Wissenschaft erleben - Thünen-Institut

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Wissenschaft erleben - Thünen-Institut
Wissenschaft erleben
 Der digitalisierte Dorsch  SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft  Die Wege des
Holzes  Ohne Moos nix los  »Schwelbrand erkennen, bevor eine offene Flamme entsteht«  Bernstein-
säure aus Reststoffen  Wissenschaft im Video

2019 /1
Wissenschaft erleben - Thünen-Institut
Inhalt
                            Ausgabe 2019/1

STANDPUNKT                          Gemeinsam experimentieren!
                                    Von Folkhard Isermeyer

                       1

INFO-SPLITTER                       · Mondfische im Ozean der Zukunft                   · Holz Ahoi!
                                    · Bernsteinsäure aus Reststoffen                    · Waldbesitzer verstehen
                                    · Kühe von der Kette lassen                         · Schmerzfrei
                  2–3

FORSCHUNG                           Der digitalisierte Dorsch                                           Trittsicher
                                    Internationale Markierungsstudie liefert                            Stallbohlen für Pferdeboxen richtig
                                    neue Einblicke in das Wanderverhalten                               auslegen
                       4            von Dorschen der Ostsee                        10
                                    Ohne Moos nix los                                                   SocialLab – Nutztierhaltung im
                                    Wie torfbildende Pflanzen dazu                                      Spiegel der Gesellschaft
                                    beitragen können, Klimaprobleme zu                                  Über den Versuch, eine wissenschaftliche Basis
                       6            entschärfen                                    12                   für den gesellschaftlichen Dialog zu schaffen

MENSCHEN & MEINUNGEN                »Über das hinausgehen, was wir                                      ThünenIntern
                                    im Feld erfassen können«                                            Meldungen aus dem Hause
                                    Ein Gespräch über biologische Vielfalt
                       8            und was die Wissenschaft für sie tun kann      17
                                    »Schwelbrand erkennen, bevor
                                    eine offene Flamme entsteht«
                                    Ein Gespräch über einen neuartigen Waldbrandsensor und
                       14           die Herausforderungen nach den Waldbränden im Jahr 2018

PORTRAIT                            Die Wege des Holzes
                                    Rohstoffmonitoring zur detaillierten
                                    Erfassung der Holzverwendung
                       16

RÜCKBLICK & AUSBLICK                · Historisches Bett von Henry VII. entdeckt?        · Nordsee: Einigung über Schutzmaßnahmen
                                    · Wissenschaft im Video                             · Wie geht es weiter mit Kuh und Kalb?
                                    · Wie mit versenkter Munition umgehen?              · Ratgeber-Reihe mit weiteren Heften
                18 – 20
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Wissenschaft erleben 2019 /1                                                                                 STANDPUNKT   1

Gemeinsam
experimentieren!
Von Folkhard Isermeyer

Die Landwirtschaft der Zukunft soll anders sein:       fende Auswertung der Ergebnisse, gemeinsames
weniger Chemie, mehr Vielfalt auf dem Acker,           Gespräch über die Schlussfolgerungen. Die Digita-
robuster gegen den Klimawandel. So jedenfalls          lisierung schafft hierfür immer bessere Vorausset-
schreiben es die Zeitungen, und so fordern oder        zungen: Wenn Dünge- oder Pflanzenschutzgeräte
versprechen es viele Agrarpolitiker. Doch wie sollen   parzellenscharf steuerbar sind, wenn Kamerasysteme
Landwirte das umsetzen? Sie stehen untereinander       zur automatischen Pflanzenbonitur an Landmaschi-
im Wettbewerb, und wer sich da auf riskante Expe-      nen montiert werden können und wenn auch die
rimente einlässt, kann leicht die Existenz seines      Erntemenge parzellenscharf erfasst wird, können
Betriebs aufs Spiel setzen. Also doch besser alles     Landwirte mit überschaubarem Aufwand umfang-
beim Alten lassen?                                     reiche Datenschätze erzeugen, die dann gemeinsam
     Zum Glück gibt es immer wieder Landwirte,         – für alle nutzbringend – ausgewertet werden.
die auf einem Teil ihrer Fläche Neues ausprobieren.         Doch was ist mit dem wirtschaftlichen Risiko?
Dieses freiwillige Experimentieren ist eine Stärke     Für die Gemeinschaft bringt »orchestriertes« Expe-
der unternehmerischen Landwirtschaft, die gezielt      rimentieren umso größeren Erkenntnisgewinn, je
genutzt werden kann, um den Agrarsektor in eine        mehr Variation auf den Feldern geschaffen wird
bessere Zukunft zu führen. Landwirtschaft findet       und je länger bestimmte Experimente durchge-
unter freiem Himmel statt, jedes Jahr mit anderem      halten werden. Für den einzelnen Landwirt sieht
Wetter, mit Dutzenden von Entwicklungsoptionen         das anders aus: Gerade bei starker Variation der
für jeden Standort. Bei dieser Komplexität wäre        Versuchsglieder werden viele Parzellen, die er in
es grundverkehrt, das Experimentieren allein den       das Gemeinschaftsexperiment einbringt, wesent-
staatlichen Versuchsstationen zu überlassen. Die       lich weniger Gewinn abwerfen als bei herkömm-
Herausforderung besteht vielmehr darin, Forschung      licher Bewirtschaftung. Deshalb werden Landwirte
sowohl »on station« als auch »on farm« auszubauen      auf Dauer nur bei einem Verlustausgleich mitma-
und so zu kombinieren, dass die Innovationskraft für   chen. Dieser sollte aus öffentlichen Kassen gezahlt
die praktische Landwirtschaft optimiert wird.          werden, denn die Ergebnisse kommen der gesam-
     Bisher findet das nur in Ansätzen statt. Kaum     ten Gesellschaft zu Gute.
ein Landwirt hat die Möglichkeit, auf seinem Hof            Eigentlich ein naheliegender Ansatz, doch bei
systematische Experimente anzustellen und sta-         der praktischen Umsetzung stehen die Tücken
tistisch auszuwerten. Solange jeder nur für sich       des EU-Beihilferechts im Weg. Hier eine Lösung
agiert, bleibt es meist bei einem einfachen Vorher-    zu finden, die eine unbürokratische und zugleich
Nachher-Vergleich für eine einzige Veränderung         rechtssichere Einbeziehung vieler Landwirte ins
des Produktionssystems in einem einzigen Jahr. Aus     gemeinsame Experimentieren ermöglicht, ist nicht
solchen »Versuchen« lassen sich nur sehr begrenzte     trivial. Die Deutsche Agrarforschungsallianz (DAFA)
Erkenntnisse ableiten.                                 und das Thünen-Institut haben deshalb ein Projekt
     Besser wäre es, wenn zahlreiche Betriebe ihre     in Angriff genommen, das genau auf diese Heraus-
Flächen in gemeinsame Experimente einbrächten:         forderung ausgerichtet ist. Hoffentlich werden wir
Planung des Experimental-Designs zusammen mit          der Politik schon bald einen umsetzbaren Lösungs-
Wissenschaft und Beratung, Erfassung und übergrei-     vorschlag präsentieren können.                   
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2   INFO-SPLITTER

