Zeig mir die Gebärdensprachen dieser Welt - Der erste linguistische Atlas für Gebärdensprachen geht online

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Beitrag aus: DAS ZEICHEN 115/2020 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser
                                                      (https://ggkg.online/das-zeichen)
L INGU IS TIK

                  Zeig mir die Gebärdensprachen dieser Welt
                  – Der erste linguistische Atlas
                  für Gebärdensprachen geht online
                  VON VON ANNIKA MITTELSTÄDT, MARKUS STEINBACH UND JANA HOSEMANN

                  Was wissen wir über die Gebärden-         reichen der Linguistik ein relativ jun-   lung darf allerdings nicht darüber
                  sprachen der Welt, über Gebärden-         ges Forschungsgebiet. In Deutschland      hinwegtäuschen, dass es nach wie
                  sprachgemeinschaften, über Ge-            begann die Erforschung der Deut-          vor auch noch viele Länder gibt, in
                  bärdensprachfamilien oder über            schen Gebärdensprache (DGS) 1981          denen die lokalen Gebärdensprachen
                  Gemeinsamkeiten und Unterschie-           mit der Gründung der Forschungs-          noch so gut wie gar nicht erforscht
                  de zwischen Gebärdensprachen?             stelle DGS an der Universität Ham-        sind. Wenn die jeweiligen Standorte
                  Im Vergleich zu Lautsprachen: im-         burg. Aus dieser ist dann zunächst        der Gebärdensprachforschung in den
                  mer noch viel zu wenig. Seit 2016         das Zentrum und später das Institut       unterschiedlichen Ländern auf dieser
                  arbeitet deshalb ein internationa-        für Deutsche Gebärdensprache und          Welt wie einzelne Glühbirnen leuch-
                  les Projektteam unter Federfüh-           Kommunikation Gehörloser (IDGS)           ten würden, dann könnte man sich
                  rung der Universität Göttingen an         sowie die Gesellschaft für Gebärden-      einen Globus vorstellen, auf dem es
                  der Konzeption und Umsetzung ei-          sprache und Kommunikation Gehör-          an manchen Stellen (z. B. in Europa)
302   DZ 115 20   nes online frei verfügbaren Atlas         loser e. V. hervorgegangen (Prillwitz     sehr hell leuchtet, an anderen Stel-
                  der sprachlichen Strukturen der Ge-       1987). Auf dieser Grundlage entwi-        len nur etwas flimmert und an vie-
                  bärdensprachen dieser Welt. Der At-       ckelte sich in Hamburg ein fruchtba-      len Stellen leider immer noch sehr
                  las stellt auf Weltkarten Informa-        res neues Forschungsgebiet mit einer      dunkel ist.
                  tionen zu über 200 grammatischen          großen Anwendungsorientierung.                Es hat sich in den letzten Jahr-
                  und soziohistorischen Eigenschaf-         Einen zweiten großen Aufschwung           zehnten eindrucksvoll gezeigt, dass
                  ten von etwa 100 Gebärdensprachen         gab es in der Gebärdensprachlingu-        die Erforschung einzelner Gebärden-
                  anschaulich dar. Ergänzend gibt es        istik in Deutschland dann in den letz-    sprachen viele wichtige Puzzletei-
                  zu jeder der dargestellten Gebärden-      ten 25 Jahren mit zahlreichen neuge-      le für ein besseres Verständnis von
                  sprachen eine Seite mit individuel-       gründeten Forschungs- und Lehrein-        Gebärdensprachen im Besonderen
                  len linguistischen und soziohisto-        richtungen. Weltweit sieht es im Be-      und menschlicher Kommunikation
                  rischen Fakten. Der Atlas ist damit       reich der Gebärdensprachlinguistik        im Allgemeinen liefert. Eine wich-
                  die bislang ausführlichste systema-       nicht grundsätzlich anders aus: Die       tige Voraussetzung dafür ist natür-
                  tische, typologische Darstellung von      USA verfügen über die längste Tradi-      lich eine bessere Vernetzung der For-
                  Gebärdensprachen. Die Arbeiten am         tion der Gebärdensprachforschung          schung zu den einzelnen Gebärden-
                  Atlas sind nun weitgehend abge-           – hier kam der Durchbruch in den          sprachen, denn auf diese Weise wer-
                  schlossen und die ersten Ergebnis-        1960er-Jahren. Aktuell ist die Ame-       den systematische Vergleiche zwi-
                  se können ab Anfang Juli auf www.         rikanische Gebärdensprache (Ame­          schen den verschiedenen Gebärden-
                  sign-hub.eu eingesehen werden.            rican Sign Language, ASL) die Gebär-      sprachen dieser Welt und zwischen
                                                            densprache, die weltweit am bes-          Gebärden- und Lautsprachen erst
                                                            ten untersucht ist. In Brasilien er-      möglich. Diese typologischen Un-
                  Gebärdensprachforschung                   hielt die Forschung zur Brasiliani-       tersuchungen, also die sprachver-
                  weltweit vernetzen                        schen Gebärdensprache (Língua Bra­        gleichende Erforschung von Gebär-
                                                            sileira de Sinais, Libras) ähnlich wie    densprachen, ist ein vergleichswei-
                  Wie viele Gebärdensprachen gibt es        die Forschung zur DGS mit der offi-       se junges Forschungsgebiet, das es
                  auf unserer Welt eigentlich? Und sind     ziellen Anerkennung im Jahr 2002          erst seit Anfang des neuen Millenni-
                  manche Gebärdensprachen mitein-           einen starken Auftrieb. In Uruguay        ums, also seit knapp 20 Jahren, gibt.
                  ander verwandt oder zumindest in ih-      gibt es hingegen erst seit knapp 10       Mittlerweile ist die Gebärdensprach-
                  rer Struktur ähnlicher als andere Ge-     Jahren Forschung zur lokalen Gebär-       typologie aber ein fruchtbarer eigen-
                  bärdensprachen? Die wissenschaftli-       densprache, der Urugayischen Ge-          ständiger Forschungszweig gewor-
                  che Erforschung von Gebärdenspra-         bärdensprache (Lengua de Señas Uru­       den (Zeshan 2004a; 2004b; Pfau &
                  chen ist im Vergleich zu anderen Be-      guaya, LSU). Diese positive Entwick-      Steinbach 2006; Perniss, Pfau & Stein-

