Kunst des 19. Jahrhunderts 29. Mai 2019 - Grisebach
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Experten Specialists Vorbesichtigung der Werke Sale Preview Ausgewählte Werke München Ausgewählte Werke: 3. und 4. Mai 2019 Kunst des 19. Jahrhunderts: 14. und 15. Mai 2019 Grisebach Türkenstraße 104 80799 München Hamburg 7. Mai 2019 Dr. Anna Ahrens Frida-Marie Grigull Galerie Commeter +49 30 885 915 48 +49 30 885 915 84 Bergstraße 11 anna.ahrens@grisebach.com frida-marie.grigull@grisebach.com 20095 Hamburg Dortmund 8. und 9. Mai 2019 Galerie Utermann Silberstraße 22 44137 Dortmund Zürich 13. bis 15. Mai 2019 Grisebach Bahnhofstrasse 14 8001 Zürich Düsseldorf 18. Mai 2019 Grisebach Bilker Straße 4–6 40213 Düsseldorf Sämtliche Werke Berlin 24. bis 28. Mai 2019 Grisebach Fasanenstraße 25, 27 und 73 10719 Berlin Freitag bis Montag 10 bis 18 Uhr Zustandsberichte Dienstag 10 bis 15 Uhr Condition reports condition-report@grisebach.com Grisebach — Frühjahr 2019
100 Ludwig Emil Grimm Die vorliegenden vier Blätter von Ludwig Emil Grimm (Lose 100–102, 105) sind subtile Zeugnisse aus dem Seelenleben Hanau 1790 – 1863 Kassel eines Romantikers. Sie erzählen von Fernenlust und Heimat- liebe, sie sind akribische Naturabschriften und stilisierte „Ansicht von Goßfelden bei Marburg“. 1829 Überhöhungen zugleich, sie ergehen sich in der Andacht Aquarell über Bleistift, mit Pinsel in Grau an drei zum Unbedeutenden und erfassen im selben Moment das Seiten gerahmt, auf dünnem, bräunlichem Whatman- Monumentale, Zeitlose. Velin. 18 × 15,9 cm (7 ⅛ × 6 ¼ in.). Auf dem Unterlage- Weit lässt Grimm im August 1829 den Blick aus seinem papier unten links mit Bleistift monogrammiert, Zimmer über die Fachwerkhäuser und Felder in Goßfelden datiert und bezeichnet: L G. im August. 1829 del. schweifen (Los 100). Was auf den ersten Blick so ganz und gar Unten mit Feder in Schwarz bezeichnet; in der Mitte: kunstlos wirkt, ist ein komplex strukturiertes Fensterbild der meine Ausicht in Gosfelden; rechts: muß schöner Romantik, wie wir es auch von Caspar David Friedrich ken- abgeschnitten werden [über „schöner“ ein Bleistift- nen. Der grau getuschte Rahmen markiert die Begrenzung kreuz, das sich oben rechts und an den beiden Seiten des Bildes, er ist zugleich der materielle Fensterrahmen, unten wiederfindet]. Werkverzeichnis: Koszinowski/ durch den der Zeichner auf die Natur blickt. Wohl kalkuliert Leuschner L 231. Am Rand auf Papier geklebt. Zwei ist der tief liegende Horizont, der dem eigentlich unspekta- leichte Knickfalten, die Ecke unten links abgeschrägt kulären Landschaftsausschnitt eine gewisse Monumentalität mit Textverlust. [3214] verleiht. Provenienz Das saftige Grün des Aquarells und die präzis gezeich- Ehemals Sammlung Eugen Roth, München neten Fachwerkhäuser besitzen ihre kunsthistorische Refe- renz in Dürers Aquarell der „Drahtziehmühle“ (Berlin, Kupfer- EUR 3.000–4.000 stichkabinett): Der Romantiker blickt aus dem Fenster und USD 3,370–4,490 erkennt die stille Poesie der heimatlichen Landschaft. Wie ein Crescendo wirkt dagegen das zweite Land- schaftsblatt (Los 101), welches weit früher, nämlich 1816, gezeichnet wurde. Auch wenn Grimm hier den weichen Bleistift wählt, atmet das Blatt den Geist südlich-antiker Erhabenheit. Auf seiner Italienreise von 1816 besuchte Grimm auch die Stadt Neapel. Eine der am häufigsten darge- stellten Sehenswürdigkeiten war das sogenannte Grab des Vergil, dem sich Grimm auf unkonventionelle Weise annä- hert. Weniger die Grotte oder das Monument an sich, son- dern der Blick durch den Felsspalt auf die sich dahinter an die Hügel anlehnenden Häuser und eine üppig wuchernde Natur interessieren ihn als Zeichner. Die „Frau in Tracht aus Orferode“ (Los 102) besticht durch ihre frische Farbigkeit. Sie ist gleichermaßen Charak- terstudie wie Zeugnis romantischer Ethnografie. Gleich nebenan, direkt vor der Tür entdeckten die Zeichner der Romantik das Besondere, Seltene, Charakteristische, das sie als Archivare der Wirklichkeit mit Bleistift und Pinsel fixieren wollten. Michael Thimann Originalgröße 9 8 Grisebach — Frühjahr 2019
101 Ludwig Emil Grimm 102 Ludwig Emil Grimm Provenienz Hanau 1790 – 1863 Kassel Hanau 1790 – 1863 Kassel Ehemals Sammlung Eugen Roth, München „Grab des Virgil bei Neapel“. 1816 Provenienz „Frau in Tracht aus Orferode“. 1825 EUR 3.000–4.000 Bleistift auf Papier. 21,5 × 18,8 cm (25,3 × 18,8 cm) Ehemals Sammlung Eugen Roth, München Bleistift, aquarelliert, auf Papier. 23,4 × 20,8 cm USD 3,370–4,490 (8 ½ × 7 ⅜ in. (10 × 7 ⅜ in.)). Im Unterrand mit Bleistift (9 ¼ × 8 ¼ in.). Unten rechts bezeichnet: Chatrina bezeichnet; links: gez. den. 19t. July. 1816. zu. Neapel; EUR 3.000–4.000 Elisabeth Fassauer. von Orferode am Meisner del Ausstellung in der Mitte: Grab des Virgils. Werkverzeichnis: USD 3,370–4,490 adviv 26t July. 25 in den Soden bei Allendorf. Ludwig Emil Grimm 1790–1863. Maler, Zeichner, Koszinowski/Leuschner L78. In den Ecken auf graues Rückseitig unten mit Bleistift beschriftet: L. E. Grimm. Radierer (= 200 Jahre Brüder Grimm, Band 2). Kassel, Papier geklebt. [3214] Werkverzeichnis: Koszinowski/Leuschner G 129. Museum Fridericianum, und Hanau, Schloß Steinheim, Die Ecken mit Japan hinterlegt. [3214] 1985, Kat.-Nr. 114, mit Abbildung 11 10 Grisebach — Frühjahr 2019
103 Carl Philipp Fohr Kurpfälzisches Museum, 1968, erwähnt unter Kat.-Nr. 112 (nicht ausgestellt) / Jens Christian Jensen: Heidelberg 1795 – 1818 Rom Carl Philipp Fohr in Heidelberg und im Neckartal. Landschaften und Bildnisse. Karlsruhe, Verlag „Bildnis Ludwig Sigismund Ruhl“. 1816 G. Braun, 1968, S. 38, S. 111, Nr. 50, u. S. 68, Abb. 22 / Feder in Schwarzgrau über Bleistift auf Papier (Was- Brigitte Rechberg-Heydegger: Ludwig Sigismund Ruhl serzeichen: [Signet] Tiara). 17,9 × 13,7 cm (7 × 5 ⅜ in.). (1794–1887). Leben und Werk. Giessen, Univ., Diss. Rückseitig die Stempel Lugt 5100 und Lugt 1969b 1973, Nr. B 6 / Marianne Bernhard (Hrsg.): Deutsche sowie der Entwidmungsstempel des Kupferstich- Romantik. Handzeichnungen. 2 Bände, hier Bd. 1: kabinetts Berlin. Werkverzeichnis: Märker Z 748. Carl Blechen (1798–1840) bis Friedrich Olivier (1791– Mit Feder in Schwarz gerahmt. Entgegen der Beschrei- 1859). München, Rogner & Bernhard, 1973, hier Bd. 1, bung im Werkverzeichnis ist das Blatt lediglich leicht Abb. S. 303 gebräunt und am Rand minimal fleckig. [3021] Provenienz Die Zeichnung wird im ausdrücklichen Einvernehmen mit Karl Mayer, Darmstadt (spätestens 1926) / Staatliche den Erben nach Karl Mayer angeboten. Karl Mayer hatte in Museen, Kupferstichkabinett, Berlin (Inv.