Zwischen Wahn und Sinn - CHRISTOPHORUS AKADEMIE
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Zwischen Wahn und Sinn Dokumentation der Fachtagung am 03.12.2020 in der Christophorus Akademie München in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „Psychiatrie und Palliative Care“ der DGP Bayern erstellt von Caroline Warda und Gerhard Deser Depressionen, Ängste, Anpassungsstörungen. Was auf den ersten Blick nur ein Fall für Psychiater*innen sein kann, ist ebenso Alltag in Hospizen und Palliativstationen. Andersherum erkranken auch Menschen mit chronischen psychischen Störungen an zusätzlichen somatischen Krankheiten, die tödlich verlaufen. Trotz dieser Überschneidungen steht die Zusammenarbeit zwischen Psychiatrie und Palliativmedizin noch ganz am Anfang. Wichtige Pionierarbeit leistet auf diesem Gebiet seit 2017 die Task Force „Palliativmedizin in der Psychiatrie und Psychotherapie“, die die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) eingerichtet hat. Am 3. Dezember 2020 fand der erste Fachtag unter dem Titel „Zwischen Wahn und Sinn – zwischen Palliativ-Arbeit und Psychiatrie“ als Online-Konferenz statt. Dort konnten sich die knapp fünfzig Teilnehmenden – unter ihnen Psychiater*innen, Psychotherapeut*innen, Palliativpflegekräfte und Sozialarbeiter*innen – einen Tag lang über ihre Erfahrungen, gemeinsame Schwierigkeiten und potentielle Handlungsfelder austauschen. Es ging um die Frage, wo Fachwissen aus der Psychiatrie in der Palliativmedizin eingesetzt werden kann – und wo palliative Expertise die Behandlung psychisch Kranker verbessert. Dass diese Verbindung sehr wertvoll ist, beweist in der Praxis bisher nur die Psychoonkologie. Dort gehört es seit langem zur allgemeinen Therapie, den Patient*innen auch psychotherapeutisch zur Seite zu stehen. Nun ist es an der Zeit, dieses Angebot auf weitere Patient*innengruppen auszuweiten. Implementierung von Palliativversorgung in der Psychiatrie/psychiatrischen Kliniken Der Tag umfasste sechs Vorträgen. Als erster Vortragender an diesem Tag zeigte Professor Wolfgang Schreiber, Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Mainkofen, zunächst das Spannungsfeld zwischen Palliativmedizin und Psychiatrie auf. Dabei macht er deutlich, dass eine frühzeitige palliative Behandlung viele Vorteile für die Patient*innen hat: Sie brauchen weniger aggressive Therapien, haben eine bessere Lebensqualität, weniger psychiatrische Symptome wie Depressionen und leben sogar durchschnittlich einige Monate länger. Diese zusätzliche Zeit am Lebensende kann besonders wertvoll sein, zum Beispiel, wenn sie zum Abschiednehmen genutzt wird. Psychische Störungen sind auch bei „normalen“ Palliativpatient*innen sehr häufig. Rund ein Fünftel von ihnen leiden zusätzlich zu ihren lebensverkürzenden Krankheiten unter Depressionen oder 1
Angstzuständen. Werden weitere Symptome wie Schlafstörungen dazugerechnet, sind ein Drittel betroffen. Oft werden diese Symptome nicht ernst genug genommen, weil es normal erscheint, am Ende des Lebens ängstlich und niedergeschlagen zu sein. Für Professor Schreiber ist das aber eine Verharmlosung der Symptome, die auch in dieser Lebensphase nicht unbehandelt bleiben sollten. Gerade bei solchen Beschwerden ist es wichtig, aktiv auf die Patient*innen zuzugehen. Weil Menschen mit psychischen Erkrankungen noch immer von der Gesellschaft stigmatisiert werden, kommunizieren die Betroffenen nur selten ihre Symptome oder reagieren zunächst abweisend auf psychotherapeutische Angebote und erleben sie sogar als Kränkung. Eine zusätzliche Schwierigkeit entsteht durch schlechte Arbeitsbedingungen. Viele Einrichtungen haben kein eigenes Zimmer für eine psychotherapeutische Behandlung, sodass sie im Patientenzimmer stattfinden muss. Ebenso wie es Missverständnisse darüber gibt, was Psychotherapie ist, ist vielen Patient*innen auch nicht klar, was „palliativ“ bedeutet. Entgegen der landläufigen Meinung bedeutet eine palliative Behandlung nicht, dass die Betroffenen in den nächsten Tagen oder gar Stunden versterben werden. Der eigentliche Sinn einer palliativen Behandlung kann überhaupt erst erfüllt werden, wenn sie möglichst früh ansetzt, im Idealfall sogar ein bis zwei Jahre vor dem V. Und auch nach dem Tod endet sie nicht, denn dann sind es die Hinterbliebenen, die von einer fortgeführten unterstützenden Trauerbegleitung profitieren können. Historisch bedingt erhalten noch immer Krebspatient*innen am häufigsten eine palliative Versorgung. Laut Definition der DGP bietet die Palliativmedizin aber allen Menschen mit einer lebenslimitierenden oder lebensbedrohenden Krankheit eine Vorbeugung und Linderung von Leiden. Und das nicht nur durch speziell ausgebildete Palliativmediziner*innen. Stattdessen sind