2022 ausgesprochen bayerisch Wochenkalender - Allitera Verlag
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ausgesprochen bayerisch Wochenkalender 2022 Mit Fotografien von Paul Ernst Rattelmüller // Fachbereich Heimatpflege Bezirk Oberbayern Allitera Verlag
LEBENSART, HANDWERK UND BRÄUCHE IN OBERBAYERN IN DEN FÜNFZIGERJAHREN V ielen Hörerinnen und Hörern des Bayerischen Rund- funks ist die markante Stimme von Paul Ernst Rat- telmüller (1924–2004) noch heute im Ohr. Seit 1954 dabei der Anblick von Dörfern ohne Satellitenschüsseln oder von nicht asphaltierten Straßen! Und das Tragen von Trachtenlederhosen zu besonderen Anlässen wie es arbeitete er dort als freier Mitarbeiter, verfasste und mo- heute überall in Bayern in Stadt und Land üblich ist, war derierte hunderte von Sendungen. Der 1973 zum Hei- in der Nachkriegszeit offensichtlich durchaus noch die matpfleger für den Bezirk Oberbayern ernannte Rattel- Ausnahme: Als Sonntagsstaat diente vielerorts der »gute« müller war aber nicht nur ein Mann der Stimme und schwarze Anzug oder die lange Hose mit Trachtenjoppe. des (oft streitbaren) Wortes. Er war auch ein Mann der Angesichts des Siegeszugs der »Krachledernen«, die heute Grafik und der Kamera. Sein unverstellter und authen- bei keinem Wiesnbesuch mehr wegzudenken ist, eine uns tischer Blick auf Land und Leute ist bis heute beeindru- geradezu merkwürdig fremd anmutende Welt … ckend. Jede Art von Seppelbayerntum war ihm verhasst, Die Qualität der Farbdiapositive von Rattelmüller hat – mit seinem Verdikt der »weißblauen Prostitution« hat er trotz sorgfältiger und sachgerechter Lagerung im Archiv sich verständlicherweise nicht nur Freunde gemacht. der Fachberatung Heimatpflege des Bezirks Oberbay- In den Vierziger- und Fünfzigerjahren fuhr Paul Ernst ern – im Laufe der Jahrzehnte beträchtlich gelitten. So Rattelmüller im bayerischen Oberland von Dorf zu haben die Fotografien ihre originale Farbe verloren be- Dorf, von Kirche zu Kirche, um Trachten, Bräuche, ziehungsweise weisen Flecken, Kratzer und andere Stö- kirchliche und weltliche Feste, Handwerk, Landschaft rungen auf. Für mehrere Publikationen wurde bereits und Architektur zu dokumentieren. Zuerst – Wind und in den Achtzigerjahren ein Teil des umfangreichen Fo- Wetter trotzend – auf einem Fahrrad, dann auf einem tomaterials im Auftrag des Bezirks Oberbayern restau- Motorrad der Marke Steyr Puch und schließlich in einer riert sowie schließlich die gesamte Sammlung mit über Isetta, seine Leica-Kamera immer im Gepäck. Die dabei 8000 Fotografien auch digitalisiert. Der Allitera Verlag entstandenen Farbdiapositive sind heute kostbare Zeit- hat für das Buchprojekt »ausgesprochen bayerisch« von dokumente, die uns einen historisch-wissenschaftlichen, 2020 darüber hinaus weitere wertvolle Zeitdokumen- aber auch einen unterhaltsamen Einblick in die Alltags- te aus der Sammlung Rattelmüller von Staub und Krat- welt unserer Eltern und Großeltern geben. zern befreit und behutsam Lichtwerte und Kontraste op- Auf 52 Kalenderseiten begleitet dieser fotografische timiert, mit dem Ziel, durch diese Retuschen dennoch Schatz jetzt durchs Jahr, ergänzt von kurzen Erläuterun- nicht den »Charme«, das Zeitkolorit der Fotografien, zu gen zu Bräuchen oder Handwerk und zeigt, was damals zerstören. Eine Auswahl ist in diesem Kalender für das wie heute »ausgesprochen bayerisch« ist. Wie ungewohnt Jahr 2022 zu sehen. Dr. Norbert Göttler Dietlind Pedarnig, M. A. Bezirksheimatpfleger von Oberbayern Geschäfts- und Lektoratsleitung Allitera Verlag
