Wir brauchen neue Abrüstungsverhandlungen

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Gastkommentar von Paul Meyer und Daniel Stauffacher: Wir brauchen neue Abrüstungsverhandlungen - Nachrichten - NZZ.ch   23/2/15, 6:59 AM

    NZZ.CH

    23.7.2012, 13:24 Uhr
    Gastkommentar von Paul Meyer und Daniel Stauffacher

    Wir brauchen neue
    Abrüstungsverhandlungen
    23.7.2012, 13:24 Uhr

    Die Welt ist konfrontiert mit einer neuen Herausforderung – einem modernen
    Wettrüsten ohne sichtbare Waffen und identifizierbare Akteure, das sich durch
    eine wachsende Anzahl von bekannten und versteckten Angriffen auf Websites
    von Regierungsstellen oder auf Infrastrukturen auszeichnet. Oft bleibt
    unbekannt, von wem diese Angriffe ausgingen, sei es von staatlichen oder
    nichtstaatlichen Akteuren. Tatsache ist, dass die neuen Technologien im
    Cyberspace eine neue Generation von Offensivwaffen ermöglichen. Eine der
    führenden Mächte könnte sich schon bald entscheiden, den Cyberspace als
    Kriegsschauplatz zu benutzen, um zwischenstaatliche Konflikte zu entscheiden.
    Damit würde auch die Schicksalsfrage geklärt, ob eine ausschliesslich friedliche
    Nutzung des Cyber-Raums weiterhin möglich sein wird oder es zur definitiven
    Militarisierung kommt.

    Unabhängig davon, in welche Richtung die Reise geht, die Folgen für die
    internationale Sicherheit werden immens sein. Die diplomatischen und
    militärischen Eliten der führenden Cyber-Mächte sind deshalb gefordert, so
    rasch wie möglich ein gemeinsames Vorgehen zu erarbeiten, wie sie sich in
    diesem so unvorhersehbaren wie gefahrvollen Umfeld in Zukunft verhalten
    sollen. Sollten Staaten nicht bald kohärente Strategien zur internationalen
    Zusammenarbeit in diesem Bereich erarbeiten, könnten sie sehr bald vor
    vollendeten Tatsachen stehen.

    Die zwischenstaatliche Dimension der Sicherheit im Cyberspace ist eine neue
    Herausforderung, deren Bedeutung gemeinhin noch nicht voll verstanden wird.
    Bisher hat bei der Diskussion zur internationalen Cyber-Sicherheit die

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    Aufmerksamkeit vornehmlich den Problemen der Kriminalität, des Cyber-
    Terrorismus und der Rolle der nichtstaatlichen Akteure gegolten. Bei der
    Bekämpfung von Kriminellen und Terroristen war es für Staaten einfacher, eine
    gemeinsame Basis für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit zu finden. Doch
    nun geht es um ihr eigenes Verhalten – gerade in Konfliktfällen.

    Die Staaten müssen demzufolge in ihren Konsultationen über die Fragen der
    kriminellen und terroristischen Aktivitäten im Cyberspace hinausgehen und neu
    auch versuchen, die Grenzen von sogenanntem «unannehmbarem staatlichem
    Verhalten» im Cyberspace zu definieren. Derzeit gibt es noch keine allgemeine
    Übereinstimmung darüber, was mit «zulässiger» oder «verantwortungsvoller»
    Cyber-Aktivität der Staaten gemeint ist. In einer solchen Grauzone des
    Völkerrechts ist es den Staaten weitgehend freigestellt, zu entscheiden, was eine
    annehmbare oder unzulässige Tätigkeit darstellt. Es steht jedoch fest, dass in
    jüngster Zeit einige Aktivitäten von Staaten durchgeführt oder unterstützt
    wurden, die zwar nicht ausdrücklich verboten sind, sich jedoch destabilisierend
    auswirken können.

    Aus internationaler Sicht sind wir immer noch in einem sehr frühen Stadium bei
    der Entwicklung von Regeln für den Cyberspace. Es gibt immer noch stark
    divergierende Konzepte, wie legitimes staatliches Verhalten im Cyberspace
    definiert werden soll. Es gibt diejenigen, die den Cyberspace als globales
    Gemeingut betrachten und die Notwendigkeit unterstreichen, diesen vor
    Bedrohungen zu schützen. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die den
    Cyberspace als ein weiteres Gebiet zur Kriegsführung betrachten.

    Eine zentrale Herausforderung für staatliche Entscheidungsträger wird sein,
    festzulegen, wie weit Cyber-Aktivitäten durch bestehende internationale
    politische und rechtliche Normen bereits geregelt sind. Wenn man Cyber-
    Operationen unter bereits bestehende völkerrechtliche Normen subsumieren
    könnte, wäre zwar schon einiges gewonnen. Die Entwicklung eines
    gemeinsamen Verständnisses durch Rechtsgelehrte, wie die bestehenden
    Normen auf die Cyber-Operationen übertragen werden können, geht aber zu
    gemächlich voran. Es besteht die Gefahr, dass durch dieses Vakuum in der
    Zwischenzeit der immer noch mehrheitlich friedliche Charakter des Cyberspace
    durch staatliche Handlungen offensiver Natur kompromittiert wird.

