Zugang zur erleichterten Einbürgerung von Personen der dritten Generation
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Zugang zur erleichterten Einbürgerung von Personen der dritten Generation Bilanz nach drei Umsetzungsjahren (2018–2020) Studie im Auftrag der Eidgenössischen Migrationskommission EKM Philippe Wanner, Rosita Fibbi Februar 2022 Schweizerische Eidgenossenschaft Eidgenössische Migrationskommission EKM Confédération suisse Commission fédérale des migrations CFM Confederazione Svizzera Commissione federale della migrazione CFM Confederaziun svizra
Impressum Herausgeberin Eidgenössische Migrationskommission EKM, Quellenweg 6, CH-3003 Bern-Wabern, www.ekm.admin.ch Autorenschaft Philippe Wanner, Universität Genf Rosita Fibbi, Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien SFM, Universität Neuenburg Redaktion Pascale Steiner, Bettina Looser, Sibylle Siegwart Übersetzung Trudy Keel Lektorat Esther Füller Titelbild © EKM Gestaltung Cavelti AG. Marken. Digital und gedruckt, Gossau © EKM/Februar 2022
Einleitung | 3 Vorwort Seit dem 15. Februar 2018 ist das Gesetz über die werden, da es viele über 25 Jahre alte Personen mit erleichterte Einbürgerung der dritten Generation Interesse an einer erleichterten Einbürgerung gibt. von Ausländerinnen und Ausländern in Kraft – der entsprechende Verfassungsartikel wurde in der Der administrative Aufwand des heutigen Ver- Volksabstimmung mit grossem Mehr angenom- fahrens ist für die Angehörigen der dritten Ge- men. Die Eidgenössische Migrationskommission neration ungerechtfertigt gross: Zwar erfüllen sie EKM wollte wissen, wie sich das Gesetz auswirkt, selbst alle Integrationsbedingungen, doch wird und gab bei Philippe Wanner und Rosita Fibbi eine ihr Antrag auf Einbürgerung vom Aufenthaltssta- wissenschaftliche Studie in Auftrag. tus der Grosseltern oder von den obligatorischen Schuljahren der Eltern abhängig gemacht. Diese Die nun vorliegenden Resultate zeigen, dass we- Erfahrung frustriert viele und lässt sie den Pro- sentlich weniger Personen als ursprünglich erwar- zess abbrechen, was nicht zuletzt auch negative tet die Möglichkeiten der neuen Gesetzgebung Auswirkungen auf ihr Zugehörigkeitsgefühl zur nutzen. Von den rund 25 000 Berechtigten wurden schweizerischen Gesellschaft hat. bisher nur gerade rund 1800 eingebürgert. Die Studie zeigt auch auf, warum das so ist: Die Hür- Für die Befürworterinnen und Befürworter einer den sind höher als erwartet – häufig sind sie sogar strengen Einbürgerungspolitik ist der Nachweis so hoch, dass die Anforderungen gar nicht zu er- der Integration zwingend, auch wenn die Ange- füllen sind. Es zeigt sich deutlich: Die erleichterte hörigen der dritten Generation faktisch bereits Einbürgerung wird der dritten Generation nicht vollständig integriert sind. Wenn dennoch kaum erleichtert, sondern vielmehr erschwert. zu überwindende Hürden bestehen, muss sich die Politik den Vorwurf gefallen lassen, es gehe ihr Jugendliche der dritten Ausländergeneration sind darum, möglichst viele Einwohnerinnen und Ein- in der Schweiz geboren, fühlen sich selbstver- wohner der Schweiz nicht an den politischen Rech- ständlich als Teil der Gesellschaft und nehmen am ten beteiligen zu wollen. Das wiederum wäre ein beruflichen und sozialen Leben teil. Sie sind Ein- fatales Signal für die schweizerische Demokratie, heimische – ohne Schweizer Pass. Darüber sind die auf die aktive politische Beteiligung der Men- sich alle einig. Dass es dennoch nicht klappt mit schen im Land angewiesen ist. der erleichterten Einbürgerung, liegt an den allzu komplizierten formalen Bedingungen: Belege für Denn wie soll ein derart föderalistisches, subsi- den Aufenthaltsstatus der Grosseltern beizubrin- diäres und direktdemokratisches System wie das gen, erweist sich oft als schwierig bis unmöglich. schweizerische funktionieren, wenn unnötig viele Viele Eltern können zudem ihre Schulzeit in der Menschen davon ausgeschlossen sind? Und wie Schweiz nicht genügend nachweisen, weil sie als soll man die jungen Menschen dann motivieren, Kinder von Saisonniers erst spät einreisen durften. nicht nur in dieser Gesellschaft zu leben, sondern Zudem erteilen viele Gemeinden mangelhafte oder sich auch für sie zu engagieren? falsche Auskünfte. Walter Leimgruber Alle diese Probleme liessen sich recht einfach lö- Präsident der Eidg. Migrationskommission EKM sen, denn sie betreffen nicht den Verfassungsar- tikel selbst, sondern nur die Ausführungsgesetz- gebung. So müsste eigentlich der Schulnachweis der Eltern genügen, um die Anwesenheit der Grosseltern zu beweisen. Auch ein direkter Zu- griff auf verschiedene Verwaltungsdaten (Migra- tionsinformationssystem, AHV-Ausgleichskasse, Steuerunterlagen) würde vieles vereinfachen. Zu- dem müsste die Altersgrenze, die bei anderen Ein- bürgerungsverfahren unbekannt ist, aufgehoben
4 | Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung5 2. Vorgehen7 3. Statistische Analyse 8 3.1 Anzahl Gesuche und Entwicklung nach Geschlecht und Alter 8 3.2 Staatsangehörigkeit 9 3.3 Kantone 10 4. Qualitative Analyse 12 4.1 Die befragten Personen 12 4.2 Die Perspektive der Kandidatinnen und Kandidaten 12 4.2.1 Formelle Voraussetzungen für den Zugang zum erleichterten V erfahren 13 4.2.2 Erfahrungen der Einbürgerungskandidaten und Beurteilung des e rleichterten Verfahrens 16 4.2.3 Zwischenbilanz 18 4.3 Die Perspektive der Verwaltungen 19 4.3.1 Verwaltung der Gesuche im SEM 19 4.3.2 Bemerkungen, Interpretationen und Massnahmen der befragten Verwaltungen20 4.3.3 Beurteilung des erleichterten V erfahrens durch die Verwaltungen 21 4.3.4 Von den Verwaltungen v orgeschlagene Vereinfachungen 21 5. Zusammenfassung22 6. Wie lässt sich die erleichterte Einbürgerung e rleichtern?23 Literaturhinweise26
Einleitung | 5 1. Einleitung Die erleichterte Einbürgerung der dritten Generation ist ein neues, einstufiges Verfahren, das in der Kompetenz des Bundes liegt. Nach drei Umsetzungsjahren zieht die EKM Bilanz. Seit ihrer Einführung im Jahr 2018 wirft die er- Artikel 24a BüG hält fest: «Das Kind ausländischer leichterte Einbürgerung von Personen der d ritten Eltern kann auf Gesuch hin erleichtert eingebür- Generation 1 Fragen auf. Diese beziehen sich gert werden, wenn die folgenden Voraussetzun- namentlich auf die Resonanz des neuen Einbür- gen erfüllt sind: gerungsverfahrens in der Zielgruppe, aber auch auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Die a. Mindestens ein Grosselternteil ist in der Schweiz Eidgenössische Migrationskommission EKM hat geboren worden oder es wird glaubhaft ge- bereits 2019 eine Studie über das erste Jahr der macht, dass er ein Aufenthaltsrecht erworben Umsetzung dieser neuen Gesetzesbestimmungen hat. durchgeführt. Heute möchte sie erneut Bilanz zie- hen und sich dabei auf die Erfahrungen stützen, b. Mindestens ein Elternteil hat eine Niederlas- die in den ersten drei Jahren gemacht wurden. sungsbewilligung erworben, hat sich mindes- Die EKM hat Philippe Wanner und Rosita Fibbi mit tens zehn Jahre in der Schweiz aufgehalten und dieser Studie betraut, die sich bereits zuvor einge- hat mindestens fünf Jahre die obligatorische hend mit dieser Thematik befasst haben («Wanner Schule in der Schweiz besucht. 2016, Bader und Fibbi 2017, Fibbi 2019). c. Das Kind wurde in der Schweiz geboren. Bekanntlich sieht das Bürgerrechtsgesetz (BüG) seit dem 15. Februar 2018 die erleichterte Einbür- d. Das Kind besitzt eine Niederlassungsbewilligung gerung der in der Schweiz lebenden Ausländerin- und hat mindestens fünf Jahre die obligatori- nen und Ausländer der dritten Generation vor. sche Schule in der Schweiz besucht. Das Gesuch ist bis zum vollendeten 25. Alters- jahr einzureichen, und das eingebürgerte Kind erwirbt das Bürgerrecht der Wohngemeinde und des Wohnkantons zum Zeitpunkt des Bürger- rechtserwerbs.» Bis Ende 2020 konnten insgesamt 1350 Personen von dieser Bestimmung profitieren. 1 In dieser Studie wie auch in der Literatur zu diesem Thema wird der Begriff «dritte Generation» verwendet und mit «G3» abgekürzt. Das Gleiche gilt für die Begriffe «zweite Genera- tion» bzw. «G2» und «erste Generation» bzw. «G1».