InfoSplitter

Mondfische im Ozean                                 Bernsteinsäure aus                                    Kühe von der Kette lassen
der Zukunft                                         Reststoffen
                                                                                                          Die meisten Milchkühe werden heute in Ställen
Manchmal passiert auch für Forscher Unerwar-        Mit dem Übergang in die biobasierte Wirtschaft        gehalten, in denen sie sich frei bewegen können.
tetes: Auf der Suche nach Larven des Europäi-       wird es auch für die chemische Industrie immer        Vor allem in Süddeutschland gibt es aber noch
schen Aals in ihrer Geburtsstätte im westlichen     wichtiger, Grundchemikalien aus nachwach-             viele Ställe, in denen die Tiere dauerhaft ange-
Nordatlantik (Sargassosee) gingen den Thünen-       senden Rohstoffen zu gewinnen. Bernsteinsäu-          bunden sind. Ihnen stehen weder Laufhof noch
Fischereibiologen auch Larven zweier seltener       re gehört zu den wichtigsten biobasierten             Weide zur Verfügung.
Mondfischarten ins Netz. Zwar ist bekannt, dass     Plattform-Chemikalien. Sie findet Anwendung              Die ganzjährige Anbindehaltung ist nach
dieses nährstoffarme Seegebiet zahlreichen          in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie so-          heutigem Stand der Wissenschaft nicht als tier-
Tierarten als Lebensraum und Kinderstube            wie als Baustein für biologisch abbaubare             gerechtes Haltungsverfahren anzusehen. Da-
dient, allerdings wusste man über die frühen        Kunststoffe. Kommerziell wird Bernsteinsäure          her hat das Thünen-Institut für Betriebswirt-
Lebensphasen der Mondfische bisher nur we-          derzeit petrochemisch produziert. Moderne             schaft untersucht, welche Folgen ein Verbot,
nig. Und das, obwohl bestimmte Mondfisch-           biotechnische Methoden könnten einen alter-           das derzeit im politischen Raum diskutiert wird,
arten mit einem Maximalgewicht von über drei        nativen Prozessweg auf Basis nachwachsender           für die betroffenen Betriebe hätte. Ein Verbot
Tonnen zu den größten Knochenfischen der            Rohstoffe erschließen.                                nach einer ca. 10-jährigen Übergangszeit wür-
Erde gehören.                                           Mit einem am Thünen-Institut für Agrartech-       de etwa 13.500 Betriebe mit rund 270.000 Milch-
    Die Studentin Lea Hellenbrecht von der Uni-     nologie neu isolierten Bodenorganismus wurde          kühen betreffen. Die wichtigsten Anpassungs-
versität Hamburg hat in Kooperation mit dem         hierzu in einem ersten Projekt die biotechnolo-       maßnahmen der Betriebe wären: Weidegang
Thünen-Institut für Fischereiökologie das seltene   gische Produktion von Bernsteinsäure unter-           ermöglichen, einen Laufhof einrichten oder
Probenmaterial für ihre Bachelorarbeit über das     sucht. Als Ausgangssubstrat dienten Glycerin          Stallbaumaßnahmen durchführen (Umbau
Vorkommen und die Verteilung der Mondfisch-         und CO₂. Rohglycerin fällt bei der Biodieselher-      oder Neubau). Je nach betrieblicher Situation
larven in der Sargassosee verwendet. Sie konnte     stellung als Reststoff an und stellt, wie auch        variieren die Kosten dieser Maßnahmen sehr
zeigen, dass die Larven bevorzugt im wärmeren       CO₂, eine günstige Kohlenstoffquelle dar. Mit         stark: Die Spanne reicht von 0,3 bis 13,4 ct/kg
Teil des Untersuchungsgebiets auftraten und         einer neuartigen Mischkultur aus Bakterien            Milch, was einer Kostensteigerung von ei-
nach Osten hin zunehmend größer wurden, was         (Foto) ließ sich ungereinigtes Rohglycerin ge-        nem bis 37 % entspricht.
darauf hindeutet, dass sie verdriftet werden. Die   nauso effizient umsetzen wie weitaus teureres,           Um ein Verbot möglichst sozialverträglich
Ergebnisse werden gerade publiziert.                reines Glycerin. Mittels geschickter Prozess-         zu gestalten, sollte es mit attraktiven Förder-
    Aufgrund von Überfischung und Klimawandel       führung wurde auf diese Weise eine Endkon-            maßnahmen flankiert und den Betrieben aus-
wird erwartet, dass die Bestände von Raubfischen    zentration von bis zu 133 Gramm Bernsteinsäu-         reichende Übergangsfristen eingeräumt wer-
in vielen Meeresgebieten zukünftig zurückgehen      re pro Liter erreicht. Dieser Wert ist für Wildtyp-   den. Der Finanzbedarf für die Förderung, die in
werden und die Zahl der Wirbellosen steigt. Auf-    Organismen absolute Spitze.                           der zweiten Säule der EU-Agrarpolitik möglich
grund ihrer Ernährungsweise (u. a. Quallen und          Mit dem von Thünen-Agrartechnologen iso-          wäre, wird auf bis zu 287 Mio. Euro geschätzt.
Tintenfische) gehören Mondfische zu den Fisch-      lierten Organismus und der Nutzung preisgüns-         Es ist allerdings davon auszugehen, dass ein
arten, die von diesen Veränderungen profitieren     tiger Reststoffe zeigt diese Variante der Bern-       Teil der Betriebe ein Verbot der ganzjährigen
könnten. Mondfischbestände und deren Verbrei-       steinsäureproduktion großes Potenzial für die         Anbindehaltung trotz Förderung zum Anlass
tung könnten somit informative Indikatoren für      chemische Industrie. Wie groß, soll in einem Fol-     nehmen würde, ihre Milchviehhaltung einzu-
den Ozean der Zukunft werden.               UK     geprojekt erforscht werden.                   UP     stellen.                                    FI 

KONTAKT: marko.freese@thuenen.de                    KONTAKT: anja.kuenz@thuenen.de                        KONTAKT: angela.bergschmidt@thuenen.de
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Wissenschaft erleben 2019 /1                                                                                                            INFO-SPLITTER    3

Holz Ahoi!                                            Waldbesitzer verstehen                               Schmerzfrei
In Küstenregionen wird Holz für verschiedene Zwe-     Etwa die Hälfte des deutschen Waldes gehört Pri-     In der Schweinehaltung ist es immer noch gängi-
cke im Meerwasser verwendet (Wellenbrecher,           vatpersonen, und die Hälfte davon Kleinprivat-       ge Praxis, männliche Ferkel ohne Betäubung zu
Schiffsanleger etc.). Dabei kann es dem Angriff       waldbesitzern. In diese Kategorie fallen jene        kastrieren. Damit sollte eigentlich zu Jahresbe-
durch holzzerstörende Organismen ausgesetzt           1,8 Mio. Waldbesitzer, deren Waldfläche unter        ginn 2019 Schluss sein. Im letzten November ver-
sein: Unter Wasser z. B. durch die Schiffsbohrmu-     20 Hektar liegt. Das Thünen-Institut hat nun erst-   längerte der Deutsche Bundestag die Frist je-
schel, oberhalb des Wasserspiegels durch Pilze, die   mals untersucht, wie es um die Lebensverhält-        doch noch einmal um zwei Jahre, auch vor dem
ungeschützte Holzkonstruktionen gefährden. Auf-       nisse, Ziele und Handlungsabsichten dieser Be-       Hintergrund einer uneinheitlichen Regelungs-
fällig ist, dass Bauteile im Übergangsbereich, der    völkerungsgruppe bestellt ist.                       praxis in den Mitgliedstaaten der EU.
Tidenhubzone, seltener geschädigt sind. Die Ursa-         Weshalb ist das ein Thema für die Bundesfor-        Wie sich die verfügbaren Alternativen zur
che hierfür war bisher nicht bekannt.                 schung? Letztlich geht es um die Frage, wie die      betäubungslosen Kastration wirtschaftlich aus-
    Ein Forschungsprojekt am Thünen-Institut für      Politik den Forstsektor in seiner ganzen Breite      wirken würden, hat das Thünen-Institut nun am
Holzforschung ging zusammen mit Partnern die-         dabei unterstützen kann, gesellschaftlich er-        Beispiel von elf typischen Betrieben in Deutsch-
ser Frage nach und prüfte gleichzeitig die Eig-       wünschte Leistungen wie Klimaschutz, Holzver-        land untersucht. Dabei zeigte sich, dass die so-
nung einheimischer Nutzhölzer im Salzwasser-          sorgung, Biodiversität und Erholung bestmög-         genannte Immunokastration, bei der die Bil-
bereich. Untersuchungen von Rammpfählen, die          lich zu erbringen. Beim Staatswald hat sie           dung der Geschlechtshormone durch eine
im Meerwasser exponiert waren, zeigten, dass          prinzipiell die Möglichkeit, unmittelbar in die      Impfung verhindert wird, wirtschaftlich vorteil-
sich im Bereich des Tidenhubs Mineralien wie          Bewirtschaftung »ihres« Waldes einzugreifen;         haft ist, denn hier werden die Mehrkosten
Kalzium, Kalium und Magnesium im Holz anrei-          demgegenüber kann sie beim Privatwald nur            durch schnelleres Wachstum der Tiere und bes-
chern. Dadurch haben holzzerstörende Pilze            mittelbar agieren, indem sie sich z. B. mit Bera-    sere Futterverwertung kompensiert.
kaum eine Entwicklungschance.                         tungsangeboten, finanziellen Anreizen oder Auf-         Die Ebermast, also der Verzicht auf eine Kast-
    Befinden sich Holzbauteile oberhalb der Was-      lagen an Privateigentümer wendet. Dazu sollte        ration, schneidet aufgrund der geringeren Be-
seroberfläche, müssen sie vor dauerhafter Be-         sie wissen, wie die Zielgruppe denkt und han-        zahlung durch die deutsche Schlachtindustrie
feuchtung geschützt werden, um einen Pilzbe-          delt.                                                etwas schlechter ab. Deutlich unwirtschaftlicher
fall zu vermeiden. Dies kann relativ einfach durch        Die Analyse zeigt, dass die Privatwaldbesitzer   sind die beiden chirurgischen Verfahren mit Voll-
Abdeckungen der Holzquerschnittfläche reali-          der Schutzfunktion des Waldes eine ebenso gro-       narkose: Die Injektionsnarkose ist das teuerste
siert werden.                                         ße Bedeutung beimessen, wie dies die übrige          Verfahren, aber auch die Inhalationsnarkose mit
    Bei Holz, das sich dauerhaft unter Wasser be-     Bevölkerung tut. Jeder zweite Waldeigentümer         Isofluran ist relativ teuer, sofern sie von Tier-
findet, wurde nachgewiesen, dass eine Umman-          nimmt jedoch die bisherigen Angebote professi-       ärzten durchgeführt wird. Der Bund bereitet
telung mit wasserundurchlässigen Textilien auf        oneller Forstleute nicht in Anspruch. Daher sind     aktuell eine Durchführungsverordnung vor,
Basis von Polypropylen und Polyester (soge-           neue Wege zu suchen, um den Waldbesitzern            nach der auch Landwirte diese Maßnahme
nannte Geotextilien) zu einem mehrjährigen            verbesserte Beratungs- und Betreuungsangebo-         durchführen dürften. Hier bestehen jedoch noch
Schutz vor marinen Schadorganismen führt.             te z. B. zur Waldpflege, zu Natur- oder Klima-       offene Fragen bezüglich Schmerzausschaltung,
    Durch die Kombination der geschilderten           schutz zu machen. Digitale Angebote sind hier-       Tierschutz und Arbeitssicherheit.
Maßnahmen sowie der Salzanreicherung im Holz          bei sehr erfolgversprechend, da bereits heute           Die detaillierten Ergebnisse sind als Working
sollte auch bei Verwendung von Douglasie und          rund 90 % der Privatwaldbesitzer internetfähige      Paper Nr. 110 auf der Thünen-Website verfüg-
Lärche eine lange Nutzungsdauer küstennaher           Endgeräte fast täglich nutzen.               FI     bar.                                         FI 
Holzkonstruktionen zu erwarten sein.         MO 
                                                      KONTAKT: bjoern.seintsch@thuenen.de                  KONTAKT: mandes.verhaagh@thuenen.de
KONTAKT: eckhard.melcher@thuenen.de
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4    FORSCHUNG

