37 Sie war die Richtige - 25jähriges Dienstjubiläum von Martina Nell - Zeitschrift der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. Heft 1/2017, 20 ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Zeitschrift der www.lv-selbsthilfe-berlin.de Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. Heft 1/2017, 20. Jahrgang Sie war die Richtige – 25jähriges Dienstjubiläum von Martina Nell 37
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Selbstvertretung und aktiv werden ist auch 2017 auf der Re- gional-, Landes und Bundesebene wichtiger denn je: „Wir wollen Betroffene zu Beteiligten machen“, sagte der Regie- rende Bürgermeister Michel Müller in seiner Regierungser- klärung. Das ist – auch für uns Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen oder Angehörige – eine An- sage mit Potenzial. „Die inklusive Gesellschaft ist die Leit- idee der Politik der Koalition“ ist im Koalitionsvertrag zu le- Frau Bendzuck sen. Untermauert durch viele „schöne Stellen“, die Vorhaben für bessere Lebens- und Teilhabebedingungen beschreiben. Barrierefreies Gesundheitswesen, umfassendes Mobilitätskonzept, Inklusions- taxi, barrierefreier Wohnraum, inklusive Schule, Qualifizierungsmaßnahmen sind nur einige Schlagworte. Es soll ein ressortübergreifendes Konzept zur Umsetzung der behinderungspolitischen Leitlinien erarbeitet werden und das Landesgleichberechtigungsgesetz (LGBG) weiterentwickelt werden. Auch soll den Arbeitsgruppen der Menschen mit Behinderung eine wichtigere Rolle zu- kommen. Wir werden Herrn Müller beim Wort nehmen und jetzt eine noch ak- tivere Beteiligung in unseren Belangen einfordern – sowie die angemessenen Ressourcen dazu. Ein erster Maßstab für Berücksichtigung unserer Interessen und Beteiligungs- kultur wird sein, wie die Senatsverwaltungen und Senator_innen mit dem The- ma Wall-Toiletten umgehen. Hier besteht die akute Gefahr, dass ein derzeit gut funktionierendes System abgewickelt wird. Unsere Bedürfnisse nach einer flächendeckenden Versorgung mit barrierefreien öffentlichen Toiletten und der Sicherstellung eines reibungslosen Betriebs werden vor dem Hintergrund von wirtschaftlichen Interessen in Frage gestellt (siehe Artikel von Sonja Arens auf S. 9). Spannend wird dieses Frühjahr, welche/n neue/n Behindertenbeauftragten das Land Berlin bekommt. Dem Vernehmen nach sind unter den Bewerber_innen mehrere Menschen mit Behinderung. In den nächsten Wochen findet der Aus- wahlprozess statt. Die Einmischung des Landesbeirat hat einen Teil-Erfolg ge- bracht – entgegen der ursprünglichen Absichten der Verwaltung wird das im LGBG vorgesehene, herzustellende „Einvernehmen“ mit dem Landesbeirat nun durch die Entsendung von zwei stimmberechtigten Vertreter_innen und die Zu- stimmung des Landesbeirats-Plenums hergestellt. Gleichzeitig wurde erreicht, 2 FLAGGSCHIFF
dass die Amtszeit von Dr. Jürgen Schneider, dem derzeitigen Stelleninhaber, per Senatsvorlage von Ende Februar auf Ende August verlängert wird. Die Landes- vereinigung begrüßt dies sehr, denn so ist auf diesem wichtigen Posten vermut- lich eine Kontinuität für die Vertretung unserer Interessen gegeben. Auf bezirklicher Ebene freuen wir uns über die Berufung von Eileen Moritz, die nach zweijähriger Vakanz die neue Behindertenbeauftragte von Steglitz-Zehlen- dorf geworden ist. Als Rollstuhlnutzerin kennt sie viele Herausforderungen aus eigener Erfahrung, ist aber vor allem beruflich bestens qualifiziert für die Inter- essenvertretung von Betroffenen. Frau Moritz sieht im Bezirk große Handlungs- bedarfe, und wünscht sich Unterstützung: „Wenn Sie sich für Barrierefreiheit und Gleichberechtigung stark machen möchten, wenden Sie sich gern an mich, denn der Beirat sucht gerade neue aktive Mitstreiter.“ Auch in anderen Bezirken werden Mitglieder für die Behindertenbeiräte gesucht – werden Sie aktiv! In stufenweiser Umsetzung ist seit Jahresbeginn das Bundes-Teilhabegesetz (BTHG) in Kraft. Wie mit Protest von Betroffenen und Betroffenenvertreter_in- nen auf vielen Ebenen, Kernforderungen und Verbändebündnis der Werdegang dieses Gesetztes etwas zum Positiven beeinflusst werden konnte, und welche vielen Kritikpunkte nach wie vor bestehen, beschreibt Dr. Rudolf Turber in sei- nem Artikel. Die Herausforderung, gemeinsam für Verbesserungen im Sinn der UN-BRK für eine volle Verwirklichung von Inklusion und Teilhabe zu kämpfen, besteht für uns alle weiter. Gerne gelesen habe ich die neue Broschüre der ISL „Ableismus erkennen und begegnen - Strategien zur Stärkung von Selbsthilfepotenzialen“. Das bislang vor allem wissenschaftlich diskutierte Konzept des Ableismus wird hier einer breite- ren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Praxisnahe Beispiele aus Gesundheits- wesen, Politik und Gesellschaft zeigen Alltagssituationen von „ableistischer“ Dominanz und Ausgrenzung gegenüber Menschen mit Behinderungen, und ihre Auswirkungen. An vielen Stellen dachte ich: kenne ich selbst, oder Menschen, die das betrifft. Es werden Anregungen zu Bewältigungs- und Abwehr-Strategien gegeben. Dass unser Vorstandsmitglied Marianne Schumacher vom Senat mit der Berli- ner Ehrennadel für ihr rund 40-jähriges ehrenamtliches Engagement (dabei vor allem 10 Jahre Vorstandstätigkeit für die Angehörigen psychisch Kranker - APK geehrt wurde, freut uns sehr. Ehrenamtliche Interessenvertretung kann oft mit guter hauptamtlicher Unterstützung noch wirksamer gelingen. FLAGGSCHIFF 3
Daher ist der Vorstand dankbar, dass am 01.02.2017 unsere hoch geschätzte Geschäftsstellenleiterin Martina Nell auf ein 25jähriges Dienstjubiläum für die Landesvereinigung zurückblicken konnte. Wir haben großes Glück mit unserer Frau Nell, die mit Herz, Engagement und Kompetenz das Büro der LV Selbst- hilfe am Laufen hält und für unsere Mitgliedsvereine da ist. In dieser Tradition verkörpert Frau Nell auch das kollektive Gedächtnis und die Wurzeln unserer Selbsthilfearbeit, was wir in unserer kleinen Feierstunde mit Freund_innen und Wegbegleiter_innen gewürdigt haben. Schließen möchte ich mit einem Gedanken von Dr. Willibert Strunz anlässlich unserer Veranstaltung „Selbsthilfe im 21. Jahrhundert“ im November 2016: „Selbsthilfe als Gegenseitigkeitshilfe und Ausdruck von Vielfalt ist eine Haltung und ein Gesellschaftskonzept, mit dem vorgelebt wird, wie Vielfalt die Berück- sichtigung des Fähigkeiten-Ansatzes und Solidarität eine Gesellschaft reicher machen können.“ In diesem Sinn: engagieren wir uns! Herzliche Grüße Gerlinde Bendzuck P.S. Schon mal vormerken: Wir feiern am 1.7.2017 wieder den Berliner SELBSTHILFE-TAG am Rolandufer – und Sie sind herzlich eingeladen, sich zu beteiligen! Marianne Schumacher, Vor- standsmitglied bei der LV Selbsthilfe und Vorstands- mitglied bei Angehörige psychisch Kranker, Landes- verband Berlin e.V., erhielt am 12.12.2016 die Berliner Ehrennadel für besonde- res soziales Engagement, überreicht durch Alexander Fischer, Staatssekretär für Arbeit und Soziales 4 FLAGGSCHIFF
