"Alle betreten Neuland" - energy factory St. Gallen
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DAS GESPRÄCH HEIKE BRUCH „Alle betreten Neuland” Heike Bruch, Professorin an der Uni- versität St. Gallen, über ratlose Kapitäne, moderne Führung und den damit ver- bundenen Zwang, Neues zu lernen und Althergebrachtes über Bord zu werfen. von IRIS KUHN-SPOGAT Fotos: Vorname Name / Agentur Foto: Max Riché 80 BILANZ 02 | 2021
THEORIE UND PRAXIS Heike Bruch doziert keine graue Theorie: Sie forscht in der Praxis, fühlt den Puls der Corporate World und berät die Führungsriege. 02 | 2021 BILANZ 81
S DAS GESPRÄCH HEIKE BRUCH Was haben Sie da für ein Rezept? Rezept? Das klingt, als bräuchte es dafür nur ein kleines Tool. Wäre schön, ist aber anspruchsvoller. Wir haben die Massnahmen unter das Motto «(Re-) Energize» gestellt: Es gilt, die Erschöpfung zu über winden und Energie zu mobilisieren. Das erfordert einerseits ein Bündel von Massnahmen, eine zukunfts- gerichtete Roadmap etwa. Neben den richtigen Werkzeugen braucht es aber vor allem auch Führungs- kräfte mit der richtigen Haltung und den richtigen 36 Leadership-Strategien, um ihre Mannschaft durch diese Zeit zu führen. Ich denke hierbei nicht an den «Kapi- tän auf der Brücke», denn jetzt sind offensichtlich moderne Führungsformen gefragt. Aus meiner Sicht Sie sitzt gut gelaunt und morgenfrisch vor einem Prozent der sind New Work und moderne Führung natürlich nicht Green Screen. Der virtuelle Hintergrund besteht aus Führungskräfte erst durch die Pandemie quasi alternativlos geworden. Flipchart-Blättern, die übersät sind mit Post-it-Zetteln, bezweifeln, dass Zahlen, Handnotizen und Leuchtstiftmarkierungen. New Work setzt Loyalität und Liebe zur Firma sie fürs Führen «Das Ergebnis eines Think Tanks zum Thema New voraus, nicht wahr? Das haben diverse Unternehmen gemacht sind. Der Work», erklärt sie. Da wurde 30, 40 Jahre in die Zu- in jüngerer Vergangenheit kaum verdient. Anteil von Selbst- kunft gedacht. Ganz anders im folgenden Gespräch: Das ist teilweise auch das Problem. Der Erfolg von Es dreht sich um das anspruchsvolle Hier und Jetzt. zweiflern ist im New Work ist untrennbar mit «New Culture» ver Topmanagement bunden, wo Aspekte wie eben Vertrauen, Eigenver- Frau Bruch, Energie in Firmen ist eines Ihrer am höchsten. antwortung und Selbstkompetenz zentral sind, aber Forschungsgebiete. Dank der Pandemie erleben Sie auch Topmanager, die das vorleben. Unternehmen, 5 derzeit wohl einen ziemlichen Hype? die es ernst meinen mit New Work, haben eine «neue Unsere Themen Leadership, New Work und Energie Kultur» bereits entwickelt und nun einen riesigen sind derzeit tatsächlich noch relevanter und für viele Vorteil. Ich rate allen, das Thema anzugehen und sich Unternehmen auch dringender geworden. Auf wesent- dabei bewusst zu sein, dass ein Kulturwandel kein liche Fragen, die Unternehmen derzeit an uns richten, Kurz-Projekt ist. Wenn man New Work ohne echte haben wir dank Forschung und Praxis auch Antwor- Prozentchen der Kulturentwicklung versucht, fliegen einem salopp ge- ten, aber längst nicht auf alle. Alle betreten Neuland. Unternehmen sagt die Dinge um die Ohren. haben bereits Das heisst? eine moderne Wie viele Unternehmen sind New-Work-erprobt ? Dass es nun gilt, gemeinsam neue Lösungen zu su- Führungskultur Gemäss unserem Radar sind es derzeit nur gerade fünf chen, was ich höchst spannend finde. Grundsätzlich und nutzen New Prozent, die New Work erfolgreich nutzen. bietet die Krise Unternehmen jetzt eine einzigartige Work. In der aktu- Chance für die Neuausrichtung ihrer