1870-2020 Die Entwicklung der Altenaer Baugesellschaft AG in 150 Jahren bis heute - BEZAHLBARES WOHNEN. MODERNER KOMFORT. RUNDUM-SERVICE 2020 ...
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1870 - 2020 D i e E n t w i c k l u n g der Altenaer Baugesellschaft AG in 150 Jahren bis heute BEZAHLBARES WOHNEN. MODERNER KOMFORT. RUNDUM-SERVICE.
3 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 1870 - 2020 D i e E n t w i c k l u n g der Altenaer Baugesellschaft AG in 150 Jahren bis heute BEZAHLBARES WOHNEN. MODERNER KOMFORT. RUNDUM-SERVICE
5 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 Inhaltsverzeichnis Vorwort Hans Möhling, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Altenaer Baugesellschaft AG und Manfred Haupt, Vorstand der Altenaer Baugesellschaft AG........................................................ Seiten 6/7 Grußwort Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen.................................................................. Seiten 8/9 Grußwort Thomas Gemke, Landrat des Märkischen Kreises............................................................. Seite 10 Grußwort Axel Gedaschko, Präsident des GdW – Bundesverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V............................................................ Seite 11 Grußwort Alexander Rychter, Vorstand und Verbandsdirektor des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (VdW) Rheinland Westfalen.............................................. Seite 12 Arbeiterwohnungen in Altena im 19. Jahrhundert............................................................................... Seiten 13 - 18 150 Jahre Ringen um den sozialen Wohnungsbau in Altena.............................................................. Seiten 19 - 39 Interview Dr. Andreas Hollstein, Bürgermeister der Stadt Altena von 1999 bis 2020......................... Seiten 40/41 ABG ist stadtbildprägend.................................................................................................................... Seiten 42/43 ABG für Familien und junge Leute...................................................................................................... Seiten 44/45 ABG für Senioren................................................................................................................................. Seiten 46/47 ABG und die Flüchtlinge und Migranten............................................................................................. Seiten 48 - 51 ABG – mehr Service............................................................................................................................ Seiten 52/53 ABG und ihre Mitarbeiter..................................................................................................................... Seiten 54/55 ABG und Marketing............................................................................................................................. Seiten 56/57 ABG und Denkmalschutz.................................................................................................................... Seiten 58/59 ABG und Altena................................................................................................................................... Seiten 60/61
6 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 „Auf diese anderthalb Jahrhunderte lange Geschichte können wir stolz sein“ Die Altenaer Baugesellschaft AG (ABG) begeht ein außer- gewöhnliches Jubiläum: Am 14. Februar vor genau 150 Jahren gründeten Industrielle der Stadt Altena ein Woh- nungsunternehmen mit dem Ziel, Wohnraum für Beschäf- tigte zu bauen. Dieser Gründungsakt und der anschließend fortwährende Bestand der Gesellschaft macht die ABG zum ältesten Wohnungsunternehmen in Nordrhein-West- falen. Auf diese lange Geschichte können wir stolz sein. Trotzte die ABG doch allen wirtschaftlichen Turbulenzen, Kriegen und historischen Umbrüchen in den letzten an- derthalb Jahrhunderten. Immer ging und geht es der Al- tenaer Baugesellschaft um angemessene und bezahlbare Wohnverhältnisse. In den Anfangsjahrzehnten bis Mitte des 20. Jahrhunderts sollten vor allem für die eigenen Mitarbeiter der regionalen Draht- und Metallindustrie würdige Wohnverhältnisse ge- schaffen werden. So schwierig die Kapitalbeschaffung in den Anfangsjahren gewesen sein mag, so kompliziert die Schaffung von Wohnraum angesichts knapper Bauflächen in der Burgstadt immer war, welche Hindernisse Kriege und Krisen auch immer mit sich brachten – die Anteilseig- ner der Gesellschaft verloren die Notwendigkeit von aus- reichendem und qualitativ angemessenem Wohnraum nie aus den Augen. Mit Ende des Ersten Weltkrieges trat die Stadt als kom- munaler Anteilseigner in die Gesellschaft ein. Auch heute lenken Altenas Industrieunternehmen mit 60 und die Stadt Hans Möhling, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Altenaer Baugesellschaft AG
7 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 mit 40 Prozent der Anteile die Geschicke der Gesellschaft gemeinsam. Sie treffen heute auf deutlich andere Rahmen- bedingungen als ihre Vorfahren in den vielen Jahrzehnten zuvor. Altenas Einwohnerzahl geht seit der Jahrtausend- wende massiv zurück, was für die ABG seitdem einschnei- dende Veränderungen mit sich bringt. Statt Wohnungs- knappheit fehlende Nachfrage, Leerstand, Rückbau – die ABG muss sich immer wieder ein Stück weit neu erfinden, um am Wohnungsmarkt zu bestehen. So rückte im letzten Jahrzehnt die schrittweise Sanierung des Bestandes in den Vordergrund. Viele Millionen Euro an Investitionen verbesserten die Wohnqualität in den Bestän- den beträchtlich, es wurden spezifische Angebote für Fa- milien, Senioren oder junge Leute geschaffen, barrierearme Wohnlösungen rücken immer mehr in den Fokus. Zur Kon- solidierung wurden mehr als 400 Wohnungen vom Markt genommen, Häuser und Grundstücke werden veräußert. Das Wohnumfeld wird in vielen Quartieren verbessert, der Servicecharakter für die Mieterinnen und Mieter auf eine neue Stufe gehoben. Die Baugesellschaft prägt das Stadt- bild Altenas mit und zeigt zugleich die tiefe Verwurzelung der ABG in der Stadtgesellschaft. Die ABG ist ein vitales Unternehmen, das die Zeichen der Zeit erkennt, indem es immer wieder mit zeitgemäßen Wohnangeboten Menschen ein Zuhause gibt und damit Altena zu einer lebenswerten Stadt mitten in Südwestfalen macht. Manfred Haupt, Vorstand der Altenaer Baugesellschaft AG
8 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 „Ein starker Partner für neue Wohnideen im ländlichen Raum“ Südwestfalen ist die Heimat vieler „Hidden Champions“, Vorbildlich war und ist auch ihr Engagement bei der Unternehmen, die einer breiten Öffentlichkeit kaum be- Wohnraumversorgung von Geflüchteten. Als die Not groß kannt sind, obwohl sie auf ihrem Gebiet Herausragendes war, war die Altenaer Baugesellschaft zur Stelle. Die Stadt leisten – zum Teil sogar als Weltmarktführer. In Altena gehö- Altena hat sich auch dank solch unbürokratischer Initia- ren dazu natürlich die Betriebe der Drahtindustrie, die vor tive bundesweit Respekt für ihre Integrationsleistung er- 150 Jahren die Baugesellschaft für ihre Arbeiter gegründet worben. Dafür wurde Altena mit dem Nationalen Integra- haben. Die Altenaer Baugesellschaft ist damit nicht nur die tionspreis der Bundesregierung ausgezeichnet. älteste Wohnungsgesellschaft unseres Landes, sondern gehört auch zu den Vorreitern der Wohnungswirtschaft im Und auch das ist außergewöhnlich: Die Baugesellschaft ländlichen Raum. verkleinert planvoll ihren Bestand und reagiert damit auf die sinkende Nachfrage als Folge der demografischen Anders als in den großen Universitätsstädten und Metro- Veränderungen in Altena. Ein Rückbau ist ein harter Ein- polregionen ist die erfolgreiche Vermietung von Wohnraum schnitt für das Unternehmen. Für das Erscheinungsbild in ländlichen Regionen kein Selbstläufer. Notwendige In- der Stadt ist dieser Schritt jedoch wichtig. So werden lan- vestitionen in zeitgemäße Wohnqualitäten sind über nied- ger Leerstand und schleichender Verfall von vorne herein rige Mieten kaum zu refinanzieren. Wer sich unter diesen vermieden. schwierigen Bedingungen behaupten will, muss beständig neue Wege gehen. Die Altenaer Baugesellschaft tut das. Gerade weil sie so vorausschauend plant, ist die Altenaer Baugesellschaft ein starker Partner für neue Wohnideen Neben dem klassischen Vermietungsgeschäft entwickelt im ländlichen Raum. Zum runden Geburtstag gratuliere sie besondere Wohnangebote, die von den Kundenwün- ich sehr herzlich und wünsche allen, die mit dem Unter- schen aus gedacht sind. Die Wohnungen sind modern, die nehmen verbunden sind – den Mitarbeiterinnen und Mit- Vermietungen flexibel. Damit sprechen sie junge Leute ge- arbeitern genauso wie den Mieterinnen und Mietern – ein nauso an wie Arbeitgeber, die kurzfristig Wohnungen für feierliches Jubiläumsjahr. neue Mitarbeiter suchen. Die Altenaer Baugesellschaft in- vestiert darüber hinaus in die energetische Sanierung und sorgt für barrierearmen Wohnraum. So entstehen Wohn- viertel, die für Alt und Jung gleichermaßen attraktiv sind. Ein so breites Angebot findet sich bei kaum einem zweiten Wohnungsunternehmen in Nordrhein-Westfalen.
