"Zukunftsentwurf" mit dem Denken und Handeln des letzten Jahrhunderts funktioniert nicht
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“Zukunftsentwurf“ mit dem Denken und Handeln des letzten Jahrhunderts funktio- niert nicht Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“ 12. Februar 2019 Zusammenfassung cherheiten ein verlässliches Belastungsmora- torium. Rechtsunsicherheit, Beschränkungen Die Pläne der SPD sind kein Sozialstaatskon- von Beschäftigungschancen und neue Hür- zept für das Jahr 2025, sondern stellen den den für Arbeit sind Gift für den Arbeitsmarkt. untauglichen Versuch dar, die Zukunft mit dem Denken und Handeln des letzten Jahr- Die SPD schießt mit ihren Vorschlägen nicht hunderts zu entwerfen. Die Agenda 2010 hat nur weit über den Koalitionsvertrag hinaus. eine beeindruckende Erfolgsgeschichte ge- Sie bedeuten auch im Arbeitsrecht eine wei- schrieben: Die Zahl der Arbeitslosen ist von in tere schwerwiegende Rolle rückwärts und der Spitze weit über 5 Mio. auf weit weniger würden die Sozialpartnerschaft, die vertrau- als die Hälfte gesunken. Die Zahl der Lang- ensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebs- zeitarbeitslosen hat sich seit 2005 auf knapp rat und auch die Entstehung neuer Arbeitsfor- 800.000 mehr als halbiert. Statt die Arbeits- men sowie die Arbeitszeitwirtschaft schwer marktpolitik zukunftsgerichtet weiterzuentwi- belasten. Notwendig ist vielmehr eine Anpas- ckeln, will die SPD mit Maßnahmen von ges- sung des geltenden Arbeitszeitgesetzes an tern Lösungen für morgen anbieten. die Herausforderungen der Zukunft. Dazu ge- hört vor allem die Ermittlung der Höchstar- Schon die gesetzliche Einführung der soge- beitszeit auf wöchentlicher Basis und die ge- nannten Brückenteilzeit, die Einschränkun- nerelle Öffnung der Ruhezeit für die Tarifver- gen der Abrufarbeit und die angekündigten tragsparteien. Solche tariflichen Gestaltungs- massiven und gefährlichen Beschränkungen optionen wären ein echter Beitrag zur Stär- von in der Privatwirtschaft ohnehin nur maß- kung der Tarifautonomie. voll genutzter befristeter Arbeitsverhältnisse sind eine schwere Hypothek für den Arbeits- Die Vorschläge zum „Arbeitslosengeld Q“, ei- markt. Die verschlechternden Konjunkturaus- nem Rechtsanspruch auf Weiterbildung und sichten, die Risiken für die Weltwirtschaft und längeren Arbeitslosengeldbezug für Ältere, die Herausforderungen von Globalisierung bauen gerade keine Brücken in Beschäfti- und vor allem Digitalisierung erfordern andere gung, sondern produzieren unnötige Warte- Antworten als mehr Regulierung und mehr schleifen. Moderne Beschäftigungspolitik Einschränkungen von Arbeitsmarktchancen. konzentriert sich auf die Ertüchtigung durch Wirtschaft, Arbeitnehmer und Arbeitgeber be- Motivierung und Qualifizierung und nicht auf nötigen gerade in Zeiten wachsender Unsi- eine Verlängerung von Arbeitslosigkeit. Die SPD-Vorschläge dagegen suggerieren den
Menschen, dass längerer Arbeitslosengeld- starke Sanktionen rechtfertigt, dürfen nicht bezug die Chancen auf Beschäftigung erhöht. die Erfahrung machen, dass ihr Lebensunter- Erwiesenermaßen ist das Gegenteil der Fall: halt trotzdem durch die Solidargemeinschaft Es werden Beschäftigungschancen genom- weiter finanziert wird, als sei nichts gesche- men und Arbeitslosigkeit verfestigt sich. hen. Ein bedingungsloses Wohneinkommen, wie es die SPD im Ergebnis vorschlägt, wäre Die grundlegende Bedeutung von Qualifizie- gerade gegenüber Steuerzahlern mit gerin- rung ist unbestreitbar. Sie muss aber zwi- gen Eigeneinkommen nicht zu rechtfertigen. schen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bespro- Natürlich soll keine Sanktion Obdachlosigkeit chen und gemeinsam angegangen werden. bewirken. Der Vorstandsvorsitzende der Bun- Sie einseitig als individuelles Recht – verbun- desagentur für Arbeit konnte auf Befragen hin den mit einem längeren Arbeitslosengeldbe- keinen einzigen derartigen Fall aufzeigen. zug – auszugestalten, ist unsinnig. Das macht Qualifizierung fälschlicherweise zum Allheil- Richtig ist, Anpassungsnotwendigkeiten im mittel für alle Problemlagen, selbst wenn eine Grundsicherungssystem zu benennen und schnelle Aktivierung und nachhaltige Einmün- Widrigkeiten abzustellen. Da ist auch der Ge- dung in Arbeit erfolgen kann. Qualifizierungen setzgeber gefordert: Das System muss ent- auf Vorrat ohne Orientierung am Arbeitsmarkt bürokratisiert, d. h. gerade für die Hilfebedürf- bedeuten unnötige Warteschleifen und helfen tigen vereinfacht und damit verständlicher