alle, die es mit Palliativpatient*innen zu tun haben, auch palliativ tätig. Aus dieser Definition heraus wird in der Psychiatrie schon immer auch palliativ gearbeitet. Ein spezialisierter Palliativdienst muss nur in sehr komplexen Situationen hinzugezogen werden. Wo liegen nun die Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit von Psychiatrie und Palliativmedizin? Blickt man in die Geschichte der Palliativmedizin, so war die Psychiatrie von Anfang an dabei. So war ein enger Mitarbeiter von Dame Cicely Saunders – der Begründerin der modernen Hospizbewegung – der britische Psychiater Colin Murray Parkes. Und das war kein Zufall, immerhin haben die Patient*innen der beiden Bereiche einiges gemeinsam: So zeigen beide Gruppen häufig schwere, chronische Verläufe und brauchen multiprofessionelle, ganzheitliche Betreuung. Bei einigen Patient*innengruppen bietet sich eine gemeinsame Behandlung besonders an. Zum einen sind das schwer somatisch erkrankte Personen, die zusätzlich an einer psychischen Störung leiden, und zum anderen Menschen mit einer schweren psychiatrischen Erkrankung, die aufgrund einer hinzugekommenen somatischen Krankheit an ihrem Lebensende stehen. Manchmal steht diese somatische Erkrankung auch in direktem Zusammenhang mit der psychiatrischen Krankheit, etwa 2
wenn eine schwere Alkoholabhängigkeit die körperliche Gesundheit zerstört. Diese Personen erhalten in vielen Fällen bereits Zugang zu einer palliativen Versorgung. Anders sieht es mit Patient*innen aus, die an einer schweren, nicht mehr kurativ therapierbaren psychiatrischen Erkrankung leiden. Ob psychiatrische Störungsbilder ohne gleichzeitige körperliche Krankheit tatsächlich so schwerwiegend sein können, dass eine palliative Behandlung sinnvoll wird – dass ist für deutsche Psychiater*innen noch heute umstritten. Für Schreiber ist deswegen gerade diese Personengruppe kritisch für die Zusammenarbeit zwischen Psychiatrie und Palliativmedizin. Im letzten Teil seines Vortrags ging der Psychiater auf verschiedene psychiatrische Krankheitsbilder und ihre palliativmedizinischen Aspekte ein. Zur Sprache kamen dabei schwere psychiatrische Störungen in Verbindung mit einer onkologischen Komorbidität, Delir und Demenz sowie Depression, Angst und Todeswunsch. Bei psychiatrischen Patient*innen mit zusätzlicher Krebserkrankung gab Schreiber Hinweise, ab wann ein behandelndes Team die Supervision einer Psychiater*in in Betracht ziehen sollte. Etwa wenn die Patient*in regelmäßig sehr viel Zeit in den Teambesprechungen einnimmt, es zu Konflikten kommt oder kein Verständnis mehr für das Verhalten der Patient*in gefunden werden kann. Zusätzlich zur Beratung durch eine Psychiater*in ist es auch sinnvoll, wenn das Team mehr Verständnis für das Anders-Sein ihrer Patient*innen bekommt, indem es sich zu Themen wie Persönlichkeitsstörungen, schizophrene oder affektive Störungsbilder sowie psychodynamische und lerntheoretische Zusammenhänge weiterbildet. Wichtig ist auch die Achtsamkeit für sich selbst, zum Beispiel durch eine Burn-Out-Prävention. Als Fazit für die Praxis betonte Wolfgang Schreiber, dass auf subklinische psychische Reaktionen sehr gut palliativmedizinisch eingegangen werden kann. Bei schwereren Störungsbildern sollte aber immer Psychiater*innen einbezogen werden. Die können Behandlungsempfehlungen aussprechen, wertvolles Wissen über psychische Störungen vermitteln und so ungünstigen Dynamiken im Palliativteam entgegenwirken. Bei Menschen mit Demenz empfiehlt Schreiber eine frühzeitige palliativmedizinische Behandlung, da in weit fortgeschrittenen Stadien eine Stabilisierung des psychischen und körperlichen Zustands sehr unwahrscheinlich ist und deswegen die Symptomkontrolle oberste Priorität haben sollte. Palliative Versorgungsstrukturen und Schnittstellenmanagement Das zweite Referat an diesem Fachtag wurde von Christiane Zimmerer gehalten. Sie ist selbst im Palliativmedizinischen Konsildienst des LMU Klinikums tätig und stellte diesen neben den anderen Einrichtungen der Palliative Care in ihrem Vortrag vor. Laut Definition der Weltgesundheitsorganisation dient Palliative Care „der Verbesserung der Lebensqualität von Patienten (Erwachsenen und Kindern) und ihren Familien, die mit Problemen verbunden mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind. Dies geschieht durch Vorbeugen und Linderung 3