9 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen
10 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 „Den Menschen modernen und vor allem bezahlbaren Wohnraum geben“ Die 1870 gegründete Altenaer Baugesellschaft ist das äl- teste Wohnungsunternehmen in Nordrhein-Westfalen. An der Werdohler Straße entstanden Ende des 19. Jahrhun- derts die ersten Arbeiter- und Wohnhäuser. Der Bestand ist bis heute auf rund 1 750 Wohnungen angewachsen. Ziel damals wie heute: den Menschen modernen und vor allem bezahlbaren Wohnraum zu geben. Diesem Ziel ist die Geschäftsführung bis heute verpflichtet. Mehr als 80 modernisierte Wohnungen allein im Jahr 2019 sind ein Beleg dafür. In all den Jahren war die Baugesellschaft eine unverzicht- bare Stütze der Bürgerschaft. In Altenas Blütejahren als Draht- und Industriestadt bot sie den zahlreichen Arbeits- kräften ein Zuhause. Noch immer ist die Burgstadt eine der bedeutendsten für die Drahtindustrie in Deutschland. Viele Drahtprodukte werden in Altena hergestellt. So war es nur logisch, dass das Deutsche Drahtmuseum in Alte- na angesiedelt wurde. Mit der Burg, dem Erlebnisaufzug, dem Drahtmuseum und der vor Jahren neu gestalteten Lenneufer-Promena- de ist Altena heute eine liebens- und lebenswerte Stadt. Vielen Bürgerinnen und Bürgern Altenas ein schönes Zu- hause zu bieten, ist auch ein Verdienst der Altenaer Bau- gesellschaft. Zum Jubiläum wünsche ich im Namen von Politik und Verwaltung des Märkischen Kreises das Allerbeste und gratuliere herzlich dazu. Thomas Gemke, Landrat des Märkischen Kreises
11 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 „Hier wird im wahrsten Sinne des Wortes Heimat gestaltet“ 150 Jahre Altenaer Baugesellschaft AG, das ist wahrlich ein Grund zu feiern. Im Namen der Wohnungswirtschaft Deutschland gratuliere ich Ihnen dazu besonders herz- lich. 150 Jahre, das ist auch Ausdruck eines besonders nachhaltigen Geschäftsmodells. Denn die Baugesell- schaft zählt immerhin zu den ältesten Wohnungsunter- nehmen in Deutschland. Und trotz ihres hohen Alters ist die ABG äußerst agil und bereit, sich neuen Herausfor- derungen zu stellen und weiterhin die richtigen Antwor- ten für das bezahlbare Wohnen zu finden. Die ABG ist mit ihrem umfangreichen Angebot, das weit über das reine Vermietungsgeschäft hinausgeht, Stadtgestalter und -entwickler. Hier wird im wahrsten Sinne des Wortes Hei- mat gestaltet. Eine alternde und schrumpfende Bevölkerung zählt zu den aktuellen Herausforderungen. Das Rundum-Wohn- paket der Altenaer Baugesellschaft garantiert auch künf- tigen Generationen sicheres und langfristiges Wohnen. Darüber hinaus investieren Sie erhebliche Beträge u. a. in die Stadtentwicklung und funktionierende Nachbar- schaften und erbringen wichtige Dienstleistungen in Ihrer Stadt. Und Sie sind echte Kümmerer in den Wohnquar- tieren. Sie tragen Verantwortung weit über die Region hi- naus und unterstützen mit Ihrer Mitgliedschaft auch die Entwicklungsarbeit der DESWOS e. V. Der GdW ist stolz, ein so erfolgreiches und nachhaltig agierendes Wohnungsunternehmen gemeinsam mit dem Regionalverband VdW Rheinland Westfalen zu seinen Mitgliedsunternehmen zählen zu dürfen. Axel Gedaschko, Präsident des GdW – Bundesverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V.
12 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 „Die ABG ist für Altena von unschätzbarem Wert“ Nordrhein-Westfalen steht in den kommenden Jahren vor großen wohnungswirtschaftlichen Herausforderungen. In den Städten und Metropolregionen unseres Landes und zunehmend auch in den angrenzenden Verflechtungsräu- men werden bezahlbare Wohnungen immer knapper, die ländlichen Regionen benötigen dringend Konzepte zum Erhalt ihres Lebenswertes und ihrer Konkurrenzfähigkeit sowie dafür die notwendige Unterstützung aus Bund und Land. Ein wichtiger Partner für die Erreichung dieser Ziele sind Wohnungsunternehmen wie die Altenaer Baugesellschaft AG. Sie leisten jedes Jahr einen wesentlichen Beitrag zur Bereitstellung von gutem und vor allem für breite Bevöl- kerungsschichten bezahlbaren Wohnraum, gehen verant- wortungsvoll mit Mietern um und investieren zu einem ho- hen Anteil wieder in zukunftsfähigen Wohnungsneubau, in energetische und altersgerechte Modernisierung von Wohnungsbeständen sowie in Wohn- und Stadtquartiere. Mit Ihrem unternehmerischen Handeln übernehmen Sie gesellschaftliche Verantwortung für ein lebenswertes, ge- nerationenübergreifendes und soziales Miteinander. Dazu praktizieren Sie eine nachhaltige Geschäftspolitik – für künftige Generationen und eine dauerhaft lebenswerte Gesellschaft. Auch nach 150 Jahren stellt sich die Altenaer Baugesell- schaft AG jeden Tag ihren sozialen, gesellschaftlichen und wohnungswirtschaftlichen Aufgaben – zum Wohle ihrer Mieterinnen und Mieter. Als Wohnungsunternehmen Alexander Rychter, im Märkischen Kreis bietet sie Menschen mehr als nur ein Vorstand und Verbandsdirektor des Verbandes der Dach über dem Kopf, sie gibt ihnen ein Zuhause, schafft Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (VdW) Rheinland Heimat und ist damit von unschätzbarem Wert für Altena. Westfalen
13 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 „… von dem Schrecken einer solchen stallartigen Wohnung…“ Arbeiterwohnungen in Altena im 19. Jahrhundert von Dr. Christiane Todrowski, Leiterin Kreisarchiv Märkischer Kreis „Der Lungenschwindsucht, die schon im spätern Kindes- alter nicht selten ist, erliegt vom zwanzigsten Lebensjahre ab weit über die Hälfte der Fabrik-Bevölkerung ... Die Ur- sache ist weniger in der Art der Beschäftigung, als in den sehr schlechten, engen, der Luft und des Lichtes entbeh- renden Wohnungen, der vorwiegenden Kartoffelnahrung, dem übertriebenen Branntwein-Genusse, ferner in dem rauen Klima ... zu suchen.“ Die Statistiker des Kreises Al- tena konnten 1866, als sie ihren Bericht veröffentlichten, nicht ahnen, dass im Verlauf dieses Jahres im Kreis und in der Stadt Altena die Zahl der an Krätze Erkrankten an- steigen sollte, und dass die Pocken sowie eine Cholera- epedemie 17 Todesopfer fordern würden. Arbeiter vor einer Kettenschmiede in Evingsen.
