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WORKING PAPER-REIHE DER AK WIEN EINSTELLUNGEN ZUM SOZIALSTAAT IN DER COVID-19 GESUNDHEITS- UND ARBEITSMARKTKRISE Bernd Liedl Philipp Molitor Nadia Steiber 210 978-3-7063-0858-8 MATERIALIEN ZU WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT WPR_210_SozialstaatCovidkrise.indd 1 12.02.21 09:51
Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft Nr. 210 Working Paper-Reihe der AK Wien Herausgegeben von der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Bernd Liedl, Philipp Molitor, Nadia Steiber Februar 2021
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich. ISBN 978-3-7063-0858-8 Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien A-1041 Wien, Prinz-Eugen-Straße 20-22, Tel: (01) 501 65, DW 12283
Zusammenfassung Die Studie liefert auf Basis einer im Juni 2020 durchgeführten repräsentativen Befragung von 2.000 Personen Einblicke in Einstellungen zu sozialpolitischen Maßnahmen und zu Fragen der Finanzierung der Corona-Krise in Österreich. Die Ergebnisse weisen auf eine breite Unterstützung sozialstaatlicher Maßnahmen. Mehr als 60% der Befragten waren drei Monate nach Beginn der Krise der Meinung, der Sozialstaat sei im Zuge der Corona- Pandemie wichtiger geworden. Diese Ansicht teilten insb. Personen mit höherer Bildung und in höherem Alter. Die Sorge um eine Vergrößerung der Unterschiede zwischen Arm und Reich durch die Corona-Pandemie war in der gesamten Bevölkerung Österreichs weitverbreitet und unter älteren Personen besonders groß. Im internationalen Vergleich werden in Österreich staatliche Maßnahmen zur Reduktion von Einkommensunterschieden stark befürwortet. Dies war auch während der Corona- Krise der Fall. Die Zustimmung zu staatlicher Einkommensumverteilung verstärkte sich im Vergleich zu 2018/19 sogar leicht. Der subjektive soziale Status der Befragten übte dabei einen starken Einfluss aus: Menschen, die ihren sozialen Status in der Gesellschaft eher unten verorteten, zählten besonders häufig zu den BefürworterInnen. Während rund drei von vier Befragten der Meinung waren, der Staat solle mehr tun, um Armut zu verringern, befürworteten deutlich weniger Menschen (knapp die Hälfte der Befragten) staatliche Maßnahmen zur Sicherung eines angemessenen Lebensstandards von Arbeitslosen. Jüngere und ältere Befragte befürworteten staatliche Maßnahmen zur Sicherung eines angemessenen Lebensstandards von Arbeitslosen stärker als jene im Haupterwerbsalter. Die aktuelle bedarfsorientierte Mindestsicherung schätzte rund die Hälfte der Befragten als zu niedrig ein. Einen Mindestlohn bei Vollzeitbeschäftigung von zu niedrig ein. Die Vermögensverteilung in Österreich wurde wie auch im European Social Survey (2018) überwiegend als ungerecht eingeschätzt, vor allem von Älteren. Zwei Drittel der Befragten waren der Meinung, der Staat solle Maßnahmen ergreifen, um die Vermögensungleichheit zu reduzieren. Wie schon bei der Befürwortung staatlicher Umverteilung von Einkommen, zeigte sich auch hier, dass Befragte, die sich in der Gesellschaft eher unten verorteten, die Vermögensunterschiede eher als ungerecht groß einschätzten und eine staatliche Vermögensumverteilung eher befürworteten. Einer stärkeren Besteuerung von Vermögen zur Finanzierung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie stimmte rund jede zweite/r Befragte zu. Ebenfalls rund die Hälfte sprach sich für eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen aus. Die größte Zustimmung erfuhr jedoch die stärkere Besteuerung großer Unternehmen (rund 64%). Die Finanzierungsinstrumente mit umverteilender Wirkung wurden weitaus positiver bewertet als eine Einschränkung von Sozialleistungen (weniger als 20% Zustimmung).
Abstract This study provides insights into the attitudes of the Austrian population towards the policy measures taken by the government to mitigate the direct economic consequences of the COVID-19 pandemic and the lockdown. Based on a representative survey of 2,000 individuals aged 20-64 and living in Austria (carried out in June 2020), the findings show a rather strong support for the state interventions. More than 60% of respondents felt that the welfare state has become more important since the onset of the crisis. The strongest support was found among the higher educated and the older population. The majority of respondents and again especially older individuals indicated to worry about a further widening of social inequality between the rich and the poor due to the crisis. By international comparison, support for income redistribution is strong in Austria. This continued to be the case during the Corona crisis. The support for income redistribution grew even stronger compared to 2018/19 (data from the European Social Survey). Those who felt their own social status to be rather low were the ones who were most strongly in favour of income redistribution; but also among those with a higher subjective social status support for income redistribution was widespread. Three out of four respondents agreed that the state should do more to prevent people falling into poverty. A smaller share of the population (just below half) thought that the state should provide the unemployed with a decent standard of living (with a stronger support from younger and older individuals as compared to the mid-aged). The current level of by about half of the respondents and a gross minimum wage for full-time employees of by more than 60% of respondents. The wealth distribution in Austria was evaluated as unfair by the majority of respondents (i.e. too large a difference between the top and low end of the distribution), which is in line with recent findings from the European Social Survey (2018). About two thirds stated that the state should take measures to reduce wealth inequality. Again, those of higher age and those who subjectively felt their social status to be rather low were among those most strongly in support of such measures. Asked about the preferred means for financing the crisis, the stronger taxation of wealth and high incomes received strong support (by about half of the population). The share of respondents supporting the higher taxation of large enterprises was even higher (about 64%). These redistributing options for financing the crisis costs received much stronger support compared to welfare retrenchment (support from less than 20%).
