Zum Früh stück esse ich immer ein Nutella brot und trinke Tee dazu.

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Zum Früh stück esse ich immer ein Nutella brot und trinke Tee dazu.
Fokus

                                            Zum Früh­
                                            stück esse
                                            ich immer
                                           ein Nutella­
                                             brot und
                                            trinke Tee
                                               dazu.

 Vor vier Jahren brachte
  mir meine Mutter aus
   Amerika eine kleine
 Plakette zum Anstecken
mit, die einen Engel mit
einem Eishockeyschläger
  in der Hand darstellt.
  Diesen Engel habe ich
   seither als Glücks­
  bringer immer dabei.

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Zum Früh stück esse ich immer ein Nutella brot und trinke Tee dazu.
Fokus

Weshalb brauchen wir
­Rituale? Im Kindergarten
 fängts an, in der Primar-
 und Sekundarschule gehts
 weiter und noch in Berufs-
 fach- und an Mittelschulen
 prägen Rituale den Alltag.
 Warum eigentlich?
Collage: büro z / Fotos: zvg

Ist das Ritual Pflicht, bringts nichts, sagt der Fachmann                        12
Elf Personen schildern ihr persönliches Schulritual                              15
Bänz Friedli wünscht Rituale statt Ritalin in der Schule                         18
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Zum Früh stück esse ich immer ein Nutella brot und trinke Tee dazu.
Fokus

«Der Klebstoff, der Klassen zusammenhält»
­Rituale helfen, im Schulalltag auf das Wesentliche
 zu fokussieren, erklärt Ueli Schenk. Er kuratierte
 die Ausstellung «Rituale. Ein Reiseführer zum
 ­Leben» im Museum für Kommunikation, Bern.
Interview: Catherine Arber Fotos: Pia Neuenschwander

Herr Schenk, mit welchem Ritual sind              dass mein Tag kein guter wird, wenn        auch entlastend. Es wäre doch sehr
Sie heute in den Tag gestartet?                   mein Morgenablauf sich anders gestal­      umständlich, wenn wir jedes Mal zu­
Ueli Schenk: Wie jeden Morgen weckt               ten sollte. Wenn ich es mir aber genau     erst aushandeln müssten, wie wir uns
mich mein Radiowecker und ich höre                überlege, so sind es vielleicht diese      begrüssen wollen.
Nachrichten. Ich stehe auf, bereite               zehn Minuten Ruhe am Frühstücks­           Welche Funktion erfüllen Rituale
Kaffee, Tee und drei Honigschnitten               tisch, die ich brauche, und dieser Über­   im besten Fall?
zu. Die esse ich am Tisch, zusammen               gang hat symbolischen Charakter für        Es gibt ganz verschiedene Rituale, die
mit meiner Frau oder allein, trinke Tee           mich. Ich habe deshalb den Verdacht,       unterschiedlichste Funktionen haben.
und Kaffee und dusche anschliessend.              dass es sich bei meinem Frühstücks­        Eine wichtige Kategorie sind Über­
Und schon sind wir mitten im Thema:               ablauf eher um ein Ritual denn um          gangsrituale. Sie kommen zum Einsatz,
Ist dies nun reine Routine? Oder han­             Routine handelt.                           wenn in meinem Leben ein Übergang
delt es sich um ein Ritual? Soll aus              Der Begriff Ritual wird in der Alltags-    ansteht. Das kann etwas Kleines sein
Routine ein Ritual werden, ist eine               sprache oft verwendet. Zuweilen            wie das Aufstehen, also der Übergang
symbolische Bedeutung erforderlich.               wird er auch negativ mit Langeweile        von der Nachtruhe zur Tagesaktivität,
Haben Ihre Morgenbrote diese                      in Verbindung gebracht. Warum?             oder – noch wichtiger – den Tag in
­symbolische Bedeutung?                           Ein Ritual folgt immer einem vorgege­      Ruhe abzuschliessen, damit ich gut
 Ob ich ihnen diese symbolische Be­               benen Ablauf. Bei einer Begrüssung         schlafen kann. Es gibt aber auch grosse
 deutung beimesse oder nicht, ist meine           zum Beispiel kennen die Teilnehmen­        Rituale, wie beispielsweise eine Hoch­
 freie Entscheidung. Ich weiss nicht so           den in etwa den Ablauf und die gegen­      zeit, die einen bedeutenden Über­gang
 genau, ob ich dies nun tatsächlich tue           seitigen Erwartungen. Das kann lang­       im Leben der jeweiligen Menschen
 oder nicht. Ich habe nicht das Gefühl,           weilig sein, gleichzeitig wirkt es aber    markieren. Ähnlich ist es bei einem To­

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                                                    Ueli Schenk: «Wird ein Ritual als lästige Pflicht erlebt, geht seine positive Wirkung verloren.»

