Wissenschaft erleben - Thünen-Institut
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Wissenschaft erleben Der digitalisierte Dorsch SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft Die Wege des Holzes Ohne Moos nix los »Schwelbrand erkennen, bevor eine offene Flamme entsteht« Bernstein- säure aus Reststoffen Wissenschaft im Video 2019 /1
Inhalt Ausgabe 2019/1 STANDPUNKT Gemeinsam experimentieren! Von Folkhard Isermeyer 1 INFO-SPLITTER · Mondfische im Ozean der Zukunft · Holz Ahoi! · Bernsteinsäure aus Reststoffen · Waldbesitzer verstehen · Kühe von der Kette lassen · Schmerzfrei 2–3 FORSCHUNG Der digitalisierte Dorsch Trittsicher Internationale Markierungsstudie liefert Stallbohlen für Pferdeboxen richtig neue Einblicke in das Wanderverhalten auslegen 4 von Dorschen der Ostsee 10 Ohne Moos nix los SocialLab – Nutztierhaltung im Wie torfbildende Pflanzen dazu Spiegel der Gesellschaft beitragen können, Klimaprobleme zu Über den Versuch, eine wissenschaftliche Basis 6 entschärfen 12 für den gesellschaftlichen Dialog zu schaffen MENSCHEN & MEINUNGEN »Über das hinausgehen, was wir ThünenIntern im Feld erfassen können« Meldungen aus dem Hause Ein Gespräch über biologische Vielfalt 8 und was die Wissenschaft für sie tun kann 17 »Schwelbrand erkennen, bevor eine offene Flamme entsteht« Ein Gespräch über einen neuartigen Waldbrandsensor und 14 die Herausforderungen nach den Waldbränden im Jahr 2018 PORTRAIT Die Wege des Holzes Rohstoffmonitoring zur detaillierten Erfassung der Holzverwendung 16 RÜCKBLICK & AUSBLICK · Historisches Bett von Henry VII. entdeckt? · Nordsee: Einigung über Schutzmaßnahmen · Wissenschaft im Video · Wie geht es weiter mit Kuh und Kalb? · Wie mit versenkter Munition umgehen? · Ratgeber-Reihe mit weiteren Heften 18 – 20
Wissenschaft erleben 2019 /1 STANDPUNKT 1 Gemeinsam experimentieren! Von Folkhard Isermeyer Die Landwirtschaft der Zukunft soll anders sein: fende Auswertung der Ergebnisse, gemeinsames weniger Chemie, mehr Vielfalt auf dem Acker, Gespräch über die Schlussfolgerungen. Die Digita- robuster gegen den Klimawandel. So jedenfalls lisierung schafft hierfür immer bessere Vorausset- schreiben es die Zeitungen, und so fordern oder zungen: Wenn Dünge- oder Pflanzenschutzgeräte versprechen es viele Agrarpolitiker. Doch wie sollen parzellenscharf steuerbar sind, wenn Kamerasysteme Landwirte das umsetzen? Sie stehen untereinander zur automatischen Pflanzenbonitur an Landmaschi- im Wettbewerb, und wer sich da auf riskante Expe- nen montiert werden können und wenn auch die rimente einlässt, kann leicht die Existenz seines Erntemenge parzellenscharf erfasst wird, können Betriebs aufs Spiel setzen. Also doch besser alles Landwirte mit überschaubarem Aufwand umfang- beim Alten lassen? reiche Datenschätze erzeugen, die dann gemeinsam Zum Glück gibt es immer wieder Landwirte, – für alle nutzbringend – ausgewertet werden. die auf einem Teil ihrer Fläche Neues ausprobieren. Doch was ist mit dem wirtschaftlichen Risiko? Dieses freiwillige Experimentieren ist eine Stärke Für die Gemeinschaft bringt »orchestriertes« Expe- der unternehmerischen Landwirtschaft, die gezielt rimentieren umso größeren Erkenntnisgewinn, je genutzt werden kann, um den Agrarsektor in eine mehr Variation auf den Feldern geschaffen wird bessere Zukunft zu führen. Landwirtschaft findet und je länger bestimmte Experimente durchge- unter freiem Himmel statt, jedes Jahr mit anderem halten werden. Für den einzelnen Landwirt sieht Wetter, mit Dutzenden von Entwicklungsoptionen das anders aus: Gerade bei starker Variation der für jeden Standort. Bei dieser Komplexität wäre Versuchsglieder werden viele Parzellen, die er in es grundverkehrt, das Experimentieren allein den das Gemeinschaftsexperiment einbringt, wesent- staatlichen Versuchsstationen zu überlassen. Die lich weniger Gewinn abwerfen als bei herkömm- Herausforderung besteht vielmehr darin, Forschung licher Bewirtschaftung. Deshalb werden Landwirte sowohl »on station« als auch »on farm« auszubauen auf Dauer nur bei einem Verlustausgleich mitma- und so zu kombinieren, dass die Innovationskraft für chen. Dieser sollte aus öffentlichen Kassen gezahlt die praktische Landwirtschaft optimiert wird. werden, denn die Ergebnisse kommen der gesam- Bisher findet das nur in Ansätzen statt. Kaum ten Gesellschaft zu Gute. ein Landwirt hat die Möglichkeit, auf seinem Hof Eigentlich ein naheliegender Ansatz, doch bei systematische Experimente anzustellen und sta- der praktischen Umsetzung stehen die Tücken tistisch auszuwerten. Solange jeder nur für sich des EU-Beihilferechts im Weg. Hier eine Lösung agiert, bleibt es meist bei einem einfachen Vorher- zu finden, die eine unbürokratische und zugleich Nachher-Vergleich für eine einzige Veränderung rechtssichere Einbeziehung vieler Landwirte ins des Produktionssystems in einem einzigen Jahr. Aus gemeinsame Experimentieren ermöglicht, ist nicht solchen »Versuchen« lassen sich nur sehr begrenzte trivial. Die Deutsche Agrarforschungsallianz (DAFA) Erkenntnisse ableiten. und das Thünen-Institut haben deshalb ein Projekt Besser wäre es, wenn zahlreiche Betriebe ihre in Angriff genommen, das genau auf diese Heraus- Flächen in gemeinsame Experimente einbrächten: forderung ausgerichtet ist. Hoffentlich werden wir Planung des Experimental-Designs zusammen mit der Politik schon bald einen umsetzbaren Lösungs- Wissenschaft und Beratung, Erfassung und übergrei- vorschlag präsentieren können.