6 | Einleitung Artikel 51a BüG verweist auf die Übergangsbe- Gemäss dem Mandat soll die vorliegende Studie stimmung: «Personen der dritten Ausländerge- verschiedene Fragen beantworten: neration, die bei Inkrafttreten der Änderung vom 30. September 2016 dieses Gesetzes das 26. Al- • Wie viele Personen der dritten Generation wur- tersjahr erreicht und das 35. Altersjahr noch nicht den im erleichterten Verfahren eingebürgert, vollendet haben sowie die Voraussetzungen von welche demografischen Merkmale weisen sie Artikel 24a Absatz 1 erfüllen, können nach dem auf, und in welchen Kantonen wohnen sie? Inkrafttreten während fünf Jahren ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen.» In den drei Jah- • Welche Lehren lassen sich aus dem Vergleich ren, die diese Studie abdeckt, kamen insgesamt dieser Daten mit den Prognosen vor Einführung 497 Personen in den Genuss dieser Übergangs- der neuen Bestimmungen ziehen? bestimmung. • Wie beurteilen die betroffenen Personen die Die erleichterte Einbürgerung der dritten Genera- praktische Umsetzung des neuen Verfahrens? tion ist ein einstufiges Verfahren: Der Bund – im vorliegenden Fall das Staatssekretariat für Migra- • Wie beurteilen die Behörden dieses neue Inst- tion SEM – prüft, ob die entsprechenden Kriterien rument, und welche Verbesserungsvorschläge erfüllt sind, und entscheidet, ob die Bewerbe- bringen sie an? rinnen und Bewerber den Schweizer Pass erhal- ten. Dieses Verfahren unterscheidet sich von der ordentlichen Einbürgerung, die ein dreistufiges Verfahren vorsieht: 1. die Gemeinde sichert das Gemeindebürgerrecht zu; 2. der Kanton sichert das Kantonsbürgerrecht zu; 3. der Bund erteilt die Einbürgerungsbewilligung.
Vorgehen | 7 2. Vorgehen Die Kombination von qualitativen und quantitativen Verfahren erlaubt es, die Herausforderungen beim Zugang zur erleichterten Einbürgerung der dritten Generation zu ermitteln. Für diese Studie wurde sowohl ein quantitativer Der zweite Teil stellt eine doppelte qualitative Ver- (erster Teil) als auch ein qualitativer (zweiter Teil) tiefung dar. Er lässt die betroffenen Personen zu Ansatz gewählt. Durch die Kombination dieser bei- Wort kommen und beleuchtet die in der statisti- den Ansätze ergeben sich Empfehlungen für einen schen Analyse dargelegten Sachverhalte. Dieser besseren Zugang zur erleichterten Einbürgerung Teil beruht auf zwei weiteren Quellen: für die dritte Generation. • den Anfragen von einbürgerungswilligen Per- Der erste Teil gibt einen statistischen Überblick sonen, die zwischen April und November 2021 über die erleichterte Einbürgerung der dritten Ge- bei der EKM eingegangen sind, sowie deren neration in den ersten drei Jahren nach Inkrafttre- Erfahrungsberichten. In diesem Zeitraum, der ten des neuen Gesetzes. Er beruht auf Daten des auch der Dauer des Mandats für diese Studie SEM, gepaart mit amtlichen Statistiken (Statistik entspricht, haben sich 38 Personen bei der EKM der Bevölkerung – STATPOP und Strukturerhebung) über das Verfahren für die erleichterte Einbür- des Bundesamts für Statistik BFS. gerung erkundigt. Nach Erhalt der Auskünfte haben sich 28 Personen zu einem Gespräch über ihre Erfahrungen mit dem Einbürgerungsverfah- ren für die dritte Generation bereit erklärt. • den Gesprächen mit Vertretern der öffentlichen Verwaltung, die sich mit Einbürgerungsfragen befassen. Insgesamt wurden sieben Gespräche geführt: mit einer Vertreterin der Bundesbehör- de, die für das neue Verfahren zuständig ist, sowie mit je drei Vertretern von kantonalen und kommunalen Behörden, die in direktem Kontakt stehen mit Personen, die sich über die erleichter- te Einbürgerung informieren möchten. 2 2 Die römischen Endnoten im Anhang verweisen auf die Inter- views, aus welchen die jeweiligen Aussagen stammen. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden die vollständi- gen Notizen zu den Interviews nicht in der Studie veröffent- licht.
8 | Statistische Analyse 3. Statistische Analyse Die Zahlen geben Aufschluss über demografische Merkmale der eingebürgerten Personen der dritten Generation und erlauben die Identifizierung kantonaler Besonderheiten. Das SEM und das BFS haben bislang keine Daten chung und dem Abschluss des Verfahrens besteht, zur Einbürgerung von Personen der dritten Ge- auch wenn es sich um ein erleichtertes Verfahren neration veröffentlicht. Daher ist es für die inte handelt. Es zeigt sich, dass Personen, die ihr Ge- ressierte Öffentlichkeit nicht möglich zu eruieren, such direkt nach Einführung des neuen Gesetzes wie viele Personen der dritten Generation jährlich eingereicht hatten, erst ein oder zwei Jahre danach eingebürgert werden und welche demografischen eingebürgert wurden. Merkmale (Geschlecht, Alter, Staatsangehörigkeit, Wohnkanton) sie aufweisen. Der vorliegende Teil soll darüber Aufschluss geben. Tabelle 1: Entwicklung der bewilligten Einbürgerungen von Personen der dritten Generation, nach Gesetzesartikel und Jahr Jahr 3.1 Anzahl Gesuche und Entwicklung Artikel 2018 2019 2020 nach Geschlecht und Alter Artikel 24a 216 558 576 Das SEM stellte zwei Datensätze zur Verfügung, Artikel 51a 63 226 208 die den Studienzeitraum abdecken: einerseits die Total 279 784 784 Gesamtzahl der eingereichten Gesuche um erleich- Quellen: SEM, ZEMIS, vom SEM über das BFS bereitgestellte terte Einbürgerung, andererseits die Anzahl be- Daten. willigter Gesuche. Im Jahr 2018 wurden insgesamt 972 Gesuche gestellt. Diese Zahl hat sich im Jahr 2019 auf 903 und im Jahr 2020 auf 897 verrin- Ausserdem lässt sich feststellen, dass in den Jah- gert. 3 Die Anzahl bewilligter Gesuche belief sich ren 2019 und 2020 die Anzahl Einbürgerungen im Jahr 2018 auf 282, im Jahr 2019 auf 799 und nach der Übergangsbestimmung (Art. 51a BüG) im Jahr 2020 auf 787. Die Differenz zwischen den jeweils mehr als 200 betrug, sich aber etwas ab- eingereichten Gesuchen und den effektiv erfolgten zuschwächen scheint. Derweil hat die Anzahl Ein- Einbürgerungen erklärt sich durch die Dauer des bürgerungen nach Artikel 24a BüG zwischen 2019 Verfahrens. und 2020 leicht zugenommen. Generell lassen die Tendenzen zwischen 2018 und 2020 erwarten, Auch das BFS hat Daten zu erfolgten Einbürge- dass die Zahl der Einbürgerungen nach dem er- rungen zur Verfügung gestellt (Tabelle 1). Diese leichterten Verfahren sich in den nächsten Jahren weichen minim von den Daten ab, die das SEM stabilisieren oder gar zurückgehen wird. direkt bereitgestellt hat und die in Kapitel 4.3.1 erläutert werden. Das folgende Kapitel stützt sich Bei der Verteilung der erleichterten Einbürgerung auf den Datensatz des BFS, da er demografische (Art. 24a BüG) nach dem Alter der Bewerberinnen Variablen umfasst. Gemäss dieser Quelle wurden und Bewerber zeigt sich folgendes Bild: Die grosse im Jahr 2018 insgesamt 279 Einbürgerungen re- Mehrheit (über 85 %) sind Männer und Frauen, gistriert und in den beiden Folgejahren wurden die zum Zeitpunkt ihrer Einbürgerung zwischen 10 jeweils 784 Personen eingebürgert. Dieser Anstieg und 24 Jahre alt waren (Abbildung 1). In einigen erklärt sich dadurch, dass ein grosser zeitlicher Ab- Fällen wurden jedoch über 25-jährige Personen stand zwischen dem Zeitpunkt der Gesuchseinrei- eingebürgert, die ihr Gesuch vermutlich vor dem 25. Geburtstag eingereicht hatten. Die Übergangs- bestimmung (Art. 51a BüG) bezieht sich haupt- 3 Mitteilung des SEM; siehe Kapitel 4.3.1.