desfall. Wenn jemand aus dem nahen          Klassen anwenden. Es gibt Rituale,                  die Aufmerksamkeit auf die momenta­
Umfeld stirbt, so braucht man Rituale,      welche die Schulleitungen vorgeben,                 ne Aufgabe lenken. Sportlerinnen und
um die Situation meistern zu können.        und andere, die Lehrerinnen und                     Sportler machen das genauso. Rituale
Rituale helfen mir also im Kleinen wie      Lehrer initiieren. Beispielsweise am                sind auch für sie sehr wichtig, damit
im Grossen, mit einer neuen Situation       Morgen: Was macht man, damit man                    sie fokussieren und zum richtigen
umzugehen.
Sie haben eine Ausstellung über Rituale
für das Museum für Kommunikation
in Bern kuratiert und dabei Einblicke             «Soll aus Routine ein Ritual werden, ist
in die heutige Ritualpraxis erhalten.
Was hat Sie am meisten überrascht?                eine symbolische Bedeutung erforderlich.»
Wie reichhaltig die Ritualpraxis ist! In
unserer Gesellschaft sind sehr viele
Rituale vorhanden. Sie halten unsere
Gesellschaft zusammen. Oder, wie es         gemeinsam mit dem Unterricht be­                    Zeitpunkt ihre volle Leistung abrufen
der englische Anthropologe Harvey           ginnen kann und die Aufmerksamkeit                  können. Ein Fussballer zum Beispiel
Whitehouse einst sagte: «Rituale sind       der Schülerinnen und Schüler erhält?                muss alles andere ausblenden, damit er
der Klebstoff, der soziale Gruppen zu­      Was unternimmt man nach der Pause,                  seine Aufmerksamkeit vollständig auf
sammenhält.» Diesen Klebstoff neh­          um die aufgedrehten Kinder wieder                   die 90 Minuten Spiel richten kann.                     3
men wir meistens nicht wahr, er ist         zu ­beruhigen? Es gibt zudem grosse
unsichtbar. Es ist der Klebstoff, der
­                                           Jahresrituale wie beispielsweise die
                                            ­
zum Beispiel auch Schulklassen zu­          Schulreise oder die Feier am Ende des
                                                                                                     Zur Person Ueli Schenk (49) ist
sammenhält.                                 Schuljahres.                                             Ausstellungskurator am Museum
Was sind heute typische Kinder- und         Angenommen eine Schule hätte keine                       für Kommunikation in Bern. Nach
Jugendrituale?                              Rituale. Welche Folgen hätte dies für                    seiner Erstausbildung als Lehrer hat
Die Funktionen von Jugend- und Er­          die Kinder oder Jugendlichen?                            er Kunstgeschichte und Soziologie
wachsenenritualen unterscheiden sich        Es wäre viel schwieriger für sie, in der                 studiert. Vor 15 Jahren kam er ans
grundsätzlich nicht. Es geht um Zu­         Schule aufs Wesentliche fokussieren                      Museum für Kommunikation. Seither
                                                                                                     hat er bei verschiedenen Ausstel­
sammengehörigkeit, um Identifikation,       zu können. Abläufe, die immer wieder
                                                                                                     lungsprojekten mitgewirkt. Aktuell hat
um spezifische Normen und Werte, bei        gleich sind, bringen Entlastung, geben
                                                                                                     er die Wechselausstellung «Rituale.
Jugendritualen häufig auch um die Ab­       Halt und helfen, sich aufs Wichtige zu                   Ein Reiseführer zum Leben» kura­
grenzung von der Erwachsenenwelt.           konzentrieren. Ich kann mir vorstel­                     tiert, die bis zum 20. Juli zu sehen
Welche Rituale rund um die Schule           len, dass gerade Kindern und Jugend­                     ist. Für Schulklassen gibt es spe­
gibt es?                                    lichen, die Mühe haben, sich über län­                   zielle Angebote zur Ausstellung.
In der Schule gibt es sehr viele Rituale.   gere Zeit zu konzentrieren, r­ituelle                    Ueli Schenk wohnt mit seiner Frau
                                                                                                     in Bern, wo er aufgewachsen ist.
Solche, die einzelne Kinder und Ju­         Abläufe helfen. Dank Ritualen können
gendliche pflegen, andere, die ganze        sie den Alltag etwas beiseite­legen und                  ∑   www.mfk.ch

