ZWISCHEN NEUBEGINN UND REFORM: TURBULENTE POSTJAHRZEHNTE

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ZWISCHEN NEUBEGINN UND REFORM: TURBULENTE POSTJAHRZEHNTE
ZWISCHEN NEUBEGINN UND REFORM:
TURBULENTE POSTJAHRZEHNTE
Die Deutsche Bundespost 1945–1989

M
         it Kriegsende im Mai 1945 war auch       post mit Hans Schuberth als erstem Minister
         der Post- und Fernmeldeverkehr           für das Post- und Fernmeldewesen in der Re-
         zum Erliegen gekommen. Die wich-         gierung von Konrad Adenauer.
tigsten Einrichtungen lagen meistens in der           Die Entwicklung im Osten folgte einer
Nähe von Bahnhöfen und waren ebenso zer-          eigenen Dynamik. Mit der Gründung der
bombt wie die Verkehrswege insgesamt zer-         Deutschen Demokratischen Republik am
stört. Der Alliierte Kontrollrat mit Vertretern   7. Oktober 1949 wurde die Hauptverwaltung
der vier Besatzungsmächte USA, Großbritan-        Post- und Fernmeldewesen in der Deutschen
nien, UdSSR und Frankreich übte die oberste       Wirtschaftskommission für die sowjetische
Staatsgewalt aus. In seine Zuständigkeit fiel     Besatzungszone in das Ministerium für Post-
auch das Post- und Fernmeldewesen. Die ers-       und Fernmeldewesen umgebildet. Mit der
ten Bestimmungen waren rigide: Technische         Leitung der Deutschen Post wurde hier der
Einrichtungen mussten eingestellt, Geräte ab-     ausgewiesene Postfachmann Friedrich Bur-
geliefert werden, auch Brieftauben waren als      meister beauftragt.
Boten untersagt. Die Besatzungsmächte ver-            Im Jahr davor war in den westlichen Be-
boten jede private Nachrichtenübertragung.        satzungszonen die Währungsreform durch-
Dabei hatten die Menschen, die nach Ange-         geführt worden. Am 20. Juni 1948 stellten die
hörigen, Freunden und Bekannten suchten,          Postämter Schalterhallen und Mitarbeiter zur
ein großes Informationsbedürfnis und waren        Verfügung, damit das sogenannte „Kopfgeld“                Telegramm für Angehörige aus dem Lager Friedland, 1955
auf funktionierende Nachrichtenkanäle an-         von 40 Mark möglichst schnell an möglichst                Am 20. September 1945 eröffnete die britische Militärverwaltung das Lager
gewiesen. Im Herbst 1945 lockerten die Mili-      viele Menschen ausgegeben werden konn-                    Friedland, um Flüchtlinge, Vertriebene, Evakuierte und Rückwanderer
                                                                                                            zu versorgen. In den 1950er-Jahren wurde Friedland zur bedeutendsten
tärverwaltungen die Restriktionen und ließen      te. Im regulären Postbetrieb mussten zudem                Einrichtung dieser Art und spielte vor allem für die Kriegsheimkehrer aus
das Versenden von Postkarten zu, kurze Zeit       alle Schalterplätze mit der neuen Währung                 sowjetischer Gefangenschaft eine große Rolle. Sie wurden hier betreut und
später dann auch wieder Briefpost.                versorgt werden, vor allem mit Münzen.                    konnten per Telegramm die Angehörigen über ihre Heimkehr informieren.

    Briten und Amerikaner einigten sich           Im Postscheck- und Postsparkassendienst
schließlich darauf, die Post- und Fernmel-        wurden die alten Konten geschlossen und
desysteme ihrer Besatzungszonen zusam-            D-Mark-Konten eingerichtet.
menzuführen und unter die Leitung einer               Bevor die Deutsche Bundespost in der        erkannt, darunter rund eine Million Spar-
gemeinsamen Hauptverwaltung zu stellen.           noch jungen Republik zu einem Motor des         bücher von Flüchtlingen – für diese oft alles,
Diese Hauptverwaltung nahm Anfang 1947            ökonomischen Aufschwungs wurde, hatte sie       was ihnen geblieben war. Dem Prinzip, für
ihre Arbeit in Frankfurt am Main auf und          einen wertvollen Beitrag zur sozialen Integ-    das Allgemeinwohl Verantwortung zu über-
wurde nach dem Inkrafttreten des Grund-           ration geleistet. Ehemalige Kriegsgefangene,    nehmen, blieb die Post auch in den folgen-
gesetzes damit beauftragt, die Geschäfte des      Flüchtlinge und Vertriebene fanden hier den     den Jahrzehnten treu. Bei der öffentlichen
Postministeriums für das vereinigte Wirt-         Einstieg in die Erwerbstätigkeit und damit      Auftragsvergabe wurden Flüchtlinge aus der
schaftsgebiet wahrzunehmen. Am 1. April           eine berufliche Heimat. Rund 5,7 Millionen      DDR und Werkstätten für Behinderte beson-
1950 entstand daraus die Deutsche Bundes-         alte Postsparbücher wurden erfasst und an-      ders berücksichtigt.

