Zugang zur erleichterten Einbürgerung von Personen der dritten Generation

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Zugang zur erleichterten Einbürgerung von Personen der dritten Generation
Zugang zur erleichterten Einbürgerung
von Personen der dritten Generation
Bilanz nach drei Umsetzungsjahren (2018–2020)

Studie im Auftrag der Eidgenössischen Migrationskommission EKM
Philippe Wanner, Rosita Fibbi

Februar 2022

     Schweizerische Eidgenossenschaft   Eidgenössische Migrationskommission EKM
     Confédération suisse               Commission fédérale des migrations CFM
     Confederazione Svizzera            Commissione federale della migrazione CFM
     Confederaziun svizra
Impressum
Herausgeberin
Eidgenössische Migrationskommission EKM,
Quellenweg 6, CH-3003 Bern-Wabern, www.ekm.admin.ch
Autorenschaft
Philippe Wanner, Universität Genf
Rosita Fibbi, Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien SFM,
Universität Neuenburg
Redaktion
Pascale Steiner, Bettina Looser, Sibylle Siegwart
Übersetzung
Trudy Keel
Lektorat
Esther Füller
Titelbild
© EKM
Gestaltung
Cavelti AG. Marken. Digital und gedruckt, Gossau

© EKM/Februar 2022
Einleitung   | 3

Vorwort

Seit dem 15. Februar 2018 ist das Gesetz über die       werden, da es viele über 25 Jahre alte Personen mit
erleichterte Einbürgerung der dritten Generation        Interesse an einer erleichterten Einbürgerung gibt.
von Ausländerinnen und Ausländern in Kraft – der
entsprechende Verfassungsartikel wurde in der           Der administrative Aufwand des heutigen Ver-
Volksabstimmung mit grossem Mehr angenom-               fahrens ist für die Angehörigen der dritten Ge-
men. Die Eidgenössische Migrationskommission            neration ungerechtfertigt gross: Zwar erfüllen sie
EKM wollte wissen, wie sich das Gesetz auswirkt,        selbst alle Integrationsbedingungen, doch wird
und gab bei Philippe Wanner und Rosita Fibbi eine       ihr Antrag auf Einbürgerung vom Aufenthaltssta-
wissenschaftliche Studie in Auftrag.                    tus der Grosseltern oder von den obligatorischen
                                                        Schuljahren der Eltern abhängig gemacht. Diese
Die nun vorliegenden Resultate zeigen, dass we-         Erfahrung frustriert viele und lässt sie den Pro-
sentlich weniger Personen als ursprünglich erwar-       zess abbrechen, was nicht zuletzt auch negative
tet die Möglichkeiten der neuen Gesetzgebung            Auswirkungen auf ihr Zugehörigkeitsgefühl zur
nutzen. Von den rund 25 000 Berechtigten wurden         schweizerischen Gesellschaft hat.
bisher nur gerade rund 1800 eingebürgert. Die
Studie zeigt auch auf, warum das so ist: Die Hür-       Für die Befürworterinnen und Befürworter einer
den sind höher als erwartet – häufig sind sie sogar     strengen Einbürgerungspolitik ist der Nachweis
so hoch, dass die Anforderungen gar nicht zu er-        der Integration zwingend, auch wenn die Ange-
füllen sind. Es zeigt sich deutlich: Die erleichterte   hörigen der dritten Generation faktisch bereits
Einbürgerung wird der dritten Generation nicht          vollständig integriert sind. Wenn dennoch kaum
erleichtert, sondern vielmehr erschwert.                zu überwindende Hürden bestehen, muss sich die
                                                        Politik den Vorwurf gefallen lassen, es gehe ihr
Jugendliche der dritten Ausländergeneration sind        darum, möglichst viele Einwohnerinnen und Ein-
in der Schweiz geboren, fühlen sich selbstver-          wohner der Schweiz nicht an den politischen Rech-
ständlich als Teil der Gesellschaft und nehmen am       ten beteiligen zu wollen. Das wiederum wäre ein
beruflichen und sozialen Leben teil. Sie sind Ein-      fatales Signal für die schweizerische Demokratie,
heimische – ohne Schweizer Pass. Darüber sind           die auf die aktive politische Beteiligung der Men-
sich alle einig. Dass es dennoch nicht klappt mit       schen im Land angewiesen ist.
der erleichterten Einbürgerung, liegt an den allzu
komplizierten formalen Bedingungen: Belege für          Denn wie soll ein derart föderalistisches, subsi-
den Aufenthaltsstatus der Grosseltern beizubrin-        diäres und direktdemokratisches System wie das
gen, erweist sich oft als schwierig bis unmöglich.      schweizerische funktionieren, wenn unnötig viele
Viele Eltern können zudem ihre Schulzeit in der         Menschen davon ausgeschlossen sind? Und wie
Schweiz nicht genügend nachweisen, weil sie als         soll man die jungen Menschen dann motivieren,
Kinder von Saisonniers erst spät einreisen durften.     nicht nur in dieser Gesellschaft zu leben, sondern
Zudem erteilen viele Gemeinden mangelhafte oder         sich auch für sie zu engagieren?
falsche Auskünfte.
                                                        Walter Leimgruber
Alle diese Probleme liessen sich recht einfach lö-      Präsident der Eidg. Migrationskommission EKM
sen, denn sie betreffen nicht den Verfassungsar-
tikel selbst, sondern nur die Ausführungsgesetz-
gebung. So müsste eigentlich der Schulnachweis
der Eltern genügen, um die Anwesenheit der
Grosseltern zu beweisen. Auch ein direkter Zu-
griff auf verschiedene Verwaltungsdaten (Migra-
tionsinformationssystem, AHV-Ausgleichskasse,
Steuerunterlagen) würde vieles vereinfachen. Zu-
dem müsste die Altersgrenze, die bei anderen Ein-
bürgerungsverfahren unbekannt ist, aufgehoben
4    | Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis
1.         Einleitung5
2.         Vorgehen7
3.         Statistische Analyse                                                    8
3.1        Anzahl Gesuche und Entwicklung nach Geschlecht und Alter                8
3.2        Staatsangehörigkeit                                                     9
3.3        Kantone                                                                10
4.         Qualitative Analyse                                                    12
4.1        Die befragten Personen                                                 12
4.2        Die Perspektive der Kandidatinnen und Kandidaten                       12
4.2.1      Formelle Voraussetzungen für den Zugang zum erleichterten V
                                                                     ­ erfahren   13
4.2.2      Erfahrungen der Einbürgerungskandidaten und Beurteilung
           des e­ rleichterten Verfahrens                                         16
4.2.3      Zwischenbilanz                                                         18
4.3        Die Perspektive der Verwaltungen                                       19
4.3.1      Verwaltung der Gesuche im SEM                                          19
4.3.2      Bemerkungen, Interpretationen und Massnahmen der befragten
           Verwaltungen20
4.3.3      Beurteilung des erleichterten V
                                         ­ erfahrens durch die Verwaltungen       21
4.3.4      Von den Verwaltungen v­ orgeschlagene Vereinfachungen                  21
5.         Zusammenfassung22
6.         Wie lässt sich die erleichterte Einbürgerung ­e rleichtern?23
           Literaturhinweise26
Einleitung   | 5

1.       Einleitung
Die erleichterte Einbürgerung der dritten Generation ist ein neues, einstufiges Verfahren, das in der
Kompetenz des Bundes liegt. Nach drei Umsetzungsjahren zieht die EKM Bilanz.

Seit ihrer Einführung im Jahr 2018 wirft die er-                   Artikel 24a BüG hält fest: «Das Kind ausländischer
leichterte Einbürgerung von Personen der ­d ritten                 Eltern kann auf Gesuch hin erleichtert eingebür-
Generation 1 Fragen auf. Diese beziehen sich                       gert werden, wenn die folgenden Voraussetzun-
namentlich auf die Resonanz des neuen Einbür-                      gen erfüllt sind:
gerungsverfahrens in der Zielgruppe, aber auch
auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Die                     a. Mindestens ein Grosselternteil ist in der Schweiz
Eidgenössische Migrationskommission EKM hat                           geboren worden oder es wird glaubhaft ge-
bereits 2019 eine Studie über das erste Jahr der                      macht, dass er ein Aufenthaltsrecht erworben
Umsetzung dieser neuen Gesetzesbestimmungen                           hat.
durchgeführt. Heute möchte sie erneut Bilanz zie-
hen und sich dabei auf die Erfahrungen stützen,                    b. Mindestens ein Elternteil hat eine Niederlas-
die in den ersten drei Jahren gemacht wurden.                         sungsbewilligung erworben, hat sich mindes-
Die EKM hat Philippe Wanner und Rosita Fibbi mit                      tens zehn Jahre in der Schweiz aufgehalten und
dieser Studie betraut, die sich bereits zuvor einge-                  hat mindestens fünf Jahre die obligatorische
hend mit dieser Thematik befasst haben («Wanner                       Schule in der Schweiz besucht.
2016, Bader und Fibbi 2017, Fibbi 2019).
                                                                   c. Das Kind wurde in der Schweiz geboren.
Bekanntlich sieht das Bürgerrechtsgesetz (BüG)
seit dem 15. Februar 2018 die erleichterte Einbür-                 d. Das Kind besitzt eine Niederlassungsbewilligung
gerung der in der Schweiz lebenden Ausländerin-                       und hat mindestens fünf Jahre die obligatori-
nen und Ausländer der dritten Generation vor.                         sche Schule in der Schweiz besucht.

