Corporate Yoga - Yoga im Unternehmen - Yogamelange
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Body & Health Academy GmbH Lehrgang universitären Charakters „Psychosoziales Gesundheitstraining“ Corporate Yoga – Yoga im Unternehmen Anwendung des Ashtanga Vinyasa Yoga in der Gesundheitsförderung im betrieblichen Umfeld Diplomarbeit zur Erlangung der Bezeichnung „Akademischer psychosozialer Gesundheitstrainer“ Eingereicht von: Mag. Christian Franz Füreder Eingereicht bei: Mag. Susanne Stiastny Wien, im Mai 2010
Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre an Eides Statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und alle den benutzten Quellen wörtlich oder sinngemäß entnommene Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Wien, 31.5.2010 II
Inhaltsverzeichnis Eidesstattliche Erklärung...........................................................................................II Inhaltsverzeichnis.....................................................................................................III Abkürzungsverzeichnis............................................................................................VI Abstract...................................................................................................................VII 1 Einleitung...............................................................................................................1 2 Arbeit und Gesundheit..........................................................................................3 2.1 Begriffsbestimmung.......................................................................................3 2.1.1 Arbeit .....................................................................................................3 2.1.2 Gesundheit.............................................................................................4 2.1.2.1 Dimensionen von Gesundheit ........................................................4 2.1.2.2 Definition von Gesundheit ............................................................11 2.2 Wirkung von Erwerbsarbeit..........................................................................12 2.2.1 Gesundheitspotentiale..........................................................................12 2.2.1.1 Psychosoziale Funktionen............................................................13 2.2.2 Krankheitsrisiken..................................................................................14 2.2.2.1 Belastung und Beanspruchung.....................................................14 2.2.2.2 Psychosoziale Belastungen..........................................................16 2.3 Trends in der Arbeitswelt.............................................................................23 2.3.1 Arbeit in der Krise – die Krise in der Arbeit?........................................23 2.3.2 Betriebliches Sozialkapital....................................................................24 2.3.3 Der Gesundheitssektor als Wachstumslokomotive im 21. Jhdt...........25 2.4 Zusammenfassung: Arbeit und Gesundheit................................................26 3 Gesundheitsförderung.........................................................................................27 3.1 Begriffsbestimmung.....................................................................................27 3.1.1 Definition...............................................................................................28 3.1.2 Empowerment......................................................................................29 3.1.3 Gesundheitsprozess.............................................................................31 III
3.2 Gesundheitsförderung im Betrieb................................................................32 3.2.1 Nutzen und Vorteile betrieblicher Gesundheitsförderung....................33 3.2.2 Maßnahmen betrieblicher Gesundheitsförderung................................34 3.3 Zusammenfassung: Gesundheitsförderung................................................36 4 Yoga und Yogaforschung....................................................................................37 4.1 Yoga.............................................................................................................37 4.1.1 Geschichte des Yoga...........................................................................38 4.1.2 Patanjali's Ashtanga Yoga....................................................................41 4.1.3 Hatha Yoga...........................................................................................46 4.2 Yogaforschung ............................................................................................48 4.2.1 Yoga und Gesundheit...........................................................................49 4.2.2 Wirkung der Yogapraxis.......................................................................52 4.2.2.1 Allgemeine Wirkungsebene..........................................................52 4.2.2.2 Skelettmuskulatur..........................................................................53 4.2.2.3 Wirbelsäule....................................................................................53 4.2.2.4 Gelenke und Bandscheiben..........................................................54 4.2.2.5 Herz-Kreislaufsystem....................................................................54 4.2.2.6 Atmung..........................................................................................54 4.2.2.7 Innere Organe ..............................................................................54 4.2.2.8 Nervensystem...............................................................................55 4.2.2.9 Psychische Effekte........................................................................55 4.2.2.10 Psychosoziale Effekte.................................................................56 4.2.3 Yoga und Stress...................................................................................56 4.2.4 Yoga und Gesundheitsförderung.........................................................58 4.3 Zusammenfassung: Yoga und Yogaforschung...........................................60 5 Praktischer Teil: Corporarte Yoga.......................................................................62 5.1 Einleitung.....................................................................................................62 5.1.1 Warum Corporate Yoga?.....................................................................63 5.1.1.1 Gelassener in belastenden Situationen........................................64 IV
