Wie ein Fisch auf dem Trockenen - Markus Heffner

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Wie ein Fisch auf dem Trockenen - Markus Heffner
INTERVIEW · PROFESSOR ANDREAS KNIE

          Wie ein Fisch auf
          dem Trockenen
          Er befasst sich seit vielen Jahren mit dem
          Thema nachhaltige Mobilität, und er lebt
          seine Vision: Ein Gespräch mit Professor
          Andreas Knie über neue Verkehrsmodelle,
          überholte Ansichten und Städte, in denen
          Autos keine große Rolle mehr spielen.
          TEXT MARKUS HEFFNER & MICHAEL OHNEWALD   FOTOS REINER PFISTERER

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Wie ein Fisch auf dem Trockenen - Markus Heffner
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Wie ein Fisch auf dem Trockenen - Markus Heffner
INTERVIEW · PROFESSOR ANDREAS KNIE

                                                     Geschwindigkeit. Wenn das Fahrzeug nicht          gerade auch in Baden-Württemberg. Die Men-
                                                     mehr gebraucht wird, stellt man es an der         schen haben hier nicht umsonst eine grüne
                                                     nächsten Ecke einfach ab, ohne sich noch um       Landesregierung gewählt. Man muss ihnen
                                                     irgendetwas kümmern zu müssen.                    nur finanzierbare Alternativen bereit stellen.
                                                                                                       Dazu müssen sich die Rahmenbedingungen,
                                                     Sieht so die Mobilität der Zukunft aus?           die bisher auf eine fossile Verkehrsstruktur
                                                     Die dringend notwendige Entwicklung geht          ausgelegt sind, grundlegend ändern. Das fängt
                                                     genau in diese Richtung. Die Herausforde-         schon damit an, dass ein Auto als Produktions-
                                                     rungen des Klimawandels und das absehbare         mittel von der Steuer absetzbar ist, etwa über
                                                     Ende des billigen Öls erfordern in den urbanen    die Entfernungspauschale. Das Prinzip bisher
                                                     Zentren der Welt, in denen in naher Zukunft       ist: je mehr Auto ich habe, desto höher ist die
                                                     die meisten Menschen auf diesem Globus le-        Abschreibung. Das geht so natürlich nicht
                                                     ben werden, völlig neue Lösungen und Mobi-        weiter. Eine weitere Stellschraube ist die Park-
                                                     litätskonzepte, die losgelöst sind vom privaten   raumbewirtschaftung. Wenn öffentliche Elek-
                                                     Auto als Fixierbild. Schon in fünf Jahren wird    troautos in der Stadt umsonst geparkt werden
                                                     die Hälfte des geförderten Öls im individuel-     dürfen und der Privatwagen 50 Euro kostet,
                                                     len Verkehr verbrannt. Die völlig ineffiziente    ändert sich die Verkehrssituation schnell.
                                                     Nutzung des privaten Autos wird in den Me-        Vor allem dann, wenn maximal nur noch 50
                                                     tropolen nicht mehr funktionieren. Allein in      Gramm CO2 emittiert werden dürfen.
                                                     Deutschland sind mehr als 48 Millionen Fahr-
 Willkommen in der Autostadt Stuttgart, Herr         zeuge zugelassen. Der Verkehr wächst um           Wovon dann allerdings auch noch die Automo-
 Professor Knie! Wie war die Anreise aus Berlin?     2,5 Prozent im Jahr und damit auch der Anteil     bilhersteller zu überzeugen wären.
 Sehr gut und vor allem reibungslos, vielen          fossiler Brennstoffe. So wird keine Energie-      Deutschland ist nach wie vor ein Autowunder-
 Dank. Ich habe mir direkt vor meiner Woh-           wende möglich sein, die ....                      land mit einer großen Lobby, das ist richtig.