                                                                   Das Gesuch ist bis zum vollendeten 25. Alters-
                                                                   jahr einzureichen, und das eingebürgerte Kind
                                                                   erwirbt das Bürgerrecht der Wohngemeinde und
                                                                   des Wohnkantons zum Zeitpunkt des Bürger-
                                                                   rechtserwerbs.» Bis Ende 2020 konnten insgesamt
                                                                   1350 Personen von dieser Bestimmung profitieren.

1   In dieser Studie wie auch in der Literatur zu diesem Thema
    wird der Begriff «dritte Generation» verwendet und mit «G3»
    abgekürzt. Das Gleiche gilt für die Begriffe «zweite Genera-
    tion» bzw. «G2» und «erste Generation» bzw. «G1».
6   | Einleitung

Artikel 51a BüG verweist auf die Übergangsbe-          Gemäss dem Mandat soll die vorliegende Studie
stimmung: «Personen der dritten Ausländerge-           verschiedene Fragen beantworten:
neration, die bei Inkrafttreten der Änderung vom
30. September 2016 dieses Gesetzes das 26. Al-         • Wie viele Personen der dritten Generation wur-
tersjahr erreicht und das 35. Altersjahr noch nicht      den im erleichterten Verfahren eingebürgert,
vollendet haben sowie die Voraussetzungen von            welche demografischen Merkmale weisen sie
Artikel 24a Absatz 1 erfüllen, können nach dem           auf, und in welchen Kantonen wohnen sie?
Inkrafttreten während fünf Jahren ein Gesuch um
erleichterte Einbürgerung stellen.» In den drei Jah-   • Welche Lehren lassen sich aus dem Vergleich
ren, die diese Studie abdeckt, kamen insgesamt           dieser Daten mit den Prognosen vor Einführung
497 Personen in den Genuss dieser Übergangs-             der neuen Bestimmungen ziehen?
bestimmung.
                                                       • Wie beurteilen die betroffenen Personen die
Die erleichterte Einbürgerung der dritten Genera-        praktische Umsetzung des neuen Verfahrens?
tion ist ein einstufiges Verfahren: Der Bund – im
vorliegenden Fall das Staatssekretariat für Migra-     • Wie beurteilen die Behörden dieses neue Inst-
tion SEM – prüft, ob die entsprechenden Kriterien        rument, und welche Verbesserungsvorschläge
erfüllt sind, und entscheidet, ob die Bewerbe-           bringen sie an?
rinnen und Bewerber den Schweizer Pass erhal-
ten. Dieses Verfahren unterscheidet sich von der
ordentlichen Einbürgerung, die ein dreistufiges
Verfahren vorsieht: 1. die Gemeinde sichert das
Gemeindebürgerrecht zu; 2. der Kanton sichert
das Kantonsbürgerrecht zu; 3. der Bund erteilt die
Einbürgerungsbewilligung.
Vorgehen      | 7

2. Vorgehen
Die Kombination von qualitativen und quantitativen Verfahren erlaubt es, die Herausforderungen beim
Zugang zur erleichterten Einbürgerung der dritten Generation zu ermitteln.

Für diese Studie wurde sowohl ein quantitativer          Der zweite Teil stellt eine doppelte qualitative Ver-
(erster Teil) als auch ein qualitativer (zweiter Teil)   tiefung dar. Er lässt die betroffenen Personen zu
Ansatz gewählt. Durch die Kombination dieser bei-        Wort kommen und beleuchtet die in der statisti-
den Ansätze ergeben sich Empfehlungen für einen          schen Analyse dargelegten Sachverhalte. Dieser
besseren Zugang zur erleichterten Einbürgerung           Teil beruht auf zwei weiteren Quellen:
für die dritte Generation.
                                                         • den Anfragen von einbürgerungswilligen Per-
Der erste Teil gibt einen statistischen Überblick          sonen, die zwischen April und November 2021
über die erleichterte Einbürgerung der dritten Ge-         bei der EKM eingegangen sind, sowie deren
neration in den ersten drei Jahren nach Inkrafttre-        Erfahrungsberichten. In diesem Zeitraum, der
ten des neuen Gesetzes. Er beruht auf Daten des            auch der Dauer des Mandats für diese Studie
SEM, gepaart mit amtlichen Statistiken (Statistik          entspricht, haben sich 38 Personen bei der EKM
der Bevölkerung – STATPOP und Strukturerhebung)            über das Verfahren für die erleichterte Einbür-
des Bundesamts für Statistik BFS.                          gerung erkundigt. Nach Erhalt der Auskünfte
                                                           haben sich 28 Personen zu einem Gespräch über
                                                           ihre Erfahrungen mit dem Einbürgerungsverfah-
                                                           ren für die dritte Generation bereit erklärt.

                                                         • den Gesprächen mit Vertretern der öffentlichen
                                                           Verwaltung, die sich mit Einbürgerungsfragen
                                                           befassen. Insgesamt wurden sieben Gespräche
                                                           geführt: mit einer Vertreterin der Bundesbehör-
                                                           de, die für das neue Verfahren zuständig ist,
                                                           sowie mit je drei Vertretern von kantonalen und
                                                           kommunalen Behörden, die in direktem Kontakt
                                                           stehen mit Personen, die sich über die erleichter-
                                                           te Einbürgerung informieren möchten. 2

                                                         2   Die römischen Endnoten im Anhang verweisen auf die Inter-
                                                             views, aus welchen die jeweiligen Aussagen stammen. Aus
                                                             Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden die vollständi-
                                                             gen Notizen zu den Interviews nicht in der Studie veröffent-
                                                             licht.
8   | Statistische Analyse

3. Statistische Analyse
Die Zahlen geben Aufschluss über demografische Merkmale der eingebürgerten Personen der dritten
Generation und erlauben die Identifizierung kantonaler Besonderheiten.

Das SEM und das BFS haben bislang keine Daten           chung und dem Abschluss des Verfahrens besteht,
zur Einbürgerung von Personen der dritten Ge-           auch wenn es sich um ein erleichtertes Verfahren
neration veröffentlicht. Daher ist es für die inte­     handelt. Es zeigt sich, dass Personen, die ihr Ge-
ressierte Öffentlichkeit nicht möglich zu eruieren,     such direkt nach Einführung des neuen Gesetzes
wie viele Personen der dritten Generation jährlich      eingereicht hatten, erst ein oder zwei Jahre danach
eingebürgert werden und welche demografischen           eingebürgert wurden.
Merkmale (Geschlecht, Alter, Staatsangehörigkeit,
Wohnkanton) sie aufweisen. Der vorliegende Teil
soll darüber Aufschluss geben.                          Tabelle 1: Entwicklung der bewilligten Einbürgerungen von
                                                        Personen der dritten Generation, nach Gesetzesartikel und Jahr

                                                                                              Jahr
3.1      Anzahl Gesuche und Entwicklung
                                                         Artikel                   2018          2019           2020
         nach Geschlecht und Alter
                                                         Artikel 24a                216              558         576