          Herausgeber der Zeitschrift DAS ZEICHEN ist die Gesellschaft für Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser (GGKG) e.V.
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bach 2007). Da dieses Forschungsge-              Diese Überlegungen waren vor           Dokumentarfilm zu den Lebensge-
biet aber bisher relativ klein ist, gilt   fünf Jahren der Antrieb für eine Grup-       schichten tauber Senior*innen on-
nach wie vor, dass wir viel zu wenig       pe europäischer Gebärdensprach­              line frei zugänglich.
über die Gemeinsamkeiten und Un-           for­­scher*innen: So entstand bei der
terschiede zwischen Gebärdenspra-          Konzeption des Projektes The Sign-         Die Laufzeit des Projektes war auf
chen wissen: In welchen Eigenschaf-        Hub (EU, Horizon 2020) die Idee, ei-       vier Jahre, von 2016 bis 2020, ange-
ten unterscheiden sich eigentlich asi-     nen interaktiven digitalen Atlas spe-      setzt und endet im Juli dieses Jahres.
atische Gebärdensprachen von eu-           ziell für Gebärdensprachen zu ent-         Das Team der Georg-August-Univer-
ropäischen Gebärdensprachen? Un-           wickeln. The Sign-Hub ist ein euro-        sität Göttingen ist an drei der vier
terscheiden sich Gebärdensprachen          paweites Projekt, an dem Universi-         Teilprojekte (Grammatik, Atlas und
auf allen Ebenen der Grammatik oder        täten aus sieben Ländern beteiligt         Lebensgeschichten) beteiligt (Brink-
gibt es Bereiche, in denen sie sich        sind: Deutschland, Frankreich, Israel,     mann et al. 2017). Für die Konzeption
ähnlicher sind als in anderen? Und         Italien, die Niederlande, Spanien und      und Erstellung des Atlas ist das Göt-
gibt es universale modalitätsspezi-        die Türkei. Innerhalb dieses Verbund-      tinger Team hauptverantwortlich.
fische Eigenschaften, die alle Gebär-      projektes gibt es vier Teilprojekte, die
densprachen miteinander teilen?            eng vernetzt sind, dabei aber eigene       Ein Atlas für                            DZ 115 20   303
    Bislang fehlen noch wesentliche        Ideen und Ziele verfolgen und jeweils      Gebärdensprachen
Daten für einen verlässlichen wis-         ein eigenes Produkt erzeugen. Die Er-
senschaftlichen Vergleich von Ge-          gebnisse der vier Teilprojekte werden      Begibt man sich im Internet auf die
bärdensprachen untereinander und           zusammen in einer Online-Plattform         Suche nach der Anzahl der Gebär-
von Gebärdensprachen mit Lautspra-         kostenlos im Internet zur Verfügung        densprachen auf dieser Welt, nach
chen. Daher ist der Bedarf an Infor-                 www.sign-hub.eu):
                                           gestellt (www.sign-hub.eu                  den Ländern, in denen die einzelnen
mationen für ein besseres Verständ-        l Teilprojekt 1: Grammatik – in die-       Gebärdensprachen verwendet wer-
nis von modalitätsspezifischen und            sem Teilprojekt wurden erste Ka-        den, und nach grammatischen Eigen-
modalitätsübergreifenden sprach-              pitel von Referenzgrammatiken zu        schaften einzelner Gebärdenspra-
lichen Universalien sehr groß. Die            sechs Gebärdensprachen erstellt.        chen, begegnen einem bspw. die fol-
globale Vernetzung, neue technische           Die Website bietet die Möglichkeit,     genden, sehr unterschiedlichen Infor-
Ressourcen und das starke Interesse           in Zukunft die einzelnen Gram-          mationen zur Anzahl der Gebärden-
an der Erforschung von Gebärden-              matiken zu erweitern und weitere        sprachen (alle Internetadressen sind
sprachen haben in den letzten Jahren          Grammatiken zu anderen Gebär-           am Ende des Artikels aufgelistet):
dazu geführt, dass das Wissen über            densprachen zu integrieren.             l Wikipedia: 212 Gebärdensprachen;

die Strukturen und die Geschichte          l Teilprojekt 2: Atlas der sprachlichen    l Glottolog: 135 Gebärdensprachen,

verschiedener Gebärdensprachen                Strukturen der Gebärdensprachen           zusätzlich werden noch 56 soge-
immer besser geteilt werden kann.             dieser Welt.                              nannte Dorfgebärdensprachen
Eine Vernetzung zwischen den un-           l Teilprojekt 3: Assessment – in die-        (rural sign languages) genannt (vgl.
terschiedlichen ‚Glühbirnen‘ auf un-          sem Teilprojekt wurden für vier Ge-       Zeshan 2012);
serer Weltkarte, ein Austausch über           bärdensprachen Testinstrumen-           l Ethnologue: 144 Gebärdenspra-