Leadership, ellen Situation ein Wie reagieren Sie, wenn ratlose Kapitäne Sie um Rat Kultur und Zusammenarbeit wie auch für Business- Riesenvorteil. zu ihrer eigenen Rolle fragen? Transformation und Digitalisierung. Ich ermutige Führungskräfte dazu, authentisch zu sein und nicht vorzugeben, sie wüssten allein den Was sind die brennendsten Fragen, die an Sie Kurs. Wer sich so verhält, setzt sich unter unmensch- herangetragen werden? lichen Druck, ist einsam. Wir befinden uns ja wie Es sind vor allem zwei, die zusammen dann einen beschrieben gerade in unbekannten Gewässern, wo doch recht aussergewöhnlichen Mix ergeben: Zum noch nie jemand war. Da ist es unrealistisch, alle einen gibt es eine kollektive Erschöpfung und damit Antworten zu kennen. Das wissen die Kapitäne selbst verbunden die Frage, wie damit umgegangen werden am allerbesten. soll, insbesondere wenn auch Führungskräfte er- schöpft sind. Zweitens, wie man es genau jetzt hin Also hinstehen und zugeben, nicht weiterzuwissen? bekommt, Gas zu geben, um Chancen zu nutzen und Das passt nicht. Führungskräfte müssen Zuversicht, die Transformationen anzuschieben. Mut und eine positive Einstellung vorleben. Rat „Es ist unrealistisch, alle Antworten zu kennen. Das wissen die Kapitäne selbst Foto: Max Riché am allerbesten.” 82 BILANZ 02 | 2021
Das klingt wohl einfacher, als es für viele ist. Das ist für viele nicht leicht. Allerdings gibt es wunder- bare Vorbilder von Führungskräften und Unterneh- men, die moderne Führung mit den Strategien und Werkzeugen gelernt haben. Das kann man effektiv lernen. Wir erleben es bei Coaching- und Leadership- Development-Programmen. Was braucht es dazu? Ehrliche Offenheit. Man kann und muss Leadership lernen, muss sie auch lernen wollen. New Leadership und Kulturtransformation sorgen dann in vielen Un- ternehmen für Energie und Dynamik, insbesondere in Bezug auf Inhalt und Form von Führung. Die Pan demie hat dem allem fraglos Dringlingkeit verliehen, aber auch Aufwind: Und der kommt nicht zuletzt da- her, weil man festgestellt hat, dass gewisse Dinge trotz Lockdown und Zwangs-Homeoffice sehr gut laufen und die Mitarbeitenden im Homeoffice wider alle Be- denken gut arbeiten. Es ist bemerkenswert, wie viele Menschen bereit sind, derzeit Besonderes zu leisten, weil es eine Ausnahmesituation ist. Und wissen Sie was? Die Produktivität ist in den meisten Unterneh- men im Jahr 2020 sogar gestiegen. Echt? Ja, insbesondere bei Aufgaben, bei denen es vor allem um eingespielte Dinge und das Aufrechterhalten des Betriebs geht. Führungskräfte sollten dies jetzt merk- bar wertschätzen und das Vertrauen ausbauen. Es gab unzählige Firmen, die ihre Mitarbeiter nach dem Lockdown wieder ins Büro befehligt haben. Den Reflex, «die Zügel in die Hand zu nehmen» und die Leute wieder an den Arbeitsplatz zu holen, gab es. Mitunter verursacht durch den wirtschaftlichen Druck und die Tatsache, dass eben vieles noch nicht ein gespielt war und ist. Aber: Die Rückkehr zur Com- FOKUSSIERT losigkeit ist das Gegenteil davon. Jedoch sollten sie Steckenpferde der mand-and-Control-Führung ist für diejenigen, die die Menschen einbeziehen und Fragen stellen. St. Galler Professorin vertrauensvoll, gewissenhaft und eigenständig im Konkret geht es darum, dass Führungskräfte ihre Heike Bruch sind Homeoffice gearbeitet haben, wie ein Schlag ins Ge- unter anderem Mannschaft ernst nehmen, mit ihr in den Dialog New Leadership und sicht. Das ist das Gegenteil von Wertschätzung, und gehen und gemeinsam die Zukunft gestalten. Das New Work – und die Führungskräfte machen mit solchem Verhalten