5.1.1.2 Mehr Engagement und Selbstverantwortung...............................64 5.1.1.3 Geringere Fehlzeiten und geringere Mitarbeiterfluktuation..........65 5.1.1.4 Unterstützt die Persönlichkeitsentwicklung...................................65 5.1.1.5 Ohne Dogma.................................................................................65 5.2 Methodenhintergrund – Ashtanga Vinyasa Yoga........................................66 5.3 Corporate Yoga Programme........................................................................71 5.3.1 YogaFit 30............................................................................................72 5.3.2 YogaFit 60............................................................................................72 5.3.3 YogaFit 90............................................................................................73 6 Ausblick...............................................................................................................75 Literaturverzeichnis.................................................................................................76 Anhang......................................................................................................................A Ashtanga Vinyasa Yoga Chikitsa (1. Serie).........................................................A Sonnengruß A..................................................................................................A Sonnengruß B..................................................................................................B Steh Asana.......................................................................................................C Sitz Asana........................................................................................................D Schluss Asana..................................................................................................E Lebenslauf.................................................................................................................F V
Abkürzungsverzeichnis BGF Betriebliche Gesundheitsförderung URL Uniform Resource Locator WHO World Health Organisation VI
Abstract Die vorliegende theoretische Arbeit befasst sich mit der Frage wie der Hatha Yoga als Maßnahme in der betrieblichen Gesundheitsförderung eingesetzt werden kann. Es zeigte sich, dass die Erwerbsarbeit gesundheitsfördernde als auch gesundheitsschädigenden Effekte auf den Menschen ausübt, wobei in der heutigen Arbeitswelt psychosoziale Belastungen überwiegen. Lang andauernde Stressbelastungen scheinen die Hauptursachen für Gesundheitsschädigungen und chronisch-degenerative Krankheiten zu sein. Gesundheitsförderung entspricht in erster Linie der Förderung zur Motivation eines gesunden Lebensstils, in der der Mensch eine selbstständige, autonome und aktive Rolle einnehmen lernen darf. Die betriebliche Gesundheitsförderung hat das Ziel eine gesundheitsförderndes Erwerbsumfeld zu schaffen und umfasst Präventions- und Gesundheits- förderungsmaßnahmen. Eine regelmäßige integrierte Yogapraxis entspricht den Anforderungen der Prävention und Gesundheitsförderung, führt zu physischer Gesundung und reduziert psychosoziale Belastungen. Ashtanga Vinyasa Yoga scheint die optimale Wahl als Maßnahme in der betrieblichen Gesundheitsförderung darzustellen. Ashtanga Vinyasa Yoga bringt die Vorzüge einer integrierten Yogapraxis mit, indem sie Körperarbeit, Atemübungen und Meditationspraxis vereint, gleichzeitig erfüllt sie die Anforderungen und Bestimmungen der Gesundheitsförderung und Prävention, den wie in der Gesundheitsförderarbeit wird im Yoga der Mensch als lern- und veränderungsfähig angesehen und die Zielerreichung als Produkt eigener Anstrengung verstanden. Zukünftige Forschungstätigkeit liegt in der empirischen Bestätigung der theoretischen Überlegungen und Ergebnisse dieser Arbeit. VII
Diplomarbeit/Master-Thesis 1 Einleitung Deutzmann (vgl. 2002, S.30ff) legt mit seiner Arbeit über die Ökologie des Körpers den Grundstein für diese Arbeit. Ich möchte daher seine Gedanken, als Einleitung in das Thema kurz skizzieren: Der menschliche Körper ist das Fundament auf dem sich Subjektivität entwickelt. Gesundheit oder Krankheit, Wohl- oder Missempfinden entwickelt sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt, vollzieht sich und wird am Körper wahrgenommen und gespürt. In der Informationsgesellschaft hat der Körper, neben der Psyche, nur mehr eine untergeordnete Rolle. In der Regel weiß der moderne Mensch nur sehr wenig über sich selbst als lebendiges, atmendes Subjekt. Er hat keinen Sinn mehr dafür, wie er atmet, steht, geht, sich bückt und erhebt. Yoga und ähnliche Verfahren methodisch herbeigeführter Körpererfahrung sind von gesellschaftlicher Bedeutung, weil sich gesellschaftliche und persönliche Konflikte in den letzten Jahren immer mehr in körperlichen Störungen niedergeschlagen haben. Gesellschaftliche, soziale und psychische Konflikte und Spannungen manifestieren sich körperlich, werden am eigenen Leib erfahren, aber nicht mehr verstanden, weil sie nicht mehr in Beziehung zu ihrem Ursachen gesehen werden können. Erregung erscheint nicht mehr als Wut auf etwas, als Furcht vor etwas, oder als Sehnsucht nach etwas, sie erscheint als abstraktes, unspezifisches, biologisches Geschehen, als Angst, Aggression, Nervosität, Unruhe, Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Essstörung oder Sucht. Die Einbeziehung der körperlichen Seinsdimension ist daher notwendiger Bestandteil eines ganzheitlichen humanistischen Lebensbild, den der Körper als Träger von Identität und Biographie ist immer auch der Ort, in dem sich Krankheit und Gesundheit manifestiert. Das Ziel dieser Arbeit ist es, eine Methode aufzuzeigen, wie wir unserem Körper, in einer sich schnell ändernden Arbeitswelt, wieder näher kommen können. 1
