Zur Weltkonjunktur 03/17 - JS Research KG

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Zur Weltkonjunktur 03/17 - JS Research KG
Zur Weltkonjunktur – 03/17

        Der monatliche Kurzbericht zum Brexit und der Lage der Weltwirtschaft
                                              aus dem Hause J.S. Research KG
                                                          Autor: Jakob Steffen
                                                     steffen@j-s-research.org
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House of Lords erteilt der Regierung eine Lektion, verzögert aber nicht den Fahrplan

Theresa May hat nun also das offizielle Austrittsgesuch nach Brüssel geschickt. Die Aufenthaltstitel der
„Expatriates“ oder „Expats“ werden nun, neben der ‚Scheidungsrechnung‘ (s. die letzte Ausgabe dieses
Berichts) zu den ersten Objekten der Brexit-Verhandlungen zählen – und zu den umstrittensten. Während die
EU auf vollen Bleibe- und Partizipationsrechten für ihre rd. 3 Mio. Expats in Britannien bestehen wird, wird das
Vereinigte Königreich das zurückweisen, da dies vollen Zugang zum britischen Wohlfahrtsstaat nach Vollzug
des Brexits bedeutete; etwas,
das für die Brexiteers völlig
inakzeptabel ist und zu den
giftigsten Debatten während der
Brexit-Kampagne geführt hatte.
Darüber hinaus wird die EU
darauf beharren, dass alle
rechtlichen Streitigkeiten zu
Fragen der Aufenthaltstitel vom
Europäischen Gerichtshof zu
entscheiden sind – wiederum
ein Element des Brexits, dessen
Wegfall die Premierministerin
als besonders bedeutsam für die
britische Seite hervorgehoben
hat. Das House of Lords hatte
zwischenzeitlich immerhin der
Regierung eine (wenn auch flüchtige) Lektion bzgl. eben dieser Aufenthaltstitel erteilt und eine Klarstellung
derselben gefordert, was die Lords sogar noch durch die Forderung eines inhaltlichen Votums des Parlaments
zum Verhandlungsergebnis ergänzten. Doch: Nachdem das Unterhaus die Lords mehrheitlich niedergestimmt
hatte, lenkte das Oberhaus ein und ließ den Regierungsentwurf der „Brexit-Bill“ ohne weitere Einrede
passieren, so dass die Premierministerin wie geplant am 29. März offiziell den Austritt des Vereinigten
Königreichs an die EU übermitteln konnte. Die Episode illustrierte damit die schiere Dominanz der Brexiteers
im Parlament, die kurzen Prozess mit Allem machten, was nicht einem Auftrag zum „clean Brexit“ entsprach.
Überdies ließ Theresa May ihren Schatzkanzler kräftig federn, als sie diesen zur peinlichen Umkehr in Sachen
Erhöhung der Versicherungsbeiträge von Selbstständigen zwang, die Hammond in seinem Haushalt eigentlich
vorgesehen und bereits im Parlament verkündet hatte; der Chancellor of the Exchequer ist jedoch der einzige
im Kabinett noch verbliebene Verfechter eines weichen Brexits.

Währenddessen sind die Devisenmärkte wieder auf die Verstrickungen britischer Politik und den Beginn der
Verhandlungen mit der EU aufmerksam geworden, nach einstweilen ruhender Volatilität des Pfunds. Sterling
ist besonders empfindlich gegenüber Unsicherheit, von der es in den kommenden Jahren jedoch reichlich
geben wird. Zusätzlich besorgniserregend, vom Standpunkt des neutralen Beobachters, ist die stetige
Entwicklung einiger Minister hin zur Behauptung der Harmlosigkeit des „no-deal“-Szenarios, das also die
Verhandlungen ergebnislos enden: Sowohl David Davis, der Minister für den Austritt aus der EU, als auch Boris
Johnson haben dieses Szenario als „nicht die allgemein befürchtete Apokalypse“ bezeichnet. Nun, vielleicht
keine Apokalypse; aber zweifelsohne führte dieses Szenario inkl. sofortiger Zollkontrollen,
Flugverkehrsbeeinträchtigungen etc. zu einem Maximum an ökonomischer Störung. Je mehr die britische Seite
ein Mindset zu Gunsten dieses härtesten aller Brexits schafft, desto wahrscheinlicher wird er auch.

                                                                             Zur Weltkonjunktur – März 2017
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Dem Euro steht die bisher größte Bedrohung seiner Existenz bevor

Verknüpfte (“kontingente”) Ereignisse und Entwicklungspfade werden oft falsch eingeschätzt bzw. aus einer
risikoanalytischen Perspektive unterschätzt. Vor allem die Nobelpreisträger Amos Tversky und Daniel
Kahneman haben demonstriert dass dies mit der inhärenten Unfähigkeit der menschlichen Intuition zur
konsistenten und rationalen Verarbeitung von Wahrscheinlichkeiten zusammenhängt. Die Kette politischer
Ereignisse, denen die Europäische Union in diesen Jahr gegenüber steht ist ein Paradebeispiel für einen
solchen kontingenten Entwicklungspfad, der die bislang größte Bedrohung des Fortbestands des Euros und in
der Tat der EU beinhaltet.