niemandem. Ob und welche Qualifizierung im werden. Das würde auch seine Akzeptanz Einzelfall sinnvoll und deshalb zu finanzieren stärken, die unter teilweise gesetzlich vorge- ist, muss immer Ergebnis eines Beratungs- schriebener bürokratischer Kleinkariertheit prozesses zwischen Arbeitslosen, den Fach- Schaden genommen hat. Der Fokus muss leuten der Arbeitsagenturen und dem Be- auch noch stärker auf Langzeitarbeitslose mit schäftigten und deren Arbeitgeber sein. Ziel Kindern und besonderen Hemmnissen gelegt muss immer sein, passgenaue und möglichst werden. arbeitsmarktnahe Lösungen zu finden. Ein Rechtsanspruch auf Qualifizierung kann auch Die SPD-Vorschläge dagegen fokussieren völlig sachfremde Motive befördern, die die auf hohe zusätzliche Milliarden-Belastungen Beschäftigungsfähigkeit des Einzelnen nicht für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken. Wenn jeder einen Rechtsanspruch und Arbeitgeber als Beitragszahlende: Sie auf Weiterbildung erhält und jeder zuerst ein- haben ihre Wurzel in der Idee einer von der mal in die Arbeitslosenversicherung einzahlt SPD angestrebten „Arbeitsversicherung“. und damit ein verbrieftes Recht erhält, nach Wenn die SPD auf angeblich „volle Kassen“ Abzug der Verwaltungskosten das Geld für verweist, die neuen Leistungen leicht finan- seine eigene Weiterbildung wieder ausge- zahlt zu erhalten, ist das nichts anderes als zieren ließen, so muss sie daran erinnert wer- undurchdachte Planwirtschaft. den, dass die Arbeitslosenversicherung nicht Überschüsse für teure Geschenke, sondern Eine Umbenennung der Grundsicherung für gezielt Reserven für harte Krisenzeiten aufge- Arbeitsuchende in Bürgergeld würde lediglich baut hat. Insgesamt bleibt die SPD zu Fragen ein Etikett ändern. Wichtig ist aber der Inhalt der Kosten und der Finanzierung der übrigen hinter dem Etikett. Hier rüttelt die SPD vehe- Forderungen auffällig still oder unpräzise. ment am Prinzip des Förderns und Forderns. Das ist eine verhängnisvolle inhaltliche Fehlo- rientierung. Solidarität ist nämlich niemals als Im Einzelnen Einbahnstraße zu organisieren. Wer Solidari- tät erfährt, muss sie durch Eigenanstrengun- I. Arbeitsrecht gen auch selbst rechtfertigen. Insofern ist es vernünftig, dass Sanktionen nicht gänzlich Schon das in der Einleitung propagierte Recht entfallen sollen. Aber die völlige Abschaffung auf Arbeit, unterstreicht das grundlegende besonderer Sanktionsregelungen für Jugend- Fehlverständnis von den Prinzipien einer frei- liche ist kritisch zu sehen. Gerade junge Men- heitlichen Wirtschafts- und Arbeitsmarktord- schen, deren Fehlverhalten so schwerwie- gend ist, dass es zeitlich befristet besonders Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“ 12. Februar 2019 2
nung. Aus einem Recht auf Arbeit eine Viel- Deutschland orientiert. Wenn dieser Anpas- zahl an Ansprüchen abzuleiten, weckt falsche sungsmechanismus in Frage gestellt wird, Erwartungen und führt am Ende zur Desillusi- wird die Rechtfertigung des Mindestlohns an onierung der so vermeintlich Begünstigten. sich hinterfragt. Anhebungen des Mindest- Eine freiheitliche Wirtschafts- und Arbeitsord- lohns, die sich von der allgemeinen Tarifent- nung mit Anspruch auf angemessenen Sozi- wicklung abkoppeln, sind ein Misstrauensbe- alausgleich darf ein solches Versprechen weis gegenüber sämtlichen Entgelttarifverträ- nicht abgeben, weil es nicht einlösbar ist. gen, die die Wirtschaftsleistung und wirt- schaftliche Belastbarkeit angemessen wider- spiegeln sollen. 1. Tarifrecht Die Vorstellungen der SPD zielen auf eine b) Tariftreuegesetz fragwürdig partielle Abschaffung der Tarifautonomie und deren Ersetzung durch ein staatliches Ein auf staatliche Vergabe abzielendes sog. Zwangstarifkorsett. Das ist gerade nicht die „Tariftreuegesetz“ beschädigt die positive Ko- Stärkung von Tarifautonomie, die in erster Li- alitionsfreiheit von Gewerkschaften und Ar- nie Aufgabe der Sozialpartner selbst ist. Statt beitgeberverbänden und ist auch vom Ge- neuer gesetzlicher Eingriffe brauchen die Ta- richtshof der Europäischen Union schon rifpartner politische Ermutigung durch gesetz- mehrfach in Frage gestellt worden. Der Bund liche Öffnungsklauseln. Die Tarifvertragspar- hat daher bisher zu Recht auch von einem ei- teien selbst müssen durch Öffnungsklauseln genen, besonderen Mindestlohn für die in Tarifverträgen und die Zulassung modula- Vergabe öffentlicher Aufträge Abstand ge- rer Tarifbindung die Attraktivität von Tarifver- nommen. Maßstab öffentlicher Auftrags- trägen stärken. Überhöhte