Diplomarbeit/Master-Thesis Das erste Kapitel fasst Begriffe wie Arbeit, Erwerbsarbeit, Organisation, Gesundheit und Salutogenese, Krankheit und Pathogenese zusammen. Es werden die Bedingungen für Gesundheit vorgestellt, sowie krankmachende Risikofaktoren diskutiert. Folgend wird der Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit an den Werkmechanismen von Erwerbsarbeit herausgearbeitet. Es werden Gesundheitspotentiale und Krankheitsrisiken besprochen. Trends in der Arbeitswelt bilden den Abschluss des ersten Kapitels. Das zweite Kapitel ist der Gesundheitsförderung gewidmet. Definitionen und begriffliche Abgrenzungen werden diskutiert, sowie der Gesundheitsprozess zur Planung der Gesundheitsförderarbeit beschrieben. Dem Konzept der Gesundheitsförderung im Betrieb folgen die verhaltens- und verhältnispräventiven Maßnahmen betrieblicher Gesundheitsförderung. Das dritte Kapitel behandelt die Themenbereiche Yoga und Yogaforschung. Die Geschichte des Yoga macht den Anfang, gefolgt vom klassischen Yoga-System nach Patanjali und den acht Gliedern des Ashtanga Yoga. Es wird der körperorientierte Hatha Yoga beschrieben, sowie detailliert auf die gesundheitliche Wirkung einer integrierten Yogapraxis eingegangen, die die Ergebnisse der modernen Yogaforschung darstellt. Des Weiteren wird Yoga und Stress und der Zusammenhang zwischen Yoga und Gesundheitsförderung diskutiert. Im vierten und letzten Kapitel dieser Arbeit fließen die theoretischen Überlegungen zusammen und bilden die Basis für den praktischen Teil über Corporate Yoga – Yoga im betrieblichen Umfeld. Es werden die Argumente für Corporate Yoga als Maßnahme betrieblicher Gesundheitsförderung erörtert, sowie als Methodenhintergrund Ashtanga Vinyasa Yoga vorgestellt. Beendet wird das Kapitel durch die Darstellung dreier unterschiedlicher Corporate Yoga Programme. 2
Diplomarbeit/Master-Thesis 2 Arbeit und Gesundheit 2.1 Begriffsbestimmung 2.1.1 Arbeit Aufgrund der Arbeitsverhältnisse wird zwischen unentgeltlicher Arbeit und Erwerbsarbeit (vgl. Fischerauer, 2005, S.4) unterschieden. Wir verstehen unter Erwerbsarbeit (oder Erwerbstätigkeit, Berufstätigkeit oder nachfolgend auch kurz Arbeit genannt) eine angestellte, selbstständige oder freiberufliche Tätigkeit, „die • zielgerichtet, organisiert, strukturiert und geregelt ist, • den Einsatz körperlicher und/oder psychischer Kräfte erfordert, • Bedürfnisse befriedigt, aber • als Last, Mühsal und Anstrengung erlebt und • mit Gegenleistung honoriert wird, • in Güter oder Dienstleistung resultiert, • also die physische und soziale Umwelt und dabei auch • den Menschen selbst verändert“ (Kirchler, 2005, S.19). Die moderne Berufstätigkeit findet in organisierten Strukturen statt so Schulz (vgl. 1993, S.279). Organisationen, im Sinne einer institutionellen Betrachtungsweise, sind Instrumente zur Zielerreichung, die durch das bewusste geregelte Zusammenwirken von Menschen, unter Einsatz von Mitteln, erreicht werden sollen (vgl. Schäfers, 2000, S.151). Erwerbsarbeit, bei der Menschen in sozialen Kontakt stehen, dient folgend der Definition von Kirchler, auf der einen Seite zur materiellen Existenzsicherung, schafft dadurch Handlungsautonomie und Entscheidungsspielräume der Konsumbürger (vgl. Breig & Leuther, 2007, S.19), wird aber auf der anderen Seite auch als Last und Anstrengung empfunden, wobei die am Arbeitsplatz 3
Diplomarbeit/Master-Thesis vorherrschenden Sozialisationsprozesse letztlich Veränderungen der Personen hervorrufen (vgl. Kirchler 2005, S.162). Wenn man bedenkt, dass bei vierzig Wochenarbeitsstunden die Arbeitszeit mehr als ein Viertel der gelebten Lebenszeit beträgt und der Mensch rund 35 bis 40 Jahre in der Arbeitswelt integriert ist, so Schulz (vgl. 1993, S.272), wird klar welche großen Einfluss Erwerbsarbeit auf den Menschen in der heutigen Zeit hat. 2.1.2 Gesundheit „Gesundheit und Krankheit sind Grundphänomene menschlicher Existenz und gehören neben Heilung und Tod zum menschlichen Leben.“ (Melchart, 2003, S. 30) Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Koordinationsbehörde der Vereinten Nationen für das internationale öffentliche Gesundheitswesen. Seit der Gründung der WHO 1948 lautet ihre Definition von Gesundheit:: “Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity“ (Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen) (WHO, 2010, S.1). In verschieden Arbeiten wird jedoch darauf hingewiesenen, dass Gesundheit kein Zustand ist, sondern als Prozessgröße verstanden wird, die sich zwischen körperlichem/seelisch-geistigem Wohlbefinden und Missempfinden bewegt und deren Balance im täglichen Leben immer wieder neu herzustellen ist (vgl. Heindl, 2010, S.2). 2.1.2.1 Dimensionen von Gesundheit Faltermaier (1994, zitiert nach Peternell-Mölzer 2007, S.13f.) nennt vier Typen von Gesundheit: 1. als Abwesenheit von Krankheiten 2. als Energiereserve 3. als Gleichgewicht oder Wohlbefinden 4. als funktionale Leistungsfähigkeit 4
Diplomarbeit/Master-Thesis In der Literatur wird zwischen physischem und psychischem Wohlbefinden unterschieden. Aus wissenschaftlicher Perspektive sind Definitionsversuche von Gesundheit schwierig (vgl. Waller, 2006, S.11). Melchart (vgl. 2003, S.63) begründet dieses Dilemma aufgrund einer fehlenden Gesamtschau auf die verschiedenen naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Ansätze zu Gesundheit und Krankheit. Die heutige noch immer häufig auftretende pathogenetische Sichtweise, dass Gesundheit die schlichte Abwesenheit von Krankheit bedeutet, steht im Gegensatz zur idealistischen „Positiv-Definition“ der WHO (vgl. Melchart 2003 und Flatscher 2010, S.10). Melchart (vgl. 2003, S.6) versucht einen Mittelweg im Definitionsversuch von Gesundheit zu gehen, indem er zwei unterschiedliche basale Denk- und Handlungsmodelle gegenüberstellt. Zu Beginn weißt er darauf hin, dass sich beide Prinzipien gegenseitig ergänzen und idealerweise gleichzeitige Komponenten eines medizinischen Gesamtvorgehens im Praxisfall darstellen (ebd.). Auch Kroll & Dzudzek (vgl. 2010, S.25f.) weißen darauf hin, dass eine Transformation im Paradigmenwechsel, hin zu einem ganzheitlichen Gesundheitsbegriff, mit dem Ziel einer Kombination aus pathogeneser Krankheitsbewältigung und salutogenetischer Gesunderhaltung notwendig und wünschenswert ist. 2.1.2.1.1 Salutogenese - autonomieorientiertes Denk- und Handlungsmodell Das autonomieorientierten oder salutogenetischen Denken und Handeln fragt nach den Bedingungen und Determinanten, unter denen die Gesundheit am besten zu erhalten und zu entwickeln ist. Dabei geht es um Faktoren, die Gesundheit auf natürlicher weise erhalten. In der Salutogenese steht der Aufbau bzw. das Wachstum (Adaption) von Bewältigungsprozessen im Vordergrund (vgl. Melchart, 2003, S.7). 5