Inhalt Die Deutsche Fibromyalgie Vereinigung (DFV) e.V. 6 Weihnachtsfeier 2016 der AdP-Regionalgruppe 7 Heilwege: „Der Weg ist das Ziel“ 8 Berlin geht’s beschissen 9 Ableismus erkennen und begegnen 10 Imagekampagne zur Jungen Selbsthilfe 13 Berliner Abendschau besucht die SoVD Landesgeschäftsstelle 14 „Bist du behindert oder was?“ 16 Das integrative Theaterensemble des Spastikerhilfe Berlin e.V. 17 Eileen Moritz stellt sich vor 19 „Nicht über uns – Gesundheitsselbsthilfe im 21. Jahrhundert“ 21 Selbsthilfe digital II: Sicherheit und Nutzen 26 Selbsthilfe digital I: Digitale Hilfsmittel für Betroffene und Angehörige 31 Eine „unendliche“ Geschichte – nicht von Michael Ende 34 Sie war die Richtige – zum 25jährigen Dienstjubiläum von Martina Nell 37 Termine 41 Impressum 43 FLAGGSCHIFF 5
Die Deutsche Fibromyalgie Vereinigung (DFV) e.V. Die Deutsche Fibromyalgie Vereini- ein Ziel der DFV, ihren Mitglieder umfas- gung (DFV) e.V. ist ein bundesweit täti- send über den aktuellen Stand der For- ger Verband, der sich seit 20 Jahren für schung zu berichten. Für Fibromyalgie- Betroffene einsetzt. Leider ist der Be- Patienten ist der Leidensdruck oftmals kanntheitsgrad in Berlin nicht sehr groß. sehr groß und derzeit besteht keine Daher möchte ich hier die Gelegenheit Aussicht auf Heilung oder grundlegende nutzen, dieses zu ändern. Linderung der Symptome. Diese Situ- ation macht Betroffene anfällig für viel- Bei uns steht der Selbsthilfegedan- fältige Heilversprechen. Deshalb ist ein ke an erster Stelle. Um diesen leben zu zweites Ziel der DFV, das Gespräch und können, wollen wir viele Selbsthilfegrup- den Erfahrungsaustausch unter Patien- pen gründen. Dazu benötigen wir zu al- ten zu fördern. ler erst Menschen, die bereit sind, eine Gruppe zu leiten. Wenn also ein Fibromyalgie Betrof- fener dies liest oder, wenn Sie jeman- Selbsthilfe bei der DFV ist Unterstüt- den kennen, der Fibromyalgie (Faser- zung für ein optimistisches Leben trotz Muskel-Schmerz) hat, der Hilfe benötigt Fibromyalgie. Oft vergehen Jahre, be- oder eine Gruppe leiten möchte, lassen vor eine korrekte Diagnose gestellt wird. Sie es mich wissen. Für viele Patienten endet damit eine Ärzte-Odyssee mit zermürbender Su- Mit optimistischen Grüßen che nach der Ursache für die quälenden Bärbel Wolf (stellv. Vorsitzende) Symptome. Dabei erleben die Betroffe- nen vielfältige Kränkungen; sie werden Kontakt: als Hypochonder abgestempelt, nur Deutsche Fibromy- weil Fibromyalgie keine sichtbaren und algie Vereinigung messbaren Veränderungen verursacht. (DFV) e.V.; Bundesverband Patientenselbsthilfe ist ein wirkungs- Postfach 1140 voller Schutz vor verletzender Skepsis 74741 Seckach und sozialer Zurückweisung. Oft wird Beratung: in der Patientenselbsthilfe weniger über 06292/928760 die Erkrankung gesprochen als unter Bärbel Wolf Nichtbetroffenen - aber sehr viel über 0171/52 88 364 die Möglichkeit, das Leben mit Optimis- http://www.fibromyalgie-fms.de mus zu gestalten. info@fibromyalgie-fms.de Nur gut informierte Patienten können zwischen seriösen und anderen Hilfsan- geboten unterscheiden. Deshalb ist es 6 FLAGGSCHIFF
Weihnachtsfeier 2016 der AdP-Regionalgruppe Der Jahresabschluss der AdP- te, dass sich eine der Angesprochenen Regionalgruppe Berlin-Brandenburg sogar erzürnte „Ich bin aber nicht die wurde am 5.12.2016 in der „Residenz Pellkartoffel!“ Wir hatten soviel herzhaft Ambiente“ begangen. Zu unserer Über- zu lachen, dass wir der Botschaft vom raschung begrüßte uns der ko- „Streit der Organe“ nur mit Mühe mische Kellner „Maitre Matt“ folgen konnten. Einen Moment (Matthias Krahnert) bereits lang konnten wir Nöte und am Eingang der Seni- Sorgen vergessen. orenresidenz. Die 50 Betroffenen und deren Der Übergang zum Angehörige wurden Abendimbiss, der aus ei- formvollendet zum Ort nem zünftigen Kartoffel- der Weihnachtsfeier ge- salat mit Buletten und Bre- leitet. Dort begrüßte uns zeln bestand, war folglich die Regionalgruppenleite- fließend. Wie so oft ist die Zeit rin Barbara Hübenthal herzlich viel zu schnell verstrichen. Zum mit einem Weihnachtspräsent und auch Abschluss bedankte sich Frau Hüben- Prof. Gellert, Herr Kleeberg und die thal bei allen Helfern und freute sich auf Ernährungsberaterin Frederike Bürger die regelmäßigen Treffen und auf ge- fanden sich ein. Ein erster Kaffee wurde meinsame Ausflüge der Regionalgrup- uns vom komischen Kellner in weißen pe Berlin-Brandenburg. Handschuhen überreicht und auch viele selbst gebackene Plätzchen sowie die Auch im nächsten Jahr gibt es wie- beliebte und leicht bekömmliche Scho- der die ein oder andere hilfreiche Hand koladentorte waren wieder da. einzusetzen, wenn z.B. der AdP-Stand zum „Tag der Berliner Krebsselbsthilfe“ Aufmerksam begleitete uns „Maitre am 4. März 2017 von 10:00 bis 16:30 Matt“ mit „Haben Sie einen Wunsch?“ Uhr im Audimax der Charitè Campus durch den Nachmittag. Virchow-Klinikum zu besetzen ist. Die Anwesenden nutzten die Gele- Besonderen Dank gilt den Kranken- genheit, um sich ausführlich über die kassen Siemens BKK und Barmer GEK, Neuigkeiten und Tipps im Umgang mit die durch ihre finanzielle Unterstützung der Erkrankung auszutauschen. Die Zeit diese gelungene Weihnachtsfeier 2016 rauschte nur so dahin, sodass nach ei- möglich machten. ner guten Weile unser Kellner mit seiner Rezitation auf sächsisch vom „Hasen im Antje Krüsken Rausch“ und Ringelnatz „An die Pellkar- toffel“ die Teilnehmer derart überrasch- FLAGGSCHIFF 7