14 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 „... von dem Schrecken einer solchen stallartigen Wohnung ...“ Eingebettet in das enge Lennetal bot die Stadt Altena wenig Platz für Wohnraum, ganz zu schweigen von den noch engeren Nebentälern in der Nette oder Rahmede. Die zahlreichen Drahtrollen schränkten den ohnehin geringen, bebaubaren Raum noch weiter ein. Einst hatten die Draht- zieher in ihren Rollen auch gewohnt; die Entwicklung zu leistungsfähigen Drahtfabriken mit vielen Mitarbeitern erforderte hingegen die Trennung von Arbeits- und Wohnräumen. Frei stehende Einzelhäuser konnten Belegschaft einer Altenaer Firma um 1890. sich nur Reidemeister und Wohlha- bende leisten. Zöger, Handwerker Die Ursachen von Infektionskrankheiten waren damals und kleine Gewerbetreibende hausten hingegen in dicht noch unbekannt. Mangelnde Hygiene und einseitige Er- aneinander gereihten, meist zweistöckigen Gebäuden, nährung standen jedoch schon vor Entdeckung der Cho- die oftmals in den Berg hinein gebaut werden mussten. lera- und Tuberkuloseerreger durch Robert Koch 1882 Ebenerdig befand sich die Küche, bestenfalls ausgelegt und 1883 im Verdacht, Ansteckungen zu begünstigen. Im mit Steinplatten auf dem gestampften Lehmboden und Mittelpunkt der Kritik standen die schlechten Wohnver- mit einer Pumpe in der Ecke. Fast jedes Haus hatte sei- hältnisse der Industrie- und Fabrikarbeiterschaft – nicht nen Brunnen. Wo das nicht der Fall war, stand eine Ge- nur in den Großstädten, sondern auch in der sauerländi- meinschaftspumpe für alle Bewohner im Hof, nah dabei schen Provinz. – für die Wasserqualität der Brunnen viel zu nah – lag der 1870 Am 14. Januar 1870 treffen sich Am 14. Februar 1870 wird durch Industrielle 1871 Am 25. März 1871 – also nach Be- Altenaer Industrielle im Hotel Klinke, die Altenaer Bau-Gesellschaft (A.B.G.) ge- endigung der Kampfhandlungen um über den Bau von Arbeiterwohnungen gründet. Ziel ist die Errichtung von Kleinwoh- des Deutsch-Französischen Krieges – wird zu reden. Eine entsprechende Einladung im nungen für „Minderbemittelte“. Das Aktienka- die Gesellschaft unter der Nummer 172 des Altenaer Kreisblatt vom 26. Januar 1870 ist pital beträgt 20.000 Taler. Es entstehen erste Gesellschaftsregisters des damaligen König- der älteste Hinweis auf die ABG. Baupläne wie hier für die Werdohler Straße. lichen Kreisgerichts in Lüdenscheid eingetra- gen.
15 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 gemeinschaftliche Abtritt. 1856 war die Einleitung von Abwässern und Fäkalien auf öffentliche Wege oder in fließende Gewässer verboten wor- den, ab 1873 entleerten pneumati- schen Apparate die Aborte. Deren Gestank verpestete die Luft ebenso wie die undichten Senkgruben von Schlachtereien, die ihre Abfälle in of- fene Kanäle entsorgten. An die Wohnhäuser schmiegten sich Ziegenställe. Als genügsame Liefe- ranten von nahrhafter Milch, wär- menden Fellen und schmackhaften Braten waren Ziegen überaus beliebt; mit ihrer Jauche verunreinigten sie je- doch noch mehr das Wasser aus den schlecht abgedichteten Brunnen. 1890 nahm die zentrale Wasserver- sorgung der Stadt ihren Betrieb auf. Mit 400 Hausanschlüssen versorgte sie jedoch nicht die gesamte Einwoh- nerschaft. Die Drahtrolle Silbersiepen mit zwei jugendlichen Arbeitern um das Jahr 1890. Das Statut der A.B.G. weist per 1. Juni 1871 1870/71 An der Werdohler Straße entstehen die ersten 16 Arbeiterwohnhäuser aus, dass – unter Vorbehalt der Genehmi- mit 32 Wohnungen – die ohne Wasseranschluss, Nebenräume und gung – das Unternehmen eine Aktiengesell- Innentoiletten errichtet werden. schaft mit 30-jährigem Bestehen darstellen soll. Zweck ist die „Schaffung billiger und gesunder Arbeiterwohnungen“.
16 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 „... von dem Schrecken einer solchen stallartigen Wohnung ...“ Neben der Küche befand sich zumeist die mit Dielen aus- wohnung der Firma Basse und Selve ca. 20 Prozent des gelegte „gute Stube“. Der niedrige Raum lag, wie der Rest Monatslohns. Die Mieten in Altena waren nicht überteuert; des Hauses, in ständigem Dämmerlicht, weil die kleinen zusammen mit Kosten für Kleidung, Heizung, Schulgeld Fenster in den dicken Bruchsteinmauern nur wenig Luft und vor allem für Lebensmittel bedeuteten sie für einen und Sonne hineinließen. Eine steile Stiege führte hinauf in allein verdienenden Familienvater dennoch eine kaum zu das obere, meist noch niedrigere Stockwerk. Besser ge- tragende Belastung. Um 1880 musste ein Arbeiter für ein stellte Bewohner hatten hier einen separaten Schlafraum, Kilogramm Butter oder Kaffee einen Tag lang arbeiten, für weniger Betuchte nur den Heuboden für das Ziegenfut- dieselbe Menge Schweinefleisch einen halben Tag. ter. Keller waren nicht die Regel. Bis in die 1830er-Jahre dienten sie überdies zur heimischen Drahtverarbeitung an Zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse war die Familie Glühöfen und Räucherstellen und nicht als zusätzlicher deshalb auf den Mitverdienst von Frau und Kindern an- Stauraum. gewiesen. Die Gewerbeordnung von 1878 setzte das Ein- trittsalter für jugendliche Arbeiter auf 14 Jahre hoch und Die Belegungsdichte der kleinen und dunklen Wohnungen begrenzte die allgemeine Arbeitszeit auf täglich 10 Stun- war – verglichen mit heutigen Standards – unvorstellbar den bei einer Wochenarbeitszeit von 60 Stunden. hoch. 1886 wohnten in den vier 20-24 Quadratmeter gro- ßen 2-Zimmer-Wohnungen im Haus der Witwe Schmaldt „Wer mag es dem Familienvater verdenken, wenn er nach im Küstersort jeweils drei bis fünf Personen. Der Drahtzie- der Last und Mühe des Tages sich von dem Schrecken her Heinrich Schriever belegte 1895 mit seiner sechsköp- einer solchen stallartigen Wohnung in die Freuden des figen Familie in der Westiger Straße einen (!) 26 Quadrat- Wirtshauses flüchtet?“, sinnierte ein Regierungsrat über meter großen Raum, wobei die tatsächliche Wohnfläche die hiesigen Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Dem Kampf nur 13,7 Quadratmeter betrug. gegen den nachweislich hohen Alkoholkonsum inner- halb der Arbeiterschaft stellte sich seit 1837 der Altenaer Durch ihre Nähe zu fließenden Gewässern und mangeln- Enthaltsamkeitsverein, denn im „… Fusel sah vor allem der Isolierung waren die Behausungen außerdem feucht. der Arbeiter und der kleine Handwerker die Quelle seiner Um 1890 beanspruchte der Mietpreis für eine Dreizimmer- Freuden, im Fusel ertränkte er seine Sorgen …“. 1872 Die A.B.G. hat Schwierigkeiten, Bau- In der Westiger Straße werden weitere 1875-77 Weitere Bautätigkeit der Gesell- kapital zu beschaffen und bemüht 14 Häuser mit 28 Wohnungen errichtet. schaft: An der heutigen Jahnstraße sich, beginnend zwei Jahre nach ihrer Grün- 1874 folgt der Bau von zwei Häusern mit entstehen 28 Häuser mit 56 Wohnungen. Es dung, errichtete Wohngebäude zeitnah zu ver- vier Wohnungen in der Lüdenscheider Straße. wird weiter nur zweigeschossig gebaut. Um kaufen. Eine treibende Baukosten für ein Doppelhaus: 15.500 Mark, die Wohnungen zu vermieten, muss die Miete Kraft war damals der was heute etwa 100.000 Euro entspricht. abgesenkt werden. Drahtfabrikant Johan Hermann Klincke. Er ist Mitglied des Aufsichts- rates.