Diplomarbeit/Master-Thesis Krankheit wird als aktive Funktionsäußerung des Organismus verstanden und als misslungene Selbstheilungsvorgänge interpretiert (ebd.). Sie wird häufig als Folge eines gesundheitsschädigenden Verhaltens im Alltag wie auch als Chance zur Reifung und Neuorientierung und als Teil eines Gesundungsprozesses betrachtet (ebd., S.13). Die Frage „Was erhält uns gesund?“ steht im Vordergrund. Die Salutogenese ist in diesem umfassenden Sinne keine kurative, auf Experten delegierbare Aufgabe, sondern eine persönliche und auch gesamtgesellschaftliche Herausforderung (ebd., S.20). Die Selbstheilung oder Hygiogenese sieht Melchart (vgl. 2003, S.31) als Sonderbereich der Salutogenese mit stärkerer Betonung therapeutischer, also pathogeneser, Aktivitäten. Die Hygiogenese fragt nach den Bedingungen und Determinanten, unter denen Gesundheit im Krankheitsfalle wieder aus sich selbst entsteht, also wie durch Selbstheilung wieder eine Gesundheit erzielt werden kann (ebd.). 2.1.2.1.1.1 Konzept der Salutogenese von A. Antonovsky Aaron Antonovsky (1923-1994) war es in den 1970er Jahren, der die Salutogenese, als komplementären Begriff zur Pathogenese, geprägt hat. Er forderte schon damals einen Perspektivenwechsel im Gesundheitswesen: weg vom pathogenen Ansatz, wie heile ich eine Krankheit, hin zur Frage, wie entsteht Gesundheit, wobei das Hauptaugenmerk dabei auf den Gesundungsweg gelegt wird. Die Salutogenese, die sich nach Grabert (vgl. 2003, S.5) in die Tradition der Stress- und Bewältigungstheorien einordnen lässt, sieht die Gesundheit als Prozess im Kontinuum zwischen Wohlbefinden (Gesundheit) und Missempfinden (Krankheit). Primär geht es um die Bedingungen von Gesundheit und Faktoren, welche die Gesundheit schützen und erhalten. 6
Diplomarbeit/Master-Thesis Nach Antonovsky beschreibt das Kohärenzgefühl die Grundhaltung, die Welt zusammenhängend und sinnvoll zu erleben. Das Kohärenzgefühl wird von drei Komponenten bestimmt: Überschaubarkeit, Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit (vgl. Melchart, 2003, S.64). Überschaubarkeit bedeutet, dass die Welt als geordnet, vorhersehbar und verstehbar erlebt wird und eine Orientierung besteht. Handhabbarkeit meint die Überzeugung und das Selbstvertrauen des Einzelnen, selbst Einfluss auf Ereignisse zu haben. Sinnhaftigkeit bedeutet Sinn im Leben zu sehen, den Energieaufwand für die Bewältigung und Anpassung als lohnend zu betrachten. Ein erhöhtes Kohärenzgefühl fördert die Widerstandskraft einer Person und mobilisiert vorhandene Ressourcen, die bei der Stressverarbeitung dienliche sind. Studien zeigen zudem eine hohe Korrelation zwischen Kohärenzgefühl, Stressbewältigung, psychischer und psychosomatischer Gesundheit gemessen an Symptomen wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Appetitmangel (vgl. Grabert, 2003, S.16). Ein Zusammenhang zwischen Kohärenzgefühl und körperlicher Gesundheit besteht jedoch nur in geringen Maße, so Grabert (ebd.) Eine Korrelation zu objektiven Parametern physischer Gesundheit, wie z.B. Blutdruck, Cholesterinwerte, körperliche Beschwerden und Krankheitstage konnte in Studien nicht nachgewiesen werden (ebd.). Wydler & Kolip & Abel deuten ebenfalls aufgrund theoretischer Überlegungen und empirischer Ergebnisse darauf hin, dass mit dem Kohärenzgefühl die psychosoziale Seite von Gesundheit besser abgedeckt ist als die körperliche Seite (vgl. Bengel & Strittmatter & Willmann, 1998, zitiert nach Wydler, 2006, S.191). 7
Diplomarbeit/Master-Thesis 2.1.2.1.2 Pathogenese - heteronomieorientieres Denk- und Handlungsmodell Das heteronomieorientierte oder pathogenetische Denkmodell fragt nach den Bedingungen und Determinaten, unter denen sich Krankheit entwickelt (vgl. Melchart, 2003, S.31). Sie sieht den menschlichen Organismus vorwiegend passiv und interpretiert Krankheitssymptome als Funktionsdefizite. In diesem Sinn ist auch die Prävention heteronomieorientiert, da sie die spezifische Krankheitsentwicklung im Vordergrund sieht (ebd., S.6). In der Pathogenese (oder im Krankheitsmodell) steht der Abbau (Dysadaption) der Krankheitsprozesse im Vordergrund. Risikofaktoren (die es zu vermindern gilt) umfassen neben körperlichen und personalen auch verhaltensgebundene, sozio- biographische und humanökonomische Faktoren. Beispielsweise wäre berufliche Belastung ein pathogenetischer Faktor. Krankheit wird meist als etwas vom Patienten fremd Empfundenes erlebt und von außen bekämpft. Dies verhindert aber häufig, dass der Patient die Symptome als Botschaft oder Signal zu begreifen lernt und an seinen eigenen Alltagsverhalten etwas zu verändern sucht (ebd., S.14). Die Frage „Was macht uns krank?“ steht im Vordergrund. Wird Gesundheit und Krankheit als Kontinuum gesehen (vgl. Melchart, 2003, S.17), so sind die Bezugsdimensionen für pathogenese Risikofaktoren dieselben wie für salutogenese Gesundheitsbedingungen. Melchart (2003) fasst nachfolgende Schutzfaktoren, Bedingungen und Determinanten die aktiv die individuelle Gesundheit des Menschen erhalten und fördern, sowie krankmachende Risikofaktoren wie folgt zusammen: 8
Diplomarbeit/Master-Thesis 2.1.2.1.3 Salutogenetische Bedingungen für Gesundheit und Pathogenetische Risikofaktoren für Krankheit Salutogenetische Bedingungen Pathogenetische für Gesundheit Risikofaktoren für Krankheit Individuelle Faktoren Körperliche Faktoren Ausreichende Bewegung und Training Traumata von Herz-Kreislauffunktionen genetische Disposition Ausgewogenen Ernährung Förderung von Schlaf, gute Schlafbedingungen (frische Luft, kühle Zimmertemperatur) Ausgewogenes Rhythmusgefühl von Aktivität und Ruhe im Lebens- management Entspannungsfähigkeit Befriedigendes Sexualleben Personale Faktoren Stärkung der persönlichen Ängste Einstellungen und Wertebilder von Depressionen gesundheitsfördernden Schlafstörungen Lebensweisenkonzepten durch Noxen Information, Beratung und Motivation berufliche Belastung durch Selbstmanagement oder Fremdhilfe. Förderung des Optimismus .. der Lebenszielplanung (Zukunftsperspektiven, Lebenssinn) .. Kontrollüberzeugung .. des Selbstwertgefühls 9