von Leiden mittels frühzeitiger Erkennung und genauer Beurteilung und Behandlung von Schmerzen und anderen physischen, psychosozialen oder spirituellen Problemen. Palliative Care respektiert die Wünsche der Patienten und hilft den Familien mit praktischen Fragen zurechtzukommen, einschließlich dem Umgang mit Verlust und Trauer während der Erkrankung und auch nach dem Sterben des kranken Angehörigen.“ Der Begriff Lebensqualität ist dabei multidimensional zu sehen und ist hochgradig individuell. In die Vorstellung der eigenen Lebensqualität spielen die spirituelle, physische, soziale und psychische Dimension und diese bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Daher können sich die Wünsche der Patient*innen im Laufe der Zeit immer wieder verändern. Dann muss auch die Art der Versorgung geändert werden. In Deutschland gibt es derzeit viele verschiedene Einrichtungen, die Palliative Care anbieten: Die allgemeine Palliativversorgung wird vor allem in hausärztlichen oder fachärztlichen Praxen, von Pflegediensten oder in Pflegeheimen geleistet. Dazu kommen in manchen Fällen Hospizdienste oder der Palliativ-geriatrischen Dienst. Spezialisierte Versorgung benötigt etwa ein Zehntel der Patient*innen und wird von der SAPV (Spezialisierte ambulante Palliativversorgung) angeboten. In Fällen, die auf noch intensivere Betreuung angewiesen sind, kommen Palliativstationen und Hospize ins Spiel. Die verschiedenen Versorgungsmöglichkeiten sind jeweils entweder ambulant oder stationär und allgemein oder spezialisiert: Ambulante Stationäre Palliativversorgung Palliativversorgung Allgemeine Hausärztliche Praxen / Allgemeine Palliativversorgung tlw. mit Krankenhausstationen (APV) Zusatzqualifikationen Nicht spezialisierte Pflegedienste Palliativstationen Ambulante Pflegeheime mit Hospizdienste Basisqualifikation PalliativGeriatrische Dienste Spezialisierte SAPV Spezialisierte Palliativversorgung Immer Palliativstationen (SPV) multiprofessionell – oft Stationäre Hospize durch Teams Palliativ-Konsildienste Immer durch multiprofessionelle Teams Der Konsildienst ist ein multiprofessionelles Team, das eigenständiger Teil einer Klinik ist. Durch ihn werden Patient*innen auf allen Stationen auch während ihrer krankheitsorientierten Behandlung palliativ versorgt und die Primärbetreuenden unterstützt und beraten. Die Behandlungsführung verbleibt dabei auf der Station, auf der die Patient*in liegt. 4
Ist die Erkrankung fortgeschritten, die Lebenserwartung auf Wochen oder Tage begrenzt und dennoch eine Krankenhausbehandlung indiziert, kann die Palliativstation der richtige Behandlungsort sein. Hier können auch komplexe medizinische oder psychosoziale Probleme behandelt werden. In Fällen, in denen eine Behandlung im Krankenhaus nicht notwendig, aber die Betreuung durch die Familie oder die stationäre Pflegeeinrichtung nicht möglich ist, kann ein Hospiz in Betracht gezogen werden. Im Gegensatz zu den Palliativstationen sind Hospize unter pflegerischer Leitung, zusätzlich kommen Hausärzt*innen oder spezialisierte Palliativärzt*innen zum Einsatz. Dort ist die Aufenthaltsdauer mit durchschnittlich drei Monaten auch deutlich länger. Die Finanzierung erfolgt gemischt durch die Kranken- und Pflegekassen. Seit 2007 gibt es den Rechtsanspruch auf SAPV. Diese speziellen Palliative Care-Teams bestehen aus Pflegekräften und Ärzt*innen mit einer besonderen Weiterbildung. Diese Teams arbeiten eng mit ambulanten Hospizdiensten zusammen und versorgen schwerstkranke Patient*innen sowohl zuhause als auch in Pflegeeinrichtungen. Je nach Betreuungslevel sind sie rund um die Uhr verfügbar und verhindern damit auch unnötige notärztliche Einsätze oder Krankenhauseinweisungen. Die meist ehrenamtlichen Mitarbeitenden der Hospizdienste bieten Palliativpatient*innen Beratung und Sterbebegleitung zuhause, im Pflegeheim oder in Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Dieses für die Patient*innen kostenfreie Angebot wird durch eine qualifizierte Fachkraft geleitet und ist von Region zu Region verschieden ausgeprägt. Bei so vielen unterschiedlichen Möglichkeiten kann es in manchen Fällen schwierig sein, die richtige Art der palliativen Behandlung zu finden. Manchmal scheint es sogar ganz unmöglich. Um das zu illustrieren, stellte Frau Zimmerer den Fall des Herrn C. vor. Zu einer vorbekannten Schizophrenie, die mit Risperidon eingestellt war, kam eine lebensbedrohende Krebserkrankung. Der Wunsch des Patienten war zwar eine Schmerzlinderung, dann aber eine sofortige Entlassung nach Hause. Eine Strahlentherapie brach er ab. Anschließend verstärkte sich seine psychiatrische Symptomatik und er lehnte sämtliche medizinische und pflegerische Maßnahmen einschließlich der Behandlung mit Risperidon ab. Subkutane und periphere Zugänge entfernte er sich selbstständig und rief immer wieder Bekannte an, die ihn abholen und nach Hause bringen sollten. Das psychiatrische Konsil konnte keine Eigen- oder Fremdgefährdung feststellen und schlug deshalb vor, an der Therapieadhärenz zu arbeiten. Nachdem immer häufiger Episoden mit Blickstarre auftraten, wurde unter Einverständnis des gesetzlichen Betreuers eine Perfusortherapie begonnen. Nun gab es theoretisch sechs verschiedene Möglichkeiten der Weiterversorgung, die aber praktisch nicht umsetzbar waren: Eine Betreuung zuhause durch einen SAPV-Dienst – wie es der Patientenwunsch war – wurde vom gesetzlichen Betreuer abgelehnt. Ein Hospiz oder ein Pflegeheim mit SAPV entsprachen als offene Einrichtungen nicht den Bedürfnissen des Patienten, außerdem hätte es dafür seine Einwilligung gebraucht. Die Station N2 des Kbo Isar Amper Klinikums nahm ihn nicht auf, 5