                                    Der digitalisierte Dorsch
                                    Internationale Markierungsstudie liefert neue Einblicke
                                    in das Wanderverhalten von Dorschen der Ostsee
                                    Der Dorsch ist der Brotfisch vieler Ostsee-Fischer. Trotz jahrzehntelanger
                                    Forschung hat er noch nicht alle Geheimnisse seiner Lebensweise preis-
                                    gegeben. Vor allem die Wanderbewegungen der Tiere geben noch viele
                                    Rätsel auf, was eine nachhaltige Fischerei erschwert. Mit Hilfe eines
                                    internationalen Markierungsprojekts haben Wissenschaftler nun unter
                                    anderem eine »Dorsch-Autobahn« entdeckt.

                                    Das Thünen-Institut für Ostseefischerei markiert       äußerlich markiert und anschließend wieder frei-
                                    schon seit Längerem Dorsche in der Ostsee und hat      gelassen.
                                    mit Hilfe von Wiederfängen entscheidende Erkennt-          Die Datenspeicher wurden den Dorschen als
                                    nisse in der Altersbestimmung und zum Wachs-           Sonden, die wie kleine Zäpfchen aussehen, in die
                                    tum gewinnen können. Diese Art der Markierung          Bauchhöhle implantiert. Neben der Uhrzeit können
                                    verrät aber nichts über die Wanderbewegungen der       sie auch die Wassertiefe und die Umgebungstem-
                                    Fische, denn in aller Regel ist nur der Aussetz- und   peratur speichern. Die Sonden arbeiten also ähnlich
                                    Wiederfangpunkt der markierten Fische bekannt.         wie eine Blackbox im Flugzeug und können ausge-
        Wanderroute eines in der    Um diese Lücke zu schließen, werden im Rahmen          lesen werden, wenn das Tier wiedergefangen wird.
    Arkonasee (A) freigelassenen    des Projekts TABACOD (»Tagging Baltic Cod«) digi-          38 Dorsche samt Datenspeicher haben die
        Dorsches: Über die flache
                                    tale Markierungen verwendet.                           Wissenschaftler bereits von Berufsfischern und
     Rönnebank (B) schwamm er
      zum Laichen ins Bornholm-         Seit 2016 wurden 1.260 Dorsche schonend            Anglern zurückerhalten – mit erfassten Aufzeich-
       Becken (C) und wurde vor     gefangen und mit Datenspeichern versehen. Zum          nungslängen von bis zu 375 Tagen. Für jeden zurück-
     Rügen wiedergefangen (D).      besseren Wiederfinden wurden die Fische auch           gegebenen Dorsch wird eine Prämie von 100 Euro
                                                                                           ausgezahlt. Die Wiederfangrate von 3 % ist jedoch
    Tiefe (m)                                                                              deutlich geringer als erwartet. Vermutlich werden
         10 - 0
         20 - 10
                                                                                           viele Markierungen übersehen.
         30 - 20
         40 - 30
         50 - 40
                                                                                           Ein geregelter Tagesrhythmus
         60 - 50                                                                           Die digitalisierten Dorsche zeigten über lange
         70 - 60
                                                                     C                     Phasen des Jahres dämmerungsaktives Verhalten.
         80 - 70
                                           A
                                                                                           Kurz vor Sonnenaufgang schwammen die Dorsche
                                                        B
                                                                                           ins tiefe Wasser und kurz nach Sonnenuntergang
                                                                                           wieder in die oberen Wasserschichten. Die Uhr-
                                                                                           zeit variierte dabei mit der jahreszeitlichen Ände-
                                                                                           rung der Tageslänge. Diese Vertikalbewegungen
                                           D                                               hatten teilweise erstaunliche Ausmaße: So legten
                                                                                           die Dorsche innerhalb von 30 Minuten bis zu 30 m
                                                                                           in der Wassersäule zurück und waren dabei Tem-
                                                                                           peraturunterschieden von bis zu 9,6 Grad ausge-
                                                                                           setzt.
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Wissenschaft erleben 2019 /1                                                                                             FORSCHUNG       5

Auch der Mond beeinflusst den Dorsch                   Becken zum Laichen schwammen sie wieder in sehr
Zusätzlich zu diesen täglichen vertikalen Wande-       küstennahe Gebiete zurück, um dort im nahrungs-
rungen konnten die Wissenschaftler bei einigen         reichen Flachwasser ihre Energiereserven aufzu-
Dorschen vor der schwedischen Küste ein von den        füllen. Auffällig war hier, dass Dorsche, die vor der
Mondphasen gesteuertes Verhalten erkennen.             Insel Rügen markiert worden waren, oftmals sehr
Mit abnehmendem Mond nahmen die täglichen              ähnliche Schwimmrouten verfolgten. Es scheint
vertikalen Wanderungen zu, sehr wahrscheinlich         also zwischen Rügen und der Bornholmsee einen
schwammen die Fische in diesen Phasen verstärkt        Korridor zu geben, den die Dorsche als direkte Ver-
ins Flachwasser. Bei Vollmond hingegen blieben sie     bindung vor und nach dem Laichgeschäft regelmä-
auch nachts im Tiefen. Möglicherweise ist dieses       ßig nutzen: eine regelrechte Dorsch-Autobahn.
mondgesteuerte Verhalten an eine veränderte Ver-
fügbarkeit ihrer Beuteorganismen (Wirbellose und       Lücke in der Erfassung von Dorschen im
Heringe) gekoppelt.                                    Küstenbereich
                                                       Diese ersten Erkenntnisse legen nahe, die bishe-
Reise auf der Dorsch-Autobahn                          rige Erhebungspraxis weiterzuentwickeln: Die For-
Im Gegensatz zu den täglichen vertikalen Wan-          schungsreisen mit dem Schleppnetz, die zweimal im
derungen waren die horizontalen Wanderungen            Jahr stattfinden und der Abschätzung der Bestands-
deutlich variabler. Weil die östliche Ostsee charak-   größe dienen, erfassen die Verteilung der Dorsche
teristische tiefe Becken und flache Schwellen hat,     bislang nicht vollständig. Denn das Forschungsschiff    Datenlogger in Realgröße.
war es möglich, die horizontale Wanderung des          kann im flachen, küstennahen Gebiet nicht fischen.      Für kleinere Fische gibt es
                                                                                                               auch Logger in 25 mm Länge.
bodennah lebenden Dorsches anhand des Tiefen-          Bisher wurde deshalb der Anteil der Dorsche, die zu
profils im Datenspeicher nachzuvollziehen.             einer bestimmten Jahreszeit im Flachen vorkommen,
    Eine Gemeinsamkeit hatten alle wiedergefan-        als konstant angenommen. Das neue Wissen über die
genen Dorsche: Von Juni bis November hielten           Wanderrouten des Dorsches aber belegt, dass sich
sie sich bei bis zu 70 m Wassertiefe im Bornholm-      dort im Herbst offenbar viele Dorsche aufhalten.
Becken auf, das als das größte Laichgebiet in der           Wie dies die Prognosen zur Bestandsentwick-
östlichen Ostsee gilt. Während einige Tiere das        lung und die Fangempfehlung beeinflusst, gilt es
ganze Jahr dort blieben, zeigten andere Dorsche        noch herauszufinden.                             UK 
Wanderungsrouten von mehr als 300 km: Nach
dem sommerlichen Zwischenstopp im Bornholm-            KONTAKT: stefanie.haase@thuenen.de
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6   FORSCHUNG

