Zukunft Soziale Marktwirtschaft

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft
Zukunft Soziale Marktwirtschaft

                                        Policy Brief #2021/03

                           Bernhard Boockmann / André Schleiter

             Mit Sozialpartner-Vereinbarungen
                 die Weiterbildung stärken –
             ein Blick in ausgewählte Branchen
   Der rasche Wandel in der Arbeitswelt macht Weiterbildung unverzichtbar, um die
          Kompetenzen der Beschäftigten auf dem neuesten Stand zu halten.
    Mit Vereinbarungen zur Förderung von Weiterbildung können die Sozialpartner
          hierfür wichtige Impulse geben und Rahmenbedingungen schaffen.

Die zunehmende Digitalisierung von Produkten         Wer kann zur Besserung dieser Situation beitra-
und Arbeitsprozessen sowie der Übergang zu ei-       gen? Im deutschen Weiterbildungssystem teilen
ner CO2-armen Wirtschaftsweise verwandelt die        sich Politik, Arbeitsagentur und Weiterbildungs-
Arbeitswelt tiefgreifend. An vielen Arbeitsplätzen   anbieter, Sozialpartner, Unternehmen und
verändern sich die Anforderungen an die Kompe-       schließlich auch die Beschäftigten die Verantwor-
tenzen der Beschäftigten. Für sie wird regelmä-      tung für das Weiterbildungsgeschehen. In der so-
ßige Weiterbildung immer wichtiger, um beschäf-      zialen Marktwirtschaft haben Gewerkschaften
tigungsfähig zu bleiben und sich beruflich entwi-    und Arbeitgeberverbände große Gestaltungs-
ckeln zu können. Das Weiterbildungssystem in         möglichkeiten, um auf eine stärkere Verbreitung
Deutschland – so attestiert die OECD (2021) –        von Weiterbildung hinzuwirken. Als Sozialpartner
leistet hierfür jedoch nur unzureichend Unterstüt-   können sie den gesetzlichen Rahmen durch Ta-
zung. Zwar hat es im zeitlichen Verlauf Fort-        rifverträge oder andere Vereinbarungen konkreti-
schritte bei der Weiterbildungsbeteiligung gege-     sieren und darüberhinausgehende Regelungen
ben, doch weiterhin liegt Deutschland in diesem      finden, mit denen für den jeweiligen Branchen-
Bereich deutlich hinter anderen OECD-Staaten         kontext passgenaue Lösungen bereitgestellt wer-
wie beispielsweise den Niederlanden oder             den. Nicht zuletzt können sie damit auch Unter-
Schweden zurück. Bei Investitionen in Wissens-       nehmen und Beschäftigten wesentliche Hilfestel-
kapital, zu denen auch die Weiterbildung beiträgt,   lungen für die Umsetzung der Weiterbildung vor
liegen deutsche Unternehmen im internationalen       Ort geben.
Vergleich auf den hinteren Plätzen (Belitz & Gor-
nig 2019).
Zukunft Soziale Marktwirtschaft
Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2021/03