                                                                                                          Schulblatt des Kantons Zürich 4/2014  13
Fokus

Konkret: Wie machen das Fuss­              flies­­send, es ist schwierig festzustellen,   Das funktioniert auf Dauer nicht. Weil
ballerinnen oder Fussballer?               wann es kippt. Hilfreich ist sicher,           es Widerspruch gibt und weil die po­
Zum Beispiel, indem sie sich immer in      wenn ich mir ab und zu bewusst ma­             sitiven Auswirkungen der Rituale ver­
derselben Abfolge anziehen. Also zu­       che, welche rituellen ­Abläufe ich wann        puffen, etwa das Zusammengehörig­
erst Stulpen, Socken, Schoner am lin­      und warum ausführe.                            keitsgefühl in einer Klasse. Man muss
ken Bein, dann dasselbe am rechten         Gibt es kulturelle Unterschiede                sehr behutsam mit Ritualen umgehen.
Bein. Es kann sein, dass der Spieler       in B
                                              ­ ezug auf Rituale?                         Es geht nicht, dass man als Lehrperson
oder die Spielerin zehn Minuten ein­       Klar gibt es weltweit ganz viele ver­          sagt: «So, wir haben jetzt ein Ritual.»
fach nur mit geschlossenen Augen auf       schiedene Rituale. Letztlich bleiben           Ein Ritual muss von allen mitgetragen
der Garderobenbank sitzt. Wieder an­       sich aber die Funktionen dahinter              werden, andernfalls ist es eine blosse
dere hören in der Umkleidekabine ein       gleich. Durch die Migration und die            Zwangsmassnahme.
Lied, manche Mannschaften tun das          Globalisierung sind wir mit fremden            Ein Ritual muss also entstehen?
auch gemeinsam.                            Ritualen aus anderen Kulturen kon­             Es ist selten, dass Rituale sozusagen er­
Fussballspieler legen in der Garderobe     frontiert, was Irritationen und Ängste         funden werden; meistens wachsen sie
ihr Privatleben ab und konzentrieren       auslösen kann. Dabei wären sie doch            aus einem Bedürfnis heraus oder sie
sich auf ihre sportliche Leistung.         eine ideale Ausgangslage für den Dia­          bauen auf Bestehendes. Das ist auch
Wie können Lehrerinnen und Lehrer          log: Welche Parallelen und Unterschiede        bei vielen Schweizer Traditionen und
den Rollenwechsel vornehmen?               gibt es beispielsweise zwischen dem            Volksbräuchen so. Beispielweise das
­Welche ­Rituale helfen?                   islamischen Ramadan und der christli­          Schwingen als Schweizer National­
 Bestimmt ist es wertvoll, sich Zeit zu    chen Fastenzeit vor Ostern?                    sport: Der Hosenlupf als Festbrauch
 nehmen, sich auf die Schule einzustim­    Was raten Sie denn Lehrpersonen,               kann bis ins 13. Jahrhundert nachge­
 men: Den Arbeitsweg bewusst zurück­       die in ihren Klassen Schülerinnen und          wiesen werden. Er wurde 1805 beim
 legen, sich im Lehrerzimmer noch vor      Schüler unterschiedlichster Kulturen           ersten Unspunnenfest aber neu insze­
 dem Unterrichten kurz mit den Kol­        unterrichten?                                  niert und entwickelte sich in der Folge
 leginnen und Kollegen austauschen         Ich würde dies im Unterricht themati­          zum nationalen Kulturgut.
 oder mit der Klasse ein kleines Begrüs­   sieren. Die Kinder könnten beispiels­          Wie unterscheiden sich Rituale
 sungsritual durchführen. Nach Schul­      weise Rituale und deren Funktionen             von Bräuchen?
 schluss können Lehrerinnen und Leh­       aus ihren Heimatländern vorstellen.            Es gibt keine klare Abgrenzung. Tra­
 rer nicht einfach den Stift hinlegen      Gemeinsamkeiten und Unterschiede               ditionen und Volksbräuche haben viel
                                                                                          mit Ritualen gemeinsam. Es gibt da
                                                                                          grosse Überschneidungen, auch was
                                                                                          die Funktionen anbelangt, etwa Ge­
«Die Grenze zwischen gesundem Ritual                                                      meinschaftlichkeit fördern, Identität

und ungesundem Zwang ist fliessend, es                                                    stiften, Sicherheit geben.
                                                                                          Worauf sollte eine Lehrperson achten,
ist schwierig festzustellen, wann es kippt.»                                              die daran ist, ein Ritual einzuführen?
                                                                                          Ich würde mir als Lehrer überlegen,
                                                                                          was ich überhaupt damit erreichen
                                                                                          will, also welche Funktion genau die­
und die Arbeit vergessen. Sie nehmen       könnten diskutiert und aufgezeigt wer­         ses Ritual haben soll. Anschliessend
sie oft mit nach Hause. Hier kann ein      den – und die Klasse könnte feststel­          würde ich mir einen Monat Zeit neh­
bewusster Kleidertausch beim Rollen­       len, dass es eigentlich überall auf der        men und beobachten: Was ist in der
wechsel helfen. Das zeigt mir: Ich bin     Welt um Ähnliches geht.                        Klasse schon vorhanden, was kann ich
daheim in meiner Freizeitkleidung, und     Sind Ihnen originelle Rituale rund             wie verstärken?
das ist privat.                            um die Schule bekannt?                         Wie hat sich die Anzahl Rituale in den
Gibt es so etwas wie ein gesundes          Mir kommt ein Beispiel aus meiner              letzten Jahren verändert?
Mass an Ritualen?                          Schulzeit in den Sinn: Das Singen im           Ich würde sagen: Rituale nehmen im
Das gesunde Mass an Ritualen regu­         ganzen Schulhaus am Montagmorgen,              Alltag eher zu. Vielleicht ist es aber
liert sich meistens von selbst. Persön­    also ein Wochenauftakt, der verbindet          einfach so, dass wir sie heute bewuss­
liche Rituale bergen jedoch die Gefahr,    und der das Musische in den Vor­               ter wahrnehmen als früher. Wir leben
dass sie zur Zwangshandlung werden,        dergrund stellt. Für mich als Schüler          in einer eher unsicheren Zeit, wirt­
denn man muss sie ja immer etwa            war es allerdings ein Müssen, was un­          schaftlich betrachtet, aber auch durch
gleich ­ausführen, damit sie wirken. Ra­   glücklich ist. Wird ein Ritual als läs­tige    Globalisierung und Vernetzung. Die
fael Nadal zum Beispiel legt auf dem       Pflicht erlebt, geht seine positive Wir­       Migration löst ebenfalls Ängste aus. In
Tennisplatz eine Vielzahl von Ticks an     kung verloren. Gleichzeitig ist jedoch         dieser Situation gewinnen Rituale an
den Tag. Es sind rituelle Handlungen,      die Verbindlichkeit ein wesentliches           Bedeutung – für den Einzelnen ebenso
die er braucht, um fokussieren zu kön­     Element von Ritualen.                          wie für die Gemeinschaft. Denn R  ­ ituale
nen. Die Grenze zwischen gesundem          Können Rituale in der Schule auch              versprechen Sicherheit und Zusam­
Ritual und ungesundem Zwang ist            als Disziplinierungsmittel dienen?             mengehörigkeit.                        !