                Ohne Moos nix los
                Wie torfbildende Pflanzen dazu beitragen können,
                Klimaprobleme zu entschärfen
                Seit alters her gelten Moore als faszinierend und gefährlich zugleich. Eine
                unsichtbare Gefahr, die von entwässerten Mooren ausgeht, rückt gegenwärtig
                immer mehr in den Fokus: Treibhausgase. Forscher arbeiten an Konzepten, mit
                denen die Emission der klimaschädlichen Gase verringert und gleichzeitig nach-
                wachsende Rohstoffe erzeugt werden können.

                Moore sind Feuchtgebiete mit ganz spezieller Öko-       aus Umwelt- und Klimaschutzgründen nicht mehr
                logie. Ein ständig hoher Wasserstand sorgt dafür,       gewollt ist, müssen neuartige Ansätze zur »nassen
                dass Pflanzenreste – z. B. von Seggen und Torfmoo-      Moornutzung« entwickelt werden.
                sen – nur äußerst langsam abgebaut werden. Es               An diesem Punkt setzt ein vom niedersächsi-
                entsteht Torf, ein Substrat mit einem hohen Kohlen-     schen Landwirtschaftsministerium und der Deut-
                stoffanteil, der aus den nicht vollständig zersetzten   schen Bundestiftung Umwelt (DBU) gefördertes
                Pflanzen besteht. So nehmen Moore über Jahrtau-         Projekt zur großflächigen Kultivierung von Torfmoo-
                sende das Treibhausgas Kohlendioxid (CO₂) auf,          sen an. Damit ließen sich im Idealfall drei Fliegen mit
                emittieren allerdings gleichzeitig das unter nassen     einer Klappe schlagen: Torfmoos-Substrat kann im
                Bedingungen durch Mikroorganismen erzeugte              Gartenbau – zum Beispiel als hochwertige Alterna-
                Methan (CH₄). Im Mittel sind naturnahe Moore also       tive zu Pflanzerden aus Torf – vermarktet werden,
                Kohlenstoffsenken und in etwa treibhausgasneutral.      die Anbauflächen bieten ein naturnahes Habitat für
                    Mittlerweile sind bei uns die meisten Moore         moortypische Flora und Fauna und es wird erwartet,
                durch Entwässerung und Düngung zu land- oder            dass die Kultivierung zu weniger Treibhausgasaus-
                forstwirtschaftlichen Standorten geworden oder          stoß führt als eine herkömmliche Nutzung.
                abgetorft worden. Sinkt der Wasserspiegel, so               An dem Projekt beteiligen sich drei Partner:
                dringt Luftsauerstoff in den Moorboden ein und          Das Unternehmen Klasmann-Deilmann (Hersteller
                Mikroorganismen können das reichlich vorhandene         von Blumenerden und weiteren Kultursubstraten)
                organische Material zersetzen. Dabei wird CO₂ frei.     kümmert sich um das Flächenmanagement, die Uni-
                Entwässerte Moorböden sind daher ein bedeuten-          versität Hannover untersucht die Biodiversität und
                der Treiber des Klimawandels: Obwohl Moorböden          Jan Oestmann, Dominik Düvel und Bärbel Tiemeyer
                in Deutschland nur etwa 8 % der landwirtschaftli-       vom Thünen-Institut für Agrarklimaschutz messen
                chen Fläche ausmachen, produzieren sie fast 40 %        die Treibhausgasflüsse.
                der Treibhausgase aus der Land- und Forstwirt-
                schaft. Das sind 4 % der gesamten deutschen Treib-      Wassermanagement als Schlüsselfaktor
                hausgasemissionen.                                      Die Versuche finden auf ehemaligen Abtorfungsflä-
                                                                        chen im Emsland statt. Für die Torfmooskultivierung
                Alternative Bewirtschaftungskonzepte                    wurden Gebiete mit drei verschiedenen Bewässe-
                Da auch die moorspezifische Artenvielfalt zurückge-     rungssystemen ausgewählt:
                gangen ist, arbeiten Naturschützer schon seit Jahr-     • Flächen mit flachen Gräben,
                zehnten daran, Moore wieder wachsen zu lassen,          • Flächen mit Tröpfchenbewässerung,
                sowohl auf ehemals landwirtschaftlichen Flächen         • ein von Gräben durchzogener ehemaliger Polder.
                als auch nach Torfabbau. Die Grundidee ist simpel:      Die ersten beiden Varianten wurden mit Grundwas-
                Das Moor muss wieder nass werden. Allerdings            ser bewässert, bei der dritten diente ein fast ständig
                sind viele Moorflächen im Eigentum von Landwir-         mit Wasser gefüllter Polder, in dem ebenfalls Treib-
                ten, die dort ihren Lebensunterhalt erwirtschaften      hausgas-Emissionen gemessen wurden, als Wasser-
                müssen. Wenn eine herkömmliche Bewirtschaftung          reservoir.
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Wissenschaft erleben 2019 /1                                                                                    FORSCHUNG   7

                                                                                      Torfmoose auf der
                                                                                      Versuchsfläche

Zusätzlich wurde untersucht, wie sich die Entnahme       trale Treibhausgasbilanz zu erwarten, aber es zeigt
von Torfmoos, das für die »Animpfung« der Anbau-         sich eine deutliche Minderung im Vergleich zu land-
flächen benötigt wird, auf die naturnahen »Spen-         wirtschaftlich genutzten Moorflächen. Als zusätzli-
derflächen« auswirkt. Bei der im Sommer 2018             ches Plus siedeln sich auf den Anbauflächen schnell
vorherrschenden extremen Trockenheit erwies sich         wieder seltene Tier- und Pflanzenarten an.
die Tröpfchenbewässerung als vorteilhaft. Sie brachte
die notwendige Feuchtigkeit auf die Fläche, während      Moornutzung bleibt im Fokus
die flachen Gräben nicht genügend Wasser für die Torf-   Also alles im grünen Bereich? Nicht ganz, denn die
mooskultivierung bereitstellten. Noch besser wuchsen     Bewirtschaftung und Pflege der Flächen sowie
die Moose auf den ehemaligen Polderflächen, die          die Erntetechnik sind noch so aufwendig, dass der
schon mehrere Jahre gut »durchweicht« waren.             Anbau bislang nicht wirtschaftlich ist. Die Untersu-
                                                         chungen haben aber gezeigt, dass es sich bei der
Treibhausgasmessungen: Erwartetes und                    Torfmooskultivierung aus Sicht des Klimaschutzes
Überraschungen                                           um einen vielversprechenden Nutzungsansatz
Einige der durchweichten ehemaligen Polderflä-           handelt – eine wichtige Voraussetzung, um weiter-
chen nahmen während der Torfmooskultivierung             gehende Forschung zu initiieren, den Einsatz von
netto Kohlenstoff auf, während die Flächen, die nur      Klimaschutz-Geldern zu begründen und die Aner-
über Gräben mit Wasser versorgt wurden, CO₂ frei-        kennung der Torfmoosproduktion als landwirt-
setzten. Der nasse Bewässerungspolder emittierte         schaftliche Nutzung voranzutreiben. Denn nur dann
mehr Methan als die Anbauflächen, aber deutlich          erhalten die Eigentümer Flächenförderung aus dem
weniger als die naturnahen Referenzflächen.              EU-Agrarfonds.
    Gute Neuigkeiten gab es für die Spenderflächen:          Dass Moore auch unter künftigen Klimabedin-
Sie erholten sich schneller als erwartet von der Torf-   gungen im Auge behalten werden müssen, machte
moosentnahme und nahmen im zweiten Messjahr              ein Begleitversuch mit sogenannten Open-Top-Kam-
sogar mehr Kohlenstoff auf als die Referenzfläche        mern deutlich. Die Kammern simulieren den Klima-
ohne Entnahme.                                           wandel, indem sie die Luft- und Bodentemperatur
    Die Treibhausgasbilanz des gesamten Systems ist      erhöhen. Es zeigte sich: Unter diesen Bedingungen
optimal, wenn für die Kultivierung große, gut durch-     könnten sich durch verstärkte mikrobielle Aktivität
weichte Flächen genutzt werden können, die durch         die Methanemissionen erhöhen. Die Klimarelevanz
möglichst kleine Wasserflächen versorgt werden.          der Moore kann sich also weiter verschärfen. MW 
    Da ein Teil der aufgewachsenen Moos-Biomasse
wieder geerntet wird, ist auf den Flächen keine neu-     KONTAKT: baerbel.tiemeyer@thuenen.de
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8   MENSCHEN & MEINUNGEN