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                                                                                                    SPAHRBIER
   DIE POST IM                                     tung überzeugt werden, denn dazu zwingen,
   WIRTSCHAFTSWUNDER                               etwa per Gesetz, konnte die Post niemanden.      Er war nicht nur persönlich allgemein be-
                                                   1955 startete deshalb eine mehr als zehn Jahre   kannt in Deutschland, er verhalf auch seinem
     In der Aufbauphase, in der die anhaltend      währende Kampagne. Hauptargument war die         Berufsstand – was schon kaum möglich war
gute Wirtschaftslage für eine weitere Zunah-       Entlastung der Zusteller. „Wir helfen unserem    – zu weiterer Popularität: Der Geldbriefträger
me des Briefaufkommens sorgte, wurde nach          Briefträger“, „Viele Stufen, schwere Lasten“     Walter Spahrbier war der Showmaster-Sidekick
Möglichkeiten gesucht, den Informations-           oder „Kein Gipfelsturm der Briefträger mehr“     der 1950er- bis 1970er-Jahre in Deutschland,
und Warenaustausch weiter zu beschleunigen.        hießen die Slogans.                              streng korrekt und dafür beliebt, seit ihn Peter
Der Abgangsdienst fand weitgehend dezentra-            Gleich zu Beginn der 1960er-Jahre stellte    Frankenfeld in Hamburg für die Fernsehshow
lisiert in den sogenannten Einlieferungspost-      die Bundespost der Öffentlichkeit ein neues      „1:0 für Sie“ entdeckte. Da Spahrbier „ein
anstalten statt, die Feinsortierung hingegen in    vierstelliges numerisches Postleitzahlensystem   wünschenswertes Bild des deutschen Be-
der Bahnpost. Das war ein zeitraubendes Ver-       vor und startete eine Werbekampagne unter        amten“ vermittle, wurde er regelmäßig für
fahren, und die Mitarbeiter bei der Briefsortie-   dem Motto „Vergiß mein nicht – die Postleit-     einige Tage freigestellt, um in Sendungen wie
rung waren oft überlastet. Als Reaktion darauf     zahl“. Zum ersten Mal nutzte man dabei das       „Vergißmeinnicht“, „Drei mal Neun“ und „Der
begann die Post ihr Betriebsverfahren syste-       Fernsehen als Werbeträger. Viele Quizfragen      große Preis“ mit Showmaster Wim Thoelke die          „Vergiß mein nicht
matisch zu rationalisieren. Die großen Post-       in der von Peter Frankenfeld konzipierten und    Gewinner zu verkünden. Das gediegene Flair           – die Postleitzahl“,
verwaltungen entwickelten zusammen mit der         moderierten Spielshow „Vergißmeinnicht“          historischer Postuniformen steigerte noch seine      1960er-Jahre
Industrie automatische Briefverteilanlagen.        drehten sich um das Erraten von vier Ziffern     Popularität, die er als erfolgreicher Spenden-       Die Post fordert nicht
Im Herbst 1954 erhielt das Postamt in Dort-        oder einer Stadt, deren Postleitzahl dem Kan-    sammler für die „Aktion Sorgenkind“ nutzte.          – sie wirbt! Anfang der
                                                                                                                                                         1960er-Jahre warb die
mund das erste serienfertige Modell, das an        didaten genannt wurde.                           Zu seinem 75. Geburtstag wurde ihm dafür das         Deutsche Bundespost ge-
einem Tag durchschnittlich 575 000 Sendun-             Die automatische Briefbearbeitung baute      Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.             mäß Postminister Stücklens
gen in 100 Richtungen verteilen konnte. 1955       auf den neuen Postleitzahlen auf, und es konn-                                                        Devise bei den Bürgern
                                                                                                                                                         um Aufmerksamkeit für
nahm in Darmstadt die Fachgruppe „Automa-          ten jetzt auch Hilfskräfte ohne gute geografi-       Walter Spahrbier (1905−1982) war                 die neuen vierstelligen
tisierung des Briefdienstes“ ihre Arbeit auf.      sche Kenntnisse im Sortierdienst eingestellt         Geldzusteller in Hamburg und Glücks-             Postleitzahlen. Eine breit
     Auch die Bedürfnisse des Kunden rückten       werden. Das war hilfreich, denn das Personal         postbote in verschiedenen Shows der              gefächerte Kampagne
                                                                                                                                                         unter dem Signet kleiner
in den Fokus der Aufmerksamkeit, man suchte        war knapp in jenen Jahren, auch bei der Post.        deutschen Fernsehgeschichte                      Vergissmeinnicht-Blüten
nach einem zeitgemäßen Umgang. Die Klapp-          Und der Werbefeldzug für die „Vierstellige“                                                           trug zur Popularisierung
und Schiebefenster an den Schaltern wichen         hatte Erfolg: Schon nach einem Jahr waren                                                             der vier Zahlen bei, die
                                                                                                                                                         1962 eingeführt wurden.
halbhohen oder geschlossenen Glasfenstern.         85 Prozent der verschickten Sendungen mit                                                             Mit der gleichnamigen
Damit war der erste Schritt hin zu einer part-     den korrekten Postleitzahlen beschriftet.                                                             Quiz-Sendung, die von
nerschaftlichen Kommunikation vollzogen.               Seit 1956 wurde nur noch einmal am Tag                                                            1964 bis 1969 im ZDF
                                                                                                                                                         lief, festigte sich deren
Umgekehrt wurden die „Postbenutzer“ um             zugestellt, doch dieser Wegfall an Dienstleis-                                                        Bekanntheit in der Bevöl-
Mithilfe bei der Zustellung gebeten. Nach-         tung wurde schnell ausgeglichen, nachdem                                                              kerung.
dem das Bundespostministerium beschlossen          die Bundespost Anfang der 1960er-Jahre ein
hatte, Hausbriefkästen einzuführen, mussten        funktionierendes Nachtluftpostnetz aufgebaut
die Bundesbürger vom Nutzen dieser Einrich-        hatte. Das Netz war sternförmig angelegt, alle