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .................................................................................................................. 1 2 Daten......................................................................................................................... 3 2.1 Kontext der Datenerhebung .................................................................................................. 5 3 Sozialpolitische Fragestellungen ............................................................................... 6 3.1 Wandel der Bedeutung des Sozialstaats in Österreich .......................................................... 6 3.2 Sorge um soziale Spaltung ..................................................................................................... 8 3.3 Einkommensverteilung und Mindestlohn ............................................................................. 9 3.3.1 Einstellungen zur staatlichen Einkommensumverteilung ....................................... 9 3.3.2 Einstellungen zum Mindestlohn............................................................................ 11 3.4 Sozialleistungen ................................................................................................................... 13 3.4.1 Einstellungen zu sozialstaatlichen Aufgaben ........................................................ 13 3.4.2 Sozialhilfe bzw. bedarfsorientierte Mindestsicherung ......................................... 15 3.5 Einstellungen zur Vermögensungleichheit .......................................................................... 16 3.6 Finanzierung der Corona-Krise ............................................................................................ 20 4 Verzeichnisse .......................................................................................................... 23 4.1 Abbildungsverzeichnis ......................................................................................................... 23 4.2 Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 24
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise 1 Einleitung Die Corona-Pandemie ist eine große wirtschafts- und finanzpolitische Herausforderung. Für das Gesamtjahr 2020 erwartet das IHS einen Rückgang der Wirtschaftsleitung um rund 7,5% (IHS, 2020) - dramatische Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. In Folge des ersten Lock-Downs ist die Beschäftigung eingebrochen und die Zahl der registrierten Arbeitslosen stark gestiegen, allerdings deutlich gebremst durch das Instrument der Corona-Kurzarbeit. Der Regierung ist es gelungen, die finanziellen Einbußen der Menschen, die ihren Job verloren haben oder für Kurzarbeit angemeldet wurden bzw. ihr Unternehmen während der Lock-Downs ruhend stellen mussten, durch eine Reihe von Maßnahmen wie dem Corona-Kurzarbeitsgeld, den Härtefonds, den Einmalzahlungen an Arbeitslose, usw. abzufedern. Trotzdem gaben bei der AKCOVID Befragung im Juni 2020 rund 30% der Haushalte an, dass sich ihr Haushaltseinkommen seit Beginn der Krise verringert hat. Vor Beginn der Krise kamen weniger als 10% der Haushalte mit ihren Einkommen (sehr) schwer zurecht, im Juni 2020 bereits mehr als jeder fünfte Haushalt (Steiber, 2021). Die krisenbedingte Gesamtbelastung für das Budget beläuft sich laut einer aktuellen Schätzung auf 38,3 Milliarden Euro für das Jahr 2020 und laut Prognosen auf weitere 22,5 Milliarden Euro im Jahr 2021 (Szigetvari, 2020). Darin beinhaltet sind die Kosten für Unternehmenshilfen und -förderungen, die Corona-Kurzarbeit sowie Steuersenkungen und - Bereits zu Beginn des ersten Lock-Downs im März wurden Debatten über die länger- fristigen Folgen der Pandemie für die Gesellschaft und den sozialen Wandel sowie über verschiedene Optionen der staatlichen Krisenfinanzierung angestoßen. Die Krise wurde teils als Chance für dringend notwendige Adaptionen der Organisation von Sozialstaaten gesehen (Horx, 2020). ArbeitnehmervertreterInnen forderten früh Weichenstellungen in Richtung Höherqualifizierung, eines sozial-ökologischen Umbaus der Wirtschaft und einer fairen Lastenverteilung bei der Krisenfinanzierung (Wöss, 2020). Die Pandemie als umfassende Gesundheits-, Wirtschafts- und Gesellschaftskrise stellt verglichen mit bisherigen Krisen eine komplett neue Figuration gesellschaftlicher Herausforderungen dar. Aus Studien zu anderen gesellschaftlichen Krisen ist bekannt, dass mit Krisen einhergehende Unsicherheiten zu einem konservativen Reflex in der Gesellschaft führen können (Dinesen & Jæger, 2013; Margalit, 2013; Van Erkel & Van Der Meer, 2016). Dieser sogenannte rally-round-the-flag Effekt wurde seit Beginn der Pandemie in verschiedenen europäischen Ländern beobachtet. Ursprünglich beschreibt dieser Effekt kurzfristig steigende Zustimmungswerte in der Bevölkerung für Regierende bzw. ein steigendes Vertrauen in Regierungen im Kontext von dramatischen Ereignissen wie Wirtschaftskrisen, Kriegen oder Terroranschlägen (Mueller, 1973; Dinesen & Jæger, 1
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise 2013). Erklärt wird dieser Effekt durch die Verstärkung kollektiver Identitäten bzw. durch das Bedürfnis eines Festhaltens an staatlichen Institutionen in Zeiten von Unsicherheit. Analysen von Daten aus sieben europäischen Staaten (u.a. aus Österreich) zeigen, dass die Bevölkerung seit Beginn der Pandemie den Regierenden ein stärkeres Vertrauen entgegenbringt und sich zufriedener mit dem demokratischen System zeigt (Bol, Giani, Blais, & Loewen, 2020). In Schweden legen die Bürger seit Beginn der Krise ein stärkeres Vertrauen in staatlichen Institutionen und ihre MitbürgerInnen (Esaiasson, Sohlberg, Ghersetti, & Johansson, 2020). Es könnte sich dabei jedoch lediglich um kurzlebige Verschiebungen der öffentlichen Meinung handeln, welche sich nach Behebung der krisenbedingten Unsicherheit relativieren (Dinesen & Jæger, 2013; Margalit, 2013). Die vorliegende Studie liefert einen Einblick in die Einstellungen und Werthaltungen der österreichischen Bevölkerung in Bezug auf sozialpolitische Maßnahmen und den österreichischen Sozialstaat. Durch Vergleiche mit ähnlichen Erhebungen früherer Jahre, ist es möglich, für einige sozialpolitische Fragestellungen einen Zeitverlauf anzustellen und potentiellen Veränderungen der Werthaltungen nachzugehen. 2