 nung in Kreuzberg das nächste Carsharing-                                                             Die Autoindustrie ist nun mal ein wichtiger
 auto genommen, bin damit zum Flughafen              … ja ohnehin niemand ernsthaft zu wollen          Wirtschaftsfaktor, und es wird seitens der
 gefahren, nach Stuttgart geflogen und mit der       scheint, sofern sie mit Verzicht oder persönli-   Politik sehr darauf geachtet, dass die Rahmen-
 S-Bahn in 20 Minuten in die Innenstadt gefah-       chen Einschränkungen verbunden ist, etwa 20       bedingungen und die Infrastruktur möglichst
 ren. Das schwierigste war, hier in Stuttgart als    Minuten auf die Bahn zu warten.                   optimal sind. Aber auch die Automobilherstel-
 Fußgänger über die Straßen zu kommen.               Es geht doch längst nicht mehr um die Diskus-     ler haben verstanden, dass wir einen Paradig-
                                                     sion, ob man mit dem Auto in die Stadt fährt      menwechsel brauchen. Der chinesische Markt
 Sie haben kein eigenes Auto mehr?                   oder mit der Bahn. Wir brauchen eine ganz         ist für alle Hersteller mit Abstand der größte
 Nein, schon lange nicht mehr. Die Vorstellung       neue, postfossile Mobilitätskultur. Entschei-     geworden, konventionelle Autos lassen sich
 wird auch immer abstruser für mich, ein teu-        dend für die Städte der Zukunft wird sein,        dort aber nur noch bedingt absetzen. Alle gro-
 res Auto zu haben, das man hegen und pflegen        wie wir die sehr knappen Ressourcen Energie,      ßen Konzerne arbeiten daher mit Hochdruck
 muss, für das ständig teure Parkgebühren be-        Raum und Zeit so organisieren, dass wir eine      an neuen Konzepten. Dazu kommt, dass die
 zahlt werden müssen. Ich halte es lieber mit        lebenswerte, funktionsfähige und nachhaltige      Käufer von Neufahrzeugen immer älter wer-
 dem Motto: Nutzen statt besitzen.                   Stadtentwicklung vorantreiben können. Jeder       den. Das Durchschnittsalter eines Daimler-
                                                     will zu seiner Zeit in seinem Raum unterwegs      Neuwagenkäufers liegt zwischenzeitlich bei
 Schränkt Sie das als Vielreisender in Ihrer Mobi-   sein. Dieser Individualverkehr, der ständig       über 56. Das muss man sich mal vorstellen.
 lität nicht zu sehr ein?                            zunimmt, muss sinnvoll organisiert werden.
 Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe in Berlin      Der öffentliche Nahverkehr bleibt dabei eine
 und fast überall auch leicht Zugang zu allen        wichtige Stütze, weil damit ein effizienter
 Verkehrsangeboten, von Carsharing über Call-        Transport möglich ist. Dazu gewinnen vor
 a-Bike, Stadtautos, car2go, DriveNow, Multicity,    den Anforderungen an einen attraktiven und
 Flinkster und diversen Mitfahrmodellen, die ich     nachhaltigen urbanen Verkehr aber vor allem
 ohne viel nachzudenken je nach Situation nut-       elektrische Fahrzeuge ihre eigentliche Bedeu-
 zen kann. Und schließlich gibt es ja auch noch      tung. Sie sind sehr leise, haben einen hohen
 die Bahn, Taxis, U-Bahnen und Busse.                Wirkungsgrad und können in einer intelligen-
                                                     ten Nutzungsform betrieben werden. Leichte,
 Hört sich ganz schön umständlich an, so seine       regenerativ betriebene Elektroautos als „pu-
 Reisen zu organisieren.                             blic cars“ - das ist die Zukunft. Private Autos
 Im Idealfall ist das mit einem Tastendruck          mit einer Reichweite von über 500 Kilometern
 auf dem Handy passiert. Wenn die Vorein-            passen nicht in diese Aufgabenstellung.
 stellungen stimmen und alles richtig vernetzt
 ist, zeigt das Smartphone überall an, wo das        Ein gewagter Befund in der Automobilregion
 nächste freie Elektroauto oder wo ein E-Bike        Deutschlands. Wie wollen Sie den Leuten ihr
 steht. Mit einem weiteren Tastendruck wird          Auto denn ausreden, insbesondere den Schwa-
 alles freigeschaltet, der Mietvertrag abge-         ben ihr heilig‘s Blechle?
 schlossen und abgerechnet, je nach Zeit und         Das ist ein Prozess, der längst begonnen hat,

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Wie ein Fisch auf dem Trockenen - Markus Heffner
Woran liegt das?                                  netzt sind. Das gilt beispielsweise für die IT-    Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren deut-
Jungen Menschen ist das eigene Fahrzeug           Branche, die Telekom mit über 40 Millionen         lich zu verteuern. Nur so ändert sich auch das
nicht mehr so wichtig. Die neuen Statussym-       Kundenkontakten, oder auch Firmen wie              Bewusstsein.
