Bilanzschreiben Kinderrechte und Integration - Aktuelle Erkenntnisse aus dem Kinderschutzprogramm in Deutschland - Gewaltschutz-gu.de
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Bilanzschreiben Kinderrechte und Integration Aktuelle Erkenntnisse aus dem Kinderschutzprogramm in Deutschland von Plan International Deutschland e.V.
Inhalt I. Kinderschutzprogramm in Deutschland 3 II. Methodik und Arbeitsweise 4 Partizipative Risiko- und Schutzanalyse 4 Kooperation mit data42 5 Regelmäßiger und proaktiver Austausch 5 III. Erkenntnisse aus der Arbeit mit geflüchteten Menschen 6 Hintergrund 6 Unterbringung 6 Erstaufnahmen 6 Folge- und Wohnunterkünfte 7 Gewalt- und Kinderschutz in Unterkünften 7 Sozialräumliche Anbindung 8 Mädchen und junge Frauen 10 Covid-19 in Unterkünften für geflüchtete Menschen 11 IV. Erkenntnisspezifische Empfehlungen 13 Unterbringung 13 Erstaufnahmen 13 Folge- und Wohnunterkünfte 13 Gewalt- und Kinderschutz in Unterkünften 14 Sozialräumliche Anbindung 15 Mädchen und junge Frauen 16 Covid-19 in Unterkünften für geflüchtete Menschen 17 V. Weiterführende Empfehlungen 18 Einhaltung und Stärkung der UN-Kinderrechte 19 Gesetzliche Verankerung der Mindeststandards und deren Implementierung in den Unterkünften für geflüchtete Menschen 19 Verbindlichkeit und unabhängiges Monitoring von unterkunftsspezifischen Schutzkonzepten19 Titelfoto: Plan International 2 KINDERRECHTE UND INTEGRATION
I. Kinderschutz programm in Deutschland Plan International Deutschland e.V. Foto: Plan International/Zeynep Turkmen Sanduvac (im Folgenden Plan International) hat 2016 die Programmarbeit ausge weitet und Projektaktivitäten in Unterkünften für geflüchtete Men- schen innerhalb Deutschlands umge- setzt. Die weltweit erprobten Ansätze zum Schutz und zur Anbindung von Schutzsuchenden an den Sozialraum wurden um den deutschen Kon- text erweitert und im Rahmen eines Kinderschutzprogrammes gemein- sam mit Kooperationspartner:innen in Deutschland implementiert. Das Ziel des Kinderschutzprogrammes ist es, dass bei der flüchtete Menschen zum Thema Mindeststandards in Umsetzung der UN-Kinderrechte1 in Deutschland der Unterkünften konsultiert. Plan International nutzte diese Schutz und die Integration von Kindern und Jugend Ergebnisse für die gemeinsame Arbeit mit dem Familien- lichen mit Flucht- und Migrationserfahrungen besonders ministerium und UNICEF sowie weiteren Akteur:innen zur berücksichtigt werden. Erweiterung der Mindeststandards zum Schutz geflüch- teter Menschen in Unterkünften3. Seither engagieren wir Unser Arbeitsansatz besteht darin, die Integration zu uns proaktiv in der Bundesinitiative zum Schutz von ge- fördern, indem Gewalt- und Kinderschutzkonzepte um- flüchteten Menschen in Unterkünften4. gesetzt werden. Hierfür streben wir ein unabhängiges Monitoring von Schutzkonzepten sowie die gesetzliche Auch auf Bundesländerebene beziehen wir geflüchtete Verankerung der Mindeststandards zum Schutz geflüch- Menschen zu Themen ein, die sie direkt betreffen. So teter Menschen an. Zu diesen und weiteren Themen, die werden in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Baden- für die Integration relevant sind, beraten und begleiten Württemberg5 und Hamburg6 Geflüchtete regelmäßig bei wir Behörden und Träger deutschlandweit. der Erstellung, Etablierung und Umsetzung von Gewalt- und Kinderschutzkonzepten hinzugezogen. In Bayern Um die gleichberechtige Teilhabe am gesellschaftlichen werden in Kooperation mit der Regierung Unterfranken und politischen Leben von Menschen mit Fluchterfahrung geflüchtete Menschen zur Stärkung und Umsetzung der zu fördern, beziehen wir sie als Akteur:innen auf Augen- UN-Kinderrechte konsultiert. Zudem werden bundesweit höhe in unsere Arbeit ein2. So wurden von uns im Zuge entscheidungstragende Akteur:innen regelmäßig über der Advocacy-Arbeit auf nationaler Ebene über 150 ge- aktuelle Erkenntnisse unserer Arbeit informiert. 1 https://www.kinderrechtskonvention.info/ 2 https://www.plan.de/kinderschutzprogramm-in-deutschland/kinderrechte-staerken-integration-foerdern.html 3 https://www.bmfsfj.de/blob/117472/bc24218511eaa3327fda2f2e8890bb79/mindeststandards-zum-schutz-von-gefluechteten-menschen-in-fluechtlingsunterkuenften-data.pdf 4 https://www.gewaltschutz-gu.de/ 5 https://www.plan.de/kinderschutzprogramm-in-deutschland/kinder-schuetzen-strukturen-staerken.html 6 https://www.plan.de/kinderschutzprogramm-in-deutschland/kinderrechte-staerken-integration-foerdern.html KINDERRECHTE UND INTEGRATION 3
II. Methodik und Arbeitsweise Durch unsere mehrjährige Erfahrung in der Arbeit in Unter Ziel ist es auf Missstände hinzuweisen und gleichzeitig künften für geflüchtete Menschen mit über 300 Einsätzen, mögliche Lösungsansätze zu bieten. Die hierbei genann- die proaktive Mitgestaltung und Durchführung von Netz- ten Missstände dienen nicht dazu, einzelne Personen, werktreffen und Arbeitsgruppen, Schulungen und Fort- Behörden, Betreiberorganisationen oder andere Akteur:in- bildungen sowie Begleitungs- und Beratungstätigkeiten nen in ein negatives Licht zu rücken. Sie sollen als Hilfe hat sich Plan International als zuverlässiger Partner für stellung dienen, um als Gesellschaft Menschen, die bei Integrationsakteur:innen, Kinderschutzfachkräfte, Unter- uns Zuflucht suchen, zu schützen und ihnen die Teilhabe kunftsbetreiber sowie Jugend- und Bezirksämter etabliert. am gesellschaftlichen Geschehen zu erleichtern. Zusätzlich zur Durchführung dieser Aktivitäten haben wir zahlreiche Einzelgespräche mit geflüchteten Menschen und Akteur:innen der Integrationsarbeit geführt. Partizipative Risiko- und Schutzanalyse Zu unseren Kernaktivitäten innerhalb der Projekte gehören Bevor bedarfsgerechte Maßnahmen zum Gewalt- und u.a.: Kinderschutz sowie zur Förderung der Anbindung an den Sozialraum ergriffen werden, sieht der bedarfsorientierte ● Advocacy-Arbeit und Beratung von politischen Ansatz von Plan International vor, die Bedürfnisse der ge- Entscheidungsträger:innen flüchteten Menschen in ihrem Wohnraum zu ermitteln und ● Unterstützung von Integrationsprozessen im einen Überblick über die strukturellen und unterkunfts- Sozialraum spezifischen Gegebenheiten zu erlangen. Eine erprobte ● Präventiver Kinder- und Gewaltschutz in Unter- Methode ist die „Partizipative Risiko- und Schutzanalyse“ künften für geflüchtete Menschen (PRuSA), welche es betroffenen Menschen ermöglicht, ● Auf- und Ausbau von Beteiligungsstrukturen und potenzielle Risiko- und Schutzfaktoren in ihrem unmittel Schaffung sicherer