Statistische Analyse | 9 Abbildung 1: Verteilung der Einbürgerungen der dritten Generation nach Alter, Geschlecht und Gesetzesartikel Männer Frauen 36 33 30 27 24 21 18 15 12 9 6 3 0 –80 –60 –40 –20 0 20 40 60 80 100 24a 51a Quellen: SEM, ZEMIS, BFS, STATPOP. sächlich auf Personen zwischen 25 und 40 Jahren. 4 3.2 Staatsangehörigkeit Sie kann aber auch Kinder unter zehn Jahren be- treffen, wenn diese der vierten Generation an- Spitzenreiter bei der erleichterten Einbürgerung gehören und in das Einbürgerungsverfahren der sind die italienischen Staatsangehörigen: Mit Eltern der dritten Generation einbezogen sind. 955 Personen machen sie 51,7 Prozent aller Ein- bürgerungen im erleichterten Verfahren aus. Eben- Die alters- und geschlechtsspezifische Verteilung falls mehr als 100 Einbürgerungen entfallen auf ist eher untypisch (Abbildung 1). Bei den Män- Personen aus der Türkei (274), aus Spanien (120) nern, die in der Minderheit sind, erfolgt die Ein- und aus dem Kosovo (109). Nordmazedonien (94) bürgerung zumeist vor dem 20. Geburtstag. Da- und Serbien (70) sind Nationalitäten mit mehr als nach nimmt die Anzahl Einbürgerungen ab, was 50 Einbürgerungen (Tabelle 2). vielleicht mit der Militärdienstpflicht zu tun hat, und ab dem Alter von 25 Jahren nimmt sie wieder Setzt man diese Zahlen in Beziehung zur geschätz- zu. Bei den Frauen ist die Altersverteilung einheit- ten Anzahl Personen, die den Kriterien für eine licher. Es sind jedoch Spitzenwerte bei 18 und erleichterte Einbürgerung der dritten Generation 25 Jahren zu beobachten, also bei Erreichen der entsprechen, 5 wird ersichtlich, dass Drittstaatsan- Volljährigkeit und beim Höchstalter für die erleich- gehörige diese Möglichkeit eher nutzen als EU/ terte Einbürgerung. EFTA-Staatsangehörige. Im Jahr 2016 wurde an- hand der verfügbaren Informationen geschätzt, wie viele ausländische Personen der dritten Ge- neration «einbürgerungsfähig» wären (Wanner 4 Personen der dritten Ausländergeneration, die bei Inkraft- 2016). Indem die durchschnittliche Anzahl Einbür� - treten des Gesetzes (15. Februar 2018) das 26. Altersjahr gerungen pro Jahr durch die geschätzte Anzahl erreicht und das 35. Altersjahr noch nicht vollendet haben sowie die Voraussetzungen dazu erfüllen, können bis am «einbürgerungsfähiger» Personen geteilt wird, 15. Februar 2023 ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen (Art. 51a BüG). Siehe auch https://www.sem.admin. ch/sem/de/home/integration-einbuergerung/schweizer- werden/3-generation.html (Stand: 27.11.2021). 5 Schätzung einer früheren Studie: Wanner 2016
10 | Statistische Analyse lässt sich eine theoretische Einbürgerungsquote Bei der Anzahl Einbürgerungen nach Staatsange- nach Artikel 24a BüG berechnen. hörigkeit lässt sich zwischen 2018 und 2020 eine leicht unterschiedliche Entwicklung beobachten. Die Zahlen zeigen, dass türkische, kosovarische Im Vergleich zu anderen Nationalitäten ist Italien und nordmazedonische Staatsangehörige der drit- im Jahr 2018 übervertreten: 123 von 272 Einbür- ten Generation die höchsten Quoten aufweisen. gerungen nach Artikel 24a BüG entfielen auf ita- Bei den portugiesischen, spanischen und italieni- lienische Staatsangehörige, das sind 45 Prozent schen Staatsangehörigen ist die Quote am tiefsten. aller bewilligten Einbürgerungen (gegenüber 231 von 784 Einbürgerungen im Jahr 2020, das heisst Praktisch alle Einbürgerungen von Personen aus 30 %). Es lässt sich jedoch nicht abschätzen, ob dem Kosovo und aus Nordmazedonien erfolgten die italienische Übervertretung auf die höhere An- nach Artikel 24a BüG. Hingegen wurden mehr als zahl Dossiers, die unmittelbar nach Inkrafttreten ein Drittel der italienischen und fast ein Viertel des neuen Gesetzes eingereicht wurden, oder auf der türkischen Staatsangehörigen im Rahmen der andere Faktoren wie die Dauer des Verfahrens zu- Übergangsbestimmungen (Art. 51a BüG) einge- rückzuführen ist. bürgert. Dies ist damit begründet, dass die Zu- wanderung der italienischen und türkischen Mig- rantinnen und Migranten weiter zurückliegt. 3.3 Kantone Interessant zu erwähnen ist auch, dass die ge- Die Kantone zeichnen sich durch eine ungleiche schlechtsspezifische Verteilung der Einbürgerung Verteilung der Anzahl Einbürgerungen im Zeitraum je nach Staatsangehörigkeit variiert. Von den 2018–2020 aus. Ein Viertel der Einbürgerungen italienischen und spanischen Staatsangehörigen betrifft Personen, die im Kanton Aargau woh- lassen sich mehr Frauen als Männer einbürgern: nen (515 Fälle), gefolgt von St. Gallen (181 Fälle), 64 Prozent der eingebürgerten Personen aus Ita- Thurgau (177 Fälle), Solothurn (174 Fälle) und lien und 59 Prozent der eingebürgerten Personen Bern (155 Fälle). Städtische Kantone wie Zürich aus Spanien waren Frauen. Ausgewogener ist die (91 Fälle), Waadt (55 Fälle) oder Genf (55 Fälle) Verteilung bei den kosovarischen (48 % Frauen sind viel weniger von der Einbürgerung der dritten und 52 % Männer) und nordmazedonischen (je Generation betroffen. Diese Unterschiede lassen 50 % Frauen und Männer) Staatsangehörigen. Die sich nicht einfach erklären. Vielmehr ist schwer stärkere weibliche Vertretung lässt wahrscheinlich nachvollziehbar, weshalb in gewissen Kantonen darauf schliessen, dass junge Männer angesichts im ersten Jahr nach Inkrafttreten der neuen Geset- der Militärdienstpflicht zurückhaltender sind. zesbestimmungen zahlreiche Personen im erleich- terten Verfahren eingebürgert wurden, während Tabelle 2: Anzahl Einbürgerungen, Anteil der Frauen und theoretische Einbürgerungsquote (gegenüber «einbürgerungsfähigen» Personen) «Einbürgerungsfähi- Jährliche Durch- Artikel 24a Artikel 51a Total % Frauen ge» Bevölkerung* schnittsquote** Italien 610 345 955 63,7 14 331 1,4 Türkei 215 59 274 53,6 2 251 3,2 Spanien 70 50 120 59,2 1 890 1,2 Kosovo 109 0 109 47,7 965 3,8 Nordmazedonien 94 0 94 50,0 900 3,5 Serbien 64 6 70 57,1 823 2,6 Portugal 36 10 46 58,7 1 185 1,0 Deutschland 33 7 40 65,0 680 1,6 Gesamthaft 1 350 497 1 847 24 654 1,8 Quellen: SEM, ZEMIS, BFS, STATPOP; * Wanner 2016. ** Einbürgerungen nach Artikel 24a.