gesetzliche Min- vergabe muss die Qualität der angebotenen destlohnforderungen, aber auch sog. „Ta- Dienstleistung und deren Wirtschaftlichkeit riftreueregelungen“, die die öffentliche Auf- sein. Die Einführung vergabefremder Krite- tragsvergabe verzerren, oder vorschnelle und rien, wie zum Beispiel eines besonderen unpassende Allgemeinverbindlichkeitsregeln Vergabemindestlohns neben dem selbstver- ohne Zustimmung beider Tarifpartner, schwä- ständlich einzuhaltenden allgemeinen Min- chen die Tarifautonomie. Die SPD sollte diese destlohn, schaffen demgegenüber Zugangs- Forderungen schnellstens aus ihrem Instru- beschränkungen, gerade für kleinere Unter- mentenkasten entfernen. nehmen, die entsprechende Entgelte wirt- schaftlich nicht angemessen kalkulieren und mit möglichen anderen Aufträgen verrechnen a) Mindestlohn nicht willkürlich anpassen können und dadurch vom Zuschlag staatli- cher Aufträge weitgehend oder vollständig Die Anhebung des Mindestlohns durch Ände- abgeschnitten wären. Das stellt einen massi- rungen der Koordinaten des Mindestlohnge- ven Eingriff in die Betätigungsfreiheit gerade setzes für die Anpassung des Mindestlohns kleinerer und mittlerer Unternehmen dar. und eine gegriffene Wunschzahl von 12 € für den Mindestlohn machen auch die Entgeltfin- dung in Tarifverträgen noch mehr zum Spiel- c) Allgemeinverbindlichkeit muss Ausnah- ball der Politik. Sie verdrängen tarifvertragli- meinstrument bleiben che Vereinbarungen zu Entgelten und greifen mittelbar in sämtliche Entgeltvereinbarungen Tarifbindung ist primär Ausdruck der autono- zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften men Entscheidung, sich den Regelungen ei- ein. nes Tarifvertrags freiwillig zu unterwerfen. Das gilt für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer. Es ist richtig und vernünftig, dass die Anpas- Die Zwangserstreckung von Tarifverträgen sung des Mindestlohns sich im Wesentlichen durch staatlichen Hoheitsakt passt grundsätz- streng an der Tariflohnentwicklung in lich nicht in ein Modell freiwilliger, tarifauto- nom gefundener Regelungen. Die Stärkung Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“ 12. Februar 2019 3
von Tarifbindung ist Aufgabe der Tarifver- ermöglichen, Gremienbildung und -zusam- tragsparteien selbst, die durch Öffnungsklau- mensetzung in der Betriebsverfassung wie in seln für Betriebsvereinbarungen und das An- der Unternehmensmitbestimmung vereinba- gebot modularer Tarifbindung die Bereitschaft rungsoffen zu gestalten. erhöhen können, Tarifverträgen beizutreten. Der gesetzliche Zwang zur Tarifbindung Darüber hinaus ist es wichtig, Verfahren der würde demgegenüber mindestens Desinte- Betriebsverfassung an Fristen zu knüpfen, resse an angemessenen tariflichen Regelun- um Verzögerungspotenziale zu beschränken gen auslösen und kann sogar die Bereitschaft und damit insgesamt für ein agiles und nachhaltig beschädigen, sich freiwillig Tarif- schnelles Miteinander von Arbeitgebern und verträgen zu unterwerfen. Betriebsrat zu sorgen. Auch einzelne Mitwir- kungsrechte des Betriebsrats, wie zum Bei- spiel die Mitbestimmung bei Beginn und Ende d) Steuerprivileg wäre unsystematisch der Arbeitszeit, die Mitwirkung beim Gesund- heitsschutz und vor allem auch die Mitwirkung Es ist weder steuersystematisch angemessen bei der Einführung neuer technischer Be- noch ist es politisch sinnvoll, Tarifbindung triebsmittel, müssen auf den Prüfstand und durch Subventionen zu erkaufen. Der Vor- ggf. angepasst werden. schlag, Tarifbindung steuerlich zu privilegie- ren, ist daher nicht Ausdruck von Selbstbe- wusstsein, Arbeitsbedingungen nach dem 3. Neue Beschäftigungsformen stärken Willen der Verfassung autonom und selbstän- dig zu regeln. Der Wunsch nach einer solchen Die Arbeitswelt 4.0 wird auch durch neue Be- Privilegierung kann vielmehr als Ausdruck schäftigungsformen bereichert werden. So von Hilflosigkeit in einer sich wandelnden Ta- wird Aufgabenteilung durch notwendige riflandschaft interpretiert werden, eine posi- Werk- und Dienstverträge in Zukunft voraus- tive Entwicklung der Tarifbindung aus eigener sichtlich zunehmen. Auch wenn sie heute Kraft zu erreichen. Eine solche steuerliche noch keinen durchschlagenden Beitrag zur Subventionierung von Tarifbindung ist daher Wirtschaftsleistung bietet, wird die Plattfor- dem Grunde nach abzulehnen. mökonomie ihren Platz im System der indust- riellen Beziehung finden. Solche Formen selbständiger Dienstleistungserbringung gilt 2. Mitbestimmung flexibilisieren und be- es zu akzeptieren. Für