-Nr. F III Darmstadt einen Eisenwarengroßhandel betrieben und 2873, SZ Fohr 15; 1941 auf der Versteigerung bei musste 1933 emigrieren. Seine Fohr-Zeichnung gelangte in Boerner erworben, 2019 an die Erben nach Karl Mayer den Kunsthandel und wurde 1941 von den Berliner Museen restituiert) erworben. Im Rahmen eines Provenienzforschungsprojekts des Kupferstichkabinetts wurde sie nun an die Nachfahren EUR 25.000–35.000 Karl Mayers restituiert. USD 28,100–39,300 Ausstellung Deutsch-römische Malerei und Zeichnung, 1790–1830. Wenn gleich mehrere Zeichnungen von Carl Philipp Fohr, dem Leipzig, Museum der bildenden Künste und Leipziger früh verstorbenen Wunderkind der deutschen Romantik, in Kunstverein, 1926, Kat.-Nr. 97 / Deutsche Bildnisse einer Auktion angeboten werden, dann darf man das sicher 1800–1960. Ausstellung der Lucas-Cranach-Kommis- einen glücklichen Zufall nennen. Insbesondere, wenn sie so sion beim Ministerium für Kultur. Berlin (Ost), Staatli- eng miteinander verbunden sind wie hier, denn die drei Blätter che Museen zu Berlin, Nationalgalerie, 1962, S. 17, sind allesamt in der frühen Münchner Studienzeit um 1815/16 Abb. 10 / Karl Philipp Fohr, 1795–1818. Frankfurt a.M., entstanden und zeigen eine enge Verbindung zu Fohrs Künst- Städelsches Kunstinstitut, 1968, Kat.-Nr. 66 / Von lerkollegen und Freund Ludwig Sigismund Ruhl (1794–1887). Caspar David Friedrich bis Adolph Menzel. Aquarelle Fohr und Ruhl hatten sich in Rom eine Herberge geteilt, und Zeichnungen der Romantik. Aus der National- bis es, wohl im Streit über Ansprüche an dem gemeinsamen galerie Berlin/DDR. Wien, Kunstforum Länderbank, Bernhardinerhund Grimsel, zum großen Zerwürfnis kam, das 1990, Kat.-Nr. 79, Abb. S. 157 / Ahnung und Gegen- in einem mit Pistolen ausgefochtenen Duell gipfelte. Ein Jahr wart. Zeichnungen und Aquarelle der deutschen darauf, am 29. Juni 1818, ertrank Fohr mit nur 22 Jahren beim Romantik im Berliner Kupferstichkabinett, Berlin, Baden im Tiber, und der Verlust dieses „ausgezeichnetsten 1994/95, Kat.-Nr. 30, Abb. S. 69 Talents, was in seinem Fach hier war“ (Karoline von Humboldt), Literatur und Abbildung stürzte die Gemeinschaft der Deutschrömer in verzweifelte Ernst Scheyer: Aus Carl Fohrs künstlerischer Hinter- Trauer. Große Teile seines Nachlasses wurden noch in Rom lassenschaft. Zu zwei unbekannten Arbeiten des unter den Künstlern selbst versteigert, die alles daransetz- Künstlers aus schlesischem Besitz. In: Neue Heidel- ten, sich eines seiner Werke für ihre eigene Sammlung oder berger Jahrbücher, Neue Folge, 1932, S. 82-90, hier als Mustervorlage zu sichern. S. 84 / Versteigerungskatalog 204: Deutsche Hand- Das ganze Genie Fohrs als Zeichner offenbart auch Originalgröße zeichnungen des XIX. Jahrhunderts aus verschiede- unser Bildnis des Freundes Ruhl, das ganz am Anfang seiner nem Besitz, dabei eine Partie von Zeichnungen aus Porträtkunst steht und dabei doch schon auf die berühmte der nachgelassenen Sammlung des Prinzen Johann Serie der Bildnisse seiner Künstlerkollegen in Rom verweist, Georg, Herzog zu Sachsen [...]. Leipzig, C. G. Boerner, die er für ein geplantes Gruppenbild der deutschen Künstler 8.5.1941, Kat.-Nr. 95 („Bildnis eines jungen Mannes“), im Café Greco zeichnete. Äußerst elegant gekleidet, in alt- Abb. Tf. 9 und auf dem Vorderumschlag / Paul Ortwin deutscher Tracht, sitzt der junge Ruhl betont nachdenklich Rave: Das Antlitz der Romantik. Die Sammlung am Tisch, auf dem ein Buch liegt, das auf seine literarischen Parthenon. Neue Folge. O. O., o. J. (um 1943), Abb. Interessen hindeutet. Durch die rahmende Stellung der Tf. XXII / Hans Geller: Die Bildnisse der deutschen Arme ist die Komposition ganz auf die Bildmitte mit dem Künstler in Rom 1800–1830. Berlin, Deutscher Verein halb aufgefalteten Brief konzentriert. Das Zentrum des Blat- für Kunstwissenschaft, 1952, Nr. 303 / Ausst.-Kat.: tes ist aber zweifellos der leicht geneigte Kopf mit dem Carl Philipp Fohr, 1795–1818. Skizzenbuch der Neckar- lockig gewellten Haar und dem suggestiven Blick, der diese gegend. Badisches Skizzenbuch. [...]. Heidelberg, Zeichnung wie eine Ikone früher romantischer Bildniskunst erscheinen lässt. MM/FMG 13 12 Grisebach — Frühjahr 2019
Wir danken Dr. Peter Märker, Berlin, für freundliche Hinweise zur Zeichnung. 104 Carl Philipp Fohr Das beeindruckende Blatt ist eine von mehreren zeichneri- schen Vorarbeiten für eine Lithografie von Fohr, die in den Heidelberg 1795 – 1818 Rom Umkreis der Illustrationen zu Fouqués „Zauberring“ gehört. Unser Blatt ist die ausgeführteste Vorzeichnung und stimmt „Begegnung auf der Falkenjagd“. 1816 (?) mit der Lithografie in vielen Details überein. Unter den Linien Feder in Schwarz, teilweise über Bleistift, auf Velin der teils sehr schnell ausgeführten Federzeichnung zeigt sich (Wasserzeichen: R. SCHMID). 42,5 × 33,4 cm allerdings eine bislang nicht beachtete Bleistiftvorzeichnung, (16 ¾ × 13 ⅛ in.). Werkverzeichnis: Märker Z 688 c. die in sehr vielen Details abweicht und eindeutig den Ent- Rückseitig mit Bleistiftskizzen, u.a. von der Burg. wurfscharakter des Blattes belegt. Es handelt sich um die Eine vertikale und zwei horizontale Mittelfalten. entscheidende Ausarbeitung dieser Komposition, bevor sie Etwas braunfleckig. [3214] Fohr seitenverkehrt auf den Lithografiestein zeichnete. Provenienz Mit überbordender jugendlicher Fantasie zeigt uns Ehemals Sammlungen Remmele und Eugen Roth, Fohr hier im Vordergrund eine vornehme Reitergesellschaft München bei einer Falkenjagd und im oberen Bildteil eine mittelalterli- che Burganlage auf felsigem, bewaldetem Hang. Wie ein Spin- EUR 10.000–15.000 nennetz legt er die verschiedenen zeichnerischen Strukturen USD 11,200–16,900 über das gesamte Bildfeld und entwickelt je eigene Formeln für Wolken, Bäume und Figuren, die der Zeichnung insgesamt Ausstellung einen sehr poetischen Charakter verleihen. Gezeichnete Kunst. Der Blick auf das Ich. Frankfurt Unsere Zeichnung und ebenso das Blatt zu Tiecks a.M., Hans W. Fichter, Kunsthandel, 1993, S. 50, Abb. „Melusine“ (Los 106) haben große formale und inhaltliche S. 51 Ähnlichkeiten mit den etwa zeitgleich in München entstande- nen Gemälden „Der verirrte Ritter“ und „Die Ritter vor der Köhlerhütte“ aus der Sammlung der Berliner Nationalgalerie. Die Anregungen zu den mittelalterlichen Märchengeschich- ten hat Fohr sicher aus dem Umfeld der Heidelberger Roman- tiker empfangen und von den Besuchen in der berühmten Heidelberger Sammlung mit altdeutscher und altniederländi- scher Kunst der Brüder Boisserée, wobei ihn hier besonders das Bild Albrecht Altdorfers „Heiliger Georg“ (heute München, Alte Pinakothek) beeindruckt haben dürfte. Die erwähnten Gemälde schenkte Fohr seiner Gönne- rin, der Erbprinzessin Wilhelmine von Hessen-Darmstadt. In seinem Widmungsbrief erwähnt er ausdrücklich die Anre- gungen, die ihm sein Künstlerfreund Ludwig Sigismund Ruhl (Los 103) bei diesen ersten Versuchen in der Ölmalerei gegeben hat: „Der junge Ruhl aus Kassel … hat mir die Behandlung der Ölfarben mitgeteilt und mich hierdurch in den Stand gesetzt, den Gebilden meiner Phantasie einen kräftigen und bleibenden Eindruck zu geben.“ MM 15 14 Grisebach — Frühjahr 2019