Statistische Analyse | 11 Abbildung 2 : Erleichterte Einbürgerungen der dritten Generation – jährliche Durchschnittsquote in den Schweizer Kantonen (er- leichterte Einbürgerungen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Ausländerinnen und Ausländer) Schaffhausen 0,1% Basel-Stadt 1 0,9% Basel-Landschaft 19 2% Thurgau 83 3,4% 135 Appenzell Ausserrhoden Zürich Aargau 0,4% 1% Jura 3,9% 4 2% 44 Solothurn 397 10 Appenzell Innerrhoden 2,2% 98 Zug 8,3% 2,4% St.Gallen 4 Luzern 2,3% 19 Schwyz 2,2% 140 Neuchâtel 52 4,3% 0,9% Glarus Nidwalden 54 2,4% 23 Bern Obwalden 1,8% 17 1,5% 0,9% 1 92 1 Uri Fribourg 0,7% Graubünden 2,1% 1 1,1% Vaud 6 0,7% 33 30 Ticino 0,5% 16 Valais 1,8% Genève 40 Quote 0,7% 0,1–0,5 30 0,5–1,1 1,1–2,4 2,4–4,3 4,3–8,3 Quelle: SEM, STATPOP. andere Kantone im gleichen Jahr praktisch keine nen). So wurden bis Ende 2020 im Aargau 12% vergleichbaren Fälle verzeichneten. So zählte der der «einbürgerungsfähigen» Personen über Arti- Kanton Aargau im Jahr 2018 bereits 110 Einbür- kel 24a eingebürgert, während dieser Anteil in gerungen (d. h. 40 % aller Personen der dritten Zürich nur gerade 1,2% betrug. Die jährlichen Ein- Generation, die in diesem Jahr in der Schweiz ein- bürgerungsquoten sind oben in Abbildung 2 dar- gebürgert wurden), während es in Zürich, Luzern gestellt. und in den Westschweizer Kantonen weniger als zehn Fälle waren. Letztere verzeichneten im Zeit- Einige Kantone gehören dem Konkordat von 1994 6 raum 2018 – 2019 eine starke Zunahme der Ein- an, welches vereinfachte Verfahren für die Ein- bürgerungen – ein Trend, der sich auch 2019 und bürgerung von Personen der zweiten Generation 2020 fortsetzte. Hingegen hat sich die Zahl der vorsieht. Diese Kantone verzeichnen offenbar we- Einbürgerungen in Kantonen, die bereits im Jahr niger erleichterte Einbürgerungen als Nichtkon- 2018 viele Personen eingebürgert hatten (Aar- kordatskantone (z. B. Aargau, St. Gallen, Thurgau, gau, Bern, Basel-Stadt, zwischen 2019 und 2020 Solothurn). Dies könnte darauf hinweisen, dass stabilisiert; in Solothurn war sie gar rückläufig. das neue Gesetz in erster Linie jungen Auslände- Diese unterschiedlichen Entwicklungen lassen er- rinnen und Ausländern zugutekommt, die bisher warten, dass die jährliche Anzahl Einbürgerungen nicht von Verfahrensvereinfachungen profitieren im erleichterten Verfahren in den nächsten Jahren konnten. stabil bleiben wird. Einige Kantone könnten je- doch einen Rückgang und andere eine Zunahme verzeichnen. 6 Mit dem Konkordat von 1994 wurden vereinfachte Verfahren Gemäss Schätzungen leben im Kanton Aargau für junge Ausländerinnen und Ausländer zwischen 16 und 25 Jahren, eine Gebührensenkung und die Anrechnung der 3400 «einbürgerungsfähige» Personen (Wanner Aufenthaltsdauer in einem anderen Konkordatskanton (BE, 2016); das sind weniger als in Zürich (3500 Perso�- FR, GE, JU, NE, VD, ZH) eingeführt.
12 | Qualitative Analyse 4. Qualitative Analyse Aus Aussagen von Personen, die sich für die erleichterte Einbürgerung interessieren, wie auch aus Aussagen von Behörden wird deutlich, dass Kandidatinnen und Kandidaten die Integrationskriterien problemlos erfüllen. Die Herausforderung besteht in der Erfüllung der formellen Voraussetzungen, d. h. im Nachweis der Zugehörigkeit zur dritten Generation. 4.1 Die befragten Personen Frauen, die mit einem Schweizer verheiratet sind, haben eher das erleichterte Verfahren für Personen Von den 28 potenziellen Einbürgerungskandidatin- der dritten Generation gewählt als das Verfahren nen und -kandidaten waren 17 EU-Staatsangehö- für Ehepartnerinnen von Schweizer Staatsange- rige (14 aus Italien, 1 aus Portugal und 2 aus Spa- hörigen (Art. 21 BüG). Die Argumente, die für nien). Fünf Personen besassen die kosovarische, diese Option sprechen, sind die für die Gesuchs- und je drei die serbische bzw. die türkische Staats- einreichung erforderliche Dauer der Ehe vi oder der angehörigkeit. Fünf Personen wohnten im Aargau, Wunsch, sich in der Gemeinde einbürgern zu las- fünf im Thurgau, vier im Kanton Waadt und drei im sen, mit der sie sich identifizieren und in der sie Kanton Genf, die restlichen elf in sieben weiteren immer gelebt haben. vii Kantonen. In den Gesprächen ging es um die Er- fahrungen der Kandidatinnen und Kandidaten der dritten Generation bei ihren Bemühungen, Zugang 4.2 Die Perspektive der Kandidatinnen zum erleichterten Verfahren zu erhalten, oder die und Kandidaten Erfahrungen ihrer gesetzlichen Vertreterinnen und Vertreter. Bei der Einbürgerung von Personen, deren Gross- eltern bereits in der Schweiz gelebt haben, kom- Zwei Drittel der Personen, die mit der EKM Kon- men materielle (Integration des Kandidaten) und takt aufgenommen haben, sind Frauen; darunter formelle Kriterien (Zugehörigkeit zur dritten Ge- zahlreiche Mütter, die sich über die Einbürgerung neration) ins Spiel. Die in Artikel 12 BüG festge- erkundigt oder die Einbürgerungsdossiers ihrer legten Integrationskriterien (Beachten der öffent- Kinder vorbereitet haben. Die Mütter, und etwas lichen Sicherheit und Ordnung, Respektierung der weniger häufig die Väter, sind wegen ihrer minder- Werte der Bundesverfassung, Sprachkenntnisse, jährigen Kinder i aktiv geworden. In einigen Fällen Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb ging es gar um Kleinkinder. ii Die Bemühungen die- von Bildung, Förderung der Integration der Ehe- ser Eltern waren jedoch verfrüht, da ihre Kinder frau oder des Ehemannes und der minderjährigen zuerst mindestens fünf Jahre die obligatorische Kinder) müssen sowohl von Personen, die zu einem Schule in der Schweiz besucht haben müssen, be- erleichterten Verfahren für die dritte Generation vor sie sich erleichtert einbürgern lassen können. berechtigt sind (Art. 20 Abs. 1 BüG), als auch von Personen, die ein ordentliches Verfahren durch- Nicht selten kommt es vor, dass sich Eltern um die laufen, erfüllt