ihre Gestaltung bedarf schleunigen es weder eines neuen Arbeitnehmer-, eines neuen Arbeitgeber- oder eines neuen Be- Das deutsche Mitbestimmungsrecht – sowohl triebsbegriffs. in der Unternehmensmitbestimmung wie in der Betriebsverfassung – ist Ausdruck der Ar- Dort, wo die Tarifvertragsparteien die Mög- beitsbeziehungen zu Beginn des 20. Jahrhun- lichkeit oder gar die Notwendigkeit sehen, Be- derts. Seine Strukturen passen daher vielfach schäftigungsbedingungen bestimmter wirt- nicht mehr in die Arbeitswelt des 21. Jahrhun- schaftlich besonders von einem Auftraggeber derts. Erst recht die Drohung mit Strafverfol- oder Besteller abhängiger Selbständiger zu gung ist kein Ausweis attraktiver Mitbestim- regeln, können sie dies heute schon auf der mung. Das Strafrecht ist der gänzlich falsche Grundlage des Tarifvertrags- oder des Heim- Ort, Mitbestimmung zu stärken. arbeitsgesetzes. Gesetzlich vorgegebene Mindestarbeitsbedingungen und Mindestho- Eine tatsächliche Stärkung der Betriebsver- norare stellen demgegenüber die freie Ent- fassung setzt zum Beispiel Handlungsoptio- scheidung des Einzelnen in Frage, sich als nen für Vereinbarungen zwischen Arbeitge- Arbeitnehmer oder als Selbständiger neue ber und Betriebsrat über die Zusammenfüh- Entwicklungschancen zu erschließen. rung von Gremien voraus. Notwendig dafür sind rechtliche Rahmenbedingungen, die es Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“ 12. Februar 2019 4
Die strukturelle Abgrenzung zwischen Arbeit- soll und wie es abzuwickeln ist. Die Beschrei- nehmern als persönlich abhängigen Beschäf- bung lässt die Gefahr erkennen, dass der tigten und Dienst- oder Werkvertragsnehmern Staat die betriebliche Zeitwirtschaft überneh- darf nicht verwässert werden. Sie ist 2017 auf men soll. Ob und wie Arbeitgeber und Arbeit- der Grundlage der Rechtsprechung gesetz- nehmer die Gestaltung von Arbeitszeitkonten lich festgeschrieben worden und wird sich vereinbaren, gehört zu deren Kernkompe- auch in Zukunft bewähren. Eine Verpflichtung tenz. In diese Kernkompetenz darf keinesfalls Selbständiger, zuverlässig für ihre Alterssi- durch unklare und ganz sicher bürokratische cherung zu sorgen, ist nachvollziehbar. Der Regelungen eingegriffen werden. Die offen- Weg dorthin kann aber sehr unterschiedlich bar angedachte Vermischung von Arbeitszeit- sein. Eine Begrenzung auf die Pflichtversi- konten – mit denen auf Auftragsschwankun- cherung in der gesetzlichen Rentenversiche- gen reagiert wird – und sogenannten Zeit- rung ist weder notwendig noch sinnvoll. wertkonten – die langfristigen Planungszwe- cken der Arbeitsvertragsparteien zu dienen bestimmt sind – unter staatlicher Aufsicht, 4. Festlegung von Zeit, Dauer und Ort der würde die notwendige Flexibilität und Anpas- Arbeit ist Kernbestand der unternehme- sungsmöglichkeit der Betriebe bei der Gestal- rischen Entscheidungsfreiheit tung von Arbeitszeit massiv beschränken. Mobiles Arbeiten und Homeoffice werden zu- Auch die grundsätzliche Übertragbarkeit ei- nehmen und bieten große Chancen für die nes solchen „Zeitkontos“ würde neue büro- bessere Vereinbarkeit von privaten und kratische Hemmnisse, gerade für Arbeitneh- dienstlichen Belangen. Beides sollte – wo im- mer beim Arbeitgeberwechsel, herbeiführen. mer möglich und sinnvoll – unterstützt wer- Warum sollte ein Arbeitgeber mit einem Ar- den. Aber ein einseitiger Rechtsanspruch des beitnehmer einen Arbeitsvertrag schließen, Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin auf wenn dieser zwangsweise größere Zeitwert- diesem Feld, widerspricht den Grundzügen guthaben von seinem alten Arbeitgeber in das des Arbeitsrechts. Es sind die Wünsche und neue Arbeitsverhältnis transferieren will? Das Anforderungen der Kunden, die im Wesentli- liefe auf einen staatlich regulierten und ver- chen für die Ausgestaltung der Arbeitszeit walteten Fond für Arbeitszeit hinaus, der mit und den Ort der Arbeitserledigung bestim- marktwirtschaftlichen, vertragsautonomen mend sind. Die Kundschaft stellt durch ihre Rechtsbeziehungen nichts mehr zu tun hat. Nachfrage den Betrieb und auch die Arbeits- Solche gesetzlichen Regelungen würden Ta- leistung sicher. Das Weisungsrecht des koor- rifautonomie und Privatautonomie bei einem dinierenden Arbeitgebers hinsichtlich Ort, zentralen Thema des Arbeits- und Tarifvertra- Zeit, Umfang und Art der Arbeit ist daher kon- ges grundsätzlich untergraben und bergen stitutiv für die Arbeitsbeziehungen und verfas- die Gefahr eines ersten Schritts hin zur sungsrechtlich abgesichert. Ein substanzieller