Demokratieverständnisse und -bewertungen in Europa: Ergebnisse der 6. Welle des European Social Survey

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Demokratieverständnisse
und -bewertungen in Europa:
         Ergebnisse der 6. Welle des
             European Social Survey

      ESS Topline
          Results

                        Ausgabe
2 ESS Topline Results (4)

Zugang zu den Daten und Dokumentationen
des European Social Survey

Das European Social Survey European Research             Es stellt praktische Beispiele und Aufgaben zur
Infrastructure Consortium (ESS ERIC) bietet              Verfügung, um Benutzerinnen und Benutzer
kostenlosen Zugang zu all seinen Daten und               ausgehend vom theoretischen Problem bis hin zur
Dokumentationen. Diese können unter                      Interpretation statistischer Ergebnisse durch den
www.europeansocialsurvey.org eingesehen und              Forschungsprozess zu leiten. Acht Themen sind
heruntergeladen werden.                                  aktuell im Rahmen der Verwendung der ESS Daten
                                                         verfügbar.
Mit EduNet und NESSTAR wurden zwei spezifische
Instrumente zur Erleichterung des Zugangs und der
                                                         NESSTAR
Nutzung des stetig wachsenden ESS-Datenangebots
entwickelt. Beide sind über die Webseite des ESS zu      Das ESS Online Analyseangebot verwendet
erreichen.                                               NESSTAR - ein Online-Werkzeug zur Datenanalyse.
                                                         Informationen zur Verwendung von NESSTAR sind
EduNet                                                   auf der Webseite des Norwegian Social Science
Das ESS e-Learning Tool EduNet wurde für die             Data Services (www.nesstar.com/index.html)
Verwendung im Hochschulbereich entwickelt.               verfügbar.

 Öffentliche Einstellungen spielen in demokratischen     Die ESS Topline Results Series bietet eine Einführung
 Gesellschaften eine entscheidende Rolle. Sie spiegeln   in Schlüsselthemen europäischer Gesellschaften
 wider, an was die Bürger glauben, was sie wollen,       durch führende Wissenschaftlerinnen und
 fürchten und präferieren. Sie sind schwer messbar,      Wissenschaftler. Zusätzlich zu einer Darstellung
 werden oft nicht ausgesprochen und lassen sich          der Daten werden mit der Reihe zudem zu
 nicht allein aus Wahlentscheidungen ableiten. Sie       Grunde liegenden Theorien sowie detaillierte
 können auch nicht durch Meinungsumfragen der            wissenschaftliche Analysen bereitgestellt. Somit ist
 Medien ermittelt werden, die eher momentane und         die Reihe hoffentlich nicht nur informativ, sondern trägt
 unvollständige Einblicke in die Entstehung und den      auch zur Nutzung der umfangreichen Datenquelle bei.
 Wandel von Einstellungen geben. Der European Social
 Survey bietet ausführliche Daten zu Einstellungen und   Rory Fitzgerald
 Verhaltensweisen der Öffentlichkeit unter Verwendung    Direktor ESS ERIC
 höchster methodischer Standards und wiederholter
 Messungen über die Zeit hinweg.

Über die Autoren und Autorinnen dieser Ausgabe:
Mónica Ferrin, Post-Doktorandin an der Universität Zürich, Schweiz.
Hanspeter Kriesi, Stein Rokkan Vorstand für Vergleichende Politikwissenschaft am European University Institute,
Florenz, Italien.
Beide waren Mitglieder des Questionnaire Design Teams (QDT), welches die Fragen des Themenmoduls
„Europäische Verständnisse und die Evaluation von Demokratie“ entwickelt hat. Weitere QTD Mitglieder waren:
Leonardo Morlino, LUISS Rom, Italien;
Pedro Magalhães, Universität Lissabon, Portugal;
Sonia Alonso, Universität Georgetown, Qatar;
Bernhard Weßels, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Deutschland.
September 2014
Deutsche Übersetzung: ESS Team Deutschland (Kontakt: christian.schnaudt@gesis.org)
Ergebnisse der 6. Welle des European Social Survey 3

Demokratieverständnisse und -bewertungen in Europa:
Ergebnisse der 6. Welle des European Social Survey
Mónica Ferrin und Hanspeter Kriesi

