Zwischen Parteitag und Fernsehshow - Parteienrecht in Zeiten der Corona-Pandemie
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Aufsätze Schönberger – Zwischen Parteitag und Fernsehshow – Parteienrecht in Zeiten der Corona-Pandemie MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 1 Zwischen Parteitag und Fernsehshow Nachdem der deutsche Gesetzgeber zunächst relativ – Parteienrecht in Zeiten der Corona- lange mit einer Anpassung gezögert hat und die Par- teien daher eher auf experimenteller Grundlage ihre Pandemie Aktivitäten zumindest teilweise auf Online-Formate umgestellt haben, hat der Bundestag Ende 2020 eine Sophie Schönberger1 zeitlich befristete Änderung des Parteienrechts be- schlossen, die den Parteien ein flexibleres Agieren in der Pandemie und ein teilweises Ausweichen auf di- I. Einleitung: Von Raucherpausen und Mitglieder- gitale Veranstaltungen auch bei verbindlichen Ent- parteien scheidungsfindungen ermöglichen soll. Diese neue, Parteien leben von Anwesenheit. Wie bei jeder ent- vorübergehende Gesetzesfassung weist allerdings sprechenden Organisation beruhen ihre Entschei- sowohl erhebliche praktische als auch verfassungs- dungsprozesse zu einem nicht unwesentlichen Teil rechtliche Probleme auf, die im Folgenden beleuch- auf informellen Prozessen im Rahmen persönlicher tet werden. Begegnungen: dem gemeinsamen Kaffee, dem ge- meinsamen Bier, der gemeinsamen Zigarettenpause. II. Die Anwesenheitsstrukturen des Parteien- Diese Mechanismen sind nicht nur immer wieder gesetzes Gegenstand von Kritik, da sie insbesondere Frauen, Das geltende Recht nach dem Parteiengesetz stellt die in Familien- und Pflegearbeit eingebunden sind innerhalb der Parteien die Mitgliederversammlung und deshalb oft gerade für das „gemeinsame Bier“ ins Zentrum der innerparteilichen Willensbildung. keine Zeit mehr finden, den Weg zu innerparteilichen Sie ist nicht nur gem. § 8 Abs. 1 PartG notwendiges Machtpositionen erschweren. Sie stellen gleichzeitig Organ jeder Partei, sondern gem. § 9 Abs. 1 PartG auch einen wesentlichen Anreiz dafür da, in eine oberstes Organ jeder Gliederungsebene der Partei. In Partei einzutreten.2 Politische Parteien sind nämlich den überörtlichen Verbänden kann gem. § 8 Abs. 1 zu einem wesentlichen Teil auch soziale Gemein- S. 2 PartG an die Stelle der Mitgliederversammlung schaften, die ihren Mitgliedern neben politischer eine Delegiertenversammlung treten, wenn die Sat- Mitwirkung auch persönliche Kontakte und soziale zung dies bestimmt. Diese Delegierten müssen aller- Eingebundenheit offerieren. dings auch – ggf. in einem mehrstufigen, durch wei- Diese Unverzichtbarkeit körperlicher Präsenz ist in tere Delegiertenversammlungen gemittelten Verfah- einem Parteiensystem wie dem deutschen nicht nur ren – durch Mitgliederversammlungen bestimmt deshalb besonders ausgeprägt, weil die deutschen werden. Mit dieser zentralen Rolle eines gestuften Parteien trotz beständigen Mitgliederschwunds im- Systems von Mitglieder- bzw. Delegiertenversamm- mer noch über mehr als 1,3 Millionen Mitglieder lungen korrespondiert auch die Anforderung des verfügen, d.h. immerhin etwa 1,5 % der Bevölke- Parteiengesetzes, die von Parteien eine gebietliche rung in einer politischen Partei organisiert ist.3 Auch Gliederung verlangt.5 Diese Gliederung muss nach das Parteienrecht operiert mit einem Leitbild von § 7 Abs. 1 S. 3 PartG so weit ausgebaut sein, dass Parteien, das diese sowohl als Mitgliederparteien als den einzelnen Mitgliedern eine angemessene Mit- auch als Anwesenheitsparteien begreift und konstitu- wirkung an der Willensbildung möglich ist. iert.4 Aufgrund dieser doppelten Verankerung der Mit dieser räumlichen Vorstellung von Parteiarbeit Präsenz sowohl in der faktischen als auch in der korrespondiert auch die Terminologie des Parteien- rechtlichen Grundlage der Parteien stellt die Corona- gesetzes im Übrigen, die ausdrücklich von „Ver- Pandemie sie vor grundlegende Herausforderungen sammlungen“ spricht, die, wie § 9 Abs. 1 S. 3 PartG ihrer Organisationsstruktur. es formuliert, „zusammentreten“. Diese Formulie- rung ist nicht allein zufällig bzw. dem historischen 1 Prof. Dr. Sophie Schönberger ist Professorin für Öffentliches Entstehungszeitpunkt des Parteiengesetzes weit vor Recht, Kunst- und