In einer Reihe von Branchen wurden Sozialpart-      Die Vereinbarungen unterscheiden sich nicht nur
ner-Vereinbarungen zum Thema Weiterbildung          im Hinblick auf die Art der Vereinbarung und den
abgeschlossen. Welche Bedeutung haben diese         Geltungsbereich, sondern auch hinsichtlich in-
bislang? In welchen Bereichen kommt die Rege-       haltlicher und prozessualer Aspekte. In einigen
lungskompetenz bereits heute zum Tragen und         Fällen handelt es sich um umfassende Rege-
wo ist sie noch ausbaufähig? Welche Schlussfol-     lungswerke, aus denen sich verbindliche Ansprü-
gerungen für künftige Vereinbarungen können         che ableiten lassen. In anderen Fällen wird in
gezogen werden? In der neuen Studie „Vereinba-      den Vereinbarungen das Thema Weiterbildung
rungen der Sozialpartner zur Weiterbildung – ein    nur am Rand erwähnt und die Regelungen sind
Blick in ausgewählte Branchen“ der Bertelsmann      eher unkonkret.
Stiftung wird analysiert, auf welche Regelungsbe-
reiche die Vereinbarungen der Sozialpartner zur
Weiterbildung bereits heute eingehen und wie sie    Blick in einzelne Branchen
die Verbreitung von betrieblicher Weiterbildung     Für die vertiefte Analyse wurden tarifvertragliche
unterstützen.                                       Vereinbarungen zur Weiterbildung in drei Bran-
                                                    chen ausgewertet, in denen solche Vereinbarun-
Die Untersuchung analysiert die öffentlich zu-
                                                    gen besonders verbreitet sind: die Metall- und
gänglichen sowie die im Tarifregister eines Bun-
                                                    Elektroindustrie, die chemische Industrie sowie
deslandes enthaltenen Vereinbarungen der Sozi-
                                                    der Bahn- und Schienenverkehr. In den beiden
alpartner zum Thema Weiterbildung. Daneben
                                                    erstgenannten Branchen ist die Weiterbildungs-
wurden Expert:innen aus Sozialpartnerorganisati-
                                                    beteiligung mit jeweils über einem Drittel der Be-
onen dazu befragt, wie die Regelungen in der
                                                    schäftigten, die pro Jahr an Weiterbildungen teil-
Praxis wirken. Ordnet man diese Vereinbarungen
                                                    nehmen, höher als in der Gesamtwirtschaft
und Tarifverträge mit Weiterbildungsinhalten ein-
                                                                       (Dummert 2018). Der Schie-
                                                                       nenverkehr ist durch eine hohe
                                                                       Regulierung der Weiterbildung
                                                                       gekennzeichnet. So besteht für
                                                                       Fahrer:innen im Güter- oder
                                                                       Personenverkehr zu gewerbli-
                                                                       chen Zwecken eine gesetzliche
                                                                       Verpflichtung, regelmäßig an
                                                                       Fort- und Weiterbildung sowie
                                                                       an einem Simulatortraining teil-
                                                                       zunehmen. Damit ist diese
                                                                       Branche ein Beispiel dafür, wie
                                                                       die Sozialpartner gesetzliche
                                                                       Vorgaben konkretisieren.
zelnen Branchen zu, zeigen sich Schwerpunkte,
                                                    Metall- und Elektroindustrie: Vereinbarungen
zum Beispiel in der Metall- und Elektroindustrie
                                                    mit hohem Detailgrad
(siehe Abbildung 1). In der Gesamtschau ist die
Abdeckung durch solche Vereinbarungen un-           Die Metall- und Elektroindustrie (M+E-Industrie)
gleichmäßig; in vielen Branchen der deutschen       weist spezifische Qualifizierungs- und Weiterbil-
Wirtschaft fehlen sie ganz. Abbildung 1 zeigt       dungsvereinbarungen auf. Die darin vorgesehene
auch, dass die Regelungen zur Weiterbildung         Förderung von Weiterbildung wird zumeist detail-
meist in Branchentarifvereinbarungen getroffen      liert dargestellt. Die Regelungen zur arbeitgeber-
werden. In einigen Branchen gibt es auch spezifi-   seitigen Kostenübernahme entlasten die Be-
sche Qualifizierungsvereinbarungen. Im öffentli-    schäftigten und sorgen dafür, dass finanzielle As-
chen Dienst ist Weiterbildung ein Gegenstand        pekte kein Hindernis für die Weiterbildungsbeteili-
der Aushandlung von Manteltarifverträgen.           gung der Beschäftigten darstellen.

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2021/03

 AgenturQ

 Die AgenturQ wurde als eine gemeinschaftliche Einrichtung der beiden Tarifvertragsparteien IG Me-
 tall und Südwestmetall in Baden-Württemberg bereits 2001 gegründet. Im Tarifvertrag zur Qualifi-
 zierung haben die Tarifpartner die Aufgaben der Agentur definiert:

  • Stärkung des Bewusstseins bei Betrieben und Beschäftigten, dass ständige berufliche Qualifi-
    zierung notwendig ist.
  • Entwicklung von Weiterbildungsmaßnahmen für un- und angelernte Beschäftigte, ältere Be-
    schäftigte und Beschäftigte nach Arbeitszeitunterbrechnungen.
  • Beobachtung des Wandels der Qualifikationsanforderungen, um Maßnahmen zur Förderung von
    Beschäftigungschancen und zur Vermeidung von Qualifikationsengpässen zu entwickeln.
  • Entwicklung neuer Modelle und Qualitätsstandards der betrieblichen Weiterqualifizierung.
  • Verbesserung der Information zu außerbetrieblichen beruflichen Qualifizierungsangeboten.