2 INFO-SPLITTER InfoSplitter Mondfische im Ozean Bernsteinsäure aus Kühe von der Kette lassen der Zukunft Reststoffen Die meisten Milchkühe werden heute in Ställen Manchmal passiert auch für Forscher Unerwar- Mit dem Übergang in die biobasierte Wirtschaft gehalten, in denen sie sich frei bewegen können. tetes: Auf der Suche nach Larven des Europäi- wird es auch für die chemische Industrie immer Vor allem in Süddeutschland gibt es aber noch schen Aals in ihrer Geburtsstätte im westlichen wichtiger, Grundchemikalien aus nachwach- viele Ställe, in denen die Tiere dauerhaft ange- Nordatlantik (Sargassosee) gingen den Thünen- senden Rohstoffen zu gewinnen. Bernsteinsäu- bunden sind. Ihnen stehen weder Laufhof noch Fischereibiologen auch Larven zweier seltener re gehört zu den wichtigsten biobasierten Weide zur Verfügung. Mondfischarten ins Netz. Zwar ist bekannt, dass Plattform-Chemikalien. Sie findet Anwendung Die ganzjährige Anbindehaltung ist nach dieses nährstoffarme Seegebiet zahlreichen in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie so- heutigem Stand der Wissenschaft nicht als tier- Tierarten als Lebensraum und Kinderstube wie als Baustein für biologisch abbaubare gerechtes Haltungsverfahren anzusehen. Da- dient, allerdings wusste man über die frühen Kunststoffe. Kommerziell wird Bernsteinsäure her hat das Thünen-Institut für Betriebswirt- Lebensphasen der Mondfische bisher nur we- derzeit petrochemisch produziert. Moderne schaft untersucht, welche Folgen ein Verbot, nig. Und das, obwohl bestimmte Mondfisch- biotechnische Methoden könnten einen alter- das derzeit im politischen Raum diskutiert wird, arten mit einem Maximalgewicht von über drei nativen Prozessweg auf Basis nachwachsender für die betroffenen Betriebe hätte. Ein Verbot Tonnen zu den größten Knochenfischen der Rohstoffe erschließen. nach einer ca. 10-jährigen Übergangszeit wür- Erde gehören. Mit einem am Thünen-Institut für Agrartech- de etwa 13.500 Betriebe mit rund 270.000 Milch- Die Studentin Lea Hellenbrecht von der Uni- nologie neu isolierten Bodenorganismus wurde kühen betreffen. Die wichtigsten Anpassungs- versität Hamburg hat in Kooperation mit dem hierzu in einem ersten Projekt die biotechnolo- maßnahmen der Betriebe wären: Weidegang Thünen-Institut für Fischereiökologie das seltene gische Produktion von Bernsteinsäure unter- ermöglichen, einen Laufhof einrichten oder Probenmaterial für ihre Bachelorarbeit über das sucht. Als Ausgangssubstrat dienten Glycerin Stallbaumaßnahmen durchführen (Umbau Vorkommen und die Verteilung der Mondfisch- und CO₂. Rohglycerin fällt bei der Biodieselher- oder Neubau). Je nach betrieblicher Situation larven in der Sargassosee verwendet. Sie konnte stellung als Reststoff an und stellt, wie auch variieren die Kosten dieser Maßnahmen sehr zeigen, dass die Larven bevorzugt im wärmeren CO₂, eine günstige Kohlenstoffquelle dar. Mit stark: Die Spanne reicht von 0,3 bis 13,4 ct/kg Teil des Untersuchungsgebiets auftraten und einer neuartigen Mischkultur aus Bakterien Milch, was einer Kostensteigerung von ei- nach Osten hin zunehmend größer wurden, was (Foto) ließ sich ungereinigtes Rohglycerin ge- nem bis 37 % entspricht. darauf hindeutet, dass sie verdriftet werden. Die nauso effizient umsetzen wie weitaus teureres, Um ein Verbot möglichst sozialverträglich Ergebnisse werden gerade publiziert. reines Glycerin. Mittels geschickter Prozess- zu gestalten, sollte es mit attraktiven Förder- Aufgrund von Überfischung und Klimawandel führung wurde auf diese Weise eine Endkon- maßnahmen flankiert und den Betrieben aus- wird erwartet, dass die Bestände von Raubfischen zentration von bis zu 133 Gramm Bernsteinsäu- reichende Übergangsfristen eingeräumt wer- in vielen Meeresgebieten zukünftig zurückgehen re pro Liter erreicht. Dieser Wert ist für Wildtyp- den. Der Finanzbedarf für die Förderung, die in werden und die Zahl der Wirbellosen steigt. Auf- Organismen absolute Spitze. der zweiten Säule der EU-Agrarpolitik möglich grund ihrer Ernährungsweise (u. a. Quallen und Mit dem von Thünen-Agrartechnologen iso- wäre, wird auf bis zu 287 Mio. Euro geschätzt. Tintenfische) gehören Mondfische zu den Fisch- lierten Organismus und der Nutzung preisgüns- Es ist allerdings davon auszugehen, dass ein arten, die von diesen Veränderungen profitieren tiger Reststoffe zeigt diese Variante der Bern- Teil der Betriebe ein Verbot der ganzjährigen könnten. Mondfischbestände und deren Verbrei- steinsäureproduktion großes Potenzial für die Anbindehaltung trotz Förderung zum Anlass tung könnten somit informative Indikatoren für chemische Industrie. Wie groß, soll in einem Fol- nehmen würde, ihre Milchviehhaltung einzu- den Ozean der Zukunft werden. UK geprojekt erforscht werden. UP stellen. FI KONTAKT: marko.freese@thuenen.de KONTAKT: anja.kuenz@thuenen.de KONTAKT: angela.bergschmidt@thuenen.de
Wissenschaft erleben 2019 /1 INFO-SPLITTER 3 Holz Ahoi! Waldbesitzer verstehen Schmerzfrei In Küstenregionen wird Holz für verschiedene Zwe- Etwa die Hälfte des deutschen Waldes gehört Pri- In der Schweinehaltung ist es immer noch gängi- cke im Meerwasser verwendet (Wellenbrecher, vatpersonen, und die Hälfte davon Kleinprivat- ge Praxis, männliche Ferkel ohne Betäubung zu Schiffsanleger etc.). Dabei kann es dem Angriff waldbesitzern. In diese Kategorie fallen jene kastrieren. Damit sollte eigentlich zu Jahresbe- durch holzzerstörende Organismen ausgesetzt 1,8 Mio. Waldbesitzer, deren Waldfläche unter ginn 2019 Schluss sein. Im letzten November ver- sein: Unter Wasser z. B. durch die Schiffsbohrmu- 20 Hektar liegt. Das Thünen-Institut hat nun erst- längerte der Deutsche Bundestag die Frist je- schel, oberhalb des Wasserspiegels durch Pilze, die mals untersucht, wie es um die Lebensverhält- doch noch einmal um zwei Jahre, auch vor dem ungeschützte Holzkonstruktionen gefährden. Auf- nisse, Ziele und Handlungsabsichten dieser Be- Hintergrund einer uneinheitlichen Regelungs- fällig ist, dass Bauteile im Übergangsbereich, der völkerungsgruppe bestellt ist. praxis in den Mitgliedstaaten der EU. Tidenhubzone, seltener geschädigt sind. Die Ursa- Weshalb ist das ein Thema für die Bundesfor- Wie sich die verfügbaren Alternativen zur che hierfür war bisher nicht bekannt. schung? Letztlich geht es um die Frage, wie die betäubungslosen Kastration