werden. Aus den Gesprächen mit Einbürgerung ihrer volljährigen Kinder bemühen. den einbürgerungswilligen Personen viii wie auch Mit dieser proaktiven Haltung scheinen sie manch- mit den Behördenvertretern ix geht klar hervor, dass mal eine unerfreuliche Erfahrung zu kompensie- die Kandidatinnen und Kandidaten die materiellen ren. Einige Frauen berichteten nämlich, dass sie Kriterien problemlos erfüllen. aus Angst vor dem Staatskundetest auf ein eige- nes Einbürgerungsgesuch verzichtet hätten. iii Diese Beim erleichterten Verfahren liegt der Entscheid Angst scheint umso grösser, wenn sie selber oder über die Einbürgerung von Personen der dritten andere Personen aus ihrem Umfeld den Test nicht Generation allein bei der Bundesbehörde. Dadurch bestanden haben iv oder aus anderen Gründen ge- werden gewisse Hürden für die Einbürgerung von scheitert sind. v Personen, deren Familie seit zwei Generationen in
Qualitative Analyse | 13 der Schweiz niedergelassen ist, abgebaut. Einige 4.2.1 Formelle Voraussetzungen für dieser Hürden wurden im Jahr 2016 in 14 qua- den Zugang zum erleichterten litativen Gesprächen mit Grosskindern von Mig- V erfahren rantinnen und Migranten identifiziert (Bader und Fibbi 2017): kumulierte Anforderungen in Bezug auf die Wohnsitzdauer im Kanton und in der Ge- Anforderungen an die Grosseltern der meinde, die Abhängigkeit der Jugendlichen von Kandidatinnen und Kandidaten den Eltern oder allenfalls von der Sozialhilfe wäh- rend ihrer Ausbildung, 7 hohe Gebühren für das Das Gesetz (Art. 24a Abs. 1 Bst. a BüG) nennt Verfahren oder ein Staatskundetest, den die in der folgende Voraussetzung für den Zugang zum er- Schweiz geborenen und eingeschulten Personen leichterten Verfahren für Personen der dritten Ge- als schockierend empfunden haben. Die im Jahr neration: «Mindestens ein Grosselternteil ist in der 2021 befragten Personen der dritten Generation Schweiz geboren worden oder es wird glaubhaft nannten gerade die abschreckende Wirkung dieser gemacht, dass er ein Aufenthaltsrecht erworben Faktoren als Grund dafür, dass sie sich nicht früher hat.» um eine Einbürgerung bemüht hatten. Wenn die Grosseltern in der Schweiz leben, lässt Artikel 24a BüG legt die formellen Voraussetzun- sich ihr Aufenthaltsrecht leicht nachweisen. gen fest, die erfüllt sein müssen, damit die Gross- Schwieriger wird es hingegen, wenn sie in ihr Her- kinder von Migranten für das erleichterte Einbür- kunftsland zurückgekehrt sind und keinen Schwei- gerungsverfahren in Frage kommen. Dabei handelt zer Aufenthaltstitel mehr besitzen oder wenn sie es sich um Anforderungen in Bezug auf die Gross- verstorben sind. Dies ist relativ häufig der Fall bei eltern (G1), die Eltern (G2) und die Kandidaten Grosseltern von volljährigen Personen. Dann kann (G3). In einem ersten Schritt wird die Haltung der es auch für die Verwaltungsbehörden sehr müh- Kandidaten gegenüber diesen formellen Voraus- sam oder gar unmöglich sein, Sachverhalte aus der setzungen analysiert (Kap. 4.2.1). Danach wird ihr Zeit vor der Digitalisierung von Verwaltungsdaten subjektiver Standpunkt aufgrund ihrer Erfahrun- zu dokumentieren. gen wiedergegeben (Kap. 4.2.2). • Die Eltern (G1) von Frau Müller 8 (G2) kamen 1960 in die Schweiz. In einer Thurgauer Ge- 7 Vgl. Art. 7 der Bürgerrechtsverordnung (BüV); Teilnahme am meinde kauften sie eine Wohnung. Im Jahr 1997 Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung: 1. Die Be- fusionierte diese Gemeinde mit einer anderen. werberin oder der Bewerber nimmt am Wirtschaftsleben teil, wenn sie oder er die Lebenshaltungskosten und Unterhalts- Der Vater verstarb 1993, die Mutter 2000. Das verpflichtungen im Zeitpunkt der Gesuchstellung und der SEM konnte keine Informationen bereitstellen, Einbürgerung deckt durch Einkommen, Vermögen oder Leis- tungen Dritter, auf die ein Rechtsanspruch besteht. 2. Die die Aufschluss darüber geben, ob die Eltern von Bewerberin oder der Bewerber nimmt am Erwerb von Bildung Frau Müller rechtmässig in der Schweiz gelebt teil, wenn sie oder er im Zeitpunkt der Gesuchstellung oder haben. x der Einbürgerung in Aus- oder Weiterbildung ist. 3. Wer in den drei Jahren unmittelbar vor der Gesuchstellung oder während des Einbürgerungsverfahrens Sozialhilfe bezieht, • Herr Verdi (G3) muss die Ausreise seiner Gross- erfüllt nicht das Erfordernis der Teilnahme am Wirtschafts- leben oder des Erwerbs von Bildung, ausser die bezogene mutter (G1) aus der Schweiz bescheinigen las- Sozialhilfe wird vollständig zurückerstattet. sen. Damit diese Information ihm persönlich zu- Vgl. Art. 9 BüV; Berücksichtigung der persönlichen Verhält- gestellt wird und nicht seiner Grossmutter, muss nisse: Die zuständige Behörde berücksichtigt die persönlichen Verhältnisse der Bewerb erin oder des Bewerbers angemessen er den Behörden eine Vollmacht zukommen las- bei der Beurteilung der Kriterien nach den Artikeln 6, 7 und sen. Die Abklärungen mit den Grosseltern, die 11 Absatz 1 Buchstabe b. Eine Abweichung von den Kriterien ist möglich, wenn die Bewerberin oder der Bewerber diese in einem kleinen Dorf in Italien leben, sind umso nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen erfüllen kann komplizierter, als sie nicht mit einem Computer aufgrund: umgehen können und keinen Internetanschluss a. e iner körperlichen, geistigen oder psychischen Behinde- rung; haben. xi b. e iner schweren oder lang andauernden Krankheit; c. a nderer gewichtiger persönlicher Umstände, namentlich wegen: 1. einer ausgeprägten Lern-, Lese- oder Schreib- schwäche, 2. Erwerbsarmut, 3. der Wahrnehmung von Betreuungsaufgaben, 4. Sozialhilfeabhängigkeit, zu der es wegen einer erstmaligen formalen Bildung in der Schweiz kam, sofern die Sozialhilfeabhängigkeit nicht durch persön- 8 Die verwendeten Namen sind Pseudonyme (gilt für alle Ge- liches Verhalten herbeigeführt wurde. spräche in dieser Studie).
