"Zukunftsentwurf" mit dem Denken und Handeln des letzten Jahrhunderts funktioniert nicht

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“Zukunftsentwurf“ mit dem Denken und
Handeln des letzten Jahrhunderts funktio-
niert nicht
Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit
– Solidarität – Menschlichkeit – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit –
Teil I: Arbeit“

12. Februar 2019

Zusammenfassung                                   cherheiten ein verlässliches Belastungsmora-
                                                  torium. Rechtsunsicherheit, Beschränkungen
Die Pläne der SPD sind kein Sozialstaatskon-      von Beschäftigungschancen und neue Hür-
zept für das Jahr 2025, sondern stellen den       den für Arbeit sind Gift für den Arbeitsmarkt.
untauglichen Versuch dar, die Zukunft mit
dem Denken und Handeln des letzten Jahr-          Die SPD schießt mit ihren Vorschlägen nicht
hunderts zu entwerfen. Die Agenda 2010 hat        nur weit über den Koalitionsvertrag hinaus.
eine beeindruckende Erfolgsgeschichte ge-         Sie bedeuten auch im Arbeitsrecht eine wei-
schrieben: Die Zahl der Arbeitslosen ist von in   tere schwerwiegende Rolle rückwärts und
der Spitze weit über 5 Mio. auf weit weniger      würden die Sozialpartnerschaft, die vertrau-
als die Hälfte gesunken. Die Zahl der Lang-       ensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebs-
zeitarbeitslosen hat sich seit 2005 auf knapp     rat und auch die Entstehung neuer Arbeitsfor-
800.000 mehr als halbiert. Statt die Arbeits-     men sowie die Arbeitszeitwirtschaft schwer
marktpolitik zukunftsgerichtet weiterzuentwi-     belasten. Notwendig ist vielmehr eine Anpas-
ckeln, will die SPD mit Maßnahmen von ges-        sung des geltenden Arbeitszeitgesetzes an
tern Lösungen für morgen anbieten.                die Herausforderungen der Zukunft. Dazu ge-
                                                  hört vor allem die Ermittlung der Höchstar-
Schon die gesetzliche Einführung der soge-        beitszeit auf wöchentlicher Basis und die ge-
nannten Brückenteilzeit, die Einschränkun-        nerelle Öffnung der Ruhezeit für die Tarifver-
gen der Abrufarbeit und die angekündigten         tragsparteien. Solche tariflichen Gestaltungs-
massiven und gefährlichen Beschränkungen          optionen wären ein echter Beitrag zur Stär-
von in der Privatwirtschaft ohnehin nur maß-      kung der Tarifautonomie.
voll genutzter befristeter Arbeitsverhältnisse
sind eine schwere Hypothek für den Arbeits-       Die Vorschläge zum „Arbeitslosengeld Q“, ei-
markt. Die verschlechternden Konjunkturaus-       nem Rechtsanspruch auf Weiterbildung und
sichten, die Risiken für die Weltwirtschaft und   längeren Arbeitslosengeldbezug für Ältere,
die Herausforderungen von Globalisierung          bauen gerade keine Brücken in Beschäfti-
und vor allem Digitalisierung erfordern andere    gung, sondern produzieren unnötige Warte-
Antworten als mehr Regulierung und mehr           schleifen. Moderne Beschäftigungspolitik
Einschränkungen von Arbeitsmarktchancen.          konzentriert sich auf die Ertüchtigung durch
Wirtschaft, Arbeitnehmer und Arbeitgeber be-      Motivierung und Qualifizierung und nicht auf
nötigen gerade in Zeiten wachsender Unsi-         eine Verlängerung von Arbeitslosigkeit. Die
                                                  SPD-Vorschläge dagegen suggerieren den
Menschen, dass längerer Arbeitslosengeld-                       starke Sanktionen rechtfertigt, dürfen nicht
bezug die Chancen auf Beschäftigung erhöht.                     die Erfahrung machen, dass ihr Lebensunter-
Erwiesenermaßen ist das Gegenteil der Fall:                     halt trotzdem durch die Solidargemeinschaft
Es werden Beschäftigungschancen genom-                          weiter finanziert wird, als sei nichts gesche-
men und Arbeitslosigkeit verfestigt sich.                       hen. Ein bedingungsloses Wohneinkommen,
                                                                wie es die SPD im Ergebnis vorschlägt, wäre
Die grundlegende Bedeutung von Qualifizie-                      gerade gegenüber Steuerzahlern mit gerin-
rung ist unbestreitbar. Sie muss aber zwi-                      gen Eigeneinkommen nicht zu rechtfertigen.
schen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bespro-                      Natürlich soll keine Sanktion Obdachlosigkeit
chen und gemeinsam angegangen werden.                           bewirken. Der Vorstandsvorsitzende der Bun-
Sie einseitig als individuelles Recht – verbun-                 desagentur für Arbeit konnte auf Befragen hin
den mit einem längeren Arbeitslosengeldbe-                      keinen einzigen derartigen Fall aufzeigen.
zug – auszugestalten, ist unsinnig. Das macht
Qualifizierung fälschlicherweise zum Allheil-                   Richtig ist, Anpassungsnotwendigkeiten im
mittel für alle Problemlagen, selbst wenn eine                  Grundsicherungssystem zu benennen und
schnelle Aktivierung und nachhaltige Einmün-                    Widrigkeiten abzustellen. Da ist auch der Ge-
dung in Arbeit erfolgen kann. Qualifizierungen                  setzgeber gefordert: Das System muss ent-
auf Vorrat ohne Orientierung am Arbeitsmarkt                    bürokratisiert, d. h. gerade für die Hilfebedürf-
bedeuten unnötige Warteschleifen und helfen                     tigen vereinfacht und damit verständlicher
niemandem. Ob und welche Qualifizierung im                      werden. Das würde auch seine Akzeptanz
Einzelfall sinnvoll und deshalb zu finanzieren                  stärken, die unter teilweise gesetzlich vorge-
ist, muss immer Ergebnis eines Beratungs-                       schriebener bürokratischer Kleinkariertheit
prozesses zwischen Arbeitslosen, den Fach-                      Schaden genommen hat. Der Fokus muss
leuten der Arbeitsagenturen und dem Be-                         auch noch stärker auf Langzeitarbeitslose mit
schäftigten und deren Arbeitgeber sein. Ziel                    Kindern und besonderen Hemmnissen gelegt
muss immer sein, passgenaue und möglichst                       werden.
arbeitsmarktnahe Lösungen zu finden. Ein
Rechtsanspruch auf Qualifizierung kann auch                     Die SPD-Vorschläge dagegen fokussieren
völlig sachfremde Motive befördern, die die                     auf hohe zusätzliche Milliarden-Belastungen
Beschäftigungsfähigkeit des Einzelnen nicht                     für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
stärken. Wenn jeder einen Rechtsanspruch                        und Arbeitgeber als Beitragszahlende: Sie
auf Weiterbildung erhält und jeder zuerst ein-                  haben ihre Wurzel in der Idee einer von der
mal in die Arbeitslosenversicherung einzahlt
                                                                SPD angestrebten „Arbeitsversicherung“.
und damit ein verbrieftes Recht erhält, nach
                                                                Wenn die SPD auf angeblich „volle Kassen“
Abzug der Verwaltungskosten das Geld für
                                                                verweist, die neuen Leistungen leicht finan-
seine eigene Weiterbildung wieder ausge-
zahlt zu erhalten, ist das nichts anderes als                   zieren ließen, so muss sie daran erinnert wer-
undurchdachte Planwirtschaft.                                   den, dass die Arbeitslosenversicherung nicht
                                                                Überschüsse für teure Geschenke, sondern
Eine Umbenennung der Grundsicherung für                         gezielt Reserven für harte Krisenzeiten aufge-
Arbeitsuchende in Bürgergeld würde lediglich                    baut hat. Insgesamt bleibt die SPD zu Fragen
ein Etikett ändern. Wichtig ist aber der Inhalt                 der Kosten und der Finanzierung der übrigen
hinter dem Etikett. Hier rüttelt die SPD vehe-                  Forderungen auffällig still oder unpräzise.
ment am Prinzip des Förderns und Forderns.
Das ist eine verhängnisvolle inhaltliche Fehlo-
rientierung. Solidarität ist nämlich niemals als                Im Einzelnen
Einbahnstraße zu organisieren. Wer Solidari-
tät erfährt, muss sie durch Eigenanstrengun-                    I. Arbeitsrecht
gen auch selbst rechtfertigen. Insofern ist es
vernünftig, dass Sanktionen nicht gänzlich                      Schon das in der Einleitung propagierte Recht
entfallen sollen. Aber die völlige Abschaffung                  auf Arbeit, unterstreicht das grundlegende
besonderer Sanktionsregelungen für Jugend-                      Fehlverständnis von den Prinzipien einer frei-
liche ist kritisch zu sehen. Gerade junge Men-                  heitlichen Wirtschafts- und Arbeitsmarktord-
schen, deren Fehlverhalten so schwerwie-
gend ist, dass es zeitlich befristet besonders

