"Yes, we (s)can" Molekulare Barcodes in der Tumorforschung für neue in vivo-Screening Verfahren Von Philip Dujardin & Barbara M. Grüner - Uni-DUE
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
22 Dieser Beitrag erläutert die technologischen Fortschritte im Bereich des molekularen Zell-Barcodings. Dies, in Kombination mit quantitativen Hochdurchsatz-DNA- Sequenzierungen und ausgefeilten Tiermodellen, lässt die Identifikation von klinisch relevanten Hemmstoffen der Metastasierung bei Krebserkrankungen näher rücken. „Yes, we (s)can“ Molekulare Barcodes in der Tumorforschung für neue in vivo-Screening Verfahren Von Philip Dujardin & Barbara M. Grüner Herausforderungen haben diverse genetische Muta- kann. In Industrienationen erkrankt in der Krebstherapie tionen in der DNA dieser Zellen etwa ein Drittel der Bevölkerung im identifiziert, die dazu führen, dass Laufe des Lebens an Krebs. Damit Unter dem Sammelbegriff Krebs Krebszellen sich unkontrolliert ver- ist Krebs weltweit die zweithäufigste sind über 250 verschiedene Krank- mehren und ausbreiten können ohne Todesursache und auch in Deutsch- heiten erfasst. Sie alle zeichnen sich durch die Kontrollmechanismen des land ist etwa jeder vierte Todesfall dadurch aus, dass sich im Verlauf Körpers daran gehindert zu werden. auf eine Krebserkrankung zurückzu- der Krankheit aus gesunden Kör- Dadurch wird gesundes Gewebe führen. Aufgrund der hohen Anzahl perzellen abnormale Krebszellen verdrängt und soweit geschädigt, an Erkrankten und Todesfällen hat entwickeln. Wissenschaftler*innen dass es schließlich zum Tod führen die Weiter- und Neuentwicklung
24 von Früherkennungsmethoden und einen darin begründet, dass die dif- Allerdings begeben sie sich dabei in Behandlungsstrategien eine sehr fuse anatomische Lokalisation der eine für sie feindliche Umgebung, hohe Priorität in der medizinischen Sekundärtumore eine Behandlung was der Grund dafür ist, dass viele Forschung. Die derzeitigen Haupt- mit konventioneller Chirurgie oder Krebszellen den Transport in den stützen der Krebstherapie, zu denen Strahlentherapie erschwert oder gar Gefäßen nicht überstehen. Zum die Strahlentherapie, die Chirurgie unmöglich macht. Zum anderen einen können die hydrodynami- und die systemische Chemotherapie weisen Metastasen im Vergleich zum schen Scherkräfte im Blutstrom gehören, haben mehrere Nach- Primärtumor häufig eine erhöhte die Tumorzellen zerstören, zum teile, die ihre Wirksamkeit in der Resistenz gegen zytotoxische Wirk- anderen kann das Immunsystem Klinik einschränken. So verursacht stoffe auf1. prinzipiell Krebszellen erkennen Strahlentherapie häufig Schäden am Bei der Metastasierung handelt und vernichten. Außerdem sind umliegenden Gewebe; bei Operatio- es sich um einen komplexen und die Tumorzellen einem komplett nen können in vielen Fällen Tumore deswegen sehr ineffektiven Vorgang, veränderten Nährstoff- und Sau- nicht komplett entfernt werden, weswegen nur wenige Tumorzel- erstoffangebot ausgesetzt, und die oder aber Metastasen werden über- len in der Lage sind, tatsächlich zu hohen Konzentrationen von Eisen sehen oder sind nicht resektabel; metastasieren. Die Zellen innerhalb und anderen Oxidantien, wie zum und im Rahmen von Chemothera- eines Tumors unterscheiden sich Beispiel freien Radikalen, kann pien treten häufig schwerwiegende mitunter deutlich voneinander und zu oxidativem Stress und dadurch Nebenwirkungen auf und es kann können zum Beispiel verschiedene bedingten frühen Zelltod führen. Es zur Entwicklung von Arzneimittel- genetische oder epigenetische Pro- gibt unterschiedliche Möglichkeiten, resistenzen kommen. Daher gibt es file aufweisen. Dies wird auch als mit denen Tumorzellen auf diese