wirtschaftlich aus- Ein Forschungsprojekt am Thünen-Institut für Politik den Forstsektor in seiner ganzen Breite wirken würden, hat das Thünen-Institut nun am Holzforschung ging zusammen mit Partnern die- dabei unterstützen kann, gesellschaftlich er- Beispiel von elf typischen Betrieben in Deutsch- ser Frage nach und prüfte gleichzeitig die Eig- wünschte Leistungen wie Klimaschutz, Holzver- land untersucht. Dabei zeigte sich, dass die so- nung einheimischer Nutzhölzer im Salzwasser- sorgung, Biodiversität und Erholung bestmög- genannte Immunokastration, bei der die Bil- bereich. Untersuchungen von Rammpfählen, die lich zu erbringen. Beim Staatswald hat sie dung der Geschlechtshormone durch eine im Meerwasser exponiert waren, zeigten, dass prinzipiell die Möglichkeit, unmittelbar in die Impfung verhindert wird, wirtschaftlich vorteil- sich im Bereich des Tidenhubs Mineralien wie Bewirtschaftung »ihres« Waldes einzugreifen; haft ist, denn hier werden die Mehrkosten Kalzium, Kalium und Magnesium im Holz anrei- demgegenüber kann sie beim Privatwald nur durch schnelleres Wachstum der Tiere und bes- chern. Dadurch haben holzzerstörende Pilze mittelbar agieren, indem sie sich z. B. mit Bera- sere Futterverwertung kompensiert. kaum eine Entwicklungschance. tungsangeboten, finanziellen Anreizen oder Auf- Die Ebermast, also der Verzicht auf eine Kast- Befinden sich Holzbauteile oberhalb der Was- lagen an Privateigentümer wendet. Dazu sollte ration, schneidet aufgrund der geringeren Be- seroberfläche, müssen sie vor dauerhafter Be- sie wissen, wie die Zielgruppe denkt und han- zahlung durch die deutsche Schlachtindustrie feuchtung geschützt werden, um einen Pilzbe- delt. etwas schlechter ab. Deutlich unwirtschaftlicher fall zu vermeiden. Dies kann relativ einfach durch Die Analyse zeigt, dass die Privatwaldbesitzer sind die beiden chirurgischen Verfahren mit Voll- Abdeckungen der Holzquerschnittfläche reali- der Schutzfunktion des Waldes eine ebenso gro- narkose: Die Injektionsnarkose ist das teuerste siert werden. ße Bedeutung beimessen, wie dies die übrige Verfahren, aber auch die Inhalationsnarkose mit Bei Holz, das sich dauerhaft unter Wasser be- Bevölkerung tut. Jeder zweite Waldeigentümer Isofluran ist relativ teuer, sofern sie von Tier- findet, wurde nachgewiesen, dass eine Umman- nimmt jedoch die bisherigen Angebote professi- ärzten durchgeführt wird. Der Bund bereitet telung mit wasserundurchlässigen Textilien auf oneller Forstleute nicht in Anspruch. Daher sind aktuell eine Durchführungsverordnung vor, Basis von Polypropylen und Polyester (soge- neue Wege zu suchen, um den Waldbesitzern nach der auch Landwirte diese Maßnahme nannte Geotextilien) zu einem mehrjährigen verbesserte Beratungs- und Betreuungsangebo- durchführen dürften. Hier bestehen jedoch noch Schutz vor marinen Schadorganismen führt. te z. B. zur Waldpflege, zu Natur- oder Klima- offene Fragen bezüglich Schmerzausschaltung, Durch die Kombination der geschilderten schutz zu machen. Digitale Angebote sind hier- Tierschutz und Arbeitssicherheit. Maßnahmen sowie der Salzanreicherung im Holz bei sehr erfolgversprechend, da bereits heute Die detaillierten Ergebnisse sind als Working sollte auch bei Verwendung von Douglasie und rund 90 % der Privatwaldbesitzer internetfähige Paper Nr. 110 auf der Thünen-Website verfüg- Lärche eine lange Nutzungsdauer küstennaher Endgeräte fast täglich nutzen. FI bar. FI Holzkonstruktionen zu erwarten sein. MO KONTAKT: bjoern.seintsch@thuenen.de KONTAKT: mandes.verhaagh@thuenen.de KONTAKT: eckhard.melcher@thuenen.de
4 FORSCHUNG Der digitalisierte Dorsch Internationale Markierungsstudie liefert neue Einblicke in das Wanderverhalten von Dorschen der Ostsee Der Dorsch ist der Brotfisch vieler Ostsee-Fischer. Trotz jahrzehntelanger Forschung hat er noch nicht alle Geheimnisse seiner Lebensweise preis- gegeben. Vor allem die Wanderbewegungen der Tiere geben noch viele Rätsel auf, was eine nachhaltige Fischerei erschwert. Mit Hilfe eines internationalen Markierungsprojekts haben Wissenschaftler nun unter anderem eine »Dorsch-Autobahn« entdeckt. Das Thünen-Institut für Ostseefischerei markiert äußerlich markiert und anschließend wieder frei- schon seit Längerem Dorsche in der Ostsee und hat gelassen. mit Hilfe von Wiederfängen entscheidende Erkennt- Die Datenspeicher wurden den Dorschen als nisse in der Altersbestimmung und zum Wachs- Sonden, die wie kleine Zäpfchen aussehen, in die tum gewinnen können. Diese Art der Markierung Bauchhöhle implantiert. Neben der Uhrzeit können verrät aber nichts über die Wanderbewegungen der sie auch die Wassertiefe und die Umgebungstem- Fische, denn in aller Regel ist nur der Aussetz- und peratur speichern. Die Sonden arbeiten also ähnlich Wiederfangpunkt der markierten Fische bekannt. wie eine Blackbox im Flugzeug und können ausge- Wanderroute eines in der Um diese Lücke zu schließen, werden im Rahmen lesen werden, wenn das Tier wiedergefangen wird. Arkonasee (A) freigelassenen des Projekts TABACOD (»Tagging Baltic Cod«) digi- 38 Dorsche samt Datenspeicher haben die Dorsches: Über die flache tale Markierungen verwendet. Wissenschaftler bereits von Berufsfischern und Rönnebank (B) schwamm er zum Laichen ins Bornholm- Seit 2016 wurden 1.260 Dorsche schonend Anglern zurückerhalten – mit erfassten Aufzeich- Becken (C) und wurde vor gefangen und mit Datenspeichern versehen. Zum nungslängen von bis zu 375 Tagen. Für jeden zurück- Rügen wiedergefangen (D). besseren Wiederfinden wurden die Fische auch gegebenen Dorsch wird eine Prämie von 100 Euro ausgezahlt. Die Wiederfangrate von 3 % ist jedoch Tiefe (m) deutlich geringer als erwartet. Vermutlich werden 10 - 0 20 - 10 viele Markierungen übersehen. 30 - 20 40 - 30 50 - 40 Ein geregelter Tagesrhythmus 60 - 50 Die digitalisierten Dorsche zeigten über lange 70 - 60 C Phasen des Jahres dämmerungsaktives Verhalten. 80 - 70 A Kurz vor Sonnenaufgang schwammen die Dorsche B ins tiefe Wasser und kurz nach Sonnenuntergang wieder in die oberen Wasserschichten. Die Uhr- zeit variierte dabei mit der jahreszeitlichen Ände- rung der Tageslänge. Diese Vertikalbewegungen D hatten teilweise erstaunliche Ausmaße: So legten die Dorsche innerhalb von 30 Minuten bis zu 30 m in der Wassersäule zurück und waren dabei Tem- peraturunterschieden von bis zu 9,6 Grad ausge- setzt.