Länder und Kontinente hinweg – so             te zur Bewertung der Gebärden-            chen;
könnten die linguistische Forschung           sprachkompetenz von Signer*innen        l World Atlas of Language Structures:

und das Wissen über die Gebärden-             entwickelt. Die Test­instrumente          40 Gebärdensprachen.
sprachen dieser Welt auch das Be-             können nun online genutzt werden.
wusstsein über und das Verständ-           l Teilprojekt 4: Lebensgeschichten         Der wegweisende World Atlas of
nis für Gebärdensprachen nachhal-             – in diesem Teilprojekt wurde ein       Language Structures Online (WALS)
tig fördern. Das ist eines der zentra-        digitales Archiv zur Dokumenta-         gibt den Nutzer*innen der Website
len Anliegen des Atlas der sprachli­          tion der Lebensgeschichten tauber       die Möglichkeit, sich die Verteilung
chen Strukturen der Gebärdenspra­             Senior*innen entwickelt. Ein Teil       von vielen verschiedenen gramma-
chen dieser Welt.                             der Videos ist zusammen mit einem       tischen Kategorien innerhalb der
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                  (Laut-)Sprachen dieser Welt auf einer    matische und soziohistorische Infor-      ten, hatten wir uns entschlossen, die
                  Karte anzeigen zu lassen. Zum Bei-       mationen für so viele Gebärdenspra-       ganzen Daten mithilfe von umfang-
                  spiel werden dort die Eigenschaften      chen wie möglich gesammelt und            reichen Online-Fragebögen zu sam-
                  von Lautinventar, Pluralbildung oder     die Ergebnisse sowohl für die ein-        meln. Unsere Idee war es, Online-Fra-
                  Wortstellung für über 2.600 Lautspra-    zelnen Sprachen als auch sprachver-       gebögen zu erstellen, die dann welt-
                  chen dargestellt. Aufgrund der im        gleichend auf Weltkarten abgebildet       weit an Expert*innen der jeweiligen
                  WALS erfassten großen Anzahl von         werden mussten.                           Gebärdensprachen – an sogenannte
                  Sprachen ist mithilfe der Seite sowohl        Zum anderen bietet der Atlas         Content-Provider – verschickt wur-
                  ein systematischer Vergleich ausge-      langfristig die Möglichkeit, diese de-    den. Dadurch konnten wir Personen
                  wählter Sprachen als auch eine Über-     taillierten typologischen Informatio-     erreichen, die überall auf der Welt zur
                  sicht über universale Tendenzen bei      nen für systematische Auswertun-          Grammatik, Geschichte und Kultur
                  der Realisierung einzelner grammati-     gen im Rahmen von sprachverglei-          von Gebärdensprachen und Gebär-
                  scher Kategorien möglich. Allerdings     chenden grammatischen und sozio-          densprachgemeinschaften arbeiten
                  sind im WALS wie oben erwähnt nur        linguistischen Studien auszuwerten.       und so Daten zu den jeweiligen Ge-
                  40 Gebärdensprachen dokumen-             So lässt sich z. B. auf einer Weltkarte   bärdensprachen zusammentragen:
304   DZ 115 20   tiert. Bedenkt man hingegen, dass es     anzeigen, welche Gebärdensprachen         z. B. in Brasilien, Frankreich, Austra-
                  weltweit etwa 200 bekannte und wo-       ein einhändiges Fingeralphabet ha-        lien, Hongkong usw. Bei der Umset-
                  möglich noch viele weitere, der For-     ben (wie bspw. DGS) und welche ein        zung dieses Vorgehens mussten wir
                  schung bisher nicht hinreichend be-      zweihändiges (wie bspw. die Britische     drei zeitlich parallel zueinander ab-
                  kannte Gebärdensprachen gibt, ist        Gebärdensprache, British Sign Lan­        laufende Aufgabenbereiche bewäl-
                  diese Zahl keineswegs repräsenta-        guage, BSL). Oder es lässt sich heraus-   tigen.
                  tiv. Hinzu kommt die überschauba-        finden, welche Gebärdensprachen auf
                  re Menge an dargestellten gramma-        der Welt schon als nationale Amts-        Aufgabe 1
                  tischen Informationen zu den 40 Ge-      sprache (oder Minderheitensprache)
                  bärdensprachen: Während im WALS          anerkannt wurden und welche nicht.        Es musste eine Online-Plattform ent-
                  die deutsche Lautsprache mit über        Die DGS ist in Deutschland zwar als       wickelt werden, auf der sowohl die
                  150 linguistischen Merkmalen gut         Sprache anerkannt, nicht aber als         Fragebögen erstellt als auch die Ant-
                  dokumentiert ist, ist die Deutsche Ge-   Amtssprache. In Neuseeland hinge-         worten der Content-Provider gespei-
                  bärdensprache mit nur drei Einträgen     gen ist die Neuseeländische Gebär-        chert, ausgewertet und für den At-
                  lediglich in Ansätzen repräsentiert.     densprache (New Zealand Sign Lan­         las aufbereitet werden konnten (vgl.
                       Das heißt, dass es zu Beginn des    guage, NZSL) neben Englisch und           Abb. 1). Diese Herausforderung wur-
                  Projekts keinen Atlas gab, der die       Maori auch als Amtssprache offiziell      de von einer italienischen IT-Firma
                  Gebärdensprachen dieser Welt an-         anerkannt. Der Atlas bietet also viel-    übernommen, die in enger Abstim-
                  gemessen erfasst hätte. Dies zu än-      seitige Informationen zu vielen ver-      mung mit unseren italienischen
                  dern, war ein wichtiges Ziel unse-       schiedenen Gebärdensprachen.              Projektpartnern und dem Göttin-
                  res Sign-Hub-Teilprojekts. Der Atlas                                               ger Team gearbeitet hat. Bei der Ent-
                  der sprachlichen Strukturen der Ge­      Die Entwicklungsphasen des                wicklung und Programmierung der
                  bärdensprachen dieser Welt erfüllt       Atlas                                     Online-Plattform wurden zahlreiche
                  zwei Funktionen: Erstens, so vie-                                                  Testphasen durchgeführt. Ganz kon-
                  le bekannte Gebärdensprachen wie         Wie sammelt man nun eine so gro-          kret bedeutete das, dass regelmäßig
                  möglich zu erfassen und abzubilden       ße Menge an verschiedenen Infor-          eine neue Update-Version der Platt-
                  und zweitens, so viele Informatio-       mationen zu so vielen unterschied-        form entwickelt wurde, welche dann
                  nen wie möglich zu den Gebärden-         lichen Gebärdensprachen? Da wir           von uns auf bugs – also auf Fehler –
                  sprachen aufzubereiten und visuell       für unseren Atlas, anders als die         geprüft wurde. Unsere wesentliche
                  transparent darzustellen. Für die Um-    Entwickler*innen des WALS, nicht auf      Aufgabe in dieser Phase war es, Pro-
                  setzung bedeutete dies ganz konkret,     umfangreiche Grammatiken von Ge-          bleme in der jeweils aktuellen Up-
                  dass zum einen umfangreiche gram-        bärdensprachen zurückgreifen konn-        date-Version zu finden und diese für
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Abb. 1: Bildschirmfoto der Plattform, auf der die Fragebögen gebaut wurden (Edit Mode). Hier die oben schon erwähnte Frage zum ein-
oder zweihändigen Fingeralphabet