große Bemühungen neue klinische Tumorheterogenität bezeichnet und Stressfaktoren reagieren können. So Ansätze mit weniger Nachteilen bildet die Grundlage dafür, dass können zirkulierende Tumorzellen und reduzierten Nebenwirkungen einige Zellen des Tumors ein höhe- sich beispielsweise schützen, indem zu entwickeln. Viele dieser neuen res metastatisches Potential haben sie sich mit Blutplättchen „bede- Ansätze, wie etwa die zielgerechten als alle anderen Tumorzellen. Dafür cken“. Normalerweise spielen Blut- Therapien, streben danach in Pro- muss eine Krebszelle allerdings plättchen eine Rolle beim Wundver- zesse einzugreifen, die für Krebs- einen komplexen und mehrstufigen schluss, indem sich Krebszellen aber zellen von elementarer Bedeutung Prozess, die sogenannte Metastasie- mit einer Hülle aus Blutplättchen für das Wachstum oder aber das rungskaskade durchlaufen (s. Abb. 1). umgeben, schützen sie sich sowohl Voranschreiten der Erkrankung sind, Zu Beginn invadieren Zellen aus vor der „Entdeckung“ durch das gesunde Körperzellen allerdings dem Primärtumor in die direkte Immunsystem als auch vor hydro- weniger stark beeinflussen. Tumorumgebung, also das gesunde dynamischen Kräften. Auch durch Gewebe. Damit sich eine Tumorzelle Anpassung ihres Stoffwechsels an Der komplexe Ursprung aus dem Zellverband des Tumors die veränderten Bedingungen in Blut von Metastasen lösen kann sind verschiede Verän- und Lymphe können die Tumorzel- derungen und Anpassungen nötig. len einem Zelltod durch oxidativen Ein Prozess, der bei der Progres- So können zum Beispiel Adhäsions- Stress entgehen. sion von Krebserkrankungen eine moleküle abgebaut und die Zellform Um eine Metastase zu bilden, besondere Rolle spielt, ist die Metas- und Eigenschaften, beispielsweise müssen die zirkulierenden Tumor- tasierung. Unter Metastasierung ver- bezüglich ihrer Verwertung von ver- zellen schließlich das Gefäßsystem steht man, dass Tumorzellen in die schiedenen Nährstoffen, können ver- wieder verlassen. Dieser Schritt wird Lymph- oder Blutbahn eindringen, ändert werden. Im Anschluss daran als Extravasation bezeichnet. Im hier in das umliegende Gewebe oder dringen metastasierende Tumorzel- Anschluss daran befindet sich die zu fernen Organen transportiert len in die Blut- oder Lymphgefäße Krebszelle in einer für sie fremden werden und dort Sekundärtumore, ein, was als Intravasation bezeich- Umgebung (im Englischen auch sogenannte Metastasen bilden. Tat- net wird. Metastasierung über die als microenvironment bezeichnet). sächlich ist die Metastasierung die Lymphgefäße wird regelmäßig bei Die Tumorzellen treffen auf andere Hauptursache für krebsbedingte Patient*innen beobachtet, jedoch Zelltypen, Botenstoffe und Wachs- Todesfälle (etwa 75–90 % der Todes- scheint die Metastasierung über tumsfaktoren als sie von ihrem fälle gehen auf Metastasen zurück). die Blutgefäße der hauptsächliche Ursprungsort/-organ gewohnt sind. Selbst bei Patient*innen, deren Mechanismus zu sein. Auch die generelle Gewebearchitek- Primärtumore gut auf die Strah- Einmal in die Gefäße eingedrun- tur kann sich deutlich zwischen Ent- len- oder Chemotherapie reagieren, gen, können die Tumorzellen über stehungsorgan und Metastasierungs- kann die Behandlung aufgrund von die Blut- oder Lymphzirkulation ort unterscheiden. Als Reaktion Metastasen versagen. Dies ist zum weit im Körper verbreitet werden. darauf setzen Tumorzellen komplexe
