Wie ein Fisch auf dem Trockenen - Markus Heffner
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INTERVIEW · PROFESSOR ANDREAS KNIE Wie ein Fisch auf dem Trockenen Er befasst sich seit vielen Jahren mit dem Thema nachhaltige Mobilität, und er lebt seine Vision: Ein Gespräch mit Professor Andreas Knie über neue Verkehrsmodelle, überholte Ansichten und Städte, in denen Autos keine große Rolle mehr spielen. TEXT MARKUS HEFFNER & MICHAEL OHNEWALD FOTOS REINER PFISTERER 16 nemo
INTERVIEW · PROFESSOR ANDREAS KNIE Geschwindigkeit. Wenn das Fahrzeug nicht gerade auch in Baden-Württemberg. Die Men- mehr gebraucht wird, stellt man es an der schen haben hier nicht umsonst eine grüne nächsten Ecke einfach ab, ohne sich noch um Landesregierung gewählt. Man muss ihnen irgendetwas kümmern zu müssen. nur finanzierbare Alternativen bereit stellen. Dazu müssen sich die Rahmenbedingungen, Sieht so die Mobilität der Zukunft aus? die bisher auf eine fossile Verkehrsstruktur Die dringend notwendige Entwicklung geht ausgelegt sind, grundlegend ändern. Das fängt genau in diese Richtung. Die Herausforde- schon damit an, dass ein Auto als Produktions- rungen des Klimawandels und das absehbare mittel von der Steuer absetzbar ist, etwa über Ende des billigen Öls erfordern in den urbanen die Entfernungspauschale. Das Prinzip bisher Zentren der Welt, in denen in naher Zukunft ist: je mehr Auto ich habe, desto höher ist die die meisten Menschen auf diesem Globus le- Abschreibung. Das geht so natürlich nicht ben werden, völlig neue Lösungen und Mobi- weiter. Eine weitere Stellschraube ist die Park- litätskonzepte, die losgelöst sind vom privaten raumbewirtschaftung. Wenn öffentliche Elek- Auto als Fixierbild. Schon in fünf Jahren wird troautos in der Stadt umsonst geparkt werden die Hälfte des geförderten Öls im individuel- dürfen und der Privatwagen 50 Euro kostet, len Verkehr verbrannt. Die völlig ineffiziente ändert sich die Verkehrssituation schnell. Nutzung des privaten Autos wird in den Me- Vor allem dann, wenn maximal nur noch 50 tropolen nicht mehr funktionieren. Allein in Gramm CO2 emittiert werden dürfen. Deutschland sind mehr als 48 Millionen Fahr- Willkommen in der Autostadt Stuttgart, Herr zeuge zugelassen. Der Verkehr wächst um Wovon dann allerdings auch noch die Automo- Professor Knie! Wie war die Anreise aus Berlin? 2,5 Prozent im Jahr und damit auch der Anteil bilhersteller zu überzeugen wären. Sehr gut und vor allem reibungslos, vielen fossiler Brennstoffe. So wird keine Energie- Deutschland ist nach wie vor ein Autowunder- Dank. Ich habe mir direkt vor meiner Woh- wende möglich sein, die .... land mit einer großen Lobby, das ist richtig. nung in Kreuzberg das nächste Carsharing- Die Autoindustrie ist nun mal ein wichtiger auto genommen, bin damit zum Flughafen … ja ohnehin niemand ernsthaft zu wollen Wirtschaftsfaktor, und es wird seitens der gefahren, nach Stuttgart geflogen und mit der scheint, sofern sie mit Verzicht oder persönli- Politik sehr darauf geachtet, dass die Rahmen- S-Bahn in 20 Minuten in die Innenstadt gefah- chen Einschränkungen verbunden ist, etwa 20 bedingungen und die Infrastruktur möglichst ren. Das schwierigste war, hier in Stuttgart als Minuten auf die Bahn zu warten. optimal sind. Aber auch die Automobilherstel- Fußgänger über die