                    Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit
                    – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“

                    12. Februar 2019                                                                                      2
nung. Aus einem Recht auf Arbeit eine Viel-                     Deutschland orientiert. Wenn dieser Anpas-
zahl an Ansprüchen abzuleiten, weckt falsche                    sungsmechanismus in Frage gestellt wird,
Erwartungen und führt am Ende zur Desillusi-                    wird die Rechtfertigung des Mindestlohns an
onierung der so vermeintlich Begünstigten.                      sich hinterfragt. Anhebungen des Mindest-
Eine freiheitliche Wirtschafts- und Arbeitsord-                 lohns, die sich von der allgemeinen Tarifent-
nung mit Anspruch auf angemessenen Sozi-                        wicklung abkoppeln, sind ein Misstrauensbe-
alausgleich darf ein solches Versprechen                        weis gegenüber sämtlichen Entgelttarifverträ-
nicht abgeben, weil es nicht einlösbar ist.                     gen, die die Wirtschaftsleistung und wirt-
                                                                schaftliche Belastbarkeit angemessen wider-
                                                                spiegeln sollen.
1. Tarifrecht

Die Vorstellungen der SPD zielen auf eine                       b) Tariftreuegesetz fragwürdig
partielle Abschaffung der Tarifautonomie und
deren Ersetzung durch ein staatliches                           Ein auf staatliche Vergabe abzielendes sog.
Zwangstarifkorsett. Das ist gerade nicht die                    „Tariftreuegesetz“ beschädigt die positive Ko-
Stärkung von Tarifautonomie, die in erster Li-                  alitionsfreiheit von Gewerkschaften und Ar-
nie Aufgabe der Sozialpartner selbst ist. Statt                 beitgeberverbänden und ist auch vom Ge-
neuer gesetzlicher Eingriffe brauchen die Ta-                   richtshof der Europäischen Union schon
rifpartner politische Ermutigung durch gesetz-                  mehrfach in Frage gestellt worden. Der Bund
liche Öffnungsklauseln. Die Tarifvertragspar-                   hat daher bisher zu Recht auch von einem ei-
teien selbst müssen durch Öffnungsklauseln                      genen, besonderen Mindestlohn für die
in Tarifverträgen und die Zulassung modula-                     Vergabe öffentlicher Aufträge Abstand ge-
rer Tarifbindung die Attraktivität von Tarifver-                nommen. Maßstab öffentlicher Auftrags-
trägen stärken. Überhöhte gesetzliche Min-                      vergabe muss die Qualität der angebotenen
destlohnforderungen, aber auch sog. „Ta-                        Dienstleistung und deren Wirtschaftlichkeit
riftreueregelungen“, die die öffentliche Auf-                   sein. Die Einführung vergabefremder Krite-
tragsvergabe verzerren, oder vorschnelle und                    rien, wie zum Beispiel eines besonderen
unpassende Allgemeinverbindlichkeitsregeln                      Vergabemindestlohns neben dem selbstver-
ohne Zustimmung beider Tarifpartner, schwä-                     ständlich einzuhaltenden allgemeinen Min-
chen die Tarifautonomie. Die SPD sollte diese                   destlohn, schaffen demgegenüber Zugangs-
Forderungen schnellstens aus ihrem Instru-                      beschränkungen, gerade für kleinere Unter-
mentenkasten entfernen.                                         nehmen, die entsprechende Entgelte wirt-
                                                                schaftlich nicht angemessen kalkulieren und
                                                                mit möglichen anderen Aufträgen verrechnen
a) Mindestlohn nicht willkürlich anpassen                       können und dadurch vom Zuschlag staatli-
                                                                cher Aufträge weitgehend oder vollständig
Die Anhebung des Mindestlohns durch Ände-                       abgeschnitten wären. Das stellt einen massi-
rungen der Koordinaten des Mindestlohnge-                       ven Eingriff in die Betätigungsfreiheit gerade
setzes für die Anpassung des Mindestlohns                       kleinerer und mittlerer Unternehmen dar.
und eine gegriffene Wunschzahl von 12 € für
den Mindestlohn machen auch die Entgeltfin-
dung in Tarifverträgen noch mehr zum Spiel-                     c) Allgemeinverbindlichkeit muss Ausnah-
ball der Politik. Sie verdrängen tarifvertragli-                meinstrument bleiben
che Vereinbarungen zu Entgelten und greifen
mittelbar in sämtliche Entgeltvereinbarungen                    Tarifbindung ist primär Ausdruck der autono-
zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften                        men Entscheidung, sich den Regelungen ei-
ein.                                                            nes Tarifvertrags freiwillig zu unterwerfen.
                                                                Das gilt für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer.
Es ist richtig und vernünftig, dass die Anpas-                  Die Zwangserstreckung von Tarifverträgen
sung des Mindestlohns sich im Wesentlichen                      durch staatlichen Hoheitsakt passt grundsätz-
streng an der Tariflohnentwicklung in                           lich nicht in ein Modell freiwilliger, tarifauto-