weil die neurologischen Probleme nicht im Vordergrund standen und die gerontopsychiatrische Station am selben Klinikum sah sich aufgrund seiner multiplen somatischen Probleme als ungeeignet für seine Versorgung. Für die letzte Möglichkeit, dem beschützen Bereich eines Pflegeheims mit SAPV, fehlte der Unterbringungsbeschluss. Ähnliche Probleme treten oft mit wohnungslosen Patient*innen auf, da hier der ambulante Bereich vollständig entfällt, und bei Patient*innen mit Suchterkrankungen. Diese Gruppe ist für Pflegeeinrichtungen oft zu jung, Hospize befürchten, dass die Lebenserwartung zu lang sei. Hier muss jeweils im Einzelfall entschieden werden, was die Einrichtungen leisten können. Ein weiteres Feld, in dem die aktuellen Regelungen nicht greifen, sind Patient*innen mit ALS. Ihre Symptomlast ist oft maximal, wodurch sie stark von einer palliativen Versorgung profitieren würden. Die erhalten sie aber nicht, obwohl sie alle Kriterien erfüllen – bis auf die stark verkürzte Lebenserwartung. Versorgungslandschaft der Psychiatrie: Überblicke über die Angebote, Umgang mit Diensten Jens Benninghoff als Vertreter der Gerontopsychiatrie stellte seinen Bereich des Isar-Amper- Klinikums München vor. Dort ist er Chefarzt des Zentrums für Altersmedizin und Entwicklungsstörungen. Das Zentrum besteht aus fünf Teilbereichen. Der stationäre Bereich beinhaltet die Akutgeriatrie, die geschützten Stationen und die drei Stationen für Delir/hirnorganische Syndrome, Doppeldiagnose Sucht/Depression und Altersdepression. Die Tagesklinik für Depressionen im Alter ist teilstationär. Zusätzlich beherbergt das Zentrum fünf Ambulanzen: Die Gerontoambulanz, die Heim-Versorgung, das Memory-Zentrum, Depression im Alter und die Tagesklinik. An Extraangeboten gibt es unter anderem den Rollator-Führerschein, den Geriatrischen Konsildienst, den Demenzchor oder die Zusammenarbeit mit der Alzheimer-Gesellschaft. Der letzte Bereich besteht aus der Station und Ambulanz für Menschen mit geistiger Behinderung. Im vorangegangenen Vortrag wurde das Fallbeispiel des Herrn C. vorgestellt, für den keine passende Versorgungmöglichkeit gefunden werden konnte. Auch im Zentrum für Altersmedizin konnte er nicht behandelt werden. Das lag an der fehlenden F-Diagnose, die Voraussetzung für eine Behandlung in der Gerontopsychiatrie ist. Um also Fälle wie den des Herrn C. in Zukunft zu vermeiden, ist es wichtig, genau zu diagnostizieren. Gerade Demenz ist eine Krankheit, die oft weder richtig diagnostiziert noch den Angehörigen mitgeteilt wird. Das führt im schlimmsten Fall dazu, dass Patient*innen unterversorgt sind und auch die BVP nicht angemessen umgesetzt werden kann. Psychisch kranke Patienten im palliativen Kontext. Umgang mit psychisch kranken Patienten. Umgang mit akut psychischen Störungen/Krisen Weitere wichtige Einrichtungen im Bereich der Palliativversorgung sind die Hospize. Auch dort sollten die Mitarbeitenden Grundkenntnisse über psychische Erkrankungen und den Umgang mit 6
ihnen kennen. Denn die psychiatrische Behandlung ist nicht immer voll gegeben. Besonders schwierig ist es häufig an den Wochenenden, an denen die psychiatrischen Fachkräfte der ambulanten Einrichtungen nicht arbeiten und niedergelassene Psychiater*innen auch nicht verfügbar sind, weil sie keine Hausbesuche machen. Die Sozialpädagogin und gerontopsychiatrische Fachkraft Martina Kasper vom Christophorus Hospiz in München berichtete in ihrem Vortrag von eigenen Erfahrungen und gab Handlungsempfehlungen für die Praxis mit. Mit psychisch kranken Menschen kann es schwieriger sein, eine gute Kommunikation aufrechtzuerhalten oder eine konstruktive therapeutische Beziehung aufzunehmen. Je nach Krankheit kann sich das sehr unterschiedlich äußern. Martina Kasper berichtete knapp über die häufigsten psychischen Störungen: Schizophrenie, affektive Störungen, Anpassungsstörungen, Borderline und Angststörungen. Bei diesen Patient*innengruppen kann es schneller zu aggressivem Verhalten kommen, wenn nicht auf ihren psychischen Zustand eingegangen wird. Gründe dafür können zum Beispiel sein, dass die Patient*in nicht versteht, was mit ihr geschieht, die Kommunikation eingeschränkt ist oder die Betreuung als Gewalt empfunden wird. Zur Deeskalation solcher angespannten Situationen schlägt Kasper zwölf Grundregeln vor: 1. Nicht erst bei auftretender Aggression, sondern bereits bei sich aufbauender Angespanntheit sollten erste deeskalierende Maßnahmen getroffen werden. 