14 | Qualitative Analyse • Frau Yilmaz (G2) möchte den Aufenthalt ihrer niers (G1) sind, erfüllen die Bedingung des zehn- Eltern in der Schweiz, die vor langer Zeit in die jährigen Aufenthalts, nicht aber jene der Nieder- Türkei zurückgekehrt und inzwischen verstorben lassungsbewilligung. Eine solche Bewilligung ist sind, dokumentieren. Dafür muss sie sich an die jedoch erforderlich, damit ihre in der Schweiz ehemalige Wohngemeinde sowie an das für ihre geborenen und eingeschulten Kinder (G3) sich Herkunftsregion zuständige Konsulat wenden; einbürgern lassen können. xiv dieses befindet sich jedoch in Österreich, was die Sache zusätzlich erschwert. Als sie endlich Der Schulbesuch der Eltern erweist sich in unter- die übersetzten und amtlich beglaubigten Do- schiedlichem Ausmass als Hindernis. Bei mehreren kumente erhält, ist die Gültigkeit der übrigen Befragten stösst auf Unverständnis, dass sie do- Dokumente ihres Einbürgerungsdossiers abge- kumentieren müssen, dass die Eltern mindestens laufen; sie müssen neu erstellt werden. xii fünf Jahre die obligatorische Schule in der Schweiz besucht haben. Angesichts der von den Befragten 9 geschilderten Schwierigkeiten mag es erstaunen, dass das SEM • Frau Farina (G2) reagiert ungläubig, als sie er- immer seltener für Fragen zur Dokumentation des fährt, dass sie ihren Schulbesuch in der Schweiz Aufenthalts von Personen der ersten Generation dokumentieren muss, damit ihr Sohn (G3) das kontaktiert wird. xiii Es ist gut möglich, dass sich ei- erleichterte Verfahren in Anspruch nehmen nige Kandidatinnen und Kandidaten aufgrund der kann. Sie erachtet dieses Verfahren als streng: Unmöglichkeit, den Aufenthalt ihrer Grosseltern Bei ihrer ordentlichen Einbürgerung hat sie ihre zu dokumentieren, für ein anderes Verfahren ent- Schulbildung in der Schweiz angegeben, ohne schieden haben, worauf auch andere Erfahrungs- dass eine Dokumentation erforderlich war. xv berichte hindeuten (Kap. 4.2.2). • Frau Greco (G3) versteht nicht, dass sie den Schulbesuch ihrer Mutter (G2) nachweisen Anforderungen an die Eltern der muss, denn diese ist in der Schweiz geboren, K andidatinnen und Kandidaten verfügt über eine C-Bewilligung und hat immer in der Schweiz gelebt. xvi Das Gesetz (Art. 24a Abs. 1 Bst. b BüG) nennt drei Bedingungen in Bezug auf die Eltern, die erfüllt Die Verärgerung ist umso grösser, wenn die betrof- sein müssen, damit die Kandidatinnen und Kan- fenen Personen auf Schwierigkeiten stossen, den didaten Zugang zum erleichterten Verfahren ha- Schulbesuch eines Elternteils zu dokumentieren. xvii ben: «Mindestens ein Elternteil hat eine Niederlas- sungsbewilligung erworben, hat sich mindestens • Herr Elezi (G2) hat vor 19 Jahren die Sekundar- zehn Jahre in der Schweiz aufgehalten und hat schule in der Schweiz besucht. Für den entspre- mindestens fünf Jahre die obligatorische Schule chenden Nachweis hat er die Schulverwaltung in der Schweiz besucht.» kontaktiert. Im Archiv war jedoch nichts zu fin- den, weshalb sich die Schule an den ehemaligen Dass die formellen Voraussetzungen in Bezug auf Lehrer von Herrn Elezi gewandt hat. Nachdem die Eltern nebst einem Aufenthaltsnachweis von dieser bestätigt hat, dass Herr Elezi sein Schüler zehn Jahren auch eine Niederlassungsbewilligung war, hat die Schulverwaltung erneut das Archiv umfassen, führt gewisse Personen der dritten Ge- durchforstet, ist schliesslich fündig geworden neration in eine Sackgasse. und hat die erforderliche Bescheinigung aus- gestellt. xviii • Es kommt namentlich in touristischen Regionen häufig vor, dass Arbeitnehmende (und ihre Fa- • Herr Hasani (G2) ist mehrmals umgezogen und milien) seit vielen Jahren mit kumulierten Bewil- kann seine Schulunterlagen nicht mehr finden. ligungen L in der Schweiz leben. Diese Personen Deshalb hat er seine ehemalige Schule gebeten, (G2), die manchmal selber Kinder von Saison- eine Bescheinigung über den Schulbesuch aus- zustellen. Für die Suche im Archiv hat ihm die Schule 300 Franken in Rechnung gestellt. xix 9 Der Begriff «Befragte» bezieht sich auf Personen, die sich am Gespräch beteiligten, das heisst auf die Kandidatinnen und Die Irritation ist offensichtlich, wenn Personen der Kandidaten selber, manchmal aber auch auf ihre Eltern. dritten Generation jeglicher Zugang zum erleich-
Qualitative Analyse | 15 terten Verfahren verwehrt ist, weil sie den fünfjäh- für den zweiten Elternteil als unnötige oder gar rigen Schulbesuch der Eltern in der Schweiz nicht schmerzhafte Schikane. xxiii nachweisen können. • Frau Steiner (G3) wird gebeten, die Geburts- • Nach der Umwandlung der A-Bewilligung ihres urkunde ihrer Mutter (G2) vorzulegen, während Vaters (G1) in eine B-Bewilligung kam Frau bereits in Bezug auf den Vater bescheinigt ist, Krasniqi (G2) im März 1993 im Familiennach- dass sie der dritten Generation angehört. Ihrer zug aus Kosovo in die Schweiz. Sie war damals Ansicht nach sollte dies den Kandidaten erspart zwölf Jahre alt und wurde in die 5. Klasse der bleiben. xxiv Primarschule aufgenommen; die 6. bis 9. Klasse besuchte sie in einem Heilpädagogischen Zent- • Frau Greco (G3) hat keinen Kontakt mehr zu rum. Nach der Schule absolvierte sie eine Haus- ihrem in Italien geborenen Vater (G2). Daher wirtschaftslehre. Im Jahr 2021 forderten die ist es für sie sehr schwierig, dessen Geburtsur- Behörden die vier Kinder (G3) von Frau Krasniqi kunde beizubringen. Letztlich konnte sie dieses auf, ihr Gesuch um erleichterte Einbürgerung Dokument nur mithilfe einer ortsansässigen Per- zurückzuziehen, da ihre Mutter die Vorausset- son bei der zuständigen italienischen Gemeinde zung des fünfjährigen Schulbesuchs knapp nicht beschaffen. xxv erfüllt. xx • Der Grossvater (G1) von Herrn Kaya (G3) wan- Anforderungen an die Kandidatinnen und derte 1964 in die Schweiz ein. Der Vater (G2) Kandidaten kam 1971 im Familiennachzug nach und be- suchte hier während zweieinhalb Jahren die Das Gesetz (Art. 24a Abs. 1 Bst. c und d und 2 obligatorische Schule. Herr Kaya bemerkt voller BüG) nennt vier Voraussetzungen, die die Kandi- Bitterkeit, dass sein Vater nichts für die kurze datinnen und Kandidaten für den Zugang zum er- Dauer seines Schulbesuchs in der Schweiz kön- leichterten Verfahren erfüllen müssen: «Das Kind ne und dass er diesen Umstand in keiner Weise wurde in der Schweiz geboren. Das Kind besitzt auszugleichen vermöge. Er selber ist heute mit eine Niederlassungsbewilligung und hat mindes- einem Kriterium konfrontiert, das er nicht be- tens fünf Jahre die obligatorische Schule in der einflussen kann und das seinem persönlichen Schweiz besucht. Das Gesuch ist bis zum vollende- Werdegang nicht gerecht wird. xxi ten 25. Altersjahr einzureichen.» • Die Mutter (G2) von Frau Longo (G3) wurde in Die formelle Voraussetzung einer Niederlassungs- der Schweiz geboren, hat hier aber nicht fünf bewilligung verwehrt minderjährigen Personen der Jahre die obligatorische Schule besucht. Frau dritten Generation den Zugang zum erleichterten Longo ist verärgert darüber, dass ihr persön- Einbürgerungsverfahren, wenn ihre Eltern nicht licher Hintergrund als Angehörige der dritten über eine solche Bewilligung verfügen. Ausländergeneration nicht genügt, um Zugang zur erleichterten Einbürgerung zu erhalten. Ihrer • Obwohl sie in der Schweiz geboren und zur Ansicht nach sollten die Grosskinder von Mi- Schule gegangen sind, erfüllen Personen der granten, die in der Schweiz geboren und zur dritten Generation diese Anforderung nicht, Schule gegangen sind, die einer Arbeit nach- wenn ihre Eltern keine Niederlassungsbewilli- gehen und «nichts Böses getan haben», ein gung besitzen. Solche Situationen finden sich solches Verfahren in Anspruch nehmen dürfen. xxii insbesondere in Regionen, in denen viele auslän- dische Arbeitskräfte mit einer Kurzaufenthalts- Eine weitere Hürde, die von den Befragten immer bewilligung leben. xxvi wieder genannt wird, ist die Vorlage der Geburts- urkunden beider Eltern. Das Gesetz hält fest, dass • Die Altersbeschränkungen (max. 25 Jahre nach Personen der dritten Generation zum erleichterten Art. 24a bzw. 35–40 Jahre nach Art. 51a) ver- Verfahren berechtigt sind, wenn «mindestens ein hindern den Zugang zahlreicher Personen zum Elternteil» die entsprechenden Voraussetzungen erleichterten Verfahren. xxvii Für diese ist es un- erfüllt (Art. 24a Abs. 1 Bst. b BüG). Die Befragten verständlich, dass der Umstand, ein Grosskind empfinden die Anforderung der Dokumentation von Migranten zu sein, sozusagen ein Verfalls- datum hat.