Das SEM stellte zwei Datensätze zur Verfügung,           Artikel 51a                  63             226         208

die den Studienzeitraum abdecken: einerseits die         Total                      279              784         784
Gesamtzahl der eingereichten Gesuche um erleich-        Quellen: SEM, ZEMIS, vom SEM über das BFS bereitgestellte
terte Einbürgerung, andererseits die Anzahl be-         Daten.
willigter Gesuche. Im Jahr 2018 wurden insgesamt
972 Gesuche gestellt. Diese Zahl hat sich im Jahr
2019 auf 903 und im Jahr 2020 auf 897 verrin-           Ausserdem lässt sich feststellen, dass in den Jah-
gert. 3 Die Anzahl bewilligter Gesuche belief sich      ren 2019 und 2020 die Anzahl Einbürgerungen
im Jahr 2018 auf 282, im Jahr 2019 auf 799 und          nach der Übergangsbestimmung (Art. 51a BüG)
im Jahr 2020 auf 787. Die Differenz zwischen den        jeweils mehr als 200 betrug, sich aber etwas ab-
eingereichten Gesuchen und den effektiv erfolgten       zuschwächen scheint. Derweil hat die Anzahl Ein-
Einbürgerungen erklärt sich durch die Dauer des         bürgerungen nach Artikel 24a BüG zwischen 2019
Verfahrens.                                             und 2020 leicht zugenommen. Generell lassen die
                                                        Tendenzen zwischen 2018 und 2020 erwarten,
Auch das BFS hat Daten zu erfolgten Einbürge-           dass die Zahl der Einbürgerungen nach dem er-
rungen zur Verfügung gestellt (Tabelle 1). Diese        leichterten Verfahren sich in den nächsten Jahren
weichen minim von den Daten ab, die das SEM             stabilisieren oder gar zurückgehen wird.
direkt bereitgestellt hat und die in Kapitel 4.3.1
erläutert werden. Das folgende Kapitel stützt sich      Bei der Verteilung der erleichterten Einbürgerung
auf den Datensatz des BFS, da er demografische          (Art. 24a BüG) nach dem Alter der Bewerberinnen
Variablen umfasst. Gemäss dieser Quelle wurden          und Bewerber zeigt sich folgendes Bild: Die grosse
im Jahr 2018 insgesamt 279 Einbürgerungen re-           Mehrheit (über 85 %) sind Männer und Frauen,
gistriert und in den beiden Folgejahren wurden          die zum Zeitpunkt ihrer Einbürgerung zwischen 10
jeweils 784 Personen eingebürgert. Dieser Anstieg       und 24 Jahre alt waren (Abbildung 1). In einigen
erklärt sich dadurch, dass ein grosser zeitlicher Ab-   Fällen wurden jedoch über 25-jährige Personen
stand zwischen dem Zeitpunkt der Gesuchseinrei-         eingebürgert, die ihr Gesuch vermutlich vor dem
                                                        25. Geburtstag eingereicht hatten. Die Übergangs-
                                                        bestimmung (Art. 51a BüG) bezieht sich haupt-
3   Mitteilung des SEM; siehe Kapitel 4.3.1.
Statistische Analyse    | 9

Abbildung 1: Verteilung der Einbürgerungen der dritten Generation nach Alter, Geschlecht und Gesetzesartikel

                                 Männer                                    Frauen
                                                      36

                                                      33

                                                      30

                                                      27

                                                      24

                                                      21

                                                      18

                                                      15

                                                      12

                                                       9

                                                       6

                                                       3

                                                       0

    –80          –60         –40          –20           0             20            40         60           80        100

                                                            24a
                                                            51a

Quellen: SEM, ZEMIS, BFS, STATPOP.

sächlich auf Personen zwischen 25 und 40 Jahren. 4                3.2       Staatsangehörigkeit
Sie kann aber auch Kinder unter zehn Jahren be-
treffen, wenn diese der vierten Generation an-                    Spitzenreiter bei der erleichterten Einbürgerung
gehören und in das Einbürgerungsverfahren der                     sind die italienischen Staatsangehörigen: Mit
Eltern der dritten Generation einbezogen sind.                    955 Personen machen sie 51,7 Prozent aller Ein-
                                                                  bürgerungen im erleichterten Verfahren aus. Eben-
Die alters- und geschlechtsspezifische Verteilung                 falls mehr als 100 Einbürgerungen entfallen auf
ist eher untypisch (Abbildung 1). Bei den Män-                    Personen aus der Türkei (274), aus Spanien (120)
nern, die in der Minderheit sind, erfolgt die Ein-                und aus dem Kosovo (109). Nordmazedonien (94)
bürgerung zumeist vor dem 20. Geburtstag. Da-                     und Serbien (70) sind Nationalitäten mit mehr als
nach nimmt die Anzahl Einbürgerungen ab, was                      50 Einbürgerungen (Tabelle 2).
vielleicht mit der Militärdienstpflicht zu tun hat,
und ab dem Alter von 25 Jahren nimmt sie wieder                   Setzt man diese Zahlen in Beziehung zur geschätz-
zu. Bei den Frauen ist die Altersverteilung einheit-              ten Anzahl Personen, die den Kriterien für eine
licher. Es sind jedoch Spitzenwerte bei 18 und                    erleichterte Einbürgerung der dritten Generation
25 Jahren zu beobachten, also bei Erreichen der                   entsprechen, 5 wird ersichtlich, dass Drittstaatsan-
Volljährigkeit und beim Höchstalter für die erleich-              gehörige diese Möglichkeit eher nutzen als EU/
terte Einbürgerung.                                               EFTA-Staatsangehörige. Im Jahr 2016 wurde an-
                                                                  hand der verfügbaren Informationen geschätzt,
                                                                  wie viele ausländische Personen der dritten Ge-
                                                                  neration «einbürgerungsfähig» wären (Wanner
4   Personen der dritten Ausländergeneration, die bei Inkraft-    2016). Indem die durchschnittliche Anzahl Einbür�  -
    treten des Gesetzes (15. Februar 2018) das 26. Altersjahr
                                                                  gerungen pro Jahr durch die geschätzte Anzahl
    erreicht und das 35. Altersjahr noch nicht vollendet haben
    sowie die Voraussetzungen dazu erfüllen, können bis am        «einbürgerungsfähiger» Personen geteilt wird,
    15. Februar 2023 ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung
    stellen (Art. 51a BüG). Siehe auch https://www.sem.admin.
    ch/sem/de/home/integration-einbuergerung/schweizer-­
    werden/3-generation.html (Stand: 27.11.2021).                 5   Schätzung einer früheren Studie: Wanner 2016
10   | Statistische Analyse

lässt sich eine theoretische Einbürgerungsquote                  Bei der Anzahl Einbürgerungen nach Staatsange-
nach Artikel 24a BüG berechnen.                                  hörigkeit lässt sich zwischen 2018 und 2020 eine
                                                                 leicht unterschiedliche Entwicklung beobachten.
Die Zahlen zeigen, dass türkische, kosovarische                  Im Vergleich zu anderen Nationalitäten ist Italien
und nordmazedonische Staatsangehörige der drit-                  im Jahr 2018 übervertreten: 123 von 272 Einbür-
ten Generation die höchsten Quoten aufweisen.                    gerungen nach Artikel 24a BüG entfielen auf ita-
Bei den portugiesischen, spanischen und italieni-                lienische Staatsangehörige, das sind 45 Prozent
schen Staatsangehörigen ist die Quote am tiefsten.               aller bewilligten Einbürgerungen (gegenüber 231
                                                                 von 784 Einbürgerungen im Jahr 2020, das heisst
Praktisch alle Einbürgerungen von Personen aus                   30 %). Es lässt sich jedoch nicht abschätzen, ob
dem Kosovo und aus Nordmazedonien erfolgten                      die italienische Übervertretung auf die höhere An-
nach Artikel 24a BüG. Hingegen wurden mehr als                   zahl Dossiers, die unmittelbar nach Inkrafttreten
ein Drittel der italienischen und fast ein Viertel               des neuen Gesetzes eingereicht wurden, oder auf
der türkischen Staatsangehörigen im Rahmen der                   andere Faktoren wie die Dauer des Verfahrens zu-
Übergangsbestimmungen (Art. 51a BüG) einge-                      rückzuführen ist.
bürgert. Dies ist damit begründet, dass die Zu-
wanderung der italienischen und türkischen Mig-
rantinnen und Migranten weiter zurückliegt.                      3.3     Kantone

Interessant zu erwähnen ist auch, dass die ge-                   Die Kantone zeichnen sich durch eine ungleiche
schlechtsspezifische Verteilung der Einbürgerung                 Verteilung der Anzahl Einbürgerungen im Zeitraum
je nach Staatsangehörigkeit variiert. Von den                    2018–2020 aus. Ein Viertel der Einbürgerungen
italienischen und spanischen Staatsangehörigen                   betrifft Personen, die im Kanton Aargau woh-
lassen sich mehr Frauen als Männer einbürgern:                   nen (515 Fälle), gefolgt von St. Gallen (181 Fälle),
64 Prozent der eingebürgerten Personen aus Ita-                  Thurgau (177 Fälle), Solothurn (174 Fälle) und
lien und 59 Prozent der eingebürgerten Personen                  Bern (155 Fälle). Städtische Kantone wie Zürich
aus Spanien waren Frauen. Ausgewogener ist die                   (91 Fälle), Waadt (55 Fälle) oder Genf (55 Fälle)
Verteilung bei den kosovarischen (48 % Frauen                    sind viel weniger von der Einbürgerung der dritten
und 52 % Männer) und nordmazedonischen (je                       Generation betroffen. Diese Unterschiede lassen
50 % Frauen und Männer) Staatsangehörigen. Die                   sich nicht einfach erklären. Vielmehr ist schwer
stärkere weibliche Vertretung lässt wahrscheinlich               nachvollziehbar, weshalb in gewissen Kantonen
darauf schliessen, dass junge Männer angesichts                  im ersten Jahr nach Inkrafttreten der neuen Geset-
der Militärdienstpflicht zurückhaltender sind.                   zesbestimmungen zahlreiche Personen im erleich-
                                                                 terten Verfahren eingebürgert wurden, während