                                                                nom gefundener Regelungen. Die Stärkung

                    Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit
                    – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“

                    12. Februar 2019                                                                                      3
von Tarifbindung ist Aufgabe der Tarifver-                     ermöglichen, Gremienbildung und -zusam-
tragsparteien selbst, die durch Öffnungsklau-                  mensetzung in der Betriebsverfassung wie in
seln für Betriebsvereinbarungen und das An-                    der Unternehmensmitbestimmung vereinba-
gebot modularer Tarifbindung die Bereitschaft                  rungsoffen zu gestalten.
erhöhen können, Tarifverträgen beizutreten.
Der gesetzliche Zwang zur Tarifbindung                         Darüber hinaus ist es wichtig, Verfahren der
würde demgegenüber mindestens Desinte-                         Betriebsverfassung an Fristen zu knüpfen,
resse an angemessenen tariflichen Regelun-                     um Verzögerungspotenziale zu beschränken
gen auslösen und kann sogar die Bereitschaft                   und damit insgesamt für ein agiles und
nachhaltig beschädigen, sich freiwillig Tarif-                 schnelles Miteinander von Arbeitgebern und
verträgen zu unterwerfen.                                      Betriebsrat zu sorgen. Auch einzelne Mitwir-
                                                               kungsrechte des Betriebsrats, wie zum Bei-
                                                               spiel die Mitbestimmung bei Beginn und Ende
d) Steuerprivileg wäre unsystematisch                          der Arbeitszeit, die Mitwirkung beim Gesund-
                                                               heitsschutz und vor allem auch die Mitwirkung
Es ist weder steuersystematisch angemessen                     bei der Einführung neuer technischer Be-
noch ist es politisch sinnvoll, Tarifbindung                   triebsmittel, müssen auf den Prüfstand und
durch Subventionen zu erkaufen. Der Vor-                       ggf. angepasst werden.
schlag, Tarifbindung steuerlich zu privilegie-
ren, ist daher nicht Ausdruck von Selbstbe-
wusstsein, Arbeitsbedingungen nach dem                         3. Neue Beschäftigungsformen stärken
Willen der Verfassung autonom und selbstän-
dig zu regeln. Der Wunsch nach einer solchen                   Die Arbeitswelt 4.0 wird auch durch neue Be-
Privilegierung kann vielmehr als Ausdruck                      schäftigungsformen bereichert werden. So
von Hilflosigkeit in einer sich wandelnden Ta-                 wird Aufgabenteilung durch notwendige
riflandschaft interpretiert werden, eine posi-                 Werk- und Dienstverträge in Zukunft voraus-
tive Entwicklung der Tarifbindung aus eigener                  sichtlich zunehmen. Auch wenn sie heute
Kraft zu erreichen. Eine solche steuerliche                    noch keinen durchschlagenden Beitrag zur
Subventionierung von Tarifbindung ist daher                    Wirtschaftsleistung bietet, wird die Plattfor-
dem Grunde nach abzulehnen.                                    mökonomie ihren Platz im System der indust-
                                                               riellen Beziehung finden. Solche Formen
                                                               selbständiger Dienstleistungserbringung gilt
2. Mitbestimmung flexibilisieren und be-                       es zu akzeptieren. Für ihre Gestaltung bedarf
   schleunigen                                                 es weder eines neuen Arbeitnehmer-, eines
                                                               neuen Arbeitgeber- oder eines neuen Be-
Das deutsche Mitbestimmungsrecht – sowohl                      triebsbegriffs.
in der Unternehmensmitbestimmung wie in
der Betriebsverfassung – ist Ausdruck der Ar-                  Dort, wo die Tarifvertragsparteien die Mög-
beitsbeziehungen zu Beginn des 20. Jahrhun-                    lichkeit oder gar die Notwendigkeit sehen, Be-
derts. Seine Strukturen passen daher vielfach                  schäftigungsbedingungen bestimmter wirt-
nicht mehr in die Arbeitswelt des 21. Jahrhun-                 schaftlich besonders von einem Auftraggeber
derts. Erst recht die Drohung mit Strafverfol-                 oder Besteller abhängiger Selbständiger zu
gung ist kein Ausweis attraktiver Mitbestim-                   regeln, können sie dies heute schon auf der
mung. Das Strafrecht ist der gänzlich falsche                  Grundlage des Tarifvertrags- oder des Heim-
Ort, Mitbestimmung zu stärken.                                 arbeitsgesetzes. Gesetzlich vorgegebene
                                                               Mindestarbeitsbedingungen und Mindestho-
Eine tatsächliche Stärkung der Betriebsver-                    norare stellen demgegenüber die freie Ent-
fassung setzt zum Beispiel Handlungsoptio-                     scheidung des Einzelnen in Frage, sich als
nen für Vereinbarungen zwischen Arbeitge-                      Arbeitnehmer oder als Selbständiger neue
ber und Betriebsrat über die Zusammenfüh-                      Entwicklungschancen zu erschließen.
rung von Gremien voraus. Notwendig dafür
sind rechtliche Rahmenbedingungen, die es