UNIKATE 56/2021 25 (1) Die Metastasierungskaskade ist ein komplexer mehrstufiger Prozess. Schematische Darstellung der wesentlichen Schritte der Metastasierung. Zunächst wandern die Tumorzellen in angrenzendes Gewebe ein, was als lokale Invasion bezeichnet wird. Die Intravasation ermöglicht es den Zellen dann in das Gefäßsystem einzudringen. Im Blutkreis- lauf zirkulierende Tumorzellen müssen Scherkräften widerstehen, dem Immunsystem ausweichen und mit dem veränderten Nährstoff- angebot zurechtkommen, bis sie das Gefäßsystem wieder verlassen. Nachdem sie sich im metastasierten Zielorgan angesiedelt haben, müssen die Tumorzellen in dieser fremden Umgebung überleben und Mikrometastasen (neue Zellverbünde) bilden. Sie können viele Jahre lang ruhend bleiben, bevor sie sich in einem als Kolonisation bezeichneten Prozess zu großen Makrometastasen vermehren. Quelle: eigene Darstellung Mechanismen ein, um fremde Mik- und behandelt, sind die Erkran- eine höchst verheerende Krank- roumgebungen zu modifizieren. kungen meist unheilbar, können heit mit schlechter Prognose und Zunächst, um an diesen ektopischen oft therapeutisch nur verlangsamt zunehmend steigender Inzidenz. Stellen zu überleben und schließ- werden und verlaufen in der Regel Da die Krankheit in der Regel erst lich, um kleine Mikrometastasen zu tödlich. Da die Metastasierung ein spät diagnostiziert wird und PDAC bilden. Selbst wenn sich Mikrome- überaus komplexer Prozess ist, und durch eine besonders aggressive tastasen etablieren, ist noch nicht die zugrundeliegenden Mechanis- Tumorbiologie gekennzeichnet ist, garantiert, dass sie auch zu Mak- men nur unvollständig verstanden, versagen Behandlungen in den meis- rometastasen heranwachsen. Viele wurden bisher nur begrenzte Erfolge ten Fällen. Aufgrund dessen leben Mikrometastasen verbleiben für beim Versuch erzielt, die Metas- trotz Fortschritten in der Behand- eine lange Zeit in einem ruhenden tasierung zu hemmen oder gar zu lung nur noch etwa zehn Prozent der Zustand, in dem sich die Netto-Zell- unterbinden. Aufgrund dessen ist Patient*innen fünf Jahre nach der zahl nicht erhöht. Einem kleinen Teil die weitere Erforschung des Metas- Diagnose. Ein Merkmal von PDAC der Krebszellen gelingt es schließ- tasierungsprozesses entscheidend, ist, dass schon früh Metastasen ent- lich, die metastatische Kolonisierung um klinisch wirksame therapeutische stehen und unter anderem die Leber, abzuschließen und makroskopische Ergebnisse zu erzielen. Lunge und andere gastrointestinale Metastasen zu bilden, was den End- Organe befallen. Daher ist besonders punkt der Invasions-Metastasie- Karzinome der Bauchspeicheldrüse für PDAC die Hemmung der Metas- rungskaskade darstellt.1,2 sind wegen ihrer hohen Metastasie- tasierung beziehungsweise die spe- Fortschritte vor allem in der rungsrate besonders tödlich zifische Behandlung eines metastati- Früherkennung und Behandlung schen Stadiums ein wichtiger Ansatz von Krebserkrankungen haben dazu Eine Krebsentität, deren Behandlung zur Verringerung der Mortalität3. geführt, dass die meisten soliden besonders durch eine Hemmung der Tumore heutzutage gut zu behandeln Metastasierung profitieren könnte, Molekulare Barcodes vereinfachen oder sogar heilbar sind, solange sie ist das duktale Adenokarzinom des die Suche nach Inhibitoren der vor oder in einem sehr frühen Sta- Pankreas (engl. Pancreatic ductal Metastasierung dium der Metastasierung diagnosti- adenocarcinoma, PDAC). PDAC, ziert werden. Wird der Krebs aber zu die häufigste neoplastische Erkran- Da es sich bei der Metastasierung um einem späteren Zeitpunkt entdeckt kung der Bauchspeicheldrüse, ist einen vielstufigen Prozess handelt,