Tabelle 2: Anzahl Einbürgerungen, Anteil der Frauen und theoretische Einbürgerungsquote (gegenüber «einbürgerungsfähigen»
Personen)

                                                                                   «Einbürgerungsfähi-   Jährliche Durch-
                   Artikel 24a     Artikel 51a       Total           % Frauen      ge» Bevölkerung*      schnittsquote**

 Italien                     610            345               955           63,7                14 331                1,4

 Türkei                      215             59               274           53,6                 2 251                3,2

 Spanien                      70             50               120           59,2                 1 890                1,2

 Kosovo                      109                 0            109           47,7                  965                 3,8

 Nordmazedonien               94                 0             94           50,0                  900                 3,5

 Serbien                      64                 6             70           57,1                  823                 2,6

 Portugal                     36             10                46           58,7                 1 185                1,0

 Deutschland                  33                 7             40           65,0                  680                 1,6

 Gesamthaft                1 350            497              1 847                              24 654                1,8

Quellen: SEM, ZEMIS, BFS, STATPOP; * Wanner 2016. ** Einbürgerungen nach Artikel 24a.
Statistische Analyse          | 11

Abbildung 2 : Erleichterte Einbürgerungen der dritten Generation – jährliche Durchschnittsquote in den Schweizer Kantonen (er-
leichterte Einbürgerungen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Ausländerinnen und Ausländer)

                                                                                   Schaffhausen
                                                                                   0,1%
                                                            Basel-Stadt            1
                                                            0,9%
                                     Basel-Landschaft       19
                                     2%                                                                    Thurgau
                                     83                                                                    3,4%
                                                                                                           135                     Appenzell Ausserrhoden
                                                                                         Zürich
                                                                          Aargau         0,4%                                      1%
                                     Jura                                 3,9%                                                     4
                                     2%                                                  44
                                                        Solothurn         397
                                     10                                                                                            Appenzell Innerrhoden
                                                        2,2%
                                                        98                             Zug                                         8,3%
                                                                                       2,4%                      St.Gallen         4
                                                                      Luzern                                        2,3%
                                                                                       19    Schwyz
                                                                      2,2%                                            140
                         Neuchâtel                                    52                     4,3%
                         0,9%                                                                               Glarus
                                                                                   Nidwalden 54             2,4%
                         23
                                                    Bern              Obwalden 1,8%                         17
                                                    1,5%                 0,9% 1
                                                    92                       1      Uri
                               Fribourg                                             0,7%                                     Graubünden
                               2,1%                                                 1                                        1,1%
                  Vaud                                                                                                       6
                  0,7%         33
                  30

                                                                                                  Ticino
                                                                                                  0,5%
                                                                                                  16
                                                  Valais
                                                  1,8%
         Genève                                   40                                                                                                 Quote
         0,7%
                                                                                                                                                          0,1–0,5
         30
                                                                                                                                                          0,5–1,1
                                                                                                                                                          1,1–2,4
                                                                                                                                                          2,4–4,3
                                                                                                                                                          4,3–8,3

Quelle: SEM, STATPOP.

andere Kantone im gleichen Jahr praktisch keine                                    nen). So wurden bis Ende 2020 im Aargau 12%
vergleichbaren Fälle verzeichneten. So zählte der                                  der «einbürgerungsfähigen» Personen über Arti-
Kanton Aargau im Jahr 2018 bereits 110 Einbür-                                     kel 24a eingebürgert, während dieser Anteil in
gerungen (d. h. 40 % aller Personen der dritten                                    Zürich nur gerade 1,2% betrug. Die jährlichen Ein-
Generation, die in diesem Jahr in der Schweiz ein-                                 bürgerungsquoten sind oben in Abbildung 2 dar-
gebürgert wurden), während es in Zürich, Luzern                                    gestellt.
und in den Westschweizer Kantonen weniger als
zehn Fälle waren. Letztere verzeichneten im Zeit-                                  Einige Kantone gehören dem Konkordat von 1994 6
raum 2018 – 2019 eine starke Zunahme der Ein-                                      an, welches vereinfachte Verfahren für die Ein-
bürgerungen – ein Trend, der sich auch 2019 und                                    bürgerung von Personen der zweiten Generation
2020 fortsetzte. Hingegen hat sich die Zahl der                                    vorsieht. Diese Kantone verzeichnen offenbar we-
Einbürgerungen in Kantonen, die bereits im Jahr                                    niger erleichterte Einbürgerungen als Nichtkon-
2018 viele Personen eingebürgert hatten (Aar-                                      kordatskantone (z. B. Aargau, St. Gallen, Thurgau,
gau, Bern, Basel-Stadt, zwischen 2019 und 2020                                     Solothurn). Dies könnte darauf hinweisen, dass
stabilisiert; in Solothurn war sie gar rückläufig.                                 das neue Gesetz in erster Linie jungen Auslände-
Diese unterschiedlichen Entwicklungen lassen er-                                   rinnen und Ausländern zugutekommt, die bisher
warten, dass die jährliche Anzahl Einbürgerungen                                   nicht von Verfahrensvereinfachungen profitieren
im erleichterten Verfahren in den nächsten Jahren                                  konnten.
stabil bleiben wird. Einige Kantone könnten je-
doch einen Rückgang und andere eine Zunahme
verzeichnen.
                                                                                   6   Mit dem Konkordat von 1994 wurden vereinfachte Verfahren
Gemäss Schätzungen leben im Kanton Aargau                                              für junge Ausländerinnen und Ausländer zwischen 16 und
                                                                                       25 Jahren, eine Gebührensenkung und die Anrechnung der
3400 «einbürgerungsfähige» Personen (Wanner                                            Aufenthaltsdauer in einem anderen Konkordatskanton (BE,
2016); das sind weniger als in Zürich (3500 Perso�-                                    FR, GE, JU, NE, VD, ZH) eingeführt.
12    | Qualitative Analyse

4. Qualitative Analyse
Aus Aussagen von Personen, die sich für die erleichterte Einbürgerung interessieren, wie auch aus
Aussagen von Behörden wird deutlich, dass Kandidatinnen und Kandidaten die Integrationskriterien
problemlos erfüllen. Die Herausforderung besteht in der Erfüllung der formellen Voraussetzungen, d. h.
im Nachweis der Zugehörigkeit zur dritten Generation.