16 | Qualitative Analyse 4.2.2 Erfahrungen der Einbürgerungs- Die Befragten sehen sich am häufigsten durch ein kandidaten und Beurteilung des bestimmtes Ereignis in ihrem Leben zur Einbürge- e rleichterten Verfahrens rung veranlasst: das herannahende Erwachsenen- alter, die Einbürgerung eines Familienangehörigen, Bei der Frage, wie die Kandidatinnen und Kandi- der Plan, sich beruflich selbstständig zu machen, daten das Verfahren zur Einbürgerung der dritten eine neue Partnerin oder ein neuer Partner, die Generation empfunden haben, drehten sich die Geburt eines Kindes. Gespräche vor allem um drei Themen: den Ent- schluss, sich einbürgern zu lassen, die Information • Frau Bianchi möchte nicht, dass ihr ungeborenes und das Verhältnis zu den Behörden sowie um die Kind so wie sie mit dem Status als ausländi- Beurteilung des Verfahrens. sche Person in der Schweiz leben muss: «Wir möchten nicht ständig gefragt werden, woher wir kommen.» xxxii Der Entschluss, sich einbürgern zu l assen Ein weiteres wichtiges Argument für den Ent- schluss, sich einbürgern zu lassen, ist die trau- Die Befragten wurden gebeten, zu erzählen, wes- matische Erfahrung bei einem früheren Einbürge- halb und wann sie sich zur Einbürgerung ent- rungsversuch. Die Eltern der zweiten Generation schlossen haben. schildern diese Situation so: Weil sie persönlich oder indirekt ein Scheitern des Einbürgerungsvor- Viele gaben an, dass sie seit Längerem über eine habens erlebt haben, möchten sie ihren Kindern Einbürgerung nachgedacht, den Gedanken aber diese Erfahrung, die sie als erniedrigend empfun- wieder verworfen oder die nötigen Schritte auf- den haben, ersparen. Herr Iseni möchte seinen geschoben hätten, weil sie entweder andere Prio- Sohn möglichst rasch einbürgern lassen, da sein ritäten oder Sorgen (Ausbildung, Beruf, fehlende eigenes Einbürgerungsgesuch abgelehnt wurde. xxxiii finanzielle Mittel) gehabt hätten oder weil sie als Frau Krasniqi xxxiv und Frau Lika xxxv haben trotz ihrer Jugendliche die Bedeutung einer Einbürgerung Bemühungen den Staatskundetest nicht bestan- nicht hätten ermessen können. xxviii den. In den Gesprächen wird spürbar, dass der ablehnende Entscheid verletzt hat. Der wichtigste Grund für die Einbürgerung, den die Befragten der dritten Generation sowie ihre Eltern Der Staatskundetest und das Einbürgerungsge- immer wieder nannten, ist das Gefühl, Schweizer spräch lösen auch bei Personen, die diese Hürden zu sein, weil man in diesem Land geboren ist und geschafft haben, Unbehagen aus. Das Gespräch hier seinen Lebensmittelpunkt hat. Der Wunsch, hat bei Frau Müller einen bitteren Nachgeschmack sich am politischen Leben zu beteiligen, wurde hinterlassen: «Ich wurde ausgefragt, als ob ich ebenfalls als Motivation angegeben, die mit dem eine Ausländerin wäre. Dabei bin ich hier gebo- Alter gereift sei. xxix Manchmal wird eine Einbürge- ren und aufgewachsen.» xxxvi Frau Ferreira möchte rung auch als Schutz vor Diskriminierung gesehen. nicht die gleiche schmerzhafte Erfahrung machen wie ihr Bruder. xxxvii Frau Bernardi hat aus Angst • Für Frau Jimenez (G3) ist die Einbürgerung eine vor der Prüfung nie ein Einbürgerungsgesuch ge- Art Garantie: «Wenn man eine Stelle oder eine stellt, xxxviii ebenso die Eltern von Frau Bianchi xxxix. Wohnung sucht, ist es von Vorteil, Schweizer zu sein.» Sie berichtet, dass sie einmal eine Woh- Ähnliche Erfahrungen hat auch Herr Elezi gemacht. nung nicht erhalten habe, weil sie Ausländerin Deshalb wünscht er für seinen Sohn eine möglichst war. xxx baldige Einbürgerung im erleichterten Verfahren. xl Frau Lika denkt, dass in diesem Verfahren ein An- • Herr Iseni (G3) möchte für seinen Sohn den spruch auf Einbürgerung bestehe, wenn die ent- Schweizer Pass, damit dieser nicht unter Vorur- sprechenden Kriterien erfüllt sind. Damit drückt sie teilen aufgrund seiner Herkunft als Roma leidet. xxxi indirekt eine Kritik am ordentlichen Verfahren aus, das manchmal mit Entscheiden einhergeht, die sie als willkürlich erachtet. xli
Qualitative Analyse | 17 Information und Dossierbearbeitung Verlauf und Beurteilung des Verfahrens Viele der Befragten wussten aufgrund der Abstim- Die Gespräche wurden mit Personen geführt, die mung oder aus den Medien von der Möglichkeit sich eine erleichterte Einbürgerung überlegten zur erleichterten Einbürgerung der dritten Genera- oder die das entsprechende Verfahren vor Kurzem tion. Fast ebenso viele haben von Familienangehö- eingeleitet hatten. Die Erfahrungsberichte bezie- rigen, Freunden oder rein zufällig davon erfahren. hen sich daher nur auf diese erste Phase, die im Verfahren zur erleichterten Einbürgerung beson- Personen, die mit dem Internet vertraut sind, ha- ders intensiv ist. ben die benötigten Informationen beim SEM pro- blemlos gefunden. Auch das leicht verständliche Einige der Befragten freuen sich über diese Mög- Video der EKM wurde sehr geschätzt. lichkeit der erleichterten Einbürgerung von Perso- nen der dritten Generation. Mehrere der Befragten haben sich bei ihrer Ge- meinde informiert und zeigen sich überrascht, wie • Herr Hasani hat seinen Freunden vom erleich- wenig präzise die erhaltenen Auskünfte zum Ver- terten Verfahren erzählt. Viele wussten nichts fahren waren. davon und konnten es kaum glauben. xlvii • Frau Ferrari informiert einen Gemeindeange- • Frau Müller unterstreicht den wichtigsten Vorteil stellten über die Möglichkeit der erleichterten dieses Verfahrens: Es gibt kein Einbürgerungs- Einbürgerung von Personen der dritten Genera- gespräch auf kantonaler Ebene. xlviii tion, der davon keinerlei Kenntnis hat. xlii Während einige der Personen, die sich an die EKM • Als sich Frau Yildiz bei der Gemeinde über die gewandt hatten, sich mit dem neuen Verfahren Einbürgerung informieren möchte, teilt ihr nie- leicht taten, xlix bekundet ein Grossteil der einbür- mand mit, dass sie Anspruch auf ein erleichter- gerungswilligen Personen jedoch Schwierigkeiten. tes Verfahren hat. xliii Besonders wenn es um die Beschaffung der Do- kumente ging, wähnten sie sich in einem wahren • Ein Gemeindevertreter berichtet, dass viele der