10-Punkte-Plan für einen kraftvollen Neustart nach der Krise
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10-Punkte-Plan für einen kraftvollen Neustart nach der Krise 21. Juni 2021 Der Corona-bedingte Lockdown hat den Einzel- 1. City-Bonus: Startschuss für die handel so hart getroffen wie kaum eine andere Innenstädte Branche. Das Herunterfahren des öffentlichen Lebens mit der weitgehenden, monatelangen In Folge der monatelangen Schließung weiter Schließung der Geschäfte hat viele Handelsun- Teile des Einzelhandels haben die Verbrauche- ternehmen völlig unverschuldet in eine existenz- rinnen und Verbraucher ihr Einkaufsverhalten an- bedrohende Lage gebracht. gepasst. Der Innenstadthandel hat während des Lockdowns in dramatischem Umfang Marktan- Bis zu 120.000 Einzelhandelsgeschäfte könnten teile zugunsten des Online-Handels verloren. nach HDE-Schätzungen in Folge der Krise vom Wenngleich auch Teile des stationären Handels Markt verschwinden. Dies hätte weitreichende über digitale Vertriebskanäle vom Onlineboom Folgen – nicht nur für die Einzelhändlerinnen und profitieren, stellen die strukturellen Umsatzver- Einzelhändler mit ihren drei Millionen Beschäftig- schiebungen den Innenstadthandel doch vor eine ten, sondern auch für das Gesicht unserer Innen- existenzielle Herausforderung. Ob die Kundinnen städte. Ihnen drohen Leerstand und Verödung. und Kunden in der Post-Lockdown-Zeit den Weg zurück in die Innenstädte finden, ist fraglich. Dass der von den staatlich verordneten Schlie- ßungen betroffene Handel rasch wieder auf die Als Impuls für den Neustart nach der Krise und Beine kommt, ist damit auch von gesamtgesell- zur gezielten Unterstützung der durch den Lock- schaftlichem Interesse: Unsere Innenstädte sind down unmittelbar betroffenen Einzelhandelsun- nicht nur ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, son- ternehmen bedarf es daher eines finanziellen dern auch zentrale Orte der Begegnung und des Anreizes zum Besuch der Innenstädte. Konkret sozialen Miteinanders – und leisten damit einen schlagen wir dazu die Ausgabe eines staatlich wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusam- finanzierten City-Bonus‘ an alle Bürgerinnen menhalt. und Bürger vor. Der Gutschein in Höhe von 200 Euro soll nur in bestimmten stationären Bei der Bundestagswahl geht es darum, die Wei- Betrieben, die von den Schließungen unmittelbar chen für einen kraftvollen Neustart nach der Krise betroffen waren, einlösbar sein. zu stellen. Für den Handel als Herz unserer Innenstädte und Versorger im ländlichen Raum Mit dem City-Bonus ist eine gezielte Unterstüt- kommt es dabei vor allem auf die folgenden zehn zung betroffener Branchen bei gleichzeitiger konkreten Initiativen und Einzelmaßnahmen finanzieller Unterstützung der Bürgerinnen und an, die der neu zu wählende Deutsche Bundes- Bürger möglich. tag und die künftige Bundesregierung mit höchster Priorität angehen müssen. 1
2. Digitalisierungsfonds Handel: Es bedarf daher eines Sonderprogramms Zukunftsfähigkeit sicherstellen Innenstadtstabilisierung mit jährlich mindes- tens 500 Millionen Euro für eine Laufzeit von fünf Der Einzelhandel entwickelt sich immer stärker Jahren. Das Programm soll gemeinschaftliche zur Technologiebranche. Rund 150.000 Unter- innovative Konzepte, städtebauliche Aufwertun- nehmen setzen heute bereits auf den Onlinever- gen sowie kleinteilige Maßnahmen zur Attraktivi- kauf ihrer Waren, häufig zusätzlich zum tätssteigerung und Modernisierung bestehender stationären Geschäft. Die Digitalisierung ist ein und neuer Ladengeschäfte, Gastronomie-, entscheidender Erfolgsfaktor, insbesondere für Kultur-, Bildungs-, Freizeit- und Sozialeinrichtun- den Mittelstand. Dafür erforderliche Investitionen gen fördern. Bund, Länder und Kommunen sind in Krisenzeiten aber kaum möglich. müssen hier an einem Strang ziehen. Rund 60 Prozent der Handelsunternehmen Die