                                                                                                                                                 81
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                                                                                                      STÜCKLEN
Sendungen wurden zunächst nach Frankfurt
am Main geflogen, dann an die Zielflughäfen                                                           „Ein parlamentarisches Urgestein“, so hat
weitergeleitet. Durch den Anschluss an die                                                            man Bundespostminister Richard Stücklen zu
Bahn- und Straßenposten erfolgte die Zustel-                                                          Recht genannt. Der geborene Mittelfranke und
lung am nächsten Morgen. Damit erreichte ein                                                          diplomierte Elektroingenieur leitete nach dem
Brief, der nachmittags eingeworfen wurde, be-                                                         Krieg zunächst die väterliche Schlosserei. 1949
reits am Tag darauf seinen Zielort.                                                                   zog er als CSU-Mitbegründer für den Wahlkreis
    Mit einer enormen Steigerung des Produk-                                                          Weißenburg/Roth in den ersten Deutschen
tionsvolumens war die Post zu einem maßgeb-                                                           Bundestag ein − und blieb dort für 41 Jahre.
lichen Teil des deutschen Wirtschaftswunders                                                          Von 1979 bis 1983 war er Präsident des
geworden. 1960 beförderte sie doppelt so viele                                                        Bundestages, wo er sein Amt „mit Bonhomie
Briefe und zweieinhalbmal so viele Reisende                                                           und fränkischem Frohsinn“ führte. Stücklens
wie noch zehn Jahre zuvor. Auch wickelte man                                                          Vorschlag, Abgeordneten ein „politikfreies
fast dreieinhalbmal so viele Ferngespräche ab                                                         Wochenende“ pro Monat zu gönnen, fand den
und zwanzigmal mehr Fernschreiben im Aus-                                                             folgenlosen Applaus aller Fraktionen.
landsverkehr. Seit 1955 war die Deutsche Bun-                                                         Auch seine Zeit als Bundesminister für das
despost wieder Mitglied im Weltpostverein                                                             Post- und Fernmeldewesen, erst unter Konrad
und hatte so auf dem internationalen Parkett                                                          Adenauer, dann unter Ludwig Erhard, behält
wieder Fuß gefasst.                                                                                   die Nachwelt in guter Erinnerung. Richard
    Die Postminister der Adenauer-Ära muss-                                                           Stücklen erwarb sich große Verdienste bei der
ten jedoch die Erfahrung machen, dass sie die    Werkzettel mit der Aufforderung, ein Buch            Verbesserung und Erweiterung des Selbstwähl-
Post- und Fernmeldegebühren nicht unab-          in die DDR zu schicken, o. J.                        ferndienstes, der das „Fräulein vom Amt“ in
hängig festsetzen konnten. Vielmehr galten       „Lasst sie nicht allein“ oder „Baue eine Brücke“ –   den Ruhestand entließ. In seine Amtszeit fiel
diese Gebühren als Politikum, mit denen der      die Bundesregierung animierte ihre Bürger            zudem die Revolutionierung der Briefzustel-
                                                 regelmäßig, die Landsleute in der „Ostzone“
Staat Signale gegenüber seinen Bürgern setzen    nicht zu vergessen.                                  lung durch das neue vierstellige Postleitzahlen-
konnte. Eine stabile Gebührenpolitik wurde                                                            system.
als wesentlicher Beitrag zur Stützung der all-                                                        Stücklen war auch sonst seiner Zeit voraus,
gemeinen Preispolitik empfunden. So lehnte                                                            denn schon damals wollte er aus der „ho-
Konrad Adenauer Anfang der 1960er-Jahre          ne“, die freilich auf tatkräftige Unterstützung      heitlichen“ Post einen Dienstleistungsbetrieb
den ausdrücklichen Wunsch des damaligen          durch Freunde und Verwandte angewiesen               machen, der nicht „Postbenutzer“ bedient,
Postministers Richard Stücklen nach einer        waren − vornehmlich mit Hilfe der Post.              sondern Kunden.                                      Richard Stücklen
Gebührenerhöhung ab.                             Keine Litfaßsäule der 1950er-Jahre, auf der                                                               (1916−2002) war von
    Oft ein wenig pflichtschuldig und manch-     nicht an die „Gesamtdeutsche Brücke“ erin-                                                                1957 bis 1966 Minister
mal mit pathetischem Gestus gedachten die        nert und gemahnt wurde: „Oft schicken, viel                                                               für das Post- und Fern-
Westdeutschen wenigstens zu den Feiertagen       schreiben, beisammen bleiben“. Nicht nur zur                                                              meldewesen
der „Brüder und Schwestern in der Sowjetzo-      Weihnachtszeit schickten Bundesbürger ih-