Heilwege: „Der Weg ist das Ziel“ Der Förderverein Inka e. V. bietet bestimmten Therapierichtung oder Be- in Kooperation mit der St. Leonhards- handlungsmethode verpflichtet. Das Akademie individuelle Beratung durch Beratungsangebot bezieht sich über- eine approbierte Psychologische Psy- wiegend auf Angebote aus dem kom- chotherapeutin an. Heilwege richtet plementären Spektrum. Wir verfügen sich an Menschen, die schon länger über ein Netzwerk vertrauenswürdiger mit einer belastenden körperlichen oder Angebote. Im Erstgespräch eruieren seelischen Erkrankung leben. In jedem wir Ihre bisherigen Behandlungserfah- Leben gibt es freudige oder schmerzli- rungen, legen gemeinsam mit Ihnen Ihr che Ereignisse. Manchmal gehört auch Therapieziel fest und entfalten einen das Leiden an einer schweren Erkran- Therapieplan, der entsprechend Ihren kung dazu. Oft ist es schwierig, einen Erfahrungen verändert bzw. angepasst persönlichen Weg aus der Krankheit werden kann. zu finden. Dann beginnt ein mühsames Suchen nach geeigneten Behandlun- ●● Bei Bedarf begleiten wir Sie gen und Heilweisen. über den gesamten Zeitraum ●● Erstgespräch Wir unterstützen Sie dabei, Ihre in- ●● Fähigkeiten erkennen, Hei- dividuellen Heilungswege zu entdecken lungsziele festlegen und Ihr Selbstheilungspotential erken- ●● Beratung über komplementä- nen und beleben zu lernen. Wir bestär- re Behandlungsmethoden und ken Sie, Ihre Intuition in Behandlungs- Selbstheilungsstrategien entscheidungen einzubeziehen. Wir ●● Wissens- und Informationsquellen ermutigen Sie darin, Ihr Leben selbst ●● Individuelles Behandlungs- in die Hand zu nehmen, damit Sie sich konzept erarbeiten nicht mehr hilflos Ihrer Krankheit aus- ●● Hilfsangebote finden geliefert fühlen. Eine Kombination aus ●● Psychotherapeutische Gesprä- „schulmedizinischer“ Behandlung mit che bei Fragen und Problemen komplementären Methoden, medika- ●● Psychotherapeutische Begleitung mentöser Behandlung oder körperthe- beim Ausprobieren Ihrer Heilwege rapeutischen Verfahren, Spiritualität und der persönliche Einsatz fließen in Information finden Sie unter eine gelingende Krankheitsbewältigung www.heilungsgeschichten.org, ein. Sie erreichen uns am Patienten- telefon: 030-88921858 Wir geben Ihnen Orientierung in dem unüberschaubaren Angebot von Förderverein Inka Informationsnetz Heil- und Therapiemethoden. Wir ar- Evelyne Hohmann beiten unabhängig und sind keiner 8 FLAGGSCHIFF
Berlin geht’s beschissen Öffentlichen Toiletten sind in Berlin schon seit Jahren kostenpflichtig. Die Stadt hat diese Daseinsvorsorge für ihre Bürger aufgegeben. Und nun gibt es Ärger in der Senatsverwaltung wegen des Bewirtschaftungsvertrages der City Toiletten. Der Landesverband Berlin/Brandenburg der Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung DCCV e.V. wünscht sich mehr saubere, gepflegte öffentliche Toiletten für Berlin. Öffentliche Toiletten sind in Berlin drang kommt, dann muss es schnell ge- Fehlanzeige. Alle Toiletten werden be- hen. Jeder kennt das Gefühl. Es ist wie wirtschaftet und sind kostenpflichtig. bei einer akuten Durchfallerkrankung. Manchmal denke ich, in dieser Stadt sind die Toiletten älter und weniger sau- Nicht genug, dass Bürger und Be- ber als im Rest der Republik, sagt Sonja sucher Berlins keine kostenfreie Toilette Arens, Landesbeauftragte der DCCV finden.Viele Restaurants besetzen ihre e.V. Der Landesverband der DCCV e.V. Toiletten mit Personal, das auch wieder will sich damit nicht zufrieden geben. die Hand aufhält. Meist ohne dass man die Mitarbeiter_innen bei irgendwelchen Die Diskussion über Toiletten am Reinigungsarbeiten sehen würde. Ostkreuz hat uns gezeigt, wie wenig Interesse der Senat an den Grundbe- Das ist verboten. Laut Gaststätten- dürfnissen seiner Bürger hat. Dort gibt gesetz ist die Toilette zur Verfügung zu es immer noch keine öffentliche Toilette. stellen. Es ist den Verantwortlichen völlig egal, dass wild im Stadtbild uriniert wird und Wie wollen wir Menschen mit diesem selbst die Erleichterung des großen Grundbedürfnis zukünftig umgehen? Geschäfts in Ermangelung öffentlicher Wir brauchen ein Bündnis für saubere Toiletten immer häufiger im Freien ver- Toiletten in unserem Land. Berlin könnte richtet wird. Mag sein, dass wir es hier Vorreiter werden. Nur leider fehlen der mit einer Verrohung der Sitten zu tun politische und der gesellschaftliche Wil- haben. Die Tatsache, dass es entweder le dazu. gar keine Toilette in der Nähe gibt oder Sonja Arens eben bezahlt werden muss, befeuert Landesbeauftragte der DCCV e.V. das öffentliche Erleichtern jedoch. Unsere Mitglieder sind Menschen mit chronischen Darmerkrankungen. Zur Teilhabe am öffentlichen Leben sind sie im besonderen Maße auf eine ausrei- chende Anzahl öffentlich zugänglicher Toiletten angewiesen. Wenn der Stuhl- FLAGGSCHIFF 9
Ableismus erkennen und begegnen Strategien zur Stärkung von Selbsthilfepotenzialen Frau A. fährt nach der Arbeit mit dem dem obigen Beispiel deutlich wird. Da- Bus nach Hause. Der Busfahrer ist an- mit erleben behinderte Menschen durch gesichts der Rollstuhlfahrerin, die in der den Ableismus das, was Menschen mit Rushhour mitgenommen werden möch- Migrationshintergrund durch den Ras- te, deutlich genervt und fragt: „Muss das sismus widerfährt oder Frauen durch denn sein, dass Sie um diese Zeit fah- Sexismus erleben. In jedem Fall wer- ren?“ Frau A. antwortet, es handele sich den die Betroffenen nicht als gleichbe- keineswegs um eine Kaffeefahrt, son- rechtigte Gegenüber wahrgenommen, dern der Bus solle sie von ihrer Arbeit sondern etikettiert und auf- oder abge- nach Hause bringen. Daraufhin schlägt wertet. die Ablehnung des Busfahrers in über- triebene Bewunderung um: „Oh, das ist Wie das Beispiel oben zeigt, sah gut, dass Sie Arbeit haben und arbeiten der Busfahrer Frau A. im Rollstuhl und können!“ verband damit sogleich die Vorstellung, dass sie sicherlich immer Zeit hätte und Wozu diese Broschüre? nicht unbedingt im Berufsverkehr den Bus benutzen müsse. Als Frau A. die- Die oben skizzierte Situation ist ei- sem Vorurteil widersprach, fand er es nes von vielen Beispielen für Able-is- ganz großartig, dass sie arbeitet. Bei ei- mus*. Ableismus ist ein recht neues, für nem nicht behinderten Fahrgast mittle- viele noch ungewohntes Konzept, das ren Alters kämen beide Reaktionen wohl aber wichtig ist, um so manche unange- nehme oder tief verletzende Erfahrung besser einordnen zu können. Der Begriff „Ableismus“ setzt sich zusammen aus dem englischen Wort „able“ (to be able = fähig sein) und „ismus“. Solche En- dungen deuten auf ein in sich geschlos- senes Gedankensystem. Ableismus (gleichbedeutend wird auch im englischsprachigen Raum von Ableism gesprochen) ist die alltägliche Reduktion eines Menschen auf seine Beeinträchtigung. Damit einher geht eine Abwertung (wegen seiner Beein- trächtigung) oder aber eine Aufwertung (trotz seiner Beeinträchtigung), wie in 10 FLAGGSCHIFF