Wissenschaft erleben 2019 /1 FORSCHUNG 5 Auch der Mond beeinflusst den Dorsch Becken zum Laichen schwammen sie wieder in sehr Zusätzlich zu diesen täglichen vertikalen Wande- küstennahe Gebiete zurück, um dort im nahrungs- rungen konnten die Wissenschaftler bei einigen reichen Flachwasser ihre Energiereserven aufzu- Dorschen vor der schwedischen Küste ein von den füllen. Auffällig war hier, dass Dorsche, die vor der Mondphasen gesteuertes Verhalten erkennen. Insel Rügen markiert worden waren, oftmals sehr Mit abnehmendem Mond nahmen die täglichen ähnliche Schwimmrouten verfolgten. Es scheint vertikalen Wanderungen zu, sehr wahrscheinlich also zwischen Rügen und der Bornholmsee einen schwammen die Fische in diesen Phasen verstärkt Korridor zu geben, den die Dorsche als direkte Ver- ins Flachwasser. Bei Vollmond hingegen blieben sie bindung vor und nach dem Laichgeschäft regelmä- auch nachts im Tiefen. Möglicherweise ist dieses ßig nutzen: eine regelrechte Dorsch-Autobahn. mondgesteuerte Verhalten an eine veränderte Ver- fügbarkeit ihrer Beuteorganismen (Wirbellose und Lücke in der Erfassung von Dorschen im Heringe) gekoppelt. Küstenbereich Diese ersten Erkenntnisse legen nahe, die bishe- Reise auf der Dorsch-Autobahn rige Erhebungspraxis weiterzuentwickeln: Die For- Im Gegensatz zu den täglichen vertikalen Wan- schungsreisen mit dem Schleppnetz, die zweimal im derungen waren die horizontalen Wanderungen Jahr stattfinden und der Abschätzung der Bestands- deutlich variabler. Weil die östliche Ostsee charak- größe dienen, erfassen die Verteilung der Dorsche teristische tiefe Becken und flache Schwellen hat, bislang nicht vollständig. Denn das Forschungsschiff Datenlogger in Realgröße. war es möglich, die horizontale Wanderung des kann im flachen, küstennahen Gebiet nicht fischen. Für kleinere Fische gibt es auch Logger in 25 mm Länge. bodennah lebenden Dorsches anhand des Tiefen- Bisher wurde deshalb der Anteil der Dorsche, die zu profils im Datenspeicher nachzuvollziehen. einer bestimmten Jahreszeit im Flachen vorkommen, Eine Gemeinsamkeit hatten alle wiedergefan- als konstant angenommen. Das neue Wissen über die genen Dorsche: Von Juni bis November hielten Wanderrouten des Dorsches aber belegt, dass sich sie sich bei bis zu 70 m Wassertiefe im Bornholm- dort im Herbst offenbar viele Dorsche aufhalten. Becken auf, das als das größte Laichgebiet in der Wie dies die Prognosen zur Bestandsentwick- östlichen Ostsee gilt. Während einige Tiere das lung und die Fangempfehlung beeinflusst, gilt es ganze Jahr dort blieben, zeigten andere Dorsche noch herauszufinden. UK Wanderungsrouten von mehr als 300 km: Nach dem sommerlichen Zwischenstopp im Bornholm- KONTAKT: stefanie.haase@thuenen.de
6 FORSCHUNG Ohne Moos nix los Wie torfbildende Pflanzen dazu beitragen können, Klimaprobleme zu entschärfen Seit alters her gelten Moore als faszinierend und gefährlich zugleich. Eine unsichtbare Gefahr, die von entwässerten Mooren ausgeht, rückt gegenwärtig immer mehr in den Fokus: Treibhausgase. Forscher arbeiten an Konzepten, mit denen die Emission der klimaschädlichen Gase verringert und gleichzeitig nach- wachsende Rohstoffe erzeugt werden können. Moore sind Feuchtgebiete mit ganz spezieller Öko- aus Umwelt- und Klimaschutzgründen nicht mehr logie. Ein ständig hoher Wasserstand sorgt dafür, gewollt ist, müssen neuartige Ansätze zur »nassen dass Pflanzenreste – z. B. von Seggen und Torfmoo- Moornutzung« entwickelt werden. sen – nur äußerst langsam abgebaut werden. Es An diesem Punkt setzt ein vom niedersächsi- entsteht Torf, ein Substrat mit einem hohen Kohlen- schen Landwirtschaftsministerium und der Deut- stoffanteil, der aus den nicht vollständig zersetzten schen Bundestiftung Umwelt (DBU) gefördertes Pflanzen besteht. So nehmen Moore über Jahrtau- Projekt zur großflächigen Kultivierung von Torfmoo- sende das Treibhausgas Kohlendioxid (CO₂) auf, sen an. Damit ließen sich im Idealfall drei Fliegen mit emittieren allerdings gleichzeitig das unter nassen einer Klappe schlagen: Torfmoos-Substrat kann im Bedingungen durch Mikroorganismen erzeugte Gartenbau – zum Beispiel als hochwertige Alterna- Methan (CH₄). Im Mittel sind naturnahe Moore also tive zu Pflanzerden aus Torf – vermarktet werden, Kohlenstoffsenken und in etwa treibhausgasneutral. die Anbauflächen bieten ein naturnahes Habitat für Mittlerweile sind bei uns die meisten Moore moortypische Flora und Fauna und es wird erwartet, durch Entwässerung und Düngung zu land- oder dass die Kultivierung zu weniger Treibhausgasaus- forstwirtschaftlichen Standorten geworden oder stoß führt als eine herkömmliche Nutzung. abgetorft worden. Sinkt der Wasserspiegel, so An dem Projekt beteiligen sich drei Partner: dringt Luftsauerstoff in den Moorboden ein und Das Unternehmen Klasmann-Deilmann (Hersteller Mikroorganismen können das reichlich vorhandene von Blumenerden und weiteren Kultursubstraten) organische Material zersetzen. Dabei wird CO₂ frei. kümmert sich um das Flächenmanagement, die Uni- Entwässerte Moorböden sind daher ein bedeuten- versität Hannover untersucht die Biodiversität und der Treiber des Klimawandels: Obwohl Moorböden Jan Oestmann, Dominik Düvel und Bärbel Tiemeyer in Deutschland nur etwa 8 % der landwirtschaftli- vom Thünen-Institut für Agrarklimaschutz messen chen Fläche ausmachen, produzieren sie fast 40 % die Treibhausgasflüsse. der Treibhausgase aus der Land- und Forstwirt- schaft. Das sind 4 % der gesamten deutschen Treib- Wassermanagement als Schlüsselfaktor hausgasemissionen. Die Versuche finden auf ehemaligen Abtorfungsflä- chen im Emsland statt. Für die Torfmooskultivierung Alternative Bewirtschaftungskonzepte wurden Gebiete mit drei verschiedenen Bewässe- Da auch die moorspezifische Artenvielfalt zurückge- rungssystemen ausgewählt: gangen ist, arbeiten Naturschützer schon seit Jahr- • Flächen mit flachen Gräben, zehnten daran, Moore wieder wachsen zu lassen, • Flächen mit Tröpfchenbewässerung, sowohl auf ehemals landwirtschaftlichen Flächen • ein von Gräben durchzogener ehemaliger Polder. als auch nach Torfabbau. Die Grundidee ist simpel: Die ersten beiden Varianten wurden mit Grundwas- Das Moor muss wieder nass werden. Allerdings ser bewässert, bei der dritten diente ein fast ständig sind viele Moorflächen im Eigentum von Landwir- mit Wasser gefüllter Polder, in dem ebenfalls Treib- ten, die dort ihren Lebensunterhalt erwirtschaften hausgas-Emissionen gemessen wurden, als Wasser- müssen. Wenn eine herkömmliche Bewirtschaftung reservoir.