Kulturrecht und Co-Direktorin des Instituts Entwicklung der heutigen digitalen Möglichkeiten für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteien- forschung (PRuF) an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf. geschuldet. Innerparteiliche Versammlungen in Prä- 2 Laux, in: Spier u.a. (Hrsg.), Parteimitglieder in Deutschland, senz gewährleisten von der Mitgliederversammlung 2011, S. 61 (67 f.). auf Ortsebene bis zum Delegiertenparteitag auf Lan- 3 Die Summe beruht auf den Mitgliederzahlen, die die Parteien des- oder Bundesebene einen engen räumlich-zeitli- in ihren Rechenschaftsberichten veröffentlichen. chen und personellen Zusammenhang von Beratung 4 Vgl. dazu Schönberger, in: Brichzin/Siri (Hrsg.), Soziologie 5 der Parteien, 2021, i.E. Vgl. Becker, ZParl 1996, 712 (714). 22 doi:10.24338/mip-202122-28
MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 1 Schönberger – Zwischen Parteitag und Fernsehshow – Parteienrecht in Zeiten der Corona-Pandemie Aufsätze und Beschluss.6 Auf diese Weise ist eine einheitliche Dimension. Denn wenn Versammlungen der Parteien Form von Diskussion und Willensbildung möglich, in die digitale Welt verlagert werden, so folgen dieser die insbesondere das aus Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG fol- Verlagerung in der Regelung auch die entsprechen- gende verfassungsrechtliche Gebot einer demokrati- den Abstimmungs- und Entscheidungsmodalitäten schen Binnenstruktur umsetzt. der Gremien. Für solche digitalen Entscheidungsme- chanismen hat allerdings das Bundesverfassungsge- Schon vor der Corona-Pandemie wurde allerdings richt – jedenfalls bezogen auf staatliche Wahlen – vereinzelt diskutiert, ob den Vorgaben des Parteien- engste Grenzen im Hinblick auf die Vereinbarkeit gesetzes nicht auch durch virtuelle Versammlungen mit dem Demokratieprinzip aufgestellt. Nur durch Genüge getan werden kann. Dabei ist allerdings eine die Möglichkeit einer Kontrolle, ob die Wahl den wesentliche Unterscheidung zu beachten, die in der verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätzen entspricht, Debatte mitunter verloren geht: Innerparteiliche Be- kann sichergestellt werden, dass die Delegation der schlüsse, die nicht nach § 9 Abs. 3-5 PartG der Mit- Staatsgewalt an die Volksvertretung, die den ersten gliederversammlung bzw. dem Parteitag vorbehalten und wichtigsten Teil der ununterbrochenen Legiti- sind, d.h. alle Entscheidungen jenseits von Ent- mationskette vom Volk zu den mit staatlichen Auf- schließungen über das Parteiprogramm, die Satzung, gaben betrauten Organen und Amtsträgern bildet, die Beitragsordnung, die Schiedsgerichtsordnung, nicht an einem Defizit leidet. Die demokratische Le- die Auflösung sowie die Verschmelzung mit anderen gitimität der Wahl verlangt nach Kontrollierbarkeit Parteien und jenseits der dem Parteitag vorbehalte- des Wahlvorgangs, damit Manipulation ausgeschlos- nen Personenwahlen, konnten schon vorher in ande- sen oder korrigiert und unberechtigter Verdacht wider- rer Weise als durch Parteitage erfolgen – und damit legt werden kann. Daraus folgt, dass alle wesentli- grundsätzlich auch in einem frei zu bestimmenden chen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit Online-Format. Anders ist die Situation hingegen unterliegen, soweit nicht andere verfassungsrechtli- dort, wo das Parteiengesetz die oben genannten Re- che Belange eine Ausnahme rechtfertigen. Beim gelungen über „Versammlungen“ trifft. Auch wenn Einsatz elektronischer Wahlgeräte müssen daher die vereinzelt immer wieder argumentiert wurde, dass der wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Er- Wortlaut vor allen Dingen aus seinem historischen gebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne Kontext zu interpretieren sei, da bei Erlass des Par- besondere Sachkenntnis überprüft werden können.10 teiengesetzes Online-Parteitage technisch noch nicht vorstellbar gewesen seien, und im Übrigen keine we- Genau an einer solchen Überprüfbarkeit der Ergeb- sentlichen funktionalen Unterschiede der Willensbil- nisermittlung fehlt es aber bei einer rein elektroni- dung zwischen physisch präsenten und virtuell ver- schen Wahl, da bei elektronischen Abstimmungssys- bunden Parteimitgliedern bestehe,7 geht die herr- temen ohne