRegiments Nr. 3" und Kronprinzessin Viktoria das "2. LeibhusarenRegiment" verliehen.62 Diese vier Verleihungen fanden vor dem Hintergrund des sogenannten preußischen Verfassungskonflikts statt, in dem es um die Finanzierung einer Heeresreform und Heeresvergrößerung ging, die zwischen König und Parlament äußerst strittig war.63 Dass die Verleihungen eine Art Bestandsschutz der neuen Einheiten waren, erklärt die Regimentsgeschichte des "Königin Elisabeth GardeGrenadierRegiments": "Wer wollte es nun wagen", lautet die dort aufgeworfene rhetorische Frage, "Regimenter aufzulösen, die einen Königlichen Namen an ihrer Spitze führten?"64 59 Zitiert nach Riemann: Unteroffizier (wie Anm. 56), 44. 60 Zitiert nach Riemann: Unteroffizier (wie Anm. 56), 48. 61 "Dieser Unteroffizier, / Wie ein Mann steht er allhier; / Wenn er seinen Rock zieht aus, / Wird, o weh, ein Mädchen draus, / Und wenn jemand ihn will freyn, / Darf es selbst kein Mädchen seyn. Das sind Wunder Gottes." Friedrich Rückert: Kranz der Zeit, Stuttgart / Tübingen 1817, 95. 62 Vgl. RedlinFluri: Regimentschefs (wie Anm. 7). Vgl. Dierk Walter: Preußische Heeresreformen 18071870. Militärische Innovation und der Mythos der "Roonschen 63 Reform" (Krieg in der Geschichte, Bd. 16), Paderborn u.a. 2003, 390469. 64 Constantin von Altrock: Geschichte des Königin Elisabeth GardeGrenadierRegiments Nr. 3. Von seiner Stiftung 1859 bis zum Jahre 1896, Berlin 1897, 12f. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
Abb. 6: Postkarte "Kaiserin Auguste Victoria auf der Parade", um 1900, 9 x 13,7 cm. Foto: private Sammlung Die weiblichen Regimentschefs erfüllten, neben gelegentlichen Repräsentationsfunktionen, hauptsächlich fürsorglichmütterliche Aufgaben, die dem Rollenbild der Frau entsprachen. Königin Augusta kümmerte sich in den Kasernen nicht nur um Raumschmuck und Blumengärten, sondern "[o]ft erschien sie unangemeldet zur Inspektion […], besichtigte die Küche, kostete vom Mannschaftsessen und sorgte für die genaue Durchführung hygienischer Vorschriften".65 Körperliche Musterung und stolze Uniform Aus den Einigungskriegen von 1864, 1866 und 1870/71 gegen Dänemark, ÖsterreichUngarn und Frankreich sind keine Fälle von als Mann verkleideten und kämpfenden Frauen in der preußischen Armee bekannt. Seit dem Befreiungskrieg hatten sich die Zugangsbedingungen zum Militär verschärft und die Musterung professionalisiert. Ärzte untersuchten und prüften nun die körperliche Tauglichkeit der Wehrpflichtigen, ein Verfahren, dass das Verbergen des Geschlechts nicht mehr zuließ. 66 Doch gerade dieser Ausschluss von Frauen aus der Armee beschäftigte nun zunehmend die männliche Fantasie. Um die Jahrhundertwende erschienen Postkarten mit dem "Zukunftsbild der Infanterie": Sie zeigten die Musterung von Frauen, Frauen beim Einkleiden, Parademarsch, am Querbaum und beim WäscheAppell und führten 65 Schlegel: Regimentschefs (wie Anm. 7), 112. 66 Der Fall von Bertha Weiss, die während des DeutschFranzösischen Krieges im "InfanterieRegiment 'von Horn' (3. Rheinisches) Nr. 29" in Koblenz diente, brachte die Zeitgenossen in Erklärungsnot: "Wie es möglich war, dass sie als Weib in Uniform gesteckt und als aktiver Soldat eingereiht werden konnte, lässt sich nur durch eine weniger peinliche Kontrolle infolge der Kriegswirren und Truppenverschiebungen erklären. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Bertha Weiss unter Mitwisserschaft eines anderen falsche oder gefälschte Papiere benutzte." Magnus Hirschfeld: Die Transvestiten. Eine Untersuchung über den erotischen Verkleidungstrieb mit umfangreichen casuistischen und historischen Material, Berlin 1910, 522. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der CreativeCommonsLizenz NamensnennungKeine kommerzielle NutzungKeine Bearbeitung (CCBYNCND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/byncnd/3.0/de
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