Diplomarbeit/Master-Thesis Salutogenetische Bedingungen Pathogenetische für Gesundheit Risikofaktoren für Krankheit Individuelle Faktoren .. der emotionalen Stabilität .. der Fähigkeit zur Kommunikation .. der Kreativität und Selbstaufmerksamkeit Förderung meint die bewusste Beeinflussung durch Reifeprozesse oder interaktionsintensives Selbst- bzw. Fremdtraining, den es braucht, so Melchart (vgl. 2003, S.19), die nötige Motivation zur unmittelbaren Umsetzung. Verhaltenhaltensgebundene Faktoren Gesundheitsfördernder Lebensstil Ernährung die Fähigkeit und Bereitschaft zur Freizeit Selbstuntersuchung von Risikofaktoren und Krankheitsbefunde, sowie zur Selbstbehandlung Betonung von Freude, Abwechselung, Herausforderungen und sozialer Beziehungen Umfeld Faktoren Soziokulturelle Faktoren Das Sozialmilieu beeinflusst das Konflikte gesamte Lebensweisenkonzept einer Person und umfasst alle Bereiche der Lebensführung (Ernährung, Wohnen, Arbeit, Freizeit, Konsum, Altersvorsorge) Finanzielle Situation 10
Diplomarbeit/Master-Thesis Salutogenetische Bedingungen Pathogenetische für Gesundheit Risikofaktoren für Krankheit Umfeld Faktoren Ökologische Faktoren Natürliche, bauliche und technische Lärm Umwelt Überschreitung von MAK-Werten Ausreichend Besonnung, Lüftung, (Maximale Arbeitsplatz- privater Freiraum, soziale Konzentration) gibt die maximal Kontaktmöglichkeit, zulässige Konzentration eines Arbeitsplatzökonomie, Komfortgefühl Stoffes am Arbeitsplatz an. Tabelle: vgl. Melchart (2003, S.18f.) 2.1.2.2 Definition von Gesundheit Deutzmann (vgl. 2002, S.179) sieht Gesundheit und Krankheit als ganzheitliche und prozessorientierte Größe des alltäglichen Lebens. Gesundheit steht seiner Meinung nach für ein positives Konzept, dass soziale, persönliche und biologische Faktoren umfasst sowie körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden anstrebt, und auch die Fähigkeit beinhaltet eine gewisse Leidensfähigkeit im Sinne einer Integration und Akzeptanz des Unabänderlichen zu entwickeln, sowie Störungen zu beseitigen oder zu kompensieren (ebd.). Flatschers (vgl. 2010, S.15) Definition von Gesundheit verdeutlicht zusätzlich die Subjektivität des heutigen Gesundheits- und Krankheitsbegriffs. Kranksein bedeutet für Flatscher ein gestörtes Verhältnis zu sich sowie zu seiner Mit- und Umwelt zu haben. Gesundsein ist das prinzipielle Vermögen, sich selbst und gegenüber anderen offen zu sein und diese Offenheit in verschieden möglichen Weisen ausstehen zu können. Diese Definitionen unterstreichen die Tatsache, dass dem Menschen Potentiale, Ressourcen und Kompetenzen zur Verfügung stehen, die sein gesund sein und gesund werden unterstützt, nicht nur für die alltäglichen Bewältigungen als 11
Diplomarbeit/Master-Thesis Widerstandsressourcen im Gesundheitsfall, sondern auch im Krankheitsfall für seine Selbstheilung. 2.2 Wirkung von Erwerbsarbeit Wie am Beginn dieses Kapitels bereits festgestellt, hat die Erwerbsarbeit großen Einfluß auf berufstätige Personen. Siegrist & Möller-Leimkühler (2003) schreiben dazu: „Da der überwiegende Teil der aktiven Bevölkerung einen hohen Anteil bewusster Lebenszeit im Berufsleben verbringt, werden hier die am längsten andauernden Erfolgs- und Misserfolgserfahrungen in Leistungssituationen erzeugt und besteht hier die längste Exposition gegenüber Einflüssen, welche die seelische und körperliche Gesundheit beeinträchtigen“ (S.126). Karazman & Kloimüller & Karazman-Morawetz & Geißler (2004) stellen ebenfalls fest, dass Arbeit einerseits Belastungspotentiale und Krankheitsrisiken beinhaltet: „Arbeit fördert, weil sie fordert, und gefährdet, wo sie überfordert. Die Arbeitswelt trägt einen gesundheitlichen Doppelcharakter, sie ist immer Verausgabung und mitunter Bereicherung.“ (S.2). Im nachfolgenden die Funktionen der Erwerbsarbeit, sowie der Erwerbsarbeit folgenden Krankheits- und Gesundheitspotentiale. 2.2.1 Gesundheitspotentiale Ein Klassiker der empirischen Sozialforschung ist die Marienthal-Studie, in der Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel im Jahr 1933 die Auswirkungen von langer Arbeitslosigkeit in einer Gemeinde untersuchten (vgl. Schulz, 1993, S.276 oder Breig et al., 2007, S.19). In der Studie wurde erstmals klar, dass die Erwerbsarbeit neben der materiellen Existenzsicherung auch in psychosozialer Hinsicht bedeutsam ist (ebd.). 12
Diplomarbeit/Master-Thesis 2.2.1.1 Psychosoziale Funktionen Semmer & Udris (1995, S.133ff.) fassen die psychosoziale Funktionen der Erwerbsarbeit wie folgt zusammen: 2.2.1.1.1 Aktivität und Kompetenz Die Aktivität, die mit Arbeit verbunden ist, ist eine wichtige Vorbedingung für die Entwicklung von Qualifikationen. In der Bewältigung von Arbeitsaufgaben erwerben wir Fähigkeiten und Kenntnisse, zugleich aber auch das Wissen um diese Fähigkeiten und Kenntnisse, also ein Gefühl von Handlungskompetenz. 2.2.1.1.2 Zeitstrukturierung Die Arbeit strukturiert unseren Tages-, Wochen- und Jahresablauf und die gesamte Lebensplanung. Sie gibt uns eine Ordnung, an der wir uns orientieren können. 2.2.1.1.3 Kooperation und Kontakt Die meisten beruflichen Aufgaben können nur in Zusammenarbeit mit anderen Menschen ausgeführt werden. Dies bildet eine wichtige Grundlage für die Entwicklung von kooperativen Fähigkeiten und schafft ein wesentliches soziales Kontaktfeld. 2.2.1.1.4 Soziale Anerkennung Durch die eigene Leistung sowie durch die Kooperation mit anderen erfahren wir soziale Anerkennung, die uns das Gefühl gibt, einen nützlichen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. 2.2.1.1.5 Persönliche Identität Notwendige Kenntnisse und Fähigkeiten zur Beherrschung der Arbeit wie beispielsweise die Berufsrolle, die Arbeitsaufgabe und die Erfahrung bilden eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung von Identität und Selbstwertgefühl. 13
Diplomarbeit/Master-Thesis 2.2.2 Krankheitsrisiken Die industrielle Automatisierung hat zur Abnahme körperlicher aber zur Zunahme mentaler Belastungen geführt. Die gesteigerte informatorische Arbeit hat ebenfalls die Zunahme mentaler und psychischer Beanspruchung untersützt (vgl. Griefahn & Golka 2006, S.653f.). 2.2.2.1 Belastung und Beanspruchung In der Arbeitswissenschaft hat sich um begriffliche Klarheit zu schaffen, ein Konzept durchgesetzt, demzufolge die Belastung eine Einwirkungsgröße und die Beanspruchung eine Auswirkungsgröße darstellt (vgl. Ulich 2005, S.459). Belastungen sind objektiv beschreibbare, von außen auf die Person einwirkende Faktoren, während Beanspruchungen subjektive Folgen von Belastungen sind (vgl. Kirchler, 2005, S.283ff.). Arbeitsbelastungen, ihrem Ursprung entsprechend, fasst Aschauer, A. , Blumberger, W., Harringer, I., Keppelmüller, P., Ratzenböck, I. (2004, S.17) wie folgt zusammen: 2.2.2.1.1.1 Aufgabenbezogene Belastung Unterbrechungen des Arbeitsablaufs, Probleme mit dem Informationsfluss, Monotone Arbeitsbedingungen, Zeitdruck, quantitative und qualitative Überforderung, qualitative Unterforderung 2.2.2.1.1.2 Umgebungsbelastung Beschreibt klimatische Verhältnisse am Arbeitsplatz: Schadstoffe, Lärm, Beleuchtung, ergonomische Einrichtung des Arbeitsplatzes, Luftbelastung 2.2.2.1.1.3 Soziale Belastung Fehlende soziale Unterstützung, schlechtes Betriebsklima, konflikthaltige Arbeitsbeziehungen , restriktives Führungsverhalten 14