 Die AgenturQ entwickelt gemeinsam mit Unternehmen und Betriebsräten praxisnahe Konzepte, wie
 beispielsweise den Leitfaden „Prospektive Weiterbildung 4.0 , um Beschäftigte frühzeitig auf die
 sich verändernden Arbeitsanforderungen zu qualifizieren. Sie nimmt nicht nur eine beratende Funk-
 tion gegenüber Betrieben und Beschäftigten zu allen Fragen des Tarifvertrags zur Qualifizierung
 wahr, sondern kann in Konfliktfällen schlichtend eingreifen. Dabei ist sie zu Neutralität verpflichtet.
 Vorstand und Beirat der AgenturQ sind paritätisch mit Vertreter:innen der IG Metall sowie der Süd-
 westmetall besetzt.

Mit dem Tarifvertrag zur Qualifizierung für die Be-   dung 4.0“ in der Chemie-Industrie). Die Organisa-
schäftigten in der M+E-Industrie in Baden-Würt-       tion von Weiterbildung innerhalb dieses Rah-
temberg haben die Sozialpartner darüber hinaus        mens setzt bei den Beteiligten auf der betriebli-
mit der AgenturQ – Agentur zur Förderung der          chen Ebene allerdings Zeit, Motivation und Enga-
beruflichen Weiterbildung in der Metall- und          gement voraus.
Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. – eine
gemeinsame Einrichtung geschaffen (siehe Text-        Bahn- und Schienenverkehr: Verbindliche
kasten AgenturQ). In keiner anderen Branche ha-       Normen bei betrieblich notwendiger
ben Tarifpartner eine vergleichbare Organisation      Fortbildung
eingerichtet.
                                                      Die Tarifvereinbarungen zur Förderung der Wei-
Chemische Industrie: Rahmensetzung für                terbildung im Bahn- und Schienenverkehr kon-
betriebliche Vereinbarungen                           kretisieren gesetzliche Bestimmungen für ein-
                                                      zelne Beschäftigtengruppen. Dabei unterschei-
Die Auswertung der Tarifvereinbarungen zur För-
                                                      den sie zwischen betrieblich notwendiger Fortbil-
derung der Weiterbildung in der chemischen In-
                                                      dung und individueller beruflicher Weiterbildung.
dustrie zeigt eine hohe Sensibilisierung der Sozi-
                                                      Während für die betriebliche Fortbildung sowohl
alpartner für die Bedeutung von Weiterbildung.
                                                      Ansprüche der Beschäftigten gegenüber dem Be-
Durch kontinuierliche Weiterbildung sollen der
                                                      trieb als auch Ansprüche des Betriebs gegenüber
Strukturwandel und die Digitalisierung in der
                                                      den Beschäftigten definiert werden, sind die Re-
Branche mitgestaltet werden. Bundesweite Ver-
                                                      gelungen bezüglich der individuellen beruflichen
einbarungen zur Weiterbildung, die Antworten auf
                                                      Weiterbildung durch einen geringen Grad der
diese Herausforderungen zu geben versuchen,
                                                      Verbindlichkeit gekennzeichnet.
sollen auf Betriebsebene konkretisiert werden
und so die Bedarfe der Betriebe und Beschäftig-
ten stärker berücksichtigen (siehe Textkasten
„Sozialpartner-Vereinbarung Zielbild Weiterbil-

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2021/03

 „Sozialpartner-Vereinbarung Zielbild Weiterbildung 4.0“ in der Chemie-Industrie

 Die Sozialpartner der Chemie-Industrie haben wiederholt spezifische Sozialpartnervereinbarungen
 abgeschlossen, mit denen sie auf gesellschaftliche Herausforderungen reagieren. Dem Selbstver-
 ständnis der Tarifparteien zufolge, handelt es sich bei den Sozialpartner-Vereinbarungen um gemein-
 same Verständigungsgrundlagen und Rahmensetzungen mit einem außertariflichen Status, die
 gleichwohl bindende Wirkung entfalten.
 Mit der „Sozialpartnervereinbarung Zielbild Weiterbildung 4.0“ haben die Sozialpartner einen strategi-
 schen Rahmen für die im Tarifabschluss 2019 vereinbarte „Qualifizierungsoffensive Chemie“ ge-
 schaffen. In dieser Vereinbarung setzen sich die Sozialpartner Ziele, die sie im Bereich der Weiterbil-
 dung bis zum Jahr 2025 erreichen wollen. Um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, wollen die
 Sozialpartner beispielsweise bestehende Berufsbilder weiterentwickeln und Weiterbildungskonzepte
 erarbeiten, die auf den angepassten Ausbildungsordnungen aufbauen. Sie wollen Analyse- und
 Prognose-Instrumente zur Ermittlung der branchenspezifischen und betrieblichen Qualifikationspro-
 file und -bedarfe bereitstellen und die Durchführung von regelmäßigen Qualifikationsbedarfsanalysen
 empfehlen sowie Qualifizierungszeiträume schaffen. Auch sollen Weiterbildungsmentoren ausgebil-
 det werden, die in den Betrieben niedrigschwellig und arbeitsplatzbezogen beraten. Die Begleitung
 der aus diesem Zielen abzuleitenden Maßnahmen wird dem „Rat zur Förderung der Berufsbildung in
 der chemischen Industrie“ übertragen.