Die erste Weichenstellung, der befürchtete Sieg von Geert Wilders’ PVV in den niederländischen Wahlen
diesen Monat ist bewältigt; doch es verbleiben viele weitere Risiken, einige davon von der breiten
Öffentlichkeit nahezu unbemerkt. Die vorrangige Aufgabe einer zuverlässigen, nützlichen Risikoanalyse ist
daher die Identifikation der relevanten Ereignisse entlang bestimmter Entwicklungspfade. Genau das werden
wir im Folgenden tun.

Zunächst steht da Marine Le Pen. In einem Wahlkampf, der bereits jetzt durch seine chaotische Natur
hervorsticht, sind die beiden führenden KandidatInnen Outsider des Politestablishments – oder geben sich
jedenfalls so. Wäre da nicht
Emmanuel Macron, würde Le
Pen als klare Favoritin das Feld
anführen, so ausgeprägt ist der
Kollaps der etablierten
Republikaner bzw. Sozialisten.
Doch was die Vorsitzende des
Front National erst so richtig
gefährlich macht ist ihre enorme
Unterstützung durch die Jugend
des Landes: In der Gruppe der
18-24jährigen führt Le Pen vor
allen Anderen zweistellig!
Hauptgrund dafür ist die
ökonomische Wahlbotschaft, die
Le Pen geschickt in den
Vordergrund geschoben hat, in der sie die Globalisierung und das Politestablishment gleichermaßen für die
hohe Jugendarbeitslosigkeit von rd. 25% geißelt. Der Punkt ist: Nicht nur, dass die Jugend die Stimmen hat, um
Marine Le Pen den Sieg in der ersten Runde am 23. April zu ermöglichen – im Gegensatz zur letzten
Präsidentenwahl, als rd. 28% der 18-24jährigen in der 2. Runde Zuhause blieben, existiert dieses Mal eine
regelrechte Jugendkampagne für den Front National und sind ihre Aktivisten Feuer und Flamme, ihrer Stimme
dieses Mal Geltung zu verschaffen.

Die größte Bedrohung allerdings geht von einem Land aus, das bislang kaum jemand auf dem Schirm hat:
Italien. Langsam aber stetig bewegt sich das Land wieder auf die seit jeher vertraute politische Instabilität zu,
seit Matteo Renzi im vergangenen Dezember in seinem selbst angezettelten Verfassungsreferendum
unterlegen ist (s. Ausgabe 01/17 dieses Berichts). Diese Instabilität arbeitet nun just für die Populisten auf
beiden Seiten des politischen Spektrums, die nach einem Austritt Italiens aus dem Euro rufen. Die größte

                                                                               Zur Weltkonjunktur – März 2017
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dieser Parteien, Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung hat sogar gute Aussichten, Renzis noch immer
regierende links der Mitte stehende Demokratische Partei (PD) bei den immer wahrscheinlicheren Neuwahlen
im Herbst diese Jahres zu schlagen. Dies nicht zuletzt, da Renzi zu allem Überfluss mit seinem Rücktritt vom
Parteivorsitz in dem Versuch, seine rebellierende Partei zu disziplinieren, die Spaltung der Partei herbeigeführt
hat. Aktuell kämpft er um die Rückerlangung des Vorsitzes, um die Bedrohung durch die Populisten in Wahlen
abzuwehren, die auch regulär spätestens im Frühsommer 2018 anstehen. Als ob das nicht Bedrohung genug
wäre, bewegt sich auch der Mainstream in der italienischen Politik immer mehr in Richtung Euro-Feindlichkeit:
Ein Austritt Italiens aus der europäischen Gemeinschaftswährung ist nicht länger eine exotische Idee auf den
politisch abseitigen Rändern. Ganz im Gegenteil finden sich Leithammel wie Professor Alberto Bagnai von der
Pescara Universität nach Jahren im politischen Niemandsland plötzlich als Sprecher einer wachsenden
Bewegung wieder.

All die Zeit dazwischen ringen die Niederlande um eine neue Regierung nach einer Wahl, die sogar für dieses
koalitionsgeübte Land ein veritables Patt gebracht hat. Eine zwischenzeitlich nur kommissarische Regierung
jedoch ist umso verwundbarer durch parlamentarische und politische Strategeme von Geert Wilders,
insbesondere falls Marine Le Pen tatsächlich die französische Präsidentschaft gewinnen sollte; nicht
unwahrscheinlich, dass das am Ende Neuwahlen auch in den Niederlanden und folglich noch mehr politische
Instabilität bedeuten könnte.