                   Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit
                   – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“

                   12. Februar 2019                                                                                      4
Die strukturelle Abgrenzung zwischen Arbeit-                   soll und wie es abzuwickeln ist. Die Beschrei-
nehmern als persönlich abhängigen Beschäf-                     bung lässt die Gefahr erkennen, dass der
tigten und Dienst- oder Werkvertragsnehmern                    Staat die betriebliche Zeitwirtschaft überneh-
darf nicht verwässert werden. Sie ist 2017 auf                 men soll. Ob und wie Arbeitgeber und Arbeit-
der Grundlage der Rechtsprechung gesetz-                       nehmer die Gestaltung von Arbeitszeitkonten
lich festgeschrieben worden und wird sich                      vereinbaren, gehört zu deren Kernkompe-
auch in Zukunft bewähren. Eine Verpflichtung                   tenz. In diese Kernkompetenz darf keinesfalls
Selbständiger, zuverlässig für ihre Alterssi-                  durch unklare und ganz sicher bürokratische
cherung zu sorgen, ist nachvollziehbar. Der                    Regelungen eingegriffen werden. Die offen-
Weg dorthin kann aber sehr unterschiedlich                     bar angedachte Vermischung von Arbeitszeit-
sein. Eine Begrenzung auf die Pflichtversi-                    konten – mit denen auf Auftragsschwankun-
cherung in der gesetzlichen Rentenversiche-                    gen reagiert wird – und sogenannten Zeit-
rung ist weder notwendig noch sinnvoll.                        wertkonten – die langfristigen Planungszwe-
                                                               cken der Arbeitsvertragsparteien zu dienen
                                                               bestimmt sind – unter staatlicher Aufsicht,
4. Festlegung von Zeit, Dauer und Ort der                      würde die notwendige Flexibilität und Anpas-
   Arbeit ist Kernbestand der unternehme-                      sungsmöglichkeit der Betriebe bei der Gestal-
   rischen Entscheidungsfreiheit                               tung von Arbeitszeit massiv beschränken.

Mobiles Arbeiten und Homeoffice werden zu-                     Auch die grundsätzliche Übertragbarkeit ei-
nehmen und bieten große Chancen für die                        nes solchen „Zeitkontos“ würde neue büro-
bessere Vereinbarkeit von privaten und                         kratische Hemmnisse, gerade für Arbeitneh-
dienstlichen Belangen. Beides sollte – wo im-                  mer beim Arbeitgeberwechsel, herbeiführen.
mer möglich und sinnvoll – unterstützt wer-                    Warum sollte ein Arbeitgeber mit einem Ar-
den. Aber ein einseitiger Rechtsanspruch des                   beitnehmer einen Arbeitsvertrag schließen,
Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin auf                      wenn dieser zwangsweise größere Zeitwert-
diesem Feld, widerspricht den Grundzügen                       guthaben von seinem alten Arbeitgeber in das
des Arbeitsrechts. Es sind die Wünsche und                     neue Arbeitsverhältnis transferieren will? Das
Anforderungen der Kunden, die im Wesentli-                     liefe auf einen staatlich regulierten und ver-
chen für die Ausgestaltung der Arbeitszeit                     walteten Fond für Arbeitszeit hinaus, der mit
und den Ort der Arbeitserledigung bestim-                      marktwirtschaftlichen,     vertragsautonomen
mend sind. Die Kundschaft stellt durch ihre                    Rechtsbeziehungen nichts mehr zu tun hat.
Nachfrage den Betrieb und auch die Arbeits-                    Solche gesetzlichen Regelungen würden Ta-
leistung sicher. Das Weisungsrecht des koor-                   rifautonomie und Privatautonomie bei einem
dinierenden Arbeitgebers hinsichtlich Ort,                     zentralen Thema des Arbeits- und Tarifvertra-
Zeit, Umfang und Art der Arbeit ist daher kon-                 ges grundsätzlich untergraben und bergen
stitutiv für die Arbeitsbeziehungen und verfas-                die Gefahr eines ersten Schritts hin zur
sungsrechtlich abgesichert. Ein substanzieller                 Staatswirtschaft.
Eingriff in dieses koordinierende Weisungs-
recht des Arbeitgebers durch ein einseitiges
Arbeitnehmerrecht auf Homeoffice oder mo-                      II. Arbeitsmarkt
biles Arbeiten oder eine Familienarbeitszeit
wäre ein gefährlicher Anschlag auf diese Un-
ternehmerfreiheit und mit höherrangigen ver-                   1. „Arbeitslosengeld Q“ und Rechtsan-
fassungsrechtlichen Erwägungen nicht ver-                         spruch auf Weiterbildung suggerieren,
einbar.                                                           dass Qualifizierung Selbstzweck ist und
                                                                  verfestigen Arbeitslosigkeit