Einleitung
In Europa wird die Demokratie von vielen          Es stellt innovative Indikatoren bereit, die
als universeller Wert und bestmögliches           sowohl die Bedeutung, die Europäer*innen
System zur Organisation der Präferenzen           der Demokratie zuweisen, als auch
der Bürgerinnen und Bürger angesehen.             deren Bewertungen der demokratischen
Gleichzeitig bestehen jedoch große                Leistungsfähigkeit ihrer Länder erfassen. Die
Bedenken über die augenscheinliche                6. Welle des ESS wurde gegen Ende des
Unzufriedenheit der Öffentlichkeit mit der        Jahres 2012 in 29 Ländern durchgeführt. In
Art und Weise, wie die Demokratie in den          diesen wurden ungefähr 54.600 standardisierte
meisten europäischen Ländern tatsächlich          Face-to-Face Interviews erhoben, welche
funktioniert. Europäische Demokratien stehen      eine repräsentative Zufallsstichprobe der
vor ernsten Herausforderungen, die das            nationalen Bevölkerungen abbilden. Jedes Land
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die       organisierte hierbei selbst die Übersetzung
Problemlösungskompetenz ihrer Demokratien         der Fragen sowie die Datenerhebung unter
untergraben könnten. Eine dieser wesentlichen     Beachtung der internationalen Spezifikationen
Herausforderungen ist die Globalisierung          und Vorgaben des ESS Core Scientific Teams.i
und die aus ihr resultierende Erosion der
Macht nationaler Parlamente zu Gunsten            Dieser Bericht präsentiert die zentralen
supranationaler Organisationen wie der            Ergebnisse der teilnehmenden Länder.ii
Europäischen Union sowie globaler Konzerne.       Diese umfassen Länder vier verschiedener
Eine weitere Herausforderung stellt die           geografischer Regionen: Sieben west-
schwerwiegende Wirtschaftskrise dar, welche       europäische Länder (Belgien, Frankreich,
die europäischen Demokratien in den letzten       Deutschland, Irland, Niederlande, Schweiz
Jahren getroffen hat.                             und das Vereinigte Königreich), fünf nord-
                                                  europäische Länder (Dänemark, Finnland,
Vor diesem Hintergrund ist es von
zentraler Bedeutung, die Einstellungen der        Island, Norwegen und Schweden), vier
Europäer*innen zur Demokratie umfassend zu        südeuropäische Länder (Italien, Portugal,
betrachten. Sind die Menschen in Europa noch      Spanien und Zypern) sowie das angrenzende
immer überzeugt von der Demokratie? Wenn ja,      Israel und zwölf mittel- und osteuropäische
was genau sollte ihrer Meinung nach durch die     Länder (Albanien, Bulgarien, Tschechien,
Demokratie gewährleistet werden? Mit welchen      Estland, Ungarn, Litauen, Polen, Slowenien,
Aspekten der Demokratie ihrer Länder sind         Slowakei, Kosovo, Russland und Ukraine).
Europäer*innen insbesondere unzufrieden?          Diese Länder unterscheiden sich wesentlich
Bisher mangelte es an detaillierten Daten         im Hinblick auf ihre demokratische
bezüglich der Einstellungen der Bürger*innen      Leistungsfähigkeit sowie ihre Betroffenheit von
gegenüber der Demokratie in Europa. Ein neues     der Wirtschaftskrise. Dies ermöglicht uns zu
Fragemodul der 6. Welle des European Social       untersuchen, wann und wieso die Unterstützung
Survey (ESS) bietet nun die Möglichkeit, dieses   für die Demokratie einer Belastung ausgesetzt
Thema anzugehen.                                  wird.
4 ESS Topline Results (4)

Demokratie - ein mehrdimensionales                Inklusivität bezieht sich auf das Ausmaß, in
Konzept                                           dem demokratische Rechte und Pflichten auf
                                                  die gesamte Bevölkerung ausgedehnt oder
Obwohl sich Politikwissenschaft und               bestimmte Gruppen ausgeschlossen werden.
Bevölkerung darin einig sind, dass Demokratie     Dies ist besonders im europäischen Kontext
an und für sich wertzuschätzen ist, gibt es       relevant, wo der Anteil an Immigranten fast 10%
weitaus weniger Übereinstimmung darüber,          der Bevölkerung ausmacht. Die Dimension
was Demokratie ist oder sein sollte. Das
                                                  der Repräsentation unterscheidet generell
Themenmodul zu Demokratie der 6. ESS Welle
                                                  zwischen Mehrheitssystemen, in denen die Macht
basiert daher auf einem mehrdimensionalen
                                                  tendenziell in den Händen einzelner Parteien liegt,
Demokratiekonzept, das sich hauptsächlich
                                                  und proportionalen Systemen, die tendenziell zu
auf die Arbeit von Morlino (2009) und Kriesi et
al. (2013) stützt. Angesichts der zahlreichen     einer Machtverteilung zwischen verschiedenen
Demokratieverständnisse, die verschiedene         Parteien führen.
Menschen verinnerlicht haben könnten, haben
                                                  Für jede dieser Subdimensionen wurden im
wir den Begriff der Demokratie erweitert, um
                                                  Themenmodul der 6. Welle je zwei Fragen
auch Vorstellungen einzubeziehen, die über
                                                  gestellt, die zwei verschiedene Aspekte der
das klassisch-liberale Model hinausgehen. Wir
                                                  Einstellungen der Menschen zur Demokratie
unterscheiden zwischen sechs Dimensionen, die
darauf abzielen, verschiedene Komponenten der     unterscheiden. Eine erste Frage bezieht sich auf
Demokratie zu erfassen (siehe Tabelle 1).         die Wichtigkeit, die die Bürgerinnen und Bürger
                                                  den einzelnen Subdimensionen der Demokratie
Die ersten beiden Dimensionen aus Tabelle         beimessen, d.h. den zugeschriebenen
1 umfassen die prozeduralen Elemente              Bedeutungsgehalt von Demokratie. Die andere
des liberal-demokratischen Modells: Das           Frage zielt darauf ab, die Einschätzungen der
Wahlverfahren sowie dessen Komponenten            Menschen darüber zu erfassen, inwieweit jede
(elektorale Dimension) und die Gewährleistung     dieser Subdimensionen von Demokratie in ihrem
des Schutzes der Bürgerinnen und Bürger vor       Land verwirklicht ist, d.h. ihre Bewertung der
willkürlichen Entscheidungen der Regierung        Demokratie. Um eine Vermischung zwischen der
(liberale Dimension). Die nächsten beiden         Sichtweise der Bevölkerung auf die Demokratie
Dimensionen erweitern diese klassische            als Ideal und ihrer Einschätzung über das
Definition der Demokratie um zwei zusätzliche     tatsächliche Funktionieren ihrer Demokratien
Modelle. Das soziale Demokratiemodell füllt       zu vermeiden, wurden die Befragten zunächst
das Demokratiekonzept mit substantiellem          nach der Wichtigkeit aller Subdimensionen
Inhalt und betrachtet das Erzielen bestimmter     des Demokratiekonzepts im Allgemeinen
sozialer Ergebnisse (z.B. die Verringerung der    befragt und anschließend aufgefordert,
Ungleichheit) als wesentliches Merkmal einer
                                                  diese bezogen auf ihr Land zu bewerten.
demokratischen Regierung (soziale Dimension).
                                                  Wie in Abbildung 1 dargestellt, wurden die
Das direktdemokratische Modell steht              Einstellungen zu jeder Subdimension mit einer
dem klassischen liberal-repräsentativen           Skala von 0-10 gemessen (mit Ausnahme
Demokratiemodell gegenüber und beinhaltet         der drei Subdimensionen, die in Tabelle 1 mit
die Idee, dass der Bevölkerung ein direktes       einem Sternchen* gekennzeichnet sind).iii Aus
Mitspracherecht bei Entscheidungen eingeräumt     Platzgründen konzentriert sich die folgende
werden sollte (direktdemokratische Dimension).    Analyse auf die elektorale, die liberale, die soziale
Die letzten Dimensionen in Tabelle 1 zeigen       und die direktdemokratische Dimension der
unterschiedliche Wege der Institutionalisierung   Demokratie (mit Ausnahme der mit Sternchen
von Demokratie auf. Die Dimension der             gekennzeichneten Subdimensionen).
Ergebnisse der 6. Welle des European Social Survey 5