Grund für unangenehme Erfahrungen bei sich selbst. Entsprechend wissen sie häufig nicht, wie sie ange- messen reagieren sollen. Das ist besonders schwie- rig, wenn wohlmeinende Menschen sich gegenüber behinderten Menschen un- bewusst grenzverletzend verhalten und Dank erwar- ten. Die Verunsicherung kann zu Identitätsproble- men und zum sozialen nicht vor: Der Busfahrer würde auf den Rückzug führen. Passagier nicht genervt reagieren und wenn er von der Erwerbstätigkeit des In dieser Situation kann es helfen, Fahrgastes erführe, würde er vermutlich das Konzept und die Mechanismen des gelangweilt die Schultern zucken. Ableismus zu kennen und zu verstehen. Dadurch werden die Betroffenen in die Vielen Menschen mit Behinderungen Lage versetzt, die Reaktionen der Mit- ist das Konzept des Ableismus noch menschen besser einordnen zu können. nicht vertraut. Sie verstehen die Reak- Entsprechend werden sie weniger ver- tionen der Mitmenschen häufig nicht unsichert und können besser auf das und sind verunsichert oder suchen den reagieren, was sie erleben. Als Frauen sich emanzipierten, hat es ihnen geholfen, die diskriminieren- den gesellschaftlichen Strukturen zu verstehen und durch die Erfahrungs- berichte anderer Frauen zu erkennen, dass sie nicht alleine und an ihrer Dis- kriminierung nicht selber schuld sind. Deshalb hat die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. – ISL diese elektronische barriere- freie Broschüre entwickelt. Das Projekt wurde vom AOK Bundesverband geför- dert. In dieser Broschüre wird das Kon- zept des Ableismus erklärt. Erfahrungs- berichte von Betroffenen verdeutlichen die Mechanismen und zeigen Reaktions- FLAGGSCHIFF 11
möglichkeiten auf. Dadurch werden ver- ohne Bindestrich, also Ableismus ge- schiedene Strategien bekannt gemacht, schrieben. Der Bindestrich soll lediglich mit denen man Ableismus begegnen das Lesen und Verstehen vereinfachen, kann. Jede*r kann davon profitieren und wenn dieser Begriff noch ungewohnt ist. eigene Strategien entwickeln. Wer durch die in dieser Broschüre enthaltenen Infor- Dr. Sigrid Arnade mationen, Interviews und Argumente Ab- ISL e.V. leismus erkennt, kann dagegen vorgehen Illustrationen: Phil Hubbe und sich so aktiv gegen diese Form der Benachteiligung wehren. Der Text ist ein Auszug aus der Bro- schüre. Die 20seitige Broschüre wartet Ableismus kommt in allen gesell- noch mit einem besonderen Highlight schaftlichen Bereichen vor, wie die Bei- auf: Die einzelnen Abschnitte sind mit spiele in dieser Broschüre zeigen. Ableis- passenden Cartoons von Phil Hubbe mus trifft Menschen mit unterschiedlichen illustriert. Die Broschüre steht zum kos- Beeinträchtigungen – auch das wird tenlosen Download bereit unter: durch die Erfahrungsberichte deutlich. www.isl-ev.de. *Able-ismus wird korrekterweise 12 FLAGGSCHIFF
Imagekampagne zur Jungen Selbsthilfe Adé, verstaubte Klischees und fal- andere Fachkräfte für das Thema sche Informationen über Selbsthilfe- Selbsthilfe sensibilisiert werden. gruppen! Mit der Kampagne „Mehr als ein Stuhlkreis“ möchte das Projekt Jun- Zur Kampagne gehören fünf Post- ge Selbsthilfe Berlin-Mitte / StadtRand karten- und Plakatmotive, die kostenfrei gGmbH junge Menschen für diese Form bei StadtRand gGmbH bestellt werden der gegenseitigen Unterstützung be- können. Außerdem informiert die Web- geistern. seite www.mehr-als-stuhlkreis.de über Selbsthilfegruppen und verweist auf Fünf junge Menschen aus fünf un- Selbsthilfekontaktstellen in Berlin sowie terschiedlichen Selbsthilfegruppen er- bundesweit. zählen von ihren eigenen Erfahrungen in der Selbsthilfe und ermutigen andere, Gefördert wird die Kampagne von es einfach auch mal auszuprobieren. der AOK und BKK. Die Kampagne richtet sich an jun- Fragen und Rückmeldungen an: ge Menschen, die mit ihren Anliegen Projekt Junge Selbsthilfe Berlin-Mitte / nicht alleine bleiben möchten, ihre StadtRand gGmbH Freund*innen und Angehörigen. Au- Franziska Anna Leers ßerdem sollen Sozialarbeiter*innen, kontakt@mehr-als-stuhlkreis.de Psycholog*innen, Pädagog*innen und FLAGGSCHIFF 13
Berliner Abendschau besucht die SoVD Landesgeschäftsstelle „Wer sich ehrenamtlich engagiert, Ein wichtiges Projekt vom SoVD ist packt meistens selbst mit an“, waren die aktuell das Inklusionstaxi. Ein Taxi, das einleitenden Worte vom RBB Moderator geräumig und bequem ist, damit Men- Sascha Hingst in der Berliner Abend- schen im Rollstuhl barrierefrei spontan schau. Am Abend des 6.1.2017 war von A nach B kommen können. Ein In- Praxistest - Michael Wiedeburg schiebt Dominik Peter in das Inklusionstaxi dann von Michael Wiedeburg, Landes- klusionstaxi muss nicht wie ein Fahr- vorsitzender des SoVD Berlin-Branden- dienst wochenlang vorher bestellt wer- burg e.V., der seit Jahren ehrenamtlich den, sondern wird wie ein richtiges Taxi und leidenschaftlich im Sozialverband kurzfristig bestellt. Ein Prototyp eines für die schwachen und bedürftigen Men- Inklusionstaxis stand dann auch zur An- schen kämpft, die Rede. „Ein Mann, der sicht für den RBB bereit. Dominik Peter, zieht ehrenamtlich Strippen für das Eh- Vorsitzender des Berliner Behinderten- renamt. Michael Wiedeburg hat Ideen, verbandes, sagte der Moderatorin dazu: die die Stadt besser machen können. „Das Inklusionstaxi ist wahnsinnig fle- Er sorgt dafür, dass die richtigen Leute xibel. Man kann Freunde mitnehmen, zusammen kommen“, berichtete Hingst man kann es adhoc bestellen, das gibt weiter. Lebensqualität“. Wiedeburg sammelte für das Projekt viele Fördergelder und 14 FLAGGSCHIFF
Michael Wiedeburg im Interview des RBB brachte Interessenverbände, das Taxi- Gesellschaft inklusiv gestalten. Es wäre gewerbe und die Berliner Politik zusam- mein schönster Tag, wenn wir mit allen men. “Ich bin stolz auf dieses Projekt“, Menschen, egal mit welcher Beeinträch- sagt Wiedeburg. Für Projekte wie das tigung, überall hingehen können, das Inklusionstaxi und für viele Jahre sozia- wäre mein Traum“, sagt Michael Wiede- les Engagement in diversen Positionen burg. Der SoVD bedankt sich für die gut und für viele Menschen erhielt Wiede- recherchierte Berichterstattung bei der burg das Deutsche Bundesverdienst- RBB Redakteurin Sabrina N’Diaye. kreuz verliehen. Schon als 15jähriger erhielt der heute 65jährige seinen ers- ten Behindertenausweis und musste für SoVD Presse seine Rechte kämpfen. Das hat ihn ein SoVD Landesverband ganzes Leben lang geprägt und beein- Berlin-Brandenburg e.V. flusst. „Wir müssen jeden Tag daran ar- beiten, dass wir jeden Bereich in unserer FLAGGSCHIFF 15