die Optimierung zu dokumentieren.             Aufgabe 2                                      male im Atlas erfasst und abgebildet
Unser Feedback wurde anschließend                                                            werden sollten. Als nächstes mussten         DZ 115 20   305
von den italienischen Projektpart-            Es musste inhaltlich festgelegt wer-           wir uns dann überlegen, wie wir die-
nern übernommen, sodass die auf-              den, welche (grammatischen) Ei-                se Informationen mithilfe eines Fra-
getretenen Fehlfunktionen weitest-            genschaften über die Gebärdenspra-             gebogens abfragen könnten. Daraus
gehend behoben werden konnten.                chen abgefragt werden sollten, also            ergab sich ein umfangreicher Kata-
Auf diese Weise wurde wieder eine             die inhaltliche Ausarbeitung der On-           log an strukturierten Fragen, die den
aktualisierte Update-Version des Sys-         line-Fragebögen (vgl. dazu das Bei-            Umfang des gesamten Atlas klar de-
tems entwickelt. Schritt für Schritt          spiel in Abb. 2). Dabei haben wir als          finierten. Wir haben dabei insgesamt
konnte so eine stabile Plattform für          erstes in enger Absprache mit allen            240 Fragen zu über 200 grammati-
die Erstellung der Fragebögen, die Si-        Projektpartner*innen von The Sign-             schen und soziohistorischen Eigen-
cherung der Daten und die Entwick-            Hub entschieden, welche gramma-                schaften von Gebärdensprachen ent-
lung der Website aufgebaut werden.            tischen und soziohistorischen Merk-            worfen. Da dies für einen Fragebogen