All diese Ereignisse umfassend und einkalkulierend kommt unsere Wahrscheinlichkeitsbaumanalyse zu einem
Auseinanderbrechen der Eurozone daher auch nach der Niederlage Wilders‘ zu einem Risiko von rd. 40%
dieses extremen ökonomischen Schocks (s. unsere Webseite für den Wahrscheinlichkeitsbaum und die dort
laufend aktualisierten Abschätzung infolge aktueller Ereignisse). Sogar für noch zuversichtlichere als die bereits
gemachten Annahmen bzgl. der Erfolgsaussichten von Le Pen oder Neuwahlen in Italien verharrt die Zahl stur
oberhalb von 35% - so stark ist die Wirkungsmacht der involvierten, kontingenten Entwicklungspfade. Es ist
daher keine Übertreibung zu sagen, dass der Euro ebenso wie die Europäische Union insgesamt der größten
Bedrohung ihres Existenz gegenüberstehen, gerade in dem Jahr, das sonst der frohe Anlass des diamantenen
Jubiläums der Union hätte sein sollen. Und Entwarnung kann frühestens ab dem regulären Wahltermin in
Italien im Frühsommer 2018 gegeben werden; bleiben Sie also wachsam.

                                                                              Zur Weltkonjunktur – März 2017
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    Statistisches Bulletin – Daten & Zahlen
    --- Das Verbrauchervertrauen in den USA steigt weiter an und bestätigt damit ein Mehrjahreshoch. Es wird
    allerdings aufschlussreich zu sehen sein, inwieweit die ersten Hürden, die der Kongress Präsident Trump in den
    Weg gestellt hat, den schäumenden Optimismus dämpfen werden. Die schwedischen Verbraucher dagegen
    pendeln bereits auf dem erreichten Stimmungslevel aus, allerdings auf ohnehin stark erhöhtem Niveau. --- Der
    Dienstleistungen-PMI in Australien deutet auf eine weitere Abschwächung der Ökonomie Down Under nach
    dem Wachstumsschock im 3. Quartal 2016 hin, als das BIP zum ersten Mal seit Jahren kontrahierte. Ein Glück
    für den fünften Kontinent also dass gerade jetzt die Bergbauinvestitionen wieder anzuziehen beginnen, um
    den Staffelstab zu übernehmen. In Spanien lautet die Überschrift zum PMI ohnehin eher „Volldampf voraus“
    denn “Erholung” in einer bereits kräftig unter Dampf stehenden Volkswirtschaft. --- Das Geschäftsklima in
    Indien – ebenso wie nahezu jede andere Statistik – trotzt allen negative Erwartungen im Gefolge der
    ‘Demonetisation’ vom vergangenen Jahr, und ist nach kurzem Schluckauf auf ein 5-Jahres-Hoch gestiegen. In
    Mexiko ist das Bild dagegen nach wie vor diffus: Während Kurzfristindikatoren wie der Wechselkurs und
    Anleiherenditen eher auf eine Erholung nach dem Trump-Schock hindeuten, fällt das Geschäftsklima auf neue
    Tiefstände. Allerdings muss man letzteres in die richtige Perspektive rücken: Es begann seinen Fall bereits vor
    der Wahl Donald Trumps, trotz intakten Wachstums und fallender Arbeitslosigkeit. Ist dies also
    möglicherweise ein frühes Warnzeichen? --- Die Bruttoinvestitionen in Japan stiegen im Schlussquartal 2016
    stärker als überwiegend erwartet. Obwohl es noch zu früh ist, um den Erfolg der Abenomics auszurufen,
    scheint damit ein weiteres, zentrales Element zu reifen. In Indien schien, wie bereits beschrieben, auch diese
    Statistik keinerlei Demonetisationsschock zu kennen und verzeichnete starkes, trendkonsistentes Wachstum.--

 Verbrauchervertrauen             Dienstleistungen PMI                   Geschäftsklima                  Bruttoinvestitionen
      (März, Pkt.)                     (Feb., Pkt.)                        (Feb., Pkt.)                   (Q4/16, real, q/q)
•USA: 97,60                    •Australien: 49,00                •Indien: 57,20                    •Japan: +0,8% 
•Schweden: 102,60              •Spanien: 57,00                   •Mexico: 43,24                    •India: +2,2% 

                                                       Verbraucherkredite
                 31,2                                          (Jan., y/y, nom., %)

                                  10,5
                                                     8,7
                                                                      6,6                5,6
                                                                                                        3,7

                 CHINA               UK          NEUSEELAND          ITALIEN           AUSTRALIEN    FRANKREICH

               Quellen: Trading Economics, bloomberg, comdirect, eigene Berechnungen

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                                                                                           Dohlenweg 10, 42115 Wuppertal
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