Wie lange ist die Feuerwehr noch Traumjob für Freiwillige?
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
1300 Feuerwehrkops und rund 85 000 freiwillige Feuerwehrleute stehen rund um die Uhr bereit für Notfälle. Die «Schweizer Gemeinde» war an einer Rekrutierung von Schutz und Rettung Zürich dabei. Bild: Corinne Aeberhard Wie lange ist die Feuerwehr noch Traumjob für Freiwillige? Trotz fortschreitender Professionalisierung wird die Feuerwehrarbeit in der Schweiz weitestgehend von Milizformationen geleistet. Deren Rekrutierung braucht vielerorts Überzeugungsarbeit, auch wenn die freiwillige Feuerwehr immer noch zu den beliebtesten Milizämtern gehört. Der Beruf der Feuerwehrfrau oder des klärt ab, ob deren Interessen eher in weiss: «Wir rekrutieren von Hilfsarbei- Feuerwehrmanns nimmt regelmässig Richtung Feuerwehr- oder Sanitätsdienst tern bis zu Professoren aus allen Berufs- eine Topplatzierung in der Liste der an- tendieren. Nach der Konsultation des gruppen neue Feuerwehrleute». gesehensten Berufe ein. So erstaunt es Strafregisterauszugs werden die Kandi- auch kaum, dass die 16 Berufsfeuer- daten zu einem vor gut drei Jahren neu Kraft, Ausdauer und Nerven im Test wehrkorps der Schweiz zurzeit noch eingeführten Leistungstest eingeladen. Die Karriere in der Feuerwehr oder der keine Probleme bei der Besetzung ihrer Ist der Test bestanden, folgt die Abklä- Sanität beginnt für alle gleich. Sie müs- offenen Stellen verzeichnen. Im Gegen- rung durch einen Vertrauensarzt: Er soll sen sich einem Test stellen, der die men- teil: Die zahlreichen Bewerberinnen und feststellen, ob die Kandidatin oder der tale und körperliche Belastbarkeit auf die Bewerber müssen sich einem anspruchs- Kandidat für das Tragen eines Atem- Probe stellt. Wer durchschnittlich sport- vollen Prüfungsverfahren stellen und schutzgerätes tauglich ist. Diese Taug- lich sei, sollte den Test grundsätzlich be- werden stark selektioniert. «TV-Sendun- lichkeitsprüfung ist etwas strenger als stehen, erklärt Jud. DerTest umfasst vier gen wie Notruf oder Jobtausch führen jene für den üblichen Feuerwehrdienst, Posten: In einer ersten Herausforderung zu guter Bekanntheit und positivem da den Feuerwehrleuten körperlich mehr müssen die Anwärterinnen und Anwär- Image in der Bevölkerung», sagt Patrick abverlangt wird, wenn sie im Einsatz mit ter über eine Leiter auf das Dach eines Sauzet, Abteilungsleiter Milizfeuerwehr Atemschutz ausgerüstet ganz vorne dreistöckigen Gebäudes hinauf- und und Zivilschutz der Stadt Zürich. beim Feuer retten und löschen müssen. wieder hinabsteigen. Dabei tragen sie Melden können sich Kandidaten im Alter ein Atemschutzgerät am Rücken, was die Hilfsarbeiter neben Professoren in der zwischen 18 und 42 Jahren, und so tref- Aufgabe erschwert. Beim nächsten Pos- freiwilligen Feuerwehr fen an einem kühlen Oktobermorgen ten müssen die Testeilnehmerinnen und Auch die Milizabteilung von Schutz und 20 motivierte Rekrutinnen und Rekruten -teilnehmer unter Beweis stellen, dass Rettung Zürich kennt keinen Mangel an im Areal der Wache Süd von Schutz und sie nicht unter Platzangst leiden. Unter Rekrutinnen und Rekruten. Anfragen von Rettung Zürich ein. Das Spektrum der Führung eines erfahrenen Feuerwehr- Interessierten erreichen den Administra- Berufe, welche die zukünftigen Angehö- mannes von Schutz und Rettung müssen tionschef Jürg Grüter meistens via An- rigen der Feuerwehr (AdF) des Miliz- sie im Untergrund des Wachegeländes meldeformular im Internet. Grüter korps ausüben, ist breit, wie Beat Jud, einen Parcours bewältigen, bei dem es nimmt seinerseits Kontakt mit den Be- stellvertretender Abteilungsleiter Miliz- zuweilen sehr eng und völlig dunkel ist. werberinnen und Bewerbern auf und feuerwehr und Zivilschutz Stadt Zürich Beim Posten drei wird es richtig sport- SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2018 47