Wissenschaft erleben 2019 /1 FORSCHUNG 7 Torfmoose auf der Versuchsfläche Zusätzlich wurde untersucht, wie sich die Entnahme trale Treibhausgasbilanz zu erwarten, aber es zeigt von Torfmoos, das für die »Animpfung« der Anbau- sich eine deutliche Minderung im Vergleich zu land- flächen benötigt wird, auf die naturnahen »Spen- wirtschaftlich genutzten Moorflächen. Als zusätzli- derflächen« auswirkt. Bei der im Sommer 2018 ches Plus siedeln sich auf den Anbauflächen schnell vorherrschenden extremen Trockenheit erwies sich wieder seltene Tier- und Pflanzenarten an. die Tröpfchenbewässerung als vorteilhaft. Sie brachte die notwendige Feuchtigkeit auf die Fläche, während Moornutzung bleibt im Fokus die flachen Gräben nicht genügend Wasser für die Torf- Also alles im grünen Bereich? Nicht ganz, denn die mooskultivierung bereitstellten. Noch besser wuchsen Bewirtschaftung und Pflege der Flächen sowie die Moose auf den ehemaligen Polderflächen, die die Erntetechnik sind noch so aufwendig, dass der schon mehrere Jahre gut »durchweicht« waren. Anbau bislang nicht wirtschaftlich ist. Die Untersu- chungen haben aber gezeigt, dass es sich bei der Treibhausgasmessungen: Erwartetes und Torfmooskultivierung aus Sicht des Klimaschutzes Überraschungen um einen vielversprechenden Nutzungsansatz Einige der durchweichten ehemaligen Polderflä- handelt – eine wichtige Voraussetzung, um weiter- chen nahmen während der Torfmooskultivierung gehende Forschung zu initiieren, den Einsatz von netto Kohlenstoff auf, während die Flächen, die nur Klimaschutz-Geldern zu begründen und die Aner- über Gräben mit Wasser versorgt wurden, CO₂ frei- kennung der Torfmoosproduktion als landwirt- setzten. Der nasse Bewässerungspolder emittierte schaftliche Nutzung voranzutreiben. Denn nur dann mehr Methan als die Anbauflächen, aber deutlich erhalten die Eigentümer Flächenförderung aus dem weniger als die naturnahen Referenzflächen. EU-Agrarfonds. Gute Neuigkeiten gab es für die Spenderflächen: Dass Moore auch unter künftigen Klimabedin- Sie erholten sich schneller als erwartet von der Torf- gungen im Auge behalten werden müssen, machte moosentnahme und nahmen im zweiten Messjahr ein Begleitversuch mit sogenannten Open-Top-Kam- sogar mehr Kohlenstoff auf als die Referenzfläche mern deutlich. Die Kammern simulieren den Klima- ohne Entnahme. wandel, indem sie die Luft- und Bodentemperatur Die Treibhausgasbilanz des gesamten Systems ist erhöhen. Es zeigte sich: Unter diesen Bedingungen optimal, wenn für die Kultivierung große, gut durch- könnten sich durch verstärkte mikrobielle Aktivität weichte Flächen genutzt werden können, die durch die Methanemissionen erhöhen. Die Klimarelevanz möglichst kleine Wasserflächen versorgt werden. der Moore kann sich also weiter verschärfen. MW Da ein Teil der aufgewachsenen Moos-Biomasse wieder geerntet wird, ist auf den Flächen keine neu- KONTAKT: baerbel.tiemeyer@thuenen.de
8 MENSCHEN & MEINUNGEN »Über das hinausgehen, was wir im Feld erfassen können« Ein Gespräch über biologische Vielfalt und was die Wissenschaft für sie tun kann Getreide mit oder ohne Blühstreifen? Hecken als Nahrungsquelle für Insekten? Ein computergestütztes Kartenspiel des Thünen-Instituts zeigt, welcher Mix an Kulturen und Maßnahmen optimal ist, damit der Ertrag stimmt und blütenbe- stäubende Wildbienen einen intakten Lebensraum vorfinden. Was hinter dem Spiel steckt, darüber sprachen wir mit Jan Thiele, Stefan Mecke und Jens Dauber aus dem Thünen-Institut für Biodiversität. Auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin terspiele nutzen. Wir setzen sie vor allem in Projek- haben Sie Besuchern spielerisch gezeigt, wie sich ten ein, in denen es darum geht, wie sich bestimmte konventionelle Landwirtschaft und Artenschutz Agrarumweltmaßnahmen auf Landschaftsebene miteinander kombinieren lassen. Wie waren die auf verschiedene Organismengruppen auswirken. Mais mit Blühstreifen Reaktionen? Da viele dieser Maßnahmen das Blütenangebot in JT: Viele haben sich auf unser Spiel eingelassen. Landschaften erhöhen, sind zum Beispiel Hummeln Manche waren dann erstaunt, dass die Anzeige auf wichtige Indikatoren. dem Monitor in Echtzeit auf die gelegten Spielkar- ten reagiert und die Bienen-Population sich ent- Seit Kurzem ist die landschaftsökologische sprechend verändert. Technisch war das für die Modellierung ein eigener Arbeitsbereich im Leute einigermaßen faszinierend. Thünen-Institut – mit welchen Zielen? Raps mit Feldrain SM: Interessant zu beobachten waren für uns JD: Die Modellierung erlaubt uns, über das hin- die unterschiedlichen Herangehensweisen der auszugehen, was wir im Feld tatsächlich erfassen Besucher: Einige haben einfach drauflos gepuz- können. In einem Projekt können wir ein bestimm- zelt, andere haben sehr überlegt und wissens- tes kleines Set an Maßnahmen auf landwirtschaft- basiert versucht, eine optimale Landschaft zu lichen Betrieben umsetzen, zum Beispiel Blühstrei- Getreide mit Hecke gestalten. fen für mehr Nektar und Pollen. Mit der Modellie- rung können wir Szenarien entwickeln, die mehr Was war der Zweck des Spiels? Agrarumweltmaßnahmen abbilden als es derzeit JT: Wir wollten anschaulich machen, dass es einen tatsächlich gibt. Auf dieser Basis lassen sich Optio- direkten Zusammenhang zwischen Landnutzung nen aufzeigen, was wir in der Landwirtschaft alles und biologischer Vielfalt gibt. Ich glaube, unser erreichen können und welcher Aufwand dafür nötig Spiel hat die Leute auch zum Nachdenken gebracht. ist. Richtig spannend wird es, wenn man das inter- Ackerbrache Viele haben sich nach einer Weile überlegt, ob sie disziplinär angeht, also zum Beispiel auch Kosten- Getreide mit oder ohne Blühstreifen anlegen. Nutzen-Analysen anstellt. JT: Mit unserer neuen Arbeitsgruppe wollen wir Welches Modell stand für dieses Spiel Pate? solche Modelle, mit denen man Prozesse auf Land- Silphie JT: Wir haben ein Modell für Wildbienen-Popula- schaftsebene abbilden kann, nicht nur anwenden. tionen verwendet, das bereits gut validiert ist. Das Wir wollen sie auch selbst entwickeln, zum Beispiel Karten des Biodiversitätsspiels Modell wird seit einigen Jahren von einer Arbeits- für andere Artengruppen. mit verschiedenen insekten- gruppe in England entwickelt und ist frei verfügbar. SM: Das ist auch technisch gesehen eine span- fördernden Kulturvarianten JD: Diese Modelle kann man nicht nur für Compu- nende Aufgabe. Denn es gibt riesige Datenmen-
Wissenschaft erleben 2019 /1 MENSCHEN & MEINUNGEN 9 Stefan Mecke, Jan Thiele und Jens Dauber (v.l.n.r.) mit dem Biodiversitätsspiel gen, die man so aber nicht verwerten kann. Das Wenn es schon ein deutschlandweites ökolo- Operationalisieren von Daten für Modelle ist ein gisches Stichproben-Netzwerk gibt, warum ganz entscheidender und schwieriger Schritt, der brauchen wir dann ein nationales Monitoring, das oft limitierend ist. die Agrarlandschaften in den Blick nimmt? JD: Die Indikatoren, die bislang erhoben werden, sind Welche Rolle spielt die Modellierung für das nur bedingt geeignet, um agrarspezifische Fragen nationale Monitoring der biologischen Vielfalt zu beantworten. Beim Agrarlandschafts-Monitoring der Agrarlandschaften, das vom BMEL initiiert betrachten wir Ursache-Wirkungs-Beziehungen, zum und in diesem März gestartet worden ist? Beispiel wie sich der Einsatz von Pflanzenschutz- und JD: Mit dem Monitoring werden bestimmte Orga- Düngemitteln auf die biologische Vielfalt auswirkt. nismengruppen und deren Funktionen sowie Daraus können wir eine gezielte Politikberatung Landschaftsstrukturen langfristig und standar- ableiten. disiert erfasst. Aus diesen Daten können wir mit Hilfe der Modellierung Aussagen über die Wirk- Sie schauen also genauer in die einzelnen samkeit von bestimmten Strategien im Agrar- Agrarräume hinein? bereich treffen. JD: Ja, denn wir haben nicht in jedem Agrarraum die gleiche Problematik, was biologische Vielfalt Wie ist das nationale Monitoring aufgesetzt? anbelangt. Die ertragsstarken Böden der Hildeshei- JD: Wir verfolgen verschiedene Ansätze. Unter mer Börde etwa sind nicht mit der extensiven Grün- anderem wollen wir auf landwirtschaftlichen landwirtschaft im Harz vergleichbar. Daher muss Betrieben gemeinsam mit den Landwirten im ich innerhalb eines jeden Agrarraums analysieren, Sinne eines Citizen-Science-Monitorings Indika- welche Maßnahmen sich dort besonders günstig toren erheben. Aber natürlich werden wir auch auf die biologische Vielfalt auswirken und welche versuchen, bereits vorhandene Daten für unsere weniger geeignet sind. agrarspezifischen Ansätze zu verwenden. Da gibt SM: Es geht also letztlich um standortangepasste es schon viele Aktivitäten in einzelnen Bundeslän- Konzepte, die Produktion und biologische Vielfalt dern, außerdem ein bundesweit repräsentatives optimal miteinander in Einklang zu bringen. Stichproben-Netzwerk für ein naturschutzfachli- ches Monitoring mit über 1.000 Stichprobenflä- Vielen Dank für das Gespräch. UH chen in ganz Deutschland.