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise 2 Daten Basis dieser Studie ist eine repräsentative Befragung von 2.000 in Österreich lebenden Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren (AKCOVID Survey). Die Datenerhebung erfolgte im Zeitraum zwischen dem 18.6. und dem 2.7. 2020. Mehr als 90% der Interviews fanden im Juni 2020 statt. Aus diesem Grund wird der Einfachheit halber im Bericht Juni 2020 als Erhebungszeitpunkt genannt (Box 2 für Details zur Erhebung). Neben dem AKCOVID Survey greift der vorliegende Bericht auch auf Daten aus dem European Social Survey (ESS) aus den Jahren 2016 und 2018/19 zurück1. Der ESS ist eine internationale Befragung zu Einstellungen, Überzeugungen und Verhaltensmustern in Europa. Der Fragebogen beinhaltet ein Kernmodul sowie variierende Befragungsmodule mit verschiedenen Themenschwerpunkten (z.B. Einstellungen zum Sozialstaat, Fairness, Einkommens- und Vermögensverteilung). Durch das Heranziehen der ESS-Befragungen vor der Corona-Krise sind wir in der Lage abzuschätzen, ob es seit Beginn der Pandemie zu einem Wandel in den Einstellungen zu sozialpolitischen Themen gekommen ist. __________________________________________________ 1 European Social Survey (2016) und European Social Survey (2018). In der vorliegenden Studie wurden ESS-Daten von 1.488 (Welle 8) bzw. 1.741 (Welle 9) Personen im Alter von 20-64 Jahren analysiert. 3
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise 4
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise 2.1 Kontext der Datenerhebung Nachdem in der ersten Phase der Pandemie nahezu alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens durch einen Lock-Down von 16.03.2020 bis 14.04.2020 auf ein Minimum beschränkt wurden, folgte eine schrittweise Öffnung. Am 15.05.2020 wurde die Gastronomie wiedereröffnet; am 15.06.2020 die Maskenpflicht gelockert. Die Befragung startete am 18.06.2020. Der Zeitraum der Datenerhebung lag mithin nach dem ersten Lock-Down in einer Zeit mit einem sehr niedrigen Infektionsgeschehen. Die Zahl der vorgemerkten Arbeitslosen inkl. SchulungsteilnehmerInnen stieg während des ersten Lock-Downs von rund 376.000 Mitte März auf rund 588.000 Mitte April. In den folgenden Monaten sank die Zahl der Arbeitslosen wieder ab. Allerdings war die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahr auch im Juni 2020 noch immer stark erhöht, wie Abbildung 1 illustriert. Der Anstieg der Arbeitslosenzahlen wies ein Ost-West-Gefälle auf: So hat sich die Zahl der Arbeitslosen in Salzburg und Tirol in etwa verdoppelt, in Vorarlberg um rund 68% erhöht. In Wien ist die Zahl der Arbeitslosen um rund 50% angestiegen, nur das Burgenland und Niederösterreich wiesen niedrigere Zahlen auf. Abbildung 1: Anstieg der Zahl arbeitsloser Personen von Juni 2019 auf Juni 2020 (in %) Das Sinken der Arbeitslosigkeit ab Mitte April bis zum Sommer 2020 ist einerseits der neuerlichen Öffnung der Wirtschaft v.a. Handel, Gastronomie und personenbezogene Dienstleistungen geschuldet; andererseits hat die Regierung versucht, durch staatliche Maßnahmen wie dem Härtefallfonds, der Kurzarbeitsregelung oder dem Fixkosten- zuschuss die Schließung von Betrieben und Arbeitslosigkeit zu verhindern. Menschen, die trotz dieser Förderungen ihre Erwerbsarbeit verloren, wurden durch Sozialleistungen beispielsweise Mindestsicherung und Arbeitslosenversicherung unterstützt. 5
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise 3 Sozialpolitische Fragestellungen 3.1 Wandel der Bedeutung des Sozialstaats in Österreich Ein Ziel der AKCOVID Befragung war es zu untersuchen, ob sich aus Sicht der Bevölkerung die Bedeutung des Sozialstaats seit Beginn der Corona-Krise erhöht hat. Im Fragebogen wurde kurz ausgeführt, dass Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld und Sozialhilfe dazu beitragen die Folgen der Corona-Krise für die Menschen abzufedern (Abbildung 2) und dann wurde gefragt, ob aus Sicht der Befragten der Sozialstaat in der Krise viel wichtiger, etwas wichtiger, etwas weniger wichtig oder viel weniger wichtig geworden ist bzw. ob dieser die gleiche Bedeutung wie vor der Krise behielt. Aus Sicht der Mehrheit der Befragten (rund 62%) ist der Sozialstaat seit Beginn der Corona-Krise (viel) wichtiger geworden. Das Antwortverhalten unterschied sich dabei nicht zwischen Frauen und Männern, jedoch nach dem Alter der Befragten (Abbildung 2). Zwischen 55% und 58% der Personen unter 50 Jahren meinten, der Sozialstaat sei seit Beginn der Corona-Krise viel oder etwas wichtiger geworden. Im Vergleich dazu schätzten mehr als zwei Drittel der 50-59-Jährigen (rund 69%) und knapp drei Viertel der 60-64-Jährigen (rund 74%) den Sozialstaat seit Beginn der Corona-Krise als viel oder etwas wichtiger ein. Abbildung 2: Veränderung der Bedeutung des Sozialstaats, nach Alter Die Einschätzung, dass der Sozialstaat an Bedeutung gewonnen habe, wurde von den Befragten mit höherer Bildung häufiger geteilt (Abbildung 3). So teilten rund 56% der Befragten mit maximal Pflichtschulabschluss im Vergleich zu rund zwei Dritteln jener mit Matura und mehr als 70% der Befragten mit Hochschulabschluss diese Einschätzung. Außerdem ist zu beobachten, dass Befragte mit maximal Pflichtschulabschluss häufiger als Personen mit höheren Bildungsabschlüssen ß nicht wählten (rund 18% verglichen mit durchschnittlich rund 8%). 6
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Abbildung 3: Veränderung der Bedeutung des Sozialstaats, nach Bildung Die regionalen Unterschiede in der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen haben sich nur bedingt in der Einstellung der Bevölkerung zum Sozialstaat niedergeschlagen (Abbildung 4). Im Burgenland und in Oberösterreich lebende Befragte stimmten dem Bedeutungs- gewinn des Sozialstaats am wenigsten zu (rund 57%). TirolerInnen, SalzburgerInnen und WienerInnen äußerten im regionalen Vergleich besonders hohe Zustimmung (64-68%). Abbildung 4: Veränderung der Bedeutung des Sozialstaats, nach Bundesland 7