bole sind stattdessen hochwertige Konsum-         Google, Daimler oder die Deutsche Bahn, die
güter. Ein Smartphone beispielsweise hat für      diesen Konzeptweg übrigens schon lange             Der Mensch von Morgen muss also ein neues Um-
diesen Kundenkreis einen viel höheren Stel-       verfolgt. Über die Bahncard 100 sind für ihre      weltbewusstsein zu seinem Lifestyle machen?
lenwert, damit sind die Menschen ja sozusa-       Kunden mit der Flinkster-Leihautoflotte und        Nicht als Attitüde, sondern als eine ganz norma-
gen auch mobil. Die Bedeutung des Autos ist       dem Angebot Call-a-Bike alle Verkehrsmittel        le Sache. Man darf sich, wenn man modern lebt,
auch deshalb gesunken, weil es niemanden          verfügbar. Seit April dieses Jahres fahren die     nicht mehr bewusst an der Ökologie versündi-
mehr von A nach B bringen muss, um Freunde        Bahncardinhaber zudem völlig CO2-frei durch        gen. Es geht darum, das Leben möglichst nach-
zu treffen. Es vermittelt nicht mehr wie früher   die Gegend, weil die Bahn entsprechende Men-       haltig zu organisieren, angefangen beim Verkehr
einmal das Gefühl von Freiheit.                   gen an Grünstrom gekauft hat. Wer dann nach        und der individuellen Mobilität. Der Mensch
                                                  der Zugfahrt noch in einen Elektro-Flinkster       muss Dinge nicht besitzen, um sie zu nutzen. Es
Wie kommen junge Menschen dann von A nach B?      steigt, bewegt sich in einer völlig CO2-freien     soll dabei aber kein bewusstes umweltbewusstes
Sie fahren natürlich immer noch Auto, aber        Verkehrskette. Schon heute!                        Handeln sein, sondern selbstverständlicher Teil
sie kaufen sich keinen Wagen mehr für                                                                einer neuen Lebensphilosophie. [·]
20.000, 35.000 oder 40.000 Euro. Ansonsten        Ist das nicht alles stark idealisiert? Wer außer
sind junge Menschen sehr flexibel und nutzen      Ihnen reist noch so umweltbewusst?
das gesamte Angebot an öffentlichem Verkehr.      Wir können aus unseren Forschungen erken-
Zusätzlich gibt es ja auch noch das Fuhrpark-     nen, dass die Akzeptanz grundsätzlich da ist.
unternehmen namens Familie, angefangen            Die Early Adopters, also die ersten Nutzer sol-
von der Oma über die Eltern bis zu den älte-      cher Angebote, sind so genannte metromobile
ren Geschwistern. Die Versorgung mit Autos        Urbanisten, mehrheitlich gut gebildete Män-
ist umfassend und gemischt, es ist zu jeder       ner mit städtischem Hintergrund und einer
Zeit für jede Gelegenheit etwas da. Und in Bal-   hohen technischen Affinität. Alleinerziehende
lungsräumen wie Stuttgart, München, Berlin,       Mütter und Väter gehören genauso wie Men-
Hamburg und Köln haben das immer dichtere         schen mit geringem Einkommen noch nicht
Netz und die höhere Taktung im öffentlichen       zu den Nutzern, das muss noch besser werden.
