Zusammenhang von selbstständigen Lockerungen und Resozialisierungszielen in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg

Die Seite wird erstellt Carina Marquardt
 
WEITER LESEN
Forens Psychiatr Psychol Kriminol (2022) 16:150–164
https://doi.org/10.1007/s11757-022-00712-0

    ORIGINALARBEIT

Zusammenhang von selbstständigen Lockerungen und
Resozialisierungszielen in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg
Elisabeth Stück1        · Peer Briken1 · Franziska Brunner1

Eingegangen: 1. Dezember 2021 / Angenommen: 18. März 2022 / Online publiziert: 22. April 2022
© Der/die Autor(en) 2022

Zusammenfassung
Vollzugsöffnende Maßnahmen sollen dazu dienen, die soziale Reintegration vorzubereiten. Sie können als Erprobungsraum
dafür gelten, inwieweit sich intramural herausgearbeitete Risikofaktoren unter extramuralen Bedingungen äußern bzw. be-
reits verändert haben können. Dabei gehen Lockerungen mit einem reduzierten Rückfallrisiko und erhöhten Chancen
auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt einher. Diese Studie untersucht anhand von n = 139 bereits entlassenen männli-
chen Insassen der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg (SothA-HH) Prädiktoren für den Erhalt und die Rücknahme
selbstständiger Lockerungen. Zudem wird untersucht, wie Lockerungserhalt und -rücknahme mit den Resozialisierungs-
zielen Wohnanschrift, Beschäftigungsverhältnis und Therapieerfolg zum Zeitpunkt der Entlassung zusammenhängen. Eine
deutsche Staatsbürgerschaft und externale Schutzfaktoren (erhoben mit SAPROF [Structured Assessment of Protective
Factors for violence risk]) sind mit dem Erhalt selbstständiger Lockerungen assoziiert, wohingegen mehr Risikofaktoren
(erhoben mit R-Skala, HCR-20 [Historical Clinical Risk Management-20]) und überraschenderweise motivationale Schutz-
faktoren (SAPROF) mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für selbstständige Lockerung zusammenhängen. Eine längere
Haftstrafe und mehr Risikofaktoren (R-Skala, HCR-20) sind mit Lockerungsrücknahmen, zunehmendes Alter mit einer ge-
ringeren Wahrscheinlichkeit für Lockerungsrücknahmen assoziiert. Insassen, die selbstständige Lockerungen erhalten und
aufrechterhalten, haben zum Zeitpunkt der Entlassung häufiger ein Beschäftigungsverhältnis und schlossen die Therapie
erfolgreicher ab. Die Ergebnisse werden vor dem Hintergrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Lockerungen und
des Risk-Need-Responsivity (RNR) Modells diskutiert.

Schlüsselwörter Vollzugslockerungen · SothA · Wohnen · Arbeit · Therapieerfolg · Risk-Need-Responsivity (RNR)
Modell

 Elisabeth Stück, M.Sc. Psych.
     e.stueck@uke.de

1
     Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische
     Psychiatrie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf,
     Hamburg, Deutschland

K
Zusammenhang von selbstständigen Lockerungen und Resozialisierungszielen in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg          151

Association of unescorted temporary absence and resocialization goals in the sociotherapeutic
correctional facility of Hamburg

Abstract
During imprisonment unescorted temporary absence (TA) is intended to prepare the clients for social reintegration. This
can help to determine the extent to which risk factors that have been identified in intramural settings may become apparent
under extramural conditions or may have already changed. Furthermore, TA is associated with a reduced risk of recidivism
and increases the chances in both housing and employment. In a sample of 139 male inmates of the sociotherapeutic
correctional facility Hamburg, who had already been released, this study examined predictors for receiving and withdrawing
TA. Furthermore, the study investigated how receiving and withdrawing TA is associated with resocialization goals at the
time of release (residence, employment, treatment success). A German citizenship and external protective factors (assessed
with SAPROF [Structured Assessment of Protective Factors for violence risk]) are associated with receiving TA, whereas
more risk factors (assessed with R-scale, HCR-20 [Historical Clinical Risk Management-20]) and, surprisingly, motivational
protective factors (SAPROF) are associated with reduced likelihood of receiving TA. Regarding withdrawals of TA, the
length of imprisonment and more risk factors (R-scale, HCR-20) are associated with increased likelihood, whereby age is
associated with a decreased likelihood. Inmates who receive and maintain TAs are more likely to be employed at the time
of release and more likely to complete treatment successfully. Results are discussed in the light of the legal context for TA
and the risk-need-responsivity (RNR) model.

Keywords Temporary releases · Prison leave · Residence · Employment · Treatment success · Risk-need-responsivity
(RNR) model

Einleitung                                                            (unentschuldigte) verspätete Rückkehr oder Konsum ille-
                                                                      galer Substanzen. Die Voraussetzungen für selbstständige
Lockerungen bzw. vollzugsöffnende Maßnahmen für in-                   Lockerungen und Außenbeschäftigung [regelmäßige ex-
haftierte Personen werden als notwendige Maßnahmen zur                tramurale Beschäftigung unter Aufsicht] müssen u. a. bei
Reintegration in die Gesellschaft und zur Entlassungsvor-             Insassen, gegen die eine Untersuchungs-, Auslieferungs-
bereitung erachtet (§§ 12, 15 Hamburgisches Strafvollzugs-            oder Abschiebungshaft angeordnet ist oder die sucht- oder
gesetz [HmbStVollzG]). Dabei bieten Lockerungen ein Er-               fluchtgefährdet sind, besonders geprüft werden (u. a. Justiz-
probungsfeld, in dem unter realistischen Bedingungen ex-              behörde Hamburg 2021). Bei Missachtung von Weisungen,
tramurale Kontakte und Aktivitäten aufrechterhalten oder              Missbrauch der Maßnahmen oder mangelnder Mitwirkung
hergestellt und somit die soziale Reintegration vorbereitet           können die Lockerungen widerrufen werden (§ 12 Abs. 2
werden können (u. a. Ternes et al. 2019). Intramural för-             HmbStVollzG).
dern Lockerungen eine Strukturierung der Haftzeit und stel-              Obwohl schwerwiegende Regelverstöße und Straftaten
len bedeutsame Teilziele dar, die proaktiv von den Insas-             während Lockerungen nur sehr selten vorkommen, wur-
sen angestrebt werden können (Robert und Larrauri 2020).              de die Lockerungspraxis über die Jahre hinweg sowohl
Das Verhalten während Lockerungen dient zudem als An-                 in Deutschland als auch international zunehmend restriktiv
haltspunkt, ob intramural gezeigte positive Veränderungen             (Barry 2021; Biedermann und Rettenberger 2020; Dünkel
außerhalb der Haftanstalt aufrechterhalten werden können              et al. 2018; Robert und Larrauri 2020; Suhling und Rehder
(u. a. Endres und Breuer 2018).                                       2009). Dies trifft auch auf sozialtherapeutische Anstalten
   Bei solchen vollzugsöffnenden Maßnahmen wird unter-                und Abteilungen (Singular: SothA; Plural: SothAn) zu, die
schieden zwischen nichtselbstständigen Lockerungen unter              eine Sonderform des Strafvollzuges darstellen und mittels
Aufsicht von Begleitpersonen (Ausführung, Begleitaus-                 besonderer therapeutischer Mittel und intensiven sozialen
gang, Außenbeschäftigung) und selbstständigen Lockerun-               Hilfen die Resozialisierung rückfallgefährdeter inhaftier-
gen ohne Aufsicht (Ausgang, Freigang, Freistellung), die              ter Personen fördern. Die jährlichen Stichtagserhebungen
nur dann gewährt werden, wenn weder ein Flucht- noch                  der deutschen SothAn zeigen, dass der Anteil der Gefan-
ein Missbrauchsrisiko besteht. Selbstständige Lockerun-               genen, denen selbstständige Lockerungen gewährt wurden,
gen sind somit nur dann zu gewähren, wenn keine Gefahr                seit Ende der 1990er-Jahre bis 2006 stetig sank und seitdem
zu befürchten ist, dass sich die Insassen dem Strafvoll-              etwa 20 % beträgt. Die Quote unbegleiteter Ausgänge sank
zug entziehen oder die Vollzugslockerungen zum Begehen                von über 30 % auf die Hälfte; der Anteil der Freigänge lag
verbotenen Verhaltens missbrauchen, wie z. B. (versuch-               2019 nur noch bei 4 % (Etzler et al. 2020). Die zunehmend
te) Begehung von Straftaten, Verstoß gegen Weisungen,                 strenge Lockerungspraxis kann die Entscheidungsprozes-

                                                                                                                        K
152                                                                                                                           E. Stück et al.