105 Ludwig Emil Grimm 106 Carl Philipp Fohr (?) Hanau 1790 – 1863 Kassel Heidelberg 1795 – 1818 Rom „Jungfer Meil“. 1825 Illustration zu Tiecks „Melusine“: Die Fahrt zur Hochzeit Provenienz Wie uns Ludwig Sigismund Ruhl (Los 103) rückblickend Bleistift auf Papier. 16,5 × 13 cm (6 ½ × 5 ⅛ in.). Raimunds und Melusines. Anfang 1816 Ehemals Sammlungen Anton Maximilian Pachinger, berichtet, beschäftigten sich beide Künstlerfreunde 1815/16 Oben links datiert und bezeichnet: 1820 adviv Feder in Grau und Schwarz, teilweise über Bleistift, Linz/München/Wien, und Eugen Roth, München mit Illustrationen zu Ludwig Tiecks „Melusine“ und wollten 11. Jan 1825 Jungfer Meil 80 Jahre alt. Werkverzeich- auf Transparentpapier. 24 × 31 cm (9 ½ × 12 ¼ in.). diese anschließend als Umrissradierungen veröffentlichen. nis: Koszinowski/Leuschner G 126. Am Rand punktuell Unten links mit Bleistift beschriftet: Fohr. K. [..]. EUR 4.000–6.000 Weiter berichtet Ruhl von einer eigenhändigen Radierung auf graues Papier aufgeklebt. Leicht fleckig. [3214] Rückseitig unten links auf dem Unterlagepapier der USD 4,490–6,740 Fohrs mit unserem Motiv, von der sich leider kein Exemplar Provenienz Stempel Lugt 2010. Werkverzeichnis: Nicht bei Märker erhalten hat, und schreibt: „denn alles muss so gezeichnet Ehemals Sammlung Eugen Roth, München (vgl. Z 674). In den Ecken auf blaues Bütten geklebt. Ausstellung sein, dass es sich gut als Radierung auf die Kupferpatte über- Etwas braunfleckig. [3214] Aus der Sammlung Eugen Roth, München. München, tragen lässt“. Diese Überlieferung passt sehr gut zu unserer EUR 1.200–1.500 Staatliche Graphische Sammlung, 1955, Kat.-Nr. 17 Zeichnung auf Transparentpapier, die man als vorbereitende USD 1,350–1,690 Studie gut in diesen Werkprozess einbinden könnte, auch wenn das Verhältnis von eigenhändigen und fremden Paus- Wir danken Dr. Peter Märker, Berlin, für freundliche Hinweise. zeichnungen hier noch nicht abschließend geklärt ist. MM 17 16 Grisebach — Frühjahr 2019
108 Ludwig Persius 1803 – Potsdam – 1845 Ideale gotische Architektur. 1835 Öl auf Holz. 25,8 × 21 cm (10 ⅛ × 8 ¼ in.). Unten links monogrammiert: L.P. Unten rechts monogrammiert und (schwach lesbar) datiert: L.P. 35/18. [3357] Gerahmt. EUR 3.000–4.000 USD 3,370–4,490 Das auf 1835 datierte Gemälde von Ludwig Persius zeigt ein gotisches Architekturensemble. Anleihen bei dem Kirchen- bau auf der rechten Seite dürfte der Architekt beim Dom zu Königsberg gemacht haben. So erinnern die Situation des Turms und dessen Haube sowie der Fries des Langhauses an das für Preußens Könige bedeutsame Bauwerk. Karl Friedrich Schinkel, mit dem Persius seit den frühen Dreißigerjahren unter anderem am Schloss Babelsberg und an der Nikolai- kirche in Potsdam zusammenarbeitete, hatte Königsberg auf seiner Inspektionsreise im Sommer 1834 besucht und dabei auch den Dom in Begleitung von August Rudolf Gebser besichtigt. Gebser war der Herausgeber des 1833 erschie- nenen und mit Lithografien prachtvoll ausgestatteten Bandes zum Königsberger Dom. Persius besaß ein Exemplar dieses Werks. Neben den historischen Reminiszenzen verweist das Gemälde aber auch auf die für Persius charakteristischen Formen zeitgenössischer Architektur im Stil der Neogotik: klare stereometrische, meist zweigeschossige Baukörper, die in einer strengen Ordnung zueinander stehen, und offene Vorhallen als verbindende Elemente zwischen Innen- und Außenräumen, zudem Zinnenkränze, hinter denen die Dach- ansätze verborgen bleiben und die als horizontale Gliede- rungselemente die Baukörper abschließen. 107 Georg Schöbel Schloss Babelsberg wurde im Januar 1835 feierlich eingeweiht. Allerdings entsprach die Bauausführung nicht ganz den Ideen Prinz Wilhelms, sodass er mit der Erweiterung 1860 – Berlin – 1930 des Gebäudes nicht mehr Schinkel, sondern Persius beauf- tragte. Noch bevor dieser mit den Planungen begann, zeich- Rüstungen (Studie). nen sich in dem hier vorliegenden Gemälde Baugedanken Gouache auf graugrünem Velin, auf Karton und -ornamente ab, die später in Babelsberg wieder aufge- aufgezogen. 46,7 × 27 cm (18 ⅜ × 10 ⅝ in.). griffen werden. In beiden Fällen führen Treppenaufgänge Unten rechts signiert: G. Schöbel. [3072] Gerahmt. zu Terrassen mit identischem Maßwerk der Balustraden und erschließen rechter Hand gotische respektive neo- EUR 1.000–1.500 gotische Vorhallen. Auch die Balustraden über dem Erd- USD 1,120–1,690 geschoss weisen mit ihren Vierpässen im Bild sowie an dem später ausgeführten Schlossbau sehr ähnliche Ornamente auf. So verbindet Persius historisch-sakrale mit aktuellen profanen Stilformen und Bauaufgaben. Reinhard Wegner 19 18 Grisebach — Frühjahr 2019
Deutsch, 109 Deutsch, 110N um 1830/40 um 1825/35 Ruine an einem See bei Mondschein. Ruine über einem Fluss im Mondschein. Öl auf Papier auf Leinwand. 18,3 × 16,8 cm Öl auf Holz. 28,7 × 23,4 cm (11 ¼ × 9 ¼ in.). (7 ¼ × 6 ⅝ in.). [3007] Unten links (kaum lesbar) monogrammiert: F. P[?]. Kleine Retuschen. [3167] EUR 1.000–1.500 USD 1,120–1,690 EUR 3.500–4.500 USD 3,930–5,060 21 20 Grisebach — Frühjahr 2019
111 Henry Raeburn lichen weißen Punkt bekommt, etwas breiter als der Nasen- strich. Tritt man zurück, so schließen sich die einzelnen 1756 – Edinburgh – 1823 Striche harmonisch zusammen. Wir haben zwei Quellen, die relativ gleichlautend von Porträt eines jungen Mannes. Um 1810/20 Raeburns Malprozess berichten, eine von einem unbekann- Öl auf Leinwand. Doubliert. 74,5 × 62,5 cm ten „sitter“, eine von Sir Walter Scott, den Raeburn viermal (29 ⅜ × 24 ⅝ in.). Auf dem Keilrahmen rechts unten gemalt hat. Raeburn begann den Prozess sogleich mit Pinsel mit Kreide beschriftet: DR. LUZ. Retuschen. und Farbe auf der Leinwand ohne jede vorhergehende [3174] Gerahmt. zeichnerische Anlage. Hatte er ein Gesicht in groben Stri- Provenienz chen angelegt, trat er mehrfach weit zurück, betrachtete Robert von Mendelssohn, Berlin (spätestens 1908, bis längere Zeit den „sitter“, um dann in schnellen Schritten, 1917) / Giulietta Giordigiani, Witwe des Vorbesitzers, ohne auf sein Modell weiter zu achten, zur Leinwand zu Berlin/Florenz / Dr. W. A. Luz, Berlin / Privatsamm- schreiten, um unmittelbar dem optisch Erfahrenen male- lung, Schweden (1967 bei Spik erworben) risch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In der Entfernung hatte er nur die für die Erscheinung des Gesichts relevanten EUR 8.000–12.000 Hauptformen im Licht wahrnehmen können. Ihre Wieder- USD 8,990–13,500 gabe allein gab „Ähnlichkeit“ – das ist so etwas wie ein wahr- nehmungspsychologisches Gesetz. Ausstellung Das Verfahren hat eine gewisse Verwandtschaft mit Ausstellung aelterer englischer Kunst. Berlin, Gainsboroughs Vorgehen, das schon am Ende des 18. Jahr- Königliche Akademie der Künste, 1908, Kat.