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise 3.2 Sorge um soziale Spaltung Viele Menschen sorgten sich, dass die Spaltung zwischen Arm und Reich in Österreich aufgrund der Corona-Krise weiter zunehmen könnte. Mehr als zwei Drittel der Befragten stimmt Ich mache mir Sorgen, dass sich der Unterschied zwischen Arm und Reich aufgrund der Corona-Krise vergrößert wird Die Zustimmung zu dieser Aussage nahm mit zunehmendem Alter zu (Abbildung 5). Rund 34% der 20-29-Jährigen im Vergleich zu rund 55% der 60-64-Jährigen stimmten voll und ganz zu, dass sie sich Sorgen um die Vergrößerung sozialer Unterschiede machten. Abbildung 5: Sorge um soziale Spaltung, nach Alter Die Sorge um die Vergrößerung des Unterschieds zwischen Arm und Reich war in allen Bildungsgruppen weit verbreitet (Abbildung 6). Die Anteile sich sorgender Personen war bei Personen mit Matura am geringsten (rund 31% bei AHS und rund 38% bei BHS) . Abbildung 6: Sorge um soziale Spaltung, nach Bildung Wie soll der Staat Ungleichheiten entgegenwirken? Im Folgenden gehen wir der Frage nach, in welchem Ausmaß sich die Bevölkerung für staatliche Maßnahmen zur Reduktion von Armut, Einkommens- und Vermögensungleichheit ausspricht. 8
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise 3.3 Einkommensverteilung und Mindestlohn 3.3.1 Einstellungen zur staatlichen Einkommensumverteilung Eine Möglichkeit den Unterschied zwischen Arm und Reich nicht größer werden zu lassen besteht in der Reduktion von Einkommensunterschieden. Der Ruf nach staatlicher Umverteilung ist in Österreich im internationalen Vergleich hoch (Ochsner et al., 2018). Ein Vergleich der AKCOVID-Daten mit ESS-Daten aus den Jahren 2016 und 2018/19 legt den Schluss nahe, dass die Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise im Zuge der COVID-19- Pandemie die Zustimmung der Bevölkerung zu staatlicher Umverteilung weiter erhöhte. In den beiden ESS-Wellen als auch in der AKCOVID-Umfrage stimmten rund 75% der Befragten zu, dass der Staat Maßnahmen ergreifen sollte, um Einkommensunterschiede zu reduzieren (siehe Abbildung 7). Es kann jedoch eine Verschiebung in der Stärke der Zustimmung beobachtet werden: Von 2018/19 auf 2020 ist der Anteil der Personen, die staatliche Einkommensumverteilung voll und ganz befürworteten um 11 Prozentpunkte auf rund 41% angewachsen. Der Ruf nach einer Reduktion der Einkommensunterschiede durch staatliche Maßnahmen wurde demnach im Zuge der COVID-19-Pandemie stärker. Abbildung 7: Zustimmung zu staatlicher Einkommensumverteilung, im Zeitvergleich Der weibliche Teil der Bevölkerung stand der staatlichen Umverteilung etwas positiver gegenüber als der männliche (Abbildung 8). Rund 44% der befragten Frauen im Vergleich zu 38% der Männer stimmten der Aussage voll und ganz zu, dass der Staat Maßnahmen ergreifen sollte, um Einkommensunterschiede zu reduzieren. Das Antwortverhalten unterschied sich jedoch nicht nach Alter oder dem höchsten Bildungsabschluss. 9
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Abbildung 8: Zustimmung zu staatlicher Einkommensumverteilung, nach Geschlecht Die Zustimmung zu staatlicher Umverteilung unterschied sich je nach dem subjektiven sozioökonomischen Status2 (Abbildung 9). Personen, die ihren Status als eher niedrig einschätzten, befürworteten staatliche Umverteilung stärker als Befragte, die sich den mittleren und oberen Statusgruppen zurechneten. Obwohl bei den Personen mit einem niedrigen subjektiven sozialen Status die Zustimmung mit 82% deutlich über jener der beiden anderen Gruppen lag, war die Zustimmung in allen Statusgruppen sehr hoch (rund 69% oder mehr der Befragten stimmten zu), was ein weiteres Indiz für die breite Akzeptanz sozialstaatlicher Maßnahmen in Österreich ist. Abbildung 9: Zustimmung zu staatlicher Einkommensumverteilung, nach sozialem Status Die Corona-Krise hatte zum Zeitpunkt der Befragung bereits spürbare Auswirkungen auf die finanzielle Lage der Menschen in Österreich. Über 30% der Haushalte mussten im Juni 2020 mit einem geringeren Haushaltseinkommen auskommen als vor Beginn der Pandemie (Steiber, 2021). Rund jede zweite von solchen Einbußen betroffene Person äußerte den starken Wunsch nach einer staatlichen Einkommensumverteilung stimme ), wobei dies jedoch auch auf fast 40% jener zutraf, die (noch) nicht von Einbußen beim Haushaltseinkommen betroffen waren (Abbildung 10). __________________________________________________ 2 bis 10 einordnen. Die Antwortkategorien wurden anschließend zu drei sozioökonomischen Statusgruppen zusammengefasst, wobei die Kategorien 5 bis 7 die soziale Mitte darstellen. 10
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Abbildung 10: Zustimmung zu staatlicher Einkommensumverteilung, nach Einbußen beim Haushaltseinkommen 3.3.2 Einstellungen zum Mindestlohn Ein Mindestlohn wird als gängiges Mittel zur Reduktion von Einkommensunterschieden diskutiert, weshalb die Einstellung dazu als eine weitere Dimension der Beurteilung des Sozialstaats erhoben wurde. Die Befragten wurden um ihre persönliche Einschätzung 3 eines Mindestlohns bei Vollzeitbeschäftigung brutto pro Monat als passend, zu niedrig oder zu hoch gebeten. Rund 62% der Befragten schätzten diesen Mindestlohn als zu niedrig ein; rund 6% als zu hoch und rund 28% als passend (Abbildung 11). Abbildung 11: Bewertung des Mindestlohns Es zeigten sich Unterschiede zwischen Männern und Frauen: Rund 32% der männlichen im Vergleich zu rund 23% der weiblichen Befragten schätzten einen Brutto-Mindestlohn passend ein. Frauen (rund 68%) tendierten stärker als Männer (rund 56%) zu einem höheren Brutto-Mindestlohn. Im Vergleich zu Befragten im Alter von über 60 Jahren (rund 18%), schien einem weit größeren Anteil der jüngeren Befragten (26-31%) viel zu niedrig (Abbildung 12). Trotz beobachtbarer Alters- brutto pro Monat mehrheitlich als zu niedrig empfanden. __________________________________________________ 3 sterreichischen Gewerkschaftsbundes. Dieser spricht sich zwar gegen einen gesetzlichen Mindestlohn aus, fordert aber einen kollektivvertraglich festgelegten (ÖGB, 2018). 11