Nahverkehr dazu beigetragen, dass junge Leu-
te das Auto nicht vermissen.                      Bis 2020 sollen nach Vorgabe der Bundes-
                                                  regierung eine Million Elektrofahrzeuge auf
Und auf dem Land?                                 deutschen Straßen fahren. Sie selbst prognos-
Nachdem wir jahrzehntelang versucht ha-           tizieren, dass bis zum Jahr 2030 nicht mehr das
ben, in ländlichen Regionen die gleiche Ver-      Auto das Verkehrsmittel sein wird, mit dem in
sorgungsstruktur wie in Ballungsräumen zu         Städten die meisten Wege zurückgelegt wer-         Professor Andreas Knie (Jahrgang 1960) hat
schaffen, werden wir das sowieso wieder auf-      den. Halten Sie diese Vorgaben für realistisch?    viele Professionen: Er ist Politikwissenschaftler am
geben müssen. Heute ziehen die Menschen mit       Das hängt entscheidend von den Rahmenbe-           Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) für Sozialfor-
dem Wissen aufs Land, dass sie mit dem Auto       dingungen ab. Momentan kann man das Elek-          schung, Hochschullehrer an der TU Berlin – und
schnell überall hinkommen und es ohnehin          troauto eher mit einem Fisch auf dem Trocke-       ein viel gefragter Mobilitätsexperte. Unter ande-
auch vor der Haustüre alles gibt. Alles ist für   nen vergleichen. Es ist noch viel zu teuer, und    rem konzipiert er seit 2001 als Bereichsleiter für
das Auto entwickelt worden, auch die ganze        die Infrastruktur, das Netz an Zapfsäulen und      Intermodale Angebote und Geschäftsentwicklung
Freizeitstruktur richtet sich danach. Das wird    Tankstellen, ist viel zu schlecht ausgebaut.       der Deutschen Bahn neue und flexible Verkehrs-
sich alles wieder ändern, und in Ostdeutsch-      Da darf man sich nicht wundern, dass es nur        angebote. Ein Ergebnis seiner Arbeit ist das Fahr-
land ist das in Teilen auch schon vollzogen. Da   in homöopathischen Dosen verkauft wird. Es         radverleihsystem Call-a-Bike der Bahn, an dessen
gibt es viele Regionen ohne jede Versorgung       braucht den politischen Willen und den Mut,        Entwicklung er maßgeblich beteiligt war. Seit dem
und Infrastruktur. In diesen ländlich gepräg-     die Energie- und Verkehrswende wirklich            Jahr 2006 ist er in der Geschäftsführung des In-
ten Wohnräumen werden die Menschen wei-           zu wollen und die Voraussetzungen dafür zu         novationszentrums für Mobilität und gesellschaft-
terhin ein eigenes Fahrzeug haben müssen.         schaffen. Es müssten an jeder Ecke Carsha-         lichen Wandel GmbH (InnoZ). Gesellschafter sind
Dazu gibt es eine ganze Reihe unterschiedli-      ringautos und E-Bikes stehen. Dazu müssen          die Deutsche Bahn AG, T-Systems, das Deutsche
cher Sharingmodelle. In den Städten wird je-      Anreize wie freie Parkplätze geschaffen und        Zentrum für Luft und Raumfahrt und das WZB. Er
des Verkehrsmittel zu Verfügung stehen. Das       die Städte auch baulich dafür verändert wer-       hat zudem zahlreiche Publikationen veröffentlicht,
Smartphone ist der Schlüssel dazu, und man        den. Öffentliche E-Fahrzeuge müssen zum            in denen er für eine Abkehr von einer autonahen
wird gar nicht mehr nachdenken müssen über        neuen Verständnis von Automobilität werden.        Verkehrspolitik und für eine Wende zu mehr Flexi-
ein eigenes Auto, das sozusagen zur Kommune       Dann sind die Zielvorgaben leicht zu errei-        bilität öffentlicher Angebote plädiert. Im Sommer
wird, wie früher Gas, Wasser und Strom. Wo-       chen. Städte wie Kopenhagen, Oslo und auch         2011 kam das Buch „Einfach aufladen: Mit Elektro-
her das kommt, ist letztlich egal.                Stockholm sind uns dabei wieder einmal weit        mobilität in eine saubere Zukunft.“ auf den Markt.
                                                  voraus, weil sie alle verkehrs- und stadtpoli-     Am 7. August 2013 ist das neue Buch „Schlaue Net-
Und wer soll dieser „Stromversorger“ sein, also   tischen Maßnahmen auf die Popularisierung          ze. Wie die Energie- und Verkehrswende gelingt“
dieses Verkehrsangebot organisieren?              eines breiten Verkehrsangebotes ausrichten.        erschienen, das er zusammen mit dem Mobilitäts-
Unternehmen, die ohnehin mit Kunden ver-          Dazu gehört auch den Parkraum für private          forscher Weert Canzler geschrieben hat.

                                                                                                                                               nemo 19
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