Straßen zu kommen. Es geht doch längst nicht mehr um die Diskus- ler haben verstanden, dass wir einen Paradig- sion, ob man mit dem Auto in die Stadt fährt menwechsel brauchen. Der chinesische Markt Sie haben kein eigenes Auto mehr? oder mit der Bahn. Wir brauchen eine ganz ist für alle Hersteller mit Abstand der größte Nein, schon lange nicht mehr. Die Vorstellung neue, postfossile Mobilitätskultur. Entschei- geworden, konventionelle Autos lassen sich wird auch immer abstruser für mich, ein teu- dend für die Städte der Zukunft wird sein, dort aber nur noch bedingt absetzen. Alle gro- res Auto zu haben, das man hegen und pflegen wie wir die sehr knappen Ressourcen Energie, ßen Konzerne arbeiten daher mit Hochdruck muss, für das ständig teure Parkgebühren be- Raum und Zeit so organisieren, dass wir eine an neuen Konzepten. Dazu kommt, dass die zahlt werden müssen. Ich halte es lieber mit lebenswerte, funktionsfähige und nachhaltige Käufer von Neufahrzeugen immer älter wer- dem Motto: Nutzen statt besitzen. Stadtentwicklung vorantreiben können. Jeder den. Das Durchschnittsalter eines Daimler- will zu seiner Zeit in seinem Raum unterwegs Neuwagenkäufers liegt zwischenzeitlich bei Schränkt Sie das als Vielreisender in Ihrer Mobi- sein. Dieser Individualverkehr, der ständig über 56. Das muss man sich mal vorstellen. lität nicht zu sehr ein? zunimmt, muss sinnvoll organisiert werden. Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe in Berlin Der öffentliche Nahverkehr bleibt dabei eine und fast überall auch leicht Zugang zu allen wichtige Stütze, weil damit ein effizienter Verkehrsangeboten, von Carsharing über Call- Transport möglich ist. Dazu gewinnen vor a-Bike, Stadtautos, car2go, DriveNow, Multicity, den Anforderungen an einen attraktiven und Flinkster und diversen Mitfahrmodellen, die ich nachhaltigen urbanen Verkehr aber vor allem ohne viel nachzudenken je nach Situation nut- elektrische Fahrzeuge ihre eigentliche Bedeu- zen kann. Und schließlich gibt es ja auch noch tung. Sie sind sehr leise, haben einen hohen die Bahn, Taxis, U-Bahnen und Busse. Wirkungsgrad und können in einer intelligen- ten Nutzungsform betrieben werden. Leichte, Hört sich ganz schön umständlich an, so seine regenerativ betriebene Elektroautos als „pu- Reisen zu organisieren. blic cars“ - das ist die Zukunft. Private Autos Im Idealfall ist das mit einem Tastendruck mit einer Reichweite von über 500 Kilometern auf dem Handy passiert. Wenn die Vorein- passen nicht in diese Aufgabenstellung. stellungen stimmen und alles richtig vernetzt ist, zeigt das Smartphone überall an, wo das Ein gewagter Befund in der Automobilregion nächste freie Elektroauto oder wo ein E-Bike Deutschlands. Wie wollen Sie den Leuten ihr steht. Mit einem weiteren Tastendruck wird Auto denn ausreden, insbesondere den Schwa- alles freigeschaltet, der Mietvertrag abge- ben ihr heilig‘s Blechle? schlossen und abgerechnet, je nach Zeit und Das ist ein Prozess, der längst begonnen hat, 18 nemo