4.1     Die befragten Personen                         Frauen, die mit einem Schweizer verheiratet sind,
                                                       haben eher das erleichterte Verfahren für Personen
Von den 28 potenziellen Einbürgerungskandidatin-       der dritten Generation gewählt als das Verfahren
nen und -kandidaten waren 17 EU-Staatsangehö-          für Ehepartnerinnen von Schweizer Staatsange-
rige (14 aus Italien, 1 aus Portugal und 2 aus Spa-    hörigen (Art. 21 BüG). Die Argumente, die für
nien). Fünf Personen besassen die kosovarische,        diese Option sprechen, sind die für die Gesuchs-
und je drei die serbische bzw. die türkische Staats-   einreichung erforderliche Dauer der Ehe vi oder der
angehörigkeit. Fünf Personen wohnten im Aargau,        Wunsch, sich in der Gemeinde einbürgern zu las-
fünf im Thurgau, vier im Kanton Waadt und drei im      sen, mit der sie sich identifizieren und in der sie
Kanton Genf, die restlichen elf in sieben weiteren     immer gelebt haben. vii
Kantonen. In den Gesprächen ging es um die Er-
fahrungen der Kandidatinnen und Kandidaten der
dritten Generation bei ihren Bemühungen, Zugang        4.2    Die Perspektive der Kandidatinnen
zum erleichterten Verfahren zu erhalten, oder die             und Kandidaten
Erfahrungen ihrer gesetzlichen Vertreterinnen und
Vertreter.                                             Bei der Einbürgerung von Personen, deren Gross-
                                                       eltern bereits in der Schweiz gelebt haben, kom-
Zwei Drittel der Personen, die mit der EKM Kon-        men materielle (Integration des Kandidaten) und
takt aufgenommen haben, sind Frauen; darunter          formelle Kriterien (Zugehörigkeit zur dritten Ge-
zahlreiche Mütter, die sich über die Einbürgerung      neration) ins Spiel. Die in Artikel 12 BüG festge-
erkundigt oder die Einbürgerungsdossiers ihrer         legten Integrationskriterien (Beachten der öffent-
Kinder vorbereitet haben. Die Mütter, und etwas        lichen Sicherheit und Ordnung, Respektierung der
weniger häufig die Väter, sind wegen ihrer minder-     Werte der Bundesverfassung, Sprachkenntnisse,
jährigen Kinder i aktiv geworden. In einigen Fällen    Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb
ging es gar um Kleinkinder. ii Die Bemühungen die-     von Bildung, Förderung der Integration der Ehe-
ser Eltern waren jedoch verfrüht, da ihre Kinder       frau oder des Ehemannes und der minderjährigen
zuerst mindestens fünf Jahre die obligatorische        Kinder) müssen sowohl von Personen, die zu einem
Schule in der Schweiz besucht haben müssen, be-        erleichterten Verfahren für die dritte Generation
vor sie sich erleichtert einbürgern lassen können.     berechtigt sind (Art. 20 Abs. 1 BüG), als auch von
                                                       Personen, die ein ordentliches Verfahren durch-
Nicht selten kommt es vor, dass sich Eltern um die     laufen, erfüllt werden. Aus den Gesprächen mit
Einbürgerung ihrer volljährigen Kinder bemühen.        den einbürgerungswilligen Personen viii wie auch
Mit dieser proaktiven Haltung scheinen sie manch-      mit den Behördenvertretern ix geht klar hervor, dass
mal eine unerfreuliche Erfahrung zu kompensie-         die Kandidatinnen und Kandidaten die materiellen
ren. Einige Frauen berichteten nämlich, dass sie       Kriterien problemlos erfüllen.
aus Angst vor dem Staatskundetest auf ein eige-
nes Einbürgerungsgesuch verzichtet hätten. iii Diese   Beim erleichterten Verfahren liegt der Entscheid
Angst scheint umso grösser, wenn sie selber oder       über die Einbürgerung von Personen der dritten
andere Personen aus ihrem Umfeld den Test nicht        Generation allein bei der Bundesbehörde. Dadurch
bestanden haben iv oder aus anderen Gründen ge-        werden gewisse Hürden für die Einbürgerung von
scheitert sind. v                                      Personen, deren Familie seit zwei Generationen in
Qualitative Analyse     | 13

der Schweiz niedergelassen ist, abgebaut. Einige                      4.2.1 Formelle Voraussetzungen für
dieser Hürden wurden im Jahr 2016 in 14 qua-                                 den Zugang zum erleichterten
litativen Gesprächen mit Grosskindern von Mig-                              ­V erfahren
rantinnen und Migranten identifiziert (Bader und
Fibbi 2017): kumulierte Anforderungen in Bezug
auf die Wohnsitzdauer im Kanton und in der Ge-                        Anforderungen an die Grosseltern der
meinde, die Abhängigkeit der Jugendlichen von                         Kandidatinnen und Kandidaten
den Eltern oder allenfalls von der Sozialhilfe wäh-
rend ihrer Ausbildung, 7 hohe Gebühren für das                        Das Gesetz (Art. 24a Abs. 1 Bst. a BüG) nennt
Verfahren oder ein Staatskundetest, den die in der                    folgende Voraussetzung für den Zugang zum er-
Schweiz geborenen und eingeschulten Personen                          leichterten Verfahren für Personen der dritten Ge-
als schockierend empfunden haben. Die im Jahr                         neration: «Mindestens ein Grosselternteil ist in der
2021 befragten Personen der dritten Generation                        Schweiz geboren worden oder es wird glaubhaft
nannten gerade die abschreckende Wirkung dieser                       gemacht, dass er ein Aufenthaltsrecht erworben
Faktoren als Grund dafür, dass sie sich nicht früher                  hat.»
um eine Einbürgerung bemüht hatten.
                                                                      Wenn die Grosseltern in der Schweiz leben, lässt
Artikel 24a BüG legt die formellen Voraussetzun-                      sich ihr Aufenthaltsrecht leicht nachweisen.
gen fest, die erfüllt sein müssen, damit die Gross-                   Schwieriger wird es hingegen, wenn sie in ihr Her-
kinder von Migranten für das erleichterte Einbür-                     kunftsland zurückgekehrt sind und keinen Schwei-
gerungsverfahren in Frage kommen. Dabei handelt                       zer Aufenthaltstitel mehr besitzen oder wenn sie
es sich um Anforderungen in Bezug auf die Gross-                      verstorben sind. Dies ist relativ häufig der Fall bei
eltern (G1), die Eltern (G2) und die Kandidaten                       Grosseltern von volljährigen Personen. Dann kann
(G3). In einem ersten Schritt wird die Haltung der                    es auch für die Verwaltungsbehörden sehr müh-
Kandidaten gegenüber diesen formellen Voraus-                         sam oder gar unmöglich sein, Sachverhalte aus der
setzungen analysiert (Kap. 4.2.1). Danach wird ihr                    Zeit vor der Digitalisierung von Verwaltungsdaten
subjektiver Standpunkt aufgrund ihrer Erfahrun-                       zu dokumentieren.
gen wiedergegeben (Kap. 4.2.2).
                                                                      • Die Eltern (G1) von Frau Müller 8 (G2) kamen
                                                                        1960 in die Schweiz. In einer Thurgauer Ge-
7   Vgl. Art. 7 der Bürgerrechtsverordnung (BüV); Teilnahme am          meinde kauften sie eine Wohnung. Im Jahr 1997
    Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung: 1. Die Be-
                                                                        fusionierte diese Gemeinde mit einer anderen.
    werberin oder der Bewerber nimmt am Wirtschaftsleben teil,
    wenn sie oder er die Lebenshaltungskosten und Unterhalts-           Der Vater verstarb 1993, die Mutter 2000. Das
    verpflichtungen im Zeitpunkt der Gesuchstellung und der             SEM konnte keine Informationen bereitstellen,
    Einbürgerung deckt durch Einkommen, Vermögen oder Leis-
    tungen Dritter, auf die ein Rechtsanspruch besteht. 2. Die          die Aufschluss darüber geben, ob die Eltern von
    Bewerberin oder der Bewerber nimmt am Erwerb von Bildung            Frau Müller rechtmässig in der Schweiz gelebt
    teil, wenn sie oder er im Zeitpunkt der Gesuchstellung oder
                                                                        haben. x
    der Einbürgerung in Aus- oder Weiterbildung ist. 3. Wer in
    den drei Jahren unmittelbar vor der Gesuchstellung oder
    während des Einbürgerungsverfahrens Sozialhilfe bezieht,          • Herr Verdi (G3) muss die Ausreise seiner Gross-
    erfüllt nicht das Erfordernis der Teilnahme am Wirtschafts-
    leben oder des Erwerbs von Bildung, ausser die bezogene
                                                                        mutter (G1) aus der Schweiz bescheinigen las-
    Sozialhilfe wird vollständig zurückerstattet.                       sen. Damit diese Information ihm persönlich zu-
    Vgl. Art. 9 BüV; Berücksichtigung der persönlichen Verhält-         gestellt wird und nicht seiner Grossmutter, muss
    nisse: Die zuständige Behörde berücksichtigt die persönlichen
    Verhältnisse der Bewer­b erin oder des Bewerbers angemessen         er den Behörden eine Vollmacht zukommen las-
    bei der Beurteilung der Kriterien nach den Artikeln 6, 7 und        sen. Die Abklärungen mit den Grosseltern, die
    11 Absatz 1 Buchstabe b. Eine Abweichung von den Kriterien
    ist möglich, wenn die Bewerberin oder der Bewerber diese
                                                                        in einem kleinen Dorf in Italien leben, sind umso
    nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen erfüllen kann          komplizierter, als sie nicht mit einem Computer
    aufgrund:                                                           umgehen können und keinen Internetanschluss
    a. e iner körperlichen, geistigen oder psychischen Behinde-
        rung;                                                           haben. xi
    b. e iner schweren oder lang andauernden Krankheit;
    c. a nderer gewichtiger persönlicher Umstände, namentlich
        wegen: 1. einer ausgeprägten Lern-, Lese- oder Schreib-
        schwäche, 2. Erwerbsarmut, 3. der Wahrnehmung von
        Betreuungsaufgaben, 4. Sozialhilfeabhängigkeit, zu der es
        wegen einer erstmaligen formalen Bildung in der Schweiz
        kam, sofern die Sozialhilfeabhängigkeit nicht durch persön-   8   Die verwendeten Namen sind Pseudonyme (gilt für alle Ge-
        liches Verhalten herbeigeführt wurde.                             spräche in dieser Studie).
14    | Qualitative Analyse