Tab. 1 Übersicht des Forschungsstandes mit den Outcomes Erhalt von Lockerungen, Einhalten von Lockerungsauflagen, Lockerungsverstößen
und Rücknahmen von Lockerungen
              Merkmal                   Wissenschaftliche Befunde                              Quellen
Soziodemo-    Zunehmendes Alter         " Lockerungserhalt und Einhalten der Auflagen          Biedermann und Rettenberger 2020a; Cale
grafische                               # Lockerungsrücknahmen und Lockerungsverstöße          und Burton 2018; Cheliotis 2009; Moran
Merkmale                                                                                       und Keinänen 2012; Powers et al. 2018;
                                                                                               Rukus et al. 2016
              Andere Nationalität       # Lockerungserhalt, auch wenn Lockerungsverstöße       Dünkel et al. 2018a; Moran und Keinänen
                                        bei inländischen Insassen nicht seltener sind          2012; Rukus et al. 2016
                                        # Lockerungserhalt, insbesondere bei Abschiebebe-
                                        scheid
                                        In griechischer Studie keine Unterschiede bei Locke-   Cheliotis 2006
                                        rungserhalt zwischen in- und ausländischen Insassen
              Partnerschaft             " Lockerungserhalt (werden eher als mit sozialen       Hahn 2012; Moran und Keinänen 2012;
                                        Normen übereinstimmend wahrgenommen, solange           Rukus et al. 2016; Simons et al. 2002
                                        Beziehungen Verhalten und Einstellungen prosozialer
                                        Art unterstützen)
                                        In einer Studie # Einhalten von Lockerungsauflagen     Rukus et al. 2016
                                        (Lockerungen wurden wider den Absprachen zum
                                        Treffen der Partner:innen genutzt)
              Elternschaft              Keine Studien im Zusammenhang mit Lockerungen          Hahn 2012; Kawamura-Reindl 2019
                                        bekannt; Familie und Verantwortung durch Elternrolle
                                        hat positiven Effekt auf Resozialisierung
              Schulabschluss            " Einhalten von Lockerungsauflagen                     Cale und Burton 2018; Rukus et al. 2016
                                        In einer Studie # Einhalten von Lockerungsauflagen     Powers et al. 2018
                                        (Insassen mit Schulabschluss gehen eher einem Job
                                        nach und konnten möglicherweise deshalb Auflagen
                                        zeitlich nicht nachkommen)
              Arbeit vor der Haft       " Einhalten von Lockerungsauflagen                     Powers et al. 2018; Rukus et al. 2016
              Wohnsitz vor der Haft     " Einhalten von Lockerungsauflagen                     Powers et al. 2018; Rukus et al. 2016
              Substanzabhängigkeit      # Lockerungserhalt                                     Helmus und Ternes 2017; Powers et al. 2018
                                        # Einhalten von Lockerungsauflagen
Legalbio-     Länge der Haftstrafe      " Lockerungserhalt, da mehr Zeit, um Lockerungs-       Helmus und Ternes 2017; Suhling und
grafische                               voraussetzungen zu erfüllen                            Guéridon 2016*
Merkmale      Anzahl der Vorstrafen     # Lockerungserhalt                                     Cale und Burton 2018; Helmus und Ternes
                                                                                               2017; Moran und Keinänen 2012; Powers
                                                                                               et al. 2018
                                        In einer Studie " Lockerungserhalt (Ergebnis von       Suhling und Guéridon 2016a
                                        Autoren nicht diskutiert)
                                        # Einhalten von Lockerungsauflagen                     Biedermann und Rettenberger 2020a
              Anzahl bisheriger         # Lockerungsgewährung                                  Suhling und Guéridon 2016a
              Inhaftierungen
              Anlassdelikt              Uneindeutige Studienlage
              – Sexualdelikt            # Lockerungserhalt bei aktuellem Sexualdelikt          Cale und Burton 2018; Helmus und Ternes
                                                                                               2017; Suhling und Rehder 2009a
              – Gewaltdelikt            " Lockerungserhalt                                     Helmus und Ternes 2017
                                        # Lockerungserhalt                                     Cale und Burton 2018
                                        # Einhalten von Lockerungsauflagen
              – Sonstiges Delikt        # Lockerungserhalt (Eigentumsdelikte, Einbrüche,       Cheliotis 2009; Dünkel et al. 2018a
                                        Verstöße gegen das BtMG)
Risiko- &     Risikofaktoren            # Lockerungserhalt bei hohem Rückfallrisiko            Barry 2021; Suhling und Rehder 2009a
Schutz-                                 # Einhalten von Lockerungsauflagen bei hohem           Cale und Burton 2018
faktoren                                Rückfallrisiko
                                        " Lockerungserhalt bei niedrigem oder moderatem        Helmus und Ternes 2017; Symkovych 2020
                                        Rückfallrisiko
              Schutzfaktoren            Keine Studien im Zusammenhang mit Lockerungen          Klepfisz et al. 2017; Olver und Riemer 2021;
                                        bekannt; jedoch positiver Einfluss auf Behandlungs-    Yoon et al. 2011
                                        motivation und Reduzierung der Rückfälligkeit
Anm. " = „höhere Wahrscheinlichkeit für“; # = „geringere Wahrscheinlichkeit für“
a
  Studie bezieht sich auf Lockerungen im deutschen Strafvollzug

K
Zusammenhang von selbstständigen Lockerungen und Resozialisierungszielen in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg         153

se von Lockerungsgewährungen für die Insassen weniger                 et al. 2016), welches seit 2010 fortlaufend im Auftrag der
nachvollziehbar machen und sich negativ auf Reintegrati-              Behörde für Justiz und Verbraucherschutz der Freien und
onsprozesse auswirken (z. B. Aufbau/Erhalt beruflicher und            Hansestadt Hamburg von Mitarbeitenden des Instituts für
privater Netzwerke; Barry 2021).                                      Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychi-
   Zudem stehen diesen Entwicklungen empirische Befun-                atrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
de hinsichtlich positiver Effekte von gewährten Lockerun-             durchgeführt wird. Ein positives Votum der Ethikkommis-
gen gegenüber. So sinkt beispielsweise die Rückfallrate ge-           sion der Psychotherapeutenkammer Hamburg liegt vor. Al-
lockerter Insassen ein Jahr nach der Entlassung, wobei der            len Neuzugängen der SothA-HH wird in den ersten Wo-
Effekt mit der Anzahl der Lockerungen und deren zeitli-               chen nach der Aufnahme ein Gespräch zur Eingangstes-
cher Nähe zur Entlassung steigt (Hillier und Mews 2018).              tung angeboten. Die Datenerhebung erfolgt durch in krimi-
Auch wenn sich Vollzugsform und Lockerungspraxis von                  nalprognostischen Instrumenten geschulte Psycholog:innen
Land zu Land teils stark unterscheiden, wird der positive             und umfasst ein ausführliches Aktenstudium (Gefangenen-
Effekt von Lockerungen auf die Reduktion der Rückfall-                personalakte inkl. Urteil, Bundeszentralregisterauszug, ggf.
quoten und die erhöhten Chancen auf dem Wohnungs- und                 Gutachten) und ein Interview im Einzelsetting (orientiert an
Arbeitsmarkt übereinstimmend bestätigt (Cheliotis 2008;               PCL-R- und Stable-2007-Interview), in dem sozidemogra-
Helmus und Ternes 2017; Suhling und Guéridon 2016; Suh-               fische, legalbiografische sowie Risiko- und Schutzfaktoren
ling und Rehder 2009; Robert und Larrauri 2020; Ternes                erhoben werden.
et al. 2019). Da sich international kein einheitlicher Begriff
für Lockerungen etablierte, gibt Tab. 1 eine Übersicht über           Stichprobe
nationale und internationale Studienergebnisse, bei denen
inhaftierten Personen zum Zweck der Reintegration zeit-               Von Dezember 2010 bis November 2019 nahmen 333
lich begrenzte extramurale Aufenthalte erlaubt waren, die             männliche Probanden, die in die SothA-HH verlegt wur-
bei Verstößen zurückgezogen werden konnten. Die Studien               den, am Forschungsprojekt teil. In die SothA-HH werden
fokussieren dabei Gefängnispopulationen, unabhängig von               gemäß § 10 HmbStVollzG obligatorisch die Personen ver-
Geschlecht und Art des Deliktes. Die wenigen deutschen                legt, die aufgrund einer Sexualstraftat zu mindestens 2
Studien zu Lockerungsprozessen in Justizvollzugsanstalten             Jahren Haft verurteilt wurden. Zusätzlich können sich Ver-
(Dünkel et al. 2018) und SothAn (Biedermann und Ret-                  urteilte anderer Straftatgruppen bzw. kürzerer Haftstrafen
tenberger 2020; Suhling und Guéridon 2016; Suhling und                auf die freien Plätze bewerben, wenn die besonderen thera-
Rehder 2009) sind in Tab. 1 hervorgehoben.                            peutischen Mittel und sozialen Hilfen der Anstalt zu ihrer
                                                                      Resozialisierung angezeigt sind. Für die vorliegende Studie
                                                                      wurden in einer einmaligen Nacherhebung im November
Studienziel                                                           2019 die Akten von 142 Probanden ausgewertet, die be-
                                                                      reits aus der SothA-HH entlassen worden waren. Von den
Während der wissenschaftliche Fokus oft auf vorzeitigen               Lockerungsanalysen wurden 2 Insassen ausgeschlossen, da
Entlassungen oder Legalprognosen liegt, besteht weiterhin             sie bis zur Entlassung weniger als 6 Monate in der SothA-
eine Forschungslücke hinsichtlich Lockerungen in Gefäng-              HH verblieben, sowie ein Insasse, dessen Erhebungsbo-
nissen und deren Zusammenhang mit Resozialisierungs-                  gen nicht vollständig ausgefüllt wurde. Somit konnte eine
zielen. Deshalb untersucht die vorliegende Studie, welche             Stichprobe von n = 139 Insassen ausgewertet werden.
Faktoren in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg
(SothA-HH) mit (1) dem Erhalt und (2) der Rücknahme                   Datenerhebung zum Zeitpunkt der SothA-Aufnahme
selbstständiger Lockerungen zusammenhängen, und (3) wie
Erhalt und Rücknahme von selbstständigen Lockerungen                  Soziodemografische und legalbiografische Daten Mittels
mit den Resozialisierungszielen Wohnanschrift, Beschäf-               eines standardisierten Dokumentationsbogens wurden fol-
tigungsverhältnis und Therapieerfolg zum Zeitpunkt der                gende soziodemografische Daten erhoben: Alter in Jahren
Entlassung assoziiert sind.                                           zum Zeitpunkt der Testung, Staatsbürgerschaft (0: nicht
                                                                      deutsch; 1: deutsch), Beziehungsstatus verheiratet und/
                                                                      oder zusammenlebend (0: nein; 1: ja), Kinder (leibliche,
Methode                                                               Adoptiv-, Stief- oder Pflegekinder; 0: nein; 1: ja), Schul-
                                                                      abschluss (0: kein Schulabschluss; 1: Hauptschulabschluss
Forschungsprojekt                                                     oder höher), Wohnsitz vor Inhaftierung (0: nein; 1: ja).
                                                                      Substanzmissbrauch (0: nein; 1: ja) wurde als eine le-
Die Studie ist Teil des Forschungsprojektes „Evaluation               benslange psychische und Verhaltensstörung aufgrund des
der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg“ (vgl. Brunner              Konsums psychoaktiver Substanzen definiert (ICD-10-

