Eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg Frieda F.: Die Spionin aus Turbenthal - Dominik Landwehr Winterthur, Mai 2021
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Eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg Frieda F.: Die Spionin aus Turbenthal Abb. 1: Schweizer Abstimmungsplakat aus dem Jahr 1933 – die Partei der Frontisten. Dominik Landwehr Winterthur, Mai 2021
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1940 wurde ein junger Mann aus Davos und seine Stiefschwester aus Turbenthal wegen Spionage zu- gunsten von Nazi-Deutschland angeklagt und verurteilt. Was ist hinter dieser Geschichte? Auf der Suche nach verlässlichen Informationen Die Akte über die Frau aus Turbenthal umfasst im zu den Internierten im Tösstal im Zweiten Welt- Wesentlichen eine Verfügung der Bezirksanwalt- krieg stossen wir auf einen kleinen Nachlass im schaft sowie ein von ihr unterschriebenes Ver- Staatsarchiv des Kantons Zürich. Es ist eine hörprotokoll. Gemäss diesen Unterlagen hat sie Sammlung von Akten aus dem Jahr 1940, die der sich von ihrem Stiefbruder Alfred M. für den po- Offizier und Heerespolizist Werner Zuppinger litischen Nachrichtendienst zugunsten von (1904-1969) hinterlassen hat. Sie enthält einen Deutschland anwerben lassen, hat diese Tätig- bunten Querschnitt durch das, was in den Som- keit aber nicht ausgeübt. Die Bezirksanwaltschaft mermonaten 1940 über seinen Tisch gegangen erachtete bereits diese Anwerbung als eine Vor- ist. Ein Glücksfall, dass ein Grossteil der Akten schubleistung zu politischem Nachrichtendienst. Rikon, Turbenthal und Wila, aber auch Madets- Das ist wohl so zu verstehen, dass dies ein erster wil, Pfäffikon und Fehraltdorf betreffen. Die Do- Schritt zum Nachrichtendienst also zur Spionage kumente sind noch nicht erschlossen und liegen war. Nachrichtendienst ist der juristische Begriff in drei kleinen Mäppchen, genauso wie sie vor ei- für Spionage – unterschieden wird zwischen dem nigen Jahren abgeliefert wurden. politischen, wirtschaftlichen und militärischen Nachrichtendienst. Leutnant Klaus macht Meldung Eine Mitteilung macht uns besonders hellhörig. Zeitungen nach Davos geschickt Am 17.September 1940 meldet ein gewisser Ihr Stiefbruder Alfred M., der damals in Davos Leutnant Klaus zuhanden der Militärpolizei fol- wohnte, fragte Frieda F. bereits in einem Brief genden Vorfall betreffend einer Frieda F. aus Tur- vom 21.April 1940, ob sie ihm beim politischen benthal geboren am 16.Juni 1922: „Trotz dem Nachrichtendienst helfen würde. Ihre schriftli- ausdrücklichen Verbot des Verkehrs mit den In- chen Nachfragen um was es sich handelt blieben ternierten hat sie Internierte in ihre Wohnung unbeantwortet. So schickte Frieda F. ihrem Stief- genommen. Ich sehe mich daher veranlasst, bruder Zeitungen nach Davos, wo er offenbar diese Person zu arretieren und den zuständigen wohnte: „Wobei ich die Zeitungen auslas, die gif- Behörden zuzuführen. Es liegt der Verdacht tige oder spöttische Bemerkungen über Deutsch- nahe, dass sich Frieda F. den Internierten gegen- land enthielten. Ich dachte mir, mein Stiefbruder über politisch betätigt hat, wie man sich leicht werde mit Deutschen diese Artikel besprechen“ denken kann, wenn man weiss, dass die die Die Artikel stammten aus dem Tössthaler, der ganze Familie bereits wegen verbotenem Nach- Nationalzeitung und dem Beobachter. Den Tösst- richtendienst zu Gunsten von Deutschland ver- haler hatte man selber abonniert, die anderen haftet war.“ beiden Zeitungen fand sie im Altpapier. Im Proto- koll geht es auch um einen Vortrag über Deutsch- Das Staatsarchiv hat die dazugehörige Akte des land, den ein Redaktor Kessler im April 1940 in Bezirksgerichts Winterthur, die gerade aus der Turbenthal gehalten hatte. Leider finden wir im Schutzfrist von 80 Jahren entlassen wurde. Ein- Archiv des Tössthaler keine Informationen zu die- zige Bedingung: Wir dürfen nicht den ganzen Na- sem Anlass. Gut möglich, dass sie der damals üb- men der Angeschuldigten nennen. lichen Zensur zum Opfer gefallen sind. ______________________________________________________________________________________________ Dominik Landwehr: Frieda F.: Die Spionin aus Turbenthal. Mai 2021 3/7
