Kieferhöhlenkarzinom auf Basis eines invertierten Papilloms
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60 Zahnmedizin Differentialdiagnose der chronischen Sinusitis maxillaris Kieferhöhlenkarzinom auf Basis eines invertierten Papilloms Cristian T. Räder, Martin Kunkel renden Diagnostik. Eine NNH-Auf- nahme zeigte das Bild einer links- seitigen Sinusitis maxillaris mit kompletter Verschattung (Abbil- dung 1). Die anderen Nasenne- benhöhlen stellten sich frei dar. Die nachfolgende MRT-Untersu- In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor, die diagnostische Schwierigkeiten auf- chung erbrachte keinen Nachweis geworfen haben. Die Falldarstellungen eines frischen cerebralen Insultes. sollen den differentialdiagnostischen Blick Es zeigte sich jedoch eine ausge- der Leser schulen. dehnte, destruierend wachsende Raumforderung der linken Kiefer- höhle, die bereits die Orbita infil- einseitige Verschattung im Bereich der links- triert hatte und auch kontinuier- seitigen Kieferhöhle erkennbar (Abbildung lich in die Nasenhaupthöhle vor- 3), die typischerweise ohne andere Informa- wuchs (Abbildung 2). tionen als Sinusitis gedeutet worden wäre. Unter dem Verdacht einer Neo- Die erweiterte radiologische Diagnostik mit- plasie der Kieferhöhle wurde der tels Computertomographie zeigte dann das Patient anschließend zur weiteren gesamte Ausmaß des Tumorgeschehens in Therapieplanung unserer Klinik zu- der linken Kieferhöhle mit Arrosionen der gewiesen. Die gebietsbezogene ra- Kieferhöhlenwände linksseitig und Einbruch diologische Basisdiagnostik ergab in die Orbita, den Siebbeinkomplex und den Abbildung 1: Nasennebenhöhlenaufnahme mit keine dentogenen infektiösen Ur- Retromaxillärraum (Abbildungen 4a+b). Re- deutlicher Verschattung der linken Kieferhöhle sachen. Allerdings war auch auf gional zeigten sich in der Sonographie meh- dem Ortho-pantomogramm eine rere vergrößerte zervikale Lymphknoten. Zur Ein 82-jähriger Patient stellte sich mit einem erstmals vor rund acht Wochen bemerkten, Abbildung 2: Magnetresonanz- seit drei Wochen zunehmenden Taubheits- tomographie, coro- gefühl im Bereich der linken Wange und nare Schnittebene: Oberlippe zunächst in einer Klinik für Innere ausgedehnte invasiv wachsende Raumfor- Medizin vor, nachdem sein Allgemeinzu- derung der linken stand unter Appetitlosigkeit und Schwäche- Kieferhöhle, die gefühl deutlich eingeschränkt war. Unter bereits die Orbita infiltriert und auch Annahme einer cerebralen Ischämie erfolgte kontinuierlich in die dort die stationäre Aufnahme zur weiterfüh- Nasenhaupthöhle vorwächst Auch für diesen „Aktuellen klinischen Fall” können Sie Fortbildungspunkte sammeln. Mehr bei www.zm-online.de unter Fortbildung. zm 99, Nr. 22 A, 16.11.2009, (3092)
61 Diagnosesicherung wurde eine Biopsie im Abbildung 3: Das Orthopantomo- Bereich der vestibulären Kieferhöhlenwand gramm zeigt im vorgenommen. Abbildung 5 zeigt den Seitenvergleich beider Durchbruch der Tumormassen durch die Kieferhöhlen eine Ver- schattung der linken Kieferhöhlenwand. Korrespondierend zum Kieferhöhle. Ein den- klinischen Aspekt eines papillomatösen Ge- togener Fokus ist webes (Abbildung 6) wurde der Befund in nicht erkennbar. der Schnellschnitt-Diagnostik zunächst als invertiertes Papillom gewertet. Die weitere Aufarbeitung des Gewebes ergab dann aber das Bild eines gut differenzierten, verhornen- den Plattenepithelkarzinoms (Abbildung 7). Der Patient konnte sich unter voller Infor- mation über die Belastungen einer kurativ Diskussion Tumor bei Männern in der fünften und intendierten, multimodalen Therapie mit sechsten Lebensdekade auf, in der Regel (91 radialchirurgischer operativer Sanierung Das invertierte Papillom ist ein benigner bis 99 Prozent der Fälle) unilateral. Seinen und nachfolgender Radio-Chemotherapie Tumor und zählt mit einem Anteil von 0,5 Ursprung hat das invertierte Papillom meis- letztlich nicht zu einem radikal-chirurgi- bis 4 Prozent und einer jährlichen Inzidenz tens an der lateralen Wand der Nasenhaupt- schen Vorgehen entschließen, sondern ent- von 0,75 bis 1,5/100 000 zu den eher selte- höhle, kann aber auch dem Nasenseptum schied sich gemeinsam mit seinen Angehö- nen Tumoren des Nasen- und Nasenneben- oder den Nasennebenhöhlen, und dort rigen zu einem palliativen Vorgehen. höhlensystems. Am häufigsten tritt dieser vorzugsweise dem Sinus maxillaris, ent- zm 99, Nr. 22 A, 16.11.2009, (3093)
62 Zahnmedizin zinoms, liegt in der diagnostischen Ab- grenzung von entzündlichen Sinusitiden. Diese Abgrenzung betrifft speziell die Zahnheilkunde, da im Gegensatz zur „beidseitigen“, zumeist durch Funktions- störungen der osteomeatalen Einheit ver- ursachten Erkrankung, die „einseitige“ Si- nusitis maxillaris recht häufig dentogenen Ursprungs ist. Patienten mit beidseitigen Sinusitiden werden daher ganz überwie- gend primär dem hals-nasen-ohrenärzt- lichen Fachgebiet zugeleitet, während Patienten mit einseitigen Sinusitiden sehr a b häufig zunächst in der zahnärztlichen oder Abbildung 4a+b: Computertomographie: Sowohl auf der axialen Schnittebene (a) als auch in der MKG-chirurgischen Praxis vorgestellt wer- coronaren Darstellung (b) ist das Wachstumsverhalten des Tumors mit weitgehender Destruktion der den. Gerade bei der „einseitigen“ Sinusitis Kieferhöhlenwände und Ausbreitung zur Orbita und nach retromaxillär deutlich erkennbar. maxillaris stellt sich aber regelmäßig die Frage der Abgrenzung zum Kieferhöhlen- springen [Salmone et al., 2008]. Obwohl es und behandlerseitig zumeist als rezidivieren- karzinom (oder invertierten Papillom), vor sich bei dem invertierten Papillom um einen de Rhinosinusitiden interpretiert werden. Die allem, wenn sich keine eindeutigen Ursa- benignen Tumor handelt, wird das klinische Besonderheit des „einseitigen Schnupfens“ chen für eine dentogen entzündliche Pa- Verhalten doch durch ein lokal aggressives, wird als Alarmsymptom in der Regel nicht thogenese finden. Auch im aktuellen Fall destruierendes Wachstum mit großem Inva- bewusst wahrgenommen. Die für einen Kie- finden sich im OPG nur sehr diskrete rönt- sionspotential [Oikawa et al., 2003], häufi- ferhöhlenkarzinom charakteristischen Symp- genmorphologische Zeichen des destruie- gen Rezidiven [Vrabec, 1994] und vor allem tome wie spontane, einseitige Blutungen, renden Tumors (unscharfe KH-Wandungen durch eine relevante Tendenz zur malignen foetide Sekretion, Sensibilitätsstörungen des im Seitenvergleich), die fehlenden dento- Entartung (7,1 und 3,6 Prozent) [Buchwald & Bradley, 2007] geprägt. Die Entwicklung des invertierten Papilloms und auch die Transformation zum invasiven Karzinom bleibt typischerweise lange symp- tomlos und ist auch bei manifesten Karzino- men oft nur mit unspezifischen Beschwerden (Druckschmerz) verbunden, die patienten- Abbildung 5: Intraoperativer