Kenntnis und Verständnis des verwand- schende Meinung bisher davon aus, dass Mitglieder- ten Algorithmus die konkrete Abstimmungssituation und Vertreterversammlungen im Sinne des Parteien- nicht nachvollzogen werden kann. Darüber hinaus gesetzes nur unter Anwesenden durchgeführt werden ist durch elektronische Entscheidungsfindungen in- können, da nur sie eine direkte Interaktion ermögli- nerhalb von Parteien aber auch die im Demokratie- chen, bei der eine umfassende, weil unmittelbare, prinzip wurzelnde Gleichheit der Teilnahme am Ent- nicht technisch vermittelte Kommunikation stattfin- scheidungsverfahren herausgefordert. Es ist insofern den kann.8 kaum vorstellbar, dass Regelungen gefunden werden können, bei denen alle Parteimitglieder in gleicher Neben der grundsätzlichen Frage, welche Bedeutung Weise unabhängig etwa vom Vorhandensein privater man der Kommunikation unter Anwesenden als Vor- elektronischer Endgeräte oder dem Vorhandensein, aussetzung für einen gleichberechtigten demokrati- der Schnelligkeit und Störanfälligkeit eines privaten schen Willensbildungsprozess beimessen will,9 hat Internetanschlusses an einer solchen elektronischen dieser Streit noch eine andere verfassungsrechtliche Entscheidungsfindung teilnehmen könnten. Die Fra- 6 C. Schönberger, JZ 2016, 486 (489). ge, inwiefern man daher schon aus verfassungsrecht- 7 Sadowski, MIP 2008/2009, 60 ff.; von Notz, Liquid Democra- lichen Gründen entsprechende Entscheidungsmecha- cy, 2020, S. 228 ff.; Osegge, Das Parteienrechtsverhältnis, nismen in digitalen Parteien für rechtswidrig hält, 2012, S. 207 ff. hängt davon ab, wie man den Begriff der „demokra- 8 Augsberg, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), PartG, 2009, § 9 Rn. 19; tischen Grundsätze“ auslegt, denen die innere Ord- Morlok, PartG, 2. Aufl. 2013, § 9 Rn. 12; Riegler, Virtuelle Parteiverbände, 2019, S. 163 ff.; C. Schönberger, JZ 2016, nung der Parteien gem. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG genü- 486 (491). 9 10 Dazu umfassend C. Schönberger, JZ 2016, 486 ff. BVerfGE 123, 39 (69 ff.). doi:10.24338/mip-202122-28 23
Aufsätze Schönberger – Zwischen Parteitag und Fernsehshow – Parteienrecht in Zeiten der Corona-Pandemie MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 1 gen muss, welche Elemente des Demokratieprinzips, Auch die Reaktionen der Parteien und ihrer Mitglie- die für den staatlichen Bereich gelten, man also von der fielen sehr unterschiedlich aus. Bündnis 90/Die Verfassungs wegen auch auf die Parteien übertragen Grünen und die neu ausgerufene „Digitalpartei“ will. Zählt man auch die Transparenz und Nachprüf- CSU preschten schon im Mai 2020 mit einem „digi- barkeit des Entscheidungsprozesses zu den demokra- talen Länderrat“, also einem kleinen Bundespartei- tischen Grundsätzen, denen der innerparteiliche Pro- tag zur Antragsberatung,15 und einem „virtuellen zess genügen muss, so müssen elektronische Wil- Parteitag“16 vor. Im Übrigen war die Handhabung in lensbildungsprozesse nach dem jetzigen Stand der den verschiedenen Parteien und ihren Gliederungen Technik weitestgehend bei der demokratischen Wil- sehr unterschiedlich. Vor allem bis zum Winter 2020 lensbildung der Parteien ausscheiden.11 wurde ein Großteil der Parteitage noch in Präsenz veranstaltet – nicht immer allerdings zur Zufrieden- III. Parteien in der Pandemie heit aller Mitglieder. In Bremen etwa führte der Lan- Die Möglichkeiten für Parteien, ihre Willensbildung desverband von DIE LINKE Ende September 2020 in den gewohnten Anwesenheitsstrukturen zu voll- einen Präsenzparteitag durch, bei dem die persönli- ziehen, wurden seit Verhängung des ersten Lock- che Anwesenheit von Mitgliedern auf Parteitagsde- downs im März 2020 massiv beeinträchtigt. Zwar legierte beschränkt war. Anderen Mitgliedern war haben die meisten Coronaschutzverordnungen der allein die Zuschaltung über digitale Medien möglich. Länder in unterschiedlicher Form oft schon recht Vor dem Landgericht versuchte daraufhin ein Mit- früh nach dem ersten „harten“ Lockdown auf die Be- glied, die Absetzung des Parteitags und Neuanberau- dürfnisse der Parteien reagiert und entsprechende mung unter anderen Umständen zu erreichen – ohne Ausnahmeregelungen aufgenommen. In Nordrhein- Erfolg. Zwar sieht die