2. Die eigene Sicherheit sollte immer Vorrang haben, wenn nötig sollte daher eine Kolleg*in hinzugezogen werden. 3. Unbeteiligte und störende Personen sollten gebeten werden, den Raum zu verlassen. 4. Während der Deeskalation sollte nur eine Person mit der Patient*in sprechen. 5. Um selbst ruhig bleiben zu können, sollte im Vorfeld verschiedene Möglichkeiten zur Selbstberuhigung geübt werden. 6. Auf die Körpersprache, Gestik, Mimik und Stimme achten. 7. Augenkontakt herstellen. 8. Das Ziel sollte nicht sein, die Patient*in zu beherrschen oder zu kontrollieren. 9. Nicht provozieren lassen. 10. Provokative Begriffe, Drohungen, Vorwürfe und Ermahnungen sollten vermieden werden. 11. Die Grundhaltung der Patient*in gegenüber sollte wertschätzend bleiben. 12. Das Ziel ist, die hinter der Aggression liegenden Bedürfnisse und Gefühle herauszuarbeiten. Die Beachtung dieser Regeln tragen maßgeblich zum Erfolg der Deeskalation bei. Weiterhin kann es von Vorteil sein, die Patient*in mit Namen anzusprechen, eher langsame Körperbewegungen zu vollziehen und Berührungen zu vermeiden. Im Gespräch sollten auch die eigenen Grenzen unbedingt gewahrt werden. Sollten sie von der Patient*in überschritten werden, helfen oft klar Stopp-Sätze, wie „Halt“ oder „Lassen Sie das!“. Wenn das nicht ausreicht, sollte die Situation entweder verlassen oder 7
Hilfe hinzugeholt werden. Fragen sollten möglichst konkret gestellt werden, also zum Beispiel „Wovor haben Sie Angst?“ anstatt „Warum haben Sie Angst?“. Dadurch fühlt sich die Patient*in in ihren Gefühlen ernst genommen, anstatt sich rechtfertigen zu müssen. Wenn es authentisch ist, können an dieser Stelle auch eigene Gefühle eingebracht werden, um die Patient*in zu validieren, zum Beispiel: „Ich kann verstehen, dass Sie das traurig macht, das würde mich auch traurig machen.“ Aus der Praxis, Fallbesprechungen, Übergänge gestalten, Medikation, Sucht Nach diesem Einblick in das Christophorus Hospiz folgte ein Vortrag der Neurologin und Ethikberaterin Dagmar Kaub-Wittemer. Sie arbeitet ebenso wie Jens Benninghoff im Isar-Amper- Klinikum in der Gerontopsychiatrie, konnte aber auch schon Berufserfahrungen auf einer Palliativstation sammeln und kennt deswegen beide Seiten. Für sie besteht das Hauptproblem zu Beginn einer palliativen Behandlung in einer entscheidenden Frage: Handelt es sich vorrangig um eine somatische oder eine psychiatrische palliative Situation? Das ist häufig gar nicht so leicht zu beantworten, vor allem, wenn die Betreuenden die Patient*innen in ihrer ganzen Geschichte noch nicht so gut kennen. Um die besonderen Herausforderungen in solchen Situationen zu verdeutlichen, wurden drei Fälle vorgestellt und intensiv besprochen. Beim ersten Fall handelte es sich um eine 79- jährige Frau mit Depression und rezidivierenden Suizidversuchen. Nachdem ihr Ehemann in der gemeinsamen Wohnung verstorben war, wollte die Frau ebenfalls sterben und nicht mehr weiter behandelt werden. Der Fall wurde gemeinsam mit den Kursteilnehmenden diskutiert, wobei insbesondere die Frage aufkam, wie lange eine Depression unter diesen Umständen noch behandelt werden sollte und wodurch man einen „echten“ Todeswunsch von einem unterscheiden kann, der als Symptom einer Depression auftritt. Als Richtwert wurden vier bis sechs Wochen genannte, nach dieser Zeit sollte festgestellt werden können, ob die Patient*in an einer Depression leidet. Dennoch können bei solchen Abwägungen zusätzlich eine ethische Fallbesprechung sehr sinnvoll sein. Als zweiten und dritten Fall stellte Dagmar Kaub-Wittemer einen 66-jährigen Patienten mit Alkoholdemenz und zunehmender Fremdaggression und einen 58-jährigen Patienten mit Trisomie 21, Alzheimer Demenz und Pneumonie vor. Aus diesen drei Fallbeispielen kann folgendes Fazit gezogen werden: Eine allgemeine Patientenverfügung reicht häufig nicht aus, deswegen sollte frühzeitig mit den Patient*innen und ihren Angehörigen besprochen werden, wie im Notfall gehandelt werden soll. Eine psychiatrische Behandlung sollte außerdem immer dem Wohl der Patient*in dienen und kann deswegen von Fall zu Fall sehr unterschiedlich aussehen. Speziell bei der Diagnose Demenz ist nicht immer eine rein palliative Behandlung sinnvoll. Oft können kurative Therapiemöglichkeiten sinnvoller sein und sollten deswegen immer in Erwägung gezogen werden. In besonders schwierigen Situationen sollte immer die Möglichkeit einer ethischen Fallbesprechung genutzt werden. 8
