Zusätzliche Schutzmaßnahmen bei der Intubation von COVID-19-Patienten

Die Seite wird erstellt Norbert Oswald
 
WEITER LESEN
Zusätzliche Schutzmaßnahmen bei der Intubation von COVID-19-Patienten
Aus der Praxis         MitteilungenS281

                                                                                      Practical Tips   Communications

                                                                        O. Milbradt · N. Kohlhase      Unter der „Haube“
                                                                                                       Zusätzliche Schutzmaßnah-
                                                                                                       men bei der Intubation von
                                                                                                       COVID-19-Patienten

  Zitierweise: Milbradt O, Kohlhase N: Unter der „Haube“. Zusätzliche Schutzmaßnahmen bei der
    Intubation von COVID-19-Patienten. Anästh Intensivmed 2020;61:S281–S283.
    DOI: 10.19224/ai2020.S281

Klinik für Anästhesiologie und operative              Die aktuelle SARS-CoV-2-Pandemie                 COVID-19-Erkrankung“ [6]. Die endotra-
Intensivmedizin, Clemenshospital Münster
(Chefarzt: Dr. med. N. Mertes)
                                                      stellt das deutsche Gesundheitssystem            chealen Intubationen und Bronchosko-
                                                      vor große Herausforderungen. Eine der            pien werden als Hochrisiko-Intervention
                                                      zentralen Herausforderungen ist dabei            gewertet. Basis der Schutzmaßnahmen
                                                      der Schutz des Personals in Gesund-              ist die korrekte An- und Ablage einer ad-
                                                      heitseinrichtungen. In Italien sind laut         äquaten persönlichen Schutzausrüstung
                                                      Mitteilung „Nationalen Instituts für             (PSA) mit wasser- und tröpfchendichtem
                                                      Gesundheit“ (ISS) [1] rund ein Zehntel           Kittel, Haube, FFP2- oder höherwerti-
                                                      der registrierten an COVID-19 erkrank-           ger Maske, doppelten Handschuhen,
                                                      ten Personen Angehörige des Gesund-              Schutzbrille und Gesichtsschutz. Der
                                                      heitssektors. Sie machen damit rund ein          Eigenschutz wird komplettiert durch
                                                      Zehntel der registrierten landesweiten           angepasste Intubations- und Donning-
                                                      Corona-Fälle aus. Auch in Deutschland            bzw. Doffing-Protokolle.
                                                      steigen die Zahlen von Infizierten im            Weltweit haben viele Kliniken zur
                                                      Gesundheitswesen weiter: Laut RKI-               Minimierung einer Aerosolexposition
                                                      Lagebericht vom 26.04.2020 wurde bei             Intubations-Boxen aus transparentem
                                                      8.744 Infizierten ermittelt, dass sie in         Kunststoff konstruiert oder transparente
                                                      einer medizinischen Einrichtung gemäß            Folien eingesetzt. Der Nutzen der jewei-
                                                      § 23 Abs. 3 IfSG tätig sind [4].                 ligen Verfahren wird jedoch kontrovers
                                                      Als Übertragungsweg von SARS-CoV-2               diskutiert. So kann hypothetisch die
                                                      gilt die Tröpfcheninfektion als gesichert.       Abnahme der Folie oder der Box zu
                                                      Die Übertragung über die Luft als Ae-            einer Verwirbelung der Umgebungsluft
                                                      rosol wird laut der Stellungnahme von            und damit zu einer Kontamination
                                                      BDA und DGAI als „wahrscheinlich“                führen. Auch eine Kontamination mit
                                                      angesehen. Leung et al. wiesen RNA-              adhärenten Tröpfchen wäre denkbar.
                                                      haltige Aerosole in der Ausatemluft von          Es konnte gezeigt werden, dass offene
                                                      Patienten nach [2]. Dies lässt final noch        Aerosolboxen keinen ausreichenden
                                                      keinen eindeutigen Schluss bezüglich ei-         Schutz vor austretenden Aerosolen aus
                                                      ner möglichen Pathogenität oder Vitalität        den vielen Öffnungen bieten [5]. Viele
Interessenkonflikt                                    zu. Doeremalen et al. konnten jedoch in          Modelle zeigten zudem Probleme bei
Die Autoren geben an, dass keine Interessen-          mit SARS-CoV-2 angereicherten Aeroso-            der Anwendung, beispielsweise durch
konflikte bestehen.                                   len vermehrungsfähige Viren bis zu drei          Einschränkungen in der Bewegungsfrei-
                                                      Stunden lang in der Luft nachweisen [3].         heit der Arme, oder werden hinsichtlich
 Schlüsselwörter                                                                                       der Sicherheit von Anwendern kritisch
                                                      Auf den genannten Annahmen und Er-
 COVID-19 – Intubation –                                                                               beurteilt.
                                                      kenntnissen basieren Empfehlungen von
 Aerosolbox – Barrier Enclo-
                                                      DGAI und des BDA zu „Besonderheiten
 sure during Endotracheal
                                                      des Atemwegsmanagements bei Patien-
 Intubation
                                                      ten mit vermuteter oder gesicherter