FREIWILLIGE Wer erfolgreich rekrutiert werden will, darf nicht unter Platzangst Im Fitnessraum der Zürcher Feuerwehrwache werden Kraft und Be- leiden. Bild: Corinne Aeberhard weglichkeit getestet. Bild: Corinne Aeberhard lich. Im Fitnessraum der Wache werden ordneten Gemeindestrukturen voraus- dass wir von der Feuerwehr das Ge- Kraft und Beweglichkeit getestet. Beim gegangen. Die neu entstandenen spräch mit den Unternehmen suchen, letzten Posten wird die Ausdauer mit ei- Feuerwehrorganisationen haben so die um solche Situationen zu vermeiden.» nem Zwölfminutenlauf auf die Probe Zuständigkeit für ein grösseres Gebiet Seiner Meinung nach ist denn auch der gestellt. Zur Mittagszeit ist das Testpro- übernommen, was auch zu mehr Ein Punkt erreicht, bei dem schweizweit gramm beendet, und Beat Jud erklärt sätzen geführt hat. Ein Umstand, den keine grösseren Fusionen mehr stattfin- zufrieden, dass alle bestanden haben. Bächtold mit Blick auf die fachlichen Fä- den sollten, damit der Abbau der Perso- higkeiten der Feuerwehrleute positiv nalbestände gestoppt werden kann. Fusionen steigern Zahl der Einsätze wertet. Einsatzerfahrung führe bei jeder «Die Zitrone ist ausgepresst.» und strapazieren Arbeitgeber Feuerwehrorganisation zu grösserer Ef- Nicht überall in der Schweiz haben Re- fizienz und Schlagkraft. Berufsfeuerweh- Werkhofmitarbeiter zum krutierungen den gleichen Erfolg. «Die ren zeichnen sich gegenüber Milizorga- Feuerwehrdienst verpflichten? Unterschiede bei der Art und Weise, wie nisationen genau in diesem Punkt aus. Bächtold sieht für die Gemeinden einen rekrutiert wird respektive rekrutiert wer- Für Milizorganisationen hingegen be- wirksamen Weg, ihre Feuerwehren bei den kann, sind zwischen den Kantonen deutet eine grössere Anzahl von Einsät- Personalproblemen zu unterstützen. Mit und Regionen sehr gross», weiss der zen nicht nur einen Schritt in Richtung der Verpflichtung von Gemeindemit Direktor des Schweizerischen Feuer- Professionalisierung, sondern auch eine arbeiterinnen und -mitarbeitern zum wehrverbands (SFV), Urs Bächtold. Er gesteigerte Belastung. Die Feuerwehr- Feuerwehrdienst könnte erstens eine verweist auf Strukturen von Gemeinden, leute müssen nebst ihrer Berufsarbeit gewisse Zahl von Rekrutierungen sicher- welche die Rekrutierung grundsätzlich Tag und Nacht zum Ausrücken bereit gestellt und zweitens auch die Tagesver- schwierig machen. Sehr attraktive Wohn- sein. In den meisten Feuerwehren be- fügbarkeit im Feuerwehrkorps erhöht lagen beispielsweise und ein überdurch- schränkt sich das Ausrücken während werden. Prädestiniert für eine solche schnittlich hoher Anteil an Eigenheimen. des Tages auf eine relativ kleine Gruppe Aufgabe im Pflichtenheft wären Mitar- Die Bevölkerung sei in solchen Gemein- innerhalb der Feuerwehr. Es sind Feuer- beiterinnen und Mitarbeiter des Werk- den meist älter und habe das Pensions- wehrleute, die in der Einsatzregion ar- hofs. Sie verfügen in den meisten Fällen alter für den Feuerwehrdienst