Psychologische Begleitung - Würde Der letzte Referent an diesem Tag war Urs Münch. Der psychologische Psychotherapeut beschäftigte sich in seinem Vortrag mit einem wichtigen Aspekt der psychologischen Begleitung Sterbender: die Würde der Patient*innen. Die steht nämlich – nicht nur im Bereich der Palliativversorgung oder Psychiatrie – häufig nicht im Mittelpunkt der Behandlung. Grundsätzlich ist Würde etwas, was jedem Menschen durch das Grundgesetz zugesichert wird. Aber genau dort sieht Münch das erste Paradoxon des Konzepts Würde. Einerseits wird sie in Artikel 1 des Grundgesetzes als unantastbar eingeführt. Andererseits ist sie zu schützen, weil sie eben doch angegriffen werden kann. Im Gesundheitswesen gibt es verschiedene Instrumente, die unter anderem die Würde der Patient*innen sicherstellen sollen. In der Palliativmedizin ist das zum Beispiel die „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“, daneben gibt es weitere Leitlinien der Medizinethik. Ein besonderes Spannungsfeld ist dabei die Anwendung von Zwangsmaßnahmen, da hier die Selbstbestimmung der Patient*innen gegen ihr (vermutetes) Wohl steht. Münch betonte an dieser Stelle, dass Zwang bereits dort beginnt, wo Druck auf Patient*innen oder Angehörige ausgeübt wird, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Die Würde wahren – dabei kann die Palliativversorgung viel von der Psychotherapie lernen. Dafür stellte Münch das Würde-Modell von Harvey M. Chochinov (2002) vor. Mit diesem Modell kann unter anderem das eigene Verständnis von Würde reflektiert werden, Würde wahrende Ressourcen erkannt und Würde wahrendes Handeln eingeübt werden. Überträgt man das Modell von Chochinov auf die praktische Palliativversorgung, ergibt sich vor allem das Spannungsfeld zwischen Selbstständigkeit und Abhängigkeit. Das Gefühl von Abhängigkeit wirkt sich direkt auf das Selbstwertgefühl aus und kann es untergraben. Deswegen sollte das Ziel immer sein, Autonomie zu ermöglichen und nur so viel Fürsorge wie nötig zu geben. Vor allem die subjektiv erlebte Abhängigkeit, die leicht in ein Gefühl des Ausgeliefertseins übergehen kann, ist unbedingt zu vermeiden. Dafür ist es auch wichtig, Grenzen der Patient*innen zu erkennen und zu respektieren. Dazu braucht es ein hohes Maß an Selbstreflexion, Bewusstsein über das eigene Handeln und Kommunikation mit dem Gegenüber. Als Hilfestellung kann dabei das „ABCD der Würde“ dienen: Dabei steht „A“ für „Attitude“, also der eigenen Haltung gegenüber den Sterbenden und das eigene Menschenbild oder das der Einrichtung. Die Haltung sollte immer wieder reflektiert werden. „B“ steht für „Behaviour“, dem Verhalten den Patient*innen gegenüber. Hier sollte man sich die Fragen stellen, wie sich Wertschätzung und Respekt im Handeln widerspiegeln können und wie Autonomie vermittelt wird. Das kann etwa dadurch geschehen, dass erst um Erlaubnis gefragt wird, ehe eine Behandlung beginnt. Es kann sich auch dadurch ausdrücken, dass Stolz ausdrückende Lebensaspekte angesprochen werden, wie etwa das Familienbild mit den Enkelkindern, wenn ein gutes Verhältnis zu ihnen bekannt ist. Das „C“ in diesem Modell steht für „Compassion“, dem 9
Mitgefühl. Das kann vor allem non verbal ausgedrückt werden und ist keineswegs mit Mitleid gleichzusetzen. Der letzte Buchstabe ist das „D“, es steht für „Dialogue“, für das Gespräch. Dabei ist die wichtigste Frage, die dadurch beantwortet werden soll: „Was sollte ich über Sie als Person wissen, um Ihnen die bestmögliche Versorgung zu ermöglichen?“ Dieses Wissen geht weit über das bloße medizinische Wissen über die Krankheit hinaus, sondern zielt auf die Persönlichkeit mit ihrer Geschichte, ihren Gedanken und Gefühlen ab. Zusammenfassung der Diskussion Im Anschluss an die Referenten wurde das Plenum dazu eingeladen, weitere Handlungsfelder im Bereich von Palliative Care, psychiatrische Versorgungsfelder, psychische Gesundheit und Gesundheit am Lebensende zu definieren. Wo gibt er gegenseitige Ergänzungen, wo sind noch offene Themen? Hier eine Zusammenfassung der Beiträge: Beim Thema Trauer ist ein gemeinsames Handlungsfeld zwischen Psychiatrie, Psychotherapie, Palliative Care und Hospizbewegung möglich und notwendig. In Deutschland gibt es bisher wenig Treuerforschung und die internationalen Forschungsergebnisse fließen bisher noch wenig in die Basisarbeit mit ein. Im neuen ICD 11 wird es eine neue Diagnose „anhaltende Trauerstörung“ geben. Hierfür gilt es noch an der Schnittstelle Palliative Care und Psychiatrie die dafür notwendigen Versorgungsstrukturen zu erforschen. Palliatives Denken in der Psychiatrie wird gebraucht und ist auch schon vorhanden, was aber oft so nicht benannt wird. Zum Beispiel kann eine heroingestützte Behandlung von Opiatabhängigen per Definition keinen kurativen Effekt haben. Eine Teilnehmerin berichtet von einer