viel ist authentisch, macht sie nahbar und stärkt das Energie, die damit kaputt. Sie schädigen die Kultur. Ich fordere daher sehr Vertrauen. freigesetzt wird. explizit, jetzt die Chancen zu ergreifen, mit Herz, Mut und System eine Führungs- und Kulturtransformation anzugehen. Es gilt, nicht trotz, sondern wegen der Krise in Führung, Kultur und New Work zu investieren. Prof. Dr. Heike Bruch Was sind dazu Ihre Schlagworte? Heike Bruch (54) ist seit 2001 Professorin für Betriebswirtschaftslehre New Culture – und das umfasst Vertrauen, Leadership mit Schwerpunkt Leadership an der Universität St. Gallen und dort auch mit Inspiration und Selbstkompetenz der Mitarbeiten- Direktorin am Institut für Führung und Personalmanagment. Ihre For- den. Zusätzlich ist in der Praxis eines besonders wich- schungsthemen sind unter anderem Energie & Engagement und Neue tig: die Überwindung der Input-Kultur, wo es darum Führungs- und Arbeitsformen sowie etwa Fragen, inwiefern Leadership geht, wie lange, wie hart und wie engagiert gearbeitet und Kultur Unternehmen innovativ, schnell und wandlungsfähig machen. wird. Was echtes New Work aber braucht, ist eine 2006 hat sie die Beratungsfirma Energyfactory gegründet mit inzwischen Output-Kultur, bei der zählt, welchen Beitrag jemand elf Mitarbeitern und unzähligen Kunden von ABB über BMW bis SBB. leistet, welche Ergebnisse erzielt werden. Führung wird damit weitaus anspruchsvoller, weil es um viel • 02 | 2021 BILANZ 83
DAS GESPRÄCH HEIKE BRUCH • mehr geht, als nur sicherzustellen, dass alle präsent sind. Es ist Zeit, einige alte Führungsinstrumente im Sinn eines Unbossing-Prozesses beiseitezulegen und neue Werkzeuge zu nutzen, etwa bei Zielverein barungen Beiträge ins Zentrum zu rücken statt klas sischer Kennzahlen. Ausserdem empfehle ich, beid- händig zu führen. Beidhändig führen? Es gilt zu unterscheiden zwischen Aufgaben, die eher mit Innovation zu tun haben, und anderen, bei denen es mehr um Effizienz geht. Das eine braucht viel Frei- heit und Empowerment, das andere Präzision und ergebnisorientierte Führung. Dies mündet in sehr unterschiedliche Arbeitsformen in ein und derselben Firma, da die unterschiedlichen Bereiche auch unter- schiedliche Führung verlangen. Bei Porsche Motor- sport an der Rennstrecke braucht es Präzision, rigide Prozesse und auch Top-down-Führung. In der Fahr- zeugentwicklung aber arbeitet man auf Augenhöhe, flexibel, und es dürfen auch Fehler gemacht werden. Eine beidhändige Führung ist in modernen Unter nehmen unabdingbar, um mit Speed zu arbeiten. Sie führt jedoch nur zum Erfolg, wenn Führungskräfte übergeordnete Ziele und eine Vision vermitteln und so vorleben, dass sich alle identifizieren und zusam- men auf das Gleiche hinarbeiten. Sonst verstärken sich die Silos in Unternehmen, man arbeitet neben einanderher oder gegeneinander, und das ist in netzwerkartigen Strukturen mit viel virtueller Arbeit noch kontraproduktiver als ohnehin schon. Was sind für Sie No-Gos in Sachen New Work? Typische Fehler sind, dass Unternehmen das Thema New Work rein technisch-strukturell angehen. Und ein verbreiteter Fehler ist auch, dass man Führung Natürlich, falls die Bereitschaft besteht, Neues zu lernen ENGAGIERTE schwächt. und Altes zu entlernen. Wir arbeiten hier mit einem PROFESSORIN Als die Räume an der Konsortium aus einem guten Dutzend Unternehmen, Uni zu klein wurden, Haben Sie vorher nicht genau dafür plädiert? das sich unter dem Titel «Pionieering Future Leadership hat Bruch eine Kirche Nein. Dank Selbstorganisation und flacheren Hierar- and Work» regelmässig austauscht. Die