26 gibt es verschiedene biochemische mente (Experimente im komplexen ziert werden. Nach dem sogenann- Ansatzpunkte, an denen eine mög- Organismus) für ein umfassen- ten „metastatic seeding“ (was die liche Therapie wirken könnte. Um des Screening zu aufwendig sind, initialen Schritte der Metastasierung potentiell geeignete Wirkstoffkan- werden in der Regel in vitro Ansätze – Zirkulation, Adhäsion, Extravasa- didaten präklinisch zu identifizieren (Experimente in der Zellkultur) tion und Bildung von Mikrometasta- werden sogenannte drug screenings wie Proliferations-, Invasions- oder sen – zusammenfassend bezeichnet) – Wirkstofftests im Hochdurchsatz- Migrationsassays eingesetzt, die nur werden die mit einem Barcode verse- verfahren – durchgeführt. Dabei einzelne Schritte der Metastasierung henen Tumorzellen, die diesen Pro- wird eine große Zahl an Präparaten isoliert betrachten können. Da die zess erfolgreich durchlaufen konnten und chemischen Verbindungen Metastasierung jedoch ein komplexer aus der Lungen der transplantierten auf eine mögliche Anwendbarkeit und mehrstufiger Prozess ist, spie- Mäuse wieder isoliert. Schließlich hinsichtlich ihrer Wirkung auf die geln diese Experimente die biologi- wird die Repräsentation der ein- Tumorerkrankung getestet. Zum sche Realität oft nicht adäquat wider zelnen Barcodes (und damit der einen können neu entdeckte bezie- und Wirkstoffe, die in der Zellkultur verschieden behandelten Tumorzell- hungsweise synthetisierte Verbin- Wirkung zeigen, versagen oft später populationen) durch Sequenzierung dungen speziell für diesen Zweck in präklinischen und klinischen und Vergleich der Proben vor und getestet werden. Angesichts der Tests. Um diese Einschränkungen nach der initialen Metastasierung im Tatsache, dass die Erforschung und zu überwinden, haben wir eine in Organismus bestimmt. Dies ermög- Entwicklung neuer Präparate in der vivo-Multiplex-Screening-Plattform licht die parallele Quantifizierung Regel 15 bis 20 Jahre dauert und für kleine Moleküle entwickelt, der Wirkung jeder Vorbehandlung äußerst kostspielig sein kann, ist es die molekulare DNA-Barcodes in auf das metastatische Potential. aber auch eine attraktive Option, Kombination mit Next Generation Wenn sich die relative Repräsenta- bereits zugelassene Medikamente Sequenzierung (NGS) verwendet tion eines Barcodes vor und nach oder Medikamente, die sich schon in (Abb. 2). Beim molekularen Barco- metastatic seeding nicht verändert, den klinischen Test-Phasen befinden, ding wird eine DNA-Barcode-Se- hat die Substanz, mit der diese Zell- für neue Anwendungen außerhalb quenz (oder kurz Barcode) verwen- variante behandelt wurde, keinen ihrer ursprünglichen Einsatzgebiete det, die stabil in das Genom von Effekt auf die Metastasierungsfä- wiederzuverwenden. Bei dieser Zellen eingebaut wird um einzelne higkeit. Tumorzellen, die mit einem unvoreingenommenen Art des drug Zellen mit einer eindeutigen und ver- potentiellen Inhibitor der Metas- screenings spricht man auch von erbbaren Signatur zu kennzeichnen. tasierung behandelt wurden, können drug repositioning. Dieser Ansatz Als Next Generation-Sequenzierung sich dadurch nicht in den Lungen bietet eine Reihe von Vorteilen. Da werden neuartige Technologien zur der transplantierten Mäuse ansiedeln. Wirkstoffe verwendet werden, die Sequenzierung von DNA und RNA Dies wird durch eine reduzierte entweder bereits zugelassen wurden bezeichnet, die wesentlich schneller, Repräsentation des DNA-Barcodes, oder aber sich bereits auf dem Weg kostengünstiger und quantitativer als mit dem diese Zellen markiert waren, zur Zulassung befinden, kann die konventionelle Methoden sind. In in den in vivo-Proben (also nach Zahl der klinischen Vorversuche unserer Screening-Plattform verwen- dem metastatic seeding) angezeigt. verringert werden, was sowohl Ent- den wir NGS um die unterschied- Durch die Barcoding-Methode wicklungszeit als auch Kosten spart. lichen Zell-Barcodes quantitativ können so knapp 100 chemische Zusätzlich sind mögliche