                                                                                                                        K
154                                                                                                                  E. Stück et al.

Kriterien für schädlichen Gebrauch oder Abhängigkeits-             vorhanden) und den 3 Subskalen internale, motivationale
syndrom). Zudem wurden folgende legalbiografische Daten            und externale Schutzfaktoren zugeordnet.
erfasst: Anzahl der Vorverurteilungen, Länge der aktuellen
Haftstrafe in Monaten, Art des Anlassdelikts (Sexualdelikt,        Datenerhebung nach erfolgter Entlassung
nichtsexuelles Gewaltdelikt, sonstiges Delikt).
                                                                   Erhalt und Rücknahme selbstständiger Lockerungen Nach
Risiko- und Schutzfaktoren Risikofaktoren für allgemein            Aktenlage wurde die höchste Lockerungsstufe während der
gewalttätiges sowie sexuell gewalttätiges Verhalten wurden         Gesamthaftzeit und zum Zeitpunkt der Entlassung erhoben.
mit dem Prognoseinstrument Historical Clinical Risk Ma-            Gemäß §§ 12, 15 HmbStVollzG wurde dabei unterschieden.
nagement-20 (HCR-20; dt. Version: Müller-Isberner et al.           zwischen Insassen, die die SothA-HH selbstständig verlas-
1998) erfasst. Auf einer 3-stufigen Skala (0: nicht vorhan-        sen durften (unbegleiteter Ausgang, Freistellung, Freigang),
den, 1: möglicherweise/teilweise vorhanden, 2: vollständig         und denjenigen, die keine Lockerungen oder ausschließlich
vorhanden) werden 20 Items eingeschätzt, die den histori-          nichtselbstständige Lockerungen erhielten (gefesselten oder
schen Risikofaktoren (H-Skala), klinischen Risikofaktoren          ungefesselten Ausführungen, zweckgebundene Ausgänge).
(C-Skala) und Faktoren des Risikomanagements (R-Skala)             Zudem wurde dichotom erhoben, ob es im Laufe der Inhaf-
zugeordnet werden.                                                 tierung jemals eine selbstständige Lockerung gab (0: nein;
    Schutzfaktoren, die das Risiko für zukünftiges gewalt-         1: ja), und ob es mindestens einmal, wenn auch nur tempo-
tätiges Verhalten reduzieren sollen, wurden durch das              rär, eine Rücknahme der maximal erreichten selbstständigen
Structured Assessment of Protective Factors for violence           Lockerungsstufen gab (0: nein; 1: ja).
risk (SAPROF; dt. Version: Spehr und Briken 2010) er-
fasst. Auf einer 3-stufigen Skala wird die Ausprägung              Resozialisierungsziele Wohnanschrift bei Entlassung (0:
von 17 Schutzfaktoren eingeschätzt (0: nicht vorhanden,            nein; 1: ja) erfasst, ob ein sicherer Wohnraum für die Zeit
1: möglicherweise / teilweise vorhanden, 2: vollständig            nach der Inhaftierung vorliegt (eigene Wohnung; Einzug

Tab. 2 Stichprobenbeschreibung (n = 139)
                                     Gesamtstichprobe      Selbstständige Lockerung   Keine selbstständige Lo-
                                     (n = 139)             (n = 79)                   ckerung (n = 60)
Soziodemografische Daten             n       M ± SD o. %   n       M ± SD o. %        n       M ± SD o. %        t o. χ2    d o. V
Alter bei Testung                    139     37,5 ± 12,3   79      37,4 ± 11,6        60      37,5 ± 13,2        0,04       –
Deutsche Staatsbürgerschaft          95      68,3          62      78,5               33      55                 8,69*      0,25
Verheiratet/zusammenlebenda          53      38,1          30a     38                 23      38,3               0          –
Kinder                               68      48,9          34      43                 34      56,7               2,54       –
Schulabschluss                       104     74,8          65      82,3               39      65                 5,4*       0,2
Substanzmissbrauch                   67      48,2          37      46,8               30      50                 0,14       –
Legalbiografische Daten              n       M ± SD o. %   n       M ± SD o. %        n       M ± SD o. %        t o. χ2    d o. V
Anzahl Vorverurteilungen             139     4,8 ± 5,8     79      4,5 ± 5,8          60      5,2 ± 6,0          0,69       –
Länge der Haftstrafe                 139     46,5 ± 27,9   79      48,3 ± 29,1        60      44,2 ± 26,5        0,87       –
Anlassdelikt
– Sexualdelikt                       88      63,3          51      64,6               37      61,7               0,34       –
– Gewaltdelikt                       36      25,9          19      24,1               17      28,3
– Sonstiges Delikt                   15      10,8          9       11,4               6       10
Risiko- und Schutzfaktorenb          n       M ± SD        n       M ± SD             nb      M ± SD             t          d
HCR-20, Summe                        79      16,7 ± 6,7    79      15,5 ± 6,1         58      18,3 ± 7,1         2,46*      0,43
– H-Skala                            79      8,6 ± 4,0     79      8,1 ± 3,6          58      9,4 ± 4,3          1,85       –
– C-Skala                            79      3,2 ± 1,9     79      2,9 ± 1,8          58      3,6 ± 1,9          2,03*      0,38
– R-Skala                            79      4,9 ± 1,9     79      4,5 ± 1,7          58      5,4 ± 2,0          2,81*      0,49
SAPROF, Summe                        79      15,4 ± 3,9    79      15,8 ± 3,8         58      14,9 ± 4,1         1,27       –
– Internal                           79      4,4 ± 1,5     79      4,5 ± 1,5          58      4,2 ± 1,5          1,01       –
– Motivational                       79      5,0 ± 2,2     79      5,0 ± 2,0          58      5,1 ± 2,5          0,26       –
– External                           79      6,0 ± 1,2     79      6,3 ± 1,2          58      5,6 ± 1,0          3,59**     0,63
a
 Ein fehlender Wert
b
 Jeweils 2 fehlende Werte
*Sign. für p ≤ 0,05; **sign. für p < 0,001