Wer war Frieda F.? – Laut Gerichtsakten war sie Stelle beim Nachrichtendienst meines Stiefbru- Haustochter im „Rebstock“. Das dürfte ein Gast- ders. Dort würden wir Nachrichten aus Deutsch- hof gewesen sein. Auf der Einwohnerkontrolle land an die Schweizer Zeitungen weiterleiten und Turbenthal erhalten wir gegen eine Gebühr von umgekehrt Schweizer Nachrichten an deutsche 30 Franken eine Auskunft, die uns aber nicht viel Zeitungen. Ich stellte mir unter diesen Nachrich- weiterbringt: Geboren ist Frieda F. am 16.Juni ten ebenso Nachrichten vor, was alles gegangen 1922, ihr Heimatort, ist Mogelsberg im Toggen- sei“. burg; sie ist aus Luzern nach Turbenthal gezogen, Stiefbruder Alfred M. wird verurteilt Datum unbekannt. Am 6. November 1953 ist sie Dieser Stiefbruder Alfred M. war wie die Mutter nach Zürich weg gezogen. deutscher Staatsangehöriger; er wurde tatsäch- lich am 30.Juli 1940 also im gleichen Jahr vom Be- zirksgericht Zürich zu einer unbedingten Gefäng- nisstrafe von drei Monaten Gefängnis verurteilt. Das Delikt: Wiederholter politischer Nachrich- tendienst im Interesse des Auslandes. Alfred M. wurde 1912 geboren und war damit 10 Jahre äl- ter als seine Stiefschwester; er lebte in Davos und war in regelmässigem Kontakt mit dem deut- schen Konsulat dort aber auch mit dem Fichte- Bund in Deutschland. Der Fichte-Bund war eine Nazi-Organisation für Auslandpropaganda und offenbar auch eine Schaltstelle für Spionage. Bei- den lieferte er Berichte ab. So hatte er etwa eine gewisse Frieda B., Chefköchin im Deutschen Krie- ger-Kurhaus in Davon im Visier. Sie habe sich „in so gemeiner Art und Weise über die deutsche Wehrmacht geäussert, dass ich mich gezwungen sehe, sie zu melden“. Auch die Anwerbung seiner beiden Stiefschwestern Frieda F. und Marie The- resia K. wird ihm vorgeworfen. Er schickte den beiden folgende Instruktionen: “Schickt mir alle giftigen und spöttischen Zeitungsartikel, die euch in die Finger kommen. Ich brauche sie alle für den Abb: Abstimmungspropaganda für die Nationale Front aus Nachrichtendienst für Deutschland“. Lokalhisto- dem Jahr 1933. Der Partei gelang damals den Sprung in den risch interessant: Er meldete dem Fichte-Bund Nationalrat. Die Zeit ist als Frontenfrühling in die Geschichte eingegangen. Prominentestes Mitglied der Nationalen Front auch abfällige Äusserungen, die der Kantonspoli- war der spätere Literaturprofessor Emil Staiger. Foto Sozial- zist A.B. in Turbenthal über führende Männer des archiv Zürich. dritten Reiches gemacht haben soll. Die junge Frau muss recht naiv gewesen sein, im Frieda M. war in den Hauptanklagepunkten ge- letzten Satz des Protokolls wird sie so zitiert: „Ich ständig. Weil sie zum Zeitpunkt der Tat noch habe mir vorgestellt, ich erhalte endlich eine ______________________________________________________________________________________________ Dominik Landwehr: Frieda F.: Die Spionin aus Turbenthal. Mai 2021 4/7