Situs: Der Tumor durchbricht erkennbar die Kieferhöhlenwand und ist als blumenkohlartige Auftreibung erkennbar. N. infraorbitalis oder Bulbusmotilitätsstörun- genen Ursachen (zahnloser Patient) einer gen sind Zeichen der weit fortgeschrittenen einseitigen Sinusitis geben aber in jedem Erkrankung, die dann häufig bereits an der Fall Anlass zu weiteren Überlegungen und Abbildung 6: Grenze der kurativen Behandlungsoptionen erweiterter Diagnostik. Das Resektat zeigt eine papillomatöse Ober- steht [Salmon et al., 2008]. Therapeutisch steht beim invertierten fläche. Insofern war die Schnellschnitt-Wer- tung des Gewebes als invertiertes Papillom Die zentrale Problematik des invertierten Papillom die chirurgische Entfernung im vom klinischen Aspekt gut nachvollziehbar. Papilloms, aber auch des Kieferhöhlenkar- Vordergrund, wobei die hohe Rezidiv- zm 99, Nr. 22 A, 16.11.2009, (3094)
63 tendenz ein radikales chirurgisches Vor- gehen rechtfertigt. Die Behandlung des Fazit für die Praxis fortgeschrittenen Kieferhöhlenkarzinoms ■ Obwohl das invertierte Papillom eine beni- erfordert praktisch immer multimodale gne Erkrankung darstellt, zeichnet es sich durch Therapiekonzepte. ein lokal aggressives, destruierendes Wachs- Mit der Erweiterung der Röntgendiagnostik tum aus und hat daher eine hohe Rezidivrate. durch die digitale Volumentomographie ■ Es besteht außerdem eine Tendenz zur rückt die Kieferhöhle mit ihren pathologi- malignen Transformation. schen Befunden in das unmittelbare Blick- ■ Die klinische Symptomatik und nativradio- feld der zahnärztlichen Diagnostik. Damit logische Darstellung eines invertierten Papil- überträgt sich dann aber auch die Verant- loms und auch des Karzinoms der Kieferhöhle wortung für das Erkennen relevanter patho- kann über eine lange Zeit von der Sinusitis logischer Befunde der Kieferhöhle auf das maxillaris nicht sicher abgegrenzt werden. Fachgebiet der Zahnheilkunde. ■ Die „charakteristischen“ Symptome wie Blutung, foetide Sekretion, Sensibilitäts- Dr. Cristian T. Räder störungen des N. infraorbitalis oder Bulbus- Prof. Dr. Dr. Martin Kunkel motilitätsstörungen sind Zeichen der weit Klinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie fortgeschrittenen Erkrankung. Ruhr-Universität Bochum ■ Bei einer einseitigen Erkrankung der Knappschaftskrankenhaus Kieferhöhle ohne adäquate dentogene Ur- Bochum-Langendreer In der Schornau 23-25 sache oder „einseitigem Schnupfen“ sollten 44892 Bochum grundsätzlich erweiterte diagnostische cristian.raeder@rub.de Maßnahmen, beispielweise eine DVT-/CT- martin.kunkel@rub.de Darstellung oder eine endoskopische Unter- suchung eingeleitet werden. Abbildung 7: Histologisches Präparat: Es zeigen sich Anteile eines verhornenden Plattenepithel- karzinoms mit deutlich infiltrativem Wachstum. Die angrenzenden Epithelbezirke weisen deut- liche Schichtungsstörungen und atypische Zellen im Sinne einer hochgradigen intraepithelialen Neoplasie auf. Die abschließende histopathologische Diagnose ergab ein Plattenepithelkarzinom auf der Basis eines invertierten Papilloms. Die Abbildung wurde von Prof. Dr. Andrea Tannapfel, Direktorin des Instituts für Pathologie der Ruhr-Universität Bochum, zur Verfügung gestellt. Die Literaturliste kann im Bereich Download auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. zm 99, Nr. 22 A, 16.11.2009, (3095)
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