17 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 Ein Haus mit Bewohnern in Altena um 1880. 1876 Das Geschäftsreglement sieht drei 1877 Am 4. Juli 1877 erfolgt eine Namens- 1878-1900 Die AgBG hat bis 1878 insgesamt unentgeltlich arbeitende Vorstands- änderung von „Altenaer Bau-Gesell- 60 Häuser mit 120 Wohnungen mitglieder und drei Ersatzmitglieder vor – den schaft“ (A.B.G.) in „Altenaer gemeinnützige gebaut. Wegen der seit 1873 wirkenden welt- Vorsitzenden, den Rendanten (Rechnungsfüh- Baugesellschaft“ (AgBG) und der Eintrag wirtschaftlichen Krise („Große Depression“ rer) und das techni- in das Handelsregister Iserlohn. Es werden bis 1896) stellt die AgBG ihre Bautätigkeit ein. sche Mitglied. Vor- fortan Darlehen von Privatleuten gegen einen Es kann aber eine Dividende ausgeschüttet standstreffen werden Schuldschein zu fünf Prozent aufgenommen, werden. In der Altenaer Bevölkerung – hier eine in „Sitzungslokalen“ was allerdings nicht zum erwarteten Kapital- Winterszene abgehalten. zufluss führt. an der Len- ne – wird die neue Gesellschaft langsam ein Begriff.
18 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 „... von dem Schrecken einer solchen stallartigen Wohnung ...“ Die miserablen Wohn- und Lebens- verhältnisse der arbeitenden Bevölk- erung beunruhigten nicht allein Phi- lantropen und Sozialreformer. Auch Fabrikanten und die Regierung des jungen deutschen Kaiserreichs sa- hen Handlungsbedarf: Kränkelnde und unzufriedene Arbeiter leisteten wenig für das industrielle Wachstum und waren anfällig für die „gemeinge- fährlichen Bestrebungen der Sozial- demokratie“. Dr. Christiane Todrowski, Leiterin Kreisarchiv Märkischer Kreis Blick auf die Rolle Silbersiepen mit Belegschaft im Jahr 1900. 1879-1899 Bis auf 16 Wohnungen werden 1891/92 AgBG-Wohnungen mit drei Stuben, 1895 Kontroverse Diskussionen in der Sani- alle weiteren seit 1871 errichte- Flurzimmer, Keller und Bodenraum tätskommission des Magistrats der ten 104 Wohnungen schrittweise verkauft, kosten 17 Mark Miete, was nach heutigen Stadt über „zahlreiche gesundheitswidrige so allein 56 Wohnungen in der Neustadt an Maßstäben etwa 100 Euro entsprechen wür- Arbeiterwohnungen“. Einige Stadträte fordern das Unternehmen Basse & Selve. Das bringt de. Nicht selten haben die Mieter Stallungen, die Unterstützung der Stadt für nötige Neu- neues Baukapital. Futterräume und einen kleinen Garten hinter bauten durch die AgBG mittels Bürgschaften dem Haus zur Verfügung. und Zinsgarantien, was aber abgelehnt wird.
19 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 150 Jahre Ringen um den sozialen Wohnungsbau in Altena 1870 bis 2020: Vom Kleinwohnungsbau für Minderbemittelte zum Wohnungsunternehmen für alle Bevölkerungsschichten Spätestens 1869 muss in den Kreisen der Altenaer Indus- triellen um den Fabrikanten Gustav Selve die Erkenntnis gereift sein, dass Altena dringend Wohnraum für die zu- wandernde und wachsende Arbeiterschaft braucht. Die Burgstadt hat knapp 7 000 Einwohner, ist ein weit über die Stadtgrenzen hinaus bekanntes und prosperierendes Zentrum der Kleineisen- und Metallindustrie und da vor allem der Drahtindustrie. Der Hunger der Industriegesell- schaft nach Metallprodukten wächst ins Unermessliche. Immer mehr Menschen zieht es zum Arbeiten und Leben nach Altena, weil hier immer mehr Unternehmen gegrün- det werden, die immer mehr Lohnarbeiter brauchen. Gustav Selve – Altenas größter Industrieller Ende des 19. Jahrhunderts – treibt maßgeblich die Gründung der ABG voran.
20 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 Das älteste Foto der Stadt Altena von 1858.
21 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 1870 bis 1899: Altenaer Industrielle gründen die Baugesellschaft Für Arnold Gerdes, Carl Geck, Hermann Klincke und wei- Rachitis und Diphterie breiten sich aus. tere honorige Herren der Altenaer Bürgerschaft ist deshalb klar: Wir müssen einfache und zweckmäßige Wohnungen Zurück zu den Unternehmern, die im Januar 1870 im für Arbeiter bauen, auch wenn das im Lennetal besonders Altenaer Kreisblatt folgende Einladung veröffentlichen las- schwierig ist. Gro- sen: „Arbeiterwoh- ße Siedlungsflä- nungsfrage. Unter chen gibt es nicht, Bezugnahme auf geeignetes Bau- das ‚Eingesandt’ in gelände ist in Al- heutiger Nr. des tena immer schwer Kreisblattes laden zu beschaffen, was die Unterzeichne- zu hohen Boden- ten sämtliche In- preisen führt. Zu- dustriellen Altenas dem sind Baukos- und Umgebung, ten an Hanglagen sowie Alle, welche Die Belegschaft der Firma „Friedr. Ardey Müh- oftmals höher als sich für die Erbau- lenrahmede“ im Jahr 1898. anderswo. Zeit- ung von Arbeiter- Anzeige im Altenaer Kreisblatt am 26. Januar zeugen beschrei- wohnungen an hießigem Platze interessieren, zu einer Be- 1870. ben die zahlrei- sprechung auf Freitag den 14. dieses Monats, Abends prä- chen Kleinbetriebe im schmalen Lennetal und den Seiten- zise 6 Uhr, im Saale des Hotel Klincke ein.“ tälern als große Hindernisse beim Bau von Wohnhäusern. Die Wohnverhältnisse für viele Arbeiter sind schlichtweg katastrophal. In den bestehenden Quartieren herrschen Verwahrlosung. Krankheiten wie Lungenschwindsucht, 1899 Im Februar 1899 erfolgt nach über 1900-1907 Die Gesellschaft baut zwölf Die AgBG findet Anschluss an die gemein- einem Jahrzehnt wieder ein Baube- Häuser mit 45 Wohnungen; unter nützige Wohnungsbauorganisation der Pro- schluss: Es soll ein Doppelhaus in der Rah- anderem die Wiesenstraße 26-28, in der Net- vinz Westfalen und kommt so an billigeres mede (Wiesenstraße) errichtet werden. Neu: testraße 129-139 entstehen erstmals sechs Geld der Landesversicherungsanstalt zur Jede Wohnung soll einen Abort und einen Mehrfamilienhäuser mit 21 Wohnungen. Die Errichtung von Arbeiterwohnungen. Wasseranschluss bekommen. Bautätigkeit folgt der Notwendigkeit, fehlende Arbeitskräfte in die Burgstadt zu holen.