Räume baren Lebensumfeld zu erkennen, sodass (weitere) ● Förderung der Kultursensibilität in Kitas, Schulen unterstützende Maßnahmen ergriffen werden können. und weiteren Begegnungsstätten Die PRuSA ist eine effektive und partizipative Methode um beispielsweise Orte zu identifizieren, an welchen sich Bewohner:innen von Unterkünften für geflüchtete Men- Die Erkenntnisse der letzten fünf Jahre sowie Heraus schen sicher oder unsicher fühlen. Hierbei wird hinsicht- forderungen, Voraussetzungen und vor allem Chancen lich folgender Aspekte unterschieden: werden in diesem Schreiben u.a. aus der Arbeit der folgenden Projekte zusammengefasst7: ● Risiko- und Schutzfaktoren in der Infrastruktur (Gebäude, Sanitäreinrichtungen, Nahrungs ● tärkung einer kinderfreundlichen Umgebung S versorgung, Wasserversorgung, etc.) in Unterkünften für geflüchtete Menschen I ● Risiko- und Schutzfaktoren für die sozial- (Februar 2016 – Juni 2017 – Bundesministerium für emotionale Entwicklung (Angebote in der Unter- Familie, Senioren, Frauen und Jugend – BMFSFJ) kunft und im Sozialraum sowie deren Nutzung, ● Stärkung einer kinderfreundlichen Umgebung Umgang mit Unterstützungsangeboten bei in Unterkünften für geflüchtete Menschen II Gewalterfahrungen, Partizipation, etc.) (Juli 2017 – Juni 2018 – BMFSFJ) ● Schutz von Kindern und ihren Familien in Ham- burger Unterkünften für geflüchtete Menschen I Dafür arbeiten die Befragten mit einem Lageplan der (Oktober 2016 – September 2017 – Hamburger Unterkunft, der alle vorhandenen Gebäude und weitere Sozialbehörde ehem. BASFI) prägende strukturelle Merkmale abbildet (z.B. Kantine, ● Schutz von Kindern und ihren Familien in Ham- Spielraum). Auf diesem Lageplan können Teilnehmer:in- burger Unterkünften für geflüchtete Menschen II nen durch grüne und rote Markierungen die für sie posi- (Oktober 2017 – Dezember 2018 – Hamburger tiven und negativen Orte markieren (vgl. Abbildung 1). In Sozialbehörde ehem. BASFI) einer abschließenden Begehung und in Einzelinterviews ● Kinder schützen – Strukturen stärken werden die Teilnehmer:innen dazu befragt, warum sie (Januar 2019 – Dezember 2020 – BMFSFJ) sich sicher oder unsicher fühlen, wo sie sich gerne oder ● Brücken bauen – Vernetzung der hamburg ungerne aufhalten, welche Aktivitäten sie nutzen oder weiten Integrationsakteure auf allen Ebenen missen und wie sie in strukturelle Prozesse eingebunden (Juni 2019 – Mai 2022 – Bundesamt für Migration und darüber aufgeklärt sind. Ziel ist es, anhand der Er- und Flüchtlinge – BAMF) gebnisse der PRuSA die akuten Schutzbedürfnisse der Bewohner:innen zu erkennen und so in der Unterkunft und im Sozialraum Schutzfaktoren zu stärken und Risiko faktoren zu mindern. 7 https://www.plan.de/kinderschutzprogramm-in-deutschland.html 4 KINDERRECHTE UND INTEGRATION
Die PRuSA wurde in allen Erstaufnahmeeinrichtungen in protokolle, Ergebnisse aus PRuSAs und weiteren Be Hamburg und in zehn weiteren Wohnunterkünften durch- fragungen zur Analyse und Visualisierung zur Verfügung. In geführt. Die Ergebnisse wurden der jeweiligen Betreiber- regelmäßigen Abständen finden Treffen und Absprachen organisation anhand von ausführlichen Berichten zur statt, in welchen die geäußerten Bedarfe der geflüchte- Verfügung gestellt und sind Bestandteil der Erkenntnisse ten Menschen den vorhandenen Integrationsangeboten dieses Bilanzschreibens. visuell gegenübergestellt werden. Die unterschiedlichen Integrationsangebote werden dabei aus Daten der jeweili- Ergebnisse aus Gesprächs- und Aktivitätenprotokollen, gen Behörden ermittelt, womit ein umfassender Überblick Befragungen anhand von Leitfäden, aktivierenden Befra- der lokalen Angebotsstruktur erstellt werden kann. So gungen sowie weiteren Werkzeugen zur Bedarfsanalyse können eventuelle Lücken datenbasiert aufgezeigt, analy- sind ebenfalls Bestandteile dieses Bilanzschreibens. siert und nach Möglichkeiten effektiv geschlossen werden. Kooperation mit data42 Regelmäßiger und proaktiver Austausch data42 ist ein innovatives Wachstumsunternehmen, Um Erkenntnisse aus der direkten Arbeit und die daraus welches eine „Smart Data Discovery Software“ entwickelt, abgeleiteten Empfehlungen nachhaltig nutzen zu können, die dazu befähigt, eigene Fragenstellungen aufgrund engagieren wir uns regelmäßig und proaktiv in bestehen- von Daten interaktiv zu analysieren8. Dadurch können den Netzwerken, Arbeitsgruppen sowie weiteren Begeg- Erkenntnisse aus vorhandenen Datensätzen gewonnen nungsstätten und unterstützen bedarfsgerecht bei der und Entscheidungen zielführend getroffen werden. Wir Schaffung neuer Austauschplattformen. Wir legen hier- vom Plan International Kinderschutzprogramm koope- bei ein besonderes Augenmerk auf die gleichberechtigte rieren seit Dezember 2019 mit data42. Dabei stellen wir Teilhabe von geflüchteten Menschen und unterstützen data42 unter Berücksichtigung der Datenschutz-Grund Formate, in welchen sich die Akteur:innen auf Augen verordnung9 anonymisierte Gesprächs- und Aktivitäten höhe austauschen können. Foto: Plan International Abbildung 1: Beispielkarte „Partizipative Risiko- und Schutzanalyse – PRuSA“ 8 https://data42.de/index.html 9 https://dsgvo-gesetz.de/ KINDERRECHTE UND INTEGRATION 5
III. Erkenntnisse aus der Arbeit mit geflüchteten Menschen Da die Arbeit des Kinderschutzprogrammes in Hamburg Auch die Wohnunterkünfte unterscheiden sich in ihrer die meisten Ressourcen gebunden hat, beziehen sich die strukturellen und baulichen Qualität enorm. Teilweise Erkenntnisse vor allem auf die Projekte, die in der Hanse- leben Menschen in ehemaligen Bürokomplexen mit stadt durchgeführt wurden. Durch unsere Projekte in wei- dunklen, langen Fluren sowie geteilten Wohn-, Koch- und teren Bundesländern wird jedoch ersichtlich, dass sich die Sanitäreinrichtungen. Die Unterkünfte sind zwar nicht für meisten Erkenntnisse decken und unsere Empfehlungen einen langfristigen Aufenthalt gedacht, da das gemein damit übertragbar sind. same Ziel ein selbstbestimmtes Leben im privaten Wohn- raum ist13. In der Realität verbleiben geflüchtete Menschen jedoch mehrere Monate oder sogar Jahre in diesen Unter- Hintergrund künften. Besonders für Kinder, Jugendliche und Frauen sind diese Unterbringungsverhältnisse eine große psychi- Geflüchtete Menschen werden bei ihrer Ankunft in sche Belastung. Zudem birgt dieser Zustand die Gefahr Hamburg im erweiterten Ankunftszentrum (ZEA – Zentrale von Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten Erstaufnahme) registriert und erhalten einen sogenannten bei