einen sind weiter zugemietet – und so chien kann man zwar Management reduzieren. Lea- in Sachen Arbeitszeiten, die anderen mit dem Perfor- den Präsenzunterricht weiter gepflegt. dership muss jedoch bei New Work eher gestärkt mancemanagement oder in der Kultur. Die Art von werden. Sonst besteht die Gefahr von Laisser-faire. Austausch empfehle ich auch Führungskräften inner- Unternehmen mit diesem Ansatz sind mit New Work halb eines Unternehmens. Fragen wie «Was ist meine rasch einmal überfordert und in der Konsequenz neue Rolle?» und «Wie gelingt mir der Sprung in die dann langsamer, überhitzt und verunsichert. Wir be- Zukunft?» zu diskutieren, ist wichtig. In unseren umfas- obachten das bei rund 30 Prozent der Firmen, wir senden Umfragen, die wir seit vielen Jahren regelmässig nennen sie «die modern Überforderten». durchführen, gaben schon vor der Pandemie 36 Prozent der Führungskräfte an, sich nicht sicher zu sein, ob sie Weniger Management, mehr Leadership – ist das er- führen können oder sollten. In Zeiten des Umbruchs wie reichbar mit der jeweils bestehenden Führungsriege? gerade jetzt steigt dieser Wert auf über 70 Prozent. „Selbstzweifler neigen zu Command and Control oder Laisser-faire. Beides Foto: Max Riché können wir derzeit nicht gebrauchen.” 84 BILANZ 02 | 2021
Wie halten Sie es selbst mit Ihren Mitarbeitern? Und wie die Uni mit den Studierenden? Schwarz oder weiss, Frau Bruch? Das ist ein grosses Thema. In meinem Team unterneh- ★ «NZZ» oder «Tages-Anzeiger»? «NZZ». men wir viel, um unseren sehr guten Zusammenhalt ★ Wein oder Bier? Ich trinke kaum Alkohol, doch wenn, dann Rotwein. bewusst zu pflegen und auch zu schützen. Wir haben ★ Brat- oder Currywurst? Was für eine Frage: Ich komme zwar aus Berlin, intensivierte Kommunikation, regelmässige Meet-ups, aber an eine Olma-Bratwurst kommt eine Currywurst nicht ran. wo wir uns austauschen, fragen, wie es geht, und ★ BMW oder Porsche? Ich arbeite zwar mit beiden Firmen zusammen, checken, ob jemand Hilfe braucht. Zudem haben wir fahre selber aber einen Audi. ein Buddy-System entwickelt. Jeder hat einen Buddy, trifft sich mit dem einmal am Tag zum Beispiel zu ★ Berge oder Strand? Strand. einem virtuellen Kaffee oder Spaziergang. Ich selbst ★ Homeoffice oder Office? Beides, das gehört für mich heute habe die bilateralen Gespräche intensiviert. zum Selbstverständnis. ★ Beraten oder dozieren? Dito, in unserer Arbeit fliesst das eine aus dem Und bei den Studierenden? andern und das andere zurück in das eine. Gehört für mich eng zusammen. Ich habe so lange wie möglich den Präsenzunterricht ★ WhatsApp oder E-Mail? WhatsApp. gepflegt. Das ging so weit, dass wir hier in der Stadt ★ Cash oder digital bezahlen? Digital. eine Kirche gemietet haben, als die Räume an der Uni ★ iPhone oder Samsung? iPhone. von der Grösse her nicht mehr ausreichten. Der Effort wurde von den Studierenden sehr geschätzt, und ich werde auch zum Präsenzunterricht zurückkehren, sobald das wieder erlaubt und ohne Gefahr für die Die Konsequenz? Gesundheit möglich ist. Bis dahin versuche ich die Führungskräfte mit Selbstzweifeln führen nicht Online-Lehre so persönlich und offen wie möglich zu inspirierend, nicht im Dialog und auch ohne Mut. gestalten. Das gelingt gut, und so entstehen auch vir- Sie tendieren zu Command and Control oder tuell Nähe und Inspiration. Beides ist mir und dem Laisser-faire. Beides können wir gegenwärtig nicht gesamten Team sehr wichtig und für unsere Themen gebrauchen. ja auch absolut zentral. • ANZEIGE 02 | 2021 BILANZ 85
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