22 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 1870 bis 1899: Altenaer Industrielle gründen die Baugesellschaft So entsteht am 14. Januar 1870 ein Gründungskomi- tariellen Art. vom 14. Februar 1870 festgestellte Statut ist, tee, das in den nächsten Tagen Einzeichnungslisten für da laut Ministerialverfügung an Stelle der landesherrlichen das „gemeinnützige Unternehmen“ namens Altenaer Genehmigung die Bestimmungen des Gesetzes vom 11. Bau-Gesellschaft auslegen lässt. Exakt einen Monat spä- Juni 1870 gelten, am 30. Juni 1870 in allen Theilen in Kraft ter ist es dann soweit: Industrielle lassen ein notarielles getreten, und die Gesellschaft auf Grund desselben laut Statut erstellen, die Altenaer Bau-Gesellschaft (A.B.G.) Verfügung des Königl. Kreisgerichts in Lüdenscheid vom wird als Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 20.000 30. März in das Handelsregister eingetragen worden.“ Talern ausgestattet. Die Männer der ersten Stunde sind Auch der Zweck der neuen Gesellschaft ist von Anfang an Hermann Gerdes, Bürgermeister Schmieding, Wilhelm klar, wie später die Festschrift zum 60-jährigen Bestehen Koch, Kreisbau- der ABG im Jahr meister Scheele, 1930 vermerkt: Fabrikant Gustav „Die Tätigkeit der Selve, Julius Ger- A.B.G. ist von dem des und Apothe- Grundsatz des pro- ker Feldhaus, die duktiven Kleinwoh- den ersten Auf- nungsbaus für Min- sichtsrat und den derbemittelte aus- ersten Vorstand bil- gegangen, d.i. der den. Fr. Secking- Erstellung von Anzeige im Altenaer Kreisblatt Februar 1870. haus wird erster Wohnungen für die Die erste Aktie der Baugesellschaft aus den Aufsichtsratsvor- werktätige Bevöl- Jahren 1870/71. sitzender, Hermann kerung in engster Gerdes erster Vorstand der A.B.G. Wenige Wochen später Verbindung mit der Arbeitsstätte und -gelegenheit lag ...“. ist die A.B.G. nach Eintrag ins Handelsregister handlungs- fähig, wie das erhalten gebliebene erste Statut der Gesell- schaft am 1. Juni 1871 vermerkt: „Vorstehendes durch no- 1906/07 Die Organe der Gesellschaft lehnen 1908 Beginn einer engeren Zusammenar- 1908-1914 Erhebliche Ausweitung der Bau- einen Antrag auf Umwandlung der beit mit der Stadt Altena, da die Kom- tätigkeit. Bis zum Beginn des Baugesellschaft in eine Genossenschaft ab. mune erstmals die Bürgschaft der Landesver- Ersten Weltkrieges entstehen in mehreren Dies sei nach Überprüfung der Rechtslage sicherungsanstalt über ein Darlehen für die Stadtteilen 49 Häuser mit 185 Wohnungen. nicht nötig, da auch Kapitalgesellschaften Baugesellschaft übernimmt. Stadtbaumeister Damit sollten die Arbeiter räumlich eng an gemeinnützig bauen können und damit förde- Bolle tritt in den Vorstand ein. ihren Arbeitsstätten Wohnungen bekommen. rungswürdig seien.
23 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 Die neue Gesellschaft macht sich sofort an ihr erstes Bau- anstreben. Erste Versuche, bei der Sparkasse Altena projekt. 1870/71 entstehen in wenigen Monaten an der Fremdkapital zu bekommen, schlagen fehl. Stattdessen Werdohler Straße insgesamt 16 flache Häuser mit 32 Woh- aber gelingt es, 10.400 Taler bei der Nachrodter Fabri- nungen, die auch heute noch existieren. Kein Innen-Abort, ken-Krankenkasse zu einem Zinssatz von 4,5 Prozent zu kein Wasseranschluss, keine Nebenräume, engste Wohn- besorgen. 60 Jahre nach Gründung der Baugesellschaft verhältnisse für viele Familienmitglieder – die Häuser sind konstatiert die Festschrift im Jahr 1930: aus heutiger Sicht sehr primitiv ausgestattet, für die dama- „... die Gesellschaft hatte stets wegen der Aufbringung ih- ligen Verhältnisse allerdings ein Fortschritt zur Beseitigung rer Baugelder zu kämpfen und sie musste versuchen, die der Wohnungsnot. verschiedensten Mittel anzuwenden, um neues Baukapital Ursprüngliches Ziel zu beschaffen.“ ist der Verkauf der ersten Häuser der Wohnungsbau in A.B.G. an die Mie- Zeiten der Reichs- ter, indem diese gründung 1871 ist über sogenannte in Bezug auf Bau- Amortisationsmiet- gestaltung und verträge durch -planung gesetz- Miete und Tilgung geberisch kaum Schritt für Schritt beeinflusst. Erst Erste Häuser der Gesellschaft in der Werdohler ihr Wohneigentum das 1874 erlas- Altenaer Fabrikbelegschaft im späten Straße, die 1870/71 erbaut werden. erwerben sollen. sene preußische 19. Jahrhundert. Der Plan geht aber Enteignungsgesetz nicht auf, da das Baukapital so sehr lange Zeit im Bau- sowie das preußische Baufluchtliniengesetz von 1875 ma- vorhaben gebunden gewesen wäre. Also muss sich die chen wichtige Vorgaben, um den Wohnungsbau an die Stra- A.B.G. um fremdes Kapital bemühen und zugleich den ßenzeile zu binden und den Wohnungen damit einen Aus- Verkauf der gerade gebauten Häuser und Wohnungen gang zu ausgebauten und befestigten Straßen zu geben. 1911/12 Baubeginn der ersten fünf Häuser 1912 Die AgBG plant den Bau eines Ledi- 1914 Am 1. November 1914 – also nach am Knerling mit 45 Wohnungen. genheimes – dieses Vorhaben wird Kriegsausbruch – wurden die letzten Fertigstellung und Bezug erfolgen am 1. Okto- aber wegen „unüberwindlicher Hindernisse“ 33 Wohnungen mit 105 Zimmern am Kohlha- ber 1912. Jede Wohnung Am Knerling 2-16 zurückgestellt. Der Bedarf an Wohnraum gener Weg und in der Ackerstraße fertigge- hat einen eigenen Abort und eine eigene bleibt hoch, die Zahl der Altenaer Einwohner stellt und bezogen. Die Gesellschaft verfügt Wohnküche. hat sich seit 1871 verdoppelt. über 9 091 Quadratmeter unbebaute Grund- stücke. Sieben Prozent der Altenaer wohnen bei der AgBG.