Bürokratiedschungel. Personen, die sich über die erleichterte Einbür- gerung erkundigen, die Voraussetzungen bei- • Frau Yilmaz stellt fest, dass das ordentliche Ver- spielsweise in Bezug auf den Schulbesuch der fahren für ihren Sohn fast einfacher war als das Eltern und Grosseltern nicht erfüllten. Er scheint erleichterte Verfahren für ihre beiden Töchter, nicht zu wissen, dass bezüglich Schulbesuch der unter anderem wegen «dem ganzen Papier- Grosseltern keine Anforderungen bestehen. xliv kram». l • Herr Rossi hat sich an die Gemeinde gewandt, Sehr viele Befragte haben das Gefühl, mit den und diese hat ihm das Formular für die Einbür- Schwierigkeiten allein gelassen zu sein. Sie be- gerung nach Artikel 24a mitgegeben. Später dauern, dass der Kontakt mit der Verwaltung aus- hat er vom SEM das Formular für die Einbür- schliesslich über das Internet erfolgt. gerung nach Artikel 51a erhalten. Da er den Unterschied zwischen diesen Formularen nicht • Herr Moretti weist auf einen Widerspruch hin: versteht, reicht er beide ein. xlv «Die Behörden erwarten, dass man die Infor- mationen im Internet zusammensucht. Aber das • Herr Verdi hat ein Formular für die erleichterte Gesuchsformular kann man nicht online her- Einbürgerung angefordert, aber vom Kanton unterladen. Dieses muss per E-Mail beim SEM das Formular für die ordentliche Einbürgerung angefordert werden. Heute läuft vieles online. erhalten. Dabei wurde ihm versichert, dass die Manuell dauert alles sehr lang.» li Verfahren zwar unterschiedlich, die Dokumente für beide Einbürgerungsarten aber die gleichen • Nach Ansicht von Frau Jimenez wäre es einfa- seien. xlvi cher, wenn die Behörde mit Einverständnis der Kandidaten die benötigten Dokumente selber zusammentragen würde. lii
18 | Qualitative Analyse Die Befragten bedauern, dass es keine Ansprech- Schweizer Pass ist ein Türöffner. Wenn man jung person gibt, um Fragen zu beantworten, Lösungen ist, ist es einem ziemlich egal, aber als Erwachse- zu suchen, Dokumente zusammenzutragen oder ner sieht man das Ganze etwas anders.» lix abzuklären, ob im Wohnkanton die Kindergarten- jahre dem fünfjährigen Schulbesuch angerechnet werden. Umso mehr wird die Möglichkeit einer 4.2.3 Zwischenbilanz telefonischen Kontaktaufnahme mit der EKM ge- schätzt. liii Mehrere der Befragten sind besorgt, Die Analyse der Gespräche mit den Einbürge- wenn sie lange nichts hören; sie wünschen eine rungskandidatinnen und -kandidaten ermöglicht Ansprechperson, die sie über den Stand des Ver- es, eine Zwischenbilanz über die Umsetzung des fahrens informieren könnte. neuen Verfahrens zu ziehen. Einige der Befragten erachten die Kriterien für die Das erleichterte Verfahren wird allgemein sehr ge- Zugehörigkeit zur dritten Generation allgemein als schätzt und als gute Alternative zum ordentlichen zu restriktiv, insbesondere was die Anforderungen Verfahren erachtet. Tatsächlich bringt das ordent- in Bezug auf die Eltern betrifft: «Schliesslich geht liche Verfahren einige Hürden mit sich, die sich es um die Einbürgerung eines Kindes, das hier ge- für zahlreiche Personen der ersten oder zweiten boren und aufgewachsen ist!» liv Generation als unüberwindbar erwiesen haben. Doch auch das neue Verfahren ist mit Schwierig- • Frau Longo (G3) ist in der Schweiz geboren. keiten verbunden, wie in den folgenden drei Punk- Sie findet es ungerecht, dass die Anerkennung ten deutlich wird: ihres Status als Angehörige der dritten Gene- ration und der Zugang zum erleichterten Ver- 1. Es ist schwierig nachzuweisen, dass die Gross- fahren davon abhängen, wie lange ihre Mutter eltern eine Aufenthaltsbewilligung besassen. die obligatorische Schule in der Schweiz besucht Dies gilt vor allem dann, wenn sie in ihr Her- hat. «Die Behörden nehmen keine Gesamtbe- kunftsland zurückgekehrt oder verstorben sind. urteilung vor. Sie betrachten die Kandidaten als Die Schweizer Verwaltungen vermögen diese Nummern, und nicht als Personen, die mit ihrem Informationslücke nicht immer zu schliessen, eigenen persönlichen Hintergrund ein Teil dieser namentlich wenn der Sachverhalt auf die Zeit Gesellschaft sind.» lv vor der Digitalisierung von Verwaltungsdaten zurückgeht. In diesem Fall bleibt den Kandi- • Herr Moretti findet die Altersbeschränkung in- daten der Zugang zum erleichterten Verfahren akzeptabel. «Warum sollten Personen, die älter verwehrt. Somit tragen sie die Folgen von tech- als 25 sind, nicht der dritten Generation an- nischen oder administrativen Schwierigkeiten, gehören? Die Altersgrenze macht überhaupt für die sie nichts können. keinen Sinn.» lvi 2. Die Anforderung, dass ein Elternteil mindestens • Frau Jimenez bemerkt, dass für jemanden, der fünf Jahre die obligatorische Schule besucht aus der Lehre kommt, die Kosten für eine er- haben muss, schliesst gewisse Grosskinder von leichterte Einbürgerung immer noch zu hoch Migranten ungerechtfertigterweise vom erleich- seien. lvii terten Einbürgerungsverfahren aus und ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Für Familien, Trotz dieser Schwierigkeiten würden viele Befrag- die schon sehr lange in der Schweiz leben und te das erleichterte Verfahren einer befreundeten deren jüngste Mitglieder häufig zur vierten Ge- Person aus der dritten Generation aber auf jeden neration gehören, ist die Schwierigkeit prakti- Fall empfehlen. scher Natur und liegt in der Dokumentation. Personen, der zweiten Generation, die in der Auch wenn einige Kandidatinnen und Kandidaten Schweiz geboren wurden, immer hier gelebt vollkommen zufrieden sind, lviii scheinen in Bezug und die Schule besucht haben, erscheint die auf das Verfahren gemischte Gefühle vorherr- Anforderung als bürokratische Hürde. Zudem schend. Die Worte von Frau Bianchi bringen es bedeutet die Anforderung eine indirekte Diskri- auf den Punkt: «Mein Gefühl ist weder negativ minierung für Familien, die noch nicht so lange noch positiv. Diese ganze Bürokratie ist ein wenig hier sind, wobei vor allem an die Saisonniers zu frustrierend. Man sollte es nicht eilig haben. Der denken ist. Da ihnen lange Zeit das Recht auf
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