© Bezirk Oberbayern DEZEMBER / JANUAR 27 Mo Fabiola »Christkindl-Anschießen« Seit 1666 werden im Berchtesgadener Land die bösen Wintergeister mit 28 Di Julius von Rom Handböllern lautstark vertrieben und gleichzeitig die ruhenden und bald auf- keimenden Lebens- und Wachstums- geister herbeigerufen. Immer wieder 29 Mi Winthir wurde dieser heidnische Brauch von der Obrigkeit unter Strafe verboten, was aber noch nie jemanden recht ge- 30 Do Germar von Flay kümmert hat. Schließlich gab man nach und im 19. Jahrhundert eta- blierte sich der Brauch über das so- genannte Christkindl-Anschießen in 31 Fr Silvester Silvester der Woche vor Heiligabend und am Heiligen Abend selbst als Bestandteil der christlich-weihnachtlichen Litur- gie. Die Berchtesgadener Weihnachts- 1 Sa Neujahr Wilhelm von Saint-Bénigne schützen pflegen heute die Tradition des Böllerschießens in 17 zusammen- geschlossenen Vereinen an Weih- 2 So Gregor von Nazianz nachten und zur Begrüßung des neuen Jahrs an Silvester und am Neujahrstag.
© Bezirk Oberbayern JANUAR 3 Mo Genoveva »Wir kommen daher aus dem Morgenland« Mitte der Fünfzigerjahre war der Brauch 4 Di Roger des Sternsingens am Dreikönigstag im bayerischen Oberland fast verschwun- den. Nur wenige Kinder, wie die Stern- singer von Seeshaupt am Starnberger 5 Mi Emilie See, übermittelten damals, von Haus zu Haus ziehend, ihre guten Wünsche für das neue Jahr. Heute erfreut sich dieser 6 Do Heilige Drei Könige Kaspar, Melchior, Balthasar Brauch, ergänzt um das Sammeln von Geldspenden für einen guten Zweck, wieder großer Beliebtheit. 2015 wur- de er sogar zum immateriellen Unesco- 7 Fr Valentin von Rätien Weltkulturerbe erklärt. 8 Sa Severin 9 So Adrian
© Bezirk Oberbayern JANUAR 10 Mo Paulus der Einsiedler Winterernte: Natureisgewinnung Im Oberland herrschte über Jahr- hunderte ein blühender Handel mit 11 Di Wilhelm von Donjeon Natureis. Erst mit dem Einzug von Kühlschränken verlor er endgültig an Bedeutung. Wenn die Eisdecke eines Sees oder Weihers etwa 10 Zentime- 12 Mi Ernst ter dick war, wurden mit großen Sä- gen Platten aus dem Eis geschnitten. Anschließend packte man diese mit 13 Do Hilarius schweren Zangen und wuchtete sie mit langen Haken und Piken ans Ufer, um sie dann auf Pferdefuhrwerke oder Schlitten zu verladen und unter ande- 14 Fr Englmar rem an Bierbrauer zu liefern. Das Zer- schlagen der Eisplatten im Lagerungs- ort mit Holzschlegeln verhinderte Lufteinschlüsse. Nur so konnte das ge- 15 Sa Romedius wonnene Eis mit der Zeit zu einem rie- sigen Eisklumpen frieren, der dann den gesamten Raum kühlte. Die Bierbrau- 16 So Tosso von Augsburg er fürchteten damals milde Winter …