24 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 Alles Weitere bleibt den örtlichen Behörden überlassen. sofortige Vermietung, was zu Nachlässen bei der Miete führt. Schon 1872 entstehen in der Altenaer Westiger Straße weitere 14 Häuser mit 28 Wohnungen, 1874 zwei Häu- Schon in den 1870er-Jahren bemüht sich die A.B.G., ein- ser mit vier Wohnungen an der Lüdenscheider Straße. Die heimische Bauunternehmer zu bevorzugen, sofern sie ak- Mieter müssen beispielsweise für eine Parterrewohnung zeptable Preise anbieten. Im Aufsichtsrat wird über Ge- mit je zwei Zimmern und einem Keller 44 Thaler im Jahr neralübernehmer oder Einzellose diskutiert. Das Gremium bezahlen. Dachwohnungen mit einem Zimmer und einem sucht bereits nach Straßennamen oder Bezeichnungen Kabinett kosten 30 Thaler im Jahr. für seine neuen Wohnstätten. Es gibt regelmäßige Kon- takte zu den Mietern, denn einzelne Mitglieder des Auf- Nicht selten haben die Mieter aber auch Stallungen, Fut- sichtsrates sind Ansprechpartner für die Mieter. Eine eige- terräume und einen kleinen Garten zur Selbstversorgung ne Geschäftsstelle hat die A.B.G. damals noch nicht, die 1870 bis 1899: Altenaer Industrielle gründen die Baugesellschaft zur Verfügung. Die A.B.G. will in ihren ersten Jahren sogar Gremien treffen sich deshalb in diversen Sitzungslokalen, einen Steinbruch in der Nähe Altenas kaufen, um an billi- die der Vorstand zuvor bestimmt. ges Baumaterial zu gelangen. Die Idee wird freilich nicht realisiert. Die rege Sieben Jahre nach Bautätigkeit führt Gründung ändert bereits 1874 zur sich zum ersten Erhöhung des Ak- Mal der Name des tienkapitals von Unternehmens. 20.000 auf 31.000 Aus der „Altenaer Thaler. Bau-Gesellschaft“ (A.B.G.) wird am In diesen Jahren 4. Juli 1877 die löst die Mark als „Altenaer gemein- Siedlungshäuser für Arbeiter in der Kleffstraße einheitliche Reichs- nützige Baugesell- Blick auf Altena 1890. 1890. währung die alt- schaft“ (AgBG). staatlichen Thaler Der Aufsichtsrat ist weiter auf der Suche nach neuen Fi- und Gulden in Deutschland ab. Für 1874 vermelden spä- nanzierungsquellen, 1877 werden Darlehen für Privatleute tere Chroniken, dass die Baukosten für ein Doppelhaus gegen Schuldschein zu fünf Prozent aufgelegt. Das Resul- für die Arbeiterschaft bei etwa 15.500 Mark lagen, was tat ist allerdings nicht besonders üppig, fast ausschließ- einem heutigen Wert von etwa 100.000 Euro entspricht. lich sind es Mitglieder des Aufsichtsrates oder des Vor- standes, die zwischen 200 und 600 Mark zeichnen. Die 1875 bis 1877 baut die A.B.G. weitere 28 Häuser mit 56 ersten acht Jahre des Unternehmens sind dennoch eine Wohnungen an der heutigen Jahnstraße. Aufsichtsrat und Erfolgsgeschichte: 1878 hat die AgBG schon 60 Häuser Vorstand diskutieren in diesen Jahren, vom zwei- zum mit 120 Wohnungen errichtet. dreigeschossigen Bau überzugehen. Wegen zu hoher Baukosten und fehlender Rentabilität werden entspre- Dann aber stellt die Baugesellschaft ein gutes Jahr- chende Pläne aber verworfen. Nicht immer gelingt die zehnt lang ihre Bautätigkeit komplett ein. Die von 1873
25 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 bis 1896 wirkende Weltwirtschaftskrise („Große De- In Ermangelung preisgünstiger Darlehen bringt die AgBG pression“) hat auch das Lennetal mit seiner Drahtindus- dem Magistrat Folgendes zur Kenntnis: „Die Baugesell- trie hart getroffen. Mehr noch: Die AgBG verkauft bis auf schaft theilt dem Magistrat mit, daß in Folge das Leerste- 16 Wohnungen ihren gesamten Bestand – oft an die Indus- hen von Wohnungen, der Besetzung mehrerer Wohnun- triellen der Stadt. So erwirbt das Messingwalzwerk Bas- gen durch Miether schlechter Qualität, der hohen, bis auf se & Selve von der AgBG 56 Wohnungen in der Neustadt. den letzten Groschen gesteigerten Gebäudesteuer und Die AgBG gelangt damit auch an frisches Baukapital. der großen Auslagen für Instandhaltung der Wohnungen Auch die Kommunalpolitik würdigt die anfänglichen Ak- der Ertrag von Jahr zu Jahr zweifelhafter werde und die tivitäten der AgBG, wie ein Verwaltungsbericht der Stadt Luft zur Errichtung weiterer Wohnungen beeinträchtige ...“. Altena von 1891/92 zeigt: „ ... Es steht außer Zweifel, daß die Gesellschaft sich ihrer Aufgabe gewachsen gezeigt Ein Antrag des Magistrats zur Übernahme einer Zinsga- und segensreich gewirkt hat und noch wirkt. Zunächst rantie für zu errichtende weitere Arbeiterwohnungen wird wurden an der Werdohlerstraße neun Doppelhäuser für je daraufhin von den Stadträten intensiv diskutiert. Manche vier Familien erbaut, welche nach kurzer Zeit wieder ver- Stadträte bestreiten, dass die Stadt eine Verpflichtung ha- kauft werden konnten. Namentlich befanden sich unter be, die AgBG zu unterstützen. Andere setzen sich vehe- den Käufern eine Anzahl strebsamer Arbeiter, welche mit ment für eine Un- geringem Anzahlungskapital einen Theil der Häuser er- terstützung ein. warben ...“. Wie etwa Gustav Selve, der mit Ab- Dennoch bleiben zu Ende des 19. Jahrhunderts Woh- stand wichtigste nungsknappheit und schlechte Wohnverhältnisse prä- Industrielle der Re- gend für die aufstrebende mittlere Industriestadt. Bin- gion mit mehreren nen 20 Jahren steigt die Einwohnerzahl von 7 122 (1871) Tausend Beschäf- bis auf 12 766 (1900). Am 11. Februar 1895 kommt es tigten, der sich sehr in der Sanitätskommission des Magistrats der Stadt zu für soziale Belan- Auseinandersetzungen um die mögliche kommunale ge der Arbeiter- Blick in die Bahnhofstraße im Jahr 1904. Unterstützung für die AgBG, wie die Lenne-Zeitung am schaft einsetzt. Am Ende war die Zeit aber noch nicht reif 11. April 1895 berichtet. Die Sanitätskommission hatte zahl- für ein städtisches Engagement bei der AgBG. reiche „gesundheitswidrige Arbeiterwohnungen“ regis- triert, die dauerhaft zu schließen gewesen wären. Aber die Räumung einiger dieser Wohnungen konnte wegen man- gelnden Ersatzes nicht vorgenommen werden. „Die Sani- tätskommission richtet an die städtischen Behörden das Ersuchen, zur Beschaffung geeigneter Wohnungen die nöthigen Schritte zu thun, etwa durch Unterstützung der AgBG, damit dem vorhandenen Uebelstande baldmög- lichst, namentlich vor dem nächsten Winter abgeholfen werde ...“.