Nebenwir- auszulesen. Damit ist es möglich das Moleküle und zugehörige Kontrol- kungen und potentielle Kreuzreak- Schicksal individuell gebarcodeter len in einer einzelnen Maus gleich- tionen mit anderen Medikamenten Krebszellen innerhalb eines Zell- zeitig getestet werden. bereits besser erforscht. Außerdem pools im Organismus nachzuverfol- Im Rahmen des Versuchsaufbaus können so auch Wirkstoffe identifi- gen. Für unsere Barcoding-Plattform durchlaufen die Tumorzellen einen ziert werden, die über bisher unbe- haben wir ungefähr 100 verschiedene bedeutenden Teil der Metastasie- kannte Mechanismen wirken. Somit Tumorzellvarianten von metastasie- rungskaskade. So müssen sie den können drug repositioning Ansätze renden PDAC-Zellen erzeugt, die Stress durch den Transport durch das sogar dazu beitragen, neue Pathome- mit jeweils individuellen einzigarti- Gefäßsystem wiederstehen und sich chanismen aufzudecken4. gen Barcodes markiert wurden. Jede erfolgreich in einem neuen Gewebe Für diese Art des drug screenings dieser Varianten kann dann mit einer etablieren. Die Interaktionen mit werden in der Regel eine große individuellen zu testenden chemi- Gewebe, Blutgefäßen und dem Anzahl an zu testenden Präparaten schen Verbindung in vitro vorbe- Immunsystem können so realitäts- und Molekülen in Hochdurch- handelt, mit allen anderen (ebenfalls nah simuliert werden. Die Barco- satz-Verfahren untersucht, um neue individuell behandelten) Zellvarian- ding-Plattform hat also im Vergleich Anwendungsmöglichkeiten zu ten zusammen gepoolt und dann int- zu klassischen in vitro-Methoden identifizieren. Da in vivo-Experi- ravenös in eine Empfängermaus inji- den Vorteil, dass der Metastasie-
UNIKATE 56/2021 27 (2) Die in vivo-Multiplex-Screening-Plattform Schematische Darstellung der in vivo-Multiplex-Screening-Plattform. Individuell einzigartig gebarcodete Zellvarianten einer metastasie- renden Tumorzelllinie werden in vitro mit individuellen zu testenden chemischen Substanzen im 96-well Zellkulturformat vorbehandelt. Die 96 individuellen Zellvarianten einer Zellkulturplatte werden anschließend gepoolt und intravenös in eine Empfängermaus injiziert. Nach dem „metastatic seeding“ werden die gebarcodeten Tumorzellen aus der Lunge isoliert. Die prozentuale Repräsentation jedes einzelnen Barcodes wird mittels NGS im Zellpool vor der Injektion und in den isolierten Zellen nach dem „metastatic seeding“ bestimmt. Gebarcodete Zellen, die mit einem Inhibitor der Metastasierung behandelt wurden, können sich nicht im gleichen Maße in der Lunge ansiedeln wie Zellen, deren Metastasierungsfähigkeit nicht beeinträchtigt ist. Dies äußert sich durch eine reduzierte Repräsentation des DNA-Barcodes, mit dem diese Zellen markiert waren, in den postseeding Proben. Der relative Repräsentationsverlust eines Barcodes lässt quantitative Rückschlüsse auf die Metastasierungsfähigkeit der mit diesem Barcode markierten Tumorzellen zu und damit auf die Wirkung der zu testenden Substanz mit der diese behandelt wurden. Quelle: eigene Darstellung rungsprozess vollständiger und unter mindestens drei Versuchstiere pro technische Variabilität verringert und lebensechteren biologischen Bedin- Präparat eingesetzt werden müssen, die Chance zur tatsächlichen Trans- gungen rekapituliert wird. Aufgrund was das Screening von einer großen lation in eine klinische Anwendung der Multiplex-Natur dieses Ansatzes Anzahl an Wirkstoffen zu kostspie- vergrößert. ist man in der Lage, Hunderte oder lig, logistisch zu aufwendig, und In ersten Anwendungen dieser sogar Tausende von Molekülen ethisch problematisch macht. Durch neu entwickelten Screening-Platt- schnell zu analysieren und dabei den das Barcoding wird