Staatswirtschaft. Eingriff in dieses koordinierende Weisungs- recht des Arbeitgebers durch ein einseitiges Arbeitnehmerrecht auf Homeoffice oder mo- II. Arbeitsmarkt biles Arbeiten oder eine Familienarbeitszeit wäre ein gefährlicher Anschlag auf diese Un- ternehmerfreiheit und mit höherrangigen ver- 1. „Arbeitslosengeld Q“ und Rechtsan- fassungsrechtlichen Erwägungen nicht ver- spruch auf Weiterbildung suggerieren, einbar. dass Qualifizierung Selbstzweck ist und verfestigen Arbeitslosigkeit 5. Vorschlag zu Zeitkonten wirklichkeits- Schon heute scheitert in der Arbeitslosenver- fremd sicherung keine einzige notwendige und er- folgversprechende Qualifizierung von Arbeits- Es bleibt unklar, was das in dem Beschluss losen und Beschäftigten, die von Arbeitslosig- genannte persönliche Zeitkonto darstellen keit bedroht sind, an mangelnden Finanzen. Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“ 12. Februar 2019 5
Qualifizierung ist in vielen Fällen der richtige und ggf. nachjustiert wird. Es darf kein be- Weg, insbesondere bei Älteren oder Gering- stimmtes Arbeitsmarktinstrument durch neue qualifizierten. Sie kann aber auch unange- Ansprüche den anderen vorgezogen werden. bracht sein: Bei sehr gut ausgebildeten Allein- Dies nimmt der Arbeitsverwaltung den Spiel- erziehenden ist die fehlende Kinderbetreuung raum, passgenaue und arbeitsmarktnahe in aller Regel der entscheidende Hemm- Maßnahmen zur Integration in Arbeit zu ent- schuh. Nicht selten sind auch Gesundheits- o- wickeln. Es gibt keine Rechtfertigung, den der Schuldenprobleme zu lösen, damit der o- Fachkräften in Arbeitsagenturen und Jobcen- der die Arbeitslose den Kopf frei hat für eine tern damit die Fähigkeit abzusprechen, hier in Beschäftigungsaufnahme. Dann macht Qua- Zusammenarbeit mit dem Arbeitslosen gute lifizierung (noch) keinen Sinn. Manchmal und passgenaue Lösungen zu finden, und muss – auch bei Gutqualifizierten – an der dazu kann auch die sofortige Vermittlung zäh- Motivation für eine regelmäßige Tätigkeit ge- len. arbeitet werden, weil dem Arbeitslosen ein geringeres Nettoeinkommen erst einmal ge- Ein „Arbeitslosengeld Q“, das ein Jahr gar nügt. Da bringt eine Qualifikation nichts als nicht und danach in einem höchst komplexen Zeitverzug und Alimentierung. Auch bei Be- Verfahren gestaffelt auf das Arbeitslosen- schäftigten muss gemeinsam mit dem Arbeit- geld I angerechnet werden soll, verlängert die geber genau geschaut werden, welche Quali- Arbeitslosengeldbezugsdauer. So wird der fizierung unter Berücksichtigung der betriebli- Anschein erweckt, es bleibe nach einer Qua- chen Gegebenheiten sinnvoll ist. Jeder Qua- lifizierung Zeit, sich eine Stelle zu suchen. lifizierung muss eine genaue Betrachtung des Das Arbeitslosengeld dient der Absicherung Einzelfalls vorausgehen, die die Stärken des der Sucharbeitslosigkeit. Längere Bezugs- Einzelnen in den Blick nimmt und prüft, wel- dauern verringern die Eingliederungschan- che Maßnahme zur Integration führt. cen. Je länger die Arbeitslosengeldbezugs- dauer, desto weniger Anreize werden gesetzt, Ein Rechtsanspruch auf Qualifizierung würde Arbeitslosigkeit schnellstmöglich zu überwin- die Entscheidungshoheit über die Qualifizie- den. Im Gegenteil: Arbeitslosigkeit verfestigt rung einseitig zum Arbeitslosen oder Be- sich eher und der Wert der erlernten Qualifi- schäftigten bringen, statt sie als Ergebnis des kation verringert sich wieder. Schon jetzt er- Beratungsprozesses den Fachleuten der Ar- halten Arbeitslose während einer Weiterbil- beitsagentur unter Einbindung des aktuellen dung das sog. Arbeitslosengeld-Weiterbil- oder idealerweise künftigen Arbeitgebers zu dung. Es wird nur zur Hälfte auf den Arbeits- belassen. Der individuelle Rechtsanspruch losengeldanspruch angerechnet. Qualifizie- birgt die Gefahr für die Verfestigung einer Ein- rung während des Arbeitslosengeld-Bezugs stellung, Qualifizierung als Vehikel zu sehen wird daher schon jetzt spürbar belohnt. und im Ergebnis auch zu missbrauchen, Ar- beitslosigkeit so lange wie möglich relativ Zu Recht erfolgt jedoch die hälftige Anrech- großzügig alimentiert zu bekommen. Der nung, um nach der Qualifizierung relativ Rechtsanspruch würde völlig unnötig viel schnell den Einstieg in Beschäftigung zu be- Streit vor die Gerichte bringen, statt den Be- fördern. Ziel muss es immer sein, Qualifizie- ratungsprozess zwischen Arbeitgeber und Ar- rungen so betriebsnah wie irgend möglich zu beitnehmer oder Arbeitnehmerin ggf. unter gestalten und bereits während der Qualifizie- Beteiligung