                                        Ȇber das hinausgehen, was wir
                                        im Feld erfassen können«
                                        Ein Gespräch über biologische Vielfalt und was die
                                        Wissenschaft für sie tun kann
                                        Getreide mit oder ohne Blühstreifen? Hecken als Nahrungsquelle für Insekten?
                                        Ein computergestütztes Kartenspiel des Thünen-Instituts zeigt, welcher Mix an
                                        Kulturen und Maßnahmen optimal ist, damit der Ertrag stimmt und blütenbe-
                                        stäubende Wildbienen einen intakten Lebensraum vorfinden. Was hinter dem
                                        Spiel steckt, darüber sprachen wir mit Jan Thiele, Stefan Mecke und Jens Dauber
                                        aus dem Thünen-Institut für Biodiversität.

                                        Auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin         terspiele nutzen. Wir setzen sie vor allem in Projek-
                                        haben Sie Besuchern spielerisch gezeigt, wie sich      ten ein, in denen es darum geht, wie sich bestimmte
                                        konventionelle Landwirtschaft und Artenschutz          Agrarumweltmaßnahmen auf Landschaftsebene
                                        miteinander kombinieren lassen. Wie waren die          auf verschiedene Organismengruppen auswirken.
             Mais
       mit Blühstreifen
                                        Reaktionen?                                            Da viele dieser Maßnahmen das Blütenangebot in
                                        JT: Viele haben sich auf unser Spiel eingelassen.      Landschaften erhöhen, sind zum Beispiel Hummeln
                                        Manche waren dann erstaunt, dass die Anzeige auf       wichtige Indikatoren.
                                        dem Monitor in Echtzeit auf die gelegten Spielkar-
                                        ten reagiert und die Bienen-Population sich ent-       Seit Kurzem ist die landschaftsökologische
                                        sprechend verändert. Technisch war das für die         Modellierung ein eigener Arbeitsbereich im
                                        Leute einigermaßen faszinierend.                       Thünen-Institut – mit welchen Zielen?
                        Raps
                     mit Feldrain
                                        SM: Interessant zu beobachten waren für uns            JD: Die Modellierung erlaubt uns, über das hin-
                                        die unterschiedlichen Herangehensweisen der            auszugehen, was wir im Feld tatsächlich erfassen
                                        Besucher: Einige haben einfach drauflos gepuz-         können. In einem Projekt können wir ein bestimm-
                                        zelt, andere haben sehr überlegt und wissens-          tes kleines Set an Maßnahmen auf landwirtschaft-
                                        basiert versucht, eine optimale Landschaft zu          lichen Betrieben umsetzen, zum Beispiel Blühstrei-
       Getreide
       mit Hecke                        gestalten.                                             fen für mehr Nektar und Pollen. Mit der Modellie-
                                                                                               rung können wir Szenarien entwickeln, die mehr
                                        Was war der Zweck des Spiels?                          Agrarumweltmaßnahmen abbilden als es derzeit
                                        JT: Wir wollten anschaulich machen, dass es einen      tatsächlich gibt. Auf dieser Basis lassen sich Optio-
                                        direkten Zusammenhang zwischen Landnutzung             nen aufzeigen, was wir in der Landwirtschaft alles
                                        und biologischer Vielfalt gibt. Ich glaube, unser      erreichen können und welcher Aufwand dafür nötig
                                        Spiel hat die Leute auch zum Nachdenken gebracht.      ist. Richtig spannend wird es, wenn man das inter-
                          Ackerbrache
                                        Viele haben sich nach einer Weile überlegt, ob sie     disziplinär angeht, also zum Beispiel auch Kosten-
                                        Getreide mit oder ohne Blühstreifen anlegen.           Nutzen-Analysen anstellt.
                                                                                               JT: Mit unserer neuen Arbeitsgruppe wollen wir
                                        Welches Modell stand für dieses Spiel Pate?            solche Modelle, mit denen man Prozesse auf Land-
        Silphie                         JT: Wir haben ein Modell für Wildbienen-Popula-        schaftsebene abbilden kann, nicht nur anwenden.
                                        tionen verwendet, das bereits gut validiert ist. Das   Wir wollen sie auch selbst entwickeln, zum Beispiel
Karten des Biodiversitätsspiels
                                        Modell wird seit einigen Jahren von einer Arbeits-     für andere Artengruppen.
  mit verschiedenen insekten-           gruppe in England entwickelt und ist frei verfügbar.   SM: Das ist auch technisch gesehen eine span-
  fördernden Kulturvarianten            JD: Diese Modelle kann man nicht nur für Compu-        nende Aufgabe. Denn es gibt riesige Datenmen-
Wissenschaft erleben 2019 /1                                                                                 MENSCHEN & MEINUNGEN               9

                                                                                                               Stefan Mecke, Jan Thiele und
                                                                                                               Jens Dauber (v.l.n.r.) mit dem
                                                                                                               Biodiversitätsspiel

gen, die man so aber nicht verwerten kann. Das       Wenn es schon ein deutschlandweites ökolo-
Operationalisieren von Daten für Modelle ist ein     gisches Stichproben-Netzwerk gibt, warum
ganz entscheidender und schwieriger Schritt, der     brauchen wir dann ein nationales Monitoring, das
oft limitierend ist.                                 die Agrarlandschaften in den Blick nimmt?
                                                     JD: Die Indikatoren, die bislang erhoben werden, sind
Welche Rolle spielt die Modellierung für das         nur bedingt geeignet, um agrarspezifische Fragen
nationale Monitoring der biologischen Vielfalt       zu beantworten. Beim Agrarlandschafts-Monitoring
der Agrarlandschaften, das vom BMEL initiiert        betrachten wir Ursache-Wirkungs-Beziehungen, zum
und in diesem März gestartet worden ist?             Beispiel wie sich der Einsatz von Pflanzenschutz- und
JD: Mit dem Monitoring werden bestimmte Orga-        Düngemitteln auf die biologische Vielfalt auswirkt.
nismengruppen und deren Funktionen sowie             Daraus können wir eine gezielte Politikberatung
Landschaftsstrukturen langfristig und standar-       ableiten.
disiert erfasst. Aus diesen Daten können wir mit
Hilfe der Modellierung Aussagen über die Wirk-       Sie schauen also genauer in die einzelnen
samkeit von bestimmten Strategien im Agrar-          Agrarräume hinein?
bereich treffen.                                     JD: Ja, denn wir haben nicht in jedem Agrarraum
                                                     die gleiche Problematik, was biologische Vielfalt
Wie ist das nationale Monitoring aufgesetzt?         anbelangt. Die ertragsstarken Böden der Hildeshei-
JD: Wir verfolgen verschiedene Ansätze. Unter        mer Börde etwa sind nicht mit der extensiven Grün-
anderem wollen wir auf landwirtschaftlichen          landwirtschaft im Harz vergleichbar. Daher muss
Betrieben gemeinsam mit den Landwirten im            ich innerhalb eines jeden Agrarraums analysieren,
Sinne eines Citizen-Science-Monitorings Indika-      welche Maßnahmen sich dort besonders günstig
toren erheben. Aber natürlich werden wir auch        auf die biologische Vielfalt auswirken und welche
versuchen, bereits vorhandene Daten für unsere       weniger geeignet sind.
agrarspezifischen Ansätze zu verwenden. Da gibt      SM: Es geht also letztlich um standortangepasste
es schon viele Aktivitäten in einzelnen Bundeslän-   Konzepte, die Produktion und biologische Vielfalt
dern, außerdem ein bundesweit repräsentatives        optimal miteinander in Einklang zu bringen.
Stichproben-Netzwerk für ein naturschutzfachli-
ches Monitoring mit über 1.000 Stichprobenflä-       Vielen Dank für das Gespräch.                   UH 
chen in ganz Deutschland.
10   FORSCHUNG

                 Trittsicher
                 Stallbohlen für Pferdeboxen richtig auslegen
                 Holzbohlen in Pferdeboxen müssen viel aushalten. Feuchtigkeit, neugierige
                 Zähne und im Extremfall einen kräftigen Tritt. Dieser darf die Bohle dann aber
                 nicht zum Brechen bringen. So will es zumindest das Tierschutzgesetz. Aber wie
                 kräftig tritt ein Pferd? Dazu existierten bislang keine belastbaren Daten.