Tabelle 1: Dimensionen und Subdimensionen von Demokratie

 ELEKTORALE DIMENSION (Wahl-Dimension)
                                               Freie und faire Wahlen
 Wettbewerb                                    Differenziertes Angebot der Parteien
                                               Freie Oppositionskritik an der Regierung
                                               Retrospektive Verantwortlichkeit durch Wahlen
 Vertikale Verantwortlichkeit
                                               Rechtfertigung von Entscheidungen durch die Regierung
 Deliberation                                  Teilnahme an politischen Diskussionen
                                               Responsivität gegenüber den Bürgern*
 Responsivität                                 Responsivität gegenüber den Regierungen anderer EU-
                                               Länder

 LIBERALE DIMENSION
 Rechtsstaatlichkeit                           Gleichheit vor dem Gesetz
 Horizontale Verantwortlichkeit                Gewaltenteilung und Regierungskontrolle durch die Gerichte
 Minderheitenrechte                            Schutz von Minderheitenrechten
 Meinungsfreiheit                              Freiheit, seine eigenen Sichtweisen auszudrücken*
                                               Medienfreiheit
 Pressefreiheit
                                               Zuverlässigkeit der Medien

 SOZIALE DIMENSION
                                               Schutz vor Armut
 Soziale Gerechtigkeit
                                               Verringerte Einkommensungleichheit

 DIREKTDEMOKRATISCHE DIMENSION
 Direkte Beteiligung                           Bürgerbeteiligung durch Volksabstimmungen

 INKLUSIVITÄTSDIMENSION
 Inklusivität                                  Inklusivität von Beteiligungsrechten (Migranten)

 REPRÄSENTATIONSDIMENSION
 Art der Repräsentation                        Mehrheits- oder Verhältnissysteme*

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012
6 ESS Topline Results (4)

 Abbildung 1: Fragen der 6. ESS Welle zur Bedeutung und Bewertung der Demokratie

                                                  Bedeutung
            Bitte benutzen Sie folgende Liste und sagen Sie mir, wie wichtig es aus Ihrer Sicht für die
           Demokratie im Allgemeinen ist, …dass Wahlen zum nationalen Parlament frei und fair sind?

         Überhaupt nicht                                                                    Äußerst
          wichtig für die                                                               wichtig für die
         Demokratie im                                                                  Demokratie im
          Allgemeinen                                                                    Allgemeinen

            0        1        2        3       4        5        6       7       8        9       10

                                                   Bewertung
                   Bitte sagen Sie mir jetzt anhand von folgender Liste, wie sehr die folgenden
                       Aussagen Ihrer Meinung nach für [LAND] zutreffen. Die Wahlen zum
                                [NATIONALEN PARLAMENT] sind frei und fair.
        Trifft überhaupt                                                                Trifft voll und
             nicht zu                                                                      ganz zu

           0        1        2        3        4       5        6       7       8        9        10

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012

Die Bedeutung von Demokratie in Europa                      Doch wie stark unterstützen die Europäerinnen
                                                            und Europäer die verschiedenen Dimensionen
In den meisten ESS Ländern besteht ein starkes              und Subdimensionen der Demokratie?
Bekenntnis zur Demokratie (Abbildung 2). Die                Die Abbildungen 3 bis 5 stellen jeweils die
durchschnittliche Zustimmung zur Aussage,                   durchschnittliche zugeschriebene Wichtigkeit
dass es wichtig ist, in einem Land zu leben,                der in Tabelle 1 aufgeführten Attribute (die mit
das demokratisch regiert wird, liegt in 24 der              Sternchen* markierten Attribute ausgenommen)
29 teilnehmenden Länder der 6. Welle bei über               für die elektorale (Abb. 3), die liberale (Abb.
                                                            4), die soziale sowie die direktdemokratische
8 (gemessen auf einer Skala von 0-10). Die
                                                            Demokratiedimension (Abb. 5) –nach Regionen
Ausnahmen sind Portugal, Tschechien, Litauen,
                                                            zusammengefasst— dar. Die Abbildungen
die Ukraine und Russland. Zwischen den Ländern
                                                            verdeutlichen, dass Europäer*innen unabhängig
gibt es jedoch einen recht großen Unterschied               von ihrem Wohnort relativ anspruchsvolle
in der Stärke der Zustimmung, wobei Zypern                  Anforderungen an die Demokratie stellen. In
die Demokratie als höchstes Ideal am stärksten              allen vier Regionen ist der Mittelwert auf der
befürwortet (Mittelwert = 9,5) und Russland am              Wichtigkeitsskala für die meisten Attribute gleich
wenigsten (Mittelwert = 6,5).                               oder höher als 8.
Ergebnisse der 6. Welle des European Social Survey 7

 Abbildung 2: Wahrgenommene Wichtigkeit, in einem demokratischen Land zu leben (0-10)