K
Zusammenhang von selbstständigen Lockerungen und Resozialisierungszielen in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg                         155

Tab. 3 Modell mit bester Passung der logistischen Regression zu          Tab. 4 Auffälligkeiten während Lockerungen in der Gruppe der
Erhalt selbstständiger Lockerungen (n = 136)                             Insassen mit Lockerungsrücknahme (n = 25), Mehrfachnennung
                                         OR          95 %-KI             möglich

Deutsche Staatsbürgerschaft              3,93*       [1,62; 9,56]        Auffälligkeiten während Lockerungen                      n (%)
Kinder                                   0,45        [0,20; 1,02]        Konsum von Alkohol/Drogen                                10 (30,0)
Schulabschluss                           2,38        [0,95; 5,97]        Verspätete Rückkehr                                      4 (12,1)
Länge der aktuellen Haftstrafe           1,01        [1,00; 1,03]        Nichtrückkehr/Flucht                                     2 (6,0)
HCR-20                                                                   Begehung einer Straftat (Raub)                           1 (3,0)
– R-Skala                                0,70*       [0,53; 0,91]        Verdacht der Begehung einer Straftat a                   3 (9,1)
SAPROF                                                                   Besitz unerlaubter Gegenstände                           2 (6,0)
– Motivational                           0,69*       [0,54; 0,89]        Unregelmäßigkeiten mit Arbeitgeber:in b                  3 (9,1)
– External                               2,02*       [1,29; 3,16]        Sonstige Unregelmäßigkeiten c                            4 (12,1)
                                                                         a
Anm. Modell mit bester Passung. n = 3 Fälle enthielten einen fehlenden     Verdacht auf Betrug, Beleidigung und nicht näher definierte Straftat
                                                                         b
Wert und wurden von den Analysen ausgeschlossen. Nagelkerkes               Unentschuldigte Abwesenheit, falsche Angabe zu Terminen
                                                                         c
R2 = 0,36, Modell χ2(7) = 41,79, p < 0,001                                 Absetzen der Medikamente ohne Rücksprache mit Anstalt,
OR „odds ratio“, KI Konfidenzintervall                                   Geldwetten, über längere Zeit nicht erreichbar, sonstige nichtdefinierte
*Sign. für p ≤ 0,05                                                      Unregelmäßigkeiten in der Wahrnehmung des Ausgangs

bei Partner:in, Eltern, Verwandten; betreutes Wohnen). Be-               Ergebnisse
schäftigung bei Entlassung (0: nein; 1: ja) liegt vor, wenn
eine Arbeitsstelle, ein Schul- oder Ausbildungsplatz sicher              Erhalt selbstständiger Lockerungen
oder sehr wahrscheinlich ist.
   Therapieerfolg aus Sicht der Behandler:innen (1: unzu-                Von n = 139 Insassen erhielten n = 79 Probanden (57 %) im
reichender Therapieerfolg; 2: teilweise erfolgreiche The-                Laufe der Haftzeit jemals selbstständige Lockerungen und
rapie; 3: größtenteils erfolgreiche Therapie; 4: erfolgreiche            n = 60 Probanden (43 %) keine bzw. ausschließlich nicht-
Therapie) wurde retrospektiv anhand der Behandlungs- und                 selbstständige Lockerungen. In der Gruppe mit selbststän-
Entlassungsberichte (verfasst von den Behandler:innen der                digen Lockerungen ist der Anteil an Probanden mit deut-
Insassen) von den Projektmitarbeiterinnen kodiert, die nicht             scher Staatsbürgerschaft und Schulabschluss höher (Tab. 2).
an der Behandlung der SothA-HH beteiligt sind. Die 4-stu-                Zudem weist die Gruppe mit selbstständigen Lockerungen
fige Skala wurde mittels prägnanter Beispielsätze aus den                ein niedrigeres Gewaltrisiko (HCR-20 Summe; klinische
Akten beschrieben (s. Anhang), eine gute Interrater-Relia-               Risikofaktoren; Risikomanagement) und signifikant mehr
bilität konnte nachgewiesen werden (Fleiss’ kappa = 0,68,                externale Schutzfaktoren auf (SAPROF).
K = 3, n = 44).                                                             Eine deutsche Staatsbürgerschaft und externale Schutz-
                                                                         faktoren hängen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für
Statistische Analysen                                                    den Erhalt selbstständiger Lockerungen zusammen, wo-
                                                                         hingegen mehr Risikofaktoren im Risikomanagement und
Gruppenunterschiede wurden mittels t-Tests für unabhän-                  motivationale Schutzfaktoren mit einer geringeren Wahr-
gige Stichproben und χ2-Tests berechnet; das Signifikanz-                scheinlichkeit für selbstständige Lockerung assoziiert sind
niveau wurde auf α = 0,05 festgelegt. Bei signifikanten                  (Tab. 3).
Gruppenunterschieden wurden die Effektstärken mittels
Cohens d (kleiner, mittlerer und starker Effekt bei d = 0,20,            Rücknahme selbstständiger Lockerungen
0,50 und 0,80; Cohen 1992) bzw. Cramers V (kleiner, mitt-
lerer und starker Effekt bei V = 0,07, 0,21 und 0,35; Kim                Abb. 1 zeigt die maximal erreichten Lockerungsstufen wäh-
2017) berechnet.                                                         rend der Gesamthaftzeit und zum Zeitpunkt der Entlassung.
   Für die Vorhersage des Erhalts und der Rücknahme                      Von den n = 79 Insassen, die im Verlauf ihrer Haftstrafe
selbstständiger Lockerungen wurden logistische Regres-                   eine selbstständige Lockerungsstufe erreichten, befanden
sionen berechnet; einbezogen wurden alle Variablen, die                  sich n = 71 Insassen auch zum Zeitpunkt der Entlassung
in Tab. 2 bzw. 5 aufgeführt sind. Die Modelle mit bester                 in selbstständiger Lockerung. Während der Gesamthaftzeit
Passung (Tab. 3 und 6) wurden durch eine Rückwärtseli-                   konnten n = 33 Insassen (42 %) ihre höchste Lockerungs-
mination der Variablen per Likelihood-Ratio-Test ermittelt.              stufe nicht beibehalten und wurden (zwischenzeitlich) auf
Alle Datenanalysen wurden mit IBM SPSS Statistics Ver-                   eine niedrigere Lockerungsstufe zurückgestuft. Von diesen
sion 26 für Windows durchgeführt.                                        erlangten zum Zeitpunkt der Entlassung n = 24 ihre maxi-
                                                                         mal erreichte selbstständige Lockerung zurück; ein Insasse

                                                                                                                                    K
156                                                                                                                          E. Stück et al.

Tab. 5 Beschreibung der Insassen mit und ohne Rücknahme selbstständiger Lockerungen während der Gesamthaftzeit (n = 79)
                                 Keine Lockerungsrücknahme (n = 46)         Lockerungsrücknahme (n = 33)
Soziodemografische Daten         n                      M ± SD o. %         n                  M ± SD o. %         t o. χ2        d o. V
Alter bei Testung                46                     40,0 ± 12,3         33                 33,9 ± 9,6          2,39*          0,54
Deutsche Staatsbürgerschaft      37                     80,4                25                 75,8                0,25           –
Verheiratet/zusammenlebend       15                     32,6                15a                45,5                1,62           –
Kinder                           19                     41,3                15                 45,5                0,14           –
Schulabschluss                   39                     84,8                26                 78,8                0,47           –
Substanzmissbrauch               17                     37,0                20                 60,6                4,32*          0,23
Legalbiografische Daten          n                      M ± SD o. %         n                  M ± SD o. %         t o. χ2        d o. V
Anzahl, Vorverurteilungen        46                     3,7 ± 5,3           33                 5,7 ± 6,3           1,52           –
Länge der Haftstrafe             46                     44,9 ± 32,7         33                 53,1 ± 22,8         1,24           –
Anlassdelikt
– Sexualdelikt                   32                     69,6                19                 57,6                1,38           –
– Gewaltdelikt                   10                     21,7                9                  27,3
– Sonstiges Delikt               4                      8,7                 5                  15,2
Risiko- und Schutzfaktoren       n                      M ± SD              n                  M ± SD              t              d
HCR-20, Summe                    46                     13,8 ± 6,4          33                 17,8 ± 5,0          3,01*          0,68
– H-Skala                        46                     7,2 ± 3,8           33                 9,3 ± 3,1           2,57*          0,60
– C-Skala                        46                     2,5 ± 1,8           33                 3,4 ± 1,8           2,12*          0,50
– R-Skala                        46                     4,0 ± 1,7           33                 5,1 ± 1,5           3,00*          0,68
SAPROF, Summe                    46                     16,5 ± 4,0          33                 14,7 ± 3,3          2,15*          0,48
– Internal                       46                     4,7 ± 1,6           33                 4,2 ± 1,3           1,59           –
– Motivational                   46                     5,4 ± 2,2           33                 4,4 ± 1,5           2,37*          0,52
– External                       46                     6,4 ± 1,2           33                 6,2 ± 1,3           0,088          –
a
 Variablen enthalten jeweils einen fehlenden Wert
*Sign. für p ≤ 0,05