zum beiten und zeitgerecht einrücken kön- über grosse handwerkliche Fähigkeiten, grössten Teil bereits überschritten. Wei- nen. Dies bedingt aber auch, dass die welche gerade auch im Feuerwehrdienst ter sei in der heutigen Gesellschaft das Arbeitgeber die Feuerwehrleute wäh- von grossem Nutzen sind. Weiter liegt Freizeitangebot so breit gefächert, dass rend der Arbeitszeit ausrücken lassen. der Werkhof in vielen Gemeinden nahe der aktive Feuerwehrdienst nur mehr Bei der zunehmenden Anzahl von Ein- beim Feuerwehrmagazin, oder die Loka- eine Möglichkeit unter vielen anderen sätzen in fusionierten Feuerwehrorgani- litäten sind sogar zusammengelegt. Im sei. Vorbei seien die Zeiten, als bereits sationen kann dieses Verständnis über- Alarmfall ist also ein schnelles Einrücken Grossvater und Vater in der Feuerwehr strapaziert werden, wie Bächtold aus möglich. In einigen Gemeinden sind ge- gewesen seien und deshalb ganz auto- Erfahrung weiss. Der SFV-Direktor ist wisse Schlüsselpositionen der Feuer- matisch auch der Sohn Dienst leiste. selber in der Feuerwehr Burgdorf (BE) wehren neben- oder sogar hauptamtlich Aber auch die Entwicklungen in der Feu- als Feuerwehroffizier aktiv und beobach- durch Gemeindeangestellte besetzt. Es erwehr selbst würden dazu beitragen, tet auch in der Region Emmental einen handelt sich dabei in der Regel um die dass sich immer weniger für einen wachsenden Missmut bei den Arbeitge- Position des Kommandanten und/oder Beitritt begeistern liessen. Bächtold bern, ihre Mitarbeiterinnen und Mitar- jene des Materialwarts. SFV-Direktor Urs spricht damit die in den letzten Jahr- beiter für den Feuerwehrdienst freizu- Bächtold bestätigt, dass solche «halb- zehnten schweizweit immer mehr statt- stellen. Wenn sich dann jemand vor die professionellen» Strukturen in der Feu- findenden gemeindeübergreifenden Wahl zwischen Arbeit oder Feuerwehr- erwehr zunehmen. Bei den durch Fusio- Fusionen von Feuerwehrorganisationen dienst gestellt sieht, fällt die Wahl zu- nen immer grösser werdenden an. Teilweise sind diesen Fusionen be- gunsten des existenzsichernden Jobs Feuerwehren stösst das Milizsystem reits Zusammenschlüsse von überge- aus. Bächtold: «Es ist deshalb wichtig, vorab bei Kader- und Schlüsselpositio- 48 SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2018
FREIWILLIGE nen zusehends an seine Grenzen. Eine Thomas Eglauf, Kommandant der Feu- Teilprofessionalisierung bringt aller- erwehr Metzerlen-Mariastein (SO), weiss dings einen höheren finanziellen Auf- um diese Problematik. Er arbeitet als wand mit sich, den sich nicht alle Ge- Berufsfeuerwehrmann bei der Feuer- meinden oder Gemeindeverbände leis- wehr Basel in Schicht, seine Frau arbeitet ten können. Aber auch Gemeinden mit Teilzeit, die Eltern wechseln sich bei der kleinem Budget könnten die Feuerwehr Kinderbetreuung ab. Da bleibt kein im Bereich Rekrutierung und Personal Raum für ein zweites Engagement in der findung wirksam unterstützen, meint freiwilligen Feuerwehr. Eglauf bedauert Bächtold. Etwa indem der Feuerwehr- zudem, dass die Feuerwehr zwar regel- kommandant bei Neuzuzügeranlässen mässig auf der Spitzenposition der Be- die Organisation vorstellt. Oder indem liebtheit rangiert, die Bereitschaft, sich ein Rekrutenjahr angeboten werde für für ein Milizamt zu engagieren, aber ab- neu ins Dienstalter eintretende Junge, nimmt. Ganz nach dem Motto «Machen bei denen die Gefahr bestehe, dass