Zulassungsstudie, deren primäre Outcome klassische palliative Ziele wie Lebensqualität und Reduzierung von somatischen Komplikationen zeigt. Hier die Begrifflichkeiten offener zu gebrauchen, würden eine engere Verbindung zwischen beiden Handlungsfeldern ermöglichen und ein entsprechendes Mindset mitgestalten. Eine andere erwähnte Studie aus der somatisch palliativen Medizin zeigt, dass die Qualität des Lebensendes und des Sterbens vom kurativ oder palliativ geprägten Mindset der versorgenden Mediziner abhängt. Wurde im Vorfeld keine klare Einstellung zu einer palliativen Behandlung getroffen, werden im Notfall die erlernten Notfallalgorithmen abgerufen. Dies führt dazu, dass entweder im somatischen Bereich der Krankenwagen gerufen wird oder analog in der Psychiatrie Zwangsmaßnahmen eingeleitet werden. Daher ist es hilfreich, sich in der Behandlung frühzeitig über das Therapieziel auseinanderzusetzen, um Inkonsistenzen im Behandlungsverlauf zu vermeiden. 10
Ein Orientierungspunkt dabei könnte z.B. sein, ab wann ein Arzt sich traut, das Wort „Sterben“ vor Schwerkrankten zu verwenden. Dieser Aspekt aus der Ausbildung für Palliativmediziner wäre auch für die Psychiatrie interessant. Mehr wissen über palliative Konzepte in der Psychiatrie könnte Inkonsistenz und Frustration im Team vorbeugen. Entgegen der üblichen Einbindung der Pflegenden in therapeutische Prozesse wird deren Expertise bei Therapiezieländerungen in Richtung palliativer Vorgehensweise nur wenig eingeholt. Es wird mehr ein Gegeneinander als ein Miteinander berichtet. „Hier in der Psychiatrie leben ja alle!“ Allerdings gibt es Krankheitsverläufe, bei denen im Laufe der Chronifizierung keine weiteren Therapieoptionen mehr vorhanden sind und die Auswirkungen der hohen und langen Neuroleptika Verordnungen zu entwürdigenden Nebenwirkungen führen. Hier geht es dann um die Themenbereiche Würde und Haltung. Eine Teilnehmerin berichte, dass die aktuellen Änderungen im §217 StGB durch den BVerfG zum assistierten Suizid diesbezüglich bereits die ersten Anfragen von Psychiatriepatienten, vor allem mit langjährigen emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen, zeitigen. Hier ist im Umgang mit diesen Anfragen als professionell Tätige eine klare Haltung und daraus Konzepte zu entwickeln, die sich in der Sprache und im intensiven Ringen nach Lösungswegen über das Standardprogramm hinaus ausdrücken. Hierbei könnten palliative Konzepte einen wichtigen Betrag leisten, um vorschnelle Entscheidungen zu verhindern und eine entsprechende Begleitung anbieten zu können. Eine große Sorge besteht, dass in naher Zukunft für somatische Patienten die Auswahlmöglichkeit zwischen kurativer Behandlung, palliativer Behandlung und assistiertem Suizid besteht, bei psychiatrischen Patienten allerdings nur zwischen kurativer Behandlung und assistiertem Suizid, weil die palliative Behandlungsoption in diesem Bereich nicht entwickelt ist. Gleichzeitig müssen Sterbewünsche bei kranken Menschen ernst genommen und angehört werden ohne sofort vertröstet oder mit Einweisung bedroht zu werden. Dies ist Teil des palliativen Settings. Auch die Arbeitsgruppe „Psychiatrie und Palliative Care“ des Landesverband SAPV Bayern ist sich einig, dass die beiden Fachrichtungen sich gegenseitig brauchen, weil alleine es die Professionen nicht schaffen, angemessen mit dieser nicht einfachen Thematik wie des assistierten Suizid umzugehen. Auch Erfahrungsberichte aus dem Plenum zeigen, dass palliative Versorgungseinrichtungen vermehrt mit assistierten Suizidwünschen konfrontiert werden. Zum Teil werden Patienten von Hausärzten an SAPV-Teams weiterverwiesen. Die oft hartnäckige Einforderung dessen und die Unterstellung, die Assistenz zum Suizid würde den Patienten vorenthalten, führt zu hohen Belastungen und Überforderung in diesen Teams. Hier zeigt sich die 11
Notwendigkeit von klarer Haltung als Team und möglichen Konzepten für den Umgang mit diesen Anfragen. Ein gemeinsames Forschungsfeld zwischen Psychiatrie und Palliativ Care zeigt sich bei der psycholytischen oder psychodelischen Therapie. Diese wird in der Psychiatrie vor allem im konkreten Umgang bei schweren Depressionen eingesetzt. In unterschiedlichen internationalen Arbeitsgruppen wird derzeit dazu geforscht, inwieweit diese Therapieform in palliativen Situationen bei Angst vor Sterben und Leid hilfreich ist. Daraus könnte sich vielleicht ein zukünftiges Alternativangebot zum assistierten Suizid entwickeln. Ein Bericht aus dem Plenum zeigte bei der Versorgung einer schwer alkoholkranken noch jungen Wohnungslosen exemplarisch ein weiteres Themenfeld: Es gibt institutionelle Vermeidungs- und Verdrängungsstrategien oder ein gegenseitiges Zuschieben der Verantwortlichkeiten zwischen den