Russland
Ukraine
Litauen
T. Republik
Portugal
Estland
Frankreich
Polen
Slowakei
Slowenien
Belgien
V. Königreich
Irland
Spanien
Bulgarien
Niederlande
Ungarn
Italien
Kosovo
Finnland
Schweiz
Albanien
Deutschland
Israel
Island
Norwegen
Schweden
Dänemark
Zypern

            0   1         2          3         4        5           6        7         8         9        10
                                                    Mittelwert

Quelle: European Social Survey Round 6, 2012

Darüber hinaus wird ersichtlich, dass                       weitgehend vergleichbar zwischen den Ländern.
Europäer*innen ein weit gefasstes Verständnis               Unsere Analyse, die sich auf die von den Befragten
von Demokratie haben, das nicht auf ein rein                als wesentlich eingestuften Merkmale einer
prozedurales Demokratiekonzept begrenzt ist.                Demokratie fokussiert (d.h. eine mit 10 bewertete
Neben den prozeduralen Kernaspekten einer                   Subdimension auf der Wichtigkeitsskala von
liberalen Wahldemokratie, wie z.B. freie und                0-10), verdeutlicht zwei Dinge bezüglich des
faire Wahlen sowie Gleichheit vor dem Gesetz,               Demokratieverständnisses der Befragten.
bewerten die Befragten auch die soziale und
direktdemokratische Demokratiedimension                     Zunächst scheinen die Befragten empirisch
mit durchschnittlich über 8 von 10 Punkten.                 zwischen drei Hauptaspekten der Demokratie
Gemäß der Idealvorstellung der Europäer*innen               zu unterscheiden, die den verschiedenen
sollte Demokratie eine soziale Dimension                    Demokratiemodellen aus Tabelle 1 entsprechen.
beinhalten und den Bürgerinnen und Bürgern die              Basierend auf einer Mokken-Skalenanalyse
Möglichkeit geben, sich direkt an der politischen           dichotomer Items, die durch eine Rekodierung
Entscheidungsfindung zu beteiligen.                         der ursprünglichen 11-Punkte-Skala zu 1 oder
                                                            0 erstellt wurden – abhängig davon, ob die
Die weitere Untersuchung der Einstellungen                  Befragten jede Subdimension als notwendige
gegenüber den verschiedenen Subdimensionen                  Voraussetzung für Demokratie bewerten (10=1)
der Demokratie legt nahe, dass Europäer*innen               oder nicht (0/9=0) – können die Einstellungen
ein klar definiertes Verständnis davon haben,               empirisch zu drei Indizes zusammengefasst
was Demokratie ausmacht (d.h. davon, was                    werden: Einem liberalen Demokratieindex
vorhanden sein muss, um eine Demokratie zu                  (welcher die Attribute der liberalen und
identifizieren). Dieses Verständnis ist zudem               der elektoralen Dimension umfasst), einem
8 ESS Topline Results (4)

 Abbildung 3: Durchschnittliche Wichtigkeit der elektoralen Demokratiedimension
 (0-10), nach Region
              10

              9

              8

              7

              6
 Mittelwert

              5

              4

              3

              2

              1

              0
                                    Rechtfertigung von                                                               Deliberation       Responsivität
                                                                          Retrospektive    Unterschiedliche
                   Freie Wahlen        Regierungs-     Freie Opposition                                                                gegenüber EU-
                                                                        Verantwortlichkeit     Parteien
                                     entscheidungen                                                                                     Regierungen
                   Nordeuropa           Westeuropa              Südeuropa            Mittel- und Osteuropa

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012

 Abbildung 4: Durchschnittliche Wichtigkeit der liberalen Demokratiedimension
 (0-10), nach Region
              10

               9

               8

               7

               6
 Mittelwert

               5

               4

               3

               2

               1

               0
                   Gleichheit vor             Zuverlässigkeit                                            Minderheiten-
                                                                            Gewaltenteilung                                         Medienfreiheit
                   dem Gesetz                  der Medien                                                   schutz

                   Nordeuropa           Westeuropa              Südeuropa            Mittel- und Osteuropa

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012
Ergebnisse der 6. Welle des European Social Survey 9

 Abbildung 5: Durchschnittliche Wichtigkeit der sozialen und direktdemokratischen
 Demokratiedimension (0-10), nach Region
              10

              9

              8

              7

              6
 Mittelwert

              5

              4

              3

              2

              1

              0
                    Schutz vor            Einkommensun-              Volksabstim-
                      Armut                  gleichheit                mungen

                   Nordeuropa    Westeuropa         Südeuropa          Mittel- und Osteuropa

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012

sozialen Demokratieindex (welcher die beiden                          Demokratievorstellung) zwei Subdimensionen –
Attribute der sozialen Dimension umfasst) und                         Gleichheit vor dem Gesetz sowie freie und faire
einem direktdemokratischen Demokratieindex                            Wahlen – als essentiell für die Demokratie.
(welcher das Attribut der direktdemokratischen
Demokratiedimension umfasst).                                         Diejenigen mit höheren Anforderungen an
                                                                      Demokratien halten zudem weitere Merkmale für
Des Weiteren ist die Demokratievorstellung der                        notwendig, einschließlich der Gewaltenteilung, der
Europäer*innen hierarchisch geordnet. Sie sind                        Rechtfertigung von Regierungsentscheidungen
der Ansicht, dass einige Attribute der Demokratie                     und der Zuverlässigkeit der Medien. Die
wichtiger sind als andere. Nicht jeder wird also                      hierarchische Anordnung der Items des liberalen
gleich hohe Ansprüche an die Demokratie stellen:                      Demokratieindexes ist in allen Ländern ähnlich.
Einige Menschen vertreten eine minimalistische                        Eine gebündelte Analyse aller 29 ESS-Länder
Auffassung von Demokratie und erachten                                zeigt, dass „Gleichheit vor dem Gesetz“ am
nur einige wenige Aspekte als essentiell,                             wichtigsten und „Berücksichtigung anderer
während andere umfassendere Anforderungen                             EU Regierungen“ als am wenigsten wichtig
aufweisen. Allerdings stufen diejenigen mit                           angesehen wird (Tabelle 2).iv
geringeren Ansprüchen an die Demokratie die
gleichen demokratischen Grundprinzipien als                           Obwohl es in allen ESS-Ländern ein
wesentlich ein wie diejenigen mit umfassenderen                       gemeinsames Verständnis darüber gibt, dass
Erwartungen (wobei letztere zusätzlich noch                           der Demokratiebegriff hierarchisch geordnet
weitere Anforderungen an die Demokratie stellen).                     ist und drei verschiedene Aspekte umfasst
Betrachtet man beispielsweise die zwölf Attribute                     –veranschaulicht durch die drei Indizes für
des liberalen Demokratieindexes, so identifiziert                     liberale, soziale und direkte Demokratie – so
eine Mehrheit der Befragten (einschließlich                           existieren hinsichtlich der relativen Bedeutung
derjenigen mit einer minimalistischen                                 dieser drei Aspekte Unterschiede zwischen
10 ESS Topline Results (4)