Kindern. Die zum Teil erhebliche Einschränkung der „Ankunftsnachweis“. Nach dem „Königsteiner Schlüssel“10 Privatsphäre macht besonders Mädchen und Frauen wird dann entschieden, ob sie auf andere Bundesländer zu schaffen. Die beengten Wohnverhältnisse und das verteilt werden oder in Hamburg bleiben dürfen. Bei einem Fehlen von Schutz- und Rückzugsorten führen in den Verbleib in Hamburg werden die Menschen zunächst in Familien zu vermehrtem Stress, Frustration und Aggres- einer angrenzenden Erstaufnahme untergebracht, dort mit sivität. Dies stellt sowohl für Eltern als auch für Kinder dem Nötigsten versorgt und medizinisch untersucht. Die und Jugendliche, vor allem aber für Mädchen und junge dortigen Mitarbeiter:innen des Bundesamtes für Migration Frauen, eine Gefährdung ihrer psychosozialen Gesund- und Flüchtlinge nehmen die Asylanträge auf und führen heit und Resilienz dar. Vorfälle sexueller Belästigung, Ein- eine Erfassung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz schüchterung und Nötigung sind laut Bewohner:innen durch. Je nach Stand des Asylverfahrens werden die u.a. auf den Umstand zurückzuführen, dass es in vielen Menschen auf weitere Erst- und Folgeeinrichtungen ver- Unterkünften keine psychosoziale Unterstützung gibt. teilt. Die Dauer des Verbleibes sowie die Form der Unter- bringung richten sich u.a. nach den Aufenthaltschancen, dem bürokratischen Prozess des Asylverfahrens sowie Erstaufnahmen den Kapazitäten der jeweiligen Unterkünfte11. In den Erstaufnahmen geben Bewohner:innen an, dass die räumliche Nähe zum Büro des Sozialdienstes sowie Unterbringung die regelmäßigen Sprechstunden ihnen die Hemmungen nehmen, diese in Anspruch zu nehmen. Ein großer Teil Obwohl die Unterbringung und Versorgung geflüchteter der Bewohner:innen lobt die unterstützende Beratung vor Menschen in Hamburg vertraglich geregelt ist12, beste- Ort, bemängelt aber gleichzeitig die mangelhafte Wohn- hen teils massive qualitative Unterschiede zwischen den situation, das Kantinenessen und die fehlenden Möglich- einzelnen Unterkünften. Die geflüchteten Bewohner:in- keiten darauf Einfluss zu nehmen. Vor allem im Hinblick nen klagen oft über beengte Wohnverhältnisse sowie auf ihre Bleibeperspektive und zukünftige Wohnsitua- fehlende Selbstbestimmtheit und Privatsphäre. In den tion fühlen sich Bewohner:innen in den Erstaufnahmen Erstaufnahmeeinrichtungen teilen sich häufig mehrere nicht ausreichend informiert. Oft erschweren mangelnde Personen ein Zimmer oder einen Container, wobei einer Sprachkenntnisse und fehlende Informationen die Kom- Person in der Regel nicht mehr als 7 m² Wohnfläche zur munikation zwischen Bewohner:innen und Unterkunfts- Verfügung stehen. Es sind zumeist gemeinschaftlich ge- betreiber. Für die nachhaltige Integration von geflüchteten nutzte sanitäre Anlagen vorhanden und die Versorgung Menschen in die aufnehmende Gesellschaft sind ihre mit Lebensmitteln erfolgt über eine extern betriebene Einbindung in den Sozialraum sowie die Möglichkeit ihrer Großküche. Es besteht für die Bewohner:innen in der gleichberechtigten Teilhabe Grundvoraussetzungen. Eine Regel keine Möglichkeit, eigene Lebensmittel zu lagern, proaktive Beratungsarbeit und niedrigschwellige Be- selbst zu kochen oder über die Essenszeiten selbststän- teiligungsstrukturen in den Unterkünften, aber auch im dig zu entscheiden. Die fehlende Privatsphäre bei der Umfeld, können die Integration maßgeblich positiv be- Nutzung der Toiletten und Duschen sowie beim gemein- einflussen. Durch die proaktive Beratungsarbeit werden samen Essen empfinden viele Geflüchtete als psychisch geflüchtete Menschen aktiv angesprochen, ihnen werden stark belastend. Möglichkeiten zur Entfaltung und Beteiligung aufgezeigt 10 https://www.bamf.de/SharedDocs/Glossareintraege/DE/K/koenigsteiner-schluessel.html?view=renderHelp[CatalogHelp]&nn=7525838 11 https://www.hamburg.de/innenbehoerde/erstaufnahme/ 12 https://www.hamburg.de/fluechtlinge-grundlagen/ 13 https://www.plan.de/news/detail/gemeinsam-stark-fuer-kinderschutz-und-integration.html 6 KINDERRECHTE UND INTEGRATION
und bestehende Angebote können dadurch besser ver- teilweise seit 2016 nicht mehr aktualisiert worden. Es fin- mittelt werden. Familien mit Kindern profitieren von der den kaum unabhängige Evaluierungen und Monitorings Beratungsarbeit vor allem durch die bedarfsgerechte statt. Dadurch sind Bewohner:innen, insbesondere vul- Vermittlung von Betreuungs- und Förderungsangeboten nerable Personen16, einer erhöhten Gefahr ausgesetzt, für Kinder sowie Aus- und Weiterbildungsangeboten für Opfer von Gewalt zu werden. In mehreren Bezirken stell- Eltern. Eine proaktive Beratungsarbeit unterstützt Eltern ten wir fest, dass Mitarbeiter:innen und auch Akteur:innen dabei, die Entwicklung ihrer Kinder zu fördern. Gleichzeitig den Schutzkonzepten – und deren Auswirkungen auf ihre trägt sie zur psychosozialen Gesundheit der Bewohner:in- Arbeit – nur einen geringen Stellenwert einräumen. Die nen bei. Inhalte und die Verbindlichkeit der Schutzkonzepte sind ebenfalls kaum bekannt. Folge- und Wohnunterkünfte Wir beobachteten zudem eine große Diskrepanz zwi- schen dem Bedarf an präventiven Maßnahmen und dem In vielen Wohnunterkünften gibt es kaum proaktive Be- tatsächlichen Handlungsspielraum der Mitarbeiter:innen ratungsangebote auf dem Niveau der Erstaufnahmen, der Betreiberorganisationen vor Ort. Während das Be- da hier der Ansatz der Eigenständigkeit und Eigen treibermanagement sich eher nicht für proaktive und verantwortung dominiert, welcher die Bewohner:innen zu präventive Schutzmaßnahmen zuständig sieht, werden einem selbstbestimmten Leben führen soll. Grundsätzlich Mitarbeiter:innen mit konkreten Kinderschutzfällen kon- ist diese Vorgehensweise sehr begrüßenswert, jedoch be- frontiert. Die Herausforderung für diese besteht oftmals klagen die Bewohner:innen auch hier strukturelle Heraus- darin, festzustellen, dass auch keine andere Institution forderungen und mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten. diese Aufgabe übernimmt. Bei zahlreichen Gesprächen, So fehlt die Brücke zwischen proaktiver Sozialarbeit und anonymen Anfragen und Beratungsaktivitäten äußerten eigenständigem Aufsuchen sozialer Beratung. Dadurch Mitarbeiter:innen verschiedener Unterkünfte und Betrei- können externe Hilfsangebote nur begrenzt vermittelt berorganisationen uns gegenüber ihre Besorgnis und werden, was den Zugang zum Sozialraum erschwert. Hilflosigkeit bezüglich der steigenden Diskrepanz zwi- Während der