Die Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber Alternativen Mitteln der Konfliktbeilegung - Paris, den 15. Juni 2006

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Die Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber
Alternativen Mitteln der Konfliktbeilegung

              Paris, den 15. Juni 2006

     RA Detlev Kühner, Bereich Schiedsgerichtsbarkeit
                  dkuehner@bmhav ocats.com

                       BMHAVOCATS
                     www.bmhavocats.com
I. Einleitung:

Stellen wir uns folgendes Szenario vor:

Es ist spät, sehr spät. Eine langer Verhandlungstag geht zu Ende,
jedenfalls fast, denn es fehlt noch ein kleines Detail – die Schieds-
/Gerichtsstandsklausel.
Sollte man die Schiedsgerichtsbarkeit in Anspruch nehmen oder etwas
anderes? Wie dem auch sei, es bleiben uns nur 15 Minuten, um dies zu
klären...

Dies kann eine a priori unerklärliche Tatsache erklären, nämlich dass
praktisch eine von zwei Schiedsklauseln mehr oder weniger pathologisch
sind.

Folglich spiegelt das oben beschriebene Szenario leider sehr häufig die
Realität wieder!

Diese pathologischen Klauseln sind eine leichte Beute für einen
Beklagten, der die fehlende Klarheit der Klausel nutzen wird, um in
einem frühen Stadium einen Streit innerhalb der eigentlichen Streitsache
loszutreten. Dies stört nicht nur den reibungslosen Ablauf des
Verfahrens, sondern läßt auch beträchtliche zusätzliche Kosten
entstehen.
Dabei kann dieses Szenario recht einfach vermieden werden, indem zwei Dinge
beachtet werden:

-Kenntnisserwerb der verschiedenen Streitbeilegungsmethoden;

- bewusste Befassung mit der Problemaitk der Schieds-/Gerichtsstandsklausel im
Vorfeld des Vertragsabschlusses;

Die vorliegende Abhandlung dient in erster Linie dazu, die wesentlichen Aspekte der
« Alternativen Methoden der Konfliktbeilegung » verständlich darzulegen.

Die Abhandlung hätte indessen ihr Ziel verfehlt, wenn die Notwendigkeit, bei
Vertragverhandlungen rechtzeitig an die Frage der Schieds-/Gerichtstandsklausel zu
denken, nicht jedermann einleuchtet.
II. Definitionen:

« Alternative Methoden der Konfliktbeilegung », umfassen insbesondere:

- Mediation
- Schlichtungsverfahren
- Sachverständigengutachten
- Dipute Boards

Frage: Ist die Schiedsgerichtbarkeit auch von dem Begriff « ADR » umfasst?

Es werden hierzu zwei Auffassungen vertreten:

a. ADR = « Alternative Dispute Resolution » (Schiedsgerichtbarkeit inbegriffen)

b. ADR = « Amicable Dispute Resolution » (Schiedsgerichtsbarkeit nicht inbegriffen)

Die gleiche Analyse könnte auch hinsichtlich des französischen Begriffes « MARC »
(« Moyens Alternatifs de Règlement des Conflits ») gemacht werden, da der Begriff
« MARC » das Equivalent für den englischen Begriff « ADR » ist.
III. Der Aufstieg der Alternativen Methoden der Konfliktbeilegung

In fast allen Rechtsordnungen erschließt die Schiedsgerichtsbarkeit immer mehr
Rechtsgebiete, die somit « schiedsfähig » werden.

In Frankreich zeigt sich dies durch die Reform des Artikel 2061 des Code Civil
(Gesetz Nr. 2001-420 vom 15. Mai 2001) wie folgt:

Frühere Version: « Die Schiedsklausel ist nichtig, wenn nicht gesetzlich etwas
anderes bestimmt ist. »

Neue Version: « Unter Vorbehalt spezialgesetzlicher Regelungen ist die
Schiedsklausel in Verträgen, die im Rahmen beruflicher Tätigkeiten abgeschlossen
wurden, gültig. »

- beträchtliche Ausweitung des Anwendungsbereichs (der Begriff der « beruflichen
 Tätigkeiten » ersetzt den viel engeren Begriff der « Handelsgeschäfte »)

- Bereiche, die ausgeschlossen bleiben, sind insbesondere das Verbraucher-
  schutzrecht und das Arbeitsrecht und die Bereiche, die den Ordre Public betreffen
  (z.B. Fragen der Gültigkeit einer in Frankreich eingetragenen Marke oder eines in
  Frankreich eingetragenen Patents).
Darüber hinaus, war die Schiedsgerichtsbarkeit lange Zeit die einzige Alternative zur
staatlichen Rechtsprechung.