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Abbildung 12: Bewertung des Mindestlohns, nach Alter Ein Brutto- wurde von Personen mit BHS-Matura oder einem Hochschulabschluss eher als passend eingeschätzt (rund 34% bzw. 32%) als von jenen mit maximal Pflichtschulabschluss oder einem Lehrabschluss (rund 26%, Abbildung 13): Nichtsdestotrotz schätzten auch in diesen beiden Bildungsgruppen mehr als die Hälfte der Befragten den vorgeschlagenen Mindestlohn als zu niedrig ein. Abbildung 13: Bewertung des Mindestlohns, nach Bildung Die Einstellung zur Höhe des Mindestlohns wurde nicht nur von soziodemographischen Merkmalen, sondern auch von der sozialen Lage der Befragten beeinflusst. Personen, die ihren sozioökonomischen Status selbst als niedrig einschätzten, befanden einen viel zu niedrig (rund 39%) als Angehörige höherer Statusgruppen (rund ein Viertel, siehe Abbildung 14). 12
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Abbildung 14: Bewertung des Mindestlohns, nach sozialem Status 3.4 Sozialleistungen 3.4.1 Einstellungen zu sozialstaatlichen Aufgaben Der Mindestlohn ist zwar als Instrument zur Reduktion der Einkommensungleichheit von Bedeutung, er kann jedoch Personen, welche nicht in vollem Ausmaß erwerbstätig sind oder in Haushalten mit geringer Erwerbsintensität leben, kaum vor Armut schützen. Die Akzeptanz staatlicher Maßnahmen zur Unterstützung armutsgefährdeter Bevölkerungs- gruppen wurde mit zwei Items erhoben: Einerseits wurde gefragt, ob der Staat für einen angemessenen Lebensstandard der Arbeitslosen sorgen sollte. Andererseits wurde gefragt, ob der Staat mehr tun sollte, damit die Leute nicht in Armut abgleiten. Dass der Staat für einen angemessenen Lebensstandard der Arbeitslosen sorgen sollte, wurde von fast der Hälfte der Befragten befürwortet (Abbildung 15). Rund ein Viertel der Bevölkerung stimmte dieser Aussage nicht zu, das übrige Viertel stand der Aussage neutral gegenüber. Die Zustimmung zu einer stärkeren staatlichen Armutsprävention war deutlich höher. Rund drei von vier Befragten stimmten der Aussage zu, dass der Staat viel mehr tun sollte, damit die Leute nicht in Armut abgleiten. Weniger als 10% der Befragten stimmten dieser Aussage nicht zu (Abbildung 15). Jüngere und ältere Befragte befürworteten staatliche Maßnahmen zur Sicherung eines angemessenen Lebensstandards der Arbeitslosen stärker als jene im Haupterwerbsalter: Von den 40-49-Jährigen stimmten nur 40% der Aussage zu, der Staat solle für einen angemessenen Lebensstandard der Arbeitslosen sorgen; bei den 20-29-Jährigen waren es hingegen rund 52% und bei den 60-64-Jährigen rund 57%. Bei der Einstellung zur Arbeitslosenunterstützung spielte das Alter eine untergeordnete Rolle (Abbildung 16). Hinsichtlich beider Fragestellungen lässt eine Analyse nach Bildung keine eindeutigen Schlüsse zu. Die staatliche Unterstützung von Arbeitslosen schien von Personen mit mittleren Abschlüssen (BMS, Lehre) am wenigsten stark befürwortet zu werden; eine verstärkte staatliche Armutsprävention am wenigsten von Personen mit Matura. 13
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Abbildung 15: Staatliche Unterstützung bei Armut und Arbeitslosigkeit Abbildung 16: Staatliche Unterstützung bei Armut und Arbeitslosigkeit, nach Alter Die eigene wirtschaftliche Lage steht in einem Zusammenhang mit der Zustimmung oder Ablehnung sozialstaatlicher Armutsprävention. Personen, die sich mehr Sorgen machten aufgrund der Corona-Krise ihren Arbeitsplatz zu verlieren, begrüßten eine staatliche Arbeitslosenunterstützung und Armutsprävention eher als Personen, die diese Sorge nicht teilten (Abbildung 17).4 __________________________________________________ 4 Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass Personen mit niedrigem sozialem Status eher befürchteten im Zuge der Krise ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Doch auch nach Kontrolle der jeweils anderen Variablen in multivariaten Modellen bleiben die Tendenzen bestehen. 14
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Abbildung 17: Staatliche Unterstützung bei Armut und Arbeitslosigkeit, nach Sorge um Jobverlust 3.4.2 Sozialhilfe bzw. bedarfsorientierte Mindestsicherung Ein wichtiges Instrument zur Reduktion von Armut in Österreich ist die Sozialhilfe bzw. bedarfsorientierte Mindestsicherung, die auch Menschen außerhalb des Arbeitsmarktes oder Personen mit geringer Erwerbsintensität das wirtschaftliche Auskommen sichern soll. Gefragt wurde, ob eine Sozialhilfe/ Einzelperson zu niedrig, passend oder zu hoch ist. Diese liegt 369 aktuellen Armutsgefährdungsgrenze für Einzelpersonen (Armuts-konferenz 2020). Eine Mindestsicherung in dieser Höhe wird von der Bevölkerung Großteils als passend oder zu niedrig eingestuft; rund 62% der Befragten anga für Vollzeitbeschäftigte sei zu niedrig, wurde eine Mindestsicherung für Einzelpersonen in der Höhe von maximal knapp der Hälfte der Befragten als zu niedrig bewertet. Umgekehrt meinten rund 16% der Befragten, dass die Mindestsicherung in dieser Höhe zu hoch wäre. Die Einschätzungen waren dabei in Bezug auf Geschlecht, Alter und Bildung ähnlich. Einzig Personen mit Matura wichen vom österreichischen Durchschnitt ab (Abbildung 18). Wie schon bei der Einschätzung des Brutto-Mindestlohns , waren auch bei der Einschätzung der aktuellen Mindestsicherung Personen mit BHS-Matura weniger geneigt (rund 42%), diese als zu niedrig einzuschätzen, während ein höherer Anteil jener mit AHS-Matura (57%) der Meinung war, die aktuelle Mindestsicherung wäre zu niedrig. Personen mit einem subjektiv niedrigen sozialen Status waren Großteils (rund 58%) der Meinung, die aktuelle Mindestsicherung sei zu niedrig, während dies auf rund die Hälfte der Personen mit einem subjektiv hohen sozialen Status zutraf (Abbildung 19). 15