Diplomarbeit/Master-Thesis 2.2.2.1.1.4 Betriebliche und überbetriebliche Belastungsfaktoren Arbeitsplatzunsicherheit, Gesundheitsbeeinträchtigende Arbeitszeiten wie Schichtarbeit, Bereitschaftsdienste oder Überstunden, schlechte Arbeits- organisation wie unklare Kompetenz- bzw. Aufgabenaufteilung. Grundsätzlich ist zu beachten, dass diese Belastungsfaktoren im Arbeitsalltag meist kombiniert auftreten und sich dadurch ihre Wirkung verstärkt. Die Wirkungen von arbeitsbezogenen Belastungen haben Kaufmann & Pornschlegel & Udris (1982) tabellarisch zusammengefasst: Belastung Kurzfristige, aktuelle Reaktionen Mittel- bis langfristige chronische Reaktionen physiologisch, - Erhöhte Herzfrequenz - Allgemeine somatisch - Blutdrucksteigerung psychosomatische - Adrenalinausschüttung Beschwerden („Stresshormon“) und Erkrankungen psychisch (Erleben) - Anspannung - Unzufriedenheit, - Frustration Resignation, - Ärger Depression - Ermüdungs-, Monotonie-, Sättigungsgefühle verhaltensmäßig individuell - Leistungsschwankung - Vermehrter Nikotin-, - Nachlassen der Konzentration Alkohol-, Tabletten- - Fehler konsum und Drogen- - Schlechte sensumotorische konsum Koordination - Fehlzeiten (Krankheitstage) sozial - Konflikte - Streit - Aggression gegen Andere - Rückzug (Isolierung) innerhalb und außerhalb der Arbeit Tabelle: Kaufmann & Pornschlegel & Udris (1982, zitiert nach Ulich, 2005, S.460) 15
Diplomarbeit/Master-Thesis 2.2.2.2 Psychosoziale Belastungen Psychosoziale Belastungen beschreiben eine Vielzahl von Einflüssen die auf den Mensch, den Mitarbeiter, einwirken können. Aschauer et al. (2004) stellt dies wie folgt grafisch dar: Abbildung: Psychosoziale Belastungen (Aschauer et al. 2004, S.16) Alltagssprachlich wird mit mentalen, psychischen oder psychosozialen Belastungen der Begriff Stress in Verbindung gebracht, wobei hierbei der negative Anteil von Stress, der so genannte Distress, die Überbelastung oder Überforderung gemeint ist (vgl. Aschauer et al. 2004, S.16). 16
Diplomarbeit/Master-Thesis 2.2.2.2.1 Stress „Fight for your highest attainable aim, But don't put up resistance in vain.“ (Hans Seyle, 1980, S. 11) Stress kann als Reaktionszustand des Organismus unter emotionalen oder körperlichen Belastungssituationen definiert werden. Stressoren sind dabei Reize, die zur Auslösung einer Stressreaktion führen (vgl. Deutzmann, 2002, S.36). Der Begriff Stress wurde in den 1930er Jahren vom Mediziner Hans Selye (1907- 1982) geprägt. „Stress is unavoidable and, in fact, it would be undesireable to avoid it. I have often said that stress is the spice of life; it can be a great stimulus to achievement. Nevertheless, it can cause disease, suffering, and death“ (Seyle, 1980, S.6). Nur ein toter Mensch ist stressfrei, so Selye (ebd.), solange Anforderungen auf Menschen einwirken, und diese existieren, unbewusst auch im Schlaf, ist es notwendig sich anzupassen. Sprechen wir heute von Stress meinen wir damit jedoch den gesundheitsschädlichen Distress. Welche Stressarten gibt es? Abbildung: Immunologischer Effekt bei Eustress & Distress (Sommer & Graf 2002, S.128) 17
Diplomarbeit/Master-Thesis 2.2.2.2.1.1 Eustress Eustress benennt jene Anforderungen an den Organismus, die zur Leistungssteigerung motiviert. Die Anforderungen werden als handhabbare Herausforderung angesehen. Eustress ist für die Gesunderhaltung des Gesamtorganismus gut und notwendig (vgl. Kowalik, 2008, S.47), da er eine Stärkung des Immunsystem bewirkt. 2.2.2.2.1.2 Distress Ist das Ausmaß an Anforderungen auf den Organismus zu groß, führt eine lang andauernde und intensive Einwirkung zur Überforderung und Überbelastung, so spricht man dann von (gesundheitsschädlichen) Distress (vgl. Kowalik, 2008, S.47). Folgende Distress (bzw. alltagsprachlich Stress) Definition liegt dieser Arbeit zugrunde: Stress ist die Anpassung eines Organismus (adaptive Reaktion) auf Reizereignisse, die sein Gleichgewicht stören, seine Fähigkeit zur Bewältigung strapazieren und überschreiten, da er sich ihnen nicht mehr gewachsen fühlt. Stress bezeichnet somit den Zustand in dem sich ein Mensch befinden kann, aber nicht die Ursache die diesen Zustand auslöst; diese nennt man Stressor (Reizereignis). Stress ist insbesondere verbunden mit Kontrollverlust, der mit Gefühlen der Bedrohung, des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit und der Abhängigkeit einhergeht (vgl. Ulich, 2005, S.476). Ob Stress entsteht, so Ulich, hängt daher entscheidend davon ab, ob eine Person in der Lage ist, einen potentiellen Stressor zu bewältigen (ebd., S.475). 18
Diplomarbeit/Master-Thesis 2.2.2.2.2 Stress und Gesundheit In der Stress- und Bedrohungssituation werden überlebenswichtige Körperfunktionen auf Angriff und Flucht mobilisiert, unwichtige Funktionen werden gestoppt. Das Stressreaktionsschema verdeutlicht, dass die im ersten Schritt durch Adrenalin und Noadrenalin mobilisierten Zucker und Fette, falls nicht durch Muskelleistung abgebaut, in den Blutgefäßen ihre Ablagerung finden und als innerer Erreger der häufigsten Zivilisationskrankheiten wirken (vgl. Täube, 1997 zitiert in Deutzmann, 2002, S.37). Im zweiten Schritt führt bei länger andauernden Belastungen, die vermehrte Ausschüttung von Kortisol zu einer nachhaltigen Schwächung der Immunkompetenz, mit einhergehender allgemeinen Krankheitsanfälligkeit (vgl. Kaluza, 2004, S.19, S.24). Abbildung: Stressreaktionsschema, Peternell-Mölzer 2007, S.3 19