Landessatzung der Partei – in Westfalen etwa waren ab dem 04.05.2020 Sitzungen Erweiterung der Bestimmungen des Parteiengeset- von rechtlich vorgesehenen Gremien von Parteien zes – vor, dass allen Mitgliedern auf dem Parteitag zulässig, wenn entsprechende Hygienemaßnahmen ein Teilnahme- und Rederecht zusteht.17 Diese Sat- eingehalten wurden.12 In Bayern waren – ebenfalls zungsrechte müssen allerdings nach Ansicht des Ge- bei Einhaltung eines Hygienekonzepts – ab dem richts nicht zwingend durch eine Möglichkeit der 19.06.2020 Parteisitzungen mit bis zu 50 Teilneh- persönlichen Anwesenheit gewährleistet sein, son- mern in geschlossenen Räumen oder bis zu 100 Teil- dern können in Ausnahmesituationen, wie hier bei nehmern unter freiem Himmel gestattet.13 Andere der vorliegenden Corona-Pandemie, auch durch eine Bundesländer hingegen, wie beispielsweise Baden- hinreichende Möglichkeit der Online-Teilnahme ge- Württemberg und Niedersachsen, unterstellten die währleistet werden, wenn dadurch sichergestellt wird, Parteien den allgemeinen Regeln für größere Veran- dass die Parteiöffentlichkeit gewahrt ist, die Mitglie- staltungen und führten nur relativ spät Sonderbe- der online dem Verlauf hinreichend folgen können stimmungen für die Kandidatenaufstellung zu staat- und die Mitglieder online Rederecht erhalten.18 lichen und kommunalen Wahlen ein.14 Darüber hinaus hat vor allen Dingen die AfD immer 11 In die Richtung einer weitestgehenden Übertragung der Wahl- wieder massiv versucht, die Durchführung ihrer Par- rechtsgrundsätze aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG auf die innerpar- teitage auf verschiedenen Ebenen in Präsenz und un- teilichen Wahlen deutet BVerfG, Beschluss v. 1.4.2015, Az. 2 ter möglichst geringen Einschränkungen durch Hygi- BvR 3058/14, Rn. 25, unter Verweis auf Morlok, in: Dreier eneauflagen vor Gericht durchzusetzen. Ganz in der (Hrsg.), GG, 2. Aufl. 2006, Art. 21 Rn. 137; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2010, Art. 21 Linie des Landgerichts Bremen scheiterte sie dabei Rn. 151. Dabei bleibt allerdings offen, wie sich diese Auffas- allerdings konsequent vor den verschiedenen Ver- sung zu dem an gleicher Stelle gemachten Postulat verhält, waltungsgerichten – unabhängig davon, ob es um dass dies nach verbreiteter Auffassung Quotenregelungen bei eine Ausnahmegenehmigung für eine Veranstaltung der Wahl zu Parteiämtern als Inanspruchnahme der Freiheit der Partei, die demokratische Ordnung ihren programmati- schen Zielen anzupassen, nicht grundsätzlich ausschließt. das OVG Lüneburg ausdrücklich festgehalten, dass die Privi- 12 legierungen für Aufstellungsversammlungen nicht für ge- § 11 Abs. 5 Nr. 2 Coronaschutzverordnung in der ab dem wöhnliche Parteitage gelten, OVG Lüneburg, Beschluss vom 4.5.2020 geltenden Fassung, abrufbar unter . . Sechste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung 16 (6. BayIfSMV) v. 19.6.2020, BayMBl. 2020 Nr. 348. . So etwa in Baden-Württemberg durch die Zweite Verordnung 17 der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung § 12 Abs. 8 Landessatzung Bremen DIE LINKE. 18 vom 15. Dezember 2020, GBl. S. 1177. In Niedersachsen hat LG Bremen, Beschluss v. 25.9.2020, Az. 9 O 1506/20. 24 doi:10.24338/mip-202122-28
MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 1 Schönberger – Zwischen Parteitag und Fernsehshow – Parteienrecht in Zeiten der Corona-Pandemie Aufsätze jenseits der gesetzlich erlaubten maximalen Teilneh- IV. Die Corona-Gesetzgebung für Parteien merzahl,19 den Zugang zu kommunalen Tagungsräu- Vor diesem Hintergrund entschied sich der Gesetz- men unter Corona-Bedingungen20 oder die Pflicht geber im Oktober 2020, befristet bis zum 31.12.2021 zum Tragen einer Alltagsmaske während der Veran- pandemiebezogene Spezialregelungen in das Partei- staltung21 ging. Übereinstimmend sahen die Gerichte enrecht aufzunehmen. Allerdings erfolgte diese Än- auch unter besonderer Berücksichtigung der verfas- derung nicht im Parteiengesetz direkt. Vielmehr sungsrechtlichen Stellung der politischen Parteien wurde die Anpassung im „Gesetz über Maßnahmen keine rechtliche Notwendigkeit, Ausnahmeregelun- im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stif- gen von den infektionsschutzrechtlichen