der finanzierenden Agentur/des rung den Schritt in die Beschäftigung nach Jobcenters zu befördern, der zu sinnvoller der Qualifizierung vorzubereiten. Dies muss Qualifizierung führt. Aufgabe aller beteiligten Akteure, ob Ar- beitsagentur, Träger oder jedes Einzelnen Der Einsatz der Arbeitsmarktinstrumente sein. Nach Ende der Weiterbildung bei ggf. muss flexibel ausgestaltet bleiben. „Förder- weiterhin vorliegender Arbeitslosigkeit be- ketten“ müssen bei Bedarf eingesetzt werden, steht grundsätzlich noch ein Anspruch auf Ar- in denen die nächsten Förderschritte voraus- beitslosengeld für mindestens 30 weitere geplant, das Erreichte regelmäßig überprüft Tage, so dass nach Ende der Weiterbildung Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“ 12. Februar 2019 6
der Lebensunterhalt für eine gewisse vorher- für diejenigen, die noch über gar keinen Ab- sehbare Zeitspanne gesichert ist. schluss verfügen und für die die geförderte „Umschulung“ tatsächlich die erste Ausbil- dung darstellt. Bei guter Prognose sollte aber 2. Verlängerung des Arbeitslosengeldes auch ihnen die Möglichkeit einer Verkürzung setzt völlig falsche Anreize eingeräumt werden. Wer aber schon eine Be- rufsausbildung erfolgreich abgeschlossen Längere Anspruchsdauern beim Arbeitslo- und Berufspraxis hinter sich hat und dann in sengeld sind absolut kontraproduktiv. Ver- einen anderen Beruf umgeschult werden soll, bunden mit dem „Arbeitslosengeld Q“, das in der kann dies in aller Regel problemlos in geringerem Umfang als bisher auf das Ar- zwei Jahren schaffen, wenn die Erstausbil- beitslosengeld I angerechnet werden soll, dung drei Jahre dauert. Gerade diese berufs- könnten nach den Plänen der SPD bis zu 36 und lebenserfahrenen Menschen sind beson- Monate Arbeitslosengeld bezogen werden. ders motiviert, ihre Umschulung möglichst Da nach den SPD-Plänen zukünftig die Be- schnell zu Ende zu bringen, weil sie nicht sel- zugsdauer des Arbeitslosengeld I nicht mehr ten Unterhaltspflichten erfüllen müssen und nur vom Lebensalter abhängig sein soll, son- das Ziel eines Arbeitsplatzes mit höherem dern sich auch an den Beitragszeiten in der Verdienst in greifbare Nähe rückt. Grundsätz- Arbeitslosenversicherung orientieren soll, lich sollte deshalb an der Verkürzung festge- wird sich der Kreis derjenigen, deren Arbeits- halten werden. losigkeit länger finanziert wird als ein volles Jahr, deutlich erweitern. 4. Grundsicherung zukunftsgerichtet wei- Die SPD sieht z. B. ab 30 Beitragsjahren ei- terentwickeln, statt abzuschaffen – nen um 9 Monate verlängerten Arbeitslosen- Ängste ernst nehmen geldanspruch vor. Damit könnten bereits Menschen, die mit 15 Jahren eine Ausbildung Wenn die Grundsicherung nunmehr Bürger- begonnen haben, ab dem 45. Lebensjahr 21 geld genannt werden soll, wird ein Etikett ge- Monate Arbeitslosengeld beziehen. ändert. Wichtig ist nur eins: dass an der er- folgreichen Grundkonzeption der Grundsi- Mit diesen Vorschlägen würde Arbeitslosig- cherung nicht gerüttelt wird. Es muss beim keit länger verwaltet, anstatt die Menschen in Prinzip des Förderns und Forderns bleiben. Beschäftigung zu bringen. Das Institut für Ar- Sanktionen sind und bleiben in den wenigen beitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat Fällen, die sie betreffen, ultima ratio – das nachgewiesen, dass längere Bezugsdauern letzte Mittel. Sie sind und bleiben aber ge- beim Arbeitslosengeld geringere Anreize set- recht, sinnvoll und zielführend. Die Grundsi- cherung ist zudem zu Recht kein bedingungs- zen, auf eine dauerhafte Integration in den Ar- loses Grundeinkommen, sondern eine von beitsmarkt hinzuarbeiten, dass die Verweil- der breiten Mitte unserer Gesellschaft finan- dauer in Arbeitslosigkeit steigt und dass län- zierte Solidarleistung. Sie wird auch von hart gere Anspruchsdauern eher negative Auswir- arbeitenden Menschen mit bescheidenem ei- kungen auf Löhne haben. Deshalb war schon genem Einkommen finanziert. die jetzt geltende längere Bezugszeit von Ar- beitslosengeld für Ältere nicht sinnvoll. Wir sind offen für Nachjustierungen: Das Sys- tem muss entbürokratisiert werden und der Fokus muss noch mehr auf Langzeitarbeits- 3. Dreijährige Umschulungen nur im lose mit Kindern und besonderen Hemmnis- Ausnahmefall sinnvoll sen gelegt werden. Vereinfachungen müssen endlich auf den Weg gebracht werden, z. B. Die Finanzierung eines dritten Umschulungs- die schon lange geforderten Bagatellgrenzen jahres ist in Ausnahmefällen sinnvoll, wenn für Rückforderungen, wie sie auch die SPD zu die Maßnahmeteilnehmer ansonsten mit ei- Recht fordert. Wir brauchen auch endlich eine ner auf zwei Drittel verkürzten Umschulung Überarbeitung der Hinzuverdienstgrenzen, überfordert wären. Das gilt selbstverständlich die so ausgestaltet sein müssen, dass es sich Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“ 12. Februar 2019 7