                 Bereits 2009 hat das Bundeslandwirtschaftsmi-          den notwendigen Qualitäten und Mengen impor-
                 nisterium »Leitlinien zur Beurteilung von Pfer-        tiert werden. Um geeignete Alternativen zu finden,
                 dehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten«           hat sich das Thünen-Institut für Holzforschung zum
                 veröffentlicht. Danach müssen die Boxenwände           Ziel gesetzt, die Anforderungen an Stallbohlen zu
                 durchtrittfest und so beschaffen sein, dass sich die   definieren und eine Vorgehensweise für die Materi-
                 Hufe der Tiere nicht einklemmen können. Für die        alwahl und Dimensionierung zu erarbeiten.
                 praktische Umsetzung müsste bekannt sein, mit
                 welcher Last ein Pferdetritt zu veranschlagen ist.     Wie ermittelt man die Kraft eines Pferdes?
                 Weil das Wissen dazu aber fehlt, sind in den Leit-     In einem ersten Schritt ermittelten die Wissen-
                 linien die Festigkeitsanforderungen wenig konkret      schaftler in Kooperation mit dem Gestüt Samarra
                 formuliert. Lediglich am Beispiel von Eichenholz       in Rotenburg an der Fulda die mechanische Belas-
                 wird eine Materialstärke von 4 cm vorgeschlagen.       tung, die beim Auskeilen von Pferden auf die
                 Wichtige Parameter wie Breite und Länge der Ele-       Boxenwand wirkt. Dazu wurde eine mit Sensoren
                 mente sowie andere geeignete Holzarten werden          ausgestattete Schlagplatte in einer Deckstation
                 nicht genannt.                                         montiert und das Auskeilen eines Hengstes gemes-
                      Für Hersteller von Stallanlagen wie auch für      sen. Statistisch abgesichert wurde so ein Wert
                 Pferdehalter ist diese Situation unbefriedigend.       von 70,4 Joule als typische Trittenergie bestimmt.
                 Denn Holzarten, die sie bislang verwendet haben,       Unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschla-
                 sind häufig nicht zu den erforderlichen Preisen        ges (Faktor 1,5) ist für die Bemessung ein Wert von
                 verfügbar. Zudem ist die öffentliche Meinung zu        106 Joule zu veranschlagen. Dies entspricht etwa
                 Tropenholz kontrovers, während die Nutzung             der Aufprallenergie eines Gewichtes von 11 kg aus
                 heimischer Hölzer prinzipiell als positiv empfun-      einem Meter Höhe.
                 den wird. Etablierte Austauschmaterialien, wie zum         Mit der im Stall gemessenen Trittenergie berech-
                 Beispiel Bohlen aus Bambus, können oft nicht in        neten die Wissenschaftler die nötigen Abmessun-
Wissenschaft erleben 2019 /1                                                                                          FORSCHUNG       11

                                                                                                              Einsatz eines mannshohen
                                                                                                              Schlagwerkes zur Bestimmung
                                                                                                              der materialspezifischen
                                                                                                              Kennwerte beim Projektpartner
                                                                                                              DLG TestService GmbH, Groß-
                                                                                                              Umstadt

gen durchtrittbeständiger Stallbohlen. Das ist nicht    die heimische Buche die erforderlichen Festigkeits-
trivial: Denn für die Dimensionierung von Holzbau-      eigenschaften erfüllt. Stallbohlen aus beispiels-
teilen wird in der Praxis mit statischen Lasten gear-   weise den Holzarten Bilinga und Denya hingegen
beitet. Daher konnten die Wissenschaftler die nun       halten einer Trittbelastung erst bei einem etwas
bekannte Trittenergie nicht so ohne weiteres für        größeren Querschnitt stand. Sehr genau beachtet
Berechnungen heranziehen. Über die Biegearbeit,         werden muss allerdings, welchen Umgebungs-
die rechnerisch im Zuge eines Tritts an einer Stall-    bedingungen die Hölzer im Gebrauch ausgesetzt
bohle verrichtet wird, wurde daher auf eine statisch    sind – insbesondere die Buche reagiert recht sen-
äquivalente Ersatzlast umgerechnet. So können           sibel auf Feuchtigkeit.
die Auswirkungen der Beanspruchung des Bauteils             Auf Basis der ermittelten Trittenergie und den
(Biegespannung und Durchbiegung) mit Methoden           bekannten Eigenschaften verschiedener Hölzer
der Statik berechnet werden.                            lassen sich mit dem vorgestellten Berechnungs-
                                                        verfahren die Abmessungen von Stallbohlen so
Verschiedene Hölzer im Vergleich                        festlegen, dass sie für den Bau sicherer Pferde-
Überprüft wurden die Ergebnisse mit einem               boxen geeignet sind. Weiterhin ist es nun möglich,
Schlagpendel, dessen Hammerspitze die Form              neuartige Holzwerkstoffbohlen für den Stallbau zu
eines Hufes hat. Geht man von 4 cm starken Bohlen       entwickeln und die Abmessungen von Stallbohlen
bei Standardabmessungen aus, so ist ein Pferd in        ressourcenschonend zu optimieren.             MO 
einer Box aus Eiche, Bongossi oder Bambus sicher
untergebracht. Etwas überraschend war, dass auch        KONTAKT: jan.benthien@thuenen.de
12   FORSCHUNG

                 SocialLab – Nutztierhaltung im
                 Spiegel der Gesellschaft
                 Über den Versuch, eine wissenschaftliche Basis für den
                 gesellschaftlichen Dialog zu schaffen
                 In Befragungen bringen die Deutschen mehrheitlich zum Ausdruck, dass sie sich
                 eine andere Tierhaltung wünschen. Landwirte bezweifeln das und verweisen
                 darauf, dass die Verbraucher beim Einkaufen vorrangig auf niedrige Preise
                 achten. So ärgern sich die einen über die anderen, doch wie kommen wir weiter?
                 Ein Forschungskonsortium hat versucht, der Sache auf den Grund zu gehen.