5. Vorschlag zu Zeitkonten wirklichkeits-                      Schon heute scheitert in der Arbeitslosenver-
   fremd                                                       sicherung keine einzige notwendige und er-
                                                               folgversprechende Qualifizierung von Arbeits-
Es bleibt unklar, was das in dem Beschluss                     losen und Beschäftigten, die von Arbeitslosig-
genannte persönliche Zeitkonto darstellen                      keit bedroht sind, an mangelnden Finanzen.

                   Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit
                   – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“

                   12. Februar 2019                                                                                      5
Qualifizierung ist in vielen Fällen der richtige                und ggf. nachjustiert wird. Es darf kein be-
Weg, insbesondere bei Älteren oder Gering-                      stimmtes Arbeitsmarktinstrument durch neue
qualifizierten. Sie kann aber auch unange-                      Ansprüche den anderen vorgezogen werden.
bracht sein: Bei sehr gut ausgebildeten Allein-                 Dies nimmt der Arbeitsverwaltung den Spiel-
erziehenden ist die fehlende Kinderbetreuung                    raum, passgenaue und arbeitsmarktnahe
in aller Regel der entscheidende Hemm-                          Maßnahmen zur Integration in Arbeit zu ent-
schuh. Nicht selten sind auch Gesundheits- o-                   wickeln. Es gibt keine Rechtfertigung, den
der Schuldenprobleme zu lösen, damit der o-                     Fachkräften in Arbeitsagenturen und Jobcen-
der die Arbeitslose den Kopf frei hat für eine                  tern damit die Fähigkeit abzusprechen, hier in
Beschäftigungsaufnahme. Dann macht Qua-                         Zusammenarbeit mit dem Arbeitslosen gute
lifizierung (noch) keinen Sinn. Manchmal                        und passgenaue Lösungen zu finden, und
muss – auch bei Gutqualifizierten – an der                      dazu kann auch die sofortige Vermittlung zäh-
Motivation für eine regelmäßige Tätigkeit ge-                   len.
arbeitet werden, weil dem Arbeitslosen ein
geringeres Nettoeinkommen erst einmal ge-                       Ein „Arbeitslosengeld Q“, das ein Jahr gar
nügt. Da bringt eine Qualifikation nichts als                   nicht und danach in einem höchst komplexen
Zeitverzug und Alimentierung. Auch bei Be-                      Verfahren gestaffelt auf das Arbeitslosen-
schäftigten muss gemeinsam mit dem Arbeit-                      geld I angerechnet werden soll, verlängert die
geber genau geschaut werden, welche Quali-                      Arbeitslosengeldbezugsdauer. So wird der
fizierung unter Berücksichtigung der betriebli-                 Anschein erweckt, es bleibe nach einer Qua-
chen Gegebenheiten sinnvoll ist. Jeder Qua-                     lifizierung Zeit, sich eine Stelle zu suchen.
lifizierung muss eine genaue Betrachtung des                    Das Arbeitslosengeld dient der Absicherung
Einzelfalls vorausgehen, die die Stärken des                    der Sucharbeitslosigkeit. Längere Bezugs-
Einzelnen in den Blick nimmt und prüft, wel-                    dauern verringern die Eingliederungschan-
che Maßnahme zur Integration führt.                             cen. Je länger die Arbeitslosengeldbezugs-
                                                                dauer, desto weniger Anreize werden gesetzt,
Ein Rechtsanspruch auf Qualifizierung würde                     Arbeitslosigkeit schnellstmöglich zu überwin-
die Entscheidungshoheit über die Qualifizie-                    den. Im Gegenteil: Arbeitslosigkeit verfestigt
rung einseitig zum Arbeitslosen oder Be-                        sich eher und der Wert der erlernten Qualifi-
schäftigten bringen, statt sie als Ergebnis des                 kation verringert sich wieder. Schon jetzt er-
Beratungsprozesses den Fachleuten der Ar-                       halten Arbeitslose während einer Weiterbil-
beitsagentur unter Einbindung des aktuellen                     dung das sog. Arbeitslosengeld-Weiterbil-
oder idealerweise künftigen Arbeitgebers zu                     dung. Es wird nur zur Hälfte auf den Arbeits-
belassen. Der individuelle Rechtsanspruch                       losengeldanspruch angerechnet. Qualifizie-
birgt die Gefahr für die Verfestigung einer Ein-                rung während des Arbeitslosengeld-Bezugs
stellung, Qualifizierung als Vehikel zu sehen                   wird daher schon jetzt spürbar belohnt.
und im Ergebnis auch zu missbrauchen, Ar-
beitslosigkeit so lange wie möglich relativ                     Zu Recht erfolgt jedoch die hälftige Anrech-
großzügig alimentiert zu bekommen. Der                          nung, um nach der Qualifizierung relativ
Rechtsanspruch würde völlig unnötig viel                        schnell den Einstieg in Beschäftigung zu be-
Streit vor die Gerichte bringen, statt den Be-                  fördern. Ziel muss es immer sein, Qualifizie-
ratungsprozess zwischen Arbeitgeber und Ar-                     rungen so betriebsnah wie irgend möglich zu
beitnehmer oder Arbeitnehmerin ggf. unter                       gestalten und bereits während der Qualifizie-
Beteiligung der finanzierenden Agentur/des                      rung den Schritt in die Beschäftigung nach
Jobcenters zu befördern, der zu sinnvoller                      der Qualifizierung vorzubereiten. Dies muss
Qualifizierung führt.                                           Aufgabe aller beteiligten Akteure, ob Ar-
                                                                beitsagentur, Träger oder jedes Einzelnen
Der Einsatz der Arbeitsmarktinstrumente                         sein. Nach Ende der Weiterbildung bei ggf.
muss flexibel ausgestaltet bleiben. „Förder-                    weiterhin vorliegender Arbeitslosigkeit be-
ketten“ müssen bei Bedarf eingesetzt werden,                    steht grundsätzlich noch ein Anspruch auf Ar-
in denen die nächsten Förderschritte voraus-                    beitslosengeld für mindestens 30 weitere
geplant, das Erreichte regelmäßig überprüft                     Tage, so dass nach Ende der Weiterbildung