                                                                                                                                                   83
ZWISCHEN NEUBEGINN UND REFORM: TURBULENTE POSTJAHRZEHNTE
II. HISTORIE

Mitglieder der
Kommission „Deutsche
Bundespost“, 1969
In seiner Regierungser-
klärung im Oktober 1969
wies Willy Brandt darauf
hin, dass sich die ministeri-   ren Freunden und Verwandten in der DDR              lesen, wenn diese maschinell erstellt waren.     Postminister Kurt Gscheidle formulierte, „An-
elle Aufsicht im Post- und      Geschenkpakete mit Lebensmitteln und Ge-            Standardformate für die Briefpost, fluoreszie-   strengungen sparsamster Wirtschaftsführung“.
Fernmeldebereich auf das        brauchsartikeln, die im Ostteil knapp waren.        rende Briefmarken und eine zur Norm erho-        Eigenwirtschaftlichkeit zu erreichen und zu be-
Nötigste beschränken solle.
Georg Leber, Bundesminis-                                                           bene Postaufschrift trugen in den kommenden      halten, war das Ziel, das man sich auf die Fah-
ter für Verkehr und für das                                                         Jahren weiter zur Maschinenlesbarkeit bei. Bis   nen schrieb. Zu den Sparmaßnahmen gehörten
Post- und Fernmeldewesen,            INNOVATION UND                                 1990 richtete die Bundespost flächendeckend      Strukturveränderungen im Ministerium sowie
berief daraufhin eine Kom-
mission ein, die sich mit der        RATIONALISIERUNG                               Standorte zur Briefautomation ein.               eine regionale Neuordnung der Oberpostdirek-
Unternehmensverfassung                                                                  Anfang der 1970er-Jahre hatte die Bundes-    tionen, deren Größe und Zuschnitt häufig der
der Bundespost beschäf-             Für die Post in Westdeutschland waren die       post den Stand eines modernen, technisch hoch    Zufälligkeit historischer Umstände geschuldet
tigte.
                                1960er-Jahre eine Phase der Konsolidierung.         entwickelten öffentlichen Dienstleistungsun-     waren und vielerorts nicht mehr zu den aktuel-
                                Die neuen automatischen Verteilanlagen sta-         ternehmens erreicht. Im Jahr 1970 wurden         len Ansprüchen passten. Ende 1980 war dieser
                                bilisierten die Brieflaufzeiten und senkten in      4 252 Millionen Briefsendungen befördert,        Prozess der Umgestaltung und Zusammenle-
                                der Folgezeit die Personalkosten. Am 31. Mai        das waren mehr als doppelt so viele wie noch     gung weitgehend abgeschlossen, und von den
                                1965 wurde in Pforzheim die erste vollautoma-       1950. Die Paketzustellungen stiegen im selben    ehemals über 700 Postämtern mit Verwaltungs-
                                tisierte Briefverteilanlage in der Bundesrepu­      Zeitraum um gut 90 Prozent auf 323 Millio-       dienst bestanden jetzt nur noch 409.
                                blik eingeweiht. In drei Arbeitsphasen codier-      nen. Trotzdem machte das Unternehmen große           War man Anfang der 1960er-Jahre hände-
                                te sie die Sendungen, sortierte vor und dann        Verluste und geriet deshalb in die öffentliche   ringend auf der Suche nach Personal, waren
                                fein. Sie konnte die vierstelligen Postleitzahlen   Kritik. Notwendig wurden, wie es der damalige    jetzt von den Rationalisierungsmaßnahmen,