    Für militärische Cyber-Operationen werden beträchtliche Mittel bereitgestellt.
    Dies steht im Kontrast zu den geringen Ressourcen, die darauf verwendet
    werden, verbindliche und akzeptable Leitplanken für solche Operationen zu
    entwickeln. Das amerikanische Verteidigungsministerium schätzt, dass bereits
    in mehr als 30 Ländern Cyber-Einheiten im Rahmen der Streitkräfte bestehen
    oder im Aufbau begriffen sind. Das Leitbild des 2009 gegründeten Cyber

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    Command des amerikanischen Verteidigungsministeriums lautet: «Es ist
    verantwortlich für die Planung, Koordination, Integration, Synchronisation, um
    die Informationsnetze des Verteidigungsministeriums zu betreiben und zu
    verteidigen und, wenn befohlen, das volle Spektrum militärischer Operationen
    durchzuführen, um den USA und ihren Verbündeten Handlungsfreiheit im
    Cyberspace zu gewährleisten.»

    Auch wenn auf die Übereinstimmung mit bestehendem Recht hingewiesen wird,
    wird aus dieser Doktrin ersichtlich, dass die USA sich nicht scheuen, mit
    offensiven oder defensiven Mitteln einem Gegner die Benutzung des Cyberspace
    unmöglich machen. Wie eine solche Verweigerung konkret vonstattengeht,
    welche internen Regeln angewendet würden und was dies für Auswirkungen auf
    die internationale Sicherheit haben könnte, wird jedoch in dieser Doktrin nicht
    erörtert. Es sind aber genau diese Fragen, über die dringend in der Öffentlichkeit
    diskutiert werden muss. Da ist die internationale Gemeinschaft gegenüber den
    militärischen Entwicklungen klar im Rückstand. Es gibt jedoch vereinzelte,
    ermutigende Signale, dass sich eine solche Diskussion anbahnen könnte.

    So gibt es in der Uno Anzeichen, dass den Fragen des verantwortungsvollen
    staatlichen Verhaltens im Cyberspace von offizieller Seite mehr Bedeutung
    geschenkt wird. Ein erster Beitrag zu dieser Debatte war der Bericht der Uno-
    Expertengruppe von 2010 zu Information und Telekommunikation im Kontext
    der internationalen Sicherheit. Die Bildung dieser Expertengruppe geht auf eine
    Initiative Russlands im Rahmen der Uno-Generalversammlung zurück, welche
    zum ersten Mal auf die Auswirkungen von Informations- und
    Kommunikationstechnologien auf die internationale Sicherheitsarchitektur
    hinwies. Die Expertengruppe anerkannte zum ersten Mal offiziell, dass Staaten
    Cyber-Techniken für Kriegsführung und Spionage entwickeln, und empfahl
    weitere Gespräche zwischen Staaten mit dem Ziel, kollektive Risiken zu
    reduzieren und nationale und internationale kritische Infrastrukturen zu
    schützen.

    Die Uno-Expertengruppe wurde 2012 erneut einberufen, mit dem Auftrag, einen
    weiteren Bericht auszuarbeiten. Sollte sich diese Gruppe, in der auch die fünf
    permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates Einsitz nehmen, auf einen weiteren
    Text einigen, könnte dies sehr wohl mithelfen, die Marschroute für eine
    verstärkte Sicherheit im und friedliche Nutzung des Cyberspace vorzuzeichnen.
    Auch im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
    Europa (OSZE), in der auch Russland als Mitglied mitwirkt, nehmen dieser Tage
    Regierungsvertreter auf informeller Ebene und unter amerikanischem
    Präsidium Arbeiten auf. Sie wollen auf regionaler Ebene einen Entwurf
    vertrauensbildender Massnahmen vorlegen, um die Risiken von
    Missverständnissen und Eskalation zu minimieren. Die Veröffentlichung im Mai

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    2011 der «Internationalen Strategie im Cyberspace» durch das Weisse Haus
    stellt einen weiteren Meilenstein im Diskurs zur internationalen Sicherheit im
    Cyberspace dar. Die Administration Obama anerkennt in diesem Bericht zum
    ersten Mal die Gefahr, die von unkontrollierten Cyber-Operationen ausgehen
    könnte: «Solche Bedrohungen können zur Gefahr für den internationalen
    Frieden und Sicherheit im weiteren Sinne werden, indem die traditionellen
    Formen der Konflikte in den Cyberspace ausgeweitet werden.» Der Bericht
    anerkennt ebenfalls, dass es an Verhaltensregeln für Staaten im Cyberspace
    fehlt.