© Anästh Intensivmed 2020;61:S281–S283 Aktiv Druck & Verlag GmbH
Zusätzliche Schutzmaßnahmen bei der Intubation von COVID-19-Patienten
S282                       Mitteilungen              Aus der Praxis

                           Communications             Practical Tips

   Hier setzt die in unserer Klinik entwi-            Unter dem Patienten befindet sich eine              Tests mit einer Saugleistung von bis zu
   ckelte „Intubationsbox“ an. Hierbei                Kunststoffplatte, die mit Haltenuten an             120 l/min zeigten zwar eine deutlich
   handelt es sich um eine Konstruktion               der Box fixiert ist und einen sicheren              effektivere Erzeugung eines Unterdrucks,
   aus Plexiglas, die an die Maße eines OP-           Stand im Bett, auf einem weichem                    jedoch ist der limitierende Faktor hierbei
   Tischs adaptiert ist: Die Box ist 60 cm            OP-Tisch oder einer Schockraum-Trage                die Durchflussrate der Virenfilter. Von
   hoch, hat ein Volumen von 170 l und                gewährleistet. Zudem wird die Kon­                  den Herstellern wird nur bis zu einem
   verfügt über vier ovale Eingriffe. An diese        struktion durch Klettverschlüsse gegen              maximalen Umsatz von 60 l/min eine
   können „langärmlige“ wechselbare                   das Verrutschen gesichert, sodass auch              99,9%ige Absorption garantiert.
   Einmalhandschuhe mittels magnetischer              eine Oberkörperhochlagerung des Pa­                 In den von uns durchgeführten Tests mit
   Abschlussringe sicher fixiert werden.
                                                      tienten problemlos möglich ist.                     dem Exhalat von E-Zigaretten, welches
   Zwei Eingriffe befinden sich zur In­
   strumentierung am Kopfende. Durch die              Im Gegensatz zu anderen Konstruktio­                eine Partikelgröße von 20 bis 4.000 nm
   bilateralen seitlichen Öffnungen kann              nen lässt sich in der „Intubationsbox“              hat, dauerte es circa fünf Minuten, bis
   assistiert werden. Je nach Einsatzgebiet –         die ausgeatmete Luft des Patienten                  das Exhalat vollständig aus der „Intuba-
   Bettplatz, Intensivstation, Notaufnahme            absaugen. Eine Narkosegasabsaugung                  tionsbox“ abgesaugt war. Wir belassen
   oder OP – kann die Assistenz von links             wird mittels eines Konnektors an die                sie daher nach einer Intervention für
   oder rechts erfolgen. Der Kabelkanal               Box adaptiert. Die Anschlüsse sind mit              mindestens fünf Minuten über dem Pa­-
   verläuft etwas über der Kopfhöhe des               den ISO-Standardmaßen eines handels-                tienten, bevor sie vorsichtig entfernt
   Patienten und kann ohne das Abnehmen               üblichen Virenfilters kompatibel. Hieran            wird.
   der Haube entfernt werden.                         kann die Narkosegasabsaugung mit                    Die „Intubationsbox“ ist keinesfalls ein
   Die Box wird fußseitig mittels einer an            einer Saugleistung von 60 l/min ange-               Ersatz für eine adäquate PSA gemäß
   Magnetstreifen befestigten Folie um den            schlossen werden, alternativ auch eine              TRBA 250. Sie ist jedoch ein zusätz-
   Patienten modelliert und abgedichtet.              autarke Absaug-Vorrichtung.                         licher Baustein, um das Personal bei

    Abbildung 1

    „Intubationsbox“ auf einem OP-Tisch mit Dummy-Puppe. Zu erkennen sind die Platzierung der Plastikfolie zur Abdichtung der Box nach kaudal sowie die
    aktive Absaugung der Aerosole mit HME-Filter. Die schwarzen Klettbänder dienen als zusätzlicher Schutz gegen Verrutschen und Kippen.