Sozialsprechstunden werden sehr häufig schen ihren Befugnissen und den tatsächlichen Bedürf- organisatorische Themen wie behördliche Termine, An- nissen der Bewohner:innen. So sprachen Mitarbeiter:in- träge und Wohnungssuche von den Bewohner:innen an- nen teilweise von uneinheitlichen Vorgehensweisen bei gesprochen. Auch Angebote zur Hilfe bei psychischen Verdachtsfällen, Gewaltvorfällen und Fällen vermeintli- Belastungen und Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für cher Kindeswohlgefährdung. Die in den Schutzkonzep- Kinder werden häufig thematisiert. Die größere Anonymi- ten genannten Ansprechpersonen zum Schutz vor Ge- tät in den Folgeunterkünften, bedingt durch die räum- walt sind mit ihren Kapazitäten der alltäglichen Arbeit liche und soziale Distanz der Bewohner:innen zu den bereits überlastet, wodurch Verdachtsfälle teilweise nicht Mitarbeitenden, führt jedoch dazu, dass Sozialsprech- nachverfolgt werden können. Mangelhaftes Wissensma- stunden weniger in Anspruch genommen werden. nagement und uneinheitliche Meldewege erschweren die Arbeit zusätzlich. Fälle von vermeintlicher Kindeswohl- gefährdung werden zwar ausnahmslos dem Jugendamt Gewalt- und Kinderschutz in Unterkünften übergeben, eine Nachverfolgung der Bearbeitung der Fälle oder die Einleitung weiterer Schritte sind jedoch laut Das Leben in Unterkünften für geflüchtete Menschen Mitarbeiter:innen eine Seltenheit. Auch Netzwerkpart- stellt in besonderem Maße eine Gefährdung für den ner:innen berichteten in Gesprächen von „mangelhafter Schutz von Kindern dar, zumal viele der Kinder durch Handlungsfähigkeit“ und „erdrückender Hilflosigkeit“. traumatische Erfahrungen während und nach der Flucht Mitarbeiter:innen der zuständigen Jugendämter bekla- unter einer erhöhten psychischen Belastung leiden. gen, dass Anträge auf „Hilfe-zur-Erziehung“ (HzE) und Gleichzeitig entscheiden die Bedingungen, unter denen Kindeswohlgefährdungsmeldungen aus Unterkünften Kinder nach der Flucht leben, darüber, ob und wie gut aufgrund der hohen Nachfrage und fehlender Kapazitä- traumatisierende Erlebnisse verarbeitet werden können. ten nur schleppend oder teilweise mangelhaft bearbeitet Ein Kind, das nach der Flucht Erholung, Normalität und werden könnten. Aufgrund fehlender Schutz- und Betei- Familienleben erlebt (und ggf. Therapie erhält), hat die ligungsstrukturen in den Unterkünften haben Jugendäm- Chance, sich trotz der erlebten Widrigkeiten gesund zu ter zu wenig Kenntnis über Unterstützungsbedarfe von entwickeln14. Kindern. Mehrere Netzwerkpartner:innen äußerten den Eindruck, dass HzE-Maßnahmen für Geflüchtete nur un- Somit ist es ist nicht nur wichtig, die Kinder und ihre gern bewilligt werden. Die Bewilligung sei stark bezirks- Familien in ihrer psychischen Gesundheit und Resilienz zu abhängig und es werde im Vergleich zur „herkömmlichen“ fördern, auch eine Prävention von Gewalt in den Unter- ASD-Arbeit (Allgemeiner Sozialer Dienst) mit zweierlei künften ist unbedingt notwendig. Damit die Kinder gesund Maß gemessen. Dies hat zur Folge, dass Menschen mit aufwachsen können, sind zusätzlich Gewalt- und Kinder- festem Wohnsitz gegenüber Menschen in Unterkünften schutzstrukturen erforderlich. Vorhandene Gewaltschutz- für Geflüchtete bevorzugt behandelt werden. konzepte in Hamburger Unterkünften15 sind veraltet und 14 https://www.savethechildren.de/fileadmin/user_upload/Downloads_Dokumente/2020/SOCLES_Schutz_begleitet_gefluechteter_Kinder_Expertise.pdf 15 https://www.hamburg.de/contentblob/7040766/1ac6020a877e2599dc5ed83b66bfdbd6/data/muster-schutzkonzept.pdf 16 https://www.bamf.de/SharedDocs/Meldungen/DE/2018/20181015-am-baff-refugio.html?nn=282388 KINDERRECHTE UND INTEGRATION 7
Für einen effektiven Kinderschutz ist es notwendig, Angebote sowie sprachliche Barrieren und fehlende Betreu- Rollen und Zuständigkeiten in Bezug auf Kinderschutz ungsmöglichkeiten für Kinder für die Dauer entsprechender themen innerhalb der Unterkunft und zwischen allen ge- Angebote hindern viele der geflüchteten Menschen daran, nannten Akteur:innen zu klären. Außerdem müssen klare diese anzunehmen. Trotz der Bemühungen durch Flyer Melde- und Verweissysteme vereinbart werden. Auch das und Aushänge sowie Verweise während der Sozialsprech- Mandat der Kinderschutzkoordinator:innen ist unklar und stunden konnten Bewohner:innen nicht ausreichend von bedarf einer Definition. Sozialarbeiter:innen vor Ort könn- der Annahme der Angebote überzeugt werden. ten einen großen Beitrag dazu leisten, die Lücke zwischen Bewohner:innen der Unterkünfte und möglichen Unter- Dieser Umstand ist auch darauf zurückzuführen, dass stützungsangeboten zu schließen. So könnten sie eine Angebote ohne eine vorherige Bedarfserhebung ge- stärkere Rolle in der Informationsvermittlung übernehmen. schaffen werden. Im Zuge einer ausführlichen Analyse Denn das Wissen über Hilfsstrukturen und Angebote ist der Ergebnisse von Bedarfs- und Angebotsanalysen aus die erste Vorrausetzung, um sie überhaupt in Anspruch den einzelnen Hamburger Bezirken haben wir festge- nehmen zu können. Anderweitige maßgebliche Hürden stellt, dass Integrationsangebote sich nicht hinreichend für Bewohner:innen sind räumliche Distanz, Analphabetis- mit den geäußerten Bedarfen decken. Diese Erkenntnis mus, Sprachschwierigkeiten und Unsicherheiten im Um- kann dank der Unterstützung durch data42 und dem gang mit Behörden. Analysetool Open6017 visuell dargestellt werden. Anhand der folgenden Abbildungen wird die Verteilung der geäu- ßerten Bedarfe gegenüber den bestehenden Angeboten Sozialräumliche Anbindung ersichtlich. Jede Eventkarte zeigt einen Bedarf, welcher bei grün für „gedeckt“, bei rot für „nicht gedeckt“, bei Mehrere Bewohner:innen geben an, dass sie sich scheu- orange für „nicht gedeckt, aber mit positiver Tendenz“ en, die vielfältig vorhandenen Beratungs- und Unter steht. Die einzelnen Eventkarten enthalten Informationen stützungsangebote außerhalb der Unterkünfte wahr- über den Bezirk, die zugeordnete Angebotsgruppe, so- zunehmen. Ein Mangel an Kenntnis über bestehende wie die Zielgruppe(n) (vgl. Abbildung 2 und 3). Abbildung 2: Status der Bedarfe Abbildung 3: Detailansicht Eventkarte 17 https://data42.de/index.html#d42-work 8 KINDERRECHTE UND INTEGRATION