den Ländern. Anhand der Einschätzungen der        und weisen eine geringere Wahrscheinlichkeit
Befragten, inwieweit diese einzelnen Aspekte      auf, einen der drei Aspekte als essentiell für die
wesentlich für die Demokratie sind, werden in     Demokratie einzustufen. Dazwischen liegen Länder
Abbildung 6 die länderspezifischen Unterschiede   wie z.B. Deutschland und Schweden, in denen
in den Mittelwerten für jeden der drei Indizes    die Attribute des liberalen Demokratieindexes
veranschaulicht. In einigen Ländern stellt die    als wesentlich bewertet werden, nicht aber
Bevölkerung hohe Anforderungen an die             die Elemente des direktdemokratischen
Demokratie und bewertet alle drei Aspekte als
                                                  Demokratieindexes. In den meisten Ländern
wesentlich für die Demokratie.
                                                  weisen die ähnlichen Werte aller drei Indizes
Dies gilt insbesondere für Albanien, Zypern,      jedoch drauf hin, dass die Bevölkerung die
Bulgarien und Kosovo. Im Gegensatz dazu haben     verschiedenen Demokratiemodelle nicht
die Befragten in Ländern wie den Niederlanden,    als widersprüchlich oder sich gegenseitig
Finnland, Belgien und der Slowakei deutlich       ausschließend wahrnimmt, sondern vielmehr als
geringere Anforderungen an die Demokratie         einander ergänzend.

Tabelle 2: Das Demokratieverständnis der Europäer*innen: Rangfolge der Subdimensionen,
die für die Demokratie als essentiell bewertet werden

 INDEX UND SUBDIMENSIONEN                                     HIERARCHISCHE RANGFOLGE

 LIBERALER DEMOKRATIEINDEX
 Gleichheit vor dem Gesetz                                                   1
 Freie und faire Wahlen                                                      2
 Gewaltenteilung                                                             3
 Rechtfertigung von Regierungsentscheidungen                                 4
 Zuverlässigkeit der Medien                                                  5
 Retrospektive Verantwortlichkeit durch Wahlen                               6
 Schutz von Minderheitenrechten                                              7
 Medienfreiheit                                                              8
 Freie Oppositionskritik an der Regierung                                    9
 Differenzierte Parteien                                                     10
 Teilnahme an politischen Diskussionen                                       11
 Responsivität gegenüber EU-Regierungen                                      12

 SOZIALER DEMOKRATIEINDEX
 Schutz vor Armut                                                            1
 Verringerte Einkommensungleichheit                                          2

 DIREKTDEMOKRATISCHER-DEMOKRATIEINDEX
 Bürgerbeteiligung durch Volksabstimmungen                                   1

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012
Ergebnisse der 6. Welle des European Social Survey 11

Die Demokratiebewertungen der                                                                                                                                            Demokratiedimension deutlich. In allen vier
Europäer*innen                                                                                                                                                           europäischen Regionen werden die liberale
                                                                                                                                                                         und die elektorale Dimension generell
Nachdem wir die Idealvorstellungen von                                                                                                                                   positiver bewertet als die soziale und die
Demokratie in Europa betrachtet haben,                                                                                                                                   direktdemokratische Dimension. Beide Attribute
wenden wir uns nun den Einschätzungen zu,                                                                                                                                der sozialen Dimension erhalten in allen Regionen
inwieweit die Demokratie diesem Ideal in der                                                                                                                             durchschnittlich höchstens 6 von 10 Punkten,
Praxis gerecht wird. Die Abbildungen 7 bis 9                                                                                                                             während die durchschnittliche Bewertung für
zeigen die durchschnittlichen Bewertungen der                                                                                                                            die Beteiligung an Referenden als Abbild der
verschiedenen Subdimensionen der Demokratie                                                                                                                              direktdemokratischen Demokratiedimension bis auf
in den vier europäischen Regionen.v Zunächst ist                                                                                                                         Nordeuropa überall unter 6 Punkten liegt.
festzustellen, dass die Einschätzungen, inwiefern
die verschiedenen Attribute in der Praxis zutreffen,                                                                                                                     Zudem zeigen die Abbildungen 7 bis 9, dass es
allgemein deutlich niedriger ausfallen als die                                                                                                                           erhebliche Unterschiede in den Bewertungen
Unterstützung für selbige als generelle Merkmale                                                                                                                         zwischen den Regionen gibt. Die größte
einer idealen Demokratie (siehe Abbildungen 3                                                                                                                            Zufriedenheit bezüglich des Funktionierens
bis 5).                                                                                                                                                                  der Demokratie besteht in Nordeuropa und
                                                                                                                                                                         Westeuropa, wohingegen die Bewertungen in
Europäische Demokratien scheinen die                                                                                                                                     Süd- und Mittelosteuropa deutlich schlechter
Erwartungen der Bevölkerung, wie Demokratie                                                                                                                              ausfallen. Dieses Muster regionaler Unterschiede
sein sollte, nicht zu erfüllen. Dies wird vor allem                                                                                                                      trifft weitestgehend auf alle Subdimensionen der
bei der sozialen und direktdemokratischen                                                                                                                                Demokratie zu.