                                                                                  © Anästh Intensivmed 2020;61:S281–S283 Aktiv Druck & Verlag GmbH
Zusätzliche Schutzmaßnahmen bei der Intubation von COVID-19-Patienten
Aus der Praxis         MitteilungenS283

                                                                                  Practical Tips   Communications

 Abbildung 2
                                                                                                        exhaled breath and efficacy of face
                                                                                                        masks. Nat Med 2020. DOI: 10.1038/
                                                                                                        s41591-020-0843-2
                                                                                                   3.   Doremalen N, Bushmaker T, Morris DH,
                                                                                                        Holbrook MG, Gamble A, Williamson
                                                                                                        BN, et al: Aerosol and Surface Stability
                                                                                                        of SARS-CoV-2 as Compared with SARS-
                                                                                                        CoV-1. N Engl J Med 2020;382:1564–
                                                                                                        1567. DOI: 10.1056/NEJMc2004973
                                                                                                   4.   RKI. Situationsbericht vom 26.04.2020
                                                                                                   5.   Dalli J, Khan MF, Marsh B, Nolan K,
                                                                                                        Cahill RA, et al: Evaluating intubation
                                                                                                        boxes for airway management. BJA 1131
                                                                                                        (Journal Pre-proof). DOI:10.1016/j.
                                                                                                        bja.2020.05.006.
                                                                                                   6.   Schälte G, Kehl F, Didion N, Pirlich N,
                                                                                                        Bickenbach J, Rehm M, et al: Beson-
 Positionierung der Grundplatte auf einem OP-Tisch. Die Führungsschienen zur sicheren Fixierung         derheiten des Atemwegsmanagements
 der Box verhindern unbeabsichtiges Verrutschen auf dem OP-Tisch.                                       bei Patienten mit vermuteter oder
                                                                                                        gesicherter COVID-19-Erkrankung und
                                                                                                        bei Patienten ohne Infektion während
                                                                                                        der Corona-Pandemie. Empfehlungen
Hochrisiko-Interventionen zu schützen.             Konstruktion potenziell auch auf andere
                                                                                                        von DGAI und BDA. Anästh Intensivmed
Die „Intubationsbox“ bietet gegenüber              Bereiche ausweitet, wie zum Beispiel bei             2020;61:S132–S136. DOI: 10.19224/
reinen Folienlösungen ein überlegenes              der Durchführung der HFNC-Therapie                   ai2020.S132.
Handling und eine bessere Abdichtung.              und der damit assoziierten höheren
Conditio sine qua non ist eine intensive           Aerosolbelastung der Umgebungsluft.
Anwenderschulung und Simulations-
training vor der ersten Nutzung der
                                                   Das Personal berichtete von keinen               Korrespondenz-
                                                   nennenswerten physikalischen Ein-                adresse
„Intubationsbox“.
                                                   schränkungen während der Intubation
Am Clemenshospital Münster wird die                (verglichen zur Folienlösung und zum
„Intubationsbox“ bei der endotrachealen            ersten „Intubationsbox“-Prototypen) und          Oliver Milbradt
Intubation von schwer an der COVID-19
                                                   fühlte sich deutlich besser geschützt.           Klinik für Anästhesiologie und
erkrankten Patienten sowohl im OP als
auch auf der Intensivstation erfolgreich                                                            operative Intensivmedizin
eingesetzt. Auch andere Klinken, die               Literatur                                        Clemenshospital
sich für diese Lösung entschieden haben,                                                            Düesbergweg 124
                                                   1. Situationsbericht vom 18.04.2020              48153 Münster, Deutschland
berichteten über keinerlei Probleme beim              ISS Istituto Superiore di Sanità (Italian
Handling. Die Compliance der Patienten                National Institute of Health)
                                                                                                    Tel.: 0251 976 5553
ist sehr gut und die „Intubationsbox“              2. Leung NHL, Chu DKW, Shiu EYC,                 E-Mail: O.Milbradt@alexianer.de
wurde nicht als beengend wahrge-                      Chan K-H, McDevitt JJ, Hau BJP,               ORCID-ID: 0000-0002-3858-0691
nommen, was die Anwendbarkeit der                     et al: Respiratory virus shedding in

© Anästh Intensivmed 2020;61:S281–S283 Aktiv Druck & Verlag GmbH
Zusätzliche Schutzmaßnahmen bei der Intubation von COVID-19-Patienten Zusätzliche Schutzmaßnahmen bei der Intubation von COVID-19-Patienten Zusätzliche Schutzmaßnahmen bei der Intubation von COVID-19-Patienten
Sie können auch lesen