Zentrale Erkenntnisse                                Einhaltung der Vereinbarungen und bedeutet
                                                     auch, dass die Vereinbarungen nicht systema-
Wenig Transparenz über vorhandene
                                                     tisch weiterentwickelt werden und aufeinander
Vereinbarungen
                                                     aufbauen.
Generell ist auffällig, dass wenig Transparenz
über die Vereinbarungen herrscht, die in den je-     Finanzierung und Zeit werden nur in einigen
weiligen Branchen gelten. Nach dem Tarifver-         Vereinbarungen verbindlich geregelt
tragsgesetz gibt es zwar ein Tarifregister beim
                                                     Mehrheitlich differenzieren die Vereinbarungen
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wo
                                                     nicht explizit zwischen betrieblicher und individu-
die Tarifverträge persönlich eingesehen werden
                                                     eller Weiterbildung. Wo eine Differenzierung vor-
können. Doch die fehlende Digitalisierung des Ar-
                                                     genommen wird, steht jedoch die betriebliche
chivs erschwert es, sich schnell einen Überblick
                                                     Weiterbildung im Vordergrund. Die Teilnahme an
zu verschaffen. Auch die befragten Expert:innen
                                                     Qualifizierungsmaßnahmen gilt meist als Arbeits-
in den untersuchten Branchen gaben teilweise
                                                     zeit. Die Dauer der Freistellung wird in den Ver-
an, dass ihnen der Überblick über die vorhande-
                                                     einbarungen aber sehr unterschiedlich geregelt.
nen Vereinbarungen fehle. Dies erschwert die
                                                     Nur selten lässt sich ein konkreter Zeitanspruch
                                                                         für die Beschäftigten ableiten.

                                                                        Die Kosten von betrieblichen
                                                                        Weiterbildungsmaßnahmen
                                                                        werden in der Regel vollstän-
                                                                        dig oder anteilig vom Betrieb
                                                                        übernommen (siehe Abbildung
                                                                        2). Die genaue Ausgestaltung
                                                                        regelt jedoch der Betrieb unter
                                                                        Berücksichtigung des betriebli-
                                                                        chen Nutzens der Weiterbil-
                                                                        dung. Die Finanzierung von
                                                                        Weiterbildungsmaßnahmen