Diplomarbeit/Master-Thesis Stressreaktionen, so Deutzmann (vgl. 2002, S.37) sind abhängig vom subjektivem Erleben und können somatische Reaktion zur Folge haben. Es zeigt sich damit, dass emotionale Reaktionen (auf Umwelt- und Lebensbedingungen) zu somatischen Störungen führen können. 2.2.2.2.2.1 Stressbewältigung Ob ein Stressor negativen Stress auslöst, hängt somit stark von der subjektiven Wahrnehmung und Bewertung der Situation durch die Person ab (vgl. Deutzmann, 2002, S.39). Zu persönlichen Bewältigungsmechanismen gehört vor allem das Gefühl der Kontrolle über und erfolgreichen Lösbarkeit der Situation (ebd.). Entspannungstechniken, Meditationsverfahren, Bewegungstrainings, Stretching, Einstellungs- und Verhaltensänderungsprogramme, Mentales Training, Etablierung eines gesunden Lebensstils, Vermeidung gesundheitsschädlicher Kompensationsmechanismen, Aufbau positiver Sozialkontakte sind wissenschaftlich empfohlene Methoden der Stressbewältigung (ebd.). 2.2.2.2.2.2 Gesundheitschädliche Auswirkungen Nach Kaluza (vgl. 2004, S.23ff) sind für gesundheitsschädliche Auswirkungen durch körperlichen Stressreaktionen folgende vier Aspekte relevant: 1. Nicht verbrauchte Energie (fehlendes körperliches Abreagieren) die im Zuge der Stressreaktion freigesetzt wird. 2. Chronische Belastungen bestehen über eine lange Zeit, zusätzlich fehlt es an Erholung und Entspannung, dies führt zu einer erhöhten Widerstandsbereitschaft im Organismus, bis hin zur Erschöpfung. 3. Geschwächte Immunkompetenz durch vermehrte Ausschüttung von Kortisol 4. Gesundheitliches Risikoverhalten wie beispielsweise Zigaretten-, Alkoholkonsum, übermäßiges Essen, Medikamentenmissbrauch, Drogen 20
Diplomarbeit/Master-Thesis oder ungesunde Ernährung können in Belastungssituationen als Teil der Stressreaktion oder als Versuch der Bewältigung verstärkt auftreten. Deutzmann (vgl. 2002, S.38) sieht hinter dem Risikoverhalten systemkonforme selbstschädigende Kompensationsmechanismen. Aus chronischer Stressreaktion folgen mögliche Krankheitsfolgen (Kaluza, 2004, S.16f.): • Gehirn: Einschränkung der Leistungsfähigkeit und Gedächtnisfunktion, Gehirninfarkt • Herz-Kreislauf: Bluthochdruck, Arteriosklerose, Koronare Herzerkrankung, Herzinfarkt • Muskulatur: Kopf-, Rückenschmerzen, Weichteilrheumatismus • Verdauungsorgane: Störungen der Verdauung, Magen-Darm-Geschwüre • Stoffwechsel: Erhöhter Blutzuckerspiegel, Diabetes, erhöhter Cholesterinspiegel • Immunsystem: Verminderte Immunkompetenz, Allergien, Autoimmunerkrankungen • Schmerz: Verringerte Schmerztoleranz, erhöhtes Schmerzerleben • Sexualität: Libidoverlust, Impotenz, Störung der Samenreifung, Infertilität Als weitere Folge chronischer Überbelastung ist das Burnout-Syndrom zu nennen. Das Burnout-Syndrom gilt als Endzustand eines Prozesses der über lange Zeit andauert, in einer Depression münden kann und ist von emotionaler und körperlicher Erschöpfung und reduzierter Leistungsfähigkeit gekennzeichnet (vgl. Nil et al., 2010, S.5). Deutzmann (vgl. 2002, S.38) betont zusätzlich die Tatsache, dass chronischen Schäden eine Genese von 10 und mehr Jahren vorausgeht, dies setzt, so Deutzmann, „eine langandauernde Ignoranz gegenüber schädlichen 21
Diplomarbeit/Master-Thesis Verhaltensweisen, negativen emotionalen Reaktionen, sozialen Bedingungen oder Umwelteinflüssen voraus, die eine Fremdheit gegenüber dem eigenen psychosomatischen System impliziert. Missempfindungen müssen über eine lange Zeit ignoriert oder nicht hinterfragt werden“ (ebd.). 2.2.2.2.2.3 Zahlen belegen Nach der Statistik zu Arbeitsunfällen und arbeitsbezogenen Gesundheitsproblemen der Statistik Austria aus dem Jahr 2007, klagt jeder dritte Erwerbstätige (1,4 Mio. Österreicher und Österreicherinnen bzw. 34%) über psychisch belastende Faktoren am Arbeitsplatz, wobei am häufigsten Zeitdruck oder Überbeanspruchung genannt wurde (vgl. Statistik Austria, 2007, S.24). Die nachfolgende Abbildung zeigt die schwersten arbeitsbedingten Gesundheitsprobleme. Tabelle: Statistik Austria (2007, S.26) 22
Diplomarbeit/Master-Thesis Befragt nach den arbeitsbedingten Gesundheitsprobleme die zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Alltags führen wurden Knochen- (Hüften-), Gelenks- und Muskelprobleme, Atemprobleme, Kopfschmerzen und Herz- Kreislauf-Erkrankungen sowie Probleme mit Stress bzw. Depression genannt, wobei sich 29,7% der Frauen und 27,8% der Männer davon betroffen fühlten. Derartige Ergebnisse zeigen das psychosoziale und emotionale Belastungen zu Krankheit führen oder den Gesundheitszustand verschlechtern können. Deuztmann (vgl. 2002, S.40f.) sieht daher im ganzheitlichen Verständnis des Menschen, in der Verbindung von Körper und Psyche, in der aktiven Beteiligung der Patienten am Heilungsgeschehen und in der psychosozialen Betreuen eine steigende Nachfrage. 2.3 Trends in der Arbeitswelt Nachfolgend ein kurzer Überblick über Trends in der Arbeitswelt. 2.3.1 Arbeit in der Krise – die Krise in der Arbeit? Schwindendes Vertrauen, Verlust von gegenseitigen Respekt und Gemeinsamkeiten im Denken, Fühlen und Handeln ist, so Bernhard Badura das Hauptproblem der derzeitigen Wirtschaftskrise (vgl. Badura & Schröder & Klose & Macco, 2009, S.3ff). Werden Gruppen und Organisationen nur noch durch Zwang und Geld zusammengehalten, dann entwickeln sie sich zu Risikofaktoren für ihre Mitglieder so Badura weiter (ebd.). Weiters sinkt die Fähigkeit zum Umgang mit Herausforderungen, es sinkt die Lern- und Leistungsbereitschaft und es leiden Gesundheit und Loyalität (ebd.). Der Mitarbeiter muss vermehrt als Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg gesehen werden. Bildung und Gesundheit sind dabei die zentralen Elemente des Humanvermögens der Organisation. Sie bestimmen als Voraussetzung die 23
Diplomarbeit/Master-Thesis Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft, Qualität und Effizienz der Kooperationen (vgl. Badura, 2009, S.5). 2.3.2 Betriebliches Sozialkapital „Menschen die sich wohl fühlen, leisten mehr und bessere Arbeit als Menschen, die seelisch oder körperlich beeinträchtigt sind.“ (Badura, 2009, S.8f.) Kooperatives und an gemeinsamen Zielen orientiertes Handeln erfordert soziale Vernetzung der Organisationsmitglieder und vertrauensvolle Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen, Werte und Regeln – mit anderen Worten: Sozialkapital (vgl. Badura, 2009, S.7). Es trägt dazu bei, dass die Mitglieder einer Organisation einander vertrauen und ihre Arbeit als sinnvoll, verständlich und beeinflussbar erleben. Investitionen in das betriebliche Sozialkapital verspricht die größte Effizienz und den größten Gewinn, für Mitarbeiter und Unternehmen (vgl. Badura, 2009, S.9). Dies meint Investitionen durch eine Stärkung der Mitarbeiterorientierung, von Vertrauen, Kommunikation und Wertschätzung, durch Partizipation und Transparenz lassen sich beträchtliche Verbesserungen im Betriebsergebnis und im Wohlbefinden der Mitarbeiter erzielen, wie eine eben abgeschlossene Interventionsstudie aufzeigt (ebd.). Die aktuelle Finanzkrise, als Krise der alten Ökonomie, sieht Horx (vgl. 2009) als möglichen Lernprozess, in dem das kapitalistische System vor der Herausforderung steht sich um zu gestalten bzw. sich neu zu konfigurieren. Er sieht den Kapitalismus nicht am Ende, sondern in einer Phase des rekonstruieren. In diesem echten Wandel, hin zu einem wie er sagt „kreativen Kapitalismus“, müssen wir uns, so Horx, von der Wachstumsvorstellung lösen, den die Steigerung von materiellen Wohlstand führe letztendlich nicht weiter. Vielmehr 24