26 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 1900 bis 1918 Blütephase und Stillstand im Ersten Weltkrieg Ab 1897 wird die weltweite Wirtschaftskrise bewältigt, stärken. So erfolgt der Anschluss an die „Gemeinnützi- zwei Jahre später beginnt die AgBG wieder mit den Pla- ge Wohnungsbauorganisation der Provinz Westfalen“. nungen zum Bau neuer Wohnhäuser. 1900 wird in der Wie- Damit kommt die Gesellschaft nun leichter an preisgüns- senstraße in der Rahmede ein erstes Doppelhaus mit drei tige Kredite der Landesversicherungsanstalt Westfalen Wohnungen errichtet. Neu ist, dass jede Wohnung einen zur Errichtung von Arbeiterwohnungen. Dies scheint aber Abort und einen kein geradliniger Prozess gewesen zu sein, denn 1906/07 Wasseranschluss diskutieren die Gremien des Unternehmens eine Um- bekommt. Bis 1907 wandlung der Aktiengesellschaft in eine Genossenschaft. entstehen in der Gemeinnützige Bautätigkeit, so die Kritiker, erfordere die Wiesenstraße, der Rechtsform einer Baugenossenschaft. Nachprüfungen Westiger Straße ergeben aber, dass auch Kapitalgesellschaften gemein- und der Nettestraße nützig bauen können und damit förderungswürdig sind. ein Dutzend Häuser mit 45 Wohnun- 28 Jahre nach der Gründung sollte nun auch die Stadt gen. Die Gebäude Altena in die bis dahin rein privatwirtschaftlich getragene Arbeiterhäuser um 1910 – im Hintergrund eine in der Nettestraße Baugesellschaft eintreten. Erstmals übernimmt 1908 die Fabrik von Basse & Selve. 129-139 stellen Kommune eine Bürgschaft über ein Darlehen der Landes- eine weitere Zäsur versicherungsgesellschaft. Stadtbaumeister Bolle tritt in dar, denn erstmals werden Mehrfamilienhäuser für mehr den AgBG-Vorstand ein. als zwei Mietparteien errichtet. In sechs Häusern entsteht Wohnraum für 21 Mieter. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 verstärkt die AgBG nun ihre Bautätigkeiten. 1909 bis 1914 ent- In die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts fällt auch das stehen in vielen Ortsteilen insgesamt 49 Häuser mit 185 Bemühen, den gemeinnützigen Charakter der AgBG zu Wohnungen. Die Chronik zum 60. Gründungstag der Ge- 1914-1918 Wegen des Krieges ist die Bau- 1917 Schon 1917 hat die Gesellschaft in Er- 1918/19 Es erfolgt eine Aktienkapitalerhö- tätigkeit komplett eingestellt. wartung des Kriegsendes am Knerling hung von 93.000 auf 250.000 Mark. Wiederholt zeichnet die AgBG Kriegsanleihen 7 240 und am Kohlhagenerweg 2 600 Quad- Die Stadt Altena übernimmt für 110.000 Mark (insgesamt 58.800 Mark), die nach 1918 als ratmeter an Baugrundstücken angekauft. Es Aktien, damit wird sie erstmals Anteilseigner Verlust gebucht werden müssen. wird nach Friedensschluss und Rückkehr der an der Gesellschaft. Zum ersten Mal treten Soldaten mit einem „empfindlichen“ Woh- – schon 1918 – drei Arbeitnehmervertreter in nungsmangel gerechnet. den AgBG-Aufsichtsrat ein.
27 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 sellschaft aus dem Jahr 1930 konstatiert anerkennend: Arbeitskräften in die Burgstadt hält an. 1914 zählt Altena „Dabei hat die Gesellschaft es besonders beachtet, daß 15 738 Einwohner – doppelt so viele wie im Gründungs- sich ihre Bautätigkeit auf verschiedene Stadtbezirke er- jahr 1870. Der AgBG gehören nunmehr 65 Häuser mit 236 streckte, um so städtebaulich an erster Stelle den Aufbau Wohnungen. Das macht sieben Prozent des gesamten und die Entwicklung der Stadt mit fördern zu helfen, und Wohnungsbestandes von Altena aus. um andererseits auch den Wohnungssuchenden in den verschiedenen Stadtgegenden die Möglichkeit zu geben, Der beginnende Weltkrieg im Sommer 1914 stellt auch ihre Wohnstätte in für die Baugesell- räumlich günstiger schaft eine Zäsur Lage zur Arbeits- dar. Am 1. Novem- stätte zu haben.“ ber 1914 werden die letzten 33 Woh- Am Knerling (frü- nungen mit 105 her am Papenberg) Zimmern am Kohl- entstehen die ers- hagener Weg und ten fünf Wohnhäu- der Ackerstraße ser der Baugesell- fertiggestellt und Bau eines Hauses für die Arbeiterschaft durch schaft mit 45 Woh- an die Mieter über- Umzug durch den Kohlhagener Weg im Jahr und für die Firma Basse & Selve im Jahr 1910. nungen. Am 1. Ok- geben. Weitere 1912. tober 1912 können Neubauten waren die Wohnungen Am Knerling 2-16 – allesamt mit eigenem zwar geplant, aber die Baugesellschaft nimmt wegen Abort und eigener Wohnküche ausgestattet – von den ers- der einsetzenden Kriegswirtschaft weitere Arbeiten nicht ten Mietern bezogen werden. Im selben Jahr plant die Ge- mehr in Angriff. sellschaft sogar den Bau eines Ledigenheimes. Das Vorha- ben wird aber aus „unüberwindlichen Hindernissen“ nicht Zu Kriegsbeginn verfügt die AgBG über 9 091 Quadrat- realisiert. Es passt dennoch in die Zeit, denn der Zuzug von meter unbebaute Grundstücke. In die Kriegszeit bis 1918 1919-23 Baustoffmangel und Währungs- 1923 Die Inflation führt zu absurden Mieten. Im Zuge der Wohnungspolitik der Weimarer turbulenzen hemmen die Durch- Ein Mietenbuch aus dem Jahr 1923 Republik wird Gemeinnützigkeit gefördert. Es führung von neuen Baumaßnahmen. Dennoch aus der Werdohler Straße zeigt im Januar fließen auch in Altena finanzielle Mittel, mit werden zwei größere Bauvorhaben voran- Zahlungen in Höhe von 278 Mark an. Im De- denen sich die Wohnqualität der nunmehr er- getrieben. 1922 sind Am Knerling 1-27 zwölf zember 1923 sind es dann 1.000.000.000.000 richteten Häuser deutlich erhöht (Besonnung, Häuser mit 46 Wohnungen bezugsfertig. In Mark. Belichtung, Belüftung, Umfeldgestaltung). der Kleffstraße sind es sechs Häuser mit 36 Wohnungen.
28 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 1900 bis 1918 Blütephase und Stillstand im Ersten Weltkrieg fällt der Verkauf einiger Häuser. Wiederholt zeichnet das Unternehmen Kriegsanleihen (insgesamt 58.000 Mark), die nach 1919 als Verlust abgeschrieben werden müs- sen. Wie der Geschäftsbericht der AgBG von 1917 ver- merkt, wird nach Friedensschluss und Rückkehr der Soldaten aus dem Krieg mit empfind- lichem Wohnungs- mangel gerechnet. Man will neue Grundstücke kau- fen und bauen, be- 1912 erbaute Wohnhäuser der AgBG am Giers- klagt aber die un- hagener Weg. verhältnismäßig hohen Bodenpreise. Dennoch gelingt der AgBG der Erwerb von 7 240 Quadratmetern Bauland am Papenberg und 2 600 Quadratmetern am Kohlhagenerweg. Besonders die Grundstückskäufe am Papenberg sollten sich als ent- scheidende Grundlage für die wenige Jahre später er- folgte Errichtung eines ganzen neuen Stadtteils erweisen: Am nordöstlichen Ende der Burgstadt entsteht ein neues Quartier, das den Namen „Am Knerling“ erhalten soll. Von 1910 bis 1914 errichtet die Baugesellschaft diese Häuser in der Ackerstraße. 1924-1929 In den Goldenen Zwanzigern entstehen 71 neue Häuser 1922-1955 Der Knerling als Stadtteil entsteht. Zu jeder Wohnung mit 227 Wohnungen. Beispielsweise in der Ackerstraße gehört ein kleiner Garten, die Siedlung trägt Gartenstadt- fünf Häuser mit 30 Wohnungen, bei denen Planung und Oberbau- charakter. Hinzu kommen ein Gasthaus und ein Kinderspielplatz mit leitung der Westfälischen Heimstätte übertragen wird. Dazu kommen Planschbecken. Zwölf Wohnungen werden extra für kinderreiche Fami- acht Häuser mit zehn Wohnungen, die als Eigenheime sofort wieder lien errichtet und zu ermäßigten Mietpreisen vergeben. veräußert werden.