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2021/03

kann auch über einen Weiterbildungsfonds gere-          schließen kann, für die Mitgestaltung von Weiter-
gelt werden.                                            bildung auf der betrieblichen Ebene besonders
                                                        wichtig.
Aus den Regelungen lassen sich in den meisten
Fällen keine verbindlichen Ansprüche für die Be-        Zugleich werden Regelungen und Unterstüt-
schäftigten ableiten, weil solche Ansprüche z. B.       zungsstrukturen auf der Branchenebene für eine
mit Verweis auf betriebliche Umstände relativiert       nachhaltige Förderung betrieblicher Weiterbil-
werden. Das begrenzt das Potenzial der Verein-          dung von den Gesprächspartner:innen als not-
barungen, zu einer vermehrten Weiterbildungs-           wendig angesehen. Eine gemeinsame Strategie
teilnahme beizutragen.                                  von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften
                                                        und gemeinsame Einrichtungen zur Förderung
Bedarfsermittlung häufig durch                          von Weiterbildung werden als hilfreich bewertet.
Qualifizierungsgespräche
Viele Vereinbarungen formulieren einen An-
spruch der Beschäftigten auf regelmäßige Quali-         Schlussfolgerungen
fizierungsgespräche. Dies kann als wichtiger            Sozialpartner-Vereinbarungen zur Weiterbil-
Baustein für die Bedarfsermittlung angesehen            dung bieten Orientierung und Hilfestellungen
werden. Für den Fall, dass die Bedarfsermittlung
                                                        Betriebe und Beschäftigte, ganz besonders im
zwischen Arbeitnehmer:in und Arbeitgeber nicht
                                                        Fall kleinerer Betriebe, können die Frage der
zu einer gemeinsamen Einschätzung führt, re-
                                                        Weiterbildung oft nicht allein lösen. Häufig wurde
geln manche Tarifvereinbarungen das Vorgehen
                                                        in den Expert:innengesprächen auf die fehlenden
im Konfliktfall. Eine Schlichtung wird durch den
                                                        Kapazitäten auf der betrieblichen Ebene verwie-
Betriebsrat oder spezielle Kommissionen vorge-
                                                        sen, die es nicht erlauben, sich nachhaltig mit
nommen.
                                                        dem Thema Weiterbildung auseinanderzusetzen.
Die Bedarfsermittlung beschränkt sich allerdings        Mitunter befinden sich die Betriebe in einem Teu-
in den meisten Fällen auf Qualifizierungsgesprä-        felskreis, in dem bereits spürbare Fachkräfteeng-
che, deren Organisation und Verbindlichkeit nicht       pässe es nicht zulassen, Beschäftigte für die
konkret geregelt werden und bei denen nicht             Weiterbildung freizustellen und durch Qualifizie-
transparent ist, wie – das heißt, auf welcher fach-     rungen den künftigen Fachkräftebedarf zu ver-
lichen Grundlage – Bedarfe ermittelt werden. Die        mindern.
genaue Ausgestaltung der Verfahrensweisen zur
                                                        Die betriebliche Ebene braucht Informationen
Bedarfsermittlung wird zumeist den Betrieben
                                                        und vielfach auch Anstöße, um sich mit der Not-
überlassen und nicht in den Vereinbarungen ge-
                                                        wendigkeit der Weiterbildung auseinanderzuset-
regelt. Eine Einbindung der Verfahren in die lang-
                                                        zen. Hier setzen die vorhandenen Vereinbarun-
fristige Geschäftspolitik der Betriebe ist nicht vor-
                                                        gen ein, indem sie einen Rahmen schaffen und
gesehen.
                                                        Normen für die Weiterbildung definieren. In eini-
Betriebliche und Branchenebene                          gen Branchen gehen die Sozialpartner weiter und
                                                        bieten Hilfestellungen an. Sie nehmen eine Bera-
Die betriebliche Ebene ist der Dreh- und Angel-         tungsfunktion wahr und vermitteln bei Konflikten
punkt für die Umsetzung von Weiterbildungsmaß-          über die Weiterbildung zwischen den Beteiligten
nahmen, denn hier entstehen die Weiterbildungs-         auf der betrieblichen Ebene. Ferner setzen die
bedarfe und das Interesse der Beschäftigten an          Sozialpartner Standards für Weiterbildungsange-
Qualifizierung. Von der Arbeitgeberseite wird bis-      bote und stellen diese Angebote selbst bereit.
weilen argumentiert, dass sich Regelungen auf
Branchenebene wegen der unterschiedlichen Be-           Weiterbildung hat für Sozialpartner zu selten
darfe nicht als Blaupausen für die betriebliche         strategische Bedeutung
Ebene eignen. In diesem Fall ist der Betriebsrat,
                                                        Die erfolgreichen Beispiele in einigen Branchen
der mit dem Arbeitgeber Betriebsvereinbarungen
                                                        zeigen, dass die Sozialpartner die gemeinsamen