„Bist du behindert oder was?“ Diesen Satz hört mes ist, und um damit die Akzeptanz man auf Berlins gegenüber Gehandicapten zu steigern. Straßen in letzter Zeit häufiger, ver- Um zu sehen, wie Menschen mit und mutlich aus Unwis- ohne Handicaps miteinander umgehen, senheit. Diese Un- können alle Menschen ein Interview wissenheit bringt, ausfüllen. Diese werden dann veröf- wie bei so vielen Themen, leider viele fentlicht und können von jedem gelesen Probleme mit sich. Behindert zu sein ist werden. Es sind schon sehr schöne Ge- keine Beleidigung und hierzu muss auf- schichten dabei herausgekommen. geklärt werden. Ein Klick auf das Handicap Lexikon Wir, Jasper und Linus, haben aus unter www.handicap-lexikon.de lohnt diesem Grund das Handicap Lexikon sich für ein Interview und mehr Informa- ins Leben gerufen. In diesem Online- tionen. Wir würden uns auch über weite- Lexikon beschreiben wir alle möglichen re Texte für unser Lexikon freuen. Handicaps. Der Unterschied zu den anderen Informationsseiten ist, dass Frei nach dem Motto: „Bist du behin- wir die Texte kinderleicht schreiben, so dert oder was?“ „Ja, na und!“ dass sich auch Kinder oder Menschen mit Leseschwäche informieren können. Jasper Dombrowski Das fanden wir wichtig, um allen zu zei- jasper@handicap-lexikon.de gen, dass behindert sein nichts Schlim- Jasper und Linus, die Macher der Webseite www.handicap-lexikon.de 16 FLAGGSCHIFF
Das integrative Theaterensemble des Spastikerhilfe Berlin e.V. Das integrative Theaterensemble des Spastikerhilfe Berlin e.V. – piloti storti trat am 29. und 30.10.2016 gemeinsam mit Gästen aus Syrien und dem Irak mit seiner diesjährigen Produktion in der Weißen Rose in Berlin-Schöneberg auf. Die Schöne und das Biest – Al konkreten Beitrag zur Teilhabe von Dschamila wa Al Wahsch – Eine ver- Menschen mit Beeinträchtigungen und wickelte Casting Show Fluchterfahrung zu leisten. Damit re- agierte die Spastikerhilfe Berlin e.V. auf Wer ist das biestigste Biest? Wer ist das gesellschaftspolitische Thema der die schönste Schöne? Was finden wir letzten Jahre. Häufig bleibt gerade die- eigentlich schön? Und warum? ser Personenkreis in der Diskussion um Rund um dieses Thema fei- erten die piloti storti, Theater- ensemble Spastikerhilfe Berlin e.V., und Gäste aus Syrien und dem Irak, am 29.10.16 die Pre- miere ihrer diesjährigen Pro- duktion: Die Schöne und das Biest – Eine verwickelte Cas- ting Show. Vor ausverkauften Rängen des Kulturzentrums DIE WEIS- SE ROSE präsentierten die pi- loti storti performativ-theatrale Aktionen Integration und Inklusion außerhalb der mit arabischer Live-Musik über Bühnen- öffentlichen und politischen Wahrneh- träume und Starallüren, über Aufregun- mung. Dies zu ändern wurde zum Ziel gen und Enttäuschungen und über die aller Beteiligten. erlösungsbedürftige Sehnsucht nach Liebe. Dabei fungierten die Akteure mit Schnell wurden die neuen Mitglieder und ohne Behinderungen, mit und ohne mit Flucht- und Migrationserfahrung im Flucht- und Migrationserfahrung als Ide- Ensemble willkommen geheißen. Kultu- engeber des künstlerischen Schaffens. relle oder religiöse Ressentiments wa- ren nicht einmal ansatzweise Thema, Am Beginn des diesjährigen Thea- und es entwickelten sich nach kurzer terprojekts stand der Gedanke, einen Zeit persönliche Bindungen. FLAGGSCHIFF 17
tion: Die Schöne und das Biest - Eine verwickelte Casting Show. Ein Thema, so alt wie die Menschheit selbst. Genau wie die Weisheit, dass es mehr gibt, was uns vereint, als was uns trennt. In diesem Sinne verabschieden sich die piloti storti für dieses Jahr von der Theaterbühne, bereichert von neuen Eindrücken, Erfahrungen und Men- schen, die uns wahrlich willkommen sind. Wir bedanken uns herzlich bei der Aktion Mensch e.V., der atotech Deutschland GmbH sowie der Alexand- ra-Steffens-Stiftung, die die diesjährige Dieses Klima von Offenheit, Respekt Produktion gefördert haben. und Vertrauen begünstigte insbeson- dere die künstlerische Auseinanderset- Marko Georgi zung mit dem Thema Schönheit und Projektleiter Hässlichkeit der diesjährigen Produk- Spastikerhilfe Berlin e.V. 18 FLAGGSCHIFF
Eileen Moritz stellt sich vor Neue Bezirksbeauftragte für Menschen mit Behinderungen in Steglitz-Zehlendorf Am 02.01.2017 habe ich meine neue gesetzt zu den Themen Inklusion als Tätigkeit als Beauftragte für Menschen Menschenrecht, Barrierefreiheit, Em- mit Behinderung im Bezirk Steglitz-Zeh- powerment und Diversity. Zu all diesen lendorf aufgenommen. Themen habe ich auch Trainings und Weiterbildungen gestaltet. Als Supervi- So wie das Jahr 2017 ganz neu ist, sorin begleitete ich Veränderungs- und handelt es sich auch bei der Übernah- Inklusionsprozesse in unterschiedlichen me dieser Aufgabe um einen wirklichen Institutionen. Neubeginn, da es fast zwei Jahre keine Beauftragte in Steglitz-Zehlendorf gab. Als Bezirksbeauftragte für Men- schen mit Behinderung bin ich An- Ich bin Dipl. Sozialpädagogin und sprechpartnerin und Vermittlerin für die ausgebildete Supervisorin. Weil ich Belange der Mitbürgerinnen und Mitbür- selbst mit Behinderung lebe und im ger mit Behinderungen. Dabei bin ich Elektrorollstuhl unterwegs bin, teile ich Gesprächspartnerin für Vereine, Selbst- Erfahrungen mit Ausgrenzung, Vorur- hilfegruppen, Initiativen und Organisati- teilen und Diskriminierung, die viele onen, die sich mit der Lebenssituation Menschen mit Behinderungen machen. von Menschen mit Behinderungen be- Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn fassen. In Zusammenarbeit mit dem be- war es mir sehr wichtig, viele Bereiche zirklichen Beirat für Menschen mit Be- der Sozialarbeit kennenzulernen, denn hinderungen berate und unterstütze ich ich wollte nicht auf den Bereich Behin- das Bezirksamt und dessen Gremien derung festgelegt werden. So habe ich auf der Grundlage des Landesgleichbe- zum Beispiel acht Jahre lang in einem rechtigungsgesetzes in behindertenpo- Wohnprojekt für HIV-infizierte und an litischen Fragen. Meine Aufgabe ist es, AIDS erkrankte Menschen gearbeitet. dafür Sorge zu tragen, dass die Belange Erst im Jahre 2011 kehrte ich zu “mei- der Menschen mit Behinderungen bei nen Wurzeln” zurück und bin seither geplanten Projekten des Bezirksamtes auch beruflich in der politischen Behin- Berücksichtigung finden. derten- bzw. der Selbstbestimmt-Le- ben-Bewegung engagiert. Durch meine Es ist meine feste Überzeugung, intensive Auseinandersetzung mit der dass unsere gesamtgesellschaftliche UN-Behindertenrechtskonvention entwi- Auseinandersetzung mit Inklusion uns ckelten sich meine Arbeitsschwerpunkte alle voranbringt und zu einer Gesell- immer mehr hin zum Bildungsbereich. schaft mit Wertschätzung und Respekt Ich habe Angebote entwickelt und um- für Vielfalt führen kann. FLAGGSCHIFF 19