                 Die acht Partner des Konsortiums SocialLab haben       »mehr Tageslicht« umgesetzt werden, führt dies zu
                 ihre Methodenkästen weit geöffnet, um die gesell-      Zielkonflikten. Ein klassischer Zielkonflikt entsteht
                 schaftlichen Erwartungen zur Nutztierhaltung und       dadurch, dass höhere Tierwohlstandards mit steigen-
                 das Verbraucherverhalten aus unterschiedlichen         den Kosten einhergehen. Um diese Zusatzkosten zu
                 Blickwinkeln zu untersuchen. Natürlich ging es auch    decken, sind entweder höhere Preise oder staatliche
                 hier nicht ohne Befragungen. Eine Online-Umfrage       Transferzahlungen erforderlich, sodass das Geld an
                 zur Bewertung der heute mehrheitlich gängigen          anderer Stelle fehlt. Daneben gibt es aber auch Ziel-
                 Haltungsformen bestätigte die kritische Sicht der      konflikte innerhalb der gesellschaftlichen Erwartun-
                 Gesellschaft: Bei allen Tierarten liegt der Anteil     gen an die Landwirtschaft, beispielsweise Tierwohl
                 derjenigen, die die Haltungsverfahren für verbes-      vs. Emissionen bei der Auslaufhaltung landwirt-
                 serungswürdig erachten, deutlich über 60 %. Geflü-     schaftlich genutzter Tiere. Ein Ergebnis von SocialLab
                 gel- und Schweinehaltung werden im Vergleich           ist, dass bei konkurrierenden Zielen, z. B. zwischen
                 zur Rinderhaltung als schlechter wahrgenommen.         Tier- und Umweltschutz bei der Auslaufhaltung von
                 Der Anteil derjenigen, die die aktuell vorherrschen-   Schweinen, das Ziel Tierwohl höher geschätzt wird.
                 den Haltungssysteme als »eher zufriedenstellend«       Die Zielkonfliktforschung steht in Bezug auf die Nutz-
                 oder »voll und ganz zufriedenstellend« einstufen,      tierhaltung erst am Anfang und wird in dem in Kürze
                 beträgt bei der Geflügel- und Schweinehaltung          startenden Folgeprojekt »SocialLab II – Akzeptanz
                 ungefähr 10 % und bei der Rinderhaltung ungefähr       der Nutztierhaltung durch Innovationen« weitere
                 20 %. Bemerkenswert ist auch die Bewertung der         Antworten und Lösungsvorschläge liefern.
                 Vertrauenswürdigkeit unterschiedlicher Akteure:             Eine zentrale Frage von SocialLab war, ob es
                 Insbesondere der Fleischwirtschaft und der Ernäh-      überhaupt eine Form der Nutztierhaltung geben
                 rungsindustrie, aber auch den Ministerien, den Bau-    kann, die von weiten Teilen der Gesellschaft akzep-
                 ernverbänden und den konventionellen Landwirten        tiert wird: Hier kommt die Idee des »fairen Deals«
                 wird zugetraut, Informationen im eigenen Interesse     zur Geltung, der sowohl von der Gesellschaft als
                 zu verfälschen.                                        auch von Landwirten getragen wird. Der faire Deal
                                                                        im Bereich Nutztierhaltung zeichnet sich dadurch
                 Wie umgehen mit Zielkonflikten?                        aus, dass Nutztiere zu Lebzeiten durch den Landwirt
                 Sollen gesellschaftliche Anforderungen wie z. B.       umsorgt werden und sich wohlfühlen. Nutztiere
                 »artgerechte Haltung«, »ausreichend Platz« oder        werden somit quasi zu Lebzeiten durch ein gutes
Wissenschaft erleben 2019 /1                                                                                           FORSCHUNG           13

Leben dafür entschädigt, dass sie geschlachtet und    sichtlich kann also das Wissen um das Produktions-
als Lebensmittel genutzt werden. Im Rahmen einer      verfahren das Geschmacksempfinden und somit
deutschlandweiten Online-Befragung stimmten die       auch künftiges Kaufverhalten beeinflussen.
Befragten mit 80 % (Muttersauen) bis 86 % (Milch-
vieh) der Forderung zu, dass die Tiere durch ein      Kernelement Kommunikation
gutes Leben für ihre Nutzung entschädigt werden.      Ein wichtiges Element jeder Nutztierstrategie ist
Kernelement des fairen Deals ist dabei eine gute      die Kommunikation zwischen den handelnden
Mensch-Tier-Beziehung. Hier zeigten die Interviews    Akteuren. Dass diese durchaus gelingen kann, zeig-
mit Landwirten, dass Tiere zwar als wirtschaftliche   ten Gruppendiskussionen mit Verbrauchern und
Lebensgrundlage für die eigenen Betriebe gesehen      Landwirten. Mitunter änderten beide ihre Haltung
werden, die Landwirte jedoch auch eine Beziehung      gegenüber der jeweils anderen Gruppe, und auch
zu ihren Tieren aufbauen.                             die Wahrnehmung der Nutztierhaltung veränderte
     Mit Blick auf die Marktfähigkeit von Tierwohl-   sich. Dabei waren Landwirte jedoch insgesamt
fleisch wurde in SocialLab untersucht, wie sehr       weniger bereit, ihre Meinung gegenüber der Nutz-
                                                                                                              Partner im SocialLab-
die Angabe eines Haltungsverfahrens den sub-          tierhaltung zu ändern als die Verbraucher. Da die       Konsortium:
jektiven Geschmack beeinflusst. Im Rahmen eines       Veränderungen sehr von der Argumentationsweise          Thünen-Institut für Markt-
Geschmacksexperimentes verkosteten die Proban-        abhängig waren, wird sich SocialLab II auch diesem      analyse (Koordination)
den vier Proben eines Kochschinkens des gleichen      Thema intensiv widmen.                                  Fachhochschule Südwest-
                                                                                                              falen, Soest
Herstellers: konventionelle Haltung, ökologische          Insgesamt wurde deutlich, dass die Bürger die
                                                                                                              Georg-August-Universität,
Haltung, Haltung der Initiative Tierwohl, Haltung     tierhaltenden Landwirte in der Hauptverantwor-          Göttingen
ohne konventionellen Ferkelschutzkorb. Solange        tung bei der Umsetzung einer akzeptierten Nutz-         TU München
die Probanden keine Informationen zu den Proben       tierhaltung sehen. Zugleich nehmen sie aber auch        Rheinische Friedrich-Wilhelms-
hatten, identifizierten sie keine geschmacklichen     den Staat in die Pflicht, denn das Ziel einer gesell-   Universität, Bonn
                                                                                                              Heinrich-Heine-Universität,
Unterschiede.                                         schaftlich akzeptierten Nutztierhaltung wird sich       Düsseldorf
     Bei einer Verkostung derselben Proben, deren     nicht erreichen lassen, wenn man es allein dem          INSTET – Privates Forschungs-
Ursprung jetzt jedoch offen gelegt wurde, war das     freiwilligen Handeln von Verbrauchern, Landwirten       und Beratungsinstitut für
                                                                                                              angewandte Ethik und
subjektive Geschmacksempfinden für das ökolo-         und Lebensmittelhandel überlässt.               FI 
                                                                                                              Tierschutz, Berlin
gisch produzierte Produkt am höchsten und das für                                                             Zeppelin-Universität,
das konventionelle Produkt am niedrigsten. Offen-     KONTAKT: inken.christoph@thuenen.de                     Friedrichshafen
14   MENSCHEN & MEINUNGEN

                       »Schwelbrand erkennen, bevor
                       eine offene Flamme entsteht«
                       Ein Gespräch über einen neuartigen Waldbrandsensor und
                       die Herausforderungen nach den Waldbränden im Jahr 2018
                       Das Land Brandenburg gehört zu den Regionen Europas, die am häufigsten von
                       Waldbränden betroffen sind. Im Trockensommer 2018 hat allein der Großbrand
                       bei Treuenbrietzen südlich von Berlin 450 Hektar Wald vernichtet. Jürgen Müller
                       vom Thünen-Institut und Michael Luthardt vom Landeskompetenzzentrum Forst
                       Eberswalde erläutern, welchen Beitrag die Wissenschaft leisten kann, um die
                       Schäden zu begrenzen.

                       Herr Luthardt, Herr Müller, warum brennt es in          serstoffkonzentration in der Luft einen bestimmten
                       Brandenburger Wäldern so oft?                           Schwellenwert, meldet der Sensor den möglichen
                       ML: Das liegt hauptsächlich daran, dass wir auch        Brand an eine Zentrale. Auf diese Weise lässt sich
                       nach 30 Jahren Waldumbau immer noch eine halbe          ein Schwelbrand schon erkennen, bevor eine offene
                       Million Hektar großflächige Kiefernreinbestände         Flamme da ist. Die Feuerwehren gewinnen also
                       haben, die nicht mit Laubbäumen unterpflanzt sind.      Zeit. Das ist nicht als Konkurrenz zum »Fire Watch«-
                       JM: Dazu kommen noch die heißen, trockenen              System zu sehen, sondern als Ergänzung.
                       Sommer und die Sandböden, die das Wasser nur
                       schlecht halten und dadurch das Austrocknen noch        Hat dieses System seine Feuerprobe schon
                       beschleunigen. Die lichten Kiefernbestände haben        bestanden?
                       eine leicht brennbare Bodenvegetation aus Gräsern,      JM: Ja, schon in verschiedenen Tests, die wir durch-
                       die sich sehr schnell entzünden kann.                   geführt haben. Im Wald konnte das Gerät durch den
                                                                               Anstieg der Wasserstoffkonzentration erkennen, dass
                       Was wird im Land Brandenburg getan, um Wald-            in hundert Meter Entfernung ein Brand im Entstehen
                       brände rechtzeitig zu erkennen?                         war. Die Sensoren und die Vernetzung funktionieren.
                       ML: Es gibt da seit gut zehn Jahren das »Fire Watch«-   Die Daten werden an eine Datenbank geschickt, und
                       System mit Feuerwachttürmen, auf denen Kameras          von dort wird der Alarm als SMS versendet. Es ist als
                       installiert sind. In Waldbrandmeldezentralen sitzen     Pilotprojekt funktionsfähig. Aber es ist noch nicht
                       Leute vor Bildschirmen, die jeglichen Rauch sofort      praxisreif. Zum Beispiel muss die Energieversorgung
                       sehen. Das hat sich sehr gut bewährt. Aber es konnte    noch langfristig gesichert werden. Wir denken da an
                       trotzdem nicht verhindern, dass bei Treuenbrietzen      ein autarkes System mit Solarpaneelen.
                       so ein Großbrand entsteht. Und wir haben es einfach
                       verlernt, mit größeren Waldbränden umzugehen.           Haben sich schon Interessenten gemeldet?
                       Seit 20 Jahren gab es immer nur kleinere Wald-          JM: Ja, aber sie wollen ein weitgehend ausgereiftes
                       brände – mal vier, fünf Hektar.                         und risikoarmes Produkt. Die potenziellen Produ-
                                                                               zenten erwarten, dass der Schritt zum verkaufsfähi-
                       Reden wir über die Waldbrandfrüherkennung. Sie          gen Sensor relativ sicher ist.
                       haben hier ein kleines Gerät mitgebracht. Was hat
                       es damit auf sich?                                      Ist nicht auch jeder Waldbesucher mit seinem
                       JM: Das ist ein in der Humboldt-Universität entwi-      Mobiltelefon ein Frühwarnsystem? Braucht es da
                       ckelter und patentierter Wasserstoffsensor auf einer    noch andere Systeme?
                       Platine. Beim Verbrennen organischen Materials ent-     ML: Das sind ja zufällige Beobachtungen, darauf
                       steht als erstes Wasserstoff. Überschreitet die Was-    kann man sich nicht verlassen. Wir brauchen ein sys-
Wissenschaft erleben 2019 /1                                                                         MENSCHEN & MEINUNGEN            15