-Nr. 51 hunderts überliefert wurde. Gainsborough verdunkelte den (als „Unbekannter Künstler“) / Berliner Sammler- Malraum, arbeitete ebenfalls ohne Vorzeichnung direkt in Tradition. Berlin, Bezirksamt Tiergarten, Abt. Volks- Farbe, zudem mit einem extrem langen Pinsel und relativ bildung, Amt für Kunst und Verband der Berliner dünnflüssiger Farbe. Dabei ordnete er sein Modell und die Kunst- und Antiquitätenhändler e.V. im Haus am Staffelei so an, dass sie etwa gleich weit von ihm entfernt Lützowplatz 9, 1950, Kat.-Nr. 186 a (als Henry Raeburn) waren. Aufgrund der Verdunkelung konnte er ebenfalls nur Literatur und Abbildung die entscheidenden Gesichtszüge wahrnehmen und entspre- Weltkunst, XXXVII. Jg., Nr. 10, 15.5.1967, Abb. S. 485 chend wiedergeben. Auch bei der von Vasari für Tizian über- (Annonce für die folgende Auktion] / Auktion 460: lieferten Form, die später nach dem Vorbild Tizians auch für Gemälde, Graphik, Möbel [...] aus verschiedenem Rembrandt galt, schlossen sich die Pinselstriche wie durch Besitz. Berlin, Leo Spik, 26./27.5.1967, Kat.-Nr. 194, ein Wunder zusammen. Ebendies stellte Reynolds, der diese Abb. Tf. 43 (als „Sir Henry Raeburn zugeschrieben“) Tradition kannte, auch für Gainsborough fest. Alles dieses findet sich bei unserem Porträt in über- zeugender Weise wieder. Halsbinde und Jabot, strahlend Wir danken Helen Smailes, Senior Curator of British Art at weiß, sind mit groben, rasanten Strichen angelegt. Weitere National Galleries of Scotland, Edinburgh, für freundliche Eigenheiten sprechen ebenfalls für die Eigenhändigkeit. Hinweise zur Datierung. Wie Reynolds setzte auch Raeburn seine „sitter“ auf ein flaches Podest, sodass wir den Kopf in minimaler Unter- sicht sehen; wir schauen ein wenig in die stark verdunkel- Geht man sehr nah an dieses Porträt eines jungen Mannes ten Nasenlöcher. Dadurch gewinnt der Dargestellte eine heran, so erkennt man, was der Malerkollege Sir David Wilkie gewisse Überlegenheit. für Henry Raeburn den „square touch“ genannt hat: eine Raeburn verwendet für Brustporträts ein Standardfor- extreme Malweise, bei der der einzelne, zum Teil dick aufge- mat: 30 x 25 Inches, also etwa 76 x 64 Zentimeter, das ent- tragene Pinselstrich für sich stehen bleibt und nicht mit den spricht in etwa dem sogenannten KitKat-Format. Ferner pflegt danebenliegenden Pinselstrichen vermischt wird. In beson- er bei diesem Typus den Hintergrund bei weiblichen Porträts derem Maße gilt dies für die leuchtende Farbe Weiß. zumeist mit einer ganz schwach angedeuteten Landschafts- In Raeburns Gesichtern wird dieses Verfahren regel- staffage zu versehen; bei den männlichen Porträts ist der mäßig an drei Partien deutlich: auf der Nase, unter der Hintergrund dagegen einfarbig in dunklem Braun oder Brau- Nase, in dem Bereich, auf den das starke, von schräg links nocker, vor dem sich das Gesicht und die weiße Hemdbrust einfallende Licht sich konzentriert und, geradezu brutal, in umso deutlicher abzeichnen, zumal auch das Gewand selbst einem dicken, spachtelartig gezogenen Strich auf der dunkel gefasst ist. Die Lichter auf den Metallknöpfen bei unse- erleuchteten Stirnseite. Diese Alabastergesichter werden rem Porträt finden sich beinahe identisch bei Raeburns besonders bei jungen Leuten mit Rosa abgetönt, in den Porträt von James Cochrane of Edinburgh – wie auch all die Schattenzonen mit Grau oder Braunschwarz. Das dicke anderen genannten Eigenheiten. Die Datierung ist schwierig. Impasto findet sich zudem auf der sichtbaren Ohrmuschel, Raeburn hat sich, als er seine Form gefunden hatte, wenig hier als durchgehender knapper Halbkreis. Charakteristisch entwickelt. Dennoch wird man aufgrund der besonders sou- für Raeburns Porträts ist der durchgehende Nasenrücken- veränen Malweise mit den unverbundenen Strichen auf um strich, der auf der Nasenspitze zumeist noch einen zusätz- oder bald nach 1810 spekulieren müssen. Werner Busch 23 22 Grisebach — Frühjahr 2019
Gustav Adolph 112 große, hängende Ohrringe in Blütenform schmücken ihr Hennig Antlitz. Dazu der rote Kaschmirschal, der ihren zarten Hals sanft umspielt und dem Kupferton ihrer zum hohen Knoten geflochtenen Haare schmeichelt. Bei aller Hingabe für die Dresden 1797 – 1869 Leipzig reduzierte, aber zugleich kostbare und überaus aktuelle Kleiderwahl scheinen die Seidenrobe, der auffällige große Bildnis der Anna Thecla Kraft mit rotem Schal. (Vor) 1836 Goldschmuck und der kaminrote Schal jedoch nur einer Öl auf Leinwand. 30,8 × 25,8 cm (12 ⅛ × 10 ⅛ in.). Aufgabe zu dienen: die unendlich weichen Gesichtszüge, die Auf dem Keilrahmen mit Feder in Schwarz beschriftet, zarte, elfenbeinfarbene Haut, die leicht rosigen Lippen und oben: Anna Thecla Kraft geb. von Haugk. + 6 Febr. 1836 Wangen und vor allem die gütigen, großen Mandelaugen Leipzig; rechts: gemalt von Hennig. Mit einer Exper- würdig zu rahmen. tise von Dr. Hildegard Heyne, der langjährigen Die weiche, ovale Gesichtsform und die auffallend Kustodin am Leipziger Museum der bildenden Künste, großen Augen lassen Hennigs hervorragende Kenntnisse der vom 2. März 1952. [3206] Gerahmt. nazarenischen Porträtkunst erkennen, etwa von Schnorr von Carolsfeld oder Friedrich Overbeck und dessen EUR 3.000–4.000 berühmtem Bildnis seines Freundes Franz Pforr (Alte Natio- USD 3,370–4,490 nalgalerie, Berlin). Auch hier sitzt eine Frau im Hintergrund, die in der Bibel liest. Sie trägt die Farben Mariens, Blau und Rot, so wie unsere Anna. Eine solche Anspielung auf Fröm- Man schaut ihr zuerst in die Augen. Diese riesigen, mandelför- migkeit über Farben entsprach der christlichen Tradition migen Augen. Taubenblau, wach, blitzgescheit schaut sie uns und erfüllte für die Nazarener zugleich die Funktion, die an. Ein wenig schüchtern, vorsichtig-skeptisch, warmherzig, Szene zu verinnerlichen und zu vergeistigen, Ruhe und neugierig, vielleicht ahnend. Wir sind mit ihr im Hier und Jetzt. Ernsthaftigkeit zu vermitteln. Es scheint der Moment, in dem sie physisch vor uns sitzt – oder Anna von Haugk, Tochter einer vornehmen Leipziger dem bekannten Maler Gustav Adolph Hennig Modell. Kaufmanns- und Handelsfamilie, hatte 1834 Peter Robert Hennig kam gebürtig aus Dresden, das mit so wohl- Kraft geheiratet, ebenfalls aus Leipzig und Sohn des Besitzers klingenden Namen wie Anton Raphael Mengs, Anton Graff, der Steinkohlewerke Kraft & Lücke (vgl. das Porträt im Stadt- Gerhard von Kügelgen, Philipp Otto Runge, Carl Vogel von geschichtlichen Museum Leipzig, Inv. Nr. L/1/2007/13). Sie Vogelstein eine starke Tradition in der Porträt- und Bildnis- verstarb bereits zwei Jahre später. Die merkwürdig versteck- malerei