Stellt man die am häufigsten genannten Bedarfe den häufigsten Integrationsangeboten aus Daten des Ham- burger Transparenzportals18 gegenüber, ist zu erkennen, dass die Hauptbedarfe den Themen Kinderbetreuung, Verbesserung der Wohnsituation und Elternberatung zu- zuordnen sind. Diese stehen entgegen der Angebote, die am häufigsten die Aspekte Sprachförderung, Berufs beratung sowie Fort- und Weiterbildung umfassen. 3 W ohnprojekt 2 F ort- und 3 Sprachkurs Weiter- bildungs- 2 F reizeit angebote 4 P sycho angebote 4 E ltern soziale beratung Betreuung 1 K inder 1 B erufs betreuung beratung Bedarf 5 P sycho Angebot 5 F reizeit soziale angebote Betreuung Abbildung 4: Die fünf am häufigsten geäußerten Bedarfe gegenüber den fünf häufigsten Angeboten Dies verdeutlicht, dass die Hauptbedürfnisse nicht aus- Darüber hinaus zeigen sich befragte Eltern besorgt über reichend durch entsprechende Projekte oder Angebote die geringe Struktur im Alltag ihrer Kinder und fehlende, abgedeckt werden. Die geäußerten Bedarfe Freizeit- angemessene Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb angebote und psychosoziale Beratung sind hingegen und außerhalb von Unterkünften. Sie bemängeln geringe überwiegend bedarfsgerecht abgedeckt. Die geäußerten Begegnungsmöglichkeiten mit anderen Familien außer- Bedarfe Kinderbetreuung, Wohnprojekte und Erzie- halb der Unterkünfte, was ihre Hemmschwelle, Angebote hungsberatung werden eher nachrangig durch entspre- im Bezirk wahrzunehmen, enorm verschärft. Auch geben chende Projekte und Angebote gedeckt. Auch wenn die Bewohner:innen mangelndes Vertrauen und einen ge am häufigsten geförderten Angebote Berufsberatung, ringen Bezug zu Akteur:innen als Grund sozialräumliche Fort- und Weiterbildung sowie Sprachkurse wichtige Angebote nicht wahrzunehmen an. Werkzeuge für die erfolgreiche Teilhabe am gesellschaftli- chen Geschehen sind, zeigt sich eine Diskrepanz zwischen der Erwartungshaltung der aufnehmenden Gesellschaft (Sprache und Beruf = Integration) und den tatsächlichen Bedürfnissen der geflüchteten Menschen (grundlegende Sicherheit der Familie). Erst wenn diese grundlegenden Bedürfnisse gedeckt sind, werden voraussichtlich weiter- führende Integrationsangebote angenommen. 18 http://transparenz.hamburg.de/ KINDERRECHTE UND INTEGRATION 9
Mädchen und junge Frauen Kapazitäten der Kitas ausgelastet sind und zum ande- ren Hemmnisse seitens der geflüchteten Eltern bestehen. Vor allem Mädchen und jungen Frauen wird der Zugang Fehlende Kenntnisse über das Betreuungsangebot und zu sozialräumlichen Angeboten erschwert. Mütter mit dessen bürokratische Abläufe sowie sprachliche Barrieren Kleinkindern können nur in den seltensten Fällen an Quali erschweren es Müttern mit Fluchterfahrung eigener Aus- fizierungsangeboten wie Sprach- und Weiterbildungs- sage nach erheblich, einen Zugang zum Kita-System zu kursen oder weiteren integrationsfördernden Angeboten finden. teilnehmen, da häufig keine zusätzliche Kinderbetreuung angeboten wird. Die Gefahr besteht, dass diese Frauen Mädchen und junge Frauen berichten von enormen dadurch in eine starke Abhängigkeit zu ihren männlichen Herausforderungen in der Anbindung an den Sozial- Partnern geraten. Das auch für geflüchtete Menschen raum. Hierbei spielen patriarchale Familienstrukturen geltende Regelangebot der Kindertagesbetreuung19 kann eine erhebliche Rolle. Denn mit ihnen geht oftmals eine oftmals nicht wahrgenommen werden, weil zum einen die Sichtweise einher, in der Mädchen und junge Frauen als Foto: Plan International 19 https://www.hamburg.de/fluechtlingskinder/4619422/anspruch-kindertagesbetreuung/ 10 KINDERRECHTE UND INTEGRATION
besonders schutzbedürftig begriffen und wahrgenommen Covid-19 in Unterkünften für geflüchtete werden. So werden sie in vielen Familien in traditionelle Menschen Rollenbilder gedrängt und genießen weniger Freiheiten als Jungen und Männer des gleichen Alters. Selbst an Die Covid-19-Pandemie hat einmal mehr die Schwach- wichtigen Entscheidungen, welche sie teilweise direkt stellen der Unterbringung von Menschen in Unterkünften betreffen, werden sie nur selten beteiligt. Dies betrifft für Geflüchtete deutlich gemacht. Angesichts der Aus- auch Entscheidungen, die Auswirkungen auf das körper- breitung der Pandemie sind Menschen weltweit dazu liche, mentale und soziale Wohlbefinden haben können. aufgerufen worden, möglichst wenig mit anderen Per- Vor allem der Bereich der sexuellen und reproduktiven sonen in Kontakt zu treten. Denn „Social Distancing“, Gesundheit und Rechte (SRGR)20 wird kaum thematisiert. die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes zu anderen Sexualität, sexuelle Aufklärung, sichere Verhütungs Menschen, gilt als eine der wirksamsten Maßnahmen, methoden sowie weitere Themen zur sexuellen und re- um einer rasanten Ausbreitung des Virus entgegenzu- produktiven Gesundheit werden, teilweise auch aus wirken. Vor allem diejenigen Einrichtungen, in welchen Angst vor Stigmatisierung und Schamgefühl, tabuisiert. Menschen auf engem Raum Wohn-, Koch- und Sanitär- Für ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben einrichtungen teilen, bergen große Risiken der Virusan- ist die Kenntnis dieser Rechte aber unabdingbar. steckung und -verbreitung. Darüber hinaus steigt mit der Einschränkung des Kontakt- und Bewegungsradius die Vor allem im Bereich der Aufklärung von männlichen psychosoziale Belastung der Bewohner:innen und damit Geflüchteten sowie bei klaren Zuständigkeiten von An- das Risiko von Gewaltvorfällen in den Unterkünften. sprechpersonen in Unterkünften scheint es erhebliche Lücken zu geben. So berichten minderjährige Mädchen Die zuständigen Behörden und Betreiberorganisationen von übergriffigen Verhaltensweisen bis hin zu Fällen stehen vor der schwierigen Aufgabe, geeignete Maß- von sexueller Belästigung, die sie in Unterkünften erlebt nahmen gegen die Ausbreitung der Viruserkrankung in haben. Beispielsweise berichtet eine 17-jährige Syrerin einem Kontext zu entwickeln, welcher die Mehrzahl der von einer Begegnung mit einem Jugendlichen in einem Empfehlungen von Wissenschaft23 und Politik24 aufgrund Fahrstuhl. Der junge Mann habe eindeutige sexuelle Äu- von strukturellen und räumlichen Gegebenheiten nur ßerungen getätigt und sie an ihrem Rock gezogen. Diese begrenzt zulässt. Die Covid-19-Pandemie verdeutlicht, Art von Vorfällen sind keine Ausnahmen. Umso besorgnis- dass insbesondere Sammelunterkünfte ein Eingriff in die erregender ist es, dass die 17-jährige in ihrer Unterkunft persönlichen Rechte und eine gesundheitliche Gefähr- keine Ansprechperson ausmachen konnte, an welche dung für Betroffene sind25. sie sich hätte wenden können. Unklare Zuständigkeiten, Schamgefühl und fehlende Informationen über Melde Plan International war im Rahmen einer Covid-19-Re- wege