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Fokus

        Die wenigen Male im Jahr,
         in denen ich stattdessen
       den Bus nehmen muss, fehlt                                                                    Während der Ferien
           mir diese Fahrt sehr.                                                                        lerne ich alle
                                                                                                    Vor- und Nach­namen
                                                                                                    der neuen Lernenden.

Berufsschullehrer fährt jeden                      Lernender isst jeden Morgen                       Berufskundelehrerin lernt
Tag per Velo in die Schule                         ein Nutellabrot Tom Uzun,                         Namen auswendig Phöbe Zürcher,
Urs Schmid, Berufsbildungs­                        2. Lehrjahr, Espritshop, Zürich                   Zentrum für ­Ausbildung im Gesund­
zentrum Zürichsee (BZZ), Horgen                    «Seit ich die Lehre angefangen habe, nehme        heitswesen (ZAG), Winterthur
«Seit vier Jahren arbeite ich am BZZ und           ich mir am Morgen bewusst Zeit. Wenn ich          «Ich habe zwei Rituale, die ich bewusst pflege:
­fahre stets mit meinem E-Bike von zu Hause        in die Schule oder zur Arbeit muss, stehe         Vor Beginn des Schuljahrs lerne ich von mei-
 in Gattikon nach Horgen und abends wieder         ich etwa zwei Stunden vorher auf, damit ich       nen neuen Klassen die Namen der Lernenden
 zurück. Dies bei jedem Wetter, ausser es          genügend Zeit habe zum Duschen, Anziehen,         auswendig. Nach den kommenden Sommer-
 sei zu gefährlich wegen vereister Strassen.       meine Frisur zu machen. So kann ich mich          ferien übernehme ich zwei Klassen, das sind
 Für mich ist diese Fahrt sehr wichtig. Ich        sammeln und vorbereiten auf den bevorste-         über 40 Lernende. Während der Ferien lerne
 ­geniesse die Bewegung, und die Route, die        henden Tag. Zum Frühstück esse ich immer          ich beim Wandern, im Zug und daheim alle
  mich oben am Waldrand entlang führt, eröff-      ein Nutellabrot und trinke Tee dazu. Erst wenn    Vor- und Nachnamen. Ich notiere sie, über­
  net eine herrliche Aussicht über den Zürich-     ich aus dem Haus gehe, rauche ich meine           lege mir Eselsbrücken und repetiere auf und
  see und auf dem Rückweg zusätzlich auf           erste Zigarette, trinke einen Coffee to go und    ab, hin und her in vielfältiger Weise. Die Na-
  die Alpen. So kann ich mich am Morgen auf        höre über Kopfhörer laut Musik. Jeder dieser      men bereits beim ersten Kontakt zu kennen,
  den Tag einstimmen, das Biken bringt mich        Schritte muss sein, egal, wie spät ich dran       gibt mir Sicherheit und den Lernenden das
  auf Touren und wenn ich in der Schule an-        bin. Einmal habe ich verschlafen und bin          Gefühl, dass sie ­erwartet werden. So entsteht
  komme, fühle ich mich fit und bereit für die     ohne mein Morgenritual zur Arbeit, das war        von Anfang an eine persönliche Beziehung,
  Arbeit. Auf dem Heimweg verblasst das am         eine sehr negative Erfahrung. Ich war den         die mir wichtig ist. Darauf ist auch mein zwei-
  Tag Erlebte allmählich, und bis ich zu Hause     ganzen Tag müde und schlecht gelaunt. Das         tes Ritual ausgerichtet: An jedem Schultag
  bin, ist die Arbeit weit weg. Die wenigen Male   mache ich nie mehr.» [jo]                         begrüsse ich die Lernenden bei Schulbeginn
  im Jahr, an denen ich stattdessen den Bus                                                          mit einem Händedruck und schaue ihnen in
  nehmen muss, fehlt mir diese Fahrt sehr,                                                           die Augen. In der Berufsschule ist dies nicht
  es nervt mich, im überfüllten Bus sitzen zu                                                        üblich. Ich erlebe aber, dass die Lernenden
  müssen, und wenn ich in der Schule ankom-                                                          sich dank dieser Begrüssung von mir wahr-
  me, muss ich meine gute Laune erst wieder-                                                         und ernst genommen fühlen. Es ist schon vor­
  finden.» [jo]                                                                                      gekommen, dass ich in einem sehr befrachte-
                                                                                                     ten Moment die Begrüs­sung vergessen habe.
                                                                                                     Wenn mir dies dann ­während des Unterrichts
                                                                                                     ­bewusst wird, ist es ein seltsames Gefühl,
                                                                                                      weil etwas fehlt.» [jo]

                                                                                                              Schulblatt des Kantons Zürich 4/2014  15
Fokus

                                                                              So wird jedes Kind aus der Gemein­
                                                                                schaft unserer Primarschule ins
         Anschliessend                                                           ­individuelle Leben entlassen.
            lädt die
          Schulleitung
         die Abschluss­
          klassen zum
          Grillplausch
              ein.