vorzuweisen hatte. An der ortsansässigen Akademie ten und scheinbar nicht zu Ende gemalten Hände mögen ein hatte Hennig selbst bei dem Vater von Letzterem, Christian Hinweis darauf sein, dass das Hochzeitsbild verfrüht und Leberecht Vogel, studiert sowie bei Friedrich Matthäi, der möglicherweise abrupt zu einem Erinnerungsbild wurde. unter anderem auch Philipp Veit ausbildete. Von Dresden Anna Ahrens nach Italien schien es gedanklich nicht weit, und so zog es den begabten jungen Künstler von 1822 bis 1826 und noch einmal 1832/33 zum Studium in das zitronenbaumreiche Sehnsuchtsland – zu Fuß. Der erste Aufenthalt sollte ihn prä- gen. Hennig hatte sich seinem Landsmann Julius Schnorr von Carolsfeld angeschlossen, dessen „nazarenische Prägnanz der Linie“ ihn so sehr begeisterte, dass „seine Bildnisse bei aller malerischen Zurückhaltung oft eine kultivierte Sinnlich- keit ausstrahlen“ (Neidhardt, Dresdner Malerei, S. 328). Das Porträt der Anna wird kurz nach dem zweiten Italienaufenthalt entstanden sein. Hennig war als Professor an die Leipziger Akademie berufen worden, der er ab 1840 als Direktor vorstand. Als Bildnismaler war er schnell außer- ordentlich erfolgreich. Dabei hatte er „Wesentliches für sei- ne Kunst“, so Neidhardt, „seiner nazarenischen Schulung zu verdanken“. Schauen wir auf unser Bild, so scheint es die Stimmung der damaligen Zeit, sprich Mitte der 1830er-Jahre, auf ebenso qualitätvolle wie wunderbare Weise genau zu treffen und ihr zugleich einen ganz individuellen Ausdruck zu verleihen. Das Halbfigurenporträt zeigt die junge Frau, auf einem Lehnstuhl sitzend, in einem eleganten, schulterfreien Kleid aus taubenblauer Seide mit betonter Taille und auffällig aus- ladenden Schinkenärmeln – eine Mode, die Mitte der 1830er-Jahre hochmodern ist. Eine goldene Brosche und 25 24 Grisebach — Frühjahr 2019
113 Franz Kobell 114 Franz Kobell Mannheim 1749 – 1822 München Mannheim 1749 – 1822 München Abhang. Bäume am Wiesenrand. Von ungewöhnlicher Modernität erscheinen uns heute Pinsel in Grau und Schwarz auf Bütten. 16,7 × 20,4 cm Pinsel in Grau und Schwarz auf dünnem Velin. solche flott ausgeführten Tuschpinselzeichnungen von (6 ⅝ × 8 in.). Beigabe: Südliche Küstenlandschaft. 16,7 × 21,4 cm (6 ⅝ × 8 ⅜ in.). Rückseitig unten rechts Franz Kobell, die schon um 1800 entstanden. Die Licht- Feder in Braun mit Rahmenlinie auf Bütten. 18 x 21,3 mit dem Stempel Lugt 1012. [3528] Gerahmt. wirkung in der Bildmitte ist grandios eingefangen und läßt cm. Etwas stockfleckig, leicht gebräunt. Provenienz die Vegetation an der Stelle geradezu aufleuchten. [3206] Gerahmt. Ehemals Fritz Hasselmann, München (gest. 1894) EUR 800–1.200 EUR 1.200–1.500 USD 899–1,350 USD 1,350–1,690 Wir danken Thomas Herbig, München, für die Bestätigung der Wir danken Thomas Herbig, München, für die Bestätigung Authentizität der Zeichnung und freundliche Hinweise. der Authentizität der Zeichnung und freundliche Hinweise. 27 26 Grisebach — Frühjahr 2019
115 Wilhelm von Kobell Mannheim 1766 – 1855 München plätze sind vertraut: Sie zeigen das Münchner Umland mit den „Nach der Jagd“. 1839 berühmten Seen und Blicken auf die Stadtsilhouette oder die Aquarell über Bleistift auf Papier, mit Bleistift Berge. Die Figuren aber wirken isoliert, seltsam in ihrer Pose gerahmt. 19 × 23,6 cm (7 ½ × 9 ¼ in.). Unten links verharrend und weit entfernt von allem Alltäglichen. Sie sind signiert (ligiert) und datiert: Wilhelm v Kobell 1839. mit zarten, klaren Konturen deutlich voneinander abgesetzt, Werkverzeichnis: Wichmann 1556 (datiert „1836“). ihre Silhouetten in bunter Folge vor den hohen Himmel und Eine schwache Falte am linken Rand. [3614] Gerahmt. das klare Blau des still liegenden Sees gesetzt. Provenienz Ihre zeitlose, fast surreale Präsenz verstärkt der Ein- Privatsammlung, Deutschland (1930 von der Galerie druck, als seien die Gestalten „entstofflicht“, als könnten wir Carl Nicolai erworben, bis mind. 1970) durch sie hindurchsehen. Die filigranen, formgebenden Lini- en sind trotz ihrer hohen Präzision porös, wodurch sie eine EUR 40.000–60.000 außergewöhnliche Illusionskraft entwickeln. Sie sind das USD 44,900–67,400 „Grammgewicht“ der Komposition (Wichmann, S. 83) und bestätigen Kobell als den Meister der Kontur. Zugleich sind Literatur und Abbildung Transparenz, Glanz und Schönheitswert der Farben so leuch- Versteigerungskatalog CLXXII: Originalhandzeichnun- tend und klarsichtig wie jener dargestellte Föhntag, der die gen [...]. Radierungen, Holzschnitte, Lithographien einzelnen Gegenstände bis in die äußerste Ferne noch gut [...]. Leipzig, C. G. Boerner, 29.4.1931, Kat.-Nr. 66, erkennen lässt. Abb. Tf. II Dieses unverwechselbare „Kobell-Licht“, das die aus hintereinander gelagerten Prospekten gebaute Bildwelt bestimmt, ist das auffälligste und eigenwilligste Merkmal Zwei fulminante Ausstellungen feierten die Wiederent- des Künstlers: Der Vordergrund, der sich kobelltypisch als deckung des Biedermeier im neuen Jahrtausend: „The Spirit kuppelartige Anhöhe ausformt, ist merkwürdig scharf aus- of an Age“ (Berlin/Washington, 2001) und „Die Erfindung der geleuchtet und präsentiert sich als vorgelagerte Raumellipse, Einfachheit“ (Berlin/Wien/Paris/Milwaukee, 2007). eine Art Bühne im Scheinwerferlicht. Sie ist die eigentliche Der frische Blick und die kluge Objektwahl (Malerei, Stätte der Begegnung. Tiere und Menschen sind aufeinander Möbel, Glas, Porzellan, Silber) öffneten die Augen für Schön- ausgerichtet, doch sind es vor allem die langen, schmalen heit und Modernität jener hochkultivierten Kunstrichtung, die Schattenwürfe, die sie miteinander verbinden. Der Fern- dem nachnapoleonischen Europa eine neue ästhetische Vision raum hingegen erscheint im allseitigen Freilicht. Die Zonen, verlieh. Die Wertschätzung der Materialien und ein neuer Sinn in denen diese beiden Extreme zusammentreffen, zeigen für Praktikabilität verbanden sich mit einer anspruchsvollen jenes Kombinationslicht, das die Gegenstände so merkwür- Suche nach schlichten und klaren Formen. Das Gegenmodell dig entkörperlicht, ihnen aber eine Wirkung verleiht, die zum ausschweifenden Luxusstil des ausgehenden 18. Jahrhun- über ihre Daseinsgröße hinausgeht. derts leistete sich eine neue, eine „moderne“ Bescheidenheit, Das Erzielen einer solchen Wirkung, die kunstphiloso- die auf Qualität statt Quantität setzte. phischen Forderungen der Zeit entspricht, beruht bei Kobell Als einer der wichtigsten Maler des Biedermeier wur- auf realen Beobachtungen: Das Kombinationslicht belebte de Wilhelm von Kobell mit Künstlern wie Hummel, Kersting die damals beliebten Guckkästen (seitliches Kerzenlicht mit und Gaertner gewürdigt, deren Bedeutung in eine Reihe dem reduzierten allseitigen Tageslicht der Stube). Das Studi- gestellt wurde mit den frühen Romantikern, aber