• Frau Yilmaz (G2) möchte den Aufenthalt ihrer                         niers (G1) sind, erfüllen die Bedingung des zehn-
  Eltern in der Schweiz, die vor langer Zeit in die                    jährigen Aufenthalts, nicht aber jene der Nieder-
  Türkei zurückgekehrt und inzwischen verstorben                       lassungsbewilligung. Eine solche Bewilligung ist
  sind, dokumentieren. Dafür muss sie sich an die                      jedoch erforderlich, damit ihre in der Schweiz
  ehemalige Wohngemeinde sowie an das für ihre                         geborenen und eingeschulten Kinder (G3) sich
  Herkunftsregion zuständige Konsulat wenden;                          einbürgern lassen können. xiv
  dieses befindet sich jedoch in Österreich, was
  die Sache zusätzlich erschwert. Als sie endlich                    Der Schulbesuch der Eltern erweist sich in unter-
  die übersetzten und amtlich beglaubigten Do-                       schiedlichem Ausmass als Hindernis. Bei mehreren
  kumente erhält, ist die Gültigkeit der übrigen                     Befragten stösst auf Unverständnis, dass sie do-
  Dokumente ihres Einbürgerungsdossiers abge-                        kumentieren müssen, dass die Eltern mindestens
  laufen; sie müssen neu erstellt werden. xii                        fünf Jahre die obligatorische Schule in der Schweiz
                                                                     besucht haben.
Angesichts der von den Befragten 9 geschilderten
Schwierigkeiten mag es erstaunen, dass das SEM                       • Frau Farina (G2) reagiert ungläubig, als sie er-
immer seltener für Fragen zur Dokumentation des                        fährt, dass sie ihren Schulbesuch in der Schweiz
Aufenthalts von Personen der ersten Generation                         dokumentieren muss, damit ihr Sohn (G3) das
kontaktiert wird. xiii Es ist gut möglich, dass sich ei-               erleichterte Verfahren in Anspruch nehmen
nige Kandidatinnen und Kandidaten aufgrund der                         kann. Sie erachtet dieses Verfahren als streng:
Unmöglichkeit, den Aufenthalt ihrer Grosseltern                        Bei ihrer ordentlichen Einbürgerung hat sie ihre
zu dokumentieren, für ein anderes Verfahren ent-                       Schulbildung in der Schweiz angegeben, ohne
schieden haben, worauf auch andere Erfahrungs-                         dass eine Dokumentation erforderlich war. xv
berichte hindeuten (Kap. 4.2.2).
                                                                     • Frau Greco (G3) versteht nicht, dass sie den
                                                                       Schulbesuch ihrer Mutter (G2) nachweisen
Anforderungen an die Eltern der                                        muss, denn diese ist in der Schweiz geboren,
­K andidatinnen und Kandidaten                                         verfügt über eine C-Bewilligung und hat immer
                                                                       in der Schweiz gelebt. xvi
Das Gesetz (Art. 24a Abs. 1 Bst. b BüG) nennt drei
Bedingungen in Bezug auf die Eltern, die erfüllt                     Die Verärgerung ist umso grösser, wenn die betrof-
sein müssen, damit die Kandidatinnen und Kan-                        fenen Personen auf Schwierigkeiten stossen, den
didaten Zugang zum erleichterten Verfahren ha-                       Schulbesuch eines Elternteils zu dokumentieren. xvii
ben: «Mindestens ein Elternteil hat eine Niederlas-
sungsbewilligung erworben, hat sich mindestens                       • Herr Elezi (G2) hat vor 19 Jahren die Sekundar-
zehn Jahre in der Schweiz aufgehalten und hat                          schule in der Schweiz besucht. Für den entspre-
mindestens fünf Jahre die obligatorische Schule                        chenden Nachweis hat er die Schulverwaltung
in der Schweiz besucht.»                                               kontaktiert. Im Archiv war jedoch nichts zu fin-
                                                                       den, weshalb sich die Schule an den ehemaligen
Dass die formellen Voraussetzungen in Bezug auf                        Lehrer von Herrn Elezi gewandt hat. Nachdem
die Eltern nebst einem Aufenthaltsnachweis von                         dieser bestätigt hat, dass Herr Elezi sein Schüler
zehn Jahren auch eine Niederlassungsbewilligung                        war, hat die Schulverwaltung erneut das Archiv
umfassen, führt gewisse Personen der dritten Ge-                       durchforstet, ist schliesslich fündig geworden
neration in eine Sackgasse.                                            und hat die erforderliche Bescheinigung aus-
                                                                       gestellt. xviii
• Es kommt namentlich in touristischen Regionen
  häufig vor, dass Arbeitnehmende (und ihre Fa-                      • Herr Hasani (G2) ist mehrmals umgezogen und
  milien) seit vielen Jahren mit kumulierten Bewil-                    kann seine Schulunterlagen nicht mehr finden.
  ligungen L in der Schweiz leben. Diese Personen                      Deshalb hat er seine ehemalige Schule gebeten,
  (G2), die manchmal selber Kinder von Saison-                         eine Bescheinigung über den Schulbesuch aus-
                                                                       zustellen. Für die Suche im Archiv hat ihm die
                                                                       Schule 300 Franken in Rechnung gestellt. xix

9    Der Begriff «Befragte» bezieht sich auf Personen, die sich am
     Gespräch beteiligten, das heisst auf die Kandidatinnen und      Die Irritation ist offensichtlich, wenn Personen der
     Kandidaten selber, manchmal aber auch auf ihre Eltern.          dritten Generation jeglicher Zugang zum erleich-
Qualitative Analyse   | 15

terten Verfahren verwehrt ist, weil sie den fünfjäh-   für den zweiten Elternteil als unnötige oder gar
rigen Schulbesuch der Eltern in der Schweiz nicht      schmerzhafte Schikane. xxiii
nachweisen können.
                                                       • Frau Steiner (G3) wird gebeten, die Geburts-
• Nach der Umwandlung der A-Bewilligung ihres            urkunde ihrer Mutter (G2) vorzulegen, während
  Vaters (G1) in eine B-Bewilligung kam Frau             bereits in Bezug auf den Vater bescheinigt ist,
  Krasniqi (G2) im März 1993 im Familiennach-            dass sie der dritten Generation angehört. Ihrer
  zug aus Kosovo in die Schweiz. Sie war damals          Ansicht nach sollte dies den Kandidaten erspart
  zwölf Jahre alt und wurde in die 5. Klasse der         bleiben. xxiv
  Primarschule aufgenommen; die 6. bis 9. Klasse
  besuchte sie in einem Heilpädagogischen Zent-        • Frau Greco (G3) hat keinen Kontakt mehr zu
  rum. Nach der Schule absolvierte sie eine Haus-        ihrem in Italien geborenen Vater (G2). Daher
  wirtschaftslehre. Im Jahr 2021 forderten die           ist es für sie sehr schwierig, dessen Geburtsur-
  Behörden die vier Kinder (G3) von Frau Krasniqi        kunde beizubringen. Letztlich konnte sie dieses
  auf, ihr Gesuch um erleichterte Einbürgerung           Dokument nur mithilfe einer ortsansässigen Per-
  zurückzuziehen, da ihre Mutter die Vorausset-          son bei der zuständigen italienischen Gemeinde
  zung des fünfjährigen Schulbesuchs knapp nicht         beschaffen. xxv
  erfüllt. xx

• Der Grossvater (G1) von Herrn Kaya (G3) wan-         Anforderungen an die Kandidatinnen und
  derte 1964 in die Schweiz ein. Der Vater (G2)        Kandidaten
  kam 1971 im Familiennachzug nach und be-
  suchte hier während zweieinhalb Jahren die           Das Gesetz (Art. 24a Abs. 1 Bst. c und d und 2
  obligatorische Schule. Herr Kaya bemerkt voller      BüG) nennt vier Voraussetzungen, die die Kandi-
  Bitterkeit, dass sein Vater nichts für die kurze     datinnen und Kandidaten für den Zugang zum er-
  Dauer seines Schulbesuchs in der Schweiz kön-        leichterten Verfahren erfüllen müssen: «Das Kind
  ne und dass er diesen Umstand in keiner Weise        wurde in der Schweiz geboren. Das Kind besitzt
  auszugleichen vermöge. Er selber ist heute mit       eine Niederlassungsbewilligung und hat mindes-
  einem Kriterium konfrontiert, das er nicht be-       tens fünf Jahre die obligatorische Schule in der
  einflussen kann und das seinem persönlichen          Schweiz besucht. Das Gesuch ist bis zum vollende-
  Werdegang nicht gerecht wird. xxi                    ten 25. Altersjahr einzureichen.»