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                    – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“

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der Lebensunterhalt für eine gewisse vorher-                   für diejenigen, die noch über gar keinen Ab-
sehbare Zeitspanne gesichert ist.                              schluss verfügen und für die die geförderte
                                                               „Umschulung“ tatsächlich die erste Ausbil-
                                                               dung darstellt. Bei guter Prognose sollte aber
2. Verlängerung des Arbeitslosengeldes                         auch ihnen die Möglichkeit einer Verkürzung
   setzt völlig falsche Anreize                                eingeräumt werden. Wer aber schon eine Be-
                                                               rufsausbildung erfolgreich abgeschlossen
Längere Anspruchsdauern beim Arbeitslo-                        und Berufspraxis hinter sich hat und dann in
sengeld sind absolut kontraproduktiv. Ver-                     einen anderen Beruf umgeschult werden soll,
bunden mit dem „Arbeitslosengeld Q“, das in                    der kann dies in aller Regel problemlos in
geringerem Umfang als bisher auf das Ar-                       zwei Jahren schaffen, wenn die Erstausbil-
beitslosengeld I angerechnet werden soll,                      dung drei Jahre dauert. Gerade diese berufs-
könnten nach den Plänen der SPD bis zu 36                      und lebenserfahrenen Menschen sind beson-
Monate Arbeitslosengeld bezogen werden.                        ders motiviert, ihre Umschulung möglichst
Da nach den SPD-Plänen zukünftig die Be-                       schnell zu Ende zu bringen, weil sie nicht sel-
zugsdauer des Arbeitslosengeld I nicht mehr                    ten Unterhaltspflichten erfüllen müssen und
nur vom Lebensalter abhängig sein soll, son-                   das Ziel eines Arbeitsplatzes mit höherem
dern sich auch an den Beitragszeiten in der                    Verdienst in greifbare Nähe rückt. Grundsätz-
Arbeitslosenversicherung orientieren soll,                     lich sollte deshalb an der Verkürzung festge-
wird sich der Kreis derjenigen, deren Arbeits-                 halten werden.
losigkeit länger finanziert wird als ein volles
Jahr, deutlich erweitern.
                                                               4. Grundsicherung zukunftsgerichtet wei-
Die SPD sieht z. B. ab 30 Beitragsjahren ei-                      terentwickeln, statt abzuschaffen –
nen um 9 Monate verlängerten Arbeitslosen-                        Ängste ernst nehmen
geldanspruch vor. Damit könnten bereits
Menschen, die mit 15 Jahren eine Ausbildung                    Wenn die Grundsicherung nunmehr Bürger-
begonnen haben, ab dem 45. Lebensjahr 21                       geld genannt werden soll, wird ein Etikett ge-
Monate Arbeitslosengeld beziehen.                              ändert. Wichtig ist nur eins: dass an der er-
                                                               folgreichen Grundkonzeption der Grundsi-
Mit diesen Vorschlägen würde Arbeitslosig-                     cherung nicht gerüttelt wird. Es muss beim
keit länger verwaltet, anstatt die Menschen in                 Prinzip des Förderns und Forderns bleiben.
Beschäftigung zu bringen. Das Institut für Ar-                 Sanktionen sind und bleiben in den wenigen
beitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat                      Fällen, die sie betreffen, ultima ratio – das
nachgewiesen, dass längere Bezugsdauern                        letzte Mittel. Sie sind und bleiben aber ge-
beim Arbeitslosengeld geringere Anreize set-                   recht, sinnvoll und zielführend. Die Grundsi-
                                                               cherung ist zudem zu Recht kein bedingungs-
zen, auf eine dauerhafte Integration in den Ar-
                                                               loses Grundeinkommen, sondern eine von
beitsmarkt hinzuarbeiten, dass die Verweil-
                                                               der breiten Mitte unserer Gesellschaft finan-
dauer in Arbeitslosigkeit steigt und dass län-
                                                               zierte Solidarleistung. Sie wird auch von hart
gere Anspruchsdauern eher negative Auswir-                     arbeitenden Menschen mit bescheidenem ei-
kungen auf Löhne haben. Deshalb war schon                      genem Einkommen finanziert.
die jetzt geltende längere Bezugszeit von Ar-
beitslosengeld für Ältere nicht sinnvoll.                      Wir sind offen für Nachjustierungen: Das Sys-
                                                               tem muss entbürokratisiert werden und der
                                                               Fokus muss noch mehr auf Langzeitarbeits-
3. Dreijährige Umschulungen nur im                             lose mit Kindern und besonderen Hemmnis-
   Ausnahmefall sinnvoll                                       sen gelegt werden. Vereinfachungen müssen
                                                               endlich auf den Weg gebracht werden, z. B.
Die Finanzierung eines dritten Umschulungs-                    die schon lange geforderten Bagatellgrenzen
jahres ist in Ausnahmefällen sinnvoll, wenn                    für Rückforderungen, wie sie auch die SPD zu
die Maßnahmeteilnehmer ansonsten mit ei-                       Recht fordert. Wir brauchen auch endlich eine
ner auf zwei Drittel verkürzten Umschulung                     Überarbeitung der Hinzuverdienstgrenzen,
überfordert wären. Das gilt selbstverständlich                 die so ausgestaltet sein müssen, dass es sich