Woran liegt das? netzt sind. Das gilt beispielsweise für die IT- Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren deut- Jungen Menschen ist das eigene Fahrzeug Branche, die Telekom mit über 40 Millionen lich zu verteuern. Nur so ändert sich auch das nicht mehr so wichtig. Die neuen Statussym- Kundenkontakten, oder auch Firmen wie Bewusstsein. bole sind stattdessen hochwertige Konsum- Google, Daimler oder die Deutsche Bahn, die güter. Ein Smartphone beispielsweise hat für diesen Konzeptweg übrigens schon lange Der Mensch von Morgen muss also ein neues Um- diesen Kundenkreis einen viel höheren Stel- verfolgt. Über die Bahncard 100 sind für ihre weltbewusstsein zu seinem Lifestyle machen? lenwert, damit sind die Menschen ja sozusa- Kunden mit der Flinkster-Leihautoflotte und Nicht als Attitüde, sondern als eine ganz norma- gen auch mobil. Die Bedeutung des Autos ist dem Angebot Call-a-Bike alle Verkehrsmittel le Sache. Man darf sich, wenn man modern lebt, auch deshalb gesunken, weil es niemanden verfügbar. Seit April dieses Jahres fahren die nicht mehr bewusst an der Ökologie versündi- mehr von A nach B bringen muss, um Freunde Bahncardinhaber zudem völlig CO2-frei durch gen. Es geht darum, das Leben möglichst nach- zu treffen. Es vermittelt nicht mehr wie früher die Gegend, weil die Bahn entsprechende Men- haltig zu organisieren, angefangen beim Verkehr einmal das Gefühl von Freiheit. gen an Grünstrom gekauft hat. Wer dann nach und der individuellen Mobilität. Der Mensch der Zugfahrt noch in einen Elektro-Flinkster muss Dinge nicht besitzen, um sie zu nutzen. Es Wie kommen junge Menschen dann von A nach B? steigt, bewegt sich in einer völlig CO2-freien soll dabei aber kein bewusstes umweltbewusstes Sie fahren natürlich immer noch Auto, aber Verkehrskette. Schon heute! Handeln sein, sondern selbstverständlicher Teil sie kaufen sich keinen Wagen mehr für einer neuen Lebensphilosophie. [·] 20.000, 35.000 oder 40.000 Euro. Ansonsten Ist das nicht alles stark idealisiert? Wer außer sind junge Menschen sehr flexibel und nutzen Ihnen reist noch so umweltbewusst? das gesamte Angebot an öffentlichem Verkehr. Wir können aus unseren Forschungen erken- Zusätzlich gibt es ja auch noch das Fuhrpark- nen, dass die Akzeptanz grundsätzlich da ist. unternehmen namens Familie, angefangen Die Early Adopters, also die ersten Nutzer sol- von der Oma über die Eltern bis zu den älte- cher Angebote, sind so genannte metromobile ren Geschwistern. Die Versorgung mit Autos Urbanisten, mehrheitlich gut gebildete Män- ist umfassend und gemischt, es ist zu jeder ner mit städtischem Hintergrund und einer Zeit für jede Gelegenheit etwas da. Und in Bal- hohen technischen Affinität. Alleinerziehende lungsräumen wie Stuttgart, München, Berlin, Mütter und Väter gehören genauso wie Men- Hamburg und Köln haben das immer dichtere schen mit geringem Einkommen noch nicht Netz und die höhere Taktung im öffentlichen zu den Nutzern, das muss noch besser werden. Nahverkehr dazu beigetragen, dass junge Leu- te das Auto nicht vermissen. Bis 2020 sollen nach Vorgabe der Bundes- regierung eine Million Elektrofahrzeuge auf Und auf dem Land? deutschen Straßen fahren. Sie selbst prognos- Nachdem wir jahrzehntelang versucht ha- tizieren, dass bis zum Jahr 2030 nicht mehr das ben, in ländlichen Regionen die gleiche Ver- Auto das Verkehrsmittel sein wird, mit dem in sorgungsstruktur wie in Ballungsräumen zu Städten die meisten Wege zurückgelegt wer- Professor Andreas Knie (Jahrgang 1960) hat schaffen, werden wir das sowieso wieder auf- den. Halten Sie diese Vorgaben für realistisch? viele Professionen: Er ist