                                86
ZWISCHEN NEUBEGINN UND REFORM

                                                   EVA
                                                   LEITHÄUSER
die in den 1970er-Jahren zu einem massiven
Personalabbau führten, vor allem Frauen be-        Nach bestandenem Abitur 1943 durfte die           hatte, stoppte und öffentlich begrub. Allerdings
troffen, die 94 Prozent der Beschäftigten im       kluge junge Frau nicht an die Hochschule,         trug nicht sie die Schuld an dem Debakel,
Teilzeitbetrieb stellten. Nicht zuletzt aufgrund   weil ihre Mutter „halbarischer Abstammung“        denn das ehrgeizige Unterfangen hatte ihr der
der Konjunktureinbrüche als Folge der Ölkrise      war. So arbeitete die Tochter − der Vater war     Vorgänger überlassen.
von 1973 stimmte die Bundesregierung einer         Professor für Hochfrequenztechnik − zunächst      Als Eva Leithäuser 1978 bei der Post ausschied,
Gebührenerhöhung zu − einer der Haupt-             als Sekretärin und Prokuristin. Doch nach dem     war ihre Karriere nicht zu Ende. Sie wurde
gründe, warum die Bundespost ab 1975 zu-           Krieg holte Eva Leithäuser nach, was man ihr      Justizsenatorin von Hamburg und blieb es bis
nächst wieder Gewinne erwirtschaftete.             verwehrt hatte, und studierte Rechtswissen-       zu ihrem Rücktritt 1986.
                                                   schaft in ihrer Heimatstadt Berlin. 1957 stieg
                                                   sie bei der Deutschen Bundespost als Juristin        Eva Leithäuser (*1925) war von 1975
   KAMPF UM PÄCKCHEN                               ein und machte schnell Karriere.                     bis 1978 Präsidentin der Oberpostdi-
   UND PAKETE                                      Sie leitete unter anderem das Postamt 12,            rektion Hamburg
                                                   damals eines der größten der Stadt. 1970
    Zur großen Herausforderung der nächsten        gelang ihr der Sprung ins Bundesministerium
Jahre wurde das Geschäft mit Päckchen und          nach Bonn, fünf Jahre später, im Alter von
Paketen. Anders als im Briefdienst hatte die       50 Jahren, schrieb Eva Leithäuser dann
Deutsche Bundespost hier kein Monopol. Sie         endgültig Postgeschichte: Als erste Frau wurde
stand im Wettbewerb mit anderen Anbietern          sie Präsidentin einer Oberpostdirektion − bei
wie Speditionen und der Deutschen Bundes-          der OPD Hamburg als Chefin von 35 000
bahn, vor allem aber mehr und mehr mit pri-        Postbediensteten. „Sind wir wirklich schon der
vaten Kurierdiensten wie DHL, DPD und UPS.         vorbildliche Arbeitgeber für weibliche Beschäf-
Die Konkurrenz konzentrierte sich auf die ge-      tigte?“ Das Nein, mit dem sie diese rhetorische
winnträchtigen Verbindungen zwischen Groß-         Frage in einer Zeitschrift 1975 beantworten
städten, während die Post Sendungsaufträge         musste, parierte sie im Job auf ihre Weise: Zu
und Kunden nicht frei wählen konnte, sondern       einer Zeit, als bundesweit bei der Post der
ihrer Beförderungspflicht nachkommen und           Anteil der Frauen abnahm, setzte sie bei der                                                                Alle Jahre wieder:
                                                   Hamburger OPD einen Frauenanteil von rund                                                                   Plakat, um 1970
                                                   40 Prozent durch.                                                                                           Ein seit Jahrzehnten
                                                   Als resolute und pragmatische Verwaltungsfrau                                                               wiederkehrendes Ritual:
                                                                                                                                                               Die Aufforderung der Post
Paketsortierung am Förderband, o. J.               verschaffte sich Eva Leithäuser bei der Post                                                                an ihre Kunden, Pakete
Auch im Bereich der Paketbeförderung und
Paketverteilanlagen wurde modernisiert.            großen Respekt. Für viel Aufsehen sorgte in der                                                             rechtzeitig aufzugeben, um
                                                   Hansestadt allerdings 1978 eine unpopuläre                                                                  die pünktliche Ausliefe-
1968 entstand in Braunschweig die erste
                                                                                                                                                               rung vor Weihnachten zu
weitgehend automatische Paketverteil-              Maßnahme, als sie das Projekt „Großrohrpost                                                                 garantieren. Der Lohn für
anlage. Dennoch musste am Förderband
noch von Hand sortiert werden – vielfach           Hamburg“, das in mehr als 20 Jahren Entwick-                                                                die Post: Rekordumsätze im
                                                   lungszeit viele Millionen Mark verschlungen                                                                 Dezember.
Frauenarbeit.