10 FORSCHUNG Trittsicher Stallbohlen für Pferdeboxen richtig auslegen Holzbohlen in Pferdeboxen müssen viel aushalten. Feuchtigkeit, neugierige Zähne und im Extremfall einen kräftigen Tritt. Dieser darf die Bohle dann aber nicht zum Brechen bringen. So will es zumindest das Tierschutzgesetz. Aber wie kräftig tritt ein Pferd? Dazu existierten bislang keine belastbaren Daten. Bereits 2009 hat das Bundeslandwirtschaftsmi- den notwendigen Qualitäten und Mengen impor- nisterium »Leitlinien zur Beurteilung von Pfer- tiert werden. Um geeignete Alternativen zu finden, dehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten« hat sich das Thünen-Institut für Holzforschung zum veröffentlicht. Danach müssen die Boxenwände Ziel gesetzt, die Anforderungen an Stallbohlen zu durchtrittfest und so beschaffen sein, dass sich die definieren und eine Vorgehensweise für die Materi- Hufe der Tiere nicht einklemmen können. Für die alwahl und Dimensionierung zu erarbeiten. praktische Umsetzung müsste bekannt sein, mit welcher Last ein Pferdetritt zu veranschlagen ist. Wie ermittelt man die Kraft eines Pferdes? Weil das Wissen dazu aber fehlt, sind in den Leit- In einem ersten Schritt ermittelten die Wissen- linien die Festigkeitsanforderungen wenig konkret schaftler in Kooperation mit dem Gestüt Samarra formuliert. Lediglich am Beispiel von Eichenholz in Rotenburg an der Fulda die mechanische Belas- wird eine Materialstärke von 4 cm vorgeschlagen. tung, die beim Auskeilen von Pferden auf die Wichtige Parameter wie Breite und Länge der Ele- Boxenwand wirkt. Dazu wurde eine mit Sensoren mente sowie andere geeignete Holzarten werden ausgestattete Schlagplatte in einer Deckstation nicht genannt. montiert und das Auskeilen eines Hengstes gemes- Für Hersteller von Stallanlagen wie auch für sen. Statistisch abgesichert wurde so ein Wert Pferdehalter ist diese Situation unbefriedigend. von 70,4 Joule als typische Trittenergie bestimmt. Denn Holzarten, die sie bislang verwendet haben, Unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschla- sind häufig nicht zu den erforderlichen Preisen ges (Faktor 1,5) ist für die Bemessung ein Wert von verfügbar. Zudem ist die öffentliche Meinung zu 106 Joule zu veranschlagen. Dies entspricht etwa Tropenholz kontrovers, während die Nutzung der Aufprallenergie eines Gewichtes von 11 kg aus heimischer Hölzer prinzipiell als positiv empfun- einem Meter Höhe. den wird. Etablierte Austauschmaterialien, wie zum Mit der im Stall gemessenen Trittenergie berech- Beispiel Bohlen aus Bambus, können oft nicht in neten die Wissenschaftler die nötigen Abmessun-
Wissenschaft erleben 2019 /1 FORSCHUNG 11 Einsatz eines mannshohen Schlagwerkes zur Bestimmung der materialspezifischen Kennwerte beim Projektpartner DLG TestService GmbH, Groß- Umstadt gen durchtrittbeständiger Stallbohlen. Das ist nicht die heimische Buche die erforderlichen Festigkeits- trivial: Denn für die Dimensionierung von Holzbau- eigenschaften erfüllt. Stallbohlen aus beispiels- teilen wird in der Praxis mit statischen Lasten gear- weise den Holzarten Bilinga und Denya hingegen beitet. Daher konnten die Wissenschaftler die nun halten einer Trittbelastung erst bei einem etwas bekannte Trittenergie nicht so ohne weiteres für größeren Querschnitt stand. Sehr genau beachtet Berechnungen heranziehen. Über die Biegearbeit, werden muss allerdings, welchen Umgebungs- die rechnerisch im Zuge eines Tritts an einer Stall- bedingungen die Hölzer im Gebrauch ausgesetzt bohle verrichtet wird, wurde daher auf eine statisch sind – insbesondere die Buche reagiert recht sen- äquivalente Ersatzlast umgerechnet. So können sibel auf Feuchtigkeit. die Auswirkungen der Beanspruchung des Bauteils Auf Basis der ermittelten Trittenergie und den (Biegespannung und Durchbiegung) mit Methoden bekannten Eigenschaften verschiedener Hölzer der Statik berechnet werden. lassen sich mit dem vorgestellten Berechnungs- verfahren die Abmessungen von Stallbohlen so Verschiedene Hölzer im Vergleich festlegen, dass sie für den Bau sicherer Pferde- Überprüft wurden die Ergebnisse mit einem boxen geeignet sind. Weiterhin ist es nun möglich, Schlagpendel, dessen Hammerspitze die Form neuartige Holzwerkstoffbohlen für den Stallbau zu eines Hufes hat. Geht man von 4 cm starken Bohlen entwickeln und die Abmessungen von Stallbohlen bei Standardabmessungen aus, so ist ein Pferd in ressourcenschonend zu optimieren. MO einer Box aus Eiche, Bongossi oder Bambus sicher untergebracht. Etwas überraschend war, dass auch KONTAKT: jan.benthien@thuenen.de
12 FORSCHUNG SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft Über den Versuch, eine wissenschaftliche Basis für den gesellschaftlichen Dialog zu schaffen In Befragungen bringen die Deutschen mehrheitlich zum Ausdruck, dass sie sich eine andere Tierhaltung wünschen. Landwirte bezweifeln das und verweisen darauf, dass die Verbraucher beim Einkaufen vorrangig auf niedrige Preise achten. So ärgern sich die einen über die anderen, doch wie kommen wir weiter? Ein Forschungskonsortium hat versucht, der Sache auf den Grund zu gehen. Die acht Partner des Konsortiums SocialLab haben »mehr Tageslicht« umgesetzt werden, führt dies zu ihre Methodenkästen weit geöffnet, um die gesell- Zielkonflikten. Ein klassischer Zielkonflikt entsteht schaftlichen Erwartungen zur Nutztierhaltung und dadurch, dass höhere Tierwohlstandards mit steigen- das Verbraucherverhalten aus unterschiedlichen den Kosten einhergehen. Um diese Zusatzkosten zu Blickwinkeln zu untersuchen. Natürlich ging es auch decken, sind entweder höhere Preise oder staatliche hier nicht ohne Befragungen. Eine Online-Umfrage Transferzahlungen erforderlich, sodass das Geld an zur Bewertung der heute mehrheitlich gängigen anderer Stelle fehlt. Daneben gibt es aber auch Ziel- Haltungsformen bestätigte die kritische Sicht der konflikte innerhalb der gesellschaftlichen Erwartun- Gesellschaft: Bei allen Tierarten liegt der Anteil gen an die Landwirtschaft, beispielsweise Tierwohl derjenigen, die die Haltungsverfahren für verbes- vs. Emissionen bei der Auslaufhaltung landwirt- serungswürdig erachten, deutlich über 60 %. Geflü- schaftlich genutzter Tiere. Ein Ergebnis von SocialLab gel- und Schweinehaltung werden im Vergleich ist, dass bei konkurrierenden Zielen, z. B. zwischen zur Rinderhaltung als schlechter wahrgenommen. Tier- und Umweltschutz bei der Auslaufhaltung von Der Anteil derjenigen, die die aktuell vorherrschen- Schweinen, das Ziel Tierwohl höher