sie sollen es die anderen»! Stelle und Wohnort wechselten. Im Re- In der Feuerwehr Metzerlen-Mariastein krutenjahr werden die Neuankömmlinge hat sich das Rekrutierungsproblem mit ans Feuerwehrhandwerk herangeführt, dem Zusammenschluss temporär etwas aber noch nicht teuer und aufwendig entschärft. Die Feuerwehr weist gemäss ausgebildet. kantonalen Vorschriften sogar einen Überbestand auf. «Wir können uns hier Der Anteil der Frauen steigt aber nicht zurücklehnen. Ohne Rekrutie- Das «Gesicht» der Feuerwehr ist heute rung fehlen uns früher oder später die bei Weitem nicht mehr nur männlich. Leute, insbesondere in den wichtigen Frauen sind heute mit einem Anteil von Kaderpositionen», gibt Eglauf zu beden- zehn Prozent aller Angehörigen der Feu- ken. Den aussichtsreichsten Weg sieht erwehren in der Schweiz vertreten. Über der Berufsfeuerwehrmann und Kom- zehn Jahre hinweg hat der gesamte Be- mandant in der persönlichen Ansprache stand aller Feuerwehren um über einen möglicher Interessenten. Diesen Weg hat Viertel abgenommen, während der Frau- auch die Feuerwehr von Kerns im Kan- enanteil kontinuierlich zunimmt. «Bei ton Obwalden gewählt. Kerns verzichtet den Frauen haben wir tatsächlich noch auf eine Ausschreibung in den Anzei- Potenzial», meint Bächtold. Frauen, ins- geblättern und führt auch keine Rekru- besondere Mütter, verbringen wesent- tierungsveranstaltungen durch. Die Re- lich mehr Zeit in ihrer Wohngegend als krutierung in den einzelnen Feuerwehren Männer. Allerdings sind die Möglichkei- ist also so unterschiedlich wie ihre Orga- ten für das jederzeitige Ausrücken ge- nisationen, Kulturen und auch die Ge- rade von Müttern mit kleinen Kindern meindestrukturen sind. Eine Herausfor- beschränkt. Der Kanton Solothurn trägt derung bleibt sie überall in der Schweiz. diesem Umstand sogar gesetzlich Rech- nung, indem er Mütter während der Be- Corinne Aeberhard treuung ihrer Kinder bis zum Alter von 15 Jahren von der Ersatzabgabe befreit. Wieso Feuerwehr? Ich will Wieso Feuerwehr? Das neue direkt an das Feuer gehen. Umfeld motiviert mich. Anna Zeller ist 25 Jahre alt und eine Dominique Cartwright ist 20 Jahre alt der beiden Frauen, die sich letzten und von Beruf Koch. Er brachte am Oktober dem Rekrutierungstest von Rekrutierungsmorgen noch keinerlei Schutz und Rettung der Stadt Zürich Feuerwehrerfahrung mit. DerTest, bei gestellt und diesen auch bestanden dem eine Leiter mit Atemschutzgerät haben. Die ausgebildete Pflegefach- bestiegen werden musste, flösste frau war bereits vor diesemTest in der ihm ziemlichen Respekt ein. Er hat ihn Feuerwehr Stäfa aktiv. Das Feuer- gemeistert, obwohl er unter Höhen- wehrhandwerk und das Tragen eines angst leidet. Sein Handicap hat ihn Atemschutzgerätes waren für sie also schliesslich dann doch dazu bewo- nichts Neues. Als Pflegefachfrau wäre gen, sich in den Sanitätsdienst eintei- sie eigentlich prädestiniert für den len zu lassen. Als grösste Motivation Sanitätsdienst. «Das kommt für mich für einen Einstieg in die Feuerwehr aber nicht infrage. Mich reizt es, direkt nennt Cartwright die Möglichkeit, ein Mit dem Atemschutzgerät auf dem Rücken ans Feuer zu gehen», sagt die Feuer- neues Umfeld und neue Kameradin- müssen die Anwärter die Leiter hoch und wehrfrau aus Leidenschaft. nen und Kameraden kennenzulernen. wieder hinunter. Bild: Corinne Aeberhard SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2018 49
Sie können auch lesen