Kunst- und Sportgymnasiastin                       Rektor lädt Maturanden zum                         Schulleiter pflegt das Abschieds-
hat einen «Eishockey-Engel»                        Grillplausch ein Jakob Hauser,                     und Begrüssungsritual Christian
Alina Müller spielte unter anderem                 Kantonsschule ­Zürcher Unterland,                  Gerber, ­Primarschule Schülerclub
an der Olympiade in Sotschi                        Bülach                                             Nordstrasse, Zürich
«Vor vier Jahren brachte mir meine Mutter          «In vielen Schulen ist es üblich, dass die         «Wir verabschieden die Sechstklässler seit
aus Amerika eine kleine Plakette zum Anste-        ­Maturandinnen und Maturanden in der Nacht         zehn Jahren mit einem Ritual, an dem alle
cken mit, die einen Engel mit einem Eisho-          zum letzten Schultag gemeinsam feiern und         Klassen teilnehmen: mit dem Sternmarsch auf
ckeyschläger in der Hand darstellt. Diesen          die Schule am Morgen darauf mit einem Ma-         den Üetliberg. Vor den Sommerferien wandern
Engel habe ich seither als Glücksbringer im-        turastreich beglücken. In den letzten Jahren      wir von neun Ausgangspunkten zum Spielplatz
mer dabei, wenn ein wichtiger Match oder ein        ist aber das Risiko gestiegen, dass solche        Hohenstein. Da machen wir Feuer, bräteln,
wichtiges Training ansteht. Ich möchte ihn          Streiche in Vandalismus ausarten. Seit drei       ­essen. Dann beginnt das Abschiedsritual: Wir
aber nicht zeigen, sonst bringt er mir viel-        Jahren treffen wir deshalb mit den Abschluss-      stellen uns im Kreis auf und singen ein Lied.
leicht nachher kein Glück mehr. Rituale gibt        klassen eine Abmachung: Sie dürfen einen           Die Lehrpersonen bilden paarweise ein Tör-
es im Übrigen je nach Mannschaft oder Situa-        Streich organisieren, über den wir in groben       chen, jeder Sechstklässler und jede Sechst-
tion, in der ich gerade spiele. So hatten wir       Zügen informiert sind, und in der Aula eine        klässlerin geht unter den aneinandergereihten
beispielsweise bei der U-18-Weltmeister-            Show für die ganze Schule darbieten. An-           Törchen durch und wird verabschiedet von
schaft eine Kuhglocke bei der Tür des Mann-         schliessend lädt die Schulleitung sie im Mensa-    ­allen Übrigen, die den Namen rufen. Dann
schaftsraums aufgehängt, und wenn wir hin-          Garten zum Grillplausch ein. Das bewährt            ­machen wir ein Gruppenfoto der Austreten-
aus gingen aufs Feld, hat jede Spielerin beim       sich. Was die Maturfeier und den Maturball           den. So wird jedes Kind aus der Gemeinschaft
Vorbeigehen kurz die Glocke angeschlagen.           anbelangt, stelle ich fest, dass in jüngerer         unserer Primarschule ins individuelle Leben
Das war für uns das Zeichen, dass es nun            Zeit der Trend zu traditionellen Formen zuge-        entlassen. Wir legen grosses Gewicht auf diese
ernst gilt und wir gemeinsam das Beste geben        nommen hat: Die jungen Leute putzen sich             Schulgemeinschaft über alle Klassen hinweg.
wollten. Im Nati-A-Team an der Olym­piade in        gerne heraus und schätzen einen feierlichen          Gegenstück des Abschiedsrituals ist die
Sotschi wiederum hatten wir einen speziellen        Rahmen. Für die Lehrerinnen und Lehrer ist           Begrüs­sung aller Neueintretenden zu Beginn
Jubel nach jedem Tor: Zu einem Lied von             das jährliche Schluss­essen vor den Sommer-          des Schuljahres. Auf dem Pausenplatz stellen
­Micki Krause zogen wir in einer ­Reihe über       ferien ein Ritual, an dem jeweils auch die            wir ein Törchen auf, das mit farbigen Bändern
 das Feld und machten mit dem linken und           Lehrpersonen feierlich verabschiedet werden,          und Blumen geschmückt ist. Die neuen Kinder­
 dem rechten Arm eine Art Boxbewegung              die pensioniert werden oder unsere Schule             gärtler, Neuzuzüger oder neue Lehrpersonen
 in die Luft. Solche Rituale finde ich gut, weil   verlassen. Das ist nicht nur für die Personen         werden einzeln aufgerufen und gehen unten
 sie einem das Gefühl geben, zusammen­             wichtig, die gehen, sondern auch für jene,            durch. So treten sie aus dem individuellen
 zugehören, und so das Team stärken.» [jo]         die bleiben.» [jo]                                    ­Leben in die Gemeinschaft der Schule.» [ww]

16  Schulblatt des Kantons Zürich 4/2014
Fokus

                            Manch schüchternem
                            Schüler hilft dieses                                  Ich bin über­
                         ­Ritual, Selbst­sicherheit                                 zeugt, dass
                               zu gewinnen.                                          die Kinder
                                                                                 dem Schulhaus
                                                                                    mehr Sorge
                                                                                   ­geben, weil
                                                                                 sie den Abwart
                                                                                      kennen.