• Die Mutter (G2) von Frau Longo (G3) wurde in         Die formelle Voraussetzung einer Niederlassungs-
  der Schweiz geboren, hat hier aber nicht fünf        bewilligung verwehrt minderjährigen Personen der
  Jahre die obligatorische Schule besucht. Frau        dritten Generation den Zugang zum erleichterten
  Longo ist verärgert darüber, dass ihr persön-        Einbürgerungsverfahren, wenn ihre Eltern nicht
  licher Hintergrund als Angehörige der dritten        über eine solche Bewilligung verfügen.
  Ausländergeneration nicht genügt, um Zugang
  zur erleichterten Einbürgerung zu erhalten. Ihrer    • Obwohl sie in der Schweiz geboren und zur
  Ansicht nach sollten die Grosskinder von Mi-           Schule gegangen sind, erfüllen Personen der
  granten, die in der Schweiz geboren und zur            dritten Generation diese Anforderung nicht,
  Schule gegangen sind, die einer Arbeit nach-           wenn ihre Eltern keine Niederlassungsbewilli-
  gehen und «nichts Böses getan haben», ein              gung besitzen. Solche Situationen finden sich
  solches Verfahren in Anspruch nehmen dürfen. xxii      insbesondere in Regionen, in denen viele auslän-
                                                         dische Arbeitskräfte mit einer Kurzaufenthalts-
Eine weitere Hürde, die von den Befragten immer          bewilligung leben. xxvi
wieder genannt wird, ist die Vorlage der Geburts-
urkunden beider Eltern. Das Gesetz hält fest, dass     • Die Altersbeschränkungen (max. 25 Jahre nach
Personen der dritten Generation zum erleichterten        Art. 24a bzw. 35–40 Jahre nach Art. 51a) ver-
Verfahren berechtigt sind, wenn «mindestens ein          hindern den Zugang zahlreicher Personen zum
Elternteil» die entsprechenden Voraussetzungen           erleichterten Verfahren. xxvii Für diese ist es un-
erfüllt (Art. 24a Abs. 1 Bst. b BüG). Die Befragten      verständlich, dass der Umstand, ein Grosskind
empfinden die Anforderung der Dokumentation              von Migranten zu sein, sozusagen ein Verfalls-
                                                         datum hat.
16   | Qualitative Analyse

4.2.2 Erfahrungen der Einbürgerungs-                      Die Befragten sehen sich am häufigsten durch ein
       kandidaten und Beurteilung des                     bestimmtes Ereignis in ihrem Leben zur Einbürge-
      ­e rleichterten Verfahrens                          rung veranlasst: das herannahende Erwachsenen-
                                                          alter, die Einbürgerung eines Familienangehörigen,
Bei der Frage, wie die Kandidatinnen und Kandi-           der Plan, sich beruflich selbstständig zu machen,
daten das Verfahren zur Einbürgerung der dritten          eine neue Partnerin oder ein neuer Partner, die
Generation empfunden haben, drehten sich die              Geburt eines Kindes.
Gespräche vor allem um drei Themen: den Ent-
schluss, sich einbürgern zu lassen, die Information       • Frau Bianchi möchte nicht, dass ihr ungeborenes
und das Verhältnis zu den Behörden sowie um die             Kind so wie sie mit dem Status als ausländi-
Beurteilung des Verfahrens.                                 sche Person in der Schweiz leben muss: «Wir
                                                            möchten nicht ständig gefragt werden, woher
                                                            wir kommen.» xxxii
 Der Entschluss, sich einbürgern zu
­l assen                                                  Ein weiteres wichtiges Argument für den Ent-
                                                          schluss, sich einbürgern zu lassen, ist die trau-
Die Befragten wurden gebeten, zu erzählen, wes-           matische Erfahrung bei einem früheren Einbürge-
halb und wann sie sich zur Einbürgerung ent-              rungsversuch. Die Eltern der zweiten Generation
schlossen haben.                                          schildern diese Situation so: Weil sie persönlich
                                                          oder indirekt ein Scheitern des Einbürgerungsvor-
Viele gaben an, dass sie seit Längerem über eine          habens erlebt haben, möchten sie ihren Kindern
Einbürgerung nachgedacht, den Gedanken aber               diese Erfahrung, die sie als erniedrigend empfun-
wieder verworfen oder die nötigen Schritte auf-           den haben, ersparen. Herr Iseni möchte seinen
geschoben hätten, weil sie entweder andere Prio-          Sohn möglichst rasch einbürgern lassen, da sein
ritäten oder Sorgen (Ausbildung, Beruf, fehlende          eigenes Einbürgerungsgesuch abgelehnt wurde. xxxiii
finanzielle Mittel) gehabt hätten oder weil sie als       Frau Krasniqi xxxiv und Frau Lika xxxv haben trotz ihrer
Jugendliche die Bedeutung einer Einbürgerung              Bemühungen den Staatskundetest nicht bestan-
nicht hätten ermessen können. xxviii                      den. In den Gesprächen wird spürbar, dass der
                                                          ablehnende Entscheid verletzt hat.
Der wichtigste Grund für die Einbürgerung, den die
Befragten der dritten Generation sowie ihre Eltern        Der Staatskundetest und das Einbürgerungsge-
immer wieder nannten, ist das Gefühl, Schweizer           spräch lösen auch bei Personen, die diese Hürden
zu sein, weil man in diesem Land geboren ist und          geschafft haben, Unbehagen aus. Das Gespräch
hier seinen Lebensmittelpunkt hat. Der Wunsch,            hat bei Frau Müller einen bitteren Nachgeschmack
sich am politischen Leben zu beteiligen, wurde            hinterlassen: «Ich wurde ausgefragt, als ob ich
ebenfalls als Motivation angegeben, die mit dem           eine Ausländerin wäre. Dabei bin ich hier gebo-
Alter gereift sei. xxix Manchmal wird eine Einbürge-      ren und aufgewachsen.» xxxvi Frau Ferreira möchte
rung auch als Schutz vor Diskriminierung gesehen.         nicht die gleiche schmerzhafte Erfahrung machen
                                                          wie ihr Bruder. xxxvii Frau Bernardi hat aus Angst
• Für Frau Jimenez (G3) ist die Einbürgerung eine         vor der Prüfung nie ein Einbürgerungsgesuch ge-
  Art Garantie: «Wenn man eine Stelle oder eine           stellt, xxxviii ebenso die Eltern von Frau Bianchi xxxix.
  Wohnung sucht, ist es von Vorteil, Schweizer zu
  sein.» Sie berichtet, dass sie einmal eine Woh-         Ähnliche Erfahrungen hat auch Herr Elezi gemacht.
  nung nicht erhalten habe, weil sie Ausländerin          Deshalb wünscht er für seinen Sohn eine möglichst
  war. xxx                                                baldige Einbürgerung im erleichterten Verfahren. xl
                                                          Frau Lika denkt, dass in diesem Verfahren ein An-
• Herr Iseni (G3) möchte für seinen Sohn den              spruch auf Einbürgerung bestehe, wenn die ent-
  Schweizer Pass, damit dieser nicht unter Vorur-         sprechenden Kriterien erfüllt sind. Damit drückt sie
  teilen aufgrund seiner Herkunft als Roma leidet. xxxi   indirekt eine Kritik am ordentlichen Verfahren aus,
                                                          das manchmal mit Entscheiden einhergeht, die sie
                                                          als willkürlich erachtet. xli
Qualitative Analyse   | 17

Information und Dossierbearbeitung                     Verlauf und Beurteilung des Verfahrens

Viele der Befragten wussten aufgrund der Abstim-       Die Gespräche wurden mit Personen geführt, die
mung oder aus den Medien von der Möglichkeit           sich eine erleichterte Einbürgerung überlegten
zur erleichterten Einbürgerung der dritten Genera-     oder die das entsprechende Verfahren vor Kurzem
tion. Fast ebenso viele haben von Familienangehö-      eingeleitet hatten. Die Erfahrungsberichte bezie-
rigen, Freunden oder rein zufällig davon erfahren.     hen sich daher nur auf diese erste Phase, die im
                                                       Verfahren zur erleichterten Einbürgerung beson-
Personen, die mit dem Internet vertraut sind, ha-      ders intensiv ist.
ben die benötigten Informationen beim SEM pro-
blemlos gefunden. Auch das leicht verständliche        Einige der Befragten freuen sich über diese Mög-
Video der EKM wurde sehr geschätzt.                    lichkeit der erleichterten Einbürgerung von Perso-
                                                       nen der dritten Generation.
Mehrere der Befragten haben sich bei ihrer Ge-
meinde informiert und zeigen sich überrascht, wie      • Herr Hasani hat seinen Freunden vom erleich-
wenig präzise die erhaltenen Auskünfte zum Ver-          terten Verfahren erzählt. Viele wussten nichts
fahren waren.                                            davon und konnten es kaum glauben. xlvii