 Abbildung 6: Mittelwerte der Demokratieindizes (0-10) im Ländervergleich

                  10

                  9

                  8

                  7

                  6

                  5
     Mittelwert

                  4

                  3

                  2

                  1

                   0
                       Albanien

                                  Zypern

                                           Bulgarien

                                                       Kosovo

                                                                Spanien

                                                                          Polen

                                                                                  Ungarn

                                                                                           Deutschland

                                                                                                         Schweden

                                                                                                                    Ukraine

                                                                                                                              Italien

                                                                                                                                        Island

                                                                                                                                                  Israel

                                                                                                                                                           Estland

                                                                                                                                                                     Dänemark

                                                                                                                                                                                Slowenien

                                                                                                                                                                                            Norwegen

                                                                                                                                                                                                       Russland

                                                                                                                                                                                                                  Portugal

                                                                                                                                                                                                                             Irland

                                                                                                                                                                                                                                      Schweiz

                                                                                                                                                                                                                                                Frankreich
                                                                                                                                                                                                                                                             Tschechische
                                                                                                                                                                                                                                                                 Republik

                                                                                                                                                                                                                                                                            Litauen

                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Slowakei

                                                                                                                                                                                                                                                                                                               Belgien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Finnland

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Niederlande
                                                                                                                                                                                                                                                                                      Vereinigtes
                                                                                                                                                                                                                                                                                      Königreich

                                  Liberaler Demokratieindex                                              Sozialer Demokratieindex                                                  Direktdemokratischer Demokratieindex

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012
12 ESS Topline Results (4)

Abbildung 10 verdeutlicht, inwieweit die                                       Demokratien in Bezug auf die Verwirklichung
Demokratiebewertungen zwischen den                                             grundlegender prozeduraler Merkmale sowie
einzelnen Ländern variieren. Basierend                                         das Funktionieren liberal-demokratischer
auf der vorangegangenen theoretischen                                          Institutionen relativ gut abschneiden. Sie
Unterscheidung zwischen liberaler,                                             werden eher positiv als negativ bewertet, wenn
sozialer und direkter Demokratie wurden                                        auch in einigen Ländern nur knapp.
drei Bewertungsindizes erstellt. Der Wert
jedes Indexes ergibt sich hierbei aus der                                      Im Gegensatz dazu erreichen die
durchschnittlichen Bewertung aller Attribute der                               Bewertungsindizes für direkte und – sogar
jeweiligen Subdimension.                                                       noch deutlicher – soziale Demokratie
                                                                               in den meisten Ländern noch nicht
Nur vier Länder weisen beim Bewertungsindex                                    einmal einen Durchschnittswert von 5.
für die Dimension der liberalen Demokratie                                     Da diese beiden Dimensionen von den
einen Wert von unter 5 auf: Ukraine,                                           Europäer*innen ebenfalls als wichtig für die
Russland, Italien, Kosovo, Litauen, Albanien,                                  Demokratie eingestuft werden, scheitern die
Bulgarien, Portugal, Spanien, Estland,                                         demokratischen Regierungen offensichtlich
Tschechische Republik und Ungarn. Damit                                        daran, den öffentlichen Erwartungen gerecht
wird deutlich, dass die meisten europäischen                                   zu werden.

Abbildung 7: Durchschnittliche Bewertungen der elektoralen Dimension (0-10), nach Region

              10

              9

              8

              7

              6
 Mittelwert

              5

              4

              3

              2

              1

              0
                                  Rechtfertigung von     Freie         Retrospektive                       Deliberation
                   Freie Wahlen                                                         Unterschiedliche                   Responsivität
                                     Regierungs-       Opposition    Verantwortlichkeit     Parteien                      gegenüber EU-
                                   entscheidungen
                                                                                                                           Regierungen
                   Nordeuropa         Westeuropa         Südeuropa           Mittel- und Osteuropa

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012
Ergebnisse der 6. Welle des European Social Survey 13

Abbildung 8: Durchschnittliche Bewertungen der liberalen Dimension (0-10), nach Region

              10

               9

               8

               7

               6
 Mittelwert

               5

               4

               3

               2

               1

               0
                    Gleichheit vor          Zuverlässigkeit                                              Minderheiten-
                                                                           Medienfreiheit
                    dem Gesetz               der Medien                                                     schutz

                    Nordeuropa         Westeuropa             Südeuropa             Mittel- und Osteuropa

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012

 Abbildung 9: Durchschnittliche Bewertung der sozialen und direktdemokratischen Dimension
 (0-10), nach Region

               10

               9

               8

               7

               6
  Mittelwert

               5

               4

               3

               2

               1

               0
                                                     Einkommensun-                           Volksabstim-
                    Schutz vor Armut
                                                        gleichheit                             mungen

                    Nordeuropa          Westeuropa              Südeuropa                   Mittel- und Osteuropa

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012
14 ESS Topline Results (4)