Bestimmun- tungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämp- gen für Parteien zu schaffen, die über die ausdrückli- fung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ chen gesetzlichen Ausnahmen hinausgingen. (GesRuaCOVBekG) vorgenommen, das seit dem Die größte Herausforderung stellten die pandemie- 27.03.2020 zeitlich befristete Änderungen in den ge- bedingten Einschränkungen von Präsenzveranstal- nannten Gebieten normiert. Nicht nur diese legisti- tungen allerdings ohne Zweifel für CDU und DIE sche Verortung, auch die Gesetzgebungsgeschichte LINKE dar. In beiden Parteien stand nämlich im offenbart jedoch relativ wenig parteienrechtliches Jahr 2020 nicht nur die turnusmäßige Neuwahl des Fingerspitzengefühl. So waren die später beschlosse- Bundesvorstands an. In beiden Parteien traten auch nen Änderungen nicht etwa Teil einer eigenständi- die bisherigen Amtsinhaber nicht mehr an, sodass gen Gesetzesinitiative, sondern wurden vielmehr erst mit den notwendigen Vorstandswahlen auch in je- im Rahmen der Beratungen im Innenausschuss im dem Fall ein Führungswechsel verbunden war. Wäh- Oktober 2020 in ein Gesetz aufgenommen, das ei- rend DIE LINKE dabei zunächst etwas mehr Pla- gentlich die Anpassung des Bundeswahlgesetzes an nungsvorlauf hatte, da ihr Parteitag für Ende Okto- Anforderungen der Pandemie22 zum Gegenstand ber terminiert war, stellte sich für die CDU das Pro- hatte.23 Dieses überstürzte gesetzgeberische Verfah- blem relativ kurzfristig nach Ausbruch der Pande- ren merkt man der im November 2020 in Kraft getre- mie. Nach dem vorzeitigen Rückzug von Annegret tenen Regelung an. Sie ist technisch unsauber gear- Kramp-Karrenbauer vom Parteivorsitz war die Neu- beitet und lässt daher viele rechtliche Fragen offen. wahl ursprünglich Ende Februar für Ende April ter- miniert worden, wurde aber bereits Mitte März zu- 1. Verlängerung der Amtszeit für Vorstände und nächst auf unbestimmte Zeit verschoben. Erst Mitte Delegierte? September, also am Ende einer Periode mit ver- Der Inhalt der Neuregelung, die einen neuen Absatz gleichsweise niedrigen Infektionszahlen und kurz 4 in § 5 des Gesetzes einfügt, besteht im Wesentli- vor Beginn der sogenannten „zweiten Welle“ ent- chen aus Verweisungen, die die entsprechende An- schied man sich, den Parteitag auf den 4. Dezember wendung anderer Vorschriften auch auf Parteien zu legen – also in einen Zeitraum, für den Experten zum Gegenstand haben. So bestimmt § 5 Abs. 4 S. 1 saisonbedingt schon im Vorfeld wieder deutlich hö- zunächst, dass Absatz 1 für Vorstandsmitglieder und here Infektionszahlen vorhergesagt hatten. Vor allem Vertreter in den sonstigen Organen und Gliederungen die Lage in der CDU dürfte sehr maßgeblich dafür der Parteien entsprechend gilt, dass also der genannte gewesen sein, dass der Gesetzgeber kurzfristige Än- Personenkreis auch nach Ablauf seiner Amtszeit bis derungen am Parteienrecht im Hinblick auf die Ein- zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung seines schränkungen der Corona-Pandemie vorgenommen Nachfolgers im Amt bleibt. Diese Regelung geht hat. Auf dieser Grundlage entschieden sich dann bei- maßgeblich auf die Diskussion zurück, die sich im de Parteien dazu, ihre Versammlungen Anfang des Herbst 2020 darüber entspann, was passieren sollte, Jahres 2021 in digitaler Form stattfinden zu lassen. wenn die CDU es nicht schaffen sollte, im laufenden Jahr noch einen Parteitag zur Vorstandswahl abzuhal- 19 ten. Hintergrund ist wiederum die Regelung in § 11 VGH München, Beschluss v. 20.11.2020, Az. 20 CS 20.2729; VG Schleswig, Beschluss v. 17.11.2020, Az. 1 B 152/20; Abs. 1 S. 1 PartG, wonach der Parteivorstand mindes- OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.3.2021, Az. 13 ME tens in jedem zweiten Kalenderjahr gewählt werden 148/21; VG Frankfurt/Oder, Beschluss v. 19.3.2021, Az. VG muss – für die CDU (wie auch für DIE LINKE) war 4 L 98/21. 20 22 OVG Greifswald, Beschluss v. 18.3.2021, Az. 2 M 179/21 S. zu diesem Gesetz und seinem verfassungsrechtlich mehr als OVG; VG Stuttgart, Beschluss v. 18.11.2020, Az. 7 K zweifelhaften Inhalt den Beitrag von Michl in diesem Heft., 5102/20. S. 23 ff. 21 23 OVG Münster, Beschluss v. 27.11.2020, Az. 13 B Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inne- 1815/20.NE. res und Heimat v. 7.10.2020, BT-Drs. 19/23197. doi:10.24338/mip-202122-28 25