Erst seit den achtziger Jahren haben sich anderen Methoden entwickelt, wie die der
Mediation, die nun mit der Schiedsgerichtsbarkeit konkurrieren bzw. vielmehr die
Schiedsgerichtsbarkeit ergänzen. Es handelt sich dabei um neuartige Techniken, die
ausschließlich auf die Herbeiführung einer gütlichen Lösung ausgerichtet sind. Zwar
kann auch im Rahmen eines schiedsgerichtlichen oder staatlichen Verfahrens eine
gütliche Lösung erzielt werden, ohne dass dies allerdings der primäre Zweck dieser
Verfahren wäre.

Gründe für diese Entwicklung:

- Weiterentwicklung der Streitkultur, die nicht mehr unbedingt auf sofortige
Konfrontation angelegt ist, kombiniert mit dem Willen, eine intakte wirtschaftliche
Beziehung aufrecht zu erhalten;

- Kenntnisnahme von der Tatsache, dass sich in der Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten,
insbesondere im handelsrechtlichen Bereich, das Schwarz-Weiß-Schema nicht
anwenden läßt.
1. Charakteristika des schiedsgerichtlichen Verfahrens:

-       institutionell (z.B. CCI, CMAP, AFA, OMPI) / ad hoc (Regelwerk der CNUDCI);

-       vertraulich;

-       sehr große Flexibilität / Eigenständigkeit der Parteien, die selbst die Parameter ihres
        Rechtsstreits bestimmen können (Ort des Schiedsgerichts, anwendbare Sprache,
        materiell anwendbares Recht, anwendbare Verfahrensvorschriften, Wahl der
        Schiedsrichter);

-       Reduzierung der Verfahrensdauer (« fast-track arbitration ») und Anpassung an die
        Komplexität des Rechtsstreits möglich (« Richtlinien zur Durchführung von
        kleineren Schiedsstreitigkeiten » der ICC);

-       eine einzige Instanz mit einer angemessenen Durchschnittsdauer (2 Jahre für die
        ICC Schiedsgerichtsbarkeit);

-       « Garantie » einer letzten eingeschränkten Kontrolle durch den staatlichen Richter im
        Rahmen eines Aufhebungs- oder Vollstreckungsverfahrens;
-   vereinfachte Vollstreckung von Schiedssprüchen in mehr als 140 Ländern, Dank der
    New Yorker Konvention von 1958;

-   relativ hohe Kosten (ein Rechtsstreit, mit einem Streitwert von 300.000 € mit einem
    Einzelschiedsrichter lässt annähernd folgende Kosten entstehen:
    AFA 14000 €, CMAP und CFACI 17000 €, CCI 25000 US$, OMPI 4000 US$ plus
    Schiedsrichterhonorar mit Stundensatz zwischen 300 US$ und 600 US$);

-   Schlussfolgerung: viele Vorteile, mit Ausnahme von Fällen mit übermäßiger Dauer,
    die sehr hohe Kosten verursachen (Schlüsselworte: « Verrechtlichung der
    Schiedsgerichtsbarkeit », « Schaffung einer Arbeitsgruppe der ICC Kommission für
    Schiedsgerichtsbarkeit zur Reduzierung von Dauer und Kosten in komplexen
    Schiedsverfahren »).
2. Andere Methoden der Konfliktbeilegung:

1.      Die von der ICC angebotenen Dienste zur Streitbeilegung :

Die internationale Handelskammer hat ihren Sitz in Paris und ist als gemeinnützige
Vereinigung organisiert. Sie hat seit der Gründung des Internationalen Schieds-
gerichtshofs im Jahre 1923 mehr als 14000 Schiedsverfahren verwaltet.

(a) ICC - ADR - Regeln

Besonderheit: den Parteien steht es frei, diejenige Streitbeilegungstechnik auszuwählen,
die eine zufriedenstellende Lösung ihres Streitfalls verspricht. Falls sich die Parteien auf
keine Streitbeilegungstechnik einigen können,findet eine Mediation statt:

-       Mediation: zeichnet sich durch die Möglichkeit separat geführter Einzel-
        gespräche ohne die jeweils andere Partei aus, um so schneller eine
        gemeinsame Basis zur gütlichen Streitbeilegung zu finden (der Mediator ist
        nicht beauftragt, sich über den Inhalt des Rechtsstreits zu äußern);

-       Konsulation eines Dritten: die Parteien bitten einen Dritten hinsichtlich der
        folgenden Punkte um eine unverbindliche Stellungnahme: Fragen betreffend
        den Sachverhalt, technische Fragen, rechtliche Fragen;
-   Mini-trial: Einrichtung eines Kommitees, welches den Dritten und einen
    Entscheidungsträger jeder Partei vereinigt;