Der Zusammenhang zwischen                                                                                                                                                                     hoher Wahrscheinlichkeit kontextabhängig:
Einstellungen zur Demokratie und                                                                                                                                                              Die Bevölkerung könnte umfassendere
demokratischer sowie wirtschaftlicher                                                                                                                                                         Forderungen an die Demokratie stellen, wenn
Leistungsfähigkeit in Europa                                                                                                                                                                  die Demokratie ihres Landes gut funktioniert
                                                                                                                                                                                              – schlichtweg weil sie ihre Erwartungen an
Wie hängen die durch den ESS                                                                                                                                                                  dem ausrichten, was realisierbar ist. Alternativ
gemessenen Einstellungen zur Demokratie                                                                                                                                                       könnten jedoch auch die Bürger*innen in
mit etablierten Indikatoren demokratischer                                                                                                                                                    weniger entwickelten Demokratien höhere
Leistungsfähigkeit zusammen? Es ist                                                                                                                                                           Anforderungen stellen, gerade weil sie
anzunehmen, dass sowohl die Erwartungen                                                                                                                                                       die Folgen eines Defizits an Demokratie
an als auch die Bewertungen von                                                                                                                                                               wahrnehmen.
Demokratie innerhalb der Bevölkerung
davon abhängen, wie Demokratie in der                                                                                                                                                         Abbildung 11 bestätigt zum Teil die zweite
Praxis funktioniert. Demokratiebewertungen                                                                                                                                                    Hypothese. Die Korrelation zwischen den
sind notwendigerweise mit demokratischer                                                                                                                                                      Einstellungen zum Bedeutungsgehalt
Leistungsfähigkeit verknüpft.                                                                                                                                                                 der Demokratie, gemessen an dem oben
                                                                                                                                                                                              beschriebenen liberalen Demokratieindex
Zudem ist die Bedeutung, die Menschen                                                                                                                                                         des ESS, und den aggregierten World Bank
der Demokratie beimessen, d.h. was sie                                                                                                                                                        Indikatoren für Qualität des Regierensvi ist
von einer idealen Demokratie erwarten, mit                                                                                                                                                    negativ (p=-0.48). Die Bürger*innen scheinen

 Abbildung 10: Mittelwerte der Bewertungsindizes (0-10) im Ländervergleich
                      10

                      9

                      8

                      7

                      6

                      5
         Mittelwert

                      4

                      3

                      2

                      1

                       0
                           Schweden

                                      Norwegen

                                                 Dänemark

                                                            Finnland

                                                                       Schweiz

                                                                                 Niederlande

                                                                                               Deutschland

                                                                                                             Irland
                                                                                                                      Vereinigtes
                                                                                                                      Königreich

                                                                                                                                    Island

                                                                                                                                             Belgien

                                                                                                                                                       Zypern

                                                                                                                                                                Israel

                                                                                                                                                                         Frankreich

                                                                                                                                                                                      Polen

                                                                                                                                                                                              Slowakei

                                                                                                                                                                                                         Slowenien

                                                                                                                                                                                                                     Ungarn
                                                                                                                                                                                                                              Tschechische
                                                                                                                                                                                                                                  Republik

                                                                                                                                                                                                                                             Estland

                                                                                                                                                                                                                                                       Spanien

                                                                                                                                                                                                                                                                 Portugal

                                                                                                                                                                                                                                                                            Bulgarien

                                                                                                                                                                                                                                                                                        Albanien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Litauen

                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Kosovo

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Italien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Russland

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Ukraine

                                      Liberaler Demokratieindex                                                                Sozialer Demokratieindex                                                        Direktdemokratischer Demokratieindex

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012
Ergebnisse der 6. Welle des European Social Survey 15

höhere Ansprüche an die Demokratie zu                                                um verbesserungsbedürftige Aspekte der
stellen, wenn die Qualität des Regierens in                                          Demokratie eines Landes geht.
ihrem Land niedrig ist. Im Gegensatz dazu
sind die Menschen in leistungsfähigeren                                              Des Weiteren lässt sich erwarten, dass die
Demokratien weniger anspruchsvoll.                                                   Demokratiebewertungen der Bevölkerung
                                                                                     ebenfalls mit der Wirtschaftsleistung eines
Wie angenommen besteht zudem ein                                                     Landes korrelieren. Die Bevölkerung wird die
positiver Zusammenhang zwischen                                                      Demokratie sowie die Art und Weise, wie ihr
etablierten Indikatoren demokratischer                                               Land regiert wird, wahrscheinlich positiver
Leistungsfähigkeit und der Bewertung                                                 bewerten, wenn wirtschaftlicher Wohlstand
demokratischer Systeme durch die                                                     geschaffen wird (siehe z.B. Anderson und
europäischen Bevölkerungen, gemessen                                                 Guillory 1997).
mittels des liberalen Demokratieindex
                                                                                     Abbildung 13 veranschaulicht
des ESS (Abbildung 12). Die Korrelation
                                                                                     den Zusammenhang zwischen
zwischen den Indikatoren liegt bei über 0,90,
                                                                                     Wirtschaftswachstum (gemessen an der
was darauf hindeutet, dass die Öffentlichkeit
                                                                                     Veränderung des durchschnittlichen
eine verlässliche Quelle für die Erfassung der
                                                                                     BIP Wachstums 2005/08 – 2009/12)vii
Demokratiequalität ist und somit wertvolle
                                                                                     und Demokratiebewertungen (gemessen
Zusatzinformationen liefern kann, wenn es
                                                                                     mittels des liberalen Demokratieindex

 Abbildung 11: Der Zusammenhang zwischen der zugewiesenen Bedeutung von Demokratie
 (liberaler Demokratieindex des ESS: Bedeutung) und der demokratischen Leistungsfähigkeit
 (World Bank Indikatoren für Regierungsqualität)

                                                              AL
      Liberaler Demokratieindex: Bedeutung

                                             7

                                             6                                                                 CY
                                                         XK              BG
                                                                                                          PL
                                                                                            HU            ES
                                             5                                                                                DE          SE
                                                        UA                            IT
                                                                                                IL             EE              IS
                                                                                                                                         DK
                                                   RU                                                SI                                  NO
                                             4
                                                                                                           PT
                                                                                                                          IE         CH
                                                                                                          CZ        FR
                                                                                                     LT                  GB
                                             3                                             SK
                                                                                                                         BE              FI
                                                                                                                                    NL