                                                                                                           Michael Luthardt (links) und
                                                                                                           Jürgen Müller (rechts)

tematisches, flächendeckendes Überwachungssys-        Mischung aus Birken, Aspen, Weiden und Kiefern.
tem, das zu jeder Tages- und Nachtzeit funktioniert   Dann kann man in die Lücken noch Eichen pflan-
und nicht nur am Wochenende, wenn Spaziergän-         zen und hat einen zukunftsfähigen Mischbestand.
ger draußen sind.                                     Kleinere Waldbrände sind also durchaus ein Neu-
                                                      start. Aber auch nach dem Großbrand bei Treuen-
Soll man nach einem Waldbrand die Natur einfach       brietzen wollen es viele Waldbesitzer jetzt anders
gewähren lassen oder muss man das steuern?            machen − nicht wieder nur Kiefern anpflanzen,
ML: Bei Brandflächen unter 20 oder 30 Hektar kann     sondern auch Waldbrandriegel anlegen, Waldrän-
man durchaus erst einmal zehn Jahre abwarten          der schaffen und Baumarten mischen, wo es vom
und dann gegebenenfalls noch nachpflanzen. So         Standort her möglich ist. Wir versuchen dort jetzt
kann man sehr viel Geld sparen. Man muss einfach      an den Wegen Linienstrukturen reinzubringen, von
der Natur eine Chance geben, denn die Natur hat       wo aus sich die Baumarten über Samen verbreiten.
immer eine Antwort. Sie findet immer irgendeinen      Es hat sich gezeigt, dass Birken, die am Rand der
Weg, der manchmal besser ist, als wir Menschen das    Waldbrandfläche gepflanzt werden, innerhalb von
machen.                                               wenigen Jahren Samen bilden und diesen dann auf
                                                      die Fläche bringen. Damit können wir kostengüns-
Sind Waldbrände also auch eine Chance für den         tig mehr Vielfalt schaffen.
Waldumbau in Brandenburg?                             JM: Hier gibt es langfristig ein Umdenken, indem
ML: Bei einem 15 Jahre zurückliegenden Waldbrand      beim Waldumbau auch die Waldbrandvorsorge
im Süden Brandenburgs hat sich gezeigt, dass          berücksichtigt wird.
sich durch die Sukzession eine Vielfalt entwickelt,
die vorher nicht da war. Wo vorher ein reiner Kie-    Vielen Dank für das Gespräch.                HP 
fernbestand war, entwickelt sich jetzt eine bunte
16      PORTRAIT

                                                                                                 Einschlag: 73,7
                                                   Alle Daten in Millionen m³(r)

                                                                 Schnittholz, Werkstoffe, etc.

                                                                        Fertigwaren

                                                                                                                                                 HOLZ
                                               HOLZ

                                                                                   tpapier
                                                                Zellstoffe / Al

                                                                                                                                                          AUSFUHR
                                     EINFUHR

                                                                                                                                                           137,7
                                       138,4

                                                                         Papier / Pappe
                                               PAPIER

                                                                                                                                                 PAPIER
Die Grafik skizziert stark verein-
    facht die Verwendungswege
von Holz und Holzprodukten in                                        Fertigwaren
   Deutschland. Die Stoffströme
  werden gespeist von hier ein-
     geschlagenem Rohholz und                                                                                            Altpapier
                                                                           Altholz
 importierten Holz- und Papier-
    waren. Das Material wird auf
    verschiedenen Wegen verar-
beitet, verbaut, exportiert, rezy-                                        inländ. Verwendung und energ. Nutzung
 kliert und energetisch genutzt.                                                           68,8

                                     Die Wege des Holzes
                                     Rohstoffmonitoring zur detaillierten Erfassung der Holzverwendung

                                     Holz ist unser wichtigster nachwachsender Rohstoff.                    Universität Hamburg unter Prof. Udo Mantau gelei-
                                     Für eine nachhaltige Wirtschaftsweise ist es wich-                     stet wurden, und die das Thünen-Institut mit ihm
                                     tig, dass wir sorgsam mit diesem Rohstoff umgehen                      und seiner Firma INFRO (Informationssysteme für
                                     und ihn in die bestmöglichen Verwendungen leiten.                      Rohstoffe) in den letzten Jahren weiterentwickelt
                                     Sofern die Politik hier Einfluss nehmen möchte, sollte                 hat. Die Einzelstudien zur Ergänzung der Offizialsta-
                                     sie zuerst einmal wissen, was derzeit mit dem Roh-                     tistik werden in Abständen von drei bis fünf Jahren
                                     stoff geschieht: Wie viel wird importiert, exportiert,                 durchgeführt. Die entstehende Datenbasis ist nicht
                                     zu Werkstoffen oder Möbeln verarbeitet, verbaut,                       nur eine wichtige Grundlage für die Arbeit der Bun-
                                     als Restholz weiterverwendet, rezykliert, verfeuert                    desregierung, sondern auch Quelle für Berichte an
                                     usw.? Denn auch für den Holzsektor gilt der Leitsatz:                  das Statistische Bundesamt, Eurostat und die Ver-
                                     »You can only manage what you can measure.«                            einten Nationen. Darüber hinaus liefert sie wichtige
                                          Aus der amtlichen Statistik lassen sich hierzu nur                Informationen zur Schätzung des jährlichen Holz-
                                     Teilantworten gewinnen. Das liegt unter anderem                        einschlags in Deutschland.
                                     an den sogenannten Erfassungsgrenzen: So werden                             Die Ergebnisse zeigen, dass Sägewerke nach
                                     zum Beispiel in der amtlichen Produktionsstatistik                     wie vor die größte Bedeutung für die Verwendung
                                     nur Sägewerksbetriebe mit mehr als zehn Mitar-                         von Rohholz haben. So werden ca. 34 Mio. m³ Roh-
                                     beitern befragt, sodass die Aussagekraft bezüglich                     holz in Sägewerken genutzt. Allerdings landen
                                     der Schnittholzproduktion in Deutschland einge-                        jedes Jahr auch rund 20 Mio. m³ Rohholz in den
                                     schränkt ist.                                                          Kaminen privater Haushalte. Dagegen wird Altholz,
                                          Daher entsteht hier eine neue Daueraufgabe                        also Holz, das bereits einen Verwendungszyklus
                                     für das Thünen-Institut, nämlich die Ergänzung                         durchlaufen hat, hauptsächlich in großen Holzheiz-
                                     der Offizialstatistik durch eigene Erhebungen und                      kraftwerken verbrannt (ca. 11 Mio. m³). Nur ein klei-
                                     Schätzungen, um eine belastbare, umfassende und                        ner Teil (ca. 2 Mio. m³) geht in die Herstellung von
                                     zeitreihenfähige Datengrundlage für das Monito-                        Spanplatten.                                     FI 
                                     ring im Bereich Holz zu schaffen. Hierzu lässt sich
                                     auf langjährigen Vorarbeiten aufbauen, die an der                      KONTAKT: dominik.jochem@thuenen.de
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