                  Abb. 2: Bildschirmfoto von einer Frage zu irregulärer Negation aus dem Fragebogen 2 zu Morphologie
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                  zu viele Fragen gewesen wären, ha-       mationen zum soziohistorischen           Beispiel hat uns ein Content-Provider
                  ben wir daraus vier Fragebögen zu        Hintergrund einer Gebärdenspra-          darauf hingewiesen, dass die Schotti-
                  unterschiedlichen linguistischen         che. Fragen zur Pragmatik befass-        sche Gebärdensprache wohl nicht als
                  Themenbereichen gemacht:                 ten sich mit dem Gebrauch sprach-        eigenständige Gebärdensprache auf-
                  1. Phonologie & Lexikon                  licher Äußerungen, wie z. B. der Mar-    gefasst werden kann, sondern eher
                  2. Morphologie                           kierung neuer Information in einem       als Dialekt der BSL zu gelten hat. Old
                  3. Syntax                                Satz oder der pragmatischen Nut-         Kentish Sign Language und Monastic
                  4. Pragmatik & soziohistorische          zung des Gebärdenraums. Der Teil         Sign Language werden in Gebärden-
                     Grundlagen                            zum soziohistorischen Hintergrund        sprachlisten noch häufig genannt, al-
                                                           erhob u. a. Informationen zur Größe      lerdings sind diese ausgestorben. Au-
                  Hinsichtlich des Aufbaus der Frage-      der Gebärdensprachgemeinschaft           ßerdem war Monastic Sign Language
                  bögen orientierten wir uns an der        oder auch zum gesetzlichen Status        keine natürliche Gebärdensprache ei-
                  SignGram Blueprint (Quer et al. 2017),   einer Gebärdensprache in dem jewei-      ner Gebärdensprachgemeinschaft,
                  einer online frei verfügbaren Anlei-     ligen Land.                              sondern ein gestisches Kommuni-
                  tung zur Erstellung von Referenz-            Bis hierhin haben wir uns mit der    kationssystem, das von christlichen
306   DZ 115 20   grammatiken zu Gebärdensprachen,         technischen Umsetzung der Frage-         Mönchen in Schweigeperioden ge-
                  die auch die Grundlage für das Teil-     bögen und mit deren Inhalt beschäf-      nutzt wurde (Pfau 2012).
                  projekt Grammatik bildete. Der erste     tigt. Fehlen nun noch die Personen,           Nachdem wir unsere Liste der Ge-
                  Fragebogen zu Phonologie und Lexi-       die die Fragebögen ausfüllen sollen      bärdensprachen dieser Welt auf der
                  kon beschäftigte sich mit den kleins-    – die Content-Provider.                  Grundlage von Glottolog, Ethnologue
                  ten Elementen einer Gebärdenspra-                                                 und Wikipedia erstellt hatten, such-
                  che, also den Handformen, der Orien-     Aufgabe 3                                ten wir nach Content-Providern für
                  tierung, dem Gebärdenraum usw.                                                    so viele Gebärdensprachen wie mög-
                  In diesem Zusammenhang interes-          Die dritte große Herausforderung         lich. Aufgrund der sehr unterschied-
                  sierten wir uns auch für das Lexi-       war, eine Liste der bekannten Gebär-     lichen akademischen Voraussetzun-
                  kon (also das Gebärdeninventar) ei-      densprachen zu erstellen und mögli-      gen in den einzelnen Ländern hatten
                  ner Gebärdensprache. Gefragt wur-        che Content-Provider, die für das Aus-   manche Content-Provider ein spezi-
                  de z. B., ob es in einer Gebärdenspra-   füllen der Fragebögen in Betracht ge-    alisiertes linguistisches Fachwissen,
                  che viele Gebärden gibt, die aus ei-     zogen werden konnten, für so viele       wohingegen andere keine speziel-
                  ner anderen Gebärdensprache über-        Gebärdensprachen wie möglich zu          le linguistische Ausbildung hatten,
                  nommen wurden. Der zweite Frage-         finden. Durch unsere Recherche ka-       ein Unterschied, der auch Auswir-
                  bogen zu Morphologie befasste sich       men wir auf 219 dokumentierte Ge-        kungen auf die Gestaltung der Fra-
                  mit der Struktur und der Bildung ein-    bärdensprachen (vgl. Abb. 3), wobei      gebögen hatte. Wir kommen auf die-
                  zelner Gebärden. Hier gab es bspw.       in manchen Fällen nicht klar war, ob     sen Punkt im nächsten Abschnitt zu-
                  Fragen zu Komposita, also, ob es zu-     es sich um eine eigenständige Gebär-     rück. Insgesamt fanden wir weltweit
                  sammengesetzte Gebärden gibt, die        densprache oder einen Dialekt han-       Expert*innen für knapp 100 Gebär-
                  aus zwei einzelnen Gebärden beste-       delt. Besondere, d. h. uns unbekann-     densprachen. Darunter waren natür-
                  hen. Der dritte Fragebogen zur Syn-      te Gebärdensprachen waren u. a.:         lich gut dokumentierte Gebärden-
                  tax war der umfangreichste und be-       Ghandruk Sign Language (eine Ge-         sprachen, wie ASL, BSL, DGS oder die
                  fasste sich mit der Bildung einfacher    bärdensprache in Nepal), Selangor        Australische Gebärdensprache (Aus­
                  und komplexer Sätze. Eine Frage in       Sign Language (eine Gebärdenspra-        tralian Sign Language, Auslan). Hier
                  diesem Fragebogen war z. B., ob in ei-   che in Malaysia) und Yucatec Maya        standen für jeden Fragebogen meh-
                  ner Gebärdensprache das Verb typi-       Sign Language (eine Gebärdenspra-        rere Expert*innen zur Verfügung.
                  scherweise vor oder nach dem Ob-         che in der Yucatán-Region in Mexiko).    Wir fanden aber auch Expert*innen
                  jekt steht. Der vierte und letzte Fra-   Interessant waren auch solche Fälle,     für weniger gut dokumentierte Ge-
                  gebogen erhob sowohl pragmati-           in denen unklar war, ob es diese Ge-     bärdensprachen wie Seychelles Sign
                  sche Informationen als auch Infor-       bärdensprache gibt oder nicht. Zum       Language oder Papua New Guinean
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                                                                                                                                            DZ 115 20   307

Abb. 3: Der Atlas auf der Sign-Hub-Webseite. Diese Seite zeigt alle gelisteten Gebärdensprachen der Welt. Zu ca. 100 davon haben wir auch
grammatische und soziohistorische Daten bekommen

Sign Language. Für diese Gebärden-             welche Hürden und Schwierigkeiten              fache, für alle gut verständliche Fra-
sprachen waren dann oft nur ein oder           sich bei der Umsetzung des Projektes           gen überführt werden. Die nötigen
zwei Expert*innen für alle Fragebö-            ergaben: So nahm bspw. die Entwick-            Routinen bei der Formulierung der
gen verfügbar. Der Kontakt zu den              lung der Software einen viel längeren          Fragen haben wir uns schrittweise
Content-Providern lief über E-Mail             Zeitraum in Anspruch als geplant.              angeeignet. Nachdem wir festgelegt
und auf Englisch. Wir haben alle tau-          Beim Entwickeln neuer Programme                hatten, welche linguistischen Merk-
ben und hörenden Content-Provi­                können viele bugs entstehen. Hin-              male abgefragt werden sollten, und
der dazu ermutigt, in Teams zusam-             zu kam, dass die internationale in-            mit dem Ausformulieren erster Fra-
menzuarbeiten und zudem darum                  terdisziplinäre Zusammenarbeit mit             gen begannen, haben wir die bereits
gebeten, dass jedem Team mindes-               Partner*innen aus mehreren Ländern             verfassten Vorversionen der Fragebö-
tens eine taube Expertin oder ein              und mit einer universitätsexternen,            gen von unterschiedlichen potenziel-
tauber Experte angehören sollte. Da            privaten IT-Firma viel Empathie und            len Content-Providern intern und ex-
uns der Kontakt zu den einzelnen               einiges Umdenken auf allen Seiten              tern testen lassen. Diese Schritte wa-
Expert*innen sehr wichtig war und              erforderte. Eine zweite Herausforde-           ren nötig, um die Verständlichkeit für
wir jede*n bei Fragen individuell un-          rung ergab sich durch die heterogene           alle Content-Provider und die unter-
terstützen wollten, schrieben wir              Gruppe von Content-Providern, die ei-          schiedlichen Grade der Erforschung
ausschließlich individuelle E-Mails.           nerseits sehr spezialisiertes linguisti-       der einzelnen Gebärdensprachen
                                               sches Fachwissen, andererseits aber            (sehr gut, teilweise oder kaum er-
Herausforderungen                              mitunter einen nicht linguistischen            forscht) sicherzustellen. Die Fragebö-
                                               Hintergrund hatten. Daher mussten              gen wurden soweit möglich theorie-
Aus den bisherigen Erläuterungen               die linguistischen Inhalte aus der             neutral gehalten. Als zusätzliche Hil-
wird bereits in Ansätzen ersichtlich,          SignGram Blueprint in möglichst ein-           fe wurde ein Glossar implementiert,
L INGU IS TIK