                   Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit
                   – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“

                   12. Februar 2019                                                                                      7
nicht mehr ganz besonders lohnt, Grundsi-                       Es wird wenig und angemessen sanktioniert.
cherungsleistungen mit einem Kleinstver-                        In der Arbeit der Jobcenter steht nicht die Be-
dienst zu ergänzen, sondern vielmehr das                        strafung im Vordergrund. Entgegen allen an-
komplette Herausarbeiten aus dem Leis-                          ders lautenden Behauptungen nehmen sich
tungsbezug belohnt wird. Entsprechende For-                     in den Jobcentern die Mitarbeiterinnen und
derungen hat die BDA seit vielen Jahren er-                     Mitarbeiter jeden Tag engagiert und empa-
hoben. Das IAB mit seinen Vorschlägen zum                       thisch den Sorgen und Problemen ihrer Kun-
Erwerbszuschuss und auch das ifo Institut in                    den an. Im Vordergrund steht dabei, mög-
einem Gutachten für die Friedrich-Naumann-                      lichst vielen Menschen einen Weg in Ausbil-
Stiftung haben diese Forderungen der Arbeit-                    dung oder Erwerbstätigkeit zu ebnen.
geber jüngst wieder aufgegriffen.
                                                                Die Abschaffung der Sanktionierung in die
Auch sollte man durch gut durchdachte
                                                                Kosten der Unterkunft und Heizung auch als
Rechtsänderungen den Menschen ihre
Ängste nehmen, die befürchten, ein mühsam                       ultima ratio zu fordern, bedeutete nichts an-
erarbeitetes Haus oder eine seit vielen Jahren                  deres, als ein bedingungsloses Wohneinkom-
bewohnte Wohnung verkaufen oder zwangs-                         men, ohne auf die Mitwirkungsbereitschaft
weise verlassen zu müssen. Auch wenn der                        des Einzelnen zur Überwindung der Hilfebe-
Wert solcher Immobilien im konkreten Fall                       dürftigkeit zu setzen. Auf gezielte Nachfrage
deutlich gestiegen ist, sollte niemand bei fort-                konnte der Vorstandsvorsitzende der Bunde-
laufender Selbstnutzung seines langjährig be-                   sagentur keinen einzigen konkreten Fall be-
wohnten „Nests“ (auch einer Mietwohnung)                        nennen, bei dem Sanktionierung auch in die
zum Auszug oder zur Veräußerung gezwun-                         Kosten für Unterkunft kausal Obdachlosigkeit
gen werden, wenn sich der Bezug von Grund-                      bewirkt hätte. Bis Sanktionen in die Kosten für
sicherung nach einem langen Erwerbsleben                        Unterkunft und Heizung erfolgen, müssen be-
nicht vermeiden lässt.                                          reits mehrfach massive Pflichtverletzungen
                                                                vorgekommen sein. Gleichwohl wird Obdach-
                                                                losigkeit durch Sanktionen nicht in Kauf ge-
5. Mitwirkungspflichten müssen auch                             nommen. Im Zweifel kann Miete direkt an den
   durchgesetzt werden können – Sanktio-                        Vermieter gezahlt werden und beim Hilfebe-
   nen sind notwendig                                           dürftigen für die begrenzte Zeit der Sanktio-
                                                                nierung als Darlehen auflaufen.
Es ist zu begrüßen, dass die Vorschläge der
SPD keine gänzliche Abschaffung von Sank-                       Anders als behauptet haben die besonderen
tionen vorsehen. Die Debatte hierzu wird teil-                  Regelungen zu Sanktionen für Jüngere
weise unter Negierung der Fakten geführt.                       durchaus präventive Effekte. Ebenso wie bei
Die Jobcenter sanktionieren im Monat durch-                     den über 25-Jährigen ist der ganz überwie-
schnittlich nur rund 3 % – und 97 % eben ge-                    gende Teil der Sanktionen auf Meldever-
rade nicht. Der Vorstandsvorsitzende der                        säumnisse zurückzuführen. Das IAB konnte
Bundesagentur für Arbeit Detlef Scheele1:                       feststellen, dass insbesondere bei Jugendli-
„Auch in einem anderen System würde es                          chen Sanktionen starke Effekte haben und
Sanktionen geben müssen. Wenn Sie ein Ge-                       die Abgangsrate in Beschäftigung verstärken
setz machen, müssen Sie immer festlegen,                        – nach der ersten Sanktion um 109 % und
was passiert, wenn man sich daran nicht hält.                   nach der zweiten Sanktion innerhalb eines
Wenn Sie falsch parken, werden Sie auch ab-                     Jahres um 151 %.
geschleppt.“
                                                                Die Sonderregelung hat zum Ziel, gerade bei
                                                                jungen Menschen dem Entstehen von Lang-