nicht mehr ganz besonders lohnt, Grundsi- Es wird wenig und angemessen sanktioniert. cherungsleistungen mit einem Kleinstver- In der Arbeit der Jobcenter steht nicht die Be- dienst zu ergänzen, sondern vielmehr das strafung im Vordergrund. Entgegen allen an- komplette Herausarbeiten aus dem Leis- ders lautenden Behauptungen nehmen sich tungsbezug belohnt wird. Entsprechende For- in den Jobcentern die Mitarbeiterinnen und derungen hat die BDA seit vielen Jahren er- Mitarbeiter jeden Tag engagiert und empa- hoben. Das IAB mit seinen Vorschlägen zum thisch den Sorgen und Problemen ihrer Kun- Erwerbszuschuss und auch das ifo Institut in den an. Im Vordergrund steht dabei, mög- einem Gutachten für die Friedrich-Naumann- lichst vielen Menschen einen Weg in Ausbil- Stiftung haben diese Forderungen der Arbeit- dung oder Erwerbstätigkeit zu ebnen. geber jüngst wieder aufgegriffen. Die Abschaffung der Sanktionierung in die Auch sollte man durch gut durchdachte Kosten der Unterkunft und Heizung auch als Rechtsänderungen den Menschen ihre Ängste nehmen, die befürchten, ein mühsam ultima ratio zu fordern, bedeutete nichts an- erarbeitetes Haus oder eine seit vielen Jahren deres, als ein bedingungsloses Wohneinkom- bewohnte Wohnung verkaufen oder zwangs- men, ohne auf die Mitwirkungsbereitschaft weise verlassen zu müssen. Auch wenn der des Einzelnen zur Überwindung der Hilfebe- Wert solcher Immobilien im konkreten Fall dürftigkeit zu setzen. Auf gezielte Nachfrage deutlich gestiegen ist, sollte niemand bei fort- konnte der Vorstandsvorsitzende der Bunde- laufender Selbstnutzung seines langjährig be- sagentur keinen einzigen konkreten Fall be- wohnten „Nests“ (auch einer Mietwohnung) nennen, bei dem Sanktionierung auch in die zum Auszug oder zur Veräußerung gezwun- Kosten für Unterkunft kausal Obdachlosigkeit gen werden, wenn sich der Bezug von Grund- bewirkt hätte. Bis Sanktionen in die Kosten für sicherung nach einem langen Erwerbsleben Unterkunft und Heizung erfolgen, müssen be- nicht vermeiden lässt. reits mehrfach massive Pflichtverletzungen vorgekommen sein. Gleichwohl wird Obdach- losigkeit durch Sanktionen nicht in Kauf ge- 5. Mitwirkungspflichten müssen auch nommen. Im Zweifel kann Miete direkt an den durchgesetzt werden können – Sanktio- Vermieter gezahlt werden und beim Hilfebe- nen sind notwendig dürftigen für die begrenzte Zeit der Sanktio- nierung als Darlehen auflaufen. Es ist zu begrüßen, dass die Vorschläge der SPD keine gänzliche Abschaffung von Sank- Anders als behauptet haben die besonderen tionen vorsehen. Die Debatte hierzu wird teil- Regelungen zu Sanktionen für Jüngere weise unter Negierung der Fakten geführt. durchaus präventive Effekte. Ebenso wie bei Die Jobcenter sanktionieren im Monat durch- den über 25-Jährigen ist der ganz überwie- schnittlich nur rund 3 % – und 97 % eben ge- gende Teil der Sanktionen auf Meldever- rade nicht. Der Vorstandsvorsitzende der säumnisse zurückzuführen. Das IAB konnte Bundesagentur für Arbeit Detlef Scheele1: feststellen, dass insbesondere bei Jugendli- „Auch in einem anderen System würde es chen Sanktionen starke Effekte haben und Sanktionen geben müssen. Wenn Sie ein Ge- die Abgangsrate in Beschäftigung verstärken setz machen, müssen Sie immer festlegen, – nach der ersten Sanktion um 109 % und was passiert, wenn man sich daran nicht hält. nach der zweiten Sanktion innerhalb eines Wenn Sie falsch parken, werden Sie auch ab- Jahres um 151 %. geschleppt.“ Die Sonderregelung hat zum Ziel, gerade bei jungen Menschen dem Entstehen von Lang- 1 Zitat: Der Spiegel, 18. November 2018 http://www.spiegel.de/wirtschaft/hartz-iv-de- batte-man-sollte-aufhoeren-das-system- schlecht-zu-reden-a-1238950.html Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“ 12. Februar 2019 8