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Abbildung 18: Bewertung Mindestsicherung, nach Bildung Abbildung 19: Bewertung Mindestsicherung, nach sozialem Status 3.5 Einstellungen zur Vermögensungleichheit Neben der Einkommensverteilung ist die Vermögensverteilung ein wichtiger Indikator für soziale Ungleichheit. Im internationalen Vergleich werden in Österreich Vermögen kaum besteuert (Bittschi & Kocher, 2018). Im ESS sowie im AKCOVID-Survey wurden die Befragten gebeten die Gerechtigkeit der Vermögensunterschiede in Österreich auf einer 9-teiligen Skala einzustufen, die von minus 4 (extrem ungerecht klein) über 0 (gerecht) bis plus 4 (extrem ungerecht groß) reichte. Die Befragungsergebnisse für Juni 2020 zeigen, dass rund 60% der Befragten der Ansicht waren, die Vermögensunterschiede in Österreich seien ungerecht groß (Werte plus 2-4, siehe Abbildung 20). Ein Vergleich mit dem European Social Survey (ESS) aus dem Jahr 2018 zeigt, dass sich die Einstellung der Bevölkerung mit dem Einsetzen der COVID-19- Pandemie nur geringfügig verändert hat. Auch 2018/19 gaben rund 64% der Befragten im Alter von 20-64 Jahren an, die Vermögensunterschiede in Österreich seien ungerecht 16
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise groß. Eine signifikante krisenbedingte Verschiebung der öffentlichen Meinung lässt sich mithin nicht erkennen. Abbildung 20: Einstellung zu Vermögensunterschieden, im Zeitvergleich Für die Analyse von Unterschieden in der Einstellung zur Vermögensverteilung zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen wurde die 9-teilige Antwortskala in drei Kategorien zusammengefasst: ungerecht klein (Werte von -4 bis -2), annähernd gerecht (Werte von -1 über Null bis +1) und ungerecht groß (Werte von 2 bis 4). Der Anteil der Personen, welche die Vermögensunterschiede für ungerecht groß hielten, stieg mit dem Alter (Abbildung 21) und war bei Personen, die ihren sozialen Status als eher niedrig einstuften höher als im Durchschnitt (Abbildung 22). Befragte, die sich eher einer hohen Statusgruppe zurechneten, waren zu 39% der Meinung, das Vermögen sei gerecht verteilt im Vergleich zu rund 27% im Durchschnitt und zu rund 17% bei Personen, die subjektiv einen geringen sozialen Status hatten. Die stark unterschiedliche Einschätzung nach Alter spiegelt sich auch in den Meinungen zur Finanzierung der Corona-Krise wider: Ältere Befragte waren eher der Meinung, die Kosten der Corona-Maßnahmen sollten durch eine stärkere Besteuerung von Vermögen finanziert werden (siehe Kapitel 3.6). Personen mit mittlerer Bildung (Lehre oder BMS, rund 55%) sowie jene mit Hochschul- abschluss (rund 60%) stuften die Vermögensverteilung häufiger als ungerecht groß ein als jene mit maximal Pflichtschulabschluss (rund 37%, Abbildung 23). Diese Differenz lässt sich jedoch zum Teil durch den hohen Anteil an weniger hoch gebildeten Personen erklären, die keine Bewertung der Vermögensunterschiede machen konnten/wollten.5 __________________________________________________ 5 Unter Personen mit maximal Pflichtschulabschluss, die eine Einschätzung abgegeben haben, ist der Anteil der Personen, welche die Vermögensunterschiede als ungerecht groß einstuften, rund 47%. 17
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Abbildung 21: Einstellung zu Vermögensunterschieden, nach Alter Abbildung 22: Einstellung zu Vermögensunterschieden, nach sozialem Status Abbildung 23: Einstellung zu Vermögensunterschieden, nach Bildung 18
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Die Einschätzung der Gerechtigkeit von Vermögensunterschieden in Österreich spiegelt sich in der Bewertung staatlicher Maßnahmen zur Vermögensumverteilung wider. Manche Bevölkerungsgruppen, welche die Vermögensunterschiede eher als ungerecht groß einschätzten, befürworteten auch eher staatlichen Umverteilungsmaßnahmen. Insgesamt stimmten rund ein Drittel der Befragten (34%) der Aussage, der Staat solle Maßnahmen ergreifen, um Vermögensunterschiede zu reduzieren, voll und ganz zu. Der Anteil der eher oder voll und ganz Zustimmenden lag bei rund zwei Dritteln (Abbildung 24), wobei dieser Anteil bei den 60-64-Jährigen mit rund 73% am größten war. Abbildung 24: Einstellung zur staatlichen Vermögensumverteilung, nach Alter Auch bei der Zustimmung zu einer staatlichen Vermögensumverteilung zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang mit dem subjektiven sozioökonomischen Status (Abbildung 25). Knapp die Hälfte Personen, die ihren Status als eher niedrig einschätzten, stimmten staatlichen Maßnahmen zur Reduktion der Vermögensunterschiede voll und ganz zu, jedoch nur rund ein Drittel der höheren Statusgruppen. Abbildung 25: Einstellung zur staatlichen Vermögensumverteilung, nach sozialem Status 19
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise 3.6 Finanzierung der Corona-Krise Es stellt sich die aus sozialpolitischer Sicht wichtige Frage, wie die gewaltigen Kosten der staatlichen Unterstützungsmaßnamen und ausfallenden Steuereinnahmen längerfristig finanziert werden sollen. Die vorliegende Studie untersuchte die Zustimmung zu vier Finanzierungsszenarios der Corona-Krise: stärkere Besteuerung von hohen Einkommen, großen Unternehmen oder Vermögen oder eine Einschränkung von Sozialleistungen. Rund die Hälfte der Befragten sprach sich für Umverteilungsmaßnahmen von oben nach unten und gegen eine Einschränkung der Sozialleistungen aus. Dagegen befürworteten nur rund 20% der Befragten die Einschränkung von Sozialleistungen (Abbildung 26). Abbildung 26: Finanzierung der Corona-Maßnahmen Die höchste Zustimmung (rund 64%) und niedrigste Ablehnung (9%) erfuhr die stärkere Besteuerung großer Unternehmen. Rund die Hälfte der Befragten stimmten einer stärkeren Besteuerung hoher Einkommen und/oder von Vermögen zu. Dies deckt sich mit einer ähnlichen Analyse des Austrian Corona Panel (Kalleitner & Schmitt, 2020). Während die Optionen einer stärkeren Besteuerung hoher Einkommen oder Vermögen bei rund jeder fünften Person auf Ablehnung stießen, war knapp jede zweite in Österreich lebende Person gegen die Einschränkung von Sozialleistungen (rund 53%). 20