• Frau Ferrari informiert einen Gemeindeange-          • Frau Müller unterstreicht den wichtigsten Vorteil
  stellten über die Möglichkeit der erleichterten        dieses Verfahrens: Es gibt kein Einbürgerungs-
  Einbürgerung von Personen der dritten Genera-          gespräch auf kantonaler Ebene. xlviii
  tion, der davon keinerlei Kenntnis hat. xlii
                                                       Während einige der Personen, die sich an die EKM
• Als sich Frau Yildiz bei der Gemeinde über die       gewandt hatten, sich mit dem neuen Verfahren
  Einbürgerung informieren möchte, teilt ihr nie-      leicht taten, xlix bekundet ein Grossteil der einbür-
  mand mit, dass sie Anspruch auf ein erleichter-      gerungswilligen Personen jedoch Schwierigkeiten.
  tes Verfahren hat. xliii                             Besonders wenn es um die Beschaffung der Do-
                                                       kumente ging, wähnten sie sich in einem wahren
• Ein Gemeindevertreter berichtet, dass viele der      Bürokratiedschungel.
  Personen, die sich über die erleichterte Einbür-
  gerung erkundigen, die Voraussetzungen bei-          • Frau Yilmaz stellt fest, dass das ordentliche Ver-
  spielsweise in Bezug auf den Schulbesuch der           fahren für ihren Sohn fast einfacher war als das
  Eltern und Grosseltern nicht erfüllten. Er scheint     erleichterte Verfahren für ihre beiden Töchter,
  nicht zu wissen, dass bezüglich Schulbesuch der        unter anderem wegen «dem ganzen Papier-
  Grosseltern keine Anforderungen bestehen. xliv         kram». l

• Herr Rossi hat sich an die Gemeinde gewandt,         Sehr viele Befragte haben das Gefühl, mit den
  und diese hat ihm das Formular für die Einbür-       Schwierigkeiten allein gelassen zu sein. Sie be-
  gerung nach Artikel 24a mitgegeben. Später           dauern, dass der Kontakt mit der Verwaltung aus-
  hat er vom SEM das Formular für die Einbür-          schliesslich über das Internet erfolgt.
  gerung nach Artikel 51a erhalten. Da er den
  Unterschied zwischen diesen Formularen nicht         • Herr Moretti weist auf einen Widerspruch hin:
  versteht, reicht er beide ein. xlv                     «Die Behörden erwarten, dass man die Infor-
                                                         mationen im Internet zusammensucht. Aber das
• Herr Verdi hat ein Formular für die erleichterte       Gesuchsformular kann man nicht online her-
  Einbürgerung angefordert, aber vom Kanton              unterladen. Dieses muss per E-Mail beim SEM
  das Formular für die ordentliche Einbürgerung          angefordert werden. Heute läuft vieles online.
  erhalten. Dabei wurde ihm versichert, dass die         Manuell dauert alles sehr lang.» li
  Verfahren zwar unterschiedlich, die Dokumente
  für beide Einbürgerungsarten aber die gleichen       • Nach Ansicht von Frau Jimenez wäre es einfa-
  seien. xlvi                                            cher, wenn die Behörde mit Einverständnis der
                                                         Kandidaten die benötigten Dokumente selber
                                                         zusammentragen würde. lii
18   | Qualitative Analyse

Die Befragten bedauern, dass es keine Ansprech-        Schweizer Pass ist ein Türöffner. Wenn man jung
person gibt, um Fragen zu beantworten, Lösungen        ist, ist es einem ziemlich egal, aber als Erwachse-
zu suchen, Dokumente zusammenzutragen oder             ner sieht man das Ganze etwas anders.» lix
abzuklären, ob im Wohnkanton die Kindergarten-
jahre dem fünfjährigen Schulbesuch angerechnet
werden. Umso mehr wird die Möglichkeit einer           4.2.3 Zwischenbilanz
telefonischen Kontaktaufnahme mit der EKM ge-
schätzt. liii Mehrere der Befragten sind besorgt,      Die Analyse der Gespräche mit den Einbürge-
wenn sie lange nichts hören; sie wünschen eine         rungskandidatinnen und -kandidaten ermöglicht
Ansprechperson, die sie über den Stand des Ver-        es, eine Zwischenbilanz über die Umsetzung des
fahrens informieren könnte.                            neuen Verfahrens zu ziehen.

Einige der Befragten erachten die Kriterien für die    Das erleichterte Verfahren wird allgemein sehr ge-
Zugehörigkeit zur dritten Generation allgemein als     schätzt und als gute Alternative zum ordentlichen
zu restriktiv, insbesondere was die Anforderungen      Verfahren erachtet. Tatsächlich bringt das ordent-
in Bezug auf die Eltern betrifft: «Schliesslich geht   liche Verfahren einige Hürden mit sich, die sich
es um die Einbürgerung eines Kindes, das hier ge-      für zahlreiche Personen der ersten oder zweiten
boren und aufgewachsen ist!» liv                       Generation als unüberwindbar erwiesen haben.
                                                       Doch auch das neue Verfahren ist mit Schwierig-
• Frau Longo (G3) ist in der Schweiz geboren.          keiten verbunden, wie in den folgenden drei Punk-
  Sie findet es ungerecht, dass die Anerkennung        ten deutlich wird:
  ihres Status als Angehörige der dritten Gene-
  ration und der Zugang zum erleichterten Ver-         1. Es ist schwierig nachzuweisen, dass die Gross-
  fahren davon abhängen, wie lange ihre Mutter            eltern eine Aufenthaltsbewilligung besassen.
  die obligatorische Schule in der Schweiz besucht        Dies gilt vor allem dann, wenn sie in ihr Her-
  hat. «Die Behörden nehmen keine Gesamtbe-               kunftsland zurückgekehrt oder verstorben sind.
  urteilung vor. Sie betrachten die Kandidaten als        Die Schweizer Verwaltungen vermögen diese
  Nummern, und nicht als Personen, die mit ihrem          Informationslücke nicht immer zu schliessen,
  eigenen persönlichen Hintergrund ein Teil dieser        namentlich wenn der Sachverhalt auf die Zeit
  Gesellschaft sind.» lv                                  vor der Digitalisierung von Verwaltungsdaten
                                                          zurückgeht. In diesem Fall bleibt den Kandi-
• Herr Moretti findet die Altersbeschränkung in-          daten der Zugang zum erleichterten Verfahren
  akzeptabel. «Warum sollten Personen, die älter          verwehrt. Somit tragen sie die Folgen von tech-
  als 25 sind, nicht der dritten Generation an-           nischen oder administrativen Schwierigkeiten,
  gehören? Die Altersgrenze macht überhaupt               für die sie nichts können.
  keinen Sinn.» lvi
                                                       2. Die Anforderung, dass ein Elternteil mindestens
• Frau Jimenez bemerkt, dass für jemanden, der            fünf Jahre die obligatorische Schule besucht
  aus der Lehre kommt, die Kosten für eine er-            haben muss, schliesst gewisse Grosskinder von
  leichterte Einbürgerung immer noch zu hoch              Migranten ungerechtfertigterweise vom erleich-
  seien. lvii                                             terten Einbürgerungsverfahren aus und ist in
                                                          zweierlei Hinsicht problematisch. Für Familien,
Trotz dieser Schwierigkeiten würden viele Befrag-         die schon sehr lange in der Schweiz leben und
te das erleichterte Verfahren einer befreundeten          deren jüngste Mitglieder häufig zur vierten Ge-
Person aus der dritten Generation aber auf jeden          neration gehören, ist die Schwierigkeit prakti-
Fall empfehlen.                                           scher Natur und liegt in der Dokumentation.
                                                          Personen, der zweiten Generation, die in der
Auch wenn einige Kandidatinnen und Kandidaten             Schweiz geboren wurden, immer hier gelebt
vollkommen zufrieden sind, lviii scheinen in Bezug        und die Schule besucht haben, erscheint die
auf das Verfahren gemischte Gefühle vorherr-              Anforderung als bürokratische Hürde. Zudem
schend. Die Worte von Frau Bianchi bringen es             bedeutet die Anforderung eine indirekte Diskri-
auf den Punkt: «Mein Gefühl ist weder negativ             minierung für Familien, die noch nicht so lange
noch positiv. Diese ganze Bürokratie ist ein wenig        hier sind, wobei vor allem an die Saisonniers zu
frustrierend. Man sollte es nicht eilig haben. Der        denken ist. Da ihnen lange Zeit das Recht auf
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