nicht nur die form konnten wir bereits die Lipase hohen Durchsatz des zellbasierten Versuchstierzahl drastisch verringert ABHD6 (ein Enzym das eigentlich Screenings mit einem hochentwi- (Dutzende von Wirkstoffen inklu- am Fettstoffwechsel beteiligt ist) als ckelten Tiermodell für den Metas- sive interner Kontrollen können neues therapeutisches Ziel für eine tasierungsprozess zu kombinieren. in einer einzigen Maus getestet antimetastatische Therapie identifi- Bei klassischen in vivo Versuchs- werden), sondern gleichzeitig wird zieren und den zugrunde liegenden durchführungen (jedes Molekül/Prä- durch die Barcoding-Plattform auch Mechanismus aufklären. So konnten parat wird einzeln getestet) würden die Reproduzierbarkeit erhöht, die wir zeigen, dass durch die Blockade
28 der enzymatischen Aktivität von of metastasis is generally pursued Die Autorin/Der Autor ABHD6 mittels eines spezifischen by means of high-throughput drug Barbara M. Grüner, geboren 1983, ist Emmy Inhibitors die Lipid-Zusammen- screenings, which can only be tested Noether-Nachwuchsgruppenleiterin in der setzung der Tumorzellen während in vitro. However, the underlying Medizinischen Fakultät. Sie forscht zum der Metastasierung verändert wird. assays of these screenings do not Thema Molekulare Tumorpathologie. Ange- siedelt ist sie mit ihrer Arbeitsgruppe in der Dadurch werden die initiale Adhäs- adequately reflect the biological pro- Inneren Klinik (Tumorforschung) und am ion („An-Dockung“) an den Blut- cesses, which further complicates the Westdeutschen Tumorzentrum des Universi- gefäßwänden sowie die notwendige search for clinically effective com- tätsklinikums Essen. Flexibilität zur Extravasation stark pounds and often causes the failure of Ihr Diplom absolvierte sie 2008 an der Fried- rich-Alexander-Universität Erlangen-Nürn- beeinträchtigt, was schließlich in potential drug candidates when trans- berg. Danach war Barbara Grüner bis 2012 einer verminderten Metastasenbil- ferred into a clinical setting. On the Mitglied der International Max-Planck dung resultiert5. In weiteren Anwen- other hand, studies in complex model Research School for Molecular and Cellular Life Sciences (IMPRS-LS Graduate School) dungen dieser Plattform haben wir systems in vivo are more adequate to in München. Nach ihrer Promotion an der einige weitere vielversprechende reflect the complex interactions in the Medizinischen Klinik des Klinikums rechts Wirkstoff-Kandidaten identifiziert, human body. Yet, those in vivo stud- der Isar an der Technischen Universität Mün- chen erfolgte ebendort ein kurzes Intermezzo die sich momentan in der präklini- ies are time, cost, and labour intensive als Wissenschaftliche Mitarbeiterin, bevor sie schen Validierungsphase befinden. and allow the study of very limited als Wissenschaftliche Mitarbeiterin (Postdoc) Letztlich stellt die Komplexität numbers of compounds only. To bis 2016 an die Stanford University School of des Metastasierungsprozesses eine overcome these limitations, we devel- Medicine an das Department of Genetics ging. 2017 war Barbara Grüner zunächst Junior- der größten Herausforderungen bei oped a multiplexed in vivo screen- gruppenleiterin in der Abteilung Translatio- der erfolgreichen Behandlung von ing platform that utilizes molecular nale Onkologie Solider Tumore, Deutsches Krebserkrankungen dar. Die Viel- DNA barcoding. In DNA barcoding Konsortium für Translationale Krebsfor- schung (DKTK)/Deutsches Krebsforschungs- schichtigkeit der Metastasierungs- technology, small random DNA zentrum (DKFZ) am Partnerstandort Essen, kaskade bietet aber im Umkehr- sequences are incorporated into the bevor sie dann im Herbst des gleichen Jahres schluss auch