"Wysel" - ein Ländlermusical mit Tiefgang - Norient

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"Wysel" - ein Ländlermusical mit Tiefgang - Norient
«Wysel» – ein Ländlermusical mit Tiefgang | norient.com                       12 Jun 2022 07:55:30

    «Wysel» – ein Ländlermusical
    mit Tiefgang
    by Frank von Niederhäusern

    «Ländlermusig isch meh als nume düderle, örgele und uf d'r
    Bassgiige fienggse» sagte einst der Fernsehmoderator und
    Ländlerpapst Wysel Gyr. Dem trägt auch das multimediale
    Ländlermusical «Wysel» Rechnung: Es erzählt aber nicht von
    der Vermarktung des Ländlers im Schweizer Fernsehen,
    sondern geht zurück in seine wenig bekannte
    Entstehungszeit. Im Zentrum steht eine schlecht vertäute
    Frohnatur, die jodelnd und geigend die Welt zum Tanzen
    bringt – und sich selbst damit ins Grab. Auf der Bühne des
    Theater Uri verfolgt das Stück ein fiktives, aber von realen
    Schweizer Volksmusikern inspiriertes Künstlerschicksal (ca.
    1920–1945).
    Eisige Kälte liegt über Altdorf. Die Gassen sind leer, die Beizen voll. Es ist kurz
    vor Mittag, und im warmen Probenraum des Theater Uri herrscht reges
    Treiben. In der Mitte steht einer und berichtet lautstark fuchtelnd vom Wysel,
    diesem Tausendsassa, der gerne gejodelt und getubakt habe und den Frauen
    den Kopf verdreht. Den Zugereisten verdreht es schier die Ohren ob den
    urchigen Silben, die Walter Sigi Arnold von sich gibt. Der Altdorfer
    Schauspieler spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und das klingt
    schon wie Musik.

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«Wysel» – ein Ländlermusical mit Tiefgang | norient.com                  12 Jun 2022 07:55:30

    Arnold probt mit Christoph Baumann, Rätus Flisch und Marco Käppeli, drei
    gestandenen Jazzern aus Zürich und Luzern, die ihn mit beswingt-lüpfigen
    Weisen begleiten. Immer wieder brechen sie ab und diskutieren, wie Musik
    und Text besser zusammenfinden besser könnten.

    Wirken auf verschiedenen Ebenen

    «Eine diffizile Sache», weiss Franz-Xaver Nager, der den Besucher sachte aus
    dem Raum zupft. Die Proben zu «Wysel» seien in der entscheidenden Phase,
    erklärt der 60-jährige Autor und Produktionsleiter dieses Musiktheaters, das
    in der Innerschweizer Presse liebevoll als «Ländlermusical» bezeichnet
    wurde. «Damit kann ich leben», sagt Nager. Doch bald wird klar, dass es sich
    bei «Wysel» um ein komplexes Multimedia-Werk handelt. «Wir lassen
    verschiedenen Ebenen in einander fliessen», erklärt Nager und klappt zur
    Veranschaulichung sein Notebook auf mit Partituren, die aussehen wie der
    gesamte SBB-Fahrplan auf einen Blick. Das gut 90-minütige Stück ist im 30-
    Sekunden-Takt durchkomponiert, wobei nicht nur das Zusammenspiel von
    Text und Musik klappen muss.

    «Eigentlich erzählen wir eine ganz einfache Geschichte», holt Franz-Xaver
    Nager aus, der Musikethnologie studiert hat. Später baute er an der
    Hochschule Luzern den Studiengang Volksmusik und in Altdorf das Haus der
    Volksmusik auf. «Es geht um den Boom der Ländlermusik in der
    Zwischenkriegszeit, als viele Bauern sich als Musikanten ein Zubrot
    verdienten.»

    → Podcast: Handorgel Duett Imholz & Grossholz – Xandi es chunt e Rank
    (1928)

    Die Schweizer Volksmusik habe damals ein grosses Publikum begeistert und
    sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt: «Die Kappellen spielten auch
    Foxtrott, Walzer und dergleichen.» Nach dem Zweiten Weltkrieg erholte sich
    die eidgenössische Wirtschaft sprunghaft, und das «Musigen» wurde den
    meisten wieder zur Feierabendbeschäftigung. Der Aufschwung von Jazz und
    Pop verbannte den Ländler endgültig in die Exotenecke.