hinderten sie daran, an Mitarbeiter:innen der Unter- sponse26 mit Aktivitäten zu den Themen Information und kunft heranzutreten und sich Unterstützung zu suchen. Kommunikation, Gesundheit und Hygiene sowie Bildung Viele der befragten Mädchen und jungen Frauen wünschen in zwei Hamburger Unterkünften tätig. Die Erkenntnisse sich eine gleichberechtigte Teilhabe, um ihre Anliegen vor- decken sich im Wesentlichen mit den Beobachtungen, bringen zu können. Ungleiche Machtstrukturen zwischen die das Kinderschutzprogramm in Deutschland während weiblichen und männlichen Geflüchteten können zu un- der vergangenen fünf Jahre gemacht hat, jedoch wurden gleichen Bildungschancen, geschlechterbasierter Gewalt ermittelte Missstände durch die Pandemie verstärkt. und ebenso zu einer direkten Benachteiligung führen21. Dies stellt einen Einschnitt in die Rechte der Mädchen und jungen Frauen in den wichtigen Bereichen Bildung, Arbeit, Wirtschaft, Soziales, Politik und Kultur dar22. 20 https://www.plan.de/news/detail/maedchen-muessen-selbst-ueber-ihren-koerper-bestimmen-koennen.html 21 https://www.plan.de/kampagnen-und-aktionen/girls-get-equal.html 22 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/internationale-gleichstellungspolitk/gleichstellung-im-rahmen-der-vereinten-nationen 23 https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Hygiene.html 24 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus.html 25 https://www.plan.de/fileadmin/website/05._Ueber_uns/Plan_Handlungsempfehlung_SARS-CoV-2.pdf#Handlungsempfehlungen-SARS-CoV-2 26 Unter Response versteht Plan International die Reaktion auf eine Krisensituation in Form von Anpassung und Weiterentwicklung von bestehenden Projekten und Aktivitäten KINDERRECHTE UND INTEGRATION 11
Foto: Plan International 12 KINDERRECHTE UND INTEGRATION
IV. Erkenntnisspezifische Empfehlungen Eine nachhaltige Verbesserung des Schutzes und der Erstaufnahmen Lebensbedingungen geflüchteter Menschen sind Grund- lagen für ihre gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaft- Das Wahrnehmen von Angeboten sollte durch die Mög- lichen Geschehen und einer daraus folgenden gelunge- lichkeit mitzugestalten sowie weitere Partizipationsanreize nen Integration. Entsprechende Integrationsmaßnahmen gefördert werden. Bedarfserhebungen und zielgerichtete sollten daher den Bedürfnissen und Lebensrealitäten Beteiligungsstrukturen können zu einem nachhaltigen Ver- der Betroffenen entsprechen. Aus diesem Grund hat das trauensaufbau auf Augenhöhe führen, wodurch Hemmun- Kinderschutzprogramm in Deutschland auf Grundlage gen gemindert und aktivierende Faktoren gestärkt werden. der oben beschriebenen Beobachtungen Empfehlungen Bewohner:innen sollen nach Möglichkeit über alle sie be- ausgearbeitet, die auf eine Verbesserung des Schutzes treffenden Veränderungen rechtzeitig, niedrigschwellig und der Lebensbedingungen geflüchteter Menschen in und proaktiv informiert werden. Auch Informationen über Unterkünften abzielen. Im Fokus stehen dabei geflüch Verfahrensabläufe, Perspektiven, Rechtsberatung und tete Kinder und Jugendliche, insbesondere Mädchen und weitere, dem Bedarf entsprechende Themen sollten nied- junge Frauen. rigschwellig, proaktiv und barrierefrei zur Verfügung ge- stellt werden. Denn unsere Erfahrung hat gezeigt, dass niedrigschwellige Beteiligungsstrukturen innerhalb der Unterbringung Erstaufnahmen Integrationsprozesse und den Willen an Mitgestaltung sowie Teilhabe fördern. In Verbindung mit Den massiven qualitativen Unterschieden zwischen den einer aufsuchenden und bedarfsgerechten Beratungs- einzelnen Unterkünften kann durch Standardisierungen und Unterstützungsarbeit wird die Vorbereitung auf eine und einheitliche Mindestanforderungen an die Unterbrin- selbstbestimmende Lebensführung der Bewohner:innen gung geflüchteter Menschen entgegengewirkt werden. gestärkt. Eine eindeutige Formulierung zu Mindeststandards hin- sichtlich Bauart, Wohnfläche, Versorgung und sanitärer Anlagen sorgt für eine gleichberechtigte und menschen- Folge- und Wohnunterkünfte würdige Unterbringung. Für die Sicherheit in der Unter- kunft sollte es zudem Mindeststandards für bauliche Ein erfolgreicher Übergang zwischen proaktiver sozialer Schutzmaßnahmen geben27. Ausreichende Beleuchtung, Beratung und einer selbstständigen Lebensführung för- klare Wegführung, abschließbare Türen und kindgerechte dert auch die Bewältigung vorhandener Herausforderun- Sanitäranlagen sowie Rückzugsmöglichkeiten für beson- gen für Bewohner:innen von Folge- und Wohnunterkünf- ders schutzbedürftige Personengruppen sind nur einige ten. Die sozialen Sprechstunden sollten proaktiver und wichtige Voraussetzungen, welche eine Unterkunft erfül- einladender gestaltet werden, sodass Anreize geschaffen len sollte, um für schutzsuchende Menschen eine sichere werden können, die den Bewohner:innen den Zugang Umgebung zu schaffen. In allen Unterbringungsformen zum Sozialraum erleichtern. Die Unterkünfte sollten ver- sollten barrierefreie und abschließbare Wohneinheiten stärkt bedarfsgerechte Kooperationen mit Akteur:innen sowie sanitäre Anlagen vorhanden sein. Eine eigenstän- im Sozialraum eingehen und die geflüchteten Menschen dige Lebensführung sollte durch ein ausreichendes Maß bei der Schaffung von Angeboten aktiv beteiligen. Die an Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten gefördert Akteur:innen sollten nach Möglichkeit erste niedrig- werden. Sichere Orte für schutzbedürftige Personen, vor schwellige Angebote in den Unterkünften planen und ein allem für Mädchen und junge Frauen, sollten in sämt gesundes Vertrauensverhältnis zur möglichen Zielgruppe lichen Unterkünften etabliert werden. Standorte müssen aufbauen. Dabei ist wichtig, dass die Bewohner:innen dahingehend geprüft und beurteilt werden, ob diese für sich aktiv beteiligen und die Angebote mitgestalten kön- die menschenwürdige Unterbringung insbesondere von nen. Kommunikation auf Augenhöhe bedeutet auch, die Kindern, Jugendlichen und Frauen über mehrere Jahre Menschen als gleichwertige Expert:innen anzuerkennen geeignet sind. Durch die zusätzliche Einrichtung ge- und sie bedarfsgerecht zu fördern. Dazu gehört auch, die schützter Räume28 können Mädchen und junge Frauen Prozesse transparent zu gestalten und einen störungs Zeit außerhalb ihrer beengten Wohnräume verbringen freien Informationsfluss zu gewährleisten. Bewohner:innen und beispielsweise durch angeleitete Aktivitäten ihr haben ein Recht darauf, an allen sie betreffenden Ent- Wohlbefinden fördern. scheidungen beteiligt zu werden. Informationsteil habe ist hierbei ebenso wichtig wie die respektvolle Kommuni- kation auf Augenhöhe. 27 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/mindeststandards-zum-schutz-von-gefluechteten-menschen-in-fluechtlingsunterkuenften/117474 28 https://www.plan.de/kinderschutzprogramm-in-deutschland/kinderfreundliche-unterkunft-fuer-ein-gesundes-aufwachsen.html KINDERRECHTE UND INTEGRATION 13