                                                           Vor dem Geisterhaus-Besuch stimmen wir
                                                             uns mit einer Rahmen­geschichte ein.

Gymilehrer lässt Schüler Ge-                       Psychomotorik-Therapeutin                          Schulhauswart öffnet morgens
schichten erzählen Luca Fumasoli,                  ­bietet Geisterhausritual Marianne                 die Türe Jürg Schlegel, Primar-
Mathematiklehrer, Kantonsschule                     Karrer, Schulkreis Zürichberg                     schule Rotweg, Horgen
Wiedikon                                           «Aus dem Geisterbahn-Besuch eines Kindes           «Die Öffnung der Schulhaustüre am Morgen
«Wenn ich das Zimmer betrete, stehen die           auf der Chilbi hat sich vor 20 Jahren mein         und nach dem Mittag ist bei uns ein Ritual.
Schülerinnen und Schüler auf und eine oder         Geisterhaus entwickelt. Im Januar und Juli         Seit fünfzig Jahren. Denn bevor ich hier
einer stellt sich freiwillig vor die Klasse, be-   wandle ich den Therapieraum um in einen            Schulhauswart wurde, hat es mein Vater, der
grüsst sie und wird von ihr begrüsst. Danach       geisterhaften Bewegungs- und Erlebnis­             hier Abwart war, schon so gehandhabt. Vor
erzählen wir auf der Unterstufe eine Fortset-      parcours mit Trampolin, Schaukel, Drehbrett        Schulbeginn komme ich zum Haupteingang
zungsgeschichte: Der Schüler, der die Klasse       und Rutschbahn. Der Eingang ist mit einem          und begrüsse die Kinder, die schon warten.
begrüsst, entwickelt die Geschichte mit drei       Tuch verhüllt, zwei Kartonröhren bilden einen      Wenn die Glocke um Viertel nach acht läutet,
Sätzen weiter, in der er eine Zahl und ein Ob-     Tunnel, durch den man hineingelangt. Vor dem       schliesse ich die Türe auf. Beim Eintreten be-
jekt einbauen muss, die vom Vorgänger vor-         Geisterhaus-Besuch stimmen wir uns mit einer       grüssen mich Kinder mit ‹Grüezi Herr Schle-
gegeben wurden. Die anderen schreiben die          Rahmengeschichte ein. Ich erkläre, dass ich        gel›, einige geben mir sogar die Hand. Etwa
Geschichte fortlaufend in ihre Arbeitshefte.       drinnen der Geist bin und jedes einzeln durchs     einmal pro Woche nimmt auch der Schulleiter
Dabei benützen sie das Heft von hinten nach        Haus führe. Die anderen wirken als Mit-Geistli     an diesem Begrüssungsritual teil.
vorn, während sie die Matheaufgaben von            mit. Als Obergeist behandle ich jedes nach         So habe ich einen regelmässigen Kontakt zu
vorne nach hinten notieren, sodass sich Ma-        seiner Stärke und beschütze es auch. Die Kin-      den 230 Kindern unseres Schulhauses und bin
theaufgaben und Geschichte irgendwann in           der erleben das drehende Sofa, das wippende        für sie nicht bloss der Mann im Hintergrund
der Heftmitte treffen. Zum Schluss stellt der      Bett, die Spinne, die Würgeschlange und be-        oder ein böser Abwart, sondern eine Vertrau-
Schüler der Klasse selber eine Matheaufga-         suchen den Wassergeist, der sie ein wenig mit      ensperson. Ich kann einem Kind einmal helfen,
be. Bei den ­älteren Schülern fasst der Ju-        Wasser bespritzt. Ein Durchgang dauert zehn        wenn es verweint kommt, und ich bin über-
gendliche entweder die letzte Stunde zusam-        Minuten. Am Ausgang erzählen die Kinder be-        zeugt, dass die Kinder dem Schulhaus mehr
men oder stellt der Klasse ebenfalls eine          geistert von ihren Erlebnissen. Sie fühlen sich    Sorge geben, weil sie den Abwart kennen. Das
spezielle Aufgabe. So starten die Schüler die      bestärkt, weil sie es bestanden haben, man-        Ritual hilft auch, Ordnung ins Ganze zu brin-
Stunde und es ­entsteht eine positive Grund-       che samt Augenbinde. Das Ganze ist zu einem        gen und die Schar ein wenig zu beruhigen.
stimmung, die Schüler arbeiten danach kon-         spezillen Ereignis geworden, das alle sehn-        Ich selber würde es vermissen, wenn ich die-
zentrierter. Manch schüchternem Schüler hilft      lichst erwarten. Es spricht viele Sinne an, löst   se Gelegenheit zur persönlichen Begegnung
dieses Ritual jedoch, Selbstsicherheit zu ge-      Vorfreude aus, strukturiert das Jahr. Die Kinder   nicht hätte.» [ww]
winnen. Das bestätigen mir ältere Jugendli-        erleben durch die Wiederholung, wie sie muti-
che immer wieder.» [jo]                            ger und geschickter werden.» [ww]