    Die amerikanische Strategie setzte sich zum Ziel, dieses Manko zu beheben. Sie
    will mithelfen, einen Konsens darüber herbeizuführen, was «akzeptables
    staatliches Verhalten im Cyberspace» darstellt. Die Auffassung der USA, dass
    Normen in einem multilateralen Rahmen entwickelt werden müssen, ist ein
    wichtiges Signal, welche Richtung die amerikanische Diplomatie in Zukunft
    einschlagen könnte. Auch die britische Regierung hat jüngst zu diesen Fragen
    eine Führungsrolle übernommen, indem sie im November 2011 eine Konferenz
    zum Thema Cyberspace einberief. An dieser Konferenz anerkannten die
    teilnehmenden Staaten zwar, dass ihre Operationen im Cyberspace im Einklang
    mit bestehendem Völkerrecht und traditionellen Normen zwischenstaatlichen
    Verhaltens stehen müssen. Die Londoner Konferenz soll 2012 in Ungarn und
    2013 in Südkorea fortgesetzt werden. Solche Konferenzen sind notwendig und
    löblich, sie ersetzen jedoch nicht einen multilateralen diplomatischen Prozess.

    Sollte mehr Sicherheit im Cyberspace über internationale Zusammenarbeit
    erreicht werden, müssen über kurz oder lang regelrechte Abkommen zum
    Verhalten der Staaten ausgehandelt werden. In einer ersten Phase werden solche
    Abkommen wohl nur den Charakter von rechtlich nicht verbindlichen
    Instrumenten haben können. Erfreulicherweise gibt es nun Anzeichen, dass
    andere Staaten auch erkannt haben, dass hier ein politisches Vakuum besteht,
    das behoben werden muss. Denn es braucht mehr als nur ein paar generelle
    Prinzipien und Visionen, nämlich konkrete Vorschläge, was mit erlaubtem bzw.
    nicht erlaubtem staatlichem Verhalten im Cyberspace gemeint ist.

    Russland und China, zwei weitere führende Cyber-Mächte, haben ebenfalls
    begonnen, Normen auszuarbeiten. Sie unterbreiteten im September 2011 der
    Uno-Generalversammlung einen Vorschlag für einen «Internationalen
    Verhaltenskodex für Informationssicherheit». Die wichtigste Zusicherung dieses
    freiwilligen Verhaltenskodexes wäre das Versprechen, «keine Informations- und
    Kommunikationstechnologien, inklusive Netzwerken, zu verwenden, um
    feindliche Aktivitäten oder Akte der Aggression durchzuführen, eine Bedrohung
    für den internationalen Frieden und die Sicherheit darzustellen oder zur
    Verbreitung von Informations-Waffen beizutragen». Moskau und Peking

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    schlagen ferner vertrauensbildende Massnahmen vor. Diese könnten einen
    ersten Schritt in der Entwicklung von Regeln im Cyberspace darstellen, ohne den
    sehr komplizierten Weg von Vertragsverhandlungen gehen zu müssen.

    Es wird aber nicht leicht sein, einen Konsens über den Inhalt eines solchen
    Kodexes zu finden. So lässt das angestrebte Verbot von feindlichen Handlungen
    und der Verbreitung von Informations-Waffen weite Interpretationsspielräume
    zu. Dasselbe gilt für die Frage, was ein Staat als Störung oder Sabotage seines
    Cyberspace betrachtet. Bei der Prüfung möglicher Schritte einer präventiven
    Diplomatie für die Sicherheit und den Frieden im Cyberspace kann auf die
    Erfahrungen mit vertrauensbildenden Massnahmen im Bereich konventioneller
    Waffen zurückgegriffen werden.

    Erste vertrauensbildende Schritte könnten zum Beispiel die Publikation von
    nationalen Cyberspace-Doktrinen und spezifische multilaterale Konsultationen
    darstellen. Dazu kämen die gemeinsame Beobachtung von «militärischen Cyber-
    Manövern», gemeinsame Lagebilder und die Einrichtung von
    Kommunikationsverbindungen für Konsultationen bei Konflikten im
    Cyberspace. Ferner könnten Länder offiziell auf den Ersteinsatz von Cyber-
    Waffen verzichten. Auf internationaler Ebene könnten auch Kataloge
    ausgearbeitet werden, welche Instrumente zur Selbstverteidigung als legitim
    betrachtet werden.

    Dies alles müsste in einem möglichst globalen Rahmen geschehen, denn das
    Internet ist selbst ein globales Phänomen. Es ist bemerkenswert, dass heute das
    amerikanische Verteidigungsministerium selbst ausdrücklich
    vertrauensbildende Massnahmen zur Vermeidung einer Eskalation im
    Cyberspace wünscht. Die Cyber-Diplomatie hat eminenten Nachholbedarf
    gegenüber den militärischen Entwicklungen. Vertrauensbildende Massnahmen
    müssen zur Priorität für Regierungen werden.

    Paul Meyer ist ein ehemaliger kanadischer Botschafter der Uno-Abrüstungskonferenz in Genf. Heute lehrt er an der
    Simon-Fraser-Universität in Vancouver. Daniel Stauffacher ist ehemaliger Delegierter des Bundesrates und Botschafter
    der Schweiz. Er ist der Gründer der Stiftung ICT4Peace und Präsident des Geneva-Security-Forums.

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