geschätzt wird. den Haltungssysteme als »eher zufriedenstellend« Die Zielkonfliktforschung steht in Bezug auf die Nutz- oder »voll und ganz zufriedenstellend« einstufen, tierhaltung erst am Anfang und wird in dem in Kürze beträgt bei der Geflügel- und Schweinehaltung startenden Folgeprojekt »SocialLab II – Akzeptanz ungefähr 10 % und bei der Rinderhaltung ungefähr der Nutztierhaltung durch Innovationen« weitere 20 %. Bemerkenswert ist auch die Bewertung der Antworten und Lösungsvorschläge liefern. Vertrauenswürdigkeit unterschiedlicher Akteure: Eine zentrale Frage von SocialLab war, ob es Insbesondere der Fleischwirtschaft und der Ernäh- überhaupt eine Form der Nutztierhaltung geben rungsindustrie, aber auch den Ministerien, den Bau- kann, die von weiten Teilen der Gesellschaft akzep- ernverbänden und den konventionellen Landwirten tiert wird: Hier kommt die Idee des »fairen Deals« wird zugetraut, Informationen im eigenen Interesse zur Geltung, der sowohl von der Gesellschaft als zu verfälschen. auch von Landwirten getragen wird. Der faire Deal im Bereich Nutztierhaltung zeichnet sich dadurch Wie umgehen mit Zielkonflikten? aus, dass Nutztiere zu Lebzeiten durch den Landwirt Sollen gesellschaftliche Anforderungen wie z. B. umsorgt werden und sich wohlfühlen. Nutztiere »artgerechte Haltung«, »ausreichend Platz« oder werden somit quasi zu Lebzeiten durch ein gutes
Wissenschaft erleben 2019 /1 FORSCHUNG 13 Leben dafür entschädigt, dass sie geschlachtet und sichtlich kann also das Wissen um das Produktions- als Lebensmittel genutzt werden. Im Rahmen einer verfahren das Geschmacksempfinden und somit deutschlandweiten Online-Befragung stimmten die auch künftiges Kaufverhalten beeinflussen. Befragten mit 80 % (Muttersauen) bis 86 % (Milch- vieh) der Forderung zu, dass die Tiere durch ein Kernelement Kommunikation gutes Leben für ihre Nutzung entschädigt werden. Ein wichtiges Element jeder Nutztierstrategie ist Kernelement des fairen Deals ist dabei eine gute die Kommunikation zwischen den handelnden Mensch-Tier-Beziehung. Hier zeigten die Interviews Akteuren. Dass diese durchaus gelingen kann, zeig- mit Landwirten, dass Tiere zwar als wirtschaftliche ten Gruppendiskussionen mit Verbrauchern und Lebensgrundlage für die eigenen Betriebe gesehen Landwirten. Mitunter änderten beide ihre Haltung werden, die Landwirte jedoch auch eine Beziehung gegenüber der jeweils anderen Gruppe, und auch zu ihren Tieren aufbauen. die Wahrnehmung der Nutztierhaltung veränderte Mit Blick auf die Marktfähigkeit von Tierwohl- sich. Dabei waren Landwirte jedoch insgesamt fleisch wurde in SocialLab untersucht, wie sehr weniger bereit, ihre Meinung gegenüber der Nutz- Partner im SocialLab- die Angabe eines Haltungsverfahrens den sub- tierhaltung zu ändern als die Verbraucher. Da die Konsortium: jektiven Geschmack beeinflusst. Im Rahmen eines Veränderungen sehr von der Argumentationsweise Thünen-Institut für Markt- Geschmacksexperimentes verkosteten die Proban- abhängig waren, wird sich SocialLab II auch diesem analyse (Koordination) den vier Proben eines Kochschinkens des gleichen Thema intensiv widmen. Fachhochschule Südwest- falen, Soest Herstellers: konventionelle Haltung, ökologische Insgesamt wurde deutlich, dass die Bürger die Georg-August-Universität, Haltung, Haltung der Initiative Tierwohl, Haltung tierhaltenden Landwirte in der Hauptverantwor- Göttingen ohne konventionellen Ferkelschutzkorb. Solange tung bei der Umsetzung einer akzeptierten Nutz- TU München die Probanden keine Informationen zu den Proben tierhaltung sehen. Zugleich nehmen sie aber auch Rheinische Friedrich-Wilhelms- hatten, identifizierten sie keine geschmacklichen den Staat in die Pflicht, denn das Ziel einer gesell- Universität, Bonn Heinrich-Heine-Universität, Unterschiede. schaftlich akzeptierten Nutztierhaltung wird sich Düsseldorf Bei einer Verkostung derselben Proben, deren nicht erreichen lassen, wenn man es allein dem INSTET – Privates Forschungs- Ursprung jetzt jedoch offen gelegt wurde, war das freiwilligen Handeln von Verbrauchern, Landwirten und Beratungsinstitut für angewandte Ethik und subjektive Geschmacksempfinden für das ökolo- und Lebensmittelhandel überlässt. FI Tierschutz, Berlin gisch produzierte Produkt am höchsten und das für Zeppelin-Universität, das konventionelle Produkt am niedrigsten. Offen- KONTAKT: inken.christoph@thuenen.de Friedrichshafen
14 MENSCHEN & MEINUNGEN »Schwelbrand erkennen, bevor eine offene Flamme entsteht« Ein Gespräch über einen neuartigen Waldbrandsensor und die Herausforderungen nach den Waldbränden im Jahr 2018 Das Land Brandenburg gehört zu den Regionen Europas, die am häufigsten von Waldbränden betroffen sind. Im Trockensommer 2018 hat allein der Großbrand bei Treuenbrietzen südlich von Berlin 450 Hektar Wald vernichtet. Jürgen Müller vom Thünen-Institut und Michael Luthardt vom Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde erläutern, welchen Beitrag die Wissenschaft leisten kann, um die Schäden zu begrenzen. Herr Luthardt, Herr Müller, warum brennt es in serstoffkonzentration in der Luft einen bestimmten Brandenburger Wäldern so oft? Schwellenwert, meldet der Sensor den möglichen ML: Das liegt hauptsächlich daran, dass wir auch Brand an eine Zentrale. Auf diese Weise lässt sich nach 30 Jahren Waldumbau immer noch eine halbe ein Schwelbrand schon erkennen, bevor eine offene Million Hektar großflächige Kiefernreinbestände Flamme da ist. Die Feuerwehren gewinnen also haben, die nicht mit Laubbäumen unterpflanzt sind. Zeit. Das ist nicht als Konkurrenz zum »Fire Watch«- JM: Dazu kommen noch die heißen, trockenen System zu sehen, sondern als Ergänzung. Sommer und die Sandböden, die das Wasser nur schlecht halten und dadurch das Austrocknen noch Hat dieses System seine Feuerprobe schon beschleunigen. Die lichten Kiefernbestände haben bestanden? eine leicht brennbare Bodenvegetation aus Gräsern, JM: Ja, schon in verschiedenen Tests, die wir durch- die sich sehr schnell entzünden kann. geführt haben. Im Wald konnte das Gerät durch den Anstieg der Wasserstoffkonzentration erkennen, dass Was wird im Land Brandenburg getan, um Wald- in hundert Meter Entfernung ein Brand im Entstehen brände rechtzeitig zu erkennen? war. Die Sensoren und die Vernetzung funktionieren. ML: Es gibt da seit gut zehn Jahren das »Fire Watch«- Die Daten werden an eine Datenbank geschickt, und System mit Feuerwachttürmen, auf denen Kameras von dort wird der Alarm als SMS versendet. Es ist