Gewalt- und Kinderschutz in Unterkünften Ein gleichberechtigter und niedrigschwelliger Zugang zu allgemeinen und kindgerechten Informationen über die Für die gesunde Entwicklung von Kindern ist es beson- Rechte der Kinder sowie über bedarfsgerechte Aktivi- ders nach traumatischen Erfahrungen enorm wichtig, täten sollte für Kinder und ihre Erziehungsberechtigten dass wieder Erholung und Normalität sowie Ruhe und gewährleistet sein. Maßnahmen und Aktivitäten für und Familienleben einkehren. Die Resilienz und psychische mit Kindern sowie ihren Familien sollten möglichst mit Gesundheit von Kindern und ihren Familien sollten daher zeitlichem Vorlauf proaktiv und für die Zielgruppen glei- durch die Prävention von Gewalt gefördert werden. Auch chermaßen zugänglich beworben werden. Dabei sollten einer Gefährdung des Kindeswohls muss vorgebeugt auch hier Informationen verständlich in allen gängigen werden. Die Etablierung von Gewalt- und Kinderschutz- Sprachen zur Verfügung gestellt und Ansprechpersonen strukturen sollte in allen Unterkünften bevorzugt behan- für Fragen und Anmerkungen klar benannt werden. Bei delt werden. Ebenso muss gewährleistet sein, dass diese digitalen Bildungs- und Beschäftigungsangeboten ist regelmäßig aktualisiert werden. Die präventive und posi- sicherzustellen, dass Kinder und ihre Familien über die tive Wirkung dieser Strukturen sollte durch ein unabhän- nötigen technischen Voraussetzungen verfügen, um diese giges Monitoring und Evaluierung sichergestellt werden. gleichberechtigt wahrnehmen zu können. Foto: Plan International/Carolin Windel 14 KINDERRECHTE UND INTEGRATION
In sämtlichen Unterkünften sollten klare Ansprech Integrationsangebote sollten nach Möglichkeit den Be- personen und Mandate für einen wirksamen Gewalt- und darf an Kinderbetreuung während der Aktivitäten berück- Kinderschutz festgelegt sein. Diese sollten allen Bewoh- sichtigen und entsprechende Parallelangebote für die zu ner:innen, Mitarbeiter:innen und Akteur:innen innerhalb betreuenden Kinder schaffen. Auch sollten im Bereich der Unterkünfte bekannt sein. Die Ansprechpersonen für der Beratung und Informationsvermittlung mehr Ressour- den Gewalt- und Kinderschutz sollten zudem gut ausge- cen zu bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung bildet sein und im regelmäßigen Austausch mit den zu- investiert werden. Mit niedrigschwelligen und sprachlich ständigen Behörden stehen. Sie sollten außerdem dafür barrierefreien Informationsmaterialien sollte proaktiv für sorgen, dass die Gewalt- und Kinderschutzstrukturen Kindertagesstätten (und weitere Einrichtungen) geworben innerhalb der Unterkunft mit denen im Sozialraum ver- und Eltern dazu ermutigt werden, diese wahrzunehmen. bunden sind. Um angemessen auf Gewaltvorfälle und Auch ihr Bedarf, die Wohnsituation zu verändern, sollte auf vermeintliche Fälle von Kindeswohlgefährdung re- ernst genommen werden. Viele Bewohner:innen haben agieren zu können, müssen Mitarbeiter:innen regelmäßig in den Unterkünften kein ausreichendes Sicherheits geschult werden. Ein einheitliches und standardisiertes gefühl für sich und ihre Familien. Dabei können vor allem Verfahrens- und Wissensmanagement sollte etabliert und kindgerechte Strukturen und bauliche Voraussetzungen eingehalten werden. Klare und einheitliche Melde- und die Privatsphäre und das Sicherheitsgefühl im eigenen Verweissysteme innerhalb der Unterkünfte – und von den Wohnraum stärken. Dies fördert wiederum die Anbindung Unterkünften in die Hilfesysteme der Bezirke – müssen ver- an den Sozialraum und das Annehmen von Integrations- einbart werden. Die Mitarbeiter:innen mit entsprechendem angeboten. Mandat sollten alle Bewohner:innen darüber informieren, welche Rechte insbesondere schutzbedürftige Personen Eltern mit jüngeren Kindern sollten dabei unterstützt haben. Besonders von Gewalt betroffene Bewohner:innen werden, einen strukturierten Alltag und angemessene müssen über das Unterstützungssystem sowie Beratung Beschäftigungsmöglichkeiten für sich und ihre Kinder und Schutzeinrichtungen informiert werden. Die Informa- umsetzen zu können. Durch Elterntrainings, persönliche tionen über weiterführende Hilfen sollten in den jeweiligen Beratung und bedarfsgerechtes Informationsmaterial Sprachen verständlich und niedrigschwellig zur Verfügung kann dazu beitragen werden, ihren Alltag und den ihrer stehen. Nach Möglichkeit sollten vertrauensvolle und gut Kinder zu strukturieren. Verlässliche Routinen, Phasen geschulte Sprachmittler:innen zu festen und regelmäßigen des Spielens und des Lernens sowie Phasen der Bewe- Zeiten in den Unterkünften unterstützen, um eventuelle gung und der Entspannung wirken sich positiv auf das Sprachbarrieren abzubauen. psychosoziale Wohlbefinden der Kinder aus. Auch Eltern können die Situation durch die Routine besser bewältigen. Mitarbeiter:innen und Kooperationspartner:innen im Hilfe- Die gewonnene Zuversicht wirkt sich wiederum positiv auf system sollten auch im unmittelbaren Sozialraum Gewalt- den Umgang mit ihren Kindern aus. und Kinderschutzstrukturen für geflüchtete Menschen zu- gänglich gestalten. Bewilligungen von HzE-Maß nahmen Integrationsakteur:innen sollten bereits in der Unterkunft dürfen nicht in Abhängigkeit zum Wohnort oder dem Asyl- erste vertrauensaufbauende Aktivitäten anbieten, um antragsstatus vergeben werden. Jugendämter, Träger der Hemmschwellen von Bewohner:innen, Angebote außer- Kinder- und Jugendhilfe sowie soziale Einrichtungen für halb der Unterkunft anzunehmen, abzubauen. Speziell Gewaltopfer müssen so ausgestattet werden, dass sie geschulte Straßensozialarbeiter:innen sollten pro Bezirk Gewaltvorfälle und vermeintliche Fälle von Kindeswohl- einen stärkeren Fokus auf Unterkünfte für geflüchtete gefährdung angemessen nachverfolgen können. Ausge- Menschen legen, um so die Lücke zwischen den Bedürf- bildete Sozialarbeiter:innen sollten für die Bewohner:innen nissen in den Unterkünften zu den Angeboten im Sozial- vor Ort durch proaktive Beratungsarbeit und Vertrauens- raum besser schließen zu können. Die Hauptbedürfnisse, aufbau