Aufsätze Schönberger – Zwischen Parteitag und Fernsehshow – Parteienrecht in Zeiten der Corona-Pandemie MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 1 dies im Jahr 2020 erforderlich. Die scheidende Vor- bei Wahlen nach § 9 Abs. 4 des Parteiengesetzes sind sitzende Annegret Kramp-Karrenbauer äußerte hin- von dieser Regelung ausgenommen. Darüber hinaus gegen schon im August 2020, also weit vor der ge- bestimmt § 5 Abs. 4 S. 3 GesRuaCOVBekG, dass der setzlichen Neuregelung, dass im schlimmsten Fall Vorstand die Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrech- einer zweiten großen Pandemiewelle der Vorstand ten auch ohne Ermächtigung in der Satzung im geschäftsführend so lange im Amt bleibe, bis der Wege der Briefwahl oder auch zeitlich versetzt als Parteitag einberufen werden könne.24 Diese Äußerung Urnenwahl an verschiedenen Orten zulassen kann. scheint implizit die Regelung des Art. 69 Abs. 3 GG, Dabei fällt zunächst die uneinheitliche Terminologie die für die Bundesregierung die Fortführung der Ge- auf: Während Absatz 2, auf den verwiesen wird, schäfte nach Zusammentritt eines neuen Bundestags von „Mitgliederrechten“ spricht, verwendet Absatz 4 regelt, sinngemäß auf die Parteien übertragen zu S. 3 den Terminus „Mitgliedschaftsrechte“, ohne dass wollen, ohne den vollkommen unterschiedlichen Unterschiede in der Bedeutung erkennbar wären. Es rechtlichen Rahmen zu berücksichtigen. handelt sich insofern vermutlich allein um eine un- Diese Unterschiede im rechtlichen Rahmen der Par- saubere Formulierung. Der Sache nach sollen die teien im Vergleich zu anderen Organisationen schei- Bestimmungen die Möglichkeiten der Parteien er- nen jedoch auch dem Änderungsgesetzgeber nicht weitern, Willensbildung auch jenseits von Präsenz- ganz klar gewesen zu sein. Denn durch den Verweis parteitagen zu ermöglichen. Insofern kann der Vor- auf die Regelung für Vereine hat er übersehen, dass stand auch dann, wenn entsprechende Regelungen in das Parteiengesetz, anders als das BGB für Vereine, der Parteisatzung fehlen, bestimmen, dass innerpar- keine feste Amtszeit für Vorstände, sondern viel- teiliche Personenwahlen und Sachabstimmungen mehr eine Pflicht zur Neuwahl in jedem zweiten Jahr durch Briefwahl oder durch eine dezentrale Urnen- vorsieht. Auch die Satzungen der Parteien orientie- wahl an verschiedenen Orten stattfinden kann. Da- ren sich meist an diesem normativen Vorbild und be- mit dispensiert die Regelung zum einen von den Be- stimmen die Amtszeit nicht. Dies bedeutet, dass stimmungen der Satzung der jeweiligen Partei, zu- auch ohne die Neuregelung im GesRuaCOVBekG gleich aber auch von den Bestimmungen in § 9 Abs. Vorstände von Parteien im Amt bleiben, wenn sie 3 und 4 PartG, hebt also den Parteitagsvorbehalt in- nicht neu gewählt werden – und zwar nicht nur ge- soweit auf und lässt an der Stelle eines Parteitagsbe- schäftsführend. Es liegt dann allerdings ein Verstoß schlusses auch solche Entscheidungen durch Brief- gegen die Wahlpflicht nach § 11 Abs. 1 S. 1 PartG wahl oder dezentrale Urnenwahl zu, die ansonsten vor. Durch den Verweis auf die Verlängerung einer nur im Rahmen eines Parteitags zulässig sind. gesetzlich nicht existierenden Amtszeit löst die Neu- Komplizierter wird die Lage hingegen, wenn es um regelung damit ein normatives Problem, das für Par- die Zulassung innerparteilicher Willensbildung „im teien gar nicht existiert, beseitigt allerdings den Ver- Wege der elektronischen Kommunikation“ geht, also stoß gegen § 11 Abs. 1 S. 1 PartG bei Verschiebung über Online-Parteitage oder auch über andere For- der Vorstandswahlen nicht. Die Regelung kann da- men elektronischer Abstimmung. Auch hier erteilt her nur als missglückt bezeichnet werden. die neue Vorschrift einen Dispens von Satzung und 2. Digitale Formen der Willensbildung Parteiengesetz, lässt also eine solche Willensbildung grundsätzlich aufgrund eines entsprechenden Vor- An anderen Problemen leidet der zweite Verweis in standsbeschlusses zu. Davon ausgenommen sind al- der Norm. Der neue § 5 Abs. 4 S. 2 GesRuaCOV- lerdings ausdrücklich „die Beschlussfassung über BekG bestimmt insofern, dass Absatz 2 Nummer 1 die Satzung und die Schlussabstimmung