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«Wysel» – ein Ländlermusical mit Tiefgang | norient.com                12 Jun 2022 07:55:30

    Aufstieg und Fall eines Geigers

    Aus den wenigen erhaltenen Dokumenten sowie Gesprächen mit Musikern
    und deren Nachkommen hat Nager den «Wysel» geschaffen: «Der Name ist
    eine Referenz an den Flüeler Alois Müller. Dieser wanderte nach Zürich aus
    und feierte dort Erfolge als Arrangeur und Geiger beim legendären Stocker
    Sepp.» Sein Wysel aber sei eine fiktive Gestalt, für den genauso gut der
    Bündner Jost Ribari oder der Schwyzer Kasi Geisser Pate stehen könnte. «Und
    viele andere vergessene Ländlermusiker», sagt Franz-Xaver Nager. Sein
    Wysel macht an der Sennenchilbi Bürglen auf sich aufmerksam, wo er sich in
    die Frauenherzen jodelt. Als umjubelter Geiger reist er nach Luzern, Zürich,
    Berlin und gar Paris. Doch wer derart hoch aufsteigt, fällt umso tiefer. Für
    Wysel kommt das Ende abrupt.

    Franz-Xaver Nager hat Erfahrung mit solchen Stücken. In den 90er-Jahren
    hat er mit Jazzer Christoph Baumann und Lichtkünstler Rolf Derrer
    erfolgreiche Produktionen wie «Attinghausen» oder «Ds Gräis» realisiert.

    → Podcast: Baumann Large Ensemble – Kein schöner Land (2008)

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    Mit dem gleichen Leitungsteam macht er nun den «Wysel», wobei auf der
    Bühne keine Laien mehr agieren. Zu den Jazzern gesellen sich Posaunist
    Bernhard Bamert, Saxer Adrian Pflugshaupt, Klassiktrompeter Basil Hubatka,
    Schwyzerörgeler Marcel Oetiker sowie die beiden Volksmusikjazzer Hans
    Hassler am Akkordeon und Noldi Alder, der – jodelnd und geigend – den
    Wysel spielt. «An den Hochschulen und auf den Bühnen wachsen derzeit alle
    Künste zusammen. Da musste ich etwas Volksmusikalisches beitragen»,
    erklärt Nager seinen Anreiz, nach 13 Jahren wieder ein Musikstück auf die
    Bühne zu bringen.

    Innovatives Spektakel

    Nicht nur musikalisch tanzt «Wysel» auf verschiedenen Hochzeiten. Walter
    Sigi Arnolds Urner Erzähltext erinnert in seiner Rhythmik an moderne
    Slampoeten. «Zusätzlich bringen wir Bildebenen ein und haben hierfür junge
    Akteure gefunden», sagt Nager und lädt zu einem Besuch «backstage».

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    Die Bühne des Theater Uri ist riesig. 1925 wurde es als Tellspielhaus gebaut
    und feiert diesen Sommer 500 Jahre Tellspiele Altdorf. Wo sonst bemalte
    Kulissen Hohle Gasse und Urnersee vorgaukeln, finden sich nun Gebirge aus
    elektronischen Geräten. Rolf Derrer und Eduardo Santana bespielen mit
    starken Beamern drei Leinwände, die später ein dreidimensionales
    Bühnenbild ergeben. Darauf sind Bilder des Luzerner Illustrators Lorenz
    Rieser zu sehen: kunstvoll gemalte Szenen aus Wysles Leben. Aus diesen
    rund 200 Tafeln – eine Auswahl davon ist in Altdorf als Open-Air-Ausstellung
    zu bewundern – gestaltet Eduardo Santana mittels elektronischer
    Animationsprogramme eine bewegte Bildergeschichte.

    Die Paarung alt und neu habe ihn stets fasziniert, sagt Franz-Xaver Nager.
    «Unser kombiniert eine alte, fast vergessene Thematik mit formaler
    Innovation.» Die Geschichte vom jodelnden und fiedelnden Bauernbuben, der
    über Nacht bekannt wird, ist aktuell. Er geniesst das Leben, die Frauen sowie
    manch anderes und stürzt dann jäh ab.«Der Wysel ist ein um 100 Jahre
    verfrühter Rockstar», lacht Franz-Xaver Nager und klappt sein Notebook zu.

    Weiterlesen

    Franz-Xaver Nager: Ländlerkunst oder Kunstländler? Erfahrungen und
    Mutmassungen zum Einzug der Volksmusik an der Musikhochschule Luzern –
    Aufsatz im Bulletin 2006 der Schweizerischen Gesellschaft für
    Ethnomusikologie

    → Published on February 01, 2012

    → Last updated on October 08, 2020

    Frank von Niederhäusern, geboren 1962 in Pfäffikon/ZH, lebt in Uster. Studium der

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    Germanistik, Allgemeinen Geschichte und Volkskunde in Zürich, lic. phil. I. Freier
    Kulturjournalist, seit 1999 Teilzeitredaktor beim «radiomagazin», heute «kulturtipp».
    Spezialgebiete: Schweizer Jazz, Mehrsprachigkeit der Schweiz. Reportagen,
    Publikationen, Liner Notes.

    → Topics

           Ethnomusicology
               Tradition
               All Topics

    → Special
    Sonic Traces: From
    Switzerland

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