die Lücke zwischen den Bedarfen in der Unterkunft Kinderbetreuung, eine menschenwürdige und sichere und dem Angebot der Hilfesysteme schließen. Wohnsituation sowie Elternberatung, sollten zuerst an- gegangen werden, damit wichtige weiterführende Ange- bote wie Berufsberatung, Fort- und Weiterbildung sowie Sozialräumliche Anbindung Sprach- und Integrationskurse ebenfalls angenommen werden können. So kann die aufnehmende Gesellschaft Neu geschaffene Angebote zur Förderung der Integration sicherstellen, dass schutzsuchende Personen einen ziel- sollten sich nach dem tatsächlichen Bedarf der Zielgrup- führenden Zugang zum Sozialraum haben und gleich- pen richten. So ist es zwar richtig, dass Sprachkurse ein berechtigt am gesellschaftlichen Geschehen teilhaben wichtiger Bestandteil für ein selbstbestimmtes und unab- können. hängiges Leben sind, jedoch wissen wir aus den zahlrei- chen Befragungen und Gesprächen mit Bewohner:innen von Unterkünften für geflüchtete Menschen, dass häufig andere Herausforderungen im Vordergrund stehen. Diese resultieren vor allem aus ihrer Unterbringungs situation und sind eine enorme Hürde, die sie daran hindert, weiterführende Integrationsangebote wahrzunehmen. KINDERRECHTE UND INTEGRATION 15
Mädchen und junge Frauen Rechte vorzuenthalten und Mädchen gegenüber Jungen ungleich zu behandeln. Niedrigschwellig und frei von Neben den beschriebenen Maßnahmen, spezielle An- sprachlichen Barrieren können Mädchen und junge gebote in Verbindung mit Kinderbetreuung zu schaffen Frauen darin gestärkt werden, gleiche Chancen, gleiche und niedrigschwellig auf bestehende Kinderbetreuungs Teilhabe sowie gleiche Möglichkeiten zu erlangen. Das angebote hinzuweisen (siehe Absatz „Sozialräumliche Aufbrechen ungleicher Machtstrukturen von weiblichen Anbindung“), sollten vor allem Mädchen und junge Frau- und männlichen Geflüchteten erhöht die Möglichkeit auf en proaktiv über ihre Rechte und Möglichkeiten informiert gleiche Bildungschancen und verringert geschlechter- werden. Traditionellen Rollenbildern sollte durch stärkere basierte Gewalt sowie eine direkte Benachteiligung von Beteiligung von Mädchen und jungen Frauen an wichti- weiblichen Geflüchteten. Hierfür sollten klare Zuständig- gen Entscheidungen innerhalb der Unterkünfte entgegen- keiten und Ansprechpersonen transparent kommuniziert gewirkt werden. Kulturelle oder religiöse Überzeugungen werden und vor allem für besonders schutzbedürftige dürfen nicht als Vorwand genutzt werden, um Frauen ihre Personen erreichbar sein. Speziell Mädchen und junge 16 KINDERRECHTE UND INTEGRATION
Frauen benötigen die Gewissheit, dass sie nicht alleine siert werden. Gesellschaftliche und kulturelle Strukturen, sind und ihren Bedürfnissen mit erhöhter Sensibilität nach- welche ein gleichberechtigtes Leben für Mädchen und gegangen wird. junge Frauen verhindern, müssen überwunden werden. Hierbei ist auch die Aufklärung ihrer männlichen Ange- Jedes Mädchen und jede Frau sollte auch in einer Unter- hörigen sowie deren Unterstützung von essentieller Be- kunft für geflüchtete Menschen selbstbestimmt leben deutung. Ein respektvoller, gender- und kultursensibler und den sozialen Raum um sich herum aktiv mitgestal- Umgang mit diesem Thema kann das Wohlbefinden von ten können. So müssen vor allem ihre Bedürfnisse nach Mädchen und jungen Frauen innerhalb und außerhalb der körperlichem, mentalem und sozialem Wohlbefinden Unterkünfte erheblich steigern. Über spezielle Trainings ernstgenommen werden. Mädchen und junge Frauen kann Jungen und Männern vermittelt werden, dass eine sollten beispielsweise gleichberechtigt ihre sexuellen und gleichberechtigte Gesellschaft auch für sie Vorteile hat. reproduktiven Rechte wahrnehmen können, ohne dass Mit dem Einsatz aller Mitglieder einer Gemeinde können ihre Bedürfnisse tabuisiert und sie persönlich stigmati- traditionelle Normen und hinderliche Praktiken, welche zu Diskriminierungen und Ungleichheiten führen, nach- haltig überwunden werden. Alle Mädchen und Frauen sollten in der Lage sein ihre Meinung frei zu äußern und für ihre Rechte einzutreten, ohne dass ihnen Gewalt und Diskriminierung drohen. Als Wegbereiterinnen und gleichberechtigte Mitglieder können sie einen positiven gesellschaftlichen Wandel bewirken29. Covid-19 in Unterkünften für geflüchtete Menschen Auch und gerade in Krisenzeiten sollten die Schutz-, Beteiligungs- und Informationsrechte geflüchteter Men- schen gelten. Grundsätzlich sollte jede Unterkunft über kind- und familiengerechte Strukturen verfügen, welche sicherstellen, dass schutzbedürftige Personengrup- pen gehört werden und Zugang zu Informationen über Covid-19, Hygiene- und andere persönlich umsetzbare Schutzmaßnahmen erhalten. Ein uneingeschränkter Internetzugang sollte in allen Unterkünften dafür sorgen, dass digitale Informationen, Bildungs- und Beschäfti- gungsangebote und der essentielle Zugang zu Nach- richten und aktuellen Entwicklungen auch für geflüchtete Menschen zur Verfügung stehen. Auf besonders schutz- bedürftige Personengruppen muss mit erhöhter Sensibili- tät eingegangen werden: Gerade in Ausnahmesituationen sollten Ansprechpersonen zum Schutz vor Gewalt, vor allem für Mädchen und junge Frauen, erreichbar sein. Gewaltschutzhilfesysteme und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe müssen Kultur- und Migrationshintergrund berücksichtigen und behutsam strukturiert werden. Eine Krise und vor allem die Art der Unterbringung dürfen nicht zu einem Ausschluss aus dem Unterstützungssystem führen. Detailliertere Erkenntnisse und konkrete Hand- lungsempfehlungen können aus dem Plan International „Bilanzschreiben – Unterstützung von geflüchteten Men- schen im Rahmen der Covid-19-Response30“ sowie der „Handlungsempfehlung zum Umgang mit SARS-CoV-2 in Unterkünften für geflüchtete Menschen in Deutschland31“ entnommen werden. Foto: Plan International 29 https://www.plan.de/kampagnen-und-aktionen/girls-get-equal.html 30 https://www.plan.de/downloads.html?tx_psgsiteconf_downloadfile%5Bac- tion%5D=download&tx_psgsiteconf_downloadfile%5Bcontroller%5D=Con-tent&tx_ psgsiteconf_downloadfile%5BfileHmac%5D=a7fb7368fbf2e7d6f2eeaca481ac- 961cbc919a1d&tx_psgsiteconf_download-file%5BfileUid%5D=41314&tx_psgsite- conf_downloadfile%5BforceDownload%5D=1&cHash=b27b75178e46aa0e8629502b- 5f42ba8e#Bilanzschreiben 31 https://www.plan.de/fileadmin/website/05._Ueber_uns/Plan_Handlungsempfehlung_ SARS-CoV-2.pdf KINDERRECHTE UND INTEGRATION 17
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