-   Andere Möglichkeiten: Platz für Ideen – Kombinationen von verschiedenen
    Streitbeilegungstechniken sind denbar; z.B. der Dritte, der während eines laufenden
    Mediationsverfahrens eine Stellungnahme in Bezug auf ein spezielles Problem abgibt;

-   Frist: keine Frist im Regelwerk vorgesehen;

-   Kosten: Verwaltungskosten zwischen 1500 US$ und 10000 US$, Honorar des Dritten
    (Stundensatz wird mit dem Zentrum und den Parteien abgestimmt), sowie die
    angemessenen Auslagen des Dritten).
(b) ICC - Regeln über Sachverständigengutachten:

Ähnelt der Konsultation eines Dritten im Rahmen eines ADR-Verfahrens, allerdings mit
wichtigen Unterschieden, und zwar:

-   der Dritte gibt eine vertrauliche Stellungnahme ab, der Sachverständige ein
    Gutachten, welches während eines anschließenden Gerichts- oder
    Schiedsgerichtsverfahrens als Beweismitteil eingebracht werden kann;
-   formale Prüfung der Entscheidung des Sachverständigen durch die ICC;
-   ein ADR-Verfahren kann durch eine einzige Partei beendet werden; dies gilt nicht für ein
    Sachverständigenverfahren.

-   Frist: keine Frist im Regelwerk vorgesehen;

-   Kosten: Verwaltungskosten zwischen 2500 US$ und 15% des
    Sachverständigenhonorars, Honorar des Sachverständigen, welches in Abstimmung mit
    dem Zentrum und den Parteien in Form von Tagessätzen bestimmt wird, sowie die
    angemessenen Auslagen des Sachverständigen.
(c) ICC - Dispute Board Regeln

Das « Dispute Board » ist ein mit auftretenden Streitigkeiten befasstes Kommitee, welches
im Allgemeinen bei Vertragsbeginn zusammentritt und während der gesamten Vertrags-
dauer zur Verfügung steht und bezahlt wird. Es handelt in Form von Empfehlungen
und/oder Entscheidungen (« dauerhafte Organe, deren Aufgabe darin besteht, sich
Streitigkeiten unmittelbar nach deren Entstehung anzunehmen »)

-   Frist: Abgabe einer Empfehlung oder Fällen einer Entscheidung innerhalb von 90
    Tagen;

-   Kosten: Verwaltungskosten zwischen 2500 US$ und 10000 US$ zzgl. der im DB-
    Mitgliedsvertrag vorgesehenen Honorare der DB-Mitglieder in Form eines monatlichen
    Fixhonorars (entspricht drei Tageshonoraren) für das Zur-Verfügung-Stehen und ein
    nach Tagen bemessenes Honorar für konkrete Einsätze, sowie die den DB-Mitgliedern
    entstandenen Kosten.
(d) ICC-Regeln zum « Référé pré-arbitral »

Verfahren, in dem ein Dritter vor Bildung des Schiedsgerichts einstweilige Maßnahmen
anordnet.

Die vom Dritten angeordneten Maßnahmen verplichten die Parteien so lange, wie nichts
Anderes durch einen Richter bzw. Schiedsrichter entschieden wurde.

Der Dritte kann:

-   Erhaltungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen anordnen, falls Dringlichkeit vorliegt;
-   anordnen, dass eine Partei Zahlungen zu leisten hat;
-   anordnen, dass eine Partei Handlungen vornehmen muss, zu denen sie vertraglich
    verpflichtet ist;
-   zur Beweisführung und Beweissicherung notwendigen Maßnahme anordnen.

-   Dauer: 30 Tage ab Aktenübergabe an den Dritten;
-   Kosten: Verwaltungskosten 2500 US$, Honorare des Dritten werden von der ICC nach
    Komplexität und Zeitaufwand festgesetzt.
Aktuelle Tendenz:

Abfassen mehrstufiger Klauseln (multi-tiered arbitration clauses).

Da einzig das Schiedsgerichtsverfahren in der Lage ist, einen vollstreckbaren Schiedsspruch
zu liefern, muss dieses immer die zweiten Stufe bilden.