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Abbildung 27: Finanzierung der Corona-Maßnahmen, nach Alter Die Meinung, die Krise sollte durch eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen oder Vermögen finanziert werden, wurde vor allem von den älteren Befragten vertreten (Abbildung 27). Sozialleistungen einzuschränken war für die Befragten mit steigendem Alter zunehmend keine Finanzierungsoption der Kosten der Corona-Krise. Knapp drei Viertel der 60-64-Jährigen sprachen sich gegen die Einschränkung von Sozialleistungen aus verglichen mit rund 44% der 20-29-Jährigen. Die Einschätzung einer stärkeren Besteuerung großer Unternehmen unterschied sich kaum zwischen Bildungsgruppen (Abbildung 28): Personen mit Matura oder einem Hochschulabschluss sprachen sich eher gegen eine höhere Besteuerung von hohen Einkommen aus. Eine Einschränkung der Sozialleistungen als Finanzierungsinstrument wurde mit höherer Bildung mit 21
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise Ausnahme der BHS-AbsolventInnen zunehmend abgelehnt: rund 45% der Personen mit maximal Pflichtschulabschluss lehnten Kürzungen bei den Sozialleistungen ab, bei Personen mit einem Hochschulabschluss lag dieser Wert bei rund 64%. Abbildung 28: Finanzierung der Corona-Maßnahmen, nach Bildung 22
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise 4 Verzeichnisse 4.1 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Anstieg der Zahl arbeitsloser Personen von Juni 2019 auf Juni 2020 (in %) ...............................5 Abbildung 2: Veränderung der Bedeutung des Sozialstaats, nach Alter..........................................................6 Abbildung 3: Veränderung der Bedeutung des Sozialstaats, nach Bildung .....................................................7 Abbildung 4: Veränderung der Bedeutung des Sozialstaats, nach Bundesland ...............................................7 Abbildung 5: Sorge um soziale Spaltung, nach Alter .......................................................................................8 Abbildung 6: Sorge um soziale Spaltung, nach Bildung ...................................................................................8 Abbildung 7: Zustimmung zu staatlicher Einkommensumverteilung, im Zeitvergleich ...................................9 Abbildung 8: Zustimmung zu staatlicher Einkommensumverteilung, nach Geschlecht ................................10 Abbildung 9: Zustimmung zu staatlicher Einkommensumverteilung, nach sozialem Status .........................10 Abbildung 10: Zustimmung zu staatlicher Einkommensumverteilung, nach Einbußen beim Haushalteinkommen .....................................................................................................................................11 Abbildung 11: Bewertung des Mindestlohns .................................................................................................11 Abbildung 12: Bewertung des Mindestlohns, nach Alter ..............................................................................12 Abbildung 13: Bewertung des Mindestlohns, nach Bildung ..........................................................................12 Abbildung 14: Bewertung des Mindestlohns, nach sozialem Status .............................................................13 Abbildung 15: Staatliche Unterstützung bei Armut und Arbeitslosigkeit ......................................................14 Abbildung 16: Staatliche Unterstützung bei Armut und Arbeitslosigkeit, nach Alter ....................................14 Abbildung 17: Staatliche Unterstützung bei Armut und Arbeitslosigkeit, nach Sorge um Jobverlust ...........15 Abbildung 18: Bewertung Mindestsicherung, nach Bildung ..........................................................................16 Abbildung 19: Bewertung Mindestsicherung, nach sozialem Status .............................................................16 Abbildung 20: Einstellung zu Vermögensunterschieden, im Zeitvergleich ....................................................17 Abbildung 21: Einstellung zu Vermögensunterschieden, nach Alter .............................................................18 Abbildung 22: Einstellung zu Vermögensunterschieden, nach sozialem Status ............................................18 Abbildung 23: Einstellung zu Vermögensunterschieden, nach Bildung .........................................................18 Abbildung 24:Einstellung zur staatlichen Vermögensumverteilung, nach Alter ............................................19 Abbildung 25: Einstellung zur staatlichen Vermögensumverteilung, nach sozialem Status ..........................19 Abbildung 26: Finanzierung der Corona-Maßnahmen ..................................................................................20 Abbildung 27: Finanzierung der Corona-Maßnahmen, nach Alter ................................................................21 Abbildung 28: Finanzierung der Corona-Maßnahmen, nach Bildung ............................................................22 23
IHS Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise 4.2 Literaturverzeichnis Armutskonferenz (2020). Aktuelle Armutszahlen. http://www.armutskonferenz.at/armut-in- oesterreich/aktuelle-armuts-und-verteilungszahlen.html Bittschi, B., & Kocher, M. G. (2018). Steuersystem in Österreich. Status quo und Potentiale (Policy Brief 4/2018). https://irihs.ihs.ac.at/id/eprint/4832/2/ihs-policy-brief-2018- bittschi-kocher-steuersystem-oesterreich.pdf support: Some good news for democracy? European Journal of Political Research. Dinesen, P. T., & Jæger, M. M. (2013). The Effect of Terror on Institutional Trust: New Evidence from the 3/11 Madrid Terrorist Attack. Political Psychology, 34(6), 917-926. doi:10.1111/pops.12025 Esaiasson, P., Sohlberg, J., Ghersetti, M., & Johansson, B. 2020. How the coronavirus crisis European Journal of Political Research. doi:10.1111/1475-6765.12419 European Social Survey. (2016). Round 8 Data file edition 2.2. European Social Survey. (2018). Round 9 Data file edition 3.0. European Social Survey. (2020a). ESS8 - 2016 Documentation Report. Edition 2.2. European Social Survey. (2020b). ESS9 - 2018 Documentation Report. Edition 3.0. Horx, M. (2020). 