auch den um der Veränderung von Farbwerten in der Natur durch das deutschen Impressionisten und Symbolisten – bis hin zu den Medium Luft war eine aktuelle und fortdauernde Herausfor- Künstlern des Bauhauses. derung für die Maler des 19. Jahrhunderts. Schatten sind Unser Blatt zeigt den „späten“ Kobell, dessen reicher schon bei Kobell keine Dunkelwerte mehr, sondern vertiefte künstlerischer Erfahrungsschatz in Komposition und Aus- Farben. Dem gegenüber steht die artifizielle, kommaartige führung eingeflossen ist. Aufgewachsen im aufgeklärten Strichführung in lockerer, fast „ostasiatischer“ Manier Künstlermilieu der kurpfälzischen Residenzstadt Mannheim (Wichmann). Die teppichhafte Wiese des Vordergrundes ist (sein Onkel war Franz Kobell, vgl. Los 113 und 114), lebte durch ein Pinselpunktsystem gegliedert, die Materie etwa in Wilhelm seit 1793 als Hofmaler in München. Ab 1815 entwi- Form von Baumstümpfen porträthaft hervorgehoben. ckelte er mit dem „Begegnungsbild“ einen eigenen Bildtypus Eine puristische, alles auf einen Nenner bringende und leistete damit einen bedeutenden Beitrag für die Kunst- Formvorstellung wird über einen Oberflächenkult der Mate- geschichte des 19. Jahrhunderts. rialien zelebriert und zeigt zugleich eine vollendete Ord- Es handelt sich bei Kobells Begegnungsbildern vorwie- nung: Allen Objekten und allen Erscheinungen im Naturraum gend um kleinformatige Gemälde und Aquarelle, die das – Landschaft, Mensch, Tier – wird gleichberechtigt dieselbe Leben der Gegenwart in „zufälligen“ Zusammentreffen meist Aufmerksamkeit zuteil. „Eine heitere Gegenwart“, so Kobells von Reitern, Jägern, Bauern und Tieren thematisieren - ohne Zeitgenosse Adalbert Stifter, „soll alles umstrahlen und ver- jedoch im eigentlichen Sinn erzählerisch zu sein. Die Schau- schönern.“ Anna Ahrens 29 28 Grisebach — Frühjahr 2019
116 Deutsch, um 1800 Porträt eines Jünglings. Öl auf Leinwand. Doubliert. 45,5 × 38 cm (17 ⅞ × 15 in.). [3389] Gerahmt. EUR 2.500–3.500 USD 2,810–3,930 Originalgröße „Darum sauge dich voll, o Seele, voll Luft, Licht Johann Christian 117 und Sonnenschein, voll Formen und Bilder und Reinhart trage einen reichen, nie alternden Schatz der Hof 1761 – 1847 Rom glücklichsten Erinnerungen über den Berg und Ideallandschaft mit Ziegenhirten. 1841 Öl auf Holz. 16,2 × 20,2 cm (6 ⅜ × 8 in.). Rückseitig mit seinen Wolkensteg nach Hause.“ Pinsel in Schwarz signiert, bezeichnet und datiert: Joh: Chr: Reinhart fec. Romae 1841. aetatis suae, Karl Stieler, Italien - Eine Wanderung von den Alpen bis zum Aetna, 1876 anno 80mo. [3448] Gerahmt. EUR 6.000–8.000 USD 6,740–8,990 31 30 Grisebach — Frühjahr 2019
118 Gustav F. Papperitz 1813 – Dresden – 1861 Blick von Civitella bei Olevano auf den Monte Serrone und Der Betrachter blickt in den mittelalterlichen Klosterkreuz- die Volkser Berge. gang hinein, in das von Bäumen und blühenden Büschen – wohl Öl auf Papier auf Holz. 27,5 × 37,7 cm (10 ⅞ × 14 ⅞ in.). Oleander – bestandene und durch die hochstehende Sonne Retuschen. [3153] Gerahmt. erhellte Quadrat des Innenhofes hinüber auf die sich im rech- ten Winkel anschließende Seite des Kreuzgangs. EUR 2.500–3.500 Rechts, im Durchblick durch die Doppelsäulen, ist die USD 2,810–3,930 Apsis einer kleinen, sich an den Kreuzgang anschließenden Kapelle aus Bruchstein zu sehen. Zwischen den beiden vorde- ren Doppelsäulen befindet sich ein Durchgang in den Hof, über den man über drei flache Stufen gelangt. Im Hof fliegen zwei 119 Franz Ludwig Catel weiße Vögel, wohl Tauben. Rechts daneben sitzt auf einer Bank ein bärtiger Kartäusermönch in weißer Kutte und liest in einem Buch. Der rechte Bildrand zeigt eine geschlossene Wand mit Berlin 1778 – 1856 Rom Originalgröße einer Tür, die wohl zur erwähnten Kapelle führt; daneben ein Andachtsbild. Vor der Tür stehen zwei Pilger in brauner Klei- Im Klosterhof von San Domenico in Palermo. 1843 dung, einer trägt einen Kreuzstab als Zeichen der Pilgerschaft. Öl auf Zinkblech. 17,5 × 13,8 cm (6 ⅞ × 5 ⅜ in.). Beide scheinen im Begriff zu sein, die Kapelle zu betreten. Die vorliegende kleinformatige Ölmalerei auf Zink- trast zwischen Hof und Kreuzgang sowie die nur skizzierten Unten rechts monogrammiert und datiert: F. C. 43. Es handelt sich, wie oft bei Catel, um die Wiedergabe blech stammt zweifellos von der Hand des Berliner Malers Staffagefiguren der beiden stehenden Mönche in Rücken- Rückseitig auf einem Aufkleber mit Feder in Schwarz eines konkreten Ortes, nämlich des Klosterkreuzgangs der Franz Ludwig Catel, der ab Ende 1811 bis zu seinem Tod 1856 ansicht tragen eindeutig die Handschrift des erfahrenen (vom Künstler?) beschriftet: Im Klosterhof Franz Catel Kirche San Domenico in Palermo. Am selben Standort hatte in Rom lebte und arbeitete. Gegen Ende seines Lebens Künstlers. Das Bild ist mit seiner freien und duftigen Pinsel- 1843. Das Gemälde wird aufgenommen in das Werk- bereits der Engländer William Leighton Leitch, der 1833–37 schuf er immer wieder bereits über Jahrzehnte erprobte führung und dem kleinen Format wie eine plein air entstan- verzeichnis der Gemälde Franz Ludwig Catels von in Italien war, den Kreuzgang gezeichnet. Leitchs Zeichnung und höchst erfolgreiche Landschafts- und Architekturbilder dene Ölstudie gestaltet, wird jedoch aufgrund des Bildträgers Dr. Andreas Stolzenburg, Hamburg (in Vorbereitung). wurde dann von John Henry Le Keux um 1840 radiert. Catel in verschiedensten Formaten, in denen Mönche in allen Zinkblech eher als Erinnerungsbild für einen unbekannten [3066] Gerahmt. war mehrfach selbst in Palermo (u. a. 1819), doch ist die Varianten als Staffagefiguren eingesetzt wurden. Romreisenden im römischen Atelier Catels an der Piazza di Motivwahl dem Stich bis auf die Anlage der mönchischen Sowohl die Pinselführung mit der partiell pastos auf- Spagna entstanden sein. Die Beschriftung auf der Rückseite EUR 4.000–6.000 Staffagefiguren so ähnlich, dass durchaus auch denkbar getragenen Ölfarbe und den typischen streifigen Pinselpar- des Zinkblechs könnte dabei der Handschrift nach durchaus USD 4,490–6,740 wäre, dass die Radierung dem Künstler als Vorlage diente. tien wie auch die Lichtführung mit ihrem Hell-Dunkel-Kon- vom Künstler selbst stammen. Andreas Stolzenburg 33 32 Grisebach — Frühjahr 2019