                                                                                                               Schulblatt des Kantons Zürich 4/2014  17
Fokus

«Gebt unseren Schülerinnen und Schülern
­Rituale statt Ritalin!» Das wünscht Bänz Friedli,
 Hausmann und Vater zweier Kinder.
Text: Bänz Friedli* Foto: Vera Hartmann

                                     Irgendwann ging mir         liegenden Zeitung das Frühstück vergisst (und sich selbst
                                     das mit dem Leiterwä­       dann in diese Zeitung vertieft, wenn sie verkehrt herum
                                     geli dann auf den Geist.    vor ihm liegt, das Geschriebene also auf dem Kopf steht),
                                     «Macht ihr eigentlich       einem überaus Empfindsamen wie ihm – nein, dem muss
                                     nichts mehr anderes als     man kein Ritalin geben. Sondern Rituale. Da halte ich mich
                                     in der Gegend rumwä­        an den Leipziger Philosophieprofessor Christoph Türcke:
                                     gelen?», herrschte ich,     «Es wird zu schnell gesagt: Das Kind ist krank. Und die Be­
                                     als könnte sie e
                                                    ­ twas da­   troffenen werden zu oft mit Medikamenten ruhiggestellt»,
                                     für, meine Tochter an.      sagt er. Und rät Eltern wie Schulen, stattdessen viele Rituale
                                     Hatte ein Kind in ihrem     einzuführen: Gedichte auswendig lernen, Singen, Musizie­
                                     Kindergarten Geburts­       ren, Theater spielen. Sprich: die überreizten Jugendlichen
                                     tag, wurde es von der       systematisch von der ständigen Ablenkung ablenken. Klingt
ganzen Chindsgiklasse daheim abgeholt, durfte sich ins           altmodisch. Aber gut.
geschmückte Wägeli setzen, bekam ein Stück Kuchen zu
­                                                                     Nur: Sind sie denn überhaupt so doof, unsere Jungs?
­essen, einen Blumenkranz aufgesetzt – und wurde von der         Dauernd am Gamen, dauernd abgelenkt, am Whatsappen,
 ganzen Schar mit ­  Liedern und heiterem Gejohle in den         Chatten, Gratisblättchen Überfliegen? Ja, sind sie, denke ich
 ­Kindergarten geleitet. Bei zwei Jahrgängen und gefühlten       am Schulbesuchstag, als Kollegen meinen Sohn in der Mit­
  siebenundsiebzig Chindsgikindern aus ebenso vielen Na­         tagspause auffordern: «Chumm, Alte! Mier gönd game …»
  tionen ergab dies fast täglich einen kunterbunten Leiter­      Ich folge ihnen in die Mediothek – und was tun sie? Ent­
  wägeliumzug durchs Zelgliquartier. too much, oder?             leihen sich das Kartenspiel «Bang!», setzen sich an einen
      Dabei haben wirs privat durchaus mit Ritualen. Meine       Tisch und spielen das komplexe Spiel, bei dem die Mitspie­
  Frau und ich liessen unsere Kinder – zum Schrecken unse­       ler voneinander nie wissen, wer Gangster und wer Sheriff
  res ganzen netten linken Freundeskreises – in der Kirche       ist, wer wem Übles will und wer wessen Verbündeter ist.
  taufen, wir verstecken an Ostern immer noch Nester und         Witzig! Das sei ihr Mittagsritual, erfuhr ich. Und war ge­
  Geschenke (auch wenn unser Sohn mittlerweile dreizehn,         rührt. Einige Tage später war ich es grad noch mal, als ich im
  die Tochter fünfzehn ist), wir lasen auch dann noch all­       Kinderzimmerdurcheinander einen Umschlag voller Zettel
                                                                 fand, auf denen unserem Sohn in neunzehn Varianten be­
                                                                 schieden wird, er könne gut malen und basteln. «Kind der
«Dabei haben wirs privat                                         Woche» heisst das Ritual, bei dem man einem Mitschüler
durchaus mit Ritualen.»                                          oder einer Mitschülerin ein schriftliches Kompliment ma­
                                                                 chen muss – und ich hatte mich zuweilen gefragt, wie sinn­
                                                                 voll solch verordnete Nettigkeit sei. Meist fällt ja dann den
abendlich aus Büchern vor, als die Kinder längst selber le­      meisten Kameraden nichts ein, bis Cheyenne schliesslich
sen konnten, und zwar noch jahrelang. Wunderbar, all die         schreibt: «Du kansd shöne zeicHnunge mahen», und alle
alten Bücher wiederzuentdecken: «Mein Name ist Eugen»,           schreiben es ihr ab. Aber er hat die Zettel aufbewahrt, sie
«Jim Knopf», «Die schwarzen Brüder», Kästner, Lindgren,          müssen ihm etwas bedeuten.
Preussler. Und genauso wunderbar, zusammen mit den gar                Und das Ritual mit dem Leiterwägeli? War eine wun­
nicht mehr so kleinen Kleinen neue Geschichten kennen­           derbare Idee, wenn ich heut so daran denke. Verspielt, mär­
zulernen: «Tintenherz», «Drachenzähmen, leicht gemacht»,         chenhaft, poetisch. Das müsste ich der Kindergärtnerin von
«Käpt’n Blaubär». Wir pflegen den Sonntagsspaziergang            damals vielleicht einmal sagen. Wie hiess sie gleich?       !
en famille (den die Kinder hassen, und ich bin mir sicher,
sie werden ihren eigenen Kindern damit dereinst genau­
so auf die Nerven fallen), wir spielen an Wochenenden zu
                                                                        * Bänz Friedli (49), Hausmann, Vater und Autor, lebt
viert Scrabble und wir packen mit unserem Sohn jeden
                                                                        mit seiner Frau und den beiden Kindern in ­Zürich. Er
Abend Punkt viertel vor neun Uhr den Thek für den nächs­                schreibt wöchentlich fürs «Migros-Magazin» und ist der­
ten Tag: Geografieheft, Religionsordner, Franzbuch und                  zeit auf Tournee mit dem kabarettistischen Programm
­Lateinkärtchen. Gerade einem Träumer und Luftikus wie                  «Gömmer Starbucks?» über die Lebenswelten der
 ­meinem Sohn, e ­ inem mit viel zu wenig Zeit für die viel zu         ­heutigen Jugend.
  vielen Interessen, die er hat, einem, der ob einer herum­            ∑   www.baenzfriedli.ch