Tab. 6 Modell mit bester Passung der logistischen Regression zu       möglich). Bei 2 Insassen führten diese zu keiner Locke-
Rücknahme selbstständiger Lockerungen (n = 78)
                                                                      rungsrücknahme (2-mal verspätete Rückkehr, davon einmal
                                        OR          95 %-KI
                                                                      zudem Anklageerhebung seitens der Staatsanwaltschaft
Alter bei Testung                       0,92*       [0,86; 0,98]      wegen Verdacht der Straftatbegehung); für 25 Insassen
Kinder                                  3,23        [0,94; 11,11]     resultierten sie in einer Lockerungsrücknahme (Gründe in
Länge der aktuellen Haftstrafe          1,02*       [1,00; 1,05]      Tab. 4). Für weitere 5 Insassen resultierte die Lockerungs-
Anlassdelikt                                                          rücknahme aus Verlegungen in andere Haftanstalten, die
– Sexualdelikt                          –           –                 laut Aktenlagen jedoch nicht durch Unregelmäßigkeiten
– Gewaltdelikt                          0,38        [0,08; 1,70]      während Lockerungen begründet werden. Drei Insassen
– Sonstiges Delikt                      3,80        [0,67; 21,50]     wurden zwischenzeitlich Lockerungen entzogen, ohne dass
HCR-20                                                                in den Akten der Nacherhebung Hinweise auf Lockerungs-
– R-Skala                               1,60*       [1,13; 2,29]      verstöße oder eine Verlegung notiert sind.
Anm. Modell mit bester Passung. n = 1 Fall enthielt einen fehlenden      Die Gruppe mit Lockerungsrücknahmen ist jünger, be-
Wert „missing“ und wurde von den Analysen ausgeschlossen.             kam häufiger einen schädlichen Substanzmissbrauch dia-
Nagelkerkes R2 = 0,33, Modell χ2(6) = 21,8, p = 0,001
OR „odds ratio“, KI Konfidenzintervall
                                                                      gnostiziert und zeigte sowohl im Gesamtwert als auch in
*Sign. für p ≤ 0,05                                                   den Subskalen der HCR-20 höhere Werte (Tab. 5). Zu-
                                                                      dem weist die Gruppe weniger Schutzfaktoren auf, sowohl
                                                                      im SAPROF-Gesamtwert als auch in den motivationalen
wurde mit einer niedrigeren selbstständigen Lockerungsstu-            Schutzfaktoren.
fe und 8 Insassen wurden ohne selbstständige Lockerung                   Sowohl eine längere Haftstrafe als auch mehr Risikofak-
entlassen (Abb. 1).                                                   toren der R-Skala (HCR-20) hängen mit einer Lockerungs-
   Insgesamt wurden in der Gruppe mit selbstständigen                 rücknahme zusammen (Tab. 6). Demgegenüber ist zuneh-
Lockerungen (n = 79) in den Akten von n = 27 Insassen Lo-             mendes Alter mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit der
ckerungsverstöße vermerkt (Mehrfachnennung der Gründe                 Lockerungsrücknahme assoziiert.

K
Zusammenhang von selbstständigen Lockerungen und Resozialisierungszielen in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg                            157

                           Maximal erreichte Lockerungsstufe                            nicht eingeschätzt werden konnte und 13 Insassen, die
                70
                                                                                        keine Therapie erhielten.
                60
                50
                                                                                           In beiden Gruppen wurde der Großteil der Insassen mit
                40                                                                      einer Wohnanschrift entlassen. Demgegenüber hatten in der
           n    30                                                                      Gruppe mit selbstständigen Lockerungen mehr Personen
                20
                10
                                                                                        ein Beschäftigungsverhältnis und der Therapieerfolg wurde
                 0                                                                      höher eingeschätzt (Tab. 7).
                           keine
                       selbstständige
                                         unbegleiteter
                                           Ausgang
                                                         Freistellung   Freigang           Die Analysen zum Zusammenhang zwischen Locke-
                         Lockerung
  Gesamthaftzeit (n)         60               26               5          48
                                                                                        rungsrücknahme und Resozialisierungszielen beziehen sich
  bei Entlassung (n)         68               24               4          42            ausschließlich auf die n = 79 Insassen, denen während
                                                                                        der Gesamthaftzeit eine selbstständige Lockerung gewährt
Abb. 1 Max. Lockerungsstufe während der Gesamthaftzeit (n = 139)
und zum Zeitpunkt der Entlassung (n = 138, ein fehlender Wert)
                                                                                        wurde. Von der Analyse zur Wohnanschrift (n = 78) wurde
                                                                                        ein Insasse ausgeschlossen, der direkt im Anschluss erneut
                                                                                        inhaftiert wurde. Gleiches gilt für die Variable Beschäfti-
Zusammenhang von Lockerungen und                                                        gungsverhältnis (n = 72), wobei zusätzlich 4 Insassen wegen
Resozialisierungszielen                                                                 Abschiebung von der Analyse ausgeschlossen wurden. Von
                                                                                        den n = 79 selbstständig gelockerten Insassen erhielten
Von der Berechnung des Zusammenhangs des Erhalts                                        n = 72 eine sozialtherapeutische Behandlung, deren Thera-
selbstständiger Lockerungen und einer Wohnanschrift nach                                pieerfolg zum Zeitpunkt der Entlassung eingeschätzt wurde.
Entlassung (n = 121) wurden 17 Personen der Gesamtstich-                                   Während in beiden Gruppen der Großteil der Insassen
probe ausgeschlossen, die bei der Entlassung aus der So-                                mit einer Wohnanschrift entlassen wird, haben in der Grup-
thA-HH in ein Land außerhalb Deutschlands abgeschoben                                   pe ohne Lockerungsrücknahme mehr Personen ein Beschäf-
wurden, sowie eine Person, die direkt erneut inhaftiert wur-                            tigungsverhältnis und der Therapieerfolg wurde größer ein-
de. Von der Berechnung des Zusammenhangs des Erhalts                                    geschätzt (Tab. 8).
selbstständiger Lockerungen und einem Beschäftigungsver-
hältnis nach der Entlassung (n = 108) wurden zusätzlich zu
den 18 Personen, die von den Analysen der Wohnanschrift                                 Diskussion
ausgeschlossen wurden, 13 weitere Insassen ausgeschlos-
sen, für die ein Beschäftigungsverhältnis aufgrund von                                  Selbstständige Lockerungen können ein geeignetes Mittel
Rentenalter, fehlender Arbeitserlaubnis oder Erkrankung                                 für den schrittweisen Übergang aus der Inhaftierung hin
nicht angestrebt wurde. Insgesamt n = 119 Insassen erhiel-                              zur Reintegration in die Gesellschaft sein. Soziale Kontak-
ten eine sozialtherapeutische Behandlung (Einzel- und/oder                              te können geknüpft, gepflegt und gestärkt werden sowie
Gruppentherapie), deren Therapieerfolg zum Zeitpunkt der                                Wohn- und Beschäftigungsverhältnisse für die Zeit nach
Entlassung aus Sicht der Behandler:innen eingeschätzt                                   der Haft organisiert werden. Darüber hinaus können Be-
wurde. Nicht berücksichtigt wurden in dieser Analyse 7                                  handler:innen wichtige Informationen über das extramu-
Insassen, für die der Behandlungserfolg nach Aktenlage                                  rale Verhalten in Risikosituationen der Insassen erlangen.

Tab. 7 Zusammenhang zwischen Erhalt selbstständiger Lockerungen und Erreichen von Resozialisierungszielen
                                        Selbstständige Lockerung                   Keine selbstständige Lockerung
                                        n               % o. M ± SD                n                 % o. M ± SD         χ2 o. t        V o. d
Wohnanschrift                           67                85,9                     35               81,4                 0,42           0,06
Beschäftigung                           50                67,6                     10               29,4                 13,7**         0,36
Therapieerfolg                          72                2,5 ± 1,0                47               1,8 ± 0,7            4,25**         0,80
**Sign. für p < 0,001

Tab. 8 Zusammenhang zwischen Lockerungsrücknahme und Erreichen von Resozialisierungszielen
                                        Keine Lockerungsrücknahme                  Lockerungsrücknahme
                                        n             % o. M ± SD                  n               % o. M ± SD           χ2 o. t        V o. d
Wohnanschrift                           40                87,0                     27               84,4                 0,1            0,04
Beschäftigung                           34                81,0                     16               50,0                 7,9*           0,33
Therapieerfolg                          41                2,7 ± 1,0                31               2,1 ± 0,9            2,66*          0,63
*Sign. für p < 0,05

                                                                                                                                         K
158                                                                                                                   E. Stück et al.