Die erste Stufe kann dagegen, je nach Bedarf, aus einem ADR-Verfahren einem Sachver-
ständigengutachten, einem Dispute Board oder dem « Référé pré-arbitral » Verfahren
bestehen.
2.      Die von der CMAP angebotenen Dienste zur Streitbeilegung:

Einrichtung des CMAP (« Centre de Médiation et d’Arbitrage de Paris ») als gemeinnützige
Organisation durch die CCIP (« Chambre de Commerce et d’Industrie de Paris ») im Jahre
1995.

a.      Mediation mit vertraglicher Grundlage:

-       Definition: siehe unter 1.;

-       Ergebnis: in Form eines rechtskräftigen Vergleichsprotokolls dokumentierte Einigung;

-       Frist: 2 Monate;

-       Durchschnittliche Kosten (10 Stunden): ungefähr 3000 € für eine rein französische
        Mediation und ungefähr 4000 € für eine internationale Mediation (davon jeweils
        100 € / h als Verwaltungskosten des CMAP);

-       Vereinfachtes Anerkennungverfahren, welches der erzielten Einigung
        Vollstreckbarkeit verleiht ( Art. 1441-4 NCPC).
b.   Mediation im Rahmen eines staatlichen Gerichtsverfahrens:

-    auf Initiative des Zivil- oder Handelsrichter mit Einverständnis der Parteien oder auf
     Antrag der Parteien angeordnet (Art. 131-1 bis 131-15 NCPC);

-    der CMAP ist eine der Vereinigungen, die von den Gerichten mit der Organisation
     und Verwaltung der Mediation betraut wird;

-    eine Anerkennung durch den Richter ist möglich, was der vergleichsweisen Einigung
     Vollstreckbarkeit verleiht;

-    Frist: 3 Monate, einmal erneuerbar;

-    Kosten: Es handelt sich um eine öffentliche Beauftragung für die der Mediator 110,- €
     pro Stunde erhält.
c.   Stellungnahme zu technischen Fragen :

-    Definition: entspricht mehr oder weniger der Definition des Sachverständigengutachtens
     unter 1.;
-    Frist: 2 Monate;
-    Kosten: 400€ / h (darunter 100€ / h für Verwaltungskosten des CMAP).

d.   Unabhängige juristische Bewertung:

-    Definition: Einsatz eines Dritten Bewerters, der die Aufgabe hat, zusammen mit den
     Parteien zu eruieren, wie ein (Schieds-)Gericht diesen Streit vermutlich entscheiden
     würde; Auslegung von Vertragsklauseln und gegebenenfalls deren Neufassung;
     Schadensbemessung;
-    Frist: 2 Monate;
-    Kosten: 400 € / h (davon 100 € / h als Verwaltungskosten des CMAP).
e.   Med-Arb simultan:
     Zeitgleiche getrennte Durchführung eines Mediations- und eines Schiedsverfahrens. In
     diesem Fall ist die Mediation keine Vorstufe zum Schiedsverfahren (« prozessualer
     Luxus »).

f.   Eilentscheidung:
     - Entspricht dem beschleunigten ICC « Référé pré-arbitral »;
     - Frist: 28 Tage;
     - Kosten: je nach Umfang und Streitwert des Verfahrens.

g.   « Online-Empfehlungen »:
     - Definition: gütliches Online-Streitbeilegungsverfahren in sekurisierter Form, für
     Unternehmen aus der IT – Branche, sowie für Streitigkeiten in Bezug auf die
     Internetadressen .fr und .re;
     - Frist: 8 Tage;
     - Kosten: 240 €
3.     Die von der OMPI angebotenen Dienste zur Streibeilegung:

Die Weltorganisation des geistigen Eigentums und insbesondere sein
Schieds- und Mediationszentrum hat ihren Sitz in Genf.

a.     Schiedsgerichtsbarkeit

-      Existenz eines Regelwerks für ein beschleunigtes Schiedsverfahren

       (I) preiswerter als das normale Schiedsverfahren;
       (II) umfangmäßig limitierte Parteieingaben;
       (III) immer ein Einzelschiedsrichter;
       (IV) Dauer der mündlichen Verhandlung zeitlich limitiert (maximal drei Tage);
       (V) verkürzte Fristen (3 Monate plus 1 Monat, anstelle von 9 Monaten plus 3
       Monate);
b. Mediation:

-   die OMPI ist besonders geeignet, im geistigen Eigentum spezialisierte Mediatoren
    vorzuschlagen (so wie dies auch für Schiedsrichter gilt).

c. Streitigkeiten in Bezug auf Internetadressen:

-   das Angebot der OMPI ist vollständiger als das der CMAP und erweist sich seit
    seinen Anfängen in 1999 als äußerst erfolgreich.
Ergebnis:

-   schiedsgerichtliche Institutionen und Welt der Schiedsgerichtsbarkeit sind sich der
    Problematik hinsichtlich Kosten und Verfahrensdauer zunehmend bewusster
    (Vorschläge der Arbeitsgruppe der ICC Kommission für Schiedsgerichtsbarkeit);

-   Tendenz, sich immer öfter für mehrstufige Klauseln zu entscheiden, die in der
    Vergangenheit noch zu wenig genutzt wurden.
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