beteiligten Professionen. So war es anfangs für die psychiatrischen Versorger schwierig, für die Patientin weg von der Straße „noch eine gute Zeit“ im palliativen Sinne zu ermöglichen. Da ihnen die palliative Kompetenz dazu fehlte, wurde ein SAPV-Team mit eingebunden. Dies sah jedoch die Suchtproblematik im Vordergrund und fühlte sich ihrerseits mit der psychiatrischen Thematik überfordert. So blieb die Zusammenarbeit in einem Schwebezustand hängen und war von beiden Seiten von Angst geprägt, etwas falsch zu machen. Hilfreich ist in solchen Situationen eine klare Kommunikation, wenn eine palliative Situation eintritt. Nützlich an der Schnittstelle wäre die (gegenseitige) Orientierung an der Autonomie und Würde der Betroffenen. Aus dem Plenum wird der Wunsch geäußert, diese Thematik vermehrt in die Ausbildung der medizinisch Tätigen mit aufzunehmen. Ein weiterer Erfahrungsbericht einer Teilnehmenden beschreibt Ver- bzw. Entschuldungstrategien durch unterschiedliche Attributionen mit dem Tod. In der Psychiatrie wird Tod oft damit konnotiert, dass der Tod vermeidbar gewesen wäre und der Behandler einen Fehler gemacht hat. In der Onkologie hingegen wird Tod eher damit attribuiert, dass der Patient zu schwer krank war. Eine weitere Anregung betrifft den Bereich zwischen Palliativ Care und Psychiatrie: die Entwicklung von ergänzenden sehr niederschwelligen Versorgungsplätze für die, für die es „keine Lösungen“ innerhalb der bekannten Versorgungsstrukturen gibt, weil sie aus allen Rahmen fallen. Ergebnisse einer Masterarbeit aus dem Auditorium zeigen, dass jungen Ärzt*innen sich überwiegend alleingelassen fühlen beim Überbringen schlechter Nachrichten. Sie bekommen keine Unterstützung 12
von Fachärzten und werden oft in diese Situation geworfen. Deshalb entstehen oben erwähnte Verdrängung- und Abwehrmechanismen. Oft wissen Patienten dadurch zu wenig über ihre akute Situation, weil das Aufklärungsgespräche nicht ausreichend durchgeführt werden. Ein weiteres Themenfeld zwischen Palliativ Care und Psychiatrie liegt in den verschiedenen Zuständigkeiten der Sozialgesetzgebung, vor allem an der Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe und Pflege. Für Langzeitbewohnern in Behinderteneinrichtungen wird die Pflege am Lebensende und damit der gewünschte Verbleib in ihrer bisherigen Einrichtung zum Problem. Einrichtungen der Eingliederungshilfe halten kein bis wenig Pflegepersonal vor und externe Pflegedienste weigern sich zum Teil in die Einrichtung zu kommen, weil die Finanzierung nicht geklärt oder gesichert ist. Die Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz werden diese Problematik eher noch verstärken. Angeregt werden Ethikkomitees als Kombination aus Palliativer und ethischer Beratung in stationären Einrichtungen. Dazu sollen einfache Modelle in den Einrichtungen geschult werden, damit die Behandler vor Ort dies leicht umsetzen können. In der kürzlich von der Bundesärztekammer verabschieden Musterweiterbildungsordnung wurden die palliativen Aspekte in der psychiatrischen Versorgung völlig übersehen. Daher will sich Prof. Schneider dafür einsetzen, dass in den Einzelbestimmungen der Musterweiterbildungsordnung noch die Palliativpsychiatrische Aspekte integriert und thematisiert werden, weil sie in einer patientenorientierten Versorgung einen wichtigen Punkt darstellen. Ausblick Es ist gut, wenn die Psychiatrie und Palliativmedizin die gegenseitigen Berührungscheu aufgeben, weil bei beiden Professionen ein großer Zeitdruck herrscht und somit Austausch möglich wird. Eine Frage bleibt: Wohin mit den vielen Leuten, die sowohl schwer psychiatrisch wie hospizlich erkrankt sind und die nirgends einen Platz haben. Hier ist noch eine riesige politische Aufgabe zu lösen. Eine weitere Herausforderung in der palliativen Versorgung ist analog zur Schwierigkeit, über den Tod zu sprechen, die Hemmnis, psychische Störungen anzusprechen. Wie soll man mit der Personengruppe umgehen, die keine manifeste Diagnose hat, aber ein entsprechendes Verhalten zeigt? Hier haben wir es in beiden Bereichen mit Attribution zu tun, die vom Subjekt nicht immer geteilt werden. Eine Gemeinsamkeit! Es geht um eine konstruktivistische Fragestellung: Was ist eigentlich die Wirklichkeit, auch wenn eine ICD-Diagnose dahintersteht? Die Arbeitsgruppe „Psychiatrie und Palliative Care“ des Landesverband DGP Bayern unterstützt gerne bei der Knüpfung von regionalen Netzwerken. Sie entwickelt derzeit einen Leitfaden, wie 13
Schnittstellen zwischen Psychiatrie und Palliative Care gestaltet werden können. Zweimal im Jahr werden Fallbesprechungen durchgeführt, um den Austausch zwischen den Bereichen zu fördern und voneinander lernen zu können. 14
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