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2021/03

Herausforderungen durch den Strukturwandel            diesen Bereichen wäre also eine Stärkung der
zum Anlass von Vereinbarungen zur Weiterbil-          Tarifabdeckung.
dung nehmen. Ein besonders markantes Beispiel
                                                      Gemeinsames Problemverständnis und
dafür ist die Chemieindustrie, in der die Tarifver-
                                                      Vertrauensbeziehungen als Voraussetzungen
tragsparteien schon früh einen Demografie-Tarif-
vertrag abgeschlossen haben. Weiterbildung ist        Ein Grund dafür, warum Weiterbildung bislang
für sie eine Möglichkeit, den Strukturwandel plan-    nur in relativ wenigen Branchen durch die Sozial-
voll mitzugestalten.                                  partner geregelt wird, können die gegensätzli-
                                                      chen Positionen von Arbeitgeberverbänden und
Bei den Sozialpartnern wird Qualifizierung und        Gewerkschaften sein. Arbeitgeber unterstreichen
Weiterbildung allerdings teilweise als ein „Schön-    die Notwendigkeit von Flexibilität und nicht bin-
wetterthema“ angesehen, das von anderen Re-           denden Vereinbarungen, während die Gewerk-
gelungsbereichen dominiert wird. Ansprüche auf        schaften möglichst konkrete und einklagbare An-
Weiterbildung gehören in den Tarifverhandlungen       sprüche in den Vereinbarungen festlegen möch-
mitunter zur Verhandlungsmasse, die zur Dispo-        ten. Dieser Gegensatz erschwert die Identifika-
sition steht und gegen andere Verhandlungsge-         tion gemeinsamer Interessen.
genstände, wie zum Beispiel Sonderzahlungen,
eingetauscht werden kann. Nicht nur auf der be-       Vor diesem Hintergrund ist das Klima der Tarifbe-
trieblichen, sondern auch auf der Branchenebene       ziehungen unter den fördernden Faktoren an ers-
ist die Nachhaltigkeit der Auseinandersetzung mit     ter Stelle zu nennen. Gewachsene Beziehungen,
dem Thema Weiterbildung nicht sichergestellt.         Vertrauen, eine „Kultur der guten Zusammenar-
                                                      beit“ fördern den Abschluss von Vereinbarungen
Inklusivität der Vereinbarungen nicht überall         generell, auch zum Thema Weiterbildung. In der
gewährleistet                                         baden-württembergischen Metall- und Elektroin-
                                                      dustrie dürften die Schaffung gemeinsamer Insti-
In vielen der vorliegenden Sozialpartner-Verein-
                                                      tutionen wie der AgenturQ und das gestiegene
barungen wird darauf verwiesen, dass sämtliche
                                                      Bewusstsein von gemeinsamen Zielen Hand in
Beschäftigtengruppen an Qualifizierungsmaß-
                                                      Hand gegangen sein. In jedem Fall braucht es
nahmen teilnehmen sollen und dass Qualifi-
                                                      gemeinsames Handeln und gemeinsame Zielset-
kationsbedarfe insbesondere von an Weiter-
                                                      zungen, wenn man betriebliche Weiterbildung
bildungsmaßnahmen unterrepräsentierten sowie
                                                      nachhaltig unterstützen möchte.
bildungsfernen Beschäftigtegruppen beachtet
werden sollen. Allerdings werden in etwa einem
                                                      Förderlich ist eine gemeinsame Problemsicht auf
Viertel der vorhandenen Sozialpartner-Vereinba-
                                                      die Herausforderungen durch den Strukturwandel
rungen Gruppen von Beschäftigten, beispiels-
                                                      aufgrund von Digitalisierung, Dekarbonisierung
weise geringfügig oder befristet Beschäftigte, ex-
                                                      und demografischer Veränderungen. Eine ge-
plizit aus dem Geltungsbereich ausgeschlossen.
                                                      meinsame Analyse kann zu ähnlichen Sichtwei-
                                                      sen führen und könnte für die Sozialpartner ein
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Vereinba-
                                                      erster Schritt dazu sein, gemeinsame Zielvorstel-
rungen nur für die Betriebe und Beschäftigten
                                                      lungen zur Weiterbildung zu formulieren.
gelten, die tarifgebunden sind. Dies sind eher
diejenigen, die das Thema Weiterbildung auch
                                                      Übertragbarkeit auf andere Branchen
auf betrieblicher Ebene bereits behandeln und
unterstützen. Gerade in vielen Dienstleistungs-       Die Studie zeigt, dass die Sozialpartner entspre-
branchen ist Weiterbildung noch wenig verbreitet.     chend den Anforderungen in den jeweiligen Bran-
Dort ist auch die Tarifbindung eher gering.           chen spezifische Regelungen für die Weiterbil-
Voraussetzung für wirksame Vereinbarungen in          dung getroffen haben. Vertreter:innen von Sozial-
                                                      partnerorganisationen aus Branchen, die bislang
                                                      noch keine Erfahrungen mit Vereinbarungen die-
                                                      ser Art gesammelt haben, können von diesem