Diplomarbeit/Master-Thesis geht es um die Änderung in der Bewertung von Fortschritt und Veränderung, neben dem materiellen Wohlstand geht es dabei um Fragen nach der Sinnhaftigkeit und spirituellen Orientierung in der Gesellschaft. Dabei wird es notwendig, die Angst vor Veränderung hinter sich zu lassen, um der Lust und Fähigkeit auf den Wandel Platz zu machen. 2.3.3 Der Gesundheitssektor als Wachstumslokomotive im 21. Jhdt. Der Gesundheitssektor, so Horx (2010b), wird sich zum Kernsektor der kommenden Ökonomie entwickeln. Eine alternde Bevölkerung erzeugt einen Wertewandel hin zu mehr Gesundheitsvorsorge und einem aktiveren körperlichen Verhalten. Der Wellness-Boom wird sich von der „passiven Entspannung“ hin zum aktiven „Empowerment-Lebensstil“ weiterentwickeln. Die Ausweitung der eigenen Gesundheitspotentiale als neue Lebenskunst und Selbstkompetenz wird zum zentralen Begriff. Nach Nikolai Dmitrijewitsch Kondratjew's Theorie der langen Wellen in der Konjunktur kennt die Marktwirtschaft keinen gleichförmigen Verlauf, vielmehr wechseln Aufschwung (Konjunktur) und Abschwung (Rezession) einander regelmäßig ab. Neben kurzen und mittleren Wirtschaftsschwankungen treten auch lange Schwankungen, mit Perioden zwischen 40-60 Jahren, auf; diese werden Kondratieffzyklen genannt (vgl. Nefiodow 2010). Leo Nefiodow (2010) gilt als einer der bekanntesten Vertreter der Theorie der langen Wellen. Er sagt mit dem sechsten Kondratieff-Zyklus voraus, dass der Gesundheitssektor die Wachstumslokomotive im 21. Jahrhundert sein wird (vgl. Nefiodow 2010). Es bedarf jedoch einer Transformation, so Nefiodow, in der die Gesundheit, nicht die Krankheit im Vordergrund steht und eine ganzheitlicher Sicht von Gesundheit, in der körperliche, seelische, geistige, soziale, ökologische und spirituelle Gesichtspunkte Betrachtung finden. 25
Diplomarbeit/Master-Thesis 2.4 Zusammenfassung: Arbeit und Gesundheit Es wurde gezeigt, dass Gesundheit als prozessorientierte Größe verstanden wird, die sich zwischen Wohlbefinden und Missempfinden bewegt und die individuelle- und Umfeldfaktoren umfasst, die ihrerseits Potentiale und Ressourcen beschreiben, die dem Mensch zur Verfügung stehen, um seine Gesundheit immer wieder aufs neue zu erhalten oder wiederzuerlangen. Im Sinne einer ganzheitlichen Denkweise besteht die Gesunderhaltung aus salutogenetischer Gesunderhaltung und pathogeneser Kranheitsbewältigung. Der persönliche Prozess der Salutogenese versucht die Gesundheit auf natürliche Weise zu erhalten, die Frage: „Was erhält uns gesund?“ steht im Vordergrund. Das Kohärenzgefühl ist dabei ein wesentliches Konzept. Die Pathogenese fragt nach den Bedingungen und Risikofaktoren unter denen sich Krankheit entwickelt, die Frage: „Was macht uns krank?“ steht im Vordergrund. Die Erwerbsarbeit hat einen großen Einfluss auf den arbeitenden Menschen. Dieser umfasst wesentliche Gesundheitspotentiale auf der einen und Krankheitsrisiken auf der anderen Seite. Lang andauernde (psychosoziale) Belastungen und chronischer Stress führen zur Gesundheitsschädigung und unterschiedlichen (psychosomatischen) Krankheiten aufgrund geschwächter Immunkompetenz, fehlendem körperlichen Abreagieren und daraus folgenden, sozial akzeptierten, selbstschädigenden Kompensations-Risikoverhalten. Gemeinsam mit Risikofaktoren wie Übergewicht, Bewegungsarmut, Bluthochdruck, hoher Cholesterinspiegel ist dies die Beste Vorbedingung um an chronisch-degenerativen Leiden, sogenannten Zivilisationskrankheiten zu erkranken. Bildung und Gesundheit sind die Investitionsfelder der Zukunft und sie sind die Voraussetzungen für hohe Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft sowie für den wirtschaftlichen Erfolg der Organisation. Glaubt man den Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern so wird der Gesundheitssektor zur Wachstumslokomotive des 21. Jahrhunderts. 26
Diplomarbeit/Master-Thesis 3 Gesundheitsförderung „Gesundheitsarbeit ist Gesundheitspädagogik an sich selbst und als Multiplikator an anderen.“ (Melchart, 2003, S.76) Gesundheitsförderung verfolgt das Ziel, über die Stärkung von Ressourcen die Gesundheit der Menschen zu verbessern. Ansatzpunkte sind entweder die Individuen, man spricht von verhaltensbezogenen Interventionsmaßnahmen, oder die Rahmenbedingungen, man spricht von verhältnisbezogenen Interventionsmaßnahmen (vgl. Peternell-Mölzer, 2007). Karazman et al. (2004, S.4) betont, daß Gesundheitsförderung dann besonders wirkungsvoll ist, wenn verhaltensbezogene und verhältnisbezogene Interventions- maßnahmen miteinander kombiniert werden. Karazman verdeutlicht dies mit einem durchgeführten Rückenschmerzprojekt. So haben Bewegungsprogramme, die nur an der Wirbelsäule angesetzt waren, keine langfristigen Effekte gezeigt. Erst unter Berücksichtigung der Verhältnisänderungen zusammen mit den Verhaltensmaßnahmen am Arbeitsplatz haben sich anhaltende positive Effekte zeigen lassen. 3.1 Begriffsbestimmung Karazman et al. (2004) unterscheidet in der Definition von Gesundheitsförderung zwischen Therapie, Prävention und Gesundheitsförderung. Therapie, so Karazman (vgl. 2004, S.1), belebt zerstörte Ordnung, Prävention vermeidet gestörte Ordnung und Gesundheitsförderung unterstützt erhaltene Ordnung. Umgangssprachlich wird der Begriff Gesundheitsförderung jedoch meist als Oberbegriff verwendet, der die Prävention mit einschließt (vgl. Peternell-Mölzer, 2007). Dies wird anhand folgender Beispiele klarer: 27
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