                  das bei Bedarf eine kurze Erläuterung     „Atlas“ erreichbar. Dort findet sich      einen Klick auf den Submit-Button in
                  der wichtigsten sprachwissenschaft-       eine große Weltkarte, auf der alle 219    der Weltkarte darstellen lassen.
                  lichen Begriffe bereitstellte. Die Fra-   Gebärdensprachen, die wir durch un-           Das in Abbildung 4 gezeigte Bei-
                  gebögen wurden also so gestaltet,         sere Recherche gefunden haben, in         spiel stellt das Merkmal dominant
                  dass sie für Content-Provider mit un-     ihrer jeweiligen Region verortet sind     hand switch dar. Damit ist gemeint,
                  terschiedlichem linguistischen Hin-       (vgl. Abb. 3 auf S. 307). Für knapp 100   ob es in einer Gebärdensprache ak-
                  tergrundwissen gleichermaßen ver-         Gebärdensprachen haben wir Con­           zeptiert ist, dass während des Gebär-
                  ständlich waren.                          tent-Provider gefunden und von der-       dens die dominante Hand wechselt,
                      Eine nicht zu unterschätzende         zeit etwa 50 Gebärdensprachen wer-        also mal die linke und mal die rechte
                  Herausforderung war und ist der           den Daten im Atlas gezeigt. Man           Hand die dominante Hand ist. Es gibt
                  Stand der Forschung zu den einzel-        kann sich die Informationen im At-        vier Kategorien:
                  nen Gebärdensprachen. Während             las auf zwei Arten anzeigen lassen.       a) Nein, ein Wechsel der dominanten
                  bspw. ASL oder DGS vergleichswei-              Einerseits ist es möglich, sich         Hand passiert zwar, wird aber als
                  se gut erforschte und gut dokumen-        die grammatischen Eigenschaften              nicht korrekt verstanden (Raute).
                  tierte Gebärdensprachen sind, gibt        von Sprachen by grammatical fea­          b) Ja, ein Wechsel der dominanten
308   DZ 115 20   es, wie anfangs schon erwähnt, nach       tures (also für einzelne grammati-           Hand passiert häufig (Dreieck).
                  wie vor sehr viele Gebärdensprachen,      sche Kategorien) anzeigen zu las-         c) Nein, ein Wechsel der dominanten
                  die nicht oder nur unzureichend er-       sen (vgl. Abb. 4). Dabei ist der Bild-       Hand passiert nicht (Quadrat).
                  forscht und dokumentiert sind. Das        schirm zweigeteilt: Während auf der       d) Ja, ein Wechsel der dominanten
                  Ziel des Atlas ist es aber, alle Gebär-   rechten Seite die Weltkarte zu sehen         Hand passiert manchmal (Fünfeck).
                  densprachen so gut und umfangreich        ist, wird im linken Bereich eine Liste
                  wie möglich abzubilden, auch die,         mit grammatischen Kategorien ein-         Auf der linken Seite sieht man die
                  über die wir noch nicht so viel wis-      geblendet. Diese Liste enthält eine       Legende, die angibt, welcher Punkt
                  sen. Hinzu kommt, dass es selbst für      Übersicht über die einzelnen gram-        welche Kategorie auf der Karte ge-
                  gut dokumentierte Gebärdenspra-           matischen Merkmale, für die Infor-        rade visualisiert. Zudem zeigt sie an,
                  chen wie ASL und DGS bisher keine         mationen verfügbar sind. Die Lis-         wie häufig die Kategorie ausgewählt
                  umfassenden Dokumentationen in            te ist – wie auch schon die Struktur      wurde, also wie viele Gebärdenspra-
                  Form von Referenzgrammatiken gibt         der Fragebögen – in ihrer Reihenfol-      chen diese Eigenschaft(en) haben. So
                  – eine Lücke, die langfristig mit dem     ge an die SignGram Blueprint ange-        kann man an der Liste links bspw. ab-
                  Sign-Hub-Teilprojekt Grammatik be-        lehnt. Das bedeutet, dass zunächst        lesen, dass es drei Gebärdensprachen
                  hoben werden soll.                        die übergeordneten linguistischen         gibt, für die gilt: „Nein, ein Wech-
                      Der Atlas, wie er nun veröffent-      Bereiche, also Lexikon, Phonologie,       sel der dominanten Hand passiert
                  licht wird, stellt daher den gegenwär-    Morphologie usw., angezeigt wer-          nicht“. Außerdem kann mit einem
                  tigen Stand des gemeinsamen Wis-          den. Diese Bereiche können mittels        Blick auf die Weltkarte entnommen
                  sens über Gebärdensprachen dar. Der       eines Mausklicks geöffnet werden.         werden, in welcher Gebärdensprache
                  Atlas ist folglich (noch) keine umfas-    Dadurch werden weitere Auswahl-           welche Kategorie zutrifft. Rote Fünf-
                  sende Darstellung der grammatischen       möglichkeiten in den jeweiligen Be-       ecke – also „Ja, ein Wechsel der domi-
                  Strukturen aller Gebärdensprachen,        reichen sichtbar, die am Ende in ein-     nanten Hand passiert manchmal“ –
                  sondern bietet zunächst nur einen ers-    zelne grammatische Merkmale mün-          kommen in diesem Beispiel am häu-
                  ten repräsentativen Ausschnitt, der       den. Solche Merkmale sind bspw. die       figsten vor. Alternativ zur Liste der
                  langfristig regelmäßig ergänzt, ange-     phonologischen Kategorien „domi-          grammatischen Merkmale kann man
                  passt und ausgebaut werden kann.          nante und nicht dominante Hand“.          nach linguistischen Merkmalen auch
                                                            Auf diese Weise wird die Suche nach       über ein Suchfeld suchen. Bei Inter-
                  Was zeigt der Atlas?                      der entsprechenden sprachlichen Ei-       esse an einem konkreten gramma-
                                                            genschaft immer weiter verfeinert,        tischen Merkmal gibt es die Option,
                  Der Atlas ist auf der Website www.        sodass sich schließlich die Werte für     die jeweiligen grammatischen Ka-
                  sign-hub.eu unter dem Menüpunkt           ein grammatisches Merkmal durch           tegorien in ein Suchfeld einzugeben
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                                                                                                                                       DZ 115 20   309