                                                                                                                                                        89
II. HISTORIE

KURT
GSCHEIDLE
                                                                               die Gebühren moderat halten musste. Um im         Mitte der 1970er-Jahre zu einer verstärkten
                           „Kurt Gscheidle begann seine Laufbahn mit           Wettbewerb bestehen zu können, verbesserte        Hinwendung zum Markt, zur aktiven „Markt-
                           14 Jahren als Postlehrling in Stuttgart, ist nun-   die Bundespost ihre Dienstleistungen beim na-     kommunikation“. Immer mehr Geld wurde
                           mehr seit 8 Jahren Bundespostminister – ein         tionalen und internationalen Paket- und Päck-     investiert in Werbung, Verkaufsförderung,
                           kompetenter und weitblickender Chef dieses          chenversand. 1982 bot sie „Datapost-Inland“       Public Relations und Kundenberatung. Es
                           Unternehmens im Spannungsfeld von Politik           an. Auf Kundenwunsch wurden Briefe und            war die Geburtsstunde des Post-Marketings.
                           und Wirtschaft, das er aus den roten Zahlen         Pakete abgeholt und über fest vereinbarte Ver-    Kampa­gnen für das Telefonieren („Ruf doch
                           führte und bei dem er mit den Methoden              bindungen zu festen Zeiten ausgeliefert. Damit    mal an“) und für den Privatbrief („Schreib mal
                           modernen Managements Wirtschaftlichkeit,            erfüllte die Bundespost die Leistungsmerk-        wieder“) fanden in der Bevölkerung wie in der
                           Leistungskraft und Kundenfreundlichkeit             male eines nationalen Fernkurierdienstes, der     Fachwelt große Beachtung. Aber auch auf an-
                           wesentlich gefördert hat“ – so lautet der           Laufzeit und Auslieferung der Sendungen für       deren Wegen versuchte man, den Konsumen-
                           naturgemäß wohlmeinende Klappentext eines           Großkunden wie Banken, Versicherungen und         ten zu erreichen und über neue Produkte und
                           von Gscheidle verfassten Buches über die Bun-       Handelsunternehmen kalkulierbar machte.           Dienstleistungen zu informieren. Die Zeit-
                           despost. Als es 1982 erschien, stand das Ende       Über das Portfolio der Post hieß es Mitte der     schrift Postbrief richtete sich an alle Nutzer der
                           seiner Amtszeit schon kurz bevor.                   1980er-Jahre: „Die Stärke des pos­    talischen   Deutschen Bundespost, das Postbuch war ein
                           Gscheidle hatte den Ruf, wirklich etwas vom         Kleingutdienstes liegt in dem dichten, flä-       Nachschlagewerk für Kunden aus Wirtschaft
                           Fach zu verstehen. Dafür erwarb er sich             chendeckenden Netz von Annahmestellen,            und Verwaltung.
                           Re­spekt, aber auch Gegner, wenn er Fragen          die zumeist zugleich Auslieferungsstellen für         Auch bei ihren Finanzdienstleistungen
                           aufwarf wie: Können Briefträger durch Roboter       angekommene Güter sind, und in der tägli-         setzte die Bundespost verstärkt aufs Marke-
                           ersetzt werden? Nach einem Poststreik 1980          chen Zustellung der Güter an die Empfänger.       ting. Um im Postbankbereich besser Fuß zu
                           mussten fürs Erste Beamte genügen – das war         Kein anderer Beförderungsdienst verfügt über      fassen, hatte man bereits Ende der 1960er-
                           unzulässig, entschied 1993 das Bundesverfas-        eine ähnliche Annahme- und Auslieferungs-         Jahre mit Erfolg zentrale Werbekampagnen
                           sungsgericht. Dass er den Finger in die Wunde       kapazität.“ Dennoch lag der Marktanteil der       durchgeführt, denen intensive Marktfor-
                           „Elefantenfriedhof“ – hochrangige und auf           Bundespost im Kleingutverkehr 1985 lediglich      schung vorausgegangen war. Auch die Ein-
                           ihren Posten träge gewordene Beamte – legte,        bei 40 bis 50 Prozent – mit leicht rückläufiger   führung des allgemeinen Btx-Dienstes 1983
                           die nur durch „Wegloben“ – mit Beförderung          Tendenz. Dieser Wettbewerb sollte sich in den     – Postbankkunden konnten erstmals rund
                           – zu mobilisieren seien, nahm die Beamten-          folgenden Jahren noch weiter verschärfen.         um die Uhr Überweisungen erteilen, Konto-
                           schaft auch nicht für ihn ein. Einen guten Klang                                                      stände abrufen und Daueraufträge einrichten
Kurt Gscheidle (1924–      hat der Name Gscheidle bei Philatelisten:                                                             – wurde von zahlreichen Werbe- und Infor-
2003) war ab 1939 bei      Der Minister hatte in seinem privaten Besitz           AKTIVE                                         mationsmaßnahmen flankiert, auch wenn das
der Post, von 1974 bis     nicht ausgegebene Sondermarken zu den                  MARKTKOMMUNIKATION                             in diesem Fall nicht gefruchtet hat. Ende der
1982 war er Bundesmi-      Olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau,                                                             1980er-Jahre hatte der Btx-Dienst nur 300 000
nister für das Post- und   die seine Frau zur Frankierung benutzte: der            Der Rückgang bei der Nachfrage nach           Nutzer und wurde dann schnell vom einfacher
Fernmeldewesen, bis        „Gscheidle-Irrtum“. 2008 erzielte ein Exemplar      Telefonanschlüssen Ende 1973 und eben die         zu handhabenden Online-Banking abgelöst.
1980 auch Verkehrsmi-      auf einer Postkarte 85 000 Euro.                    schnelle Etablierung neuer Konkurrenten im            Veränderungen gab es auch in der direkten
nister                                                                         Paketdienst führten bei der Bundespost seit       Kommunikation mit dem Kunden. Die bloße