120 Deutsch, 1817 121 Heinrich Reinhold Gera 1788 – 1825 Rom „Tasso-Eiche in Rom“. 1817 Das oben links auf Italienisch mit deutschem Datum bezeich- Bleistift auf Velin. 25,1 × 35,3 cm (9 ⅞ × 13 ⅞ in.). nete Blatt hatte der Kunstkenner und Sammler Eugen Roth Italienische Landschaft (Olevano). Den Sommer 1822 verbrachte Heinrich Reinhold in Olevano. Oben links bezeichnet und datiert: La Quercia di dem begabten Johann Christoph Erhard zugeschrieben. Das Bleistift und Pinsel in Grau, mit Rahmenlinie in Blei- Ludwig Richter, der ebenfalls dort war, berichtet, wie Tasso. al Monastero di S. Honoffrio. d 27 Jan: 1817. wohl authentische Datum macht eine solche Autorschaft stift, auf Transparentpapier. 24,4 × 33,2 cm Reinhold „fast jeden Nachmittag, ohne sich von der Seite zu Unten links beschriftet: Tasso Eiche in Rom. [3214] jedoch unwahrscheinlich: Erhard kam erst 1819 nach Rom, wo (9 ⅝ × 13 ⅛ in.). Unten rechts im Rand (schwer lesbar) rühren, bis spät zum Abend saß“. Dabei habe er „trefflich Provenienz er schon 1822 viel zu früh verstarb. Die qualitätvolle Zeich- beschriftet: fra Reinhold – olevano – [?]. Kleine, die Standorte zu wählen verstanden, wo sich das Motiv mit Ehemals Sammlung Eugen Roth, München nung, die mit dem 27. Januar 1817 den Tag genau benennt, an sorgfältig restaurierte Randeinrisse. [3214] Ferne, Vor- und Mittelgrund zu einem Ganzen zusammen- dem Goethes umsungene „Tasso-Eiche“ besucht wurde, mag Provenienz schloß“. Zurück in Rom zeigte Reinhold den Künstlerkolle- EUR 2.500–3.500 ihren wahren Schöpfer also noch preisgeben. Ehemals Sammlung Eugen Roth, München gen vor Ort sein reiches Portefeuille der Zeichnungen, die in USD 2,810–3,930 der Serpentara entstanden waren – Schnorr von Carolsfeld, EUR 2.500–3.500 Catel, alle waren voll Bewunderung. USD 2,810–3,930 Die meist großformatigen Blätter aus Olevano sind Wir danken Prof. Dr. Hermann Mildenberger, Weimar, Höhepunkte seiner Zeichenkunst. Vergleichbare Arbeiten fin- für freundliche Hinweise. den sich etwa in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Wir danken Dr. Petra Kuhlmann-Hodick, Dresden und Kupferstichkabinett (Inv. C 1963–1693) und in Privatbesitz Dr. Hinrich Sieveking, München, für freundliche Hinweise. (Ausst. Kat. Spurenlese 2017, Nr. 78). 35 34 Grisebach — Frühjahr 2019
122 Carl Wagner Andreas Andresen in seiner Enzyklopädie „Die deutschen Maler-Radierer des 19. Jahrhunderts“ (1864–74). Roßdorf in der Rhön 1796 – 1867 Meiningen Tatsächlich hielten sich die Freunde insgesamt min- destens zehn Tage in Amalfi auf und füllten ihre Mappen mit „Amalfi“. 1823 Zeichnungen und Ölstudien, die der Lauf der Zeit in Privat- Öl über Bleistift auf Bütten. 32,9 × 23,6 cm sammlungen und Museen auf der ganzen Welt spülte. Einige (13 × 9 ¼ in.). Rückseitig unten rechts mit Bleistift dieser Blätter aus Wagners Hand sind in einem Aufsatz von bezeichnet und datiert: Amalfi 30 Juli 23. Vergleiche Otto H. Förster aus dem Jahr 1935 abgedruckt. Darunter Carl Wagners Ölstudie „Amalfi“ von 1823, in: eine Ölstudie – „Amalfi. 1823“ –, die das Motiv unseres Blat- Otto H. Förster: Der Maler Carl Wagner. tes in ein Querformat überführt. Die sich nach vorn ausbrei- In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwis- tenden Maueranbauten fehlen in diesem Zwillingsblatt, und senschaft, Band 2, Jg. 1935, S. 274-283, hier S. 280, auch an anderen Stellen finden sich kleinere Abweichungen. Abb. 9. Drei kleine Randeinrisse. [3079] Das Querformat weist keine Partien unausgeführter Malerei auf und wirkt durch die Panorama-Perspektive insgesamt EUR 5.000–7.000 etwas konventioneller. Und doch stammen die beiden Blät- USD 5,620–7,870 ter unverkennbar aus der gleichen Hand. Mit dem Selbstverständnis eines Künstlers, der sich als Maler, nicht nur als Zeichner begreift, spürt Wagner dem süd- Wir danken Prof. Dr. Johannes Grave, Jena, und Prof. Dr. lichen Farb- und Lichtklang nach, mischt in der für ihn cha- Helmut Börsch-Supan, Berlin, für die Bestätigung der rakteristischen Weise Grün-Nuancen in die Schattenpartien Authentizität der Studie und für freundliche Hinweise. und setzt strahlende Lichtsäume um Felsen und -Bäume, schmilzt den Himmel in zartestem Blau auf das Papier und nutzt sonnenwarmes Ocker und Braun, um die Architekturen Am 21. Oktober 1822, seinem ersten Tag in Rom, pochte dem mit geradezu kubistisch anmutender Klarheit aufzuschichten. jungen Carl Wagner aus Dresden das Herz gewaltig, im Die Studie „Amalfi. 1823“ sei „ein wirkliches Bild“, befand Anblick der Schönheiten, die sich vor seinen Augen ausbrei- Förster, und dies gilt uneingeschränkt auch für unser Blatt: teten. „Endlich nach vieljährigem Sehnen, Hoffen und Wün- „wunderbar reich ist dieses Bild ... mit seinen sich durch- schen ... In Rom! In Rom! Ist es denn wahr oder ein Traum?“, kreuzenden Richtungen und Achsen, seinem phantastisch schreibt er in Erinnerung an diesen Moment. Seine ahnungs- reizenden Spiel von Enthüllen und Verstecken“. vollen Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden. Wie für Am 28. September traf die Reisegesellschaft wieder in seinen Herzensfreund Ludwig Richter und so viele andere Rom ein, und Wagner führte seinen Freund Richter in die wurde das Italienerlebnis auch für Wagner zu einem Wende- Technik der Malerei mit Öl auf Leinwand ein, die selbigem punkt, an dem all die „Rätselfragen an Kunst und Leben“ bis dahin noch fremd war. Bei aller Virtuosität, die Wagner (Ludwig Richter) eine vorläufige Antwort fanden (oder bei auf diesem Gebiet an den Tag legte, waren es doch vor allem Sang und Wein im heiteren Zusammensein der Künstler seine Ölstudien, die den jüngeren Richter schwärmerische zumindest temporär in Vergessenheit gerieten). Lobeslieder singen ließen, in die wir mit Blick auf die Amalfi- Wagner blieb insgesamt drei Jahre in Rom. Neben Studie heute nur umso lauter einstimmen können: Wagner Richter gehörten dort Carl Götzloff, Heinrich Reinhold, hielt „sich an die Natur und suchte das auf dem Papier zur Joseph Anton Koch, Ernst Ferdinand Oehme und Schnorr Anschauung zu bringen, was in der Natur sein Auge sah und von Carolsfeld zu seinem engeren Kreis. Gemeinsam unter- vor allem sein Herz erfreute. ... Der Eindruck dieser Studien- nahmen die Künstler Fahrten in die römische Campagna, blätter ... war mir wie ein fernes Sternbild, nach dem man durchstreiften die Albaner und Sabiner Berge und bespra- das Schifflein lenkt.“ Frida-Marie Grigull chen die entstandenen Studien in einer wöchentlichen Ver- sammlung. Gut möglich, dass auch unser Blatt in diesem Plenum der Besten diskutiert wurde. Es datiert auf eine Reise an den Golf von Neapel, zu welcher der damals 26-jährige Wagner im April 1823 (nicht im Mai 1823, wie in der Literatur fälschlich angegeben wird) in Begleitung von Götzloff, Florian Grosspietsch, Johannes Thomas aus Frank- furt und Maximilian Roch aus Breslau aufgebrochen war. „Der Vesuv ward bestiegen, eine Seefahrt nach Ischia gemacht, die Kunstschätze von Neapel in Augenschein genommen und der liebenswürdige, bescheidene alte Kniep besucht [der Goethe auf dessen legendäre „Italienische Reise“ begleitet hatte und dabei in Neapel hängengeblieben war]. Auf Capri und in Amalfi wurde fleissig gezeichnet, in Sorrent gemalt und Meerstudien gemacht“, überliefert 37 36 Grisebach — Frühjahr 2019