nicht volljährig war, wurde sie vom Jugendstraf- den Idealen und der Tradition seines Landes ge- recht beurteilt und erhielt eine Strafe von drei macht hat.“ Wochen Gefängnis. Ausserdem wurden ihr die Gebühren von damals 121.70 auferlegt. Der be- dingte Strafvollzug wurde ihr verweigert, auf- grund ihres „frechen und spöttischen Benehmen anlässlich des Vortrages in Turbenthal wie auch ihre herabwürdigende Kritik an dem vom Gene- ral angeordneten Fliegeralarm. Diese Verhaltens- weisen würden beweisen, dass sie „vor unseren Einrichtungen offenbar nicht die geringste Ach- tung empfindet“. Allerdings war die Frage des bedingten Strafvollzuges nicht wirklich relevant, da die Strafe durch die Haft als bereits getilgt er- achtet wurde. Abb. 2: Hedwig Spahr-Lüssi in einem Foto aus den1930- Sympathien für Nazis: Turbenthal war gespalten Jahren in Turbenthal. Das Dorf war damals gespalten. Deutschland wurde von vielen bewundert, so auch von Die Ausführungen des Verteidigers Dr. Schweizer Hedwig Spahr-Lüssi. Foto Privatbestandsarchiv Wila. enthalten einige bemerkenswerte Details na- mentlich auch über die Situation in Turbenthal. Weiter schreibt der Verteidiger: „Bestimmend Der Verteidiger verweist zunächst auf das ju- für das Verhalten der Angeklagten war auch, dass gendliche Alter der Angeklagten, die zum Zeit- die Familie M. im Tösstal gewissen Anfeindungen punkt der Tat noch 17jährig also noch nicht voll- ausgesetzt war, weil man wusste, dass Alfred M. jährig war. Ihr Stiefbruder Alfred M sei „geistig die nationalsozialistische Zeitung vertreib und beschränkt“, zudem habe er aus „Grosstuerei“ die Mutter eine Deutsche war. Diese Anfeindun- gehandelt. Durch das Sammeln der Zeitungsarti- gen gingen so weit, dass die Schulknaben den kel an sich sei noch kein Schaden entstanden, es Gliedern der Familie M. nachliefen und ihnen mit sei nur als Vorbereitungshandlung zu werten. Die Erschiessen drohten, falls die Deutschen einmar- Angeklagte stand unter dem Einfluss ihres Stief- schierten. Dadurch wurde bewirkt, dass sich die bruders, der der nationalsozialistischen Bewe- Angeklagte nun noch mehr der Geistesrichtung gung nahe stand. Durch ihren Stiefbruder wurde ihres Stiefbruders anschloss: es entwickelte sich sie selbst zur begeisterten Nationalsozialistin. bei ihr die Psychose des Märtyrertums ihrer Fa- „Die nationalsozialistische Gesinnung allein ist milie. In der Vernehmung hatte Frieda F. einmal aber nicht strafbar“. gesagt, sie fühle sich mehr als Deutsche denn als Schweizerin. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in den Akten auf den Schweizer Schriftsteller Jakob Das Ganze mag aus heutiger Sicht harmlos schei- Schaffner (1874 - 1944), der sich offen zum Nazi- nen. Es muss jedoch aus der Perspektive von Regime bekannte, verwiesen wird. Carl Zuck- 1940 beurteilt werden. Die Schweiz war durch meyer urteilte über Schaffner: „Dem Verfasser ist den aggressiven Krieg von Nazi-Deutschland be- kein anderer Schweizer bekannt, der sich in die- droht. Es gab in der Bevölkerung durchaus Sym- ser Weise zum Nazi-Apostel und zum Verräter an pathien für Nazi-Deutschland, auch in Turbent- hal. So zeigte Hedwig Spar-Lüssi, die sich später als Lokalhistorikerin einen Namen machte, offen ______________________________________________________________________________________________ Dominik Landwehr: Frieda F.: Die Spionin aus Turbenthal. Mai 2021 5/7
Sympathien für Deutschland, berichtet der Histo- riker Wolfgang Wahl. Das Dorf war gespalten. Eine Zeitzeugin berichtete, dass die Sympathien oder Antipathien für Deutschland auch bei der Wahl des Hausarztes im Dorf eine Rolle spielten. Auch der Winterthurer Historiker Peter Nieder- häuser bestätigt diesen Befund für Winterthur: „es gab nicht wenige Sympathisanten“, darunter auch Prominente wie der Winterthurer Gummi- fabrikant Werner Ganzoni oder der Historiker Hans Kläui (1906 – 1992) Er war Gauführer der Nationalen Front St. Gallen und in verschiedenen Frontistenorganisationen tätig. 