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2021/03

Erfahrungsschatz profitieren und die branchen-        Zweitens muss die Verbindlichkeit der Vereinba-
spezifischen Handlungserfordernisse bei eigenen       rungen gestärkt werden. Dies betrifft den An-
Vereinbarungen zur Förderung der Weiterbildung        spruch der Beschäftigten auf Zeit und finanzielle
berücksichtigen. Deswegen stellt sich die Frage,      Unterstützung für Weiterbildung ebenso wie den
ob solche Vereinbarungen der Sozialpartner            Anspruch auf die Durchführung der Bedarfser-
auch in anderen Branchen erfolgversprechend           mittlung, welche Weiterbildungsmöglichkeiten zur
sein könnten. Von den Gesprächspartner:innen          Verfügung gestellt werden sollten. Bei der Be-
wird die Vorbildfunktion von Tarifverträgen zur       darfsermittlung und Gewährung von Weiterbil-
Qualifizierung in der Chemie- oder der Metall-        dung spielt drittens auch die Transparenz eine
und Elektroindustrie unterstrichen. Zugleich wird     wichtige Rolle, die beispielsweise mit der Defini-
jedoch betont, dass Weiterbildung nur dort eine       tion klarer Kriterien gesteigert werden kann.
Chance auf Verankerung in der Tarifpolitik habe,
wo eine hinreichend große Einsicht in die Not-        Dieses Gestaltungspotenzial sollten die Sozial-
wendigkeit von Weiterbildung bereits besteht.         partner auf Branchen- und betrieblicher Ebene
                                                      nicht verschenken. Zwar kann der Staat hierfür
                                                      auch entsprechende Vorgaben machen. Doch
                                                      wäre das nur die „zweitbeste“ Lösung, da mit
Weiterführende Empfehlungen
                                                      branchenübergreifend einheitlichen Regelungen
Weiterbildung mit mehr Ambition verfolgen             den jeweiligen Besonderheiten in den Wirt-
Angesichts der großen Herausforderungen, vor          schaftszweigen nicht adäquat Rechnung getra-
denen Unternehmen und ihre Beschäftigten ste-         gen werden kann.
hen, muss die Weiterqualifizierung mit deutlich
                                                      Mehr Transparenz schaffen
mehr Ambition verfolgt werden. Dafür muss der
Staat einen weiterführenden Rahmen schaffen.          Die Sozialpartner sollten sich vornehmen, beste-
Die Nationale Weiterbildungsstrategie liefert hier-   hende tarifliche Vereinbarungen zur Weiterbil-
für Ansatzpunkte, die von den Sozialpartnern auf-     dung leichter zugänglich zu machen. Sie können
gegriffen und für die jeweiligen branchenspezifi-     auch darauf hinwirken, dass die Weiterbildungs-
schen Herausforderungen angepasst und kon-            landschaft übersichtlicher wird. Denn ein Hinder-
kretisiert werden sollten. Erst im Zusammenspiel      nis für die Wahrnehmung von Weiterbildung ist
der Ebenen Staat, Sozialpartner und Unterneh-         derzeit die Unübersichtlichkeit und fehlende
men kann die betriebliche Weiterbildung ihr vol-      Transparenz über Weiterbildungsbedarfe, Weiter-
les Potenzial entfalten. Die weiterbildungsaffinen    bildungsangebote und ihre Qualität. Sozialpartner
Vorreiter unter den Sozialpartnern zeigen, dass       können zudem mit Studien Betrieben und Be-
ihr Engagement einen Unterschied macht und sie        schäftigten eine Orientierung dazu geben, welche
wichtige Impulse setzen können.                       Qualifizierungen notwendig sind. Big Data-ge-
                                                      stützte Analysen von Stellenanzeigen eröffnen z.
Dabei kommt es erstens darauf an, die strategi-       B. neue Möglichkeiten, über die Entwicklung von
sche Bedeutung der Weiterbildung anzuerkennen         Kompetenzbedarfen zu informieren.
und in den Vereinbarungen zu fixieren. Zu häufig
noch stellt Weiterbildung neben den „harten“          Infrastruktur für Beratung schaffen
Themen wie Lohn und Arbeitszeit ein Schönwet-
                                                      Beratungsangebote der Sozialpartner, gegebe-
terthema dar, das in den Hintergrund tritt, wenn
                                                      nenfalls verbunden mit einer Schlichtungsfunk-
es augenscheinlich wichtigere Themen gibt. Für
                                                      tion, können Betrieben und Beschäftigten eine
die Zukunftssicherung mit kompetenten Beleg-
                                                      wichtige Hilfestellung bieten. Sozialpartner könn-
schaften und wettbewerbsfähigen Unternehmen
                                                      ten auch einen Erfahrungsaustausch dazu orga-
reicht das nicht. Weiterbildung muss dauerhaft
                                                      nisieren, welche Regelungen beispielsweise zur
auf die Agenda von Tarifverhandlungen gesetzt
                                                      Aufbringung von Zeit und Geld oder zur Diag-
werden.
                                                      nose des Qualifizierungsbedarfs sich besonders