Jean-Auguste- 123 Dominique Ingres Montauban 1780 – 1867 Paris Römische Straßenecke mit Bildhauerwerkstatt. Bleistift auf Velin. 21,8 × 28,8 cm (8 ⅝ × 11 ⅜ in.). Rückseitig oben in der Mitte mit Bleistift beschriftet: Jean Auguste Dominique Ingres (1780–1867). In der Ecke unten rechts von anderer Hand mit Bleistift beschriftet: Ingres?. Zwei leichte Knicke, etwas fleckig. Kleine Randmängel. [3087] Provenienz Privatsammlung, Norddeutschland EUR 10.000–15.000 USD 11,200–16,900 Die vorliegende Zeichnung dem Oeuvre Ingres zuzuordnen, Gruppe gesellte sie den Notnamen „Maître des jardins de la mag auf den ersten Blick überraschen – nicht so auf den Villa Medici“ bei (datiert auf vor 1816). Sie sind in der Tat zweiten. In unserer Vorstellung sind Ingres' Zeichnungen per- steif, mit dem Lineal konstruiert und wirken seltsam leblos. fekt im Lineament, vollkommen in der Form, die endgültig zu Eine zweite Gruppe bekam den Namen des „Maître aux sein scheint, keine Reuezüge, auch kein zeichnerisches petits points“. Sie erscheint sehr viel überzeugender und ist Umkreisen, wie bei seinem Antipoden Delacroix. für uns von größtem Interesse. Denn auf diesen Zeichnungen Dieser Typus beherrscht die Ausstellungen und Buch- finden sich Hunderte von kleinen Punkten - ein Phänomen, publikationen zu Ingres, gelegentlich begleitet durch einige dessen Klärung relativ einfach ist: wenige, fast ausschließlich mit der Feder angelegte erste Wie schon die etwas unnatürlich wirkenden Verkürzun- Ideenskizzen. Sie zielen, sehr im Gegensatz zu den ausgeführ- gen, vor allem von Mauern, die sich vom Vordergrund bis in ten Bleistiftzeichnungen, nicht auf Schönheitlichkeit, im den Hintergrund erstrecken, deutlich machen – sie wirken Gegenteil, sie entwickeln fortschreitend einen festen Typus, wie mit einem Weitwinkelobjektiv aufgenommen – , benutzte bei dem die Gegenstände bloß abstrahierend markiert sind. Ingres optische Hilfsmittel, und zwar wohl primär die Camera Übersehen wird bei dieser Form der Präsentation der Zeich- lucida. Während der Kasten der Camera obscura, wie sie nungen Ingres', dass es ungezählte zeichnerische Zwischen- etwa Canaletto benutzt hat, einen festen Stand hat und der stufen gibt, Modell- oder Gewandstudien, Gegenstands- Blick durch den Apparat auf eine milchige Platte projiziert aufnahmen, Reisenotizen. Sie haben benennbare Funktionen, vom Künstler nachgezeichnet werden kann, (was zumeist können weiterverwendet werden, zielen nicht auf Vollendung. einen etwas zittrigen Strich, aber auch gewisse optische Ver- Sie erscheinen selten auf dem Markt. Es genügt ein Blick in zerrungen gegenüber dem unbewaffneten menschlichen den von George Vigne 1995 publizierten Bestandskatalog der Auge bewirkt) ist die Camera lucida einfacher strukturiert, Zeichnungen Ingres' in Montauban. Er führt sage und schreibe braucht allerdings in der Benutzung einige Übung. 4505 Arbeiten auf, und die bei Weitem meisten gehören dem Sie wurde 1806 von William Wollaston patentiert, war Fenstern und Türen anwendet und der sich so offenbar nur Zeichnung - die ansatzweise zu Figuren bearbeiteten großen genannten Zwischenbereich an. aber schon einige Jahre früher in Gebrauch. Sie besteht aus bei ihm findet. Ingres setzt einen Punkt unten rechts und Steinblöcke vor der Werkstatt lassen auf eine solche schlie- Ingres ist primär Historien- und Porträtmaler/-zeich- einem bloßen, auf einem Stab montierten Prisma, das das einen oben links und kann so die genaue Erstreckung in Höhe ßen. Entscheidend dabei ist eine winzige, etwas paradoxe ner, doch es gibt auch eine nicht unbeträchtliche Gruppe Abbild des Gesehenen auf dem Zeichenbogen widerspie- und Breite auch ohne den Blick durchs Prisma festhalten, wie Eigenheit, die uns an den Rädern beider Zeichnungen von Landschaftszeichnungen, genauer von Stadtansichten. gelt. Im Gegensatz jedoch zur Camera obscura, bei der der auch auf der frontalen großen Häuserwand unserer Zeich- begegnet: Der Nabe des jeweiligen Rades ist eine winzige Sie entstehen so gut wie ausschließlich in Italien, überwie- identische Blick problemlos erneut eingenommen werden nung zu sehen ist. Spiralform eingeschrieben, als wollte der Künstler die gend in Rom. 1806, nach drastischer Kritik an seinen stark kann, ist der Blick durch das Prisma der Camera lucida Doch es gibt weitere Phänomene auf dieser Zeichnung, Beweglichkeit des Rades andeuten. stilisierten Porträts, reiste er nach Rom, um seine Studien in durch die leichteste Abweichung verzerrt. Es kommt also die sich so nur bei Ingres finden: etwa die sonderbaren Das Motiv ist so ungewöhnlich, dass Ingres sich hier der Villa Medici fortzusetzen, und blieb – bis 1820. Von 1820 darauf an, exakt die immer gleiche Position vor dem auf- Schwärzungen, die Schattenzonen andeuten sollen und sich geradezu „verraten“ zu haben scheint. Betrachtet man bis 1824 hielt er sich in Florenz auf, um dann nach Paris zunehmenden Gegenstand einzunehmen. Um dies tun zu wiederholt starkem Druck des Bleistifts verdanken. Dutzend- zudem, wie Ingres Leitersprossen zeichnet, wie er halbrun- zurückzukehren. Als 1834 erneut ein Salonbeitrag von der können, ist es für die Wiedergabe insbesondere von Archi- fach lassen sie sich in seinem Oeuvre nachweisen (vgl. Best. de Dachziegeln andeutet oder – auf unserer Zeichnung ganz Kritik abgelehnt wurde, bewarb er sich enttäuscht an der tekturen und ihren Details hilfreich, die jeweilige Erstre- Kat. Montauban. Nr. 2187, 2828, 2920, bes. 3083). Betrachten unten links – auf Holztüren Beschläge zeichnet, winzige Académie de France in Rom und wurde ab 1835 deren Direk- ckung etwa einer Häuserkante oder eines Fensterrahmens wir zudem eine späte Zeichnung von 1839, die Raffaels Schatten durch Verstärkung des Bleistiftstriches an oberen tor in der Villa Medici. In der ersten Phase bis 1824, kaum in beim ersten Blick oben und unten mit einem Punkt zu mar- Geburtshaus in Urbino darstellt (Nr. 3138), fällt neben besag- und vor allem unteren Rändern von Türen markiert, dann der Villa Medici installiert, begann er mit zeichnerischen kieren und so den identischen Blick wieder zu erreichen. ten Phänomenen außerdem ein großes, auf eine Unterlage scheint es wenig Zweifel an der Authentizität unserer Zeich- Aufnahmen seines unmittelbaren Umfelds. Die Forschung Dieses Punktesystem findet sich auch auf unserer Zeich- montiertes Holzrad ins Auge, das so gut wie identisch ist mit nung geben zu können. Sie dürfte eine entschiedene Berei- hat sich mit diesen Zeichnungen schwergetan. Einer ersten nung – ebenso wie ein Trick, den Ingres bei der Fixierung von dem Wagenrad der Karre vor der Bildhauerwerkstatt unserer cherung von Ingres' Oeuvre darstellen. Werner Busch 39 38 Grisebach — Frühjahr 2019
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