Innenstädte, Stadtteil- sowie Ortszentren können derzeit aufgrund der wirtschaftlichen verdienen nach der Krise eine faire Chance. Auswirkungen der Pandemie und der Corona- Zusätzliche Sonntagsöffnungen können jetzt Maßnahmen nicht in ihre Zukunft investieren. einen wichtigen Beitrag leisten. Kurzfristig sollte 40 Prozent des Mittelstands im Einzelhandel es daher möglich sein, die restlichen haben für 2021 keine Investitionen geplant. Sonntage im diesem Jahr zu öffnen. So Gleichzeitig halten aber mehr als 70 Prozent aller könnten die durch die Ladenschließungen Händler weitere Investitionen in die Zukunfts- entgangenen Umsätze zumindest teilweise fähigkeit für wichtig. kompensiert werden. Wichtig ist zudem, dass Deshalb braucht es für diese durch die Corona- allgemein bei Sonntagsöffnungen rechtliche Krise unverschuldet in Not geratenen Handels- Verlässlichkeit einkehrt. Bisher werden sogar unternehmen einen Digitalisierungsfonds in genehmigte Sonntagsöffnungen immer wieder Höhe von 100 Millionen Euro. Der Einzelhandel kurzfristig von Gerichten gekippt. Das kostet viel braucht eine staatliche Modernisierungshilfe für Geld, etwa weil die Händlerinnen und Händler Unternehmen, die krisenbedingt ohne Geld für vorab Werbung schalten, und schadet zudem dringend notwendige Investitionen dastehen. dem Image der Branche. 3. Stadtzentren attraktiv halten und 4. Spielräume schaffen: verlässliche Sonntagsöffnungen Wachstumsagenda statt ermöglichen Steuererhöhungen Der Einkauf im Einzelhandel ist nach wie vor der Der HDE fordert die Politik auf, die nach der wichtigste Grund, um Innenstädte, Stadtteil- Finanzkrise erfolgreiche Konsolidierungsstrate- sowie Ortszentren aufzusuchen. Durch die gie zu wiederholen und auf Steuererhöhungen zu fortschreitende Digitalisierung und die pandemie- verzichten. Alle Haushalte und Unternehmen pro- bedingten Schließungen vieler Handelsbetriebe fitieren von den staatlichen Krisenbekämpfungs- geraten die Handelsstandorte in der Innenstadt maßnahmen – die einen als Zahlungsempfänger sowie in Stadtteil- und Ortszentren in den hoch- direkt, die anderen indirekt, weil die Rezession verdichteten Städten ebenso wie im ländlichen abgeschwächt wird, die Geschäfte besser laufen Raum unter erheblichen Druck. und Arbeitslosigkeit vermieden wird. Deshalb sollten auch alle in dem Maße zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte beitragen, indem sie nach der Krise Einkommen erzielen, Gewinne 2
machen oder Waren und Dienstleistungen nach- handelt. Nur so können hinreichende Handlungs- fragen. Sonderlasten wären nicht hilfreich. Sie spielräume für Unternehmen und Verbraucher behindern zum einen die wirtschaftliche Entwick- gewährleistet werden. lung und treffen zum anderen oftmals gar nicht die gemeinte Zielgruppe. So kann z.B. eine Es besteht bereits ein hinreichendes und fortlau- Digitalsteuer vom Marktplatzbetreiber durch fend verschärftes Instrumentarium zur Gewähr- Preiserhöhungen leicht auf Einzelhändler, die leistung eines freien und fairen Wettbewerbs. sich über den Marktplatz eine digitale Präsenz Zivil-, Lauterkeits- und Zivilrecht schützen auch aufbauen wollen, übergewälzt werden. schwächere Marktteilnehmer. Da jede weitere Regulierung zwangsläufig die Vertragsfreiheit so- 5. Wettbewerbsfairness in der wie unternehmerische Handlungsmöglichkeiten Plattformökonomie sicherstellen beschränkt und somit einen intensiven, an Effi- zienzgesichtspunkten orientierten Wettbewerb Globalisierung und Digitalisierung dürfen behindert, sollte auf neue Vorschriften für die Produktsicherheit und Verbraucherschutz nicht in Lieferbeziehungen im B2B-Bereich verzichtet Frage stellen. Zoll und Marktüberwachung werden. müssen in Zeiten der globalen Plattform- ökonomie gestärkt und digital auf Augenhöhe Im Laufe der Jahre wurden mit dem Ziel, das Ver- gebracht werden. Der Zoll muss ertüchtigt braucherschutzniveau zu erhöhen, immer