Zur Stichtagserhebung 2020 erhielten 19 % der bundes-           tizbehörde Hamburg 2018). In § 53 des Aufenthaltsgesetzes
weiten SothA-Insassen selbstständige Lockerungen und so-        (AufenthG) ist festgelegt, dass eine Ausweisung im Einzel-
mit 81 % keine selbstständigen Lockerungen (Etzler et al.       fall hinsichtlich der bisherigen Aufenthaltsdauer, der per-
2020). Auch wenn die Lockerungsdaten zu einem Stich-            sönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen ge-
tag nur eingeschränkt mit den Lockerungsdaten während           prüft werden muss. Dabei steht das öffentliche Auswei-
der Gesamthaftzeit verglichen werden können, bietet die         seinteresse (§ 54 AufenthG) dem privaten Bleibeinteresse
vorliegende Studie Hinweise dafür, dass die oft kritisierte     (§ 55 AufenthG) gegenüber. Einerseits können schwerwie-
restriktive Lockerungspolitik die Population der SothA-HH       gende Gründe zu einer Ausweisung nichtdeutscher Insassen
nur bedingt betrifft: 57 % der SothA-HH-Insassen befan-         führen: u. a. Verurteilung zu mindestens 2 Jahren Haftstra-
den sich im Laufe der Haft in selbstständiger Lockerung,        fe, Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrt-
43 % erhielten keine selbstständigen Lockerungen. Über die      heit oder sexuelle Selbstbestimmung. Diese zu prüfenden
Hälfte der untersuchten Stichprobe hat somit unbegleite-        Ausweisungsgründe betreffen aufgrund der in § 10 HmbSt-
te vollzugsöffnende Maßnahmen erhalten, welche bereits          VollzG genannten Gründe, die zu einer Verlegung in ei-
während der Inhaftierung Perspektiven für ein normkon-          ne SothA führen, offenbar viele der SothA-HH-Insassen.
formes Leben gewährleisten, was sich wiederum positiv           Je verfestigter demgegenüber der Aufenthalt in Deutsch-
auf die Motivation der Insassen auswirken kann, aktiv am        land ist und je integrierter die betreffende Person ist, desto
Resozialisierungsprozess und dem Erreichen verschiedener        schwerer wiegen in der Regel die privaten Bleibeinteres-
Resozialisierungsziele mitzuwirken (Barry 2021; Carl et al.     sen. Eine positive Legalprognose kann durch Lockerungen
2016; Robert und Larrauri 2020; Ternes et al. 2019).            gezielt gefördert und aufrechterhalten werden und reduziert
   Entsprechend den Qualitätsstandards für Lockerungsbe-        die Wahrscheinlichkeit einer Ausweisung (Schmidt 2016).
gutachtungen durch Sachverständige (Kröber et al. 2019)         Werden demgegenüber ausländische Insassen von Locke-
werden auch in SothAn geeignete Prognoseinstrumente im          rungen ausgeschlossen, kann sich dies negativ auf die Mo-
Rahmen der Eingangs- und Verlaufsdiagnostik angewen-            tivation auswirken und zu Zukunftsängsten führen, die das
det, auf die bei der Einschätzung der Lockerungseignung         Erreichen der Vollzugsziele erschweren und somit einer po-
zurückgegriffen wird (Etzler und Rettenberger 2020). Der        sitiven Legalprognose im Wege stehen (Schmidt 2016). In
aktuelle Forschungsstand zeigt, dass vorwiegend Insassen        der untersuchten Stichprobe erhielten 39 % der nichtdeut-
mit geringem Rückfallrisiko selbstständige Lockerungen er-      schen Klienten selbstständige Lockerungen, was auf eine
halten (Barry 2021; Helmus und Ternes 2017; Suhling und         individuelle Prüfung der Lockerungseignung unabhängig
Rehder 2009; Symkovych 2020). Auch in der vorliegenden          von der Staatsbürgerschaft und gemäß den gesetzlichen
Studie weisen Insassen, denen selbstständige Lockerungen        Vorgaben hinweist.
gewährt werden, weniger Risiko- und mehr Schutzfakto-               Weiterhin hängen in der vorliegenden Studie Faktoren
ren auf. Diese Ergebnisse erschließen sich unmittelbar mit      des Risikomanagements (R-Skala des HCR-20) negativ mit
Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen: So müs-            dem Erhalt von Lockerungen zusammen. Zu den Risiko-
sen Flucht- und Missbrauchsrisiko ausreichend gering sein,      faktoren gehören folgende potenziell destabilisierende Be-
um Lockerungen gewähren und aufrechterhalten zu dür-            dingungen: (1) individuelle Stressmomente, mit deren Be-
fen (§ 12 HmbStVollzG). Die Ergebnisse der vorliegenden         lastung die Klienten nicht angemessen umgehen können,
Studie zeigen darüber hinaus, dass die Chancen auf Locke-       (2) destabilisierende Einflüsse (z. B. Drogen, kriminelles
rungen und die Aufrechterhaltung ebendieser in der SothA-       Milieu), ohne dass spezialisierte Unterstützungsprogramme
HH nicht ausschließlich vom Rückfallrisiko abhängen.            zur Verfügung stehen, (3) ein Mangel an einem prosozia-
                                                                len, unterstützenden sozialen Netzwerk, (4) professioneller
Erhalt selbstständiger Lockerungen                              Hilfe oder (5) Motivation und Bereitschaft, die empfoh-
                                                                lene Behandlung/Nachsorge mitzutragen (Müller-Isberner
Als stärkster Prädiktor für selbstständige Lockerungen zeigt    et al. 1998). Da diese Faktoren zur Vorhersage des zukünf-
sich die deutsche Staatsbürgerschaft. Im Einklang mit frü-      tigen kriminellen Verhaltens vor dem Hintergrund der zu
heren Studien (Dünkel 2004; Moran und Keinänen 2012)            erwartenden äußeren Umstände eingeschätzt werden, ist es
erhalten auch in der vorliegenden Studie ausländische Insas-    wenig überraschend, dass ihnen bezüglich Lockerungsent-
sen wesentlich seltener selbstständige Lockerungen. Dies        scheidungen eine zentrale Rolle zukommt.
kann mit der Formulierung zur Fluchtgefahr während Lo-              Demgegenüber sind externale Schutzfaktoren1 (SAPROF)
ckerungen zusammenhängen (§ 12 Abs. 1 Satz 3 HmbSt-             positiv mit dem Erhalt selbstständiger Lockerungen as-
VollzG), die besonders bei Insassen geprüft werden soll, für    1 Da der Aufenthalt in der SothA-HH für alle Insassen per Definition
die eine Ausweisung, Auslieferung oder Abschiebung ver-
                                                                einen Schutzfaktor darstellt und somit die Items „Wohnsituation“ und
mutet bzw. entschieden ist (s. hierzu z. B. die zum Zeitpunkt   „Aufsicht“ kaum Varianz aufweisen, sind vor allem die verbleibenden
der Nacherhebung aktuellen allgemeinen Verfügungen: Jus-        Faktoren von Bedeutung.

K
Zusammenhang von selbstständigen Lockerungen und Resozialisierungszielen in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg           159