Abb 4: Darstellung by grammatical features. Hier wird das Merkmal dominant hand switch angezeigt, also, ob es in einer Gebärdenspra­
che akzeptiert ist, beim Gebärden zwischen dominanter Hand und nicht dominanter Hand zu wechseln. Links ist die Legende, rechts die
Weltkarte mit den Gebärdensprachen, für die zurzeit Informationen zu diesem Merkmal vorliegen

und die entsprechende Information            zu sehen ist, erscheint links eine Lis-       Hub keine Übersetzung der Platt-
dadurch automatisiert darstellen zu          te der Gebärdensprachen, die auf der          form in andere Gebärden-, Laut- und
lassen. Auf diese Weise können auch          Karte verortet sind. Durch einen Klick        Schriftsprachen vorgenommen wer-
mehrere unterschiedliche gramma-             auf eine beliebige Gebärdensprache            den. Das Ziel des EU-Projektes ist es,
tische Merkmale miteinander kom-             öffnet sich eine Detailansicht, die           möglichst alle Menschen, die an Ge-
biniert und auf der Karte dargestellt        die grammatischen und soziohistori-           bärdensprachen interessiert sind, zu
werden. So können direkte Verglei-           schen Eigenschaften der ausgewähl-            erreichen. Da es sich einerseits um
che bezüglich der Häufigkeit oder Sel-       ten Gebärdensprache anzeigt und               ein europäisches Projekt handelt und
tenheit von über 200 grammatischen           damit eine ausführliche (sozio-)lin­-         andererseits interessierte Personen
Merkmalen und ihren Kombinatio-              guistische Charakterisierung dieser           auf der ganzen Welt angesprochen
nen in den Gebärdensprachen der              Gebärdensprache bietet. Damit kön-            werden sollen, ist Englisch in einem
Welt gezogen werden.                         nen die spezifischen grammatischen            ersten Schritt die einfachste und bes-
    Der Atlas zeigt die Gebärdenspra-        und soziolinguistischen Eigenschaf-           te Möglichkeit, um eine hohe Reich-
chen der Welt aber auch by sign lan­         ten einer bestimmten Gebärdenspra-            weite sicherzustellen. Eine möglichst
guages, d. h., es gibt eine zweite Dar-      che schnell erfasst werden.                   breite Zugänglichkeit der Website
stellungsweise, in der man sich di-              Die Internetseite www.sign-hub
                                                                   www.sign-hub.           ist jedoch nicht nur durch das Eng-
rekt die Eigenschaften einer bestimm-        eu und damit auch die Seiten des Ge-          lische gewahrt, sondern auch durch
ten Gebärdensprache anzeigen lassen          bärdensprachatlas sind vollständig            die Entscheidung, die Verwendung
kann. Auch hier ist der Bildschirm in        in englischer Schriftsprache gehal-           von Texten auf ein Mindestmaß zu
zwei Bereiche aufgeteilt. Während auf        ten. Aus finanziellen Gründen konnte          reduzieren. Es wurde darauf geach-
der rechten Seite wieder die Weltkarte       im Rahmen des EU-Projekts The Sign-           tet, die gezeigten Informationen vor
L INGU IS TIK