bei Wahlen für Mitglieder- und Vertreterversammlungen der nach § 9 Absatz 4 des Parteiengesetzes“. Ziel dieser Parteien und ihrer Gliederungen sowie ihrer sonsti- Ausnahme ist es, den verfassungsrechtlichen Anfor- gen Organe entsprechend gelten soll. Dies bedeutet, derungen des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG Genüge zu tun. dass der Vorstand auch ohne Ermächtigungen in der Der Innenausschuss als Urheber der Regelung ging Satzung vorsehen kann, dass Parteimitglieder an der insofern davon aus, dass die Wahlrechtsgrundsätze Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Ver- des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG inklusive des ungeschrie- sammlungsort teilnehmen und Mitgliederrechte im benen Grundsatzes der Öffentlichkeit der Wahl auch Wege der elektronischen Kommunikation ausüben für innerparteiliche Wahlen sowie die Beschlussfas- können oder müssen. Lediglich die Beschlussfas- sung über die Satzung Anwendung finden und eine sung über die Satzung und die Schlussabstimmung rein elektronische Stimmabgabe ausschließen.25 24 „Kürzer oder auch gar nicht“, Süddeutsche Zeitung v. 25 24.8.2020, S. 5. BT-Drs. 19/23197, S. 16. 26 doi:10.24338/mip-202122-28
MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 1 Schönberger – Zwischen Parteitag und Fernsehshow – Parteienrecht in Zeiten der Corona-Pandemie Aufsätze Während in diesem Zusammenhang klar ist, was ge- übrigbleibt, dann bleibt für die „Endabstimmung“ nau mit der „Beschlussfassung über die Satzung“ ge- keinerlei Auswahlmöglichkeit mehr übrig. Es kann meint ist, ist der Terminus der „Schlussabstimmung vielmehr nur noch dem oder der Ausgewählten die bei Wahlen“ denkbar unklar. Dies liegt schon in der Zustimmung verweigert werden. Mit einer demokra- Terminologie begründet, die deshalb verwirrt, weil tischen Wahl hat ein solches Verfahren dann aber im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch Abstim- nur noch wenig gemein. Es stellt sich vielmehr allein mungen und Wahlen in der Regel ein begriffliches als formale Hülse dar, um den Anforderungen des Gegensatzpaar bilden, da Wahlen sich auf Personen, Gesetzes – und damit letztlich den Anforderungen Abstimmungen aber auf Sachfragen beziehen.26 Aus der Verfassung – auf dem Papier Rechnung zu tra- diesem Grund ist nicht klar ermittelbar, was mit ei- gen. Dies wird schon an der Bezeichnung durch die ner Schlussabstimmung bei einer Wahl gemeint ist. Parteien selbst deutlich. Sowohl DIE LINKE als Auch die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auch die CDU haben den entsprechenden Tagesord- ist hier nicht erhellend. Dort heißt es lediglich: „Elek- nungspunkt ihres virtuellen Parteitags als Wahl des tronische Verfahren können aber zur Vorermittlung, Parteivorstands ausgeflaggt – und nicht etwa als Sammlung und Vorauswahl der Bewerber genutzt „Vorauswahl“, die sich medial auch schlecht verkau- werden, das heißt im Vorfeld zur eigentlichen, fen ließe. Noch deutlicher wird der Umgang mit der schriftlich mit Stimmzetteln und gemein (sic!), not- Bestimmung in den offiziellen Verlautbarungen der falls im Wege der Briefwahl durchzuführenden Ab- CDU. Auf der Homepage zum Parteitag heißt es: stimmung der Stimmberechtigten über die Kandida- „Die Wahl eines neuen CDU-Vorsitzenden erfolgt turen.“27 Tatsächlich ist der Begriff der Schlussab- auf dem 33. Parteitag der CDU Deutschlands […]. stimmung möglicherweise aus dem Parlamentsrecht Auf dem Parteitag selbst wird digital gewählt und entliehen, wo § 86 GO-BT den Terminus verwendet, entschieden – ein Novum in der deutschen Parteien- um die Abstimmung über ein Gesetz am Schluss der geschichte. Für ein verbindliches und rechtssicheres Dritten Lesung zu bezeichnen, nachdem über alle Wahlergebnis erfolgt anschließend eine schriftliche Änderungsanträge abgestimmt wurde.28 In diese Schlussabstimmung per Briefwahl.