1941 wurde er von einem Militärgericht wegen staatsgefähr- dender Propaganda zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Was ist aus Frieda F. geworden. Wir wissen es nicht – sie ist 1922 geboren und lebt mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht mehr. Gut möglich, dass sie Nachkommen und Verwandte hat. Und deshalb ist es wohl auch besser, nicht ihren gan- zen Namen auszuschreiben. Mythos Davos Abb. 3: Das Kurhaus Valbella ging nach dem Ersten Welt- krieg in deutsche Hände und wechselte seinen namen. Ab Davos war seit der Jahrhundertwende ein inter- 1946 wurde es unter dem alten Namen weitergeführt. Bild nationales Kurzentrum und diverse ausländische Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Organisationen gründeten hier ihre Kurhäuser. Das Dorf hatte damals wenig Freude an diesem Eines davon war das Deutsche Krieger-Kurhaus. Roman und verbot der Mann-Tochter Erika Mann Das vormalige Sanatorium Valbella Dr.Philippi einen Auftritt mit ihrem Ensmble „Die Pfeffer- war 1918 vom Hilfsbund für Deutsche Kriegsfür- mühle“. In den 30er Jahren wurde Davos zu ei- sorge in der Schweiz übernommen worden. nem Zentrum für die Nationalsozialisten in der Zweck war Behandlung von lungenkranken und Schweiz. [Am 4.Februar 1936 ermordete der jü- von Giftgas geschädigten ehemaligen Soldaten dische Student David Frankfurter den Gruppen- des Ersten Weltkriegs. Das Haus inspirierte leiter Schweiz der Nationalsozialistischen Deut- Thomas Mann massgeblich zu seinem Roman schen Arbeiterpartei NSDAP Wilhelm Gustloff. „Der Zauberberg“, dort heisst das Haus Sanato- David Frankfurter wurde zu 18 Jahren Haft und rium Berghaus. Landesverweisung verurteilt. 1945 wurde er be- gnadigt, worauf er nach Israel ausreiste. Sein Ver- teidiger war der bekannte Zürcher Rechtsanwalt Georges Brunshvig, der auch die Verteidigung des israelischen Agenten Mordechai Rachamin im so genannten El-Al-Prozess 1969 besorgte. ______________________________________________________________________________________________ Dominik Landwehr: Frieda F.: Die Spionin aus Turbenthal. Mai 2021 6/7
Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt das Kurhaus Videos wieder den alten Namen Valbella. Es wurde bis Davos, die deutsche Zitadelle. 2004 genutzt. https://www.srf.ch/sendungen/myschool/da- vos-die-deutsche-zitadelle Dieser Text wurde erstmals am 18.April 2021 in der Zeitung Tössthaler publiziert. Ausstellungen https://www.kirchnermuseum.ch/de/ausstel- lungen/vorschau/details/europa-auf-kur-ernst- Das Kirchner Museum in Davos zeigt ab Ende No- ludwig-kirchner-thomas-mann-und-der-mythos- vember 2021 in Zusammenarbeit mit dem Ger- davos manischen Nationalmuseum Nürnberg eine Aus- stellung zum Thema. Sie heisst "Europa auf Kur. Ernst Ludwig Kirchner, Thomas Mann und der https://www.gnm.de/ausstellungen/aktuell- Mythos Davos" und-vorschau/europa-auf-kur-ernst-ludwig- kirchner-thomas-mann-und-der-mythos-davos/ Benutzte Archive Staatsarchiv des Kantons Zürich Zum Autor Dominik Landwehr (*1958) ist Kultur- und Medi- Literatur enwissenschafter und lebt in Winterthur. Daniel Gut: Neidkopf : zur Naturgeschichte des Zürcher Frontisten Hans Kläui : eine literarische Recherche. Zürich 2015. Daniel Hess (Hg.): Europa auf Kur. Ernst Ludwig Kirchner, Thomas Mann und der Mythos Davos. Begleitband zur Ausstellung im Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg und im Kirchner Museum Davos. Nürnberg 2021. Anschrift Dr. phil. Dominik Landwehr – Weierstrasse 76 – CH-8405 Winterthur – Phone +41 79 411 59 17 Email: dlandwehr@bluewin.ch https://www.sternenjaeger.ch ______________________________________________________________________________________________ Dominik Landwehr: Frieda F.: Die Spionin aus Turbenthal. Mai 2021 7/7
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