                  allem visuell zu übermitteln, wobei         interessieren. Er bietet neue Einblicke     Markus Steinbach & Bencie Woll
                  die Beschreibung der grammatischen          sowohl in die gemeinsamen Grundla-          (Hg.): Sign Language. An Interna­
                  Merkmale nach wie vor auf die Text-         gen als auch in die strukturelle Viel-      tional Handbook. Berlin: Mouton
                  form beschränkt ist. Langfristig wäre       falt von Gebärdensprachen. Mit In-          de Gruyter, 513–551.
                  eine Übersetzung der entsprechen-           formationen zu über 200 gramma-           Pfau, Roland & Markus Steinbach
                  den Beschreibungen in andere Spra-          tischen und soziohistorischen Merk-         (2006): „Pluralization in Sign and
                  chen wünschenswert. Dies gilt neben         malen und vorerst ungefähr 50 ver-          in Speech: A Cross-Modal Typolog-
                  dem Atlas auch für die Referenzgram-        schiedenen Gebärdensprachen aus             ical Study“. In: Linguistic Typology
                  matiken aus dem Sign-Hub-Teilpro-           der ganzen Welt ist der Atlas eine ein-     10, 135–182.
                  jekt Grammatik. Ein mehrsprachiger          zigartige Ressource, die hoffentlich      Prillwitz, Siegmund (1987): „Zur
                  multimodaler Zugang zu der Platt-           einen wichtigen Teil zur Stärkung           Gründung des überregionalen Zen-
                  form ist daher ein Anliegen für die         und Vernetzung der sprachwissen-            trums für Deutsche Gebärdenspra-
                  Zukunft.                                    schaftlichen und soziohistorischen          che und Kommunikation Gehörlo-
                      Ein zweiter, konkret den Atlas be-      Forschung auf dem Gebiet der Gebär-         ser an der Universität Hamburg“.
                  treffender Wunsch ist, weitere Con­         densprachlinguistik beitragen wird.         In: Das Zeichen 1, 9–12.
310   DZ 115 20   tent-Provider zu suchen, sodass zum         Zusammen mit den anderen Kompo-           Quer, Josep; Carlo Cecchetto; Caterina
                  einen inhaltliche Lücken bei schon          nenten der Sign-Hub-Plattform wird          Donati; Carlo Geraci; Meltem Kele-
                  repräsentierten Gebärdensprachen            der Atlas dabei helfen, das Wissen          pir; Roland Pfau & Markus Stein-
                  geschlossen werden können. Solche           über Gebärdensprachen für alle Men-         bach (2017): The SignGram Blue­
                  Lücken sind typischerweise entstan-         schen zugänglicher zu machen und            print. A Guide to the Preparation
                  den, weil bisher keine Informationen        das Bewusstsein über Gebärdenspra-          of Comprehensive Reference Gram­
                  zu den entsprechenden grammati-             chen weltweit nachhaltig zu fördern.        mars for Sign Languages. Berlin: De
                  schen Merkmalen vorliegen. Zum an-                                                      Gruyter Mouton.
                  deren könnte eine noch größere Zahl         Literatur                                 Zeshan, Ulrike (2004a): „Hand, head,
                  an Gebärdensprachen im Atlas reprä-                                                     and face: Negative constructions in
                  sentiert werden, mit dem Ziel, dass         Brinkmann, Sukie; Jens-Michael Cra-         sign languages“. In: Linguistic Ty­
                  idealerweise irgendwann möglichst             mer; Annika Herrmann; Jana Ho-            pology 8, 1–58.
                  alle bekannten Gebärdensprachen im            semann; Nina-Kristin Pendzich;          Zeshan, Ulrike (2004b): „Interrogative
                  Atlas vertreten sind und miteinander          Sina Proske & Markus Steinbach            constructions in sign languages:
                  verglichen werden können. Das ist             (2017): „Unser gemeinsames Erbe:          Cross-linguistic perspectives“. In:
                  ein Wunsch und ein Ziel für zukünf-           Eine Dokumentation kulturel-              Language 80, 7–39.
                  tige Folgeprojekte von The Sign-Hub.          ler und sprachlicher Aspekte der        Zeshan, Ulrike (2012): „Sprach­ver­
                                                                Gebärdensprachgemeinschaft.               gleich: Vielfalt und Einheit von Ge-
                  Zusammenfassung                               ‚Sign-Hub‘ – Ein europäisches Pro-        bärdensprachen“. In: Hanna Eich-
                                                                jekt“. In: Das Zeichen 106, 302–309.      mann, Martje Hansen & Jens Heß-
                  Mit dem Atlas der sprachlichen Struk­       Perniss, Pamela; Roland Pfau & Mar-         mann (Hg.): Handbuch Deutsche
                  turen der Gebärdensprachen dieser             kus Steinbach (2007): „Can’t you          Gebärdensprache. Seedorf: Signum,
                  Welt steht eine weltweit einmalige            See the Difference? Sources of Vari-      311–340.
                  interaktive digitale Informations-            ation in Sign Language Structure“.
                  quelle frei zur Verfügung. Nach dem           In: Pamela Perniss; Roland Pfau         Internetquellen
                  erfolgreichen Abschluss des Projektes         & Markus Steinbach (Hg.): Visible
                  The Sign-Hub ist der Atlas ab Anfang          Variation. Comparative Studies on       (Alle Internetseiten wurden am
                  Juli auf der Internetseite www.sign-          Sign Language Structure. Berlin:        21. 05. 2020 zuletzt aufgerufen)
                  hub.eu über den Menüpunkt „Atlas“             Mouton de Gruyter, 1–34.
                  online für alle Interessierten zugäng-      Pfau, Roland (2012): „Manual Com-         Atlas of Pidgin and Creole Language
                  lich. Der Atlas richtet sich an alle Per-     munication Systems: Evolution             Structures Online (APiCS): https://
                  sonen, die sich für Gebärdensprachen          and Variation“. In: Roland Pfau;          apics-online.info/..
                                                                                                          apics-online.info/
L IN G UI STI K

Ethnologue: https://www.ethno
  logue.com/subgroups/sign-lan
  guage.
  guage
Glottolog: https://glottolog.org/re
  source/languoid/id/sign1238.
  source/languoid/id/sign1238
SignGram Blueprint: https://www.
  degruyter.com/view/title/
  517764?format=G.
  517764?format=G
The Sign-Hub: www.sign-hub.eu
              www.sign-hub.eu.
The Sign-Hub, Universität Göttin-
  gen (Deutsch, Englisch und DGS):
  http://www.uni-goettingen.de/
  de/546745.html.
  de/546745.html
Wikipedia List of Sign Languages:
  https://en.wikipedia.org/wiki/
  List_of_sign_languages.
  List_of_sign_languages                   DZ 115 20   311
World Atlas of Language Structures
  Online (WALS): https://wals.info/
                 https://wals.info/.

   i
     Annika Mittelstädt, B. A., stu-
     diert Linguistik und Geschichte
     an der Georg-August-Universi-
     tät Göttingen.

     E-Mail: a.mittelstaedt01@stud.
     uni-goettingen.de

     Prof. Dr. Markus Steinbach ar-
     beitet am Seminar für Deut-
     sche Philologie der Georg-Au-
     gust-Universität Göttingen.

     E-Mail: markus.steinbach@phil.
     uni-goettingen.de

     Dr. Jana Hosemann arbeitet als
     wissenschaftliche Mitarbeiterin
     am Department Heilpädagogik
     und Rehabilitation der Univer-
     sität zu Köln.

     E-Mail: jhoseman@uni-koeln.de
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