1
 Zitat: Der Spiegel, 18. November 2018
http://www.spiegel.de/wirtschaft/hartz-iv-de-
batte-man-sollte-aufhoeren-das-system-
schlecht-zu-reden-a-1238950.html

                    Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit
                    – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“

                    12. Februar 2019                                                                                      8
zeitarbeitslosigkeit besonders strikt entge-                   Starke-Familien-Gesetzes – sieht das Kon-
genzuwirken. Sie soll gerade Jugendlichen                      zept die Einführung einer umfassenden Leis-
und jungen Arbeitslosen, die ihr ganzes Er-                    tung vor, die sich an alle Kinder richten und
werbsleben noch vor sich haben, bewusst                        bestehende Leistungen grundsätzlich erset-
machen, wie wichtig es ist, sich frühzeitig,                   zen soll. Dazu würden alle bisherigen Trans-
konsequent und ausdauernd um Beschäfti-                        ferleistungen für Kinder – wie Kindergeld bzw.
gung oder Ausbildung zu bemühen. Gerade                        Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Bildungs-
Heranwachsende sollten nicht die Erfahrung                     und Teilhabepaket oder Leistungen aus dem
machen, dass ihr Lebensunterhalt dauerhaft                     SGB II – zu einer Kindergrundsicherung zu-
durch die Solidargemeinschaft finanziert wird,                 sammengefasst werden. Auch wenn das Mo-
ohne dass eine Gegenleistung konsequent                        dell der Grundsicherung einen pauschalen
eingefordert wird.                                             Charakter hat, soll offenbar nicht auf eine Be-
                                                               darfsprüfung verzichtet werden. So soll sich
                                                               die Kindergrundsicherung grundsätzlich am
6. Zuordnung von Beschäftigen „Auf-                            Einkommen der Eltern orientieren. Hinsicht-
   stockern“ zur Arbeitslosenversiche-                         lich der Höhe der Leistung und genauen Be-
   rung führt zu Problemen                                     rechnung bleibt das Papier leider unkonkret.
                                                               Grundsätzlich soll es sich aus einem Exis-
Wenn man alle Menschen, die beschäftigt                        tenzminimum in Höhe von 408 € pro Kind und
sind, aber z. B. wegen Unterhaltspflichten für                 Monat und einem Entwicklungsbedarf des
Ehepartner und/oder Kinder, ergänzend                          Kindes zusammensetzen, dessen Höhe
Grundsicherungsleistungen beziehen, von                        „noch sachgerecht zu bestimmen“ sei.
den Arbeitsagenturen betreuen lassen will,
erscheint das vordergründig schlüssig.                         Zudem soll das Modell der Bedarfsgemein-
Schließlich werden ja auch Menschen, die ne-                   schaft im SGB II-Bezug neu bestimmt werden
ben dem Arbeitslosengeld I ergänzend                           – mit dem perspektivischen Ziel, Kinder aus
Grundsicherungsleistungen beziehen, seit 1.                    der Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern her-
Januar 2017 bereits von den Arbeitsagentu-                     auszulösen. Dieser Schritt und die Einführung
ren betreut. Rd. 600.000 „Aufstocker“ sind so-                 einer eigenständigen Kindergrundsicherung
zialversicherungspflichtig beschäftigt und                     sind auf keinen Fall zielführend und vor dem
zahlen auch Beiträge zur Arbeitslosenversi-                    Hintergrund des deutschen Sozial- sowie
cherung. Hier wäre eine Zuordnung zur Ar-                      Steuerrechts unsystematisch. Denn Kinder
beitslosenversicherung diskutabel. Viele                       werden dort hinsichtlich ihres finanziellen Be-
Menschen stocken jedoch nicht ihr Gehalt mit                   darfs grundsätzlich als Teil einer Familie und
Grundsicherungsleistungen auf, sondern ver-                    somit in Abhängigkeit von den finanziellen
dienen sich zur vollen oder nahezu vollen                      Verhältnissen ihrer Eltern betrachtet – was in
Grundsicherung im Rahmen von Minijobs ge-                      widersprüchlicher Weise selbst das SPD-Pa-
zielt etwas hinzu. Diese 500.000 geringfügig                   pier konstatiert. Vor diesem Hintergrund sind
Beschäftigten zahlen keine Beiträge zur Ar-                    die bestehenden, differenziert ausgestalteten
beitslosenversicherung. Ein Teil von ihnen                     familienpolitischen Leistungen für Kinder we-
versucht möglicherweise sogar, sich dauer-                     sentlich zielgerichteter und ausreichend.
haft im Grundsicherungsbezug einzurichten.                     Ebenfalls sehr problematisch ist das Narrativ
Sie müssten weiter im SGB II verbleiben, d. h.                 des Papiers, Familien mit höherem Einkom-
von den Jobcentern betreut werden.                             men würden gegenwärtig deutlich mehr Leis-
                                                               tungen erhalten als Familien mit geringerem
                                                               Einkommen. Angesichts der Vielzahl von
7. Eigenständige Kindergrundsicherung                          Leistungen, die explizit und ausschließlich
   nicht zielführend                                           Familien mit geringem Einkommen zugute-
                                                               kommen, ist dies geradezu absurd.
Trotz mehrerer Leistungsausweitungen und
großzügigerer Anrechnungsmöglichkeiten in
den letzten Jahren – aktuell im Rahmen des

                   Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit
                   – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“

                   12. Februar 2019                                                                                      9
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 Die BDA organisiert als Spitzenverband die sozial- und wirtschaftspolitischen Interessen der
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 rund 20 Millionen Beschäftigten. Diese Betriebe sind der BDA durch freiwillige Mitgliedschaft
 in Arbeitgeberverbänden verbunden.

                    Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit
                    – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“

                    12. Februar 2019                                                                                      10
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