48 - Die Welt nach Corona. https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona/ IHS (2020). Prognose der österreichischen Wirtschaft 2020-2022: Erneute Infektionswelle bremst Aufschwung. Wirtschaftsprognose / Economic Forecast 115. Kalleitner, F., & Schmitt, L. (2020). Neue Steuern zur Finanzierung der Kosten der Krise? Steuerpräferenzen in Zeiten von Corona. https://viecer.univie.ac.at/coronapanel/corona-blog/corona-blog-beitraege/blog28/ Margalit, Y. M. (2013). Explaining social policy preferences: Evidence from the Great Recession. American Political Science Review, 103(1), 80-103. doi:10.1017/S0003055412000603 Mueller, J. E. (1973). War, presidents, and public opinion: John Wiley & Sons. Ochsner, M., Ravazzini, L., Gugushvili, D., Fink, M., Grand, P., Lelkes, O., & van Oorschot, W. (2018). Russian versus European welfare attitudes: Evidence from Round 8 of the European Social Survey. https://serval.unil.ch/resource/serval:BIB_BAC2E1179C2B.P001/REF.pdf ÖGB (2018). Faire Arbeit 4.0. ÖGB Grundsatzprogramm 2018-2023. Reeskens, T., Muis, Q., Sieben, I., Vandecasteele, L., Luijkx, R., & Halman, L. (2020). Stability or change of public opinion and values during the coronavirus crisis? Exploring Dutch longitudinal panel data. European Societies, 1-19. doi:10.1080/14616696.2020.1821075 Steiber, N. (2021). Die COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung (AK-Projektbericht ). Szigetvari, A. (2020, 09.12.2020). Die Corona-Pandemie kostet Österreich rund 40 Milliarden Euro. Kommen bald Sparpakete? DerStandard. https://www.derstandard.at/story/2000122347873/corona-pandemie-kostet- oesterreich-bisher-rund-40-milliarden-euro-kommen Van Erkel, P. F., & Van Der Meer, T. W. (2016). Macroeconomic performance, political trust and in macroeconomic performance on political trust in 15 EU countries, 1999 2011. European Journal of Political Research, 55(1), 177-197. doi:10.1111/1475-6765.12115 Wöss, J. (2020). Sozialstaat Stabilitätsanker in der Krise. https://awblog.at/sozialstaat- stabilitaetsanker-in-der-krise/ 24
Die AutorInnen: Bernd Liedl ist Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Wien. Seine Forschungsgebiete umfassen soziale Ungleichheit und Ungleichheit am Arbeitsmarkt, Migration und Integration bzw. Armut und Lebensqualität. Philipp Molitor ist Mitarbeiter und Studienassistent am Institut für Soziologie der Universität Wien. In seiner Masterarbeit beschäftigt er sich mit Risikoperzeptionen und Adaptionsstrategien im Kontext sozio-ökologischen Wandels. Nadia Steiber ist Professorin für Sozialstrukturforschung und Quantitative Methoden am Institut für Soziologie der Universität Wien und Fellow am Institut für Höhere Studien. Sie forscht zu den Themen Bildung, soziale Mobilität und Lebensqualität/Gesundheit bzw. zu den Bereichen Erwerbsverläufe, Qualität der Arbeit und Folgen von Arbeitslosigkeit.
„Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft" Die Working Paper-Reihe der AK Wien sind unregelmäßig erscheinende Hefte, in denen aktuelle Fragen der Wirtschaftspolitik behandelt werden. Sie sollen in erster Linie Informationsmaterial und Diskussionsgrundlage für an diesen Fragen Interessierte darstellen. Ab Heft 80 sind die Beiträge auch als pdf-Datei zum Herunterladen im Internet http://wien.arbeiterkammer.at/service/studien/MaterialienzuWirtschaftundGesellschaft/index.html Heft 189 Romana Brait u. a. Keine Transparenz, Investitionen in Arbeit, Klima und gerechte Verteilung fehlen. AK-Analyse des Stabilitätsprogramms, April 2019 Heft 190 Dietmar Aigner u. a. Digitale Transformation im Steuerrecht; Juni 2019 Heft 191 Schratzenstaller u. a. Die Auswirkungen der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage auf Österreich, Juli 2019 Heft 192 Susanne Forstner u. a. Makroökonomische Auswirkungen von Reformoptionen für eine Senkung der Körperschaftsbesteuerung, Juli 2019 Heft 193 Vasily Astrov u. a. Die Lohnentwicklung in den Westbalkanländern, Moldau und der Ukraine, August 2019 Heft 194 Adi Buxbaum u. a. Wohlstandsbericht 2019, Oktober 2019 Heft 195 Christoph Scherrer Trumps neues Handelsabkommen mit Mexiko: Besserer Schutz für ArbeiterInnen?, November 2019 Heft 196 Reinhold Russinger Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung 1995 bis 2018, Jänner 2020 Heft 197 Stefan Jestl u. a. Distributional National Austria (DINA) for Austria 2004-2016, März 2020 Heft 198 Georg Adam Zur Dynamik der Arbeitsbeziehungen in vier EU- Mitgliedsländern, März 2020 Heft 199 Georg Adam u.a. Ist Zeit das neue Geld? Arbeitszeitverkürzung in österreichischen Kollektivverträgen, März 2020 Heft 200 Georg Feigl u. a. Budget 2020: Schritte zur Überwindung der Corona Krise, Mai 2020 Heft 201 Julia Hofmann u. a. Gerechtigkeits-Check: Wie fair findet Österreich die Einkommens- und Vermögensverteilung?, Juli 2020 Heft 202 Gerald Gogola Arbeitsplatzschaffende und personenbezogene Förderungen in Österreich und Deutschland – Ein Vergleich, September 2020 Heft 203 Michael Mesch Der kollektivvertragliche Deckungsgrad in 24 europäischen Ländern 2000-2017, September 2020 Heft 204 Jana Schultheiß u. a. Wohlstandsbericht 2020, September 2020 Heft 205 Georg Feigl u.a. Zu spät, zu wenig, nicht ausreichend fokussiert. Budgetpolitik in der CORONA-Krise. Analyse des Bundesvorschlags 2021 und darüber hinaus, November 2020 Heft 206 Ines Heck u.a. Vermögenskonzentration in Österreich – Ein Update auf Basis des HFCS 2017, November 2020 Heft 207 Stefan Humer u.a. Ökosoziale Steuerreform: Aufkommens- und Verteilungswirkungen; Jänner 2021 Heft 208 Matthias Petutschnig Aufkommenswirkungen einer steuerlich abzugsfähigen Eigenkapitalverzinsung, Jänner 2021 Heft 209 Gregor de Cillia u.a. Datenmatching EU-SILC und HFCS; Erweiterung der Sozialberichterstattung um die Vermögensverteilung Heft 210 Bernd Liedl u.a. Einstellungen zum Sozialstaat in der COVID-19 Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise, Februar 2021 Eigentümer, Verleger, Herausgeber und Vervielfältiger: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien; alle: 1041 Wien, Prinz Eugen-Straße 20-22, Postfach 534
WORKING PAPER-REIHE DER AK WIEN EINSTELLUNGEN ZUM SOZIALSTAAT IN DER COVID-19 GESUNDHEITS- UND ARBEITSMARKTKRISE Bernd Liedl Philipp Molitor Nadia Steiber 210 978-3-7063-0858-8 MATERIALIEN ZU WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT WPR_210_SozialstaatCovidkrise.indd 1 12.02.21 09:51
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