neue werden, um Direktimporte per Paketversand von Regulierungen geschaffen. Das hohe Regulie- Nicht-EU-Händlern nach Deutschland besser rungsniveau belastet die Unternehmen, ohne und umfänglicher kontrollieren zu können. Dies immer einen praktischen Beitrag zur Optimierung kann durch maschinenauslesbare Codes oder des Verbraucherschutzes zu leisten. Dies gilt RFID-Chips geschehen, die eine automatische bspw. für die unzähligen Informationspflichten Identifizierung des Absenders ermöglichen. Die der Unternehmen gegenüber den Verbrauchern, Marktüberwachung des globalen Online-Handels die bei diesen zu einem „Information Overload“ muss auf Bundesebene konzentriert werden. führen und die Konsumenten eher verwirren bzw. Eine Kennzeichnung von Nicht-EU-Händlern auf belästigen, ohne in der Praxis die Basis für in der EU ansässigen Plattformen ist zu prüfen, geschäftliche Entscheidungen der Verbraucher da bei 60 Prozent aller Online-Bestellungen bei zu verbessern. Praktische Beispiele sind die ausländischen Anbietern, der Verbraucher dort Informationen über die Cookie-Nutzung im unwissentlich bestellt. Internet oder die vorvertraglichen Informations- pflichten über das Widerrufsrecht im Online- 6. Neustart ermöglichen: Handel. Diese Fehlentwicklung erfordert eine Entfesselungsoffensive umsetzen Deregulierungsoffensive des Gesetzgebers. Da Deutschland muss die Spirale der sich gegen- das Verbraucherschutzrecht europarechtlich seitig verstärkenden Regulierungsintensität des geprägt ist, muss sich Deutschland vor allem auf nationalen Gesetzgebers und der EU-Gesetz- EU-Ebene im Ministerrat für eine grundlegende gebung durchbrechen. Bei bestehenden europä- Evaluierung des Verbraucherschutzrechts mit ischen Gesetzgebungsvorhaben sollte der dem Ziel, den bestehenden Regelungsrahmen zu nationale Gesetzgeber darauf verzichten, die auf entschlacken, einsetzen. der EU-Agenda befindlichen Themen vorab einer nationalen gesetzlichen Regelung zuzuführen. EU-Regeln sind eins-zu-eins umzusetzen, auch wenn es sich um Mindestharmonisierungen 3
7. Energiewende fair finanzieren: 9. Tarifautonomie achten und stärken: CO2-Preis etablieren Tarifverträge praxisnah gestalten Es braucht den politischen Mut, eine Exit- Die Sozialpartner brauchen mehr Handlungs- Strategie für die EEG-Umlage zu entwickeln und spielraum, um im vollen Umfang gestalterisch diese auf Sicht abzuschaffen. Die Finanzierung tätig werden zu können. Dann können die des Ausbaus Erneuerbarer Energien sollte dann Sozialpartner wieder praxisnahe und attraktive direkt aus dem nationalen und europäischen Tarifverträge für ihre Branche aushandeln und so CO2-Preis gezahlt werden. Denn die EEG-Um- auch die Tarifbindung in der Nach-Lockdown-Zeit lage bittet Privatverbraucher und Handelsunter- wieder steigern. nehmen überproportional zur Kasse. Gerade in der Zeit nach der Krise gilt es keine Seite in Dies setzt aber zum einen voraus, dass nicht unfairer Weise zu überfordern. Die Finanzierung immer mehr traditionelle Gestaltungsfelder der über einen CO2-Preis stellt sicher, dass der, der Tarifpolitik durch den Gesetzgeber abschließend viel CO2 erzeugt, auch entsprechend bezahlen geregelt werden. Zum anderen muss den Tarif- muss. Die CO2-Vermeidung würde damit in den vertragsparteien durch zusätzliche Öffnungs- Mittelpunkt des Handelns rücken. Das ist im Ge- klauseln die Möglichkeit eingeräumt werden, in gensatz zur EEG-Umlage fair und berechenbar. Tarifverträgen vom gesetzlichen Status quo abzuweichen. Erforderlich ist auch die Schaffung 8. Globale Lieferketten-Verantwortung einer „modularen Tarifbindung“, bei der bislang international ausgestalten nicht tarifgebundene Arbeitgeber auch nur einzelne Module aus einem gesamten Tarifwerk Europa muss seiner Verantwortung und seinem übernehmen könnten. globalen Einfluss gerecht werden. Um die systembedingten Herausforderungen in Bezug Eine Erleichterung