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Zukunft Soziale Marktwirtschaft Policy Brief #2021/03

bewährt haben. Initiativen zur Einrichtung von Bil-     Dummert, S. (2018). Betriebliche Berufsausbil-
dungsmentor:innen eröffnen neue Zugänge, um             dung und Weiterbildung in Deutschland. Institut
Beschäftigte zu einer verstärkten Weiterbildungs-       für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Nürnberg.
teilnahme zu motivieren. Qualitätssicherung und         Verfügbar unter https://www.bibb.de/doku-
Evaluation sind weitere Anliegen, die die Sozial-       mente/pdf/a2_iab-expertise_2018.pdf.
partner gemeinsam voranbringen sollten.                 OECD (2021). Weiterbildung in Deutschland.
                                                        Verfügbar unter https://www.oecd-ilibrary.org/employ-
Digitale Weiterbildungsangebote bewerben                ment/continuing-education-and-training-in-ger-
Stärker als bisher ist die Nutzung digitaler Weiter-    many_1f552468-en.
bildungsangebote zu ermöglichen. Bislang wer-
                                                        V.i.S.d.P.
den diese digitalen Formate in den Vereinbarun-
                                                        Bertelsmann Stiftung
gen der Sozialpartner nicht explizit benannt. Pri-
                                                        Carl-Bertelsmann-Straße 256
mär entscheiden die Betriebe über den Modus
                                                        D-33311 Gütersloh
der Weiterbildung. Die Sozialpartner könnten
aber durchaus die Vorteile digitaler Lernformen
                                                        Armando Garcia Schmidt
für Beschäftigte und Betriebe herausstellen. In-
                                                        Telefon: +49 5241 81-81543
dem diese die Kosten für die Betriebe reduzieren
                                                        armando.garciaschmidt@bertelsmann-stiftung.de
und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stär-
ken, können sie dazu beitragen, dass sich auch
                                                        Dr. Thieß Petersen
Beschäftigtengruppen weiterbilden, die bislang
                                                        Telefon: +49 5241 81-81218
zu wenig an Weiterbildung teilgenommen haben.
                                                        thiess.petersen@bertelsmann-stiftung.de

Ausführliche Studie
                                                        Eric Thode
Boockmann, B., Maier, A. & Schafstädt, C.
                                                        Telefon: +49 5241 81-81581
(2021). Vereinbarungen der Sozialpartner zur
                                                        eric.thode@bertelsmann-stiftung.de
Förderung der Weiterbildung – ein Blick in ausge-
wählte Branchen. Studie im Auftrag der Bertels-
mann Stiftung. Gütersloh.) Verfügbar unter
www.bertelsmann-stiftung.de/sozialpartnervereinbarung

Literatur                                                 Bildnachweis
Bahnmüller, R., Fischbach, S. & Jentgens, B.              Titelbild: © Robert Kneschke - stock.adobe.com
(2005). Die Qualifizierungstarifverträge für die ba-
den-württembergische M+E-Industrie und die                Autoren | Kontakt
westdeutsche T+B-Industrie: Konzepte, Umset-
zung, Wirkungen und Konsequenzen. Verfügbar               Prof. Dr. Bernhard Boockmann
                                                          Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e.V.
unter https://bit.ly/3j6ZzUY.
                                                          (IAW)
Belitz, H. & Gornig, M. (2019). Internationaler
                                                          bernhard.boockmann@iaw.edu
Vergleich des Wissenskapitals. Verfügbar unter            Telefon: +49 7071 989620
https://bit.ly/3xERFpK.
Bundesinstitut für Berufsbildung (2020). Datenre-         André Schleiter
port zum Berufsbildungsbericht 2018. Informatio-          Programm Arbeit neu denken
nen und Analysen zur Entwicklung der berufli-             Bertelsmann Stiftung
chen Bildung. Verfügbar unter Datenreport / Datenre-      andre.schleiter@bertelsmann-stiftung.de
port 2018 (bibb.de).                                      Telefon: +49 5241 81 81262
Bundesministerium für Arbeit und Soziales und
                                                          ISSN: 2191-2459
Bundesministerium für Bildung und Forschung
(2019). Nationale Weiterbildungsstrategie.
Verfügbar unter https://bit.ly/2Q2zjeV.

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