© Bezirk Oberbayern JANUAR 17 Mo Antonius der Große Leibspeis So wie diese »Gitschen« und Buben aus dem Sarntal in Südtirol haben sich si- 18 Di Priska cherlich alle Kinder in der Alpenregion immer fröhlich über das Auslöffeln der »eingebrockten Suppe« (in diesem Fall eines Muas’ aus Butter, Milch und 19 Mi Pia Maismehl) hergemacht. 20 Do Sebastian 21 Fr Meinrad von Reichenau 22 Sa Dietlinde 23 So Hartmut
© Bezirk Oberbayern JANUAR 24 Mo Vera von Clermont Irxnschmoiz Da in den Fünfzigerjahren viele Hand- werksberufe noch im wahrsten Sinne 25 Di Bekehrung des Apostels Paulus des Wortes mit der Hand ausgeübt und die Produkte nicht maschinell gefertigt wurden, war oftmals ganz schön »Irxnschmoiz«, also die Kraft 26 Mi Timotheus der »Irxn« (Achseln) gefragt. Dass er genügend Muskelkraft besitzt, stellt dieser Kummetmacher (Pferdegeschirr- 27 Do Julian macher) bestens unter Beweis. 28 Fr Manfred 29 Sa Aquilin 30 So Martina
© Bezirk Oberbayern FEBRUAR 14 Mo Valentinstag Valentin Liebesbeweise Ursprünglich wurde am 14. Februar gleich an drei frühchristliche Heilige 15 Di Siegfried von Schweden namens Valentinus gedacht. Aber 1969 wurde dieses Fest im Zuge der Liturgie- reform aus dem Römischen Generalka- lender gestrichen. Als »Ersatz« hat sich 16 Mi Juliana über die englischsprachige Welt bereits seit dem 19. Jahrhundert der romanti- sche Brauch verbreitet, diesen Tag den 17 Do Lukas von Padua Liebenden zu widmen und sich mit Karten, Blumen, Pralinen oder ande- ren Preziosen die gegenseitige Zunei- gung zu versichern. 18 Fr Simon von Juda 19 Sa Irmgard 20 So Leo von Catania
© Bezirk Oberbayern AUGUST / SEPTEMBER 29 Mo Sabine »Bhüt di Gott, du schöne Alm« Der Sommer neigt sich dem Ende zu und damit kehren auch nach und 30 Di Rebekka nach – meist beginnend in den ers- ten Septembertagen – die Kühe von den Almen in die heimischen Ställe im Tal zurück. Bereits beim Almauf- 31 Mi Paulinus trieb im Frühjahr tragen die Kühe Glo- cken, aber erst im Herbst ist neben dem weithin zu hörenden Geläute auch der 1 Do Verena Kopfschmuck Tradition. Aber nur wenn alle Tiere unversehrt geblieben sind, dürfen sie festlich von den Senne- rinnen und Sennern mit Glocken, Bän- 2 Fr Ingrid dern und Fichtenwipfeln geschmückt werden. Auch wenn es die vielen al- penländischen Almlieder romantisch verklären: Die Arbeit auf der Alm ist 3 Sa Sophia von Minden eine schwere und verantwortungsvolle, damals wie heute. 4 So Ida
© Bezirk Oberbayern DEZEMBER 5 Mo Hartwig Vorbild St. Nikolaus Der Todestag des wohl populärs- ten Heiligen ist der Legende nach der 6 Di Nikolaus von Myra 6. Dezember. Daher hat sich an die- sem Tag der Brauch eingebürgert, dass St. Nikolaus, der sich zu Lebzeiten be- sonders um schutzbedürftige Men- 7 Mi Gerald schen gekümmert haben soll, die Kin- der höchstpersönlich mit einem Sack voll Gaben besucht. Begleitet wird er – 8 Do Mariä Empfängnis Edith oft zum Schrecken der Kinder – von seinem finsteren Gesellen, dem Kram- pus, der »bösen« Kindern mit Ruten- schlägen droht. Eine Pädagogik dieses 9 Fr Valeria von Limoges Brauchs, die dann doch überholt ist und heutzutage durch ein »achtsames« Feiern dieses Tages ersetzt wird, bei dem der Heilige Nikolaus als Vorbild 10 Sa Angelina für Solidarität, Nächstenliebe und An- teilnahme im Vordergrund steht. 11 So 3. Advent Tassilo
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