Politikwissenschaftler am geben müssen. Heute ziehen die Menschen mit Das hängt entscheidend von den Rahmenbe- Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) für Sozialfor- dem Wissen aufs Land, dass sie mit dem Auto dingungen ab. Momentan kann man das Elek- schung, Hochschullehrer an der TU Berlin – und schnell überall hinkommen und es ohnehin troauto eher mit einem Fisch auf dem Trocke- ein viel gefragter Mobilitätsexperte. Unter ande- auch vor der Haustüre alles gibt. Alles ist für nen vergleichen. Es ist noch viel zu teuer, und rem konzipiert er seit 2001 als Bereichsleiter für das Auto entwickelt worden, auch die ganze die Infrastruktur, das Netz an Zapfsäulen und Intermodale Angebote und Geschäftsentwicklung Freizeitstruktur richtet sich danach. Das wird Tankstellen, ist viel zu schlecht ausgebaut. der Deutschen Bahn neue und flexible Verkehrs- sich alles wieder ändern, und in Ostdeutsch- Da darf man sich nicht wundern, dass es nur angebote. Ein Ergebnis seiner Arbeit ist das Fahr- land ist das in Teilen auch schon vollzogen. Da in homöopathischen Dosen verkauft wird. Es radverleihsystem Call-a-Bike der Bahn, an dessen gibt es viele Regionen ohne jede Versorgung braucht den politischen Willen und den Mut, Entwicklung er maßgeblich beteiligt war. Seit dem und Infrastruktur. In diesen ländlich gepräg- die Energie- und Verkehrswende wirklich Jahr 2006 ist er in der Geschäftsführung des In- ten Wohnräumen werden die Menschen wei- zu wollen und die Voraussetzungen dafür zu novationszentrums für Mobilität und gesellschaft- terhin ein eigenes Fahrzeug haben müssen. schaffen. Es müssten an jeder Ecke Carsha- lichen Wandel GmbH (InnoZ). Gesellschafter sind Dazu gibt es eine ganze Reihe unterschiedli- ringautos und E-Bikes stehen. Dazu müssen die Deutsche Bahn AG, T-Systems, das Deutsche cher Sharingmodelle. In den Städten wird je- Anreize wie freie Parkplätze geschaffen und Zentrum für Luft und Raumfahrt und das WZB. Er des Verkehrsmittel zu Verfügung stehen. Das die Städte auch baulich dafür verändert wer- hat zudem zahlreiche Publikationen veröffentlicht, Smartphone ist der Schlüssel dazu, und man den. Öffentliche E-Fahrzeuge müssen zum in denen er für eine Abkehr von einer autonahen wird gar nicht mehr nachdenken müssen über neuen Verständnis von Automobilität werden. Verkehrspolitik und für eine Wende zu mehr Flexi- ein eigenes Auto, das sozusagen zur Kommune Dann sind die Zielvorgaben leicht zu errei- bilität öffentlicher Angebote plädiert. Im Sommer wird, wie früher Gas, Wasser und Strom. Wo- chen. Städte wie Kopenhagen, Oslo und auch 2011 kam das Buch „Einfach aufladen: Mit Elektro- her das kommt, ist letztlich egal. Stockholm sind uns dabei wieder einmal weit mobilität in eine saubere Zukunft.“ auf den Markt. voraus, weil sie alle verkehrs- und stadtpoli- Am 7. August 2013 ist das neue Buch „Schlaue Net- Und wer soll dieser „Stromversorger“ sein, also tischen Maßnahmen auf die Popularisierung ze. Wie die Energie- und Verkehrswende gelingt“ dieses Verkehrsangebot organisieren? eines breiten Verkehrsangebotes ausrichten. erschienen, das er zusammen mit dem Mobilitäts- Unternehmen, die ohnehin mit Kunden ver- Dazu gehört auch den Parkraum für private forscher Weert Canzler geschrieben hat. nemo 19
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