verschiedenste Angriffs- DNA of cells to track them individu- eine eigene von der DFG geförderte Emmy Noether-Nachwuchsgruppe aufbauen konnte. punkte für mögliche neue Therapien. ally in a pool of different cells. This Nach einem Studienstipendium der Bayeri- Durch technologische Fortschritte technology allows quantification of sche Hochbegabtenförderung von 2003 bis im Bereich des Next Generation- multiple individual cell populations 2008 konnte Barbara Grüner ein Stanford Sequenzierens in Kombination mit in parallel. With our platform we can Dean’s Postdoctoral Fellowship (2013/14), ein Postdoctoral Fellowship der „Pancreatic hochentwickelten molekularen simultaneously investigate hundreds Cancer Action“ des „Network American Methoden und ausgefeilten Tiermo- of compounds regarding their effect Association of Cancer Research“ (AACR) dellen rückt die Identifikation von on metastatic seeding in vivo with (2014/15) und ein Postdoctoral Fellowship des „The Hope Funds for Cancer Research“ klinisch relevanten Inhibitoren der very low variability and high repro- für sich gewinnen. Metastasierung zunehmend näher. ducibility. Using the multiplexed Barbara Grüner erhielt 2011 den „Scho- screening platform, we can not only lar-in-Training Award“ der „American Asso- ciation of Cancer Research“ (AACR). 2012 identify novel potential candidates for konnte sie den Posterpreis des Jahrestreffens a metastasis-specific therapy but also des „National Genome Science Network“ Summary study and characterize the underlying (NGFN) Jahrestreffens in Heidelberg in cellular and molecular mechanisms. Empfang nehmen. Im gleichen Jahr konnte sie den Travel Grant Award der United European Although advances in the treat- Gastroenterology (UEG) Week in Amster- ment and early detection of cancer dam in Empfang nehmen. 2018 wurde ihr der have led to improvements in patient Curious Mind-Forscherpreis „Life Sciences“ durch das Merck und Manager Magazin survival, cancer remains the second Anmerkungen/Literatur: verliehen. leading cause of deaths worldwide. 1) Lambert, A. W., et al. (2017). Emerging The majority of cancer deaths are not Biological Principles of Metastasis. Cell Philip Dujardin studierte von 2013 bis 2018 Biologie und Medizinische Biologie caused by the primary tumor but by 168(4): 670–691. in Essen. Seit 2019 promoviert er in der secondary metastases. The metastatic 2) Valastyan, S. and R. A. Weinberg (2011). Emmy Noether-Arbeitsgruppe „Molekulare Tumor metastasis: molecular insights and process is complex and still poorly evolving paradigms. Cell 147(2): 275–292. Tumorpathologie“ an der Inneren Klinik understood on the molecular and (Tumorforschung) des Universitätsklinikums 3) Ying, H., et al. (2016). Genetics and biology Essen zum Thema „Molecular mechanisms of cellular levels. The cancer cells need of pancreatic ductal adenocarcinoma. Genes & metastasis and therapy response in cancer“. to leave the primary tumor, circulate development 30(4): 355–385. Ein Schwerpunkt der Forschung liegt dabei 4) Simsek, M., et al. (2018). Finding hidden through blood or lymph, extravasate auf der Anwendung und Weiterentwicklung treasures in old drugs: the challenges and von molekularem Barcoding Strategien. Philip at a secondary site and form micro- importance of licensing generics. Drug Disco- Dujardin ist Stipendiat des Cusanuswerks. metastases that can eventually grow very Today 23(1): 17–21. 5) Grüner, B. M., et al. (2016). An in vivo mul- into macrometastases. The identifica- tiplexed small-molecule screening platform. tion of clinically relevant inhibitors Nature methods 13(10): 883–889.
Philip Dujardin. Foto: Vladimir Unkovic UNIKATE 56/2021 29
Sie können auch lesen