zeitarbeitslosigkeit besonders strikt entge- Starke-Familien-Gesetzes – sieht das Kon- genzuwirken. Sie soll gerade Jugendlichen zept die Einführung einer umfassenden Leis- und jungen Arbeitslosen, die ihr ganzes Er- tung vor, die sich an alle Kinder richten und werbsleben noch vor sich haben, bewusst bestehende Leistungen grundsätzlich erset- machen, wie wichtig es ist, sich frühzeitig, zen soll. Dazu würden alle bisherigen Trans- konsequent und ausdauernd um Beschäfti- ferleistungen für Kinder – wie Kindergeld bzw. gung oder Ausbildung zu bemühen. Gerade Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Bildungs- Heranwachsende sollten nicht die Erfahrung und Teilhabepaket oder Leistungen aus dem machen, dass ihr Lebensunterhalt dauerhaft SGB II – zu einer Kindergrundsicherung zu- durch die Solidargemeinschaft finanziert wird, sammengefasst werden. Auch wenn das Mo- ohne dass eine Gegenleistung konsequent dell der Grundsicherung einen pauschalen eingefordert wird. Charakter hat, soll offenbar nicht auf eine Be- darfsprüfung verzichtet werden. So soll sich die Kindergrundsicherung grundsätzlich am 6. Zuordnung von Beschäftigen „Auf- Einkommen der Eltern orientieren. Hinsicht- stockern“ zur Arbeitslosenversiche- lich der Höhe der Leistung und genauen Be- rung führt zu Problemen rechnung bleibt das Papier leider unkonkret. Grundsätzlich soll es sich aus einem Exis- Wenn man alle Menschen, die beschäftigt tenzminimum in Höhe von 408 € pro Kind und sind, aber z. B. wegen Unterhaltspflichten für Monat und einem Entwicklungsbedarf des Ehepartner und/oder Kinder, ergänzend Kindes zusammensetzen, dessen Höhe Grundsicherungsleistungen beziehen, von „noch sachgerecht zu bestimmen“ sei. den Arbeitsagenturen betreuen lassen will, erscheint das vordergründig schlüssig. Zudem soll das Modell der Bedarfsgemein- Schließlich werden ja auch Menschen, die ne- schaft im SGB II-Bezug neu bestimmt werden ben dem Arbeitslosengeld I ergänzend – mit dem perspektivischen Ziel, Kinder aus Grundsicherungsleistungen beziehen, seit 1. der Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern her- Januar 2017 bereits von den Arbeitsagentu- auszulösen. Dieser Schritt und die Einführung ren betreut. Rd. 600.000 „Aufstocker“ sind so- einer eigenständigen Kindergrundsicherung zialversicherungspflichtig beschäftigt und sind auf keinen Fall zielführend und vor dem zahlen auch Beiträge zur Arbeitslosenversi- Hintergrund des deutschen Sozial- sowie cherung. Hier wäre eine Zuordnung zur Ar- Steuerrechts unsystematisch. Denn Kinder beitslosenversicherung diskutabel. Viele werden dort hinsichtlich ihres finanziellen Be- Menschen stocken jedoch nicht ihr Gehalt mit darfs grundsätzlich als Teil einer Familie und Grundsicherungsleistungen auf, sondern ver- somit in Abhängigkeit von den finanziellen dienen sich zur vollen oder nahezu vollen Verhältnissen ihrer Eltern betrachtet – was in Grundsicherung im Rahmen von Minijobs ge- widersprüchlicher Weise selbst das SPD-Pa- zielt etwas hinzu. Diese 500.000 geringfügig pier konstatiert. Vor diesem Hintergrund sind Beschäftigten zahlen keine Beiträge zur Ar- die bestehenden, differenziert ausgestalteten beitslosenversicherung. Ein Teil von ihnen familienpolitischen Leistungen für Kinder we- versucht möglicherweise sogar, sich dauer- sentlich zielgerichteter und ausreichend. haft im Grundsicherungsbezug einzurichten. Ebenfalls sehr problematisch ist das Narrativ Sie müssten weiter im SGB II verbleiben, d. h. des Papiers, Familien mit höherem Einkom- von den Jobcentern betreut werden. men würden gegenwärtig deutlich mehr Leis- tungen erhalten als Familien mit geringerem Einkommen. Angesichts der Vielzahl von 7. Eigenständige Kindergrundsicherung Leistungen, die explizit und ausschließlich nicht zielführend Familien mit geringem Einkommen zugute- kommen, ist dies geradezu absurd. Trotz mehrerer Leistungsausweitungen und großzügigerer Anrechnungsmöglichkeiten in den letzten Jahren – aktuell im Rahmen des Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“ 12. Februar 2019 9
Ansprechpartner: BDA | DIE ARBEITGEBER Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber- verbände Arbeitsmarkt T +49 30 2033-1400 arbeitsmarkt@arbeitgeber.de Arbeits- und Tarifrecht T +49 30 2033-1200 arbeitsrecht@arbeitgeber.de Volkswirtschaft | Finanzen | Steuern T +49 30 2033-1950 volkswirtschaft@arbeitgeber.de Die BDA organisiert als Spitzenverband die sozial- und wirtschaftspolitischen Interessen der gesamten deutschen Wirtschaft. Wir bündeln die Interessen von einer Million Betrieben mit rund 20 Millionen Beschäftigten. Diese Betriebe sind der BDA durch freiwillige Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden verbunden. Bewertung des „Sozialstaatskonzepts“ des SPD Bundesvorstands „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit – Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit – Teil I: Arbeit“ 12. Februar 2019 10
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