soziiert. Einige dieser Schutzfaktoren stellen inhaltliche            onsbiografie assoziiert sein können, die Lockerungsgewäh-
Gegenspieler zu den zuvor genannten Risikofaktoren dar:               rungen erschweren können: (noch) kein stabiles, unterstüt-
soziales Netzwerk, Intimbeziehung und professionelle Hil-             zendes Netzwerk vor Ort; mögliche Sprachbarrieren, die
fe. Ein prosoziales Netzwerk außerhalb der Haft wird in               zu Kommunikationsproblemen und Diskriminierungen in-
der Praxis als wichtige Ressource hinsichtlich der Reso-              nerhalb des Vollzugs führen (Iversen et al. 2013) und die
zialisierung erachtet (Kawamura-Reindl 2019). Es kann                 Teilnahme an der Behandlung und einer geeigneten Nach-
stabilisierend und unterstützend wirken, Hilfen bieten und            sorge erschweren können (Bonta und Andrews 2017); ein-
sich protektiv auf den Erhalt von Lockerungen auswirken.              geschränkte Chancen auf dem Arbeitsmarkt (Rukus et al.
Wenn die sozialen Strukturen nicht antisoziales Verhalten             2016). Da der Anteil der Insassen mit nichtdeutscher Staats-
fördern oder mit zusätzlichen Belastungen einhergehen,                bürgerschaft im deutschen Strafvollzug und in den SothAn
kann es die Klienten fest in soziale Strukturen einbinden             bedeutsam ist (in der vorliegenden Studie 32 %), sollten
und eine Abkehr von Kriminalität bewirken (Barry 2021;                die Lockerungspraxis und Resozialisierungsmöglichkeiten
Suhling und Rehder 2009; Symkovych 2020). Gleiches gilt               diesbezüglich auch weiterhin – wie dies in der SothA-HH
für Partnerschaften und professionelle Unterstützer:innen             bereits der Fall ist – besonders beleuchtet und Einzelfallent-
(z. B. Seelsorger:in, Fürsorgeverein, Betreuer:in), zu denen          scheidungen kritisch geprüft werden, um eine strukturelle
Klienten eine tragfähige Beziehung aufbauen und deren                 Diskriminierung auszuschließen (Schmidt 2016).
Hilfsangebot sie annehmen. Während Moran und Keinänen
(2012) fanden, dass verheirateten Insassen eher Lockerun-             Rücknahme selbstständiger Lockerungen
gen gewährt werden, scheint in der vorliegenden Stichprobe
jedoch nicht das bloße Vorhandensein einer Beziehung aus-             Die Wahrscheinlichkeit für Lockerungsrücknahmen sinkt
schlaggebend zu sein, sondern die Stabilität und Qualität             in der untersuchten Stichprobe mit zunehmendem Alter.
dieser Beziehungen, wie sie im SAPROF berücksichtig                   Dies ist im Einklang mit Studien, in denen ältere Kli-
wird.                                                                 ent:innen Lockerungsauflagen eher einhalten, während die
    Überraschenderweise sind motivationale Schutzfaktoren             Wahrscheinlichkeit für Lockerungsrücknahmen und Lo-
(SAPROF) negativ mit einem Lockerungserhalt assoziiert.               ckerungsverstößen sinkt (Cale und Burton 2018; Cheliotis
Diese beinhalten Schutzfaktoren, die sich auf die persön-             2009; Moran und Keinänen 2012; Powers et al. 2018;
liche Motivation beziehen, prosozial am gesellschaftlichen            Rukus et al. 2016). Das Alter kann sich positiv auf die
Leben teilzunehmen (Spehr und Briken 2010). Es ist mög-               Lockerungspraxis auswirken, indem es als Indikator für
lich, dass die motivationalen Schutzfaktoren, die zu Be-              die kognitive Reife die zunehmende Fähigkeit anzeigt, an-
ginn der Inhaftierung erfasst werden, im Laufe der Haft-              tisoziales Verhalten zu ändern und somit dessen negativen
zeit wegbrechen (z. B. zu Haftbeginn bestehendes, siche-              Auswirkungen auf Lockerungsverläufe abzuwenden (Bonta
res Arbeitsverhältnis; finanzielle Rücklagen; Einbindung              und Andrews 2017; Higley et al. 2019).
in einen sozialen oder Sportverein) oder die Motivation                  Als stärkster Prädiktor für Lockerungsrücknahmen er-
für die Umsetzung/Aufrechterhaltung protektiver Maßnah-               weisen sich hingegen die Risikofaktoren der R-Skala des
men nicht aufrechterhalten werden kann (z. B. Geld spa-               HCR-20. Je mehr dieser Risikofaktoren, die das Verhalten
ren, um Gerichtskosten abzubezahlen; Behandlungsmotiva-               in zukünftigen Risikosituationen sowie den sozialen Emp-
tion beibehalten). Ein Wegbrechen von Ressourcen kann                 fangsraum beschrieben (Müller-Isberner et al. 1998), desto
zu einem Motivationsmangel hinsichtlich der Resozialisie-             wahrscheinlicher die Lockerungsrücknahme. Im Rahmen
rungsbemühungen und damit einhergehenden Lockerungen                  von Lockerungen kann es zu destabilisierenden Situationen
führen, wenn ein „zurück in das alte Leben“ aussichtslos              kommen, in denen sich zeigen kann, inwieweit sich intra-
erscheint. Ein Nichtaufrechterhalten selbstgesetzter Ziele            mural herausgearbeitete dynamische Risikofaktoren unter
kann zudem negative Selbstwirksamkeitserwartungen und                 extramuralen Bedingungen äußern (Endres und Groß 2020).
einen Rückgriff auf ungünstige Coping-Mechanismen be-                    Auch mit der Länge der Haftstrafe steigt die Wahr-
günstigen, die Resozialisierungszielen entgegenstehen. Mit            scheinlichkeit für Lockerungsrücknahmen. Mit einer län-
anderen Worten können mehr motivationale Schutzfakto-                 geren Haftstrafe kann nicht nur mehr Zeit für den Erhalt
ren zu Beginn der Inhaftierung zu einer höheren „sozialen             von Lockerungen (Helmus und Ternes 2017; Suhling und
Fallhöhe“ führen, was sich negativ auf den Erhalt von Lo-             Guéridon 2016), sondern auch zum Begehen von Locke-
ckerungen bzw. die Umsetzung der Lockerungen durch die                rungsverstößen bestehen. Dabei dürfen Lockerungsrück-
Klienten auswirken kann.                                              nahmen nur dann erfolgen, wenn die Voraussetzungen
    Erneut bezugnehmend auf das Ergebnis, dass eine deut-             für Lockerungsgewährungen beispielsweise durch indivi-
sche Staatsbürgerschaft der stärkste Prädiktor für selbststän-        duelles Fehlverhalten der Insassen nicht mehr gegeben
dige Lockerungen ist, ist es denkbar, dass viele der zuvor            sind. Denn Lockerungen sind kein Privileg, sondern das
diskutierten Risiko- und Schutzfaktoren mit einer Migrati-            Recht eines jeden Insassen und resultieren aus dem allge-

                                                                                                                         K
160                                                                                                           E. Stück et al.

meinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1    schränkt. Dennoch spiegelt die Stichprobe die Population
Abs. 1 Grundgesetz). Auch das Bundesverfassungsgericht        der SothA-HH wider, die zwischen Dezember 2010 und No-
(BVerfG) weist wiederholt auf die staatliche Verpflichtung    vember 2019 in der SothA-HH aufgenommen und bereits
zur Gewährung von Lockerungen im Dienst der Reso-             entlassen wurde. Zukünftige Studien sollten die Verbindun-
zialisierung hin (z. B. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer       gen zwischen den gefundenen Prädiktoren für den Erhalt
des Zweiten Senats vom 04.05.2015, 2 BvR 1753/14, Rn.         und die Rücknahme selbstständiger Lockerungen mit poten-
21 ff.).                                                      ziellen Moderatorvariablen, wie z. B. der Höhe des Rück-
   Die Ergebnisse der vorliegenden Studie legen nahe, dass    fallrisikos zu Beginn der Inhaftierung, genauer untersuchen.
die Entscheidung zur Lockerungsrücknahme auch in der          Hinsichtlich der Resozialisierungsziele ist es möglich, dass
SothA-HH auf der stets aktuell zu beurteilenden Einschät-     die gefundenen Gruppenunterschiede durch alternative Ein-
zung der Flucht- und Missbrauchsgefahr und damit einher-      flussfaktoren erklärt werden können, die in dieser Analyse
gehenden Lockerungseignung basieren. Während 3 Insas-         nicht berücksichtigt werden (u. a. Beginn und Dosierung
sen zwischenzeitlich Lockerungen entzogen wurden, ohne        der Lockerungen; Lockerungsbereitschaft des Personals).
dass die Gründe in der Nacherhebung identifiziert werden      Mögliche Kausalzusammenhänge müssten hierfür in tiefer-
konnten, resultierten 76 % der Rücknahmen von Locke-          gehenden Analysen geklärt werden, welche in dieser Studie
rungsstufen aus Lockerungsverstößen (davon 3 schwerwie-       aufgrund der zu geringen Stichprobengröße nicht möglich
gende) und 15 % aus der (zwischenzeitlichen) Verlegung in     sind.
eine andere Haftanstalt, die nicht in Lockerungsverstößen        Wie Suhling und Guéridon (2016) im Vergleich nieder-
begründet lagen, deren Gründe jedoch nicht erfasst wurden     sächsischer SothAn zeigen konnten, unterscheiden sich die
(siehe hierzu Brunner et al. 2019).                           Lockerungspraxis und die Bedeutung, die ihnen während
                                                              der Behandlung zugeschrieben wird, sogar innerhalb eines
Resozialisierungsziele                                        Bundeslandes. Somit sind die Ergebnisse dieser Untersu-
                                                              chung der SothA-HH nicht auf andere Vollzugseinrichtun-
In der vorliegenden Studie erreichen Klienten mit selbst-     gen übertragbar. Auch in der vorliegenden Studie bleiben
ständiger Lockerung gleich zwei Resozialisierungsziele mit    detaillierte Entscheidungsabläufe der Lockerungspraxis ei-
höherer Wahrscheinlichkeit als Klienten ohne selbstständi-    ne Blackbox (Robert et al. 2020). So sollten zukünftige
ge Lockerung: Sie haben nach der Entlassung häufiger ein      Studien z. B. berücksichtigen, ab welchem Zeitpunkt der
Beschäftigungsverhältnis und der Therapieerfolg aus Sicht     Haftstrafe und wie häufig Lockerungen gewährt wurden,
der Behandler:innen wird höher eingeschätzt. Die gleichen     welche Gründe die Nichtgewährung von Lockerungen hat-
Ergebnisse zeigen sich für die Klienten, die bis zur Ent-     te, oder ob es Klienten gab, die zwar für selbstständige
lassung ihre höchste Lockerungsstufe beibehalten. Somit       Lockerungen geeignet waren, diese jedoch selbst verwei-
bestätigt auch diese Studie, dass Erhalt und Aufrechterhal-   gerten.
tung von Lockerungen positiv mit zentralen Resozialisie-
rungszielen korrelieren (Helmus und Ternes 2017; Suhling      Lockerungen vor dem Hintergrund des Risk-Need-
und Guéridon 2016). Demgegenüber wird der Großteil der        Responsivity Modells
Insassen unabhängig von der Lockerungspraxis mit einer
festen Wohnanschrift entlassen.                               Der in der Forschungsliteratur allgemein zu verzeichnende
   Der Erhalt und das Aufrechterhalten von Lockerun-          (und die SothA-HH nur bedingt betreffende) Rückgang
gen und das Erreichen der Resozialisierungsziele können       von Lockerungen und das gleichzeitig seltene Vorkom-
sich dabei gegenseitig beeinflussen (Suhling und Guéri-       men schwerwiegender Lockerungsverstöße wie Flucht und
don 2016; Suhling et al. 2013). Zudem können sich die         Straftatbegehung (z. B. Barry 2021; Dünkel et al. 2018; Etz-
Möglichkeit zur autonomen Freizeitgestaltung, Arbeits-        ler et al. 2020), die auch in der SothA-HH nur selten auf-
und Verdienstmöglichkeiten positiv auf die Motivation zur     traten, widersprechen nicht nur dem gesetzlich verankerten
Behandlungsteilnahme und somit auch auf den Erfolg der        Resozialisierungsstreben, sondern auch den Kernprinzipien
sozialtherapeutischen Behandlung auswirken et vice versa      des Risk-Need-Responsivity (RNR) Modells (Bonta und
(Suhling et al. 2013). Auch in der vorliegenden Studie kann   Andrews 2017). Das RNR Modell ist ein weltweit etablier-
aus den korrelativen Zusammenhängen keine Wirkrichtung        tes theoretisches Modell in der Behandlungsplanung und
erschlossen werden.                                           -durchführung straffällig gewordener Menschen und erzielt
                                                              über verschiedene Metaanalysen hinweg moderate krimi-
Limitationen und Ausblick                                     nalpräventive Effekte (vgl. Wormith and Zidenberg 2018).
                                                              Die Behandlungsintensität soll laut Risk-Prinzip von der
Der Umfang der statistischen Analysen und deren Aussa-        Höhe des Rückfallrisikos abhängen, wobei die Behandlung
gekraft ist aufgrund der geringen Stichprobengröße ein-       laut Need-Prinzip die individuellen kriminogenen Bedürf-

K
Zusammenhang von selbstständigen Lockerungen und Resozialisierungszielen in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg         161

nisse fokussieren soll, die mit Straffälligkeit in Verbindung            Hinsichtlich des Responsivity-Prinzips können Locke-
gebracht werden. Hinsichtlich des dritten Prinzips wird               rungen Behandlungsbarrieren abbauen und sich positiv auf
unterschieden, zwischen „general responsivity“, also der              die Motivation auswirken, an der Behandlung teilzuneh-
allgemeinen Annahme, dass Verhaltensänderung am besten                men (Endres und Breuer 2018; Schmidt 2016; Suhling und
durch evidenzbasierte kognitiv-behaviorale Behandlungen               Guéridon 2016): Die Freizeit kann autonom gestaltet und
erfolge, und „specific responsivity“, also der Annahme,               soziale Kontakte können gepflegt werden, die Aussichten
dass die Behandlung umso effektiver sei, je besser sie an             auf Arbeit und Wohnen steigen und eine vorzeitige Entlas-
individuelle Behandlungsbarrieren hinsichtlich der Persön-            sung ist wahrscheinlicher. Auch in der vorliegenden Studie
lichkeit, Motivation und kognitiven Stile der Klient:innen            zeigen die Ergebnisse, dass der Erhalt und das Aufrecht-
angepasst werde.                                                      erhalten von Lockerungen mit den Resozialisierungszielen
   Betrachtet man Lockerungen nun vor dem Hintergrund                 der SothA-HH korrelieren (was jedoch nicht als Kausalzu-
des RNR Modells, so sollten sich für eine effektive Rein-             sammenhang interpretiert werden darf). Gleichzeitig kön-
tegration laut Risk-Prinzip die meisten Ressourcen und be-            nen die in dieser Studie identifizierten Prädiktoren für Lo-
handlerischen (Lockerungs-)Bemühungen auf Insassen mit                ckerungserhalt und -rücknahme im Sinne des Responsivity-
moderat-hohem Rückfallrisiko richten. Der aktuelle For-               Prinzips als potenzielle „Lockerungsbarrieren“ verstanden
schungsstand sowie die Ergebnisse der vorliegenden Stu-               werden, weshalb ihr tatsächlicher Einfluss auf die Voraus-
die zeigen jedoch, dass die Klient:innen mit selbstständi-            setzungen für Lockerungsgewährungen stets individuell ge-
gen Lockerungen weniger Risiko- und mehr Schutzfakto-                 prüft werden sollte.
ren aufweisen als Klient:innen, denen keine selbstständi-                Zusammenfassend unterstreicht die vorliegende Studie,
gen Lockerungen gewährt werden. Auch wenn dies mit                    dass Lockerungen die Effektivität der Behandlung unter-
Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen ersichtlich               stützen können und hinsichtlich der Erreichung der Reso-
erscheint, könnten Personen mit erhöhtem Risiko, die häu-             zialisierungsziele entscheidend sein können. Somit müssen
fig von den Maßnahmen ausgeschlossen werden, mögli-                   Lockerungen nicht nur aufgrund der gesetzlichen Rahmen-
cherweise stärker von selbstständigen Lockerungen profi-              bedingungen in den Haftverlauf integriert werden, sondern
tieren (Barry 2021; Suhling und Rehder 2009; Symkovych                sollten auch im Sinne des RNR Modells fester Bestandteil
2020), für die ein positiver Effekt auf die Legalprognose             der Behandlung sein.
nachgewiesen wurde (z. B. Hillier und Mews 2018).
   Hinsichtlich des Need-Prinzips können Lockerungen
als Erprobungsraum gelten, in dem überprüft werden
kann, inwieweit sich intramural herausgearbeitete dyna-
mische Risikofaktoren unter extramuralen Bedingungen
äußern oder bereits geändert haben können (Endres und
Groß 2020). Lockerungen können somit eine Diagnostik-
und Trainingsfunktion zugeschrieben werden und wich-
tige Erkenntnisse für die Entlassungsvorbereitung bieten
(Endres und Breuer 2018). Zudem können sie sich posi-
tiv auf Risikoaspekte der Legalprognose auswirken, wie
z. B. berufliche Perspektiven, prosoziale familiäre und
freundschaftliche Kontakte, Einbindung in Freizeitaktivi-
täten oder Distanzierung von negativen Einflüssen (vgl.
„central eight“; Bonta und Andrews 2017). In der vor-
liegenden Studie wurde das (Nicht-)Vorhandensein vieler
dieser dynamischen Risikofaktoren u. a. mit den Instru-
menten HCR-20 und SAPROF zu Beginn der Inhaftierung
eingeschätzt, denen eine zentrale Rolle als Prädiktoren für
Lockerungserhalt und -rücknahme zukommt. Zudem kann
ein korrelativer Zusammenhang zwischen Lockerungen und
einem Beschäftigungsverhältnis sowie Therapieerfolg zum
Zeitpunkt der Entlassung aufgezeigt werden – beides Re-
sozialisierungsziele, die mit einer positiven Legalprognose
einhergehen (z. B. Bonta und Andrews 2017; Marques et al.
2005).

                                                                                                                        K
Sie können auch lesen