In beratender Funktion bin ich dar- Kontakt über hinaus das Bindeglied zwischen Eileen Moritz dem Bezirksamt und dem Beirat für Bezirksbeauftragte für Menschen mit Menschen mit Behinderungen. In die- Behinderung sem Beirat sind Bürgerinnen und Bürger mit Behinderungen, die örtliche Behin- Sprechzeiten: dertenselbsthilfe und Behindertenver- donnerstags von 10 bis 12 Uhr bände aktiv. Wenn Sie sich für Barrie- für weitere Termine wird um refreiheit und Gleichberechtigung stark telefonische Vereinbarung gebeten. machen möchten, wenden Sie sich gern Kirchstraße 1/3 an mich, denn der Beirat sucht gerade 14163 Berlin neue aktive Mitstreiter_innen. Raum A 27/28 (barrierefreier Zugang über Bauteil E) Ich freue mich sehr auf meine neuen behindertenbeauftragte@ba-sz.berlin.de Aufgaben und auf viele Begegnungen Tel.: (030) 90299-6309 im Bezirk. Eileen Moritz, die Beauftragte für Menschen mit Behinderung im Bezirk Steglitz- Zehlendorf Foto: Jacqueline Lorenz 20 FLAGGSCHIFF
„Nicht über uns ohne uns – Gesundheits- selbsthilfe im 21. Jahrhundert“ Unter diesem Titel veranstaltete die Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin am 10. November 2016 eine interes- sante Diskussionsrunde in den Räumen des ABSV. Nach der Begrüßung der Teilnehmer _innen durch die Vorsitzen- de Gerlinde Bendzuck moderierte Fran- ziska Müller von der „Antidiskriminie- rungsberatung Alter oder Behinderung“ die Veranstaltung mit viel Engagement und Sachkenntnis. Dr. Willibert Strunz (re.), Vorstand ACHSE e.V., zur Entwicklung der Selbsthilfe, im Hintergrund die Ge- bärdendolmetscher elemente- und Entwicklungsmomente der Selbsthilfe: Vielfalt, Gegenseitig- keitshilfe und Solidarität. Sie würden nicht nur die Welt der Selbsthilfe bewe- gen. Leider erlaube die begrenzte Zeit keine tiefergehende Reflexion. Deshalb sei die Problematik nur kurz als An- regung zur Diskussion zu betrachten. Hierbei seien Fragen wie „Warum ist die Selbsthilfe entstanden?“, „Was be- wegt die Selbsthilfe und was hält sie Gerlinde Bendzuck, Vorsitzende der zusammen?“, „Was macht sie für Men- LV Selbsthilfe begrüßt die Teilneh- schen mit Behinderung und chronischer mer_innen Krankheit so attraktiv?“ bedeutsam. Zum Thema Vielfalt und Selbsthilfe fin- de man im Internet eine Vielzahl von Das einleitende Referat hielt Dr. Wil- Ergebnissen, aber nur wenig Substan- libert Strunz vom Vorstand des Vereins tielles. Dr. Strunz polemisierte gegen ACHSE. oberflächliche Aussagen zur Selbsthilfe- bewegung. Er unterstrich die Bedeutung Er sprach über die historischen und der Vielfalt für die Selbsthilfe für ihre soziologischen Aspekte der drei Kern- Struktur, Inhalte, gesellschaftspolitische FLAGGSCHIFF 21
Ebenen seien Vertreter der Selbsthilfe in politische Meinungsbildungsprozesse eingebunden und würden wegen ihrer persönlichen, sozialen und der Sach- kompetenz hohes Ansehen genießen. Zur Identität: In den Selbsthilfe-Grup- pen, Verbänden und Dachverbänden werde zuweilen heftig gestritten. Das könne auch als lebendiges Miteinander gedeutet werden. Es sei normal, dass bei der Vielzahl der Gruppen und Ver- Martin Schultz, Deutsche Depressions bände konkurrierende Meinungen auf- Liga, in der Publikums-Diskussion treten. Auf Grund ihres starken Solidari- täts- und Identitätsgefühls zeige sich die Selbsthilfe aber immer wieder konsens- Akzeptanz, Geschichte und Identität. Er fähig. Zur Vielfalt, Gegenseitigkeitshilfe, spreche hier von der Selbsthilfe behin- Solidarität, Selbst- und Mitbestimmung: derter und chronisch kranker Menschen. Die heutige organisierte Selbsthilfe sei Strukturell ergebe sich das Bild einer geschichtlich gewachsen und nicht erst Mehr-Ebenen-Organisation: auf der in 1970-er und 1980-er Jahre entstan- kommunalen Ebene als Selbsthilfegrup- den. Ihre historischen Wurzeln reichen pe, Selbsthilfeverein und als Arbeitsge- ins 19. Jahrhundert zurück. Der Gedan- meinschaft, auf der Landesebene gebe ke der demokratischen Beteiligung und es Landesverbände, in der Regel als der damit zusammenhängenden Legiti- LAG. Auf der Bundesebene seien die mation der Sprecher und Vertreter finde meisten Bundesorganisationen in der sich auf allen Ebenen der organisierten BAG Selbsthilfe organisiert. Damit sei Selbsthilfe. Er sei ein Markenzeichen der Grad der Selbstorganisation behin- der Organisation, garantiere die Basi- derter und chronisch kranker Menschen sorientierung und sorge für Glaubwür- vergleichsweise hoch. Zu den Inhalten: digkeit bei der Interessenvertretung Selbsthilfe-Gruppen und -verbände bie- behinderter und chronisch kranker Men- ten sowohl eine Plattform für den per- schen. Ebenso wie die Kernelemen- sönlichen Austausch Betroffener und te der Solidarität und der Selbst- und deren Angehöriger als auch eine Platt- Mitbestimmung spielt auch die Vielfalt form für sozial- und gesundheitspoliti- eine starke Rolle. Von Anfang an war sche Meinungsbildung zum Transport das Genossenschaftswesen geprägt und zur Durchsetzung der Interessen durch eine Vielfalt seiner Mitgliedschaft, behinderter und chronisch kranker Men- durch Menschen unterschiedlicher ge- schen. Zur gesellschaftlichen und poli- sellschaftlicher Schichten beiderlei tischen Akzeptanz: Suche man danach, Geschlechts, die das Gleichbehand- seien Beteiligung und Teilhabe gute lungsprinzip als Verhaltensmaxime Gradmesser. Auf fast allen politischen wertschätzten. Selbsthilfe als Trendset- 22 FLAGGSCHIFF
ter: Die Feminisierung als gesellschaft- wie Vielfalt, die Berücksichtigung des licher Trend bedeutet, dass die Gesell- Fähigkeiten-Ansatzes und Solidarität schaft weiblicher wird. In der Selbsthilfe eine Gesellschaft reicher machen kön- engagieren sich schon heute insgesamt nen. mehr Frauen als Männer, allerdings spiegeln die Führungspositionen des Es schlossen sich zwei Kurzrefe- Verbandsbereichs zurzeit noch den ge- rate an: Dr. Siiri Doka, Juristin bei der samtgesellschaftlichen Ist-Zustand wi- BAG Selbsthilfe: „Sicherung und Un- der. Hier sei die Selbsthilfe schon weiter abhängigkeit der Selbsthilfe“, Marianne als große Teile der Gesellschaft. „Kultu- Schumacher, Vorstandstandsmitglied relle Vielfalt“ sei schon heute in vielen der ApK (Angehörige psychisch Kran- Bereichen der Gesellschaft Realität. ker e.V.): „Generationswechsel in der Die demografische Entwicklung und die Selbsthilfe (Nachwuchsgewinnung)“. verschiedenen Migrationsströme führen Das Schlusswort hielt Dr. Manfred zu pluralen Lebensformen zwischen Schmidt, Ehrenvorsitzender der LV Moderne und Tradition, Wertesysteme Selbsthilfe Berlin e.V. mit „Gedanken zur verschiedener Herkunftsländer konkur- Zukunft der Selbsthilfe“. rieren miteinander auf engstem Raum, das Entstehen von hybriden Kulturen sei die Folge. Notwendig ist, dass die unterschiedlichen Wertevorstellungen sich an der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen orientieren und dass die verschiedenen Formen der Kulturen sich öffnen. Was folge aus seinen Über- legungen? Es ist zu überlegen, ob in der Selbsthilfe behinderter und chronisch kranker Menschen zukünftig stärker betont werden sollte, dass die gesell- schaftspolitischen Ziele der Selbsthilfe- bewegung erstrebenswerte Ziele aller Menschen sind und nicht nur Privilegi- Dr. Siiri Doka, BAG Selbsthilfe e.V., en kleiner gesellschaftlicher Gruppen. referiert zur Unabhängigkeit der Alle Menschen sollten die gleiche Wert- Selbsthilfe schätzung erfahren – unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer In der Diskussion gab es zahlreiche Herkunft, Religion oder Weltanschau- Fragen und Anregungen, auch Kritiken, ung, Behinderung, Alter, sexueller Ori- z.B. dass sich oft scheinbare Kleinigkei- entierung und Identität. Selbsthilfe als ten im Alltag als große Hindernisse er- Gegenseitigkeitshilfe und Ausdruck von weisen können. Auch gebe es zu wenig Vielfalt sei eine Haltung und ein Gesell- behindertengerechte Wohnungen und schaftskonzept, mit dem vorgelebt wird, Unterkünfte. Es herrsche Empörung da- FLAGGSCHIFF 23