                           90
ZWISCHEN NEUBEGINN UND REFORM

                                          Mitarbeiterwerbung,
                                              Plakat, um 1970
                          Kein bisschen von gestern war die Post
                          in der Gestaltung ihrer Werbemateria-
                          lien, darunter Plakate und Broschüren.
                          Zeittypisch im Pop-Art-Stil richtete sich
                             dieses Plakat, sichtlich inspiriert von
                              der Yellow Submarine-Ästhetik des
                             Grafikers Heinz Edelmann, an junge
                                                  Berufseinsteiger.

Abfertigung des Postkunden am Schalter war
endgültig passé. Mit Schulungsmaterialien
versuchte die Bundespost den Mitarbeitern im
Umgang mit schwierigen Kunden Geduld und
Gleichmut anzutrainieren, sie aber auch in die
Lage zu versetzen, Produkte und Dienstleis-
tungen selbstbewusst vorzustellen. 1975 wur-
de in 1 100 Postämtern die „Diskretionszone“
eingeführt, welche die wartenden Kunden am
Schalter der Postbank durch eine Acrylsäule
und Fußbodenmarkierung auf Abstand hielt.
Gut 15 Jahre später verschwanden auch die
Schalterverglasungen, die massive, sichtba-
re Trennung zwischen Kunden und Beamten
wurde aufgehoben.

   VOR DER GROSSEN REFORM

    Mitte der 1960er-Jahre stand wegen der
hohen Verluste im Postdienstbereich die Not-
wendigkeit von Reformen zur Diskussion.
1964 beschloss die Bundesregierung, eine
Sachverständigenkommission einzurichten,
die die Deutsche Bundespost einer gründli-
chen Analyse unterziehen sollte. Das Gutach-
ten, das Bundeskanzler Ludwig Erhard Ende
1965 vorgelegt wurde, enthielt Empfehlungen
wie die Trennung von Hoheits- und Betriebs­
aufgaben, die Trennung von Post- und Fern-
meldewesen in zwei Betriebszweige oder die
Überführung in ein öffentliches Unternehmen
– es blieb aber weitgehend folgenlos. Erst nach
den Wahlen im Herbst 1969, unter der sozial-
liberalen Koalition, kam wieder Bewegung in
die Sache. Bundeskanzler Willy Brandt sprach