als installiert sind. In Waldbrandmeldezentralen sitzen Pilotprojekt funktionsfähig. Aber es ist noch nicht Leute vor Bildschirmen, die jeglichen Rauch sofort praxisreif. Zum Beispiel muss die Energieversorgung sehen. Das hat sich sehr gut bewährt. Aber es konnte noch langfristig gesichert werden. Wir denken da an trotzdem nicht verhindern, dass bei Treuenbrietzen ein autarkes System mit Solarpaneelen. so ein Großbrand entsteht. Und wir haben es einfach verlernt, mit größeren Waldbränden umzugehen. Haben sich schon Interessenten gemeldet? Seit 20 Jahren gab es immer nur kleinere Wald- JM: Ja, aber sie wollen ein weitgehend ausgereiftes brände – mal vier, fünf Hektar. und risikoarmes Produkt. Die potenziellen Produ- zenten erwarten, dass der Schritt zum verkaufsfähi- Reden wir über die Waldbrandfrüherkennung. Sie gen Sensor relativ sicher ist. haben hier ein kleines Gerät mitgebracht. Was hat es damit auf sich? Ist nicht auch jeder Waldbesucher mit seinem JM: Das ist ein in der Humboldt-Universität entwi- Mobiltelefon ein Frühwarnsystem? Braucht es da ckelter und patentierter Wasserstoffsensor auf einer noch andere Systeme? Platine. Beim Verbrennen organischen Materials ent- ML: Das sind ja zufällige Beobachtungen, darauf steht als erstes Wasserstoff. Überschreitet die Was- kann man sich nicht verlassen. Wir brauchen ein sys-
Wissenschaft erleben 2019 /1 MENSCHEN & MEINUNGEN 15 Michael Luthardt (links) und Jürgen Müller (rechts) tematisches, flächendeckendes Überwachungssys- Mischung aus Birken, Aspen, Weiden und Kiefern. tem, das zu jeder Tages- und Nachtzeit funktioniert Dann kann man in die Lücken noch Eichen pflan- und nicht nur am Wochenende, wenn Spaziergän- zen und hat einen zukunftsfähigen Mischbestand. ger draußen sind. Kleinere Waldbrände sind also durchaus ein Neu- start. Aber auch nach dem Großbrand bei Treuen- Soll man nach einem Waldbrand die Natur einfach brietzen wollen es viele Waldbesitzer jetzt anders gewähren lassen oder muss man das steuern? machen − nicht wieder nur Kiefern anpflanzen, ML: Bei Brandflächen unter 20 oder 30 Hektar kann sondern auch Waldbrandriegel anlegen, Waldrän- man durchaus erst einmal zehn Jahre abwarten der schaffen und Baumarten mischen, wo es vom und dann gegebenenfalls noch nachpflanzen. So Standort her möglich ist. Wir versuchen dort jetzt kann man sehr viel Geld sparen. Man muss einfach an den Wegen Linienstrukturen reinzubringen, von der Natur eine Chance geben, denn die Natur hat wo aus sich die Baumarten über Samen verbreiten. immer eine Antwort. Sie findet immer irgendeinen Es hat sich gezeigt, dass Birken, die am Rand der Weg, der manchmal besser ist, als wir Menschen das Waldbrandfläche gepflanzt werden, innerhalb von machen. wenigen Jahren Samen bilden und diesen dann auf die Fläche bringen. Damit können wir kostengüns- Sind Waldbrände also auch eine Chance für den tig mehr Vielfalt schaffen. Waldumbau in Brandenburg? JM: Hier gibt es langfristig ein Umdenken, indem ML: Bei einem 15 Jahre zurückliegenden Waldbrand beim Waldumbau auch die Waldbrandvorsorge im Süden Brandenburgs hat sich gezeigt, dass berücksichtigt wird. sich durch die Sukzession eine Vielfalt entwickelt, die vorher nicht da war. Wo vorher ein reiner Kie- Vielen Dank für das Gespräch. HP fernbestand war, entwickelt sich jetzt eine bunte
16 PORTRAIT Einschlag: 73,7 Alle Daten in Millionen m³(r) Schnittholz, Werkstoffe, etc. Fertigwaren HOLZ HOLZ tpapier Zellstoffe / Al AUSFUHR EINFUHR 137,7 138,4 Papier / Pappe PAPIER PAPIER Die Grafik skizziert stark verein- facht die Verwendungswege von Holz und Holzprodukten in Fertigwaren Deutschland. Die Stoffströme werden gespeist von hier ein- geschlagenem Rohholz und Altpapier Altholz importierten Holz- und Papier- waren. Das Material wird auf verschiedenen Wegen verar- beitet, verbaut, exportiert, rezy- inländ. Verwendung und energ. Nutzung kliert und energetisch genutzt. 68,8 Die Wege des Holzes Rohstoffmonitoring zur detaillierten Erfassung der Holzverwendung Holz ist unser wichtigster nachwachsender Rohstoff. Universität Hamburg unter Prof. Udo Mantau gelei- Für eine nachhaltige Wirtschaftsweise ist es wich- stet wurden, und die das Thünen-Institut mit ihm tig, dass wir sorgsam mit diesem Rohstoff umgehen und seiner Firma INFRO (Informationssysteme für und ihn in die bestmöglichen Verwendungen leiten. Rohstoffe) in den letzten Jahren weiterentwickelt Sofern die Politik hier Einfluss nehmen möchte, sollte hat. Die Einzelstudien zur Ergänzung der Offizialsta- sie zuerst einmal wissen, was derzeit mit dem Roh- tistik werden in Abständen von drei bis fünf Jahren stoff geschieht: Wie viel wird importiert, exportiert, durchgeführt. Die entstehende Datenbasis ist nicht zu Werkstoffen oder Möbeln verarbeitet, verbaut, nur eine wichtige Grundlage für die Arbeit der Bun- als Restholz weiterverwendet, rezykliert, verfeuert desregierung, sondern auch Quelle für Berichte an usw.? Denn auch für den Holzsektor gilt der Leitsatz: das Statistische Bundesamt, Eurostat und die Ver- »You can only manage what you can measure.« einten Nationen. Darüber hinaus liefert sie wichtige Aus der amtlichen Statistik lassen sich hierzu nur Informationen zur Schätzung des jährlichen Holz- Teilantworten gewinnen. Das liegt unter anderem einschlags in Deutschland. an den sogenannten Erfassungsgrenzen: So werden Die Ergebnisse zeigen, dass Sägewerke nach zum Beispiel in der amtlichen Produktionsstatistik wie vor die größte Bedeutung für die Verwendung nur Sägewerksbetriebe mit mehr als zehn Mitar- von Rohholz haben. So werden ca. 34 Mio. m³ Roh- beitern befragt, sodass die Aussagekraft bezüglich holz in Sägewerken genutzt. Allerdings landen der Schnittholzproduktion in Deutschland einge- jedes Jahr auch rund 20 Mio. m³ Rohholz in den schränkt ist. Kaminen privater Haushalte. Dagegen wird Altholz, Daher entsteht hier eine neue Daueraufgabe also Holz, das bereits einen Verwendungszyklus für das Thünen-Institut, nämlich die Ergänzung durchlaufen hat, hauptsächlich in großen Holzheiz- der Offizialstatistik durch eigene Erhebungen und kraftwerken verbrannt (ca. 11 Mio. m³). Nur ein klei- Schätzungen, um eine belastbare, umfassende und ner Teil (ca. 2 Mio. m³) geht in die Herstellung von zeitreihenfähige Datengrundlage für das Monito- Spanplatten. FI ring im Bereich Holz zu schaffen. Hierzu lässt sich auf langjährigen Vorarbeiten aufbauen, die an der KONTAKT: dominik.jochem@thuenen.de
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