rüber, dass private Bauherren nicht zu bestätigt. Das vorhandene Potential ent- einem barrierefreien Bauen verpflichtet spreche nicht mehr unserem Anspruch worden sind. Dr. Doka forderte die An- an Selbsthilfe. wesenden auf, beim Thema Barrierefrei- heit weiter dran zu bleiben. Sie sprach Dietmar Polok, ProRetina e.V.: Der über die „Leitsätze der Zusammenarbeit Anspruch zur Beratung sei oft sehr hoch. mit Wirtschaftsunternehmen“, Finan- Er nutze trotz seiner Erblindung den PC zierungsgrundlagen der Selbsthilfe und und andere Möglichkeiten. Man kön- Spenden. Diese könnten manchmal ne sich spezialisieren: zu Krankheits- auch „Papiertiger“ sein. Es komme auf bildern und zu sozialer Beratung, aber die richtige Interpretation an. Zwischen bei Überforderung müsse professiona- der BAG Selbsthilfe und dem PARITÄTI- lisiert werden. So habe sein Vorstand SCHEN wurde ein Monitoringverfahren schon vor Jahren die Gründung einer entwickelt, und es kommen Prüfbitten gemeinnützigen GmbH und die Teilung der Verbände an den Monitoringaus- der Aufgabenbereiche beschlossen. schuss. Für die Verbände gelte es, die Rosemarie Mittermair, Eierstock- und Neutralität und Transparenz zu wahren, Gebärmutterkrebs: als ehrenamtliche insbesondere im Zusammenhang mit Selbsthilfegruppe sei man nicht befugt der Pharmaindustrie. und nicht berechtigt, fachliche, sachli- che, medizinische oder sonstige Bera- Frau Schumacher sprach über den tung anzubieten. Generationswechsel. Es sei notwen- dig, engagierte jüngere Menschen zu gewinnen, ihr Verein habe ein Schu- lungsprogramm für die ehrenamtliche Arbeit entwickelt. Ihre Vorschläge zu Themen wie Internet, Facebook, Cha- trooms, fehlende zeitliche Flexibilität und Belastung der Angehörigen habe sie bewusst als Fragen formuliert. Auch Miriam Walther von NAKOS, der Nati- onalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen, unterstrich, dass heutzutage Ansprüche einer Professio- Dr. Manfred Schmidt, Ehrenvorsitzen- nalität an die Selbsthilfegruppen-Arbeit der der LV Selbsthilfe, mit Gedanken gestellt werden, die kaum zu leisten zur Zukunft der Selbsthilfe sind. Es sei nicht verwunderlich, dass Jüngere mit kleinen Kindern davor zu- rückschrecken, ein Amt zu übernehmen. Dr. Manfred Schmidt, langjähriger Ihre Feststellungen wurden von Martin Vorsitzender des Landesbehinderten- Schultz, Deutsche DepressionsLiga, beirates und Ehrenvorsitzender der LV 24 FLAGGSCHIFF
Selbsthilfe Berlin e.V. hielt das Schluss- ganisation zu Organisation wesentlich: wort mit „Gedanken zur Zukunft der Mitgliedsbeiträge, Landesmittel, Förde- Selbsthilfe“. Hier einige seiner zentralen rung durch Krankenkassen, Spenden, Aussagen: Erbschaften, Stiftungsmittel usw. Die 1. Die originäre Selbsthilfe wird ihre Grundfinanzierung durch Mitgliedsbei- Bedeutung behalten und weiter bei der träge reicht oft nicht aus, um notwen- Gruppenarbeit eine wichtige Rolle spie- dige Ausgaben abzudecken. Es ist not- len, auch bei Kontakten über Telefon, wendig, wenn auch nicht einfach, den Internet und Skype, ebenso das Ehren- Staat mehr in die Verantwortung zu neh- amt. men. Das Land und die Krankenkassen 2. Informationen an die Mitglieder müssten die notwendigen hauptamtli- kommen über das Netz und E-Mails chen Stellen und Sachmittel wie Mieten schneller an die Nutzer. Die Vereine ha- mit finanzieren. ben eigene Internetseiten zur Selbstdar- Zusammenstellung: stellung. Dr. Rudolf Turber 3. Es ist notwendig, den Stand bei der gut entwickelten Patientenvertre- Im Herbst 2017 plant die LV Selbst- tung in Berlin zu halten. hilfe eine weitere Veranstaltung zum 4. Der Kampf um Barrierefreiheit in Thema Selbsthilfe im 21. Jahrhundert. der Öffentlichkeit, in Gebäuden und bei Gegenständen des täglichen Bedarfs Vollständige Referate können unter bleibt eine wichtige Aufgabe lv-selbsthilfe-berlin.de/veranstaltungen/ 5. Die Interessenvertretung für mehr 10-nov-2016-nicht-ueber-uns-ohne- Barrierefreiheit gegenüber Politik und uns-gesundheitsselbsthilfe-im-21- Verwaltung ist zu verstärken, d.h. einen jahrhundert/ engeren Kontakt zu den Entscheidern, heruntergeladen werden. vor allem den Bezirksämtern und Be- zirksverordnetenversammlungen sowie Mitarbeit in deren Ausschüssen. 6. Parallel zur Politik muss die Selbsthilfe ihre Interessen auch ge- genüber der Wirtschaft vertreten, dass generell barrierefrei gestaltet wird und auch Hilfsmittel hergestellt werden. Der Trend zu immer größeren Barrieren muss umgekehrt werden. 7. Es ist notwendig, weitere Mitstrei- ter zu gewinnen und sie für ihre Aufga- ben zu qualifizieren, wobei nicht alles ehrenamtlich gemacht werden kann. Alexander Spies, Piraten, und Voll- 8. Die Finanzierung der Vereine ist zeitaktivistin Uschi Lehmann, die an vielfältig und unterscheidet sich von Or- dem Tag ihren 73. Geburtstag feierte FLAGGSCHIFF 25