                                                                       91
ZWISCHEN NEUBEGINN UND REFORM

LKW mit Werbeaufschrift
„Schreib mal wieder“, 1980er-Jahre
48 Prozent aller Bundesbürger schrieben schon
1975 weniger als einen Brief pro Monat, 54 Prozent
waren es vier Jahre später. „Werbung tut not“,
erkannte Minister Gscheidle. Die Agentur Lintas
komponierte daher ab 1980 für die Kampagne
„Schreib mal wieder“ Schreibanlässe zur Inspiration
der „Wenigschreiber“; Fahrzeuge der Post trugen
das Motto der Kampagne.

gleich in seiner Regierungserklärung die Lage
des Post- und Fernmeldewesens an. Wenig
später fand sich unter Staatssekretär Kurt
Gscheidle eine weitere „Kommission Deut-
sche Bundespost“ zusammen, die ein Gesetz
über die Unternehmensverfassung der Deut-
schen Bundespost entwarf, das im November
1970 dem Bundestag zur Beratung zugeleitet
wurde. Postminister Georg Leber gab sich im
Postjahrbuch 1971 zuversichtlich, dass das
Ziel einer neuen Unternehmensverfassung in
absehbarer Zeit erreicht werde. Aber er sollte
sich ebenso täuschen wie Gscheidle, der be-
reits ein Unternehmen vor Augen hatte, das                            Postamt in Illingen, 1984
flexibel agieren und planen könne. Tatsäch-                           Rund 25 000 Gebäude besaß die Post vor der Postreform oder hatte sie gemietet, mehr als
lich wurde der Gesetzentwurf von 1971 bis                             die Hälfte davon war nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und nicht wenige in den
                                                                      1980er-Jahren, als Ecken und Kanten und Beton en vogue waren.
1976 über zwei Legislaturperioden hinweg
diskutiert und schließlich von Kanzler Hel-
mut Schmidt ad acta gelegt. Die Deutsche
Postgewerkschaft hatte bei der Besetzung des
Aufsichtsrats die paritätische Mitbestimmung          des Wortes den Anschluss zu verpassen.                 sich bereits Ende der 1980er-Jahre, ausgehend
wie in der Montanindustrie gefordert, was in          Die Fortschritte in der Mikroelektronik ver-           ebenfalls von Brüssel, Liberalisierungsschrit-
der sozialliberalen Koalition nicht einmal bei        langten ebenso wie der wachsende Bedarf                te ab, die 1990 in einem sogenannten „Grün-
den Sozialdemokraten mehrheitsfähig war,              an Telekommunikationsleistungen seitens                buch Post“ mündeten. Schon im März 1985
und so blieb es beim Postverwaltungsgesetz            Wirtschaft und Verbrauchern nach moder-                hatte Christian Schwarz-Schilling eine neue
von 1953.                                             nen, stärker wettbewerblichen Strukturen.              Kommission aus Vertretern von Politik, Wirt-
    Einen neuen Anlauf wagte dann schließ-            Würde man den Markt öffnen – so hinge-                 schaft und Wissenschaft unter Vorsitz von
lich die CDU/CSU-FDP-Koalition unter                  gen die Bedenken der Postgewerkschaft –,               Professor Eberhard Witte eingesetzt, die sich
Bundeskanzler Helmut Kohl. Der Reform-                könnten sich neue Anbieter die Rosinen he-             aber ausschließlich mit dem Telekommunika-
druck kam jetzt maßgeblich von der „grau-             rauspicken und die flächendeckende Versor-             tionsmarkt befasste. Sie griff viele Ideen der
en“ Post, dem Fernmeldebereich, denn die              gung würde ebenso auf der Strecke bleiben              Vorgänger auf, und ihre Empfehlungen mün-
Telekommunikation war massiv im Um-                   wie die Arbeitsplätze bei der Post.                    deten schließlich im Poststrukturgesetz, das
bruch: Datenverarbeitung, Bürokommuni-                    Im Jahr 1984 kam Bewegung in die An-               am 9. Juni 1989 vom Deutschen Bundestag be-
kation, Telekommunikation und Unterhal-               gelegenheit, als die EU-Kommission empfahl,            schlossen wurde. In Folge wurden neben dem
tungselektronik wuchsen zusammen, und                 den Telekommunikationsmarkt zu liberali-               Fernmeldebereich auch die gelbe Post und der
Deutschland lief Gefahr, im wahrsten Sinne            sieren. Auch für den Postbereich zeichneten            Postmarkt in ähnlicher Weise reformiert.

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