29 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 1919 bis 1945: Die Stadt Altena wird Anteilseigner Zäsur bei der AgBG, als der Erste Weltkrieg seinem Ende Währungsturbulenzen mit ständiger Geldentwertung bis entgegengeht: 1918 befinden sich erstmals drei Arbeit- hin zur Hyperinflation im Herbst 1923 machen Verhandlun- nehmervertreter gen für Zuschüsse im Aufsichtsrat. Es oder Kredite un- darf vermutet wer- endlich schwierig. den, dass dies ein Von 1919 bis 1923 Ergebnis der revo- kann keine Dividen- lutionären Novem- de ausgeschüt- ber-Stimmung im tet werden. Den- gesamten deut- noch gelingt es der schen Reich ist. Ein AgBG, 1921 bis Jahr darauf erfolgt 1923 am Knerling Arbeiter beim Verpacken von Drahtgebinden im eine Kapitalerhöh- zwölf Häuser mit Blick in den Innenhof der nach 1923 erbauten Jahr 1924. ung von 93.000 46 Wohnungen und AgBG-Häuser in der Ackerstraße. auf 250.000 Mark. in der Kleffstraße Die Stadt Altena hält davon Aktien im Wert von 110.000 sechs Häuser mit 36 Wohnungen zu errichten. In der Mark und tritt damit 49 Jahre nach Gründung des Unter- Weimarer Republik ändern sich die Rahmenbedingun- nehmens als Anteilseigner der AgBG bei. Fortan ist die Ge- gen für die Wohnungswirtschaft grundlegend. Wegen der sellschaft ein privatwirtschaftlich und kommunal veranker- Wohnungsnot ergreift der erste demokratische deutsche tes Wohnungsunternehmen. Staat nun zwangswirtschaftliche Maßnahmen wie Wohn- raumbewirtschaftung und Mietenkontrolle (mit dem Er- Bis 1923 hat die Gesellschaft wie viele andere Unternehmen lass des Reichsmietengesetzes 1922). Zugleich wird der in Deutschland schwere wirtschaftliche Zeiten durchzuste- genossenschaftliche Wohnungsbau massiv gefördert. hen. Politisch instabile Verhältnisse, Baustoffmangel und Ab 1924 Die „Altbauten“ der AgBG werden 1927 Errichtung Kaufhaus am Knerling mit 1930 Die AgBG verfügt über 97 Häuser mit Schritt für Schritt unter anderem mit expressionistischen, spitzbogigen 495 Wohnungen (Rahmedetal: 96, Net- Innentoilette und Wasseranschluss ausgestat- Schaufenstern – Kombination aus Geschäft tetal: 63, Linscheidviertel: 80, Knerling: 256). tet. Es gibt moderate Mieterhöhungen, damit und Kaufhaus. Davon sind seit die Mieten in den neuen Häusern trotz erheb- 1921 insgesamt 320 licher Baukosten wegen abschüssigem Ge- neu erbaut worden. lände erträglich bleiben können. Miete für eine 12,5 Prozent des 3-Zimmer-Wohnung mit Bad und Garten: 45 Wohnungsbestan- bis 48 Reichsmark (heute: 163 bis 173 Euro). des in der Burgstadt befinden sich in AgBG-Besitz.
30 Altenaer Baugesellschaft AG 1870-2020 Mit der Einführung der Hauszinssteuer ab 1924 werden Unternehmens für die hohen Baukosten an abschüs- von den Ländern erhebliche Mittel im Wohnungsbau ein- sigem Gelände wie am Knerling eingesetzt werden. genommen, die den nunmehr aufblühenden Wohnungs- In dieser Zeit werden am Knerling auch zwölf Wohnungen baugenossenschaften und anderen gemeinnützigen eigens für kinderreiche Familien zu ermäßigten Mieten Wohnungsunternehmen zufließen. Diese müssen des- hergerichtet. Exemplarisch entwickelt sich der Knerling in 1919 bis 1945: Die Stadt Altena wird Anteilseigner halb deutlich weniger Kredite aufnehmen. Von 1924 bis dieser Zeit zu einer Gartenstadt. Die Chronik 1930 ver- 1931 stellt nunmehr der öffentlich geförderte Woh- merkt: „Entscheidende Bedeutung kam stets dem Grund- nungsbau in Deutschland die privat finanzierte Schaf- satz zu, daß die Bauten in ihrem Äußeren zwar bescheiden fung von Wohnraum in den Schatten. Diese wohnungs- und einfach, schlicht und ruhig sein dürfen, daß aber umso politischen Entwicklungen tragen auch zur weiteren Ent- größerer Wert einem vollendeten Wohnungsorganismus wicklung der gemeinnützigen AgBG bei. Allein in den beizulegen ist.“ Neben den Neubauaktivitäten legt die vier Jahren ab 1925 entstehen 80 neue Wohnhäuser mit AgBG in dieser Zeit auch Wert darauf, ihre Altbestände 237 Wohnungen – vorzugsweise am Knerling und in der mit Wasseranschlüssen und Innentoiletten nachzurüsten. Ackerstraße in der Rahmede. Die Kreditbeschaffung ist in dieser Phase für Aufsichtsrat Auch die Wohnqualität ändert sich in dieser Zeit: Für und Vorstand deutlich einfacher als in den vielen Jahren Partner der Wohnungsfürsorgegesellschaft gelten nun zuvor: Darlehen von städtischer Sparkasse, der Landes- Standards wie „ausreichende Besonnung, ausreichend bank der Provinz Westfalen, der Reichsversicherungs- gute Belichtung und Belüftung“. Die Mieter bekommen anstalt für Angestellte, der Landesversicherungsanstalt kleine Gärten am Haus, die Kleinwohnungen erhalten Westfalen und Zusatzhypotheken der Stadt und des Krei- fast durchgängig eine große geräumige Wohnküche ses Altena sichern den Bauboom ab. Altenas Bürgermeis- mit Kochnische und Schrankeinbauten. Gasthaus, Ge- ter Dr. Friedrich Höh urteilt 1930: „Die Baugesellschaft hat schäfte und Kinderspielplatz mit Planschbecken las- durch den starken Bau von Kleinwohnungen der Stadt sen den Knerling zu einer attraktiven Wohngegend selbst große Dienste geleistet und hierdurch in umfangrei- werden, zumal die Mieten moderat sind. Dies gelingt chem Maße zur Behebung der Wohnungsnot beigetragen.“ der AgBG auch, weil Mieterhöhungen in Altbauten des Inzwischen wohnen zwölf Prozent der Altenaer Bürger bei 1930 Die Mehrzahl der AgBG-Wohnungen Zwölf Prozent der Altenaer Bevölkerung Die soziale Zusammensetzung der AgBG- sind 3- und 4-Zimmer-Wohnungen. Die wohnen bei der AgBG (etwa 2 000 der 16 498 Mieterschaft wird nach wie vor von Arbeiter- AgBG verfügt über 32 2-Zimmer-Wohnungen, Einwohner). Der Gesellschaft wird aus Anlass schaft geprägt. Von den 495 Mietern sind am 283 3-Zimmer-Wohnungen, 137 4-Zimmer- des 60-jährigen Bestehens von der Stadt at- 1. Januar 1930 insgesamt 356 als Arbeiter Wohnungen, 17 5-Zimmer-Wohnungen und testiert, dass sie die „Wohnungsnot in unserer registriert, 49 als Privatangestellte, 35 als 26 6-Zimmer-Wohnungen. Stadt merkbar gemildert hat.“ Dennoch sorgt Handwerker oder Angehörige freier Berufe, die ausgebrochene Weltwirtschaftskrise für 32 als Reichs- und Staatsbeamte, 23 als wachsende städtische Wohnungsnot und Kreis- und Wohnungs- beamte elend. und An- gestellte.
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