Selbsthilfe digital II: Sicherheit und Nutzen Was ist patientenorientierte Qualität in Bezug auf Sicherheit und Nutzen digitaler Gesundheitsanwendungen? Bei der zweiten Veranstaltung der Reihe Selbsthilfe Digital am 25.01.2017 folgten rund 100 Besucher_innen der Einladung der LV Selbsthilfe in den Sozialverband Deutschland, moderiert von Gerlinde Bendzuck Praxisbeispiele Bei den neuen digitalen Therapien, z.B. mit den vielen Gesundheitsapps und den wenigen bisher zertifizierten Medizinapps (erkennbar am CE-Kenn- zeichen) besteht oft noch Unklarheit über die Nutzen-Ziele und ihre Nach- weise sowie über Sicherheitsanforde- rungen. Dieses Orientierungs-Defizit betrifft Patient_innen, aber auch Ent- wickler und Forscher, Prüfinstanzen, Leistungsträger wie z.B. Krankenkas- sen, und Behandler. Dr. Markus Dahlem Kevin Röhl stellt das Diabetes-Blut- beschrieb als Firmengründer anhand zuckermess-System lumind vor der Medizinapp m-sense (Migränethe- Foto: Peter Strauß rapie), wie sich Entwickler mit diesen Fragen auseinandersetzen. Wann ist aus beschrieb er Nutzenbeispiele: Bei eine Medizinapp wirksam – wieviel we- der Diagnose, erleichtern vorprogram- niger Schmerz-Attacken, oder Schmerz- mierte Fragen die Arztdiagnose bei 18 verringerung, oder bessere Selbstwirk- von 44 Migräne-Formen. Als weiteres samkeit setzen den Maßstab? Was ist Beispiel erhalten Nutzer aufgrund der die Referenzgröße? Wie weit kann eine Eingaben nach ca. 6 Wochen Emp- Firma mit Informationen oder Thera- fehlungen und können dann z.B. mit pievorschlägen gehen, um sichere und Verhaltensänderungen (anders essen, wirksame Effekte zu erreichen (Beispiel Schlaf, Bewegung etc.) Schmerzatta- Medikamentenempfehlungen), und wo cken vermeiden oder verringern. Dies beginnen z.B. Haftungsrisiken durch un- wird zurzeit in einer Studie mit der Cha- sachgemäßen Gebrauch, oder unzurei- rité untersucht. chende Aufklärung (Beispiel Hirntumor als Migräneauslöser)? Er ist sich der Drei weitere Praxisbeispiele zeigten, Grenzen der App als Therapieinstru- wie Apps das Krankheitsmanagement ment bewusst: „Man muss sich immer für die Anwender_innen einfacher ma- wieder klar machen, wie weit die App chen (das ist der Nutzen), aber auch Ratschläge geben kann und wo der Arzt mehr krankheitsspezifische Sicherheit zwingend erforderlich ist“. Darüber hin- geben. Simone Pareigis stellt eine di- 26 FLAGGSCHIFF
tierte einen Prototypen einer App für Arzneimitteltherapiesicherheit (Sicher- med). Diese App soll zukünftig laienver- ständlich helfen, Wechselwirkungen zu vermeiden und so Komplikationen und Langzeitschäden zu vermeiden. Fachvortrag: Qualitätsanforderun- gen und die (neue) Rolle des Patien- ten Der Hamburger Medizinrechtsan- walt Sebastian Vorberg sagte in seinem Simone Pareigis (Selbsthilfegruppe Vortrag eine aktivere Rolle des Patien- für Leukämie- und Lymphompatien- ten als Steuerer der Nachfrage bei den ten Halle) stellt meine.WEGA vor digitalen Anwendungen voraus. Er hält Foto: Simone Pareigis die Verbraucher für fähig, anhand der bisherigen Übung im Umgang mit Be- gitale Patientenakte vor, meine.WEGA. wertungen wie z.B. beim Playstore auch Als selbst Betroffene hat sie gemeinsam bei den Gesundheits-Apps vorhandene mit einer IT-Firma diese webbasierte Bewertungen einschätzen zu können. Akte entwickelt, um zunächst für sich Anschließend beschrieb er Beispiele und ihre Selbsthilfegruppe die Krank- der Abgrenzung von Gesundheitsapps heitsverläufe und Befunde elektronisch und Medizinprodukten, z.B. am Merkmal zu dokumentieren und stets für verschie- der Zweckbestimmung. Die Medizinpro- dene Behandler einen Zugang ermög- dukte werden zudem in verschiedene lichen zu können. Röntgen- und MRT- Risikoklassen eingestuft. Herr Vorberg Bilder, Laborbefunde, Befundberichte erläuterte, dass bei den niedrigeren Ri- und Arztbriefe, Diagnosen und Therapi- sikoklassen der Medizinprodukte keine en können z.B. abgelegt, verwaltet und klinische Risiko- oder gar Nutzenprü- über gesicherte Zugänge vom Patienten fung für die Zulassung erforderlich ist, an die Behandler freigegeben werden. sondern eher Anforderungen an Daten- Diese Akte wird bereits im Raum Halle schutz, Datensicherheit, Bedienungsan- von Hunderten Betroffenen genutzt, ist leitung erfüllt sein müssen. Herr Vorberg kostenlos und krankheitsunabhängig. sieht in niedrigschwelligen Siegel zur Kevin Röhl stellte als selbst betroffener Qualitätssicherung, die von vielen Unter- Diabetiker ein von ihm entwickeltes digi- nehmen akzeptiert und genutzt werden, tales Blutzuckermessystem (lumind) vor, einen geeigneten Weg, Transparenz dass in Form einer kleinen Leuchte Aus- herzustellen und das für ihn zentrale kunft über den Blutzuckerstatus gibt, an Vertrauen der Verbraucher zu gewin- Messzeitpunkte erinnert und auch von nen. Dabei ist es wichtig, den Verbrau- Angehörigen an anderen Orten genutzt cher ausreichend aufzuklären (Beispiel werden kann. Hans von Trotha präsen- „Facebookgruppe Syphilis“). FLAGGSCHIFF 27
nikationsinstrument zwischen Arzt und Patient heraus. Dies sei wesentlich, weil eine bessere Arzt-Patienten-Kommu- nikation den Dreh- und Angelpunkt für eine bessere Behandlungsqualität dar- stellt. Momentan im unübersichtlichen App-Markt nach dem Anfangs-Hype sei es jedoch für Ärzte und Patienten sehr schwierig, hochwertige Apps von unseriösen mit z.B. falschen Gesund- heitsinformationen zu unterscheiden. Daher hält sie es ebenfalls für wichtig, In der Pause: Gespräche mit dem dass viele Apps als Medizinprodukte mit Entwicklern (Dr. Markus Dahlem) CE-Kennung zertifiziert werden, damit Foto: Peter Strauß sie leichter und ohne Haftungsrisiko von den Ärzten verordnet werden können. Impulsvortrag: die Perspektive Frau Mauersberg sieht es als sehr der Verbraucher_innen vorteilhaft an, dass Gesundheitsdaten Susanne Mauersberg von der Ver- mit einer App auf zwei Weisen darstell- braucherzentrale Bundesverband (vzbv) bar sind, übersichtlich und gut verständ- begrüßt im Sinn eines aufgeklärten Ver- lich für den Patienten, und medizinisch- brauchers die stärkere Verbreitung von detailliert für den Arzt. Die Umfrage Qualitätsstandards bei Apps. Sie hinter- bestätigt auch den sich abzeichnenden fragt jedoch die Position von Herrn Vor- Rollenwandel im Arzt-Patienten-Ver- berg, dass die „Schwarmintelligenz“ der hältnis: Viele Menschen wollen mehr Verbraucher ausreiche, den Markt im Verantwortung übernehmen und wün- Sinn der Patienten zu regulieren. Frau schen sich als die Patienten eine akti- Mauersberg hob die Bedeutung der Be- vere Rolle im Behandlungsgeschehen, teiligung von Nutzern und Ärzten bei der was sie am Beispiel der Befragungser- Entwicklung der App als wesentliches gebnisse elektronischen Patientenakte Qualitätsmerkmal hervor. Dies betrifft erläuterte. Die Befragungsergebnisse u.a. Art, Umfang, Darstellung der erho- sind hier einzusehen: benen Informationen oder die Datensi- http://www.vzbv.de/pressemitteilung/ cherheit. Sie plädierte aufgrund der von fuer-eine-gute-digitale- der vzbv durchgeführten Verbraucher- gesundheitsversorgung Umfrage mit Fokusgruppen für eine Steigerung der Behandlungsqualität via Wie jedes Messer oder andere Ge- App. brauchsgegenstände könne man die Di- gitalisierung zum Guten oder Schlechten Frau Mauersberg stellte die Bedeu- verwenden. Man müsse dieses Spekt- tung der App als innovatives Kommu- rum ausleuchten: auf der einen Seite to- 28 FLAGGSCHIFF
Sie können auch lesen