“29 Ganz abgese- Richtung deutet auch der Verweis des Innenaus- hen davon, dass diese Darstellung in sich nicht be- schusses auf die „Vorauswahl“ der Bewerber, wobei sonders konsistent ist, zeigt sie sehr deutlich, welche auch dieser Passus im Dunkeln bleibt. Denn wo ver- Rolle die abschließende Briefwahl hier hat: Sie dient läuft die Grenze zwischen einer – nach dieser An- als Formalie, als rechtliche Absicherung, als juristi- sicht in digitaler Form zulässigen – „Vorauswahl“ sches Kleinklein, dem keine größere Bedeutung zu- und einer zwingend analog durchzuführenden „End- zumessen ist. auswahl“? Wie missbrauchsanfällig dieser unklare Sollte dieses Verfahren tatsächlich unter den Termi- Passus ist, hat insbesondere sein Praxistest gezeigt. nus der „Schlussabstimmung bei Wahlen“ im Sinne 3. Der Praxistest: Analoge Schlussabstimmung der neuen Corona-Regeln fallen, so hätte der Gesetz- oder formale Bestätigung? geber nach seinem eigenen Dafürhalten eine verfas- sungswidrige Regelung geschaffen. Denn wenn elek- Sowohl die CDU als auch DIE LINKE haben auf tronische Vorstandswahlen in Parteien mit Art. 21 ihren Parteitagen Anfang 2021 die Regelung derart Abs. 1 S. 2 GG unvereinbar sind, dann kann eine angewandt, dass die eigentlichen, kompetitiven Kan- elektronische Vorstandswahl, die nur pro forma und didaturen für die Vorstandswahlen alleine in digita- ohne tatsächliche Auswahlmöglichkeit abgehalten ler Form durchgeführt wurden. Die nachgelagerte wird, nicht mit der Verfassung vereinbar sein. Briefwahl diente dann allein der Bestätigung der in dieser Form ausgewählten Kandidaten, die zwar für V. Ausblick: Ist die Zukunft digital? jedes Vorstandsmitglied einzeln erfolgte, aber kei- nerlei Alternativen mehr zuließ. Die Änderungen im Parteienrecht in Reaktion auf die Corona-Pandemie müssen beide Seiten des digitalen Wenn die „Vorauswahl“ aber derart ausgestaltet ist, Meinungsspektrums enttäuschen. Digitaleuphoriker dass nur noch ein Kandidat oder eine Kandidatin werden bedauern, dass die Regelungen nur befristet 26 Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 31; gelten und keine weiteren Impulse gesetzt wurden, Kotzur, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2021, Art. 20 um das Parteienrecht stärker auf digitale Formen der Rn. 123; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Partizipation zuzuschneiden. Digitalskeptiker hinge- GG, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 157 ff.; jew. m.w.N. gen sehen durch die Gesetzesänderung und die auf 27 BT-Drs. 19/23197, S. 16. 28 29 S. dazu den Beitrag von Michl in diesem Heft, S. 23 ff. . doi:10.24338/mip-202122-28 27
Aufsätze Schönberger – Zwischen Parteitag und Fernsehshow – Parteienrecht in Zeiten der Corona-Pandemie MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 1 sie folgende Praxis ihre Befürchtungen bestärkt, dass der verstärkte Einsatz digitaler Instrumente verfas- sungsrechtlich abgesicherte demokratische Stan- dards verkommen lässt. Diese Befürchtungen werden auch im Übrigen gera- de durch das Beispiel des CDU-Parteitags gestärkt, der in seiner ganzen Inszenierung eher an eine Fern- sehshow der alten Bundesrepublik als an eine Veran- staltung zur demokratischen Meinungsbildung erin- nerte. Das lag nicht nur in der extremen Frontalkom- munikation durch die Parteitagsleitung, den zahlrei- chen Einspielfilmchen und der auf Spannungsma- nagement angelegten Moderation von Wahlvorgang und Ergebnisverkündung begründet. Der Format- wechsel ins Digitale führte bei der CDU auch dazu, dass – entgegen der eigenen Statuten und vor allem entgegen elementarer demokratischer Standards – weder das Parteitagspräsidium noch die Zählkom- mission demokratisch gewählt wurden. Damit ge- wann aber die politische Inszenierung endgültig Oberhand über den demokratischen Prozess: eine be- unruhigende Entwicklung. Wie so oft im Parteienrecht gilt auch hier: Wo kein Kläger, da kein Richter. Selbst der im Rennen um den Parteivorsitz unterlegene Friedrich Merz und seine Anhänger haben, trotz einiger öffentlicher Kri- tik im Vorfeld, davon abgesehen, das rechtlich im Ergebnis mehr als zweifelhafte Verfahren zur Vorsit- zendenwahl in der CDU gerichtlich anzugreifen. Es bleibt daher zu hoffen, dass die zeitlich befristeten Corona-Regeln für Parteien mit dem Ende der Pan- demie verschwinden werden und die bisherigen Er- fahrungen dem Gesetzgeber durchaus auch als mah- nendes Beispiel dafür dienen, welche subtilen demo- kratischen Gefahren drohen, wenn die digitale Mo- dernisierung im Parteienrecht überstürzt und unüber- legt vorgenommen wird. 28 doi:10.24338/mip-202122-28
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