18  Schulblatt des Kantons Zürich 4/2014
Fokus

                       Es gibt Hunderte von Handschlägen.
                    Da er nicht überall gleich praktiziert wird,
                       erhält der Gruss etwas Persönliches.

                                                Dank dieses ­­
                                                Rituals fühlt
                                                 sich jedes
                                                Kind seiner
                                                 Jahreszeit
                                                 verbunden.

Kindergärtnerin feiert Saison­                      wenn Geburtstage in die Ferien fallen oder drei
                                                    in der gleichen Woche wären. Wir machens seit
geburtstage Jacqueline Suter,                       zehn Jahren so, unser Chindsgi ist eben auf        Handgruss übergeht. Dazu murmelt man
­Kindergarten Farenweg, Zürich                      die Natur ausgerichtet, wir feiern auch beson-     ‹Morgen› oder ‹Tschau›. Es ist eine kürzere
                                                    dere Naturtage. Mit der Zeit weiss ein Herbst-     Version der Handschlaggrüsse, die man
«Statt eines Geburtstagsfestes für jedes ein-
                                                    kind, dass an seinem Geburtstag die Blätter        überall sieht, da wir morgens um sieben
zelne Kind begehen wir Jahreszeitenfeste: am
                                                    ­fallen; ein Winterkind weiss, dass der Weiher     noch nicht wirklich wach sind. Es gibt Hun-
Ende des Frühlings, Sommers, Herbst und
                                                     gefrieren kann. Dank dieses ­Rituals fühlt sich   derte von Handschlägen. Da er nicht überall
Winters. Eine Woche vorher erhalten alle einen
                                                     ­jedes Kind seiner Jahreszeit verbunden.» [ww]    gleich praktiziert wird, erhält der Gruss etwas
Zettel, welche Zutat sie zum Essen, welches
wir gemeinsam zubereiten, mitbringen sollen,                                                           Persönliches. In der Schule begrüssen wir
je nach Saison. Den Tisch d ­ ecken wir am Tag                                                         nur ganz gute Kollegen so. Wenn ein Mäd-
zuvor, im Winter mit einem weissen Tuch und                                                            chen mitmacht, dann aus Spass an Buben-
Winterdeko. Am Morgen dann sind die Stühle          Sekschüler begrüsst Kollegen                       bräuchen. Ein paar Lehrer begrüssen gewisse
der Geburtstagskinder geschmückt: mit einem         mit Handschlag Dion Stürm,                         Schüler mit ihrem Handschlag – die haben
besonderen Tuch und die Kinder tragen einen         3. Sekundarklasse ­Birmensdorf                     eben Humor. Wie das Ritual entstanden ist?
Umhang. Wir singen, dann rufen wir die Ge-                                                             Es hat einfach einer damit angefangen. Wir
burtstagskinder auf, sie treten einzeln in den       «Wenn wir sechs Kollegen der 3. Sek uns an        machen es seit zwei Jahren, was selten lang
Kreis. Bei jedem Fest gibts einen Sonnentanz,       der Bushaltestelle in Aesch treffen, um nach       ist. Meistens wechselts schnell: Zwei be­
da die Sonne die Jahreszeiten bestimmt. Dann        Birmensdorf zur Schule zu fahren, machen           ginnen etwas Neues, die anderen ziehen mit.
erzähle ich eine Geschichte, die über alle Jah-     wir unser Handschlagritual: Klatschen mit der      Wenn wir abends nach Hause kommen, gibts
reszeiten hinweg führt. Die Kinder haben kei-       rechten Hand, die senkrecht steht, Daumen          keinen grossen Abschied. Wenn einer zur
nen Nachteil, sie werden ja zu Hause in­dividuell   zum eigenen Gesicht gerichtet, dann Hand           Haustür hineingeht, schnell die Hand heben,
gefeiert. Das Ritual hat praktische Vorteile:       sinken lassen, sodass sie in den normalen          ‹Tschau› sagen, das wärs.» [ww]

                                                                                                                Schulblatt des Kantons Zürich 4/2014  19
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