der gesetzlichen Voraus- auf die Menschenrechte wirksam anzugehen und setzungen für die Allgemeinverbindlichkeit (AVE) um eine Wirkung in den Produktionsländern zu von Tarifverträgen lehnt der HDE strikt ab. Die erzielen, bedarf es langfristig eines einheitlichen AVE stellt einen massiven Eingriff in die internationalen Regelwerks, das allen Akteuren Tarifautonomie und eine Einschränkung der in den globalen Lieferketten zugutekommt. Eine negativen Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG europäische Regulierung zur unternehmerischen dar, die eine Ausnahme bleiben muss und einer Sorgfaltspflicht kann ein wichtiger Bestandteil auf besonderen Rechtfertigung bedarf. dem Weg hin zu einer solchen internationalen Lösung sein. Dabei sollte sich eine solche Regu- 10. Wettbewerbsfähigkeit stärken: lierung auf die menschenrechtlichen Aspekte Fachkräfte für die Zukunft fokussieren, so wie es die UN-Leitprinzipien qualifizieren formulieren. Die Einzelhandelsunternehmen sind auf beruflich Um ihr Ziel nicht zu verfehlen, müssen unterneh- qualifizierte Fach- und Führungskräfte angewie- merische Sorgfaltspflichten umsetzbar sein und sen, um die Wettbewerbsfähigkeit auch zukünftig den Unternehmen Rechtssicherheit geben. Eine zu sichern. Trotz der Corona-Pandemie haben harmonisierte europäische Lösung ist notwendig, deshalb viele Einzelhändler ihr Stellenangebot um Wettbewerbsverzerrungen im europäischen für Ausbildungsplätze gehalten oder sogar aus- Binnenmarkt zu verhindern. gebaut. Ihr großes und vielfältiges Ausbildungs- angebot müssen die Handelsunternehmen in Zukunft auch mit ausreichend Bewerbern 4
besetzen können. Deshalb muss die Politik die muss die Politik auch die berufliche Weiter- Chancen der beruflichen Bildung endlich bildung als Aspekt des lebenslangen Lernens deutlicher hervorheben. Notwendig sind auch stärker bewerben und finanziell unterstützen. Sie Investitionen in die Qualität der Bildung und die muss sich hierbei immer an dem Bedarf der Berufsorientierung über alle Schulformen hin- Unternehmen orientieren. Für den Online-Handel weg. Digitale Berufsorientierungsangebote sind setzen die neu geschaffene Ausbildung Kauf- auf- und auszubauen. mann/ Kauffrau im E-Commerce sowie die ebenfalls neu geschaffene Fortbildung Fachwirt/ Durch die zunehmende Digitalisierung der Fachwirtin im E-Commerce bereits Maßstäbe. Betriebe und den Ausbau von Online-Angeboten Präventionsstrategie zur Verhinderung eines erneuten Lockdowns Auch wenn die Corona-Pandemie mit dem Rückgang der Infektionszahlen zunehmend aus dem Blick- feld der öffentlichen Wahrnehmung gerät, ist eine vierte Infektionswelle trotz hoher Impfquoten aufgrund neuer aggressiverer Mutanten nicht auszuschließen. Daher müssen Bund und Länder nun Vorsorge treffen und in enger Abstimmung mit der Wirtschaft eine Präventionsstrategie gegen einen erneuten Lockdown entwickeln, in die die Lehren und Erkenntnisse aus dem bisherigen Pandemiemanagement einfließen. Ein erneuter monatelanger Lockdown ohne Perspektive und Planungssicherheit muss zukünftig unbedingt verhindert werden. Die Unternehmen können mit ihrer praktischen Expertise einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Krisenfallkonzepte leisten. Alle Positionen des HDE zur Bundestagswahl finden Sie unter: https://zeitzumhandeln.hde.de/ Ansprechpartner: Max Conzemius Bereichsleiter Strategie und Politik Handelsverband Deutschland e. V. (HDE) conzemius@hde.de | Telefon: 030 72 62 50-23 Am Weidendamm 1 A, 10117 Berlin www.einzelhandel.de Der Handelsverband Deutschland (HDE) ist die Spitzenorganisation des deutschen Einzelhandels. Insgesamt erwirtschaften in Deutschland 300.000 Einzelhandelsunternehmen mit drei Millionen Beschäftigten an 450.000 Standorten einen Umsatz von über 480 Milliarden Euro jährlich. EU-Transparenzregister Nr.: 31200871765-41 5
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