                                                 -1		              0		                                    1		                                  2

                                                              World Bank Indikatoren für Regierungsqualität

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012
16 ESS Topline Results (4)

 Abbildung 12: Der Zusammenhang zwischen Demokratiebewertungen (liberaler
 Demokratieindex des ESS: Bewertung) und der demokratischen Leistungsfähigkeit (World
 Bank Indikatoren für die Qualität der Regierungsführung)
       Liberaler Demokratieindex: Bewertung

                                              8                                                                                           SE
                                                                                                                                        NO
                                                                                                                                       DK    FI
                                                                                                                                        CH
                                              7                                                                              DE
                                                                                                                               IE      NL
                                                                                                                              GB
                                                                                                  IL               CY             IS
                                                                                                                             BE
                                              6                                                          PL             FR
                                                                                                    SR    SI
                                                                                                  HU CZ      EE
                                                                                                       ES
                                                                  AL              BG                     PT
                                              5                                                      LT
                                                             XK                             IT
                                                   RU
                                                        UA
                                              4

                                                  -1		                     0		                               1		                              2

                                                                       World Bank Indikatoren für Regierungsqualität

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012

des ESS). Hier bestätigt sich,                                                               Fazit
dass ein positiver Zusammenhang
zwischen der Wirtschaftsleistung                                                             Das Themenmodul der 6. Welle
und den Demokratiebewertungen                                                                des ESS bietet uns eine einzigartig
besteht (p=0.49). Bemerkenswert ist                                                          detaillierte Einsicht in die Einstellungen
jedoch, dass die Korrelation zwischen                                                        der Europäer*innen zur Demokratie.
den Demokratiebewertungen der                                                                Die Demokratie als Ideal findet in der
Bevölkerung und den Indikatoren für                                                          Öffentlichkeit fast aller ESS-Länder große
Wirtschaftsleistung schwächer ist als die                                                    Unterstützung. Darüber hinaus vertritt die
entsprechende Korrelation zwischen den                                                       Öffentlichkeit im Allgemeinen eine breite
Demokratiebewertungen der Bevölkerung                                                        Auffassung von Demokratie und hält es
und etablierten Indikatoren für demokratische                                                zumindest für einigermaßen wichtig, dass
Leistungsfähigkeit.                                                                          Demokratien nicht nur grundlegende
                                                                                             prozedurale Voraussetzungen wie freie
Dies legt nahe, dass die Wirtschaft zwar                                                     und faire Wahlen oder Gleichheit vor
eine Rolle spielt, aber das Funktionieren                                                    dem Gesetz erfüllen, sondern ebenfalls
demokratischer Institutionen und Prozesse für                                                Sozialleistungen und Möglichkeiten für
die öffentliche Wahrnehmung von Demokratie                                                   Bürgerbeteiligung bieten.
noch wichtiger ist. Diese Erkenntnis könnte
im Hinblick auf die jüngste Wirtschaftskrise                                                 Sowohl die Bedeutung, die die Menschen
eine Ermutigung für europäische Demokratien                                                  der Demokratie beimessen, als auch die
darstellen.
Ergebnisse der 6. Welle des European Social Survey 17

 Abbildung 13: Der Zusammenhang zwischen Demokratiebewertungen (liberaler
 Demokratieindex des ESS: Bewertung) und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit (Veränderung
 des durchschnittlichen BIP Wachstums 2005/08 – 2009/12)
      Liberaler Demokratieindex: Bewertung

                                             8                                                                                                                        SE
                                                                                                          FI                              DK                          NO

                                                                                                                                                CH
                                             7
                                                                                                IE                    NL                                         DE
                                                                           IS                                                        GB
                                                                                                     CY
                                                                                                                                                       BE
                                             6                                                                                                       IL
                                                                      SK                                                                  PL                FR
                                                           SI
                                                                                      OZ                         HU
                                                                                           EE
                                                                BG                                   ES                    AL         PT
                                             5        LT
                                                                                                                                XK
                                                                                 RU                                                        IT
                                                                           UA
                                             4

                                                 -8                             -6                        -4                               -2                              0
                                                                     Veränderung des durchschnittlichen BIP Wachstums 2005/08 – 2009/12

Quelle: European Social Survey Welle 6, 2012

von ihnen befürwortete Art der Demokratie,                                                                     Demokratie ihrer Länder bereit. Die
variieren jedoch innerhalb und zwischen                                                                        Daten zeigen, dass die Bewertungen
den Ländern und es existieren Unterschiede                                                                     der tatsächlichen Funktionsfähigkeit
bezüglich der Merkmale, die die Bevölkerung                                                                    von Demokratie in den meisten Ländern
als wesentlich für eine Demokratie erachtet.                                                                   relativ gering ausfallen und diese in allen
Während einige Europäer*innen ein enger                                                                        Ländern unter den Erwartungen bleiben,
gefasstes Demokratieverständnis vertreten                                                                      wie Demokratie idealerweise sein sollte.
und lediglich einige prozedurale Aspekte                                                                       Auch wenn dies über den Rahmen dieses
wie freie und faire Wahlen als wesentlich                                                                      Berichts hinausgeht, deuten die Ergebnisse
einstufen, haben andere eine umfassendere                                                                      darauf hin, dass ein sorgfältiger Blick auf
Vorstellung, die verschiedene theoretische                                                                     die Bewertungen der Öffentlichkeit zu
Demokratiemodelle umfasst: das liberale                                                                        verschiedenen Aspekten der Demokratie
Modell, das soziale Modell und das                                                                             dazu beitragen könnte, die wichtigsten
direktdemokratische Modell.                                                                                    Herausforderungen europäischer
                                                                                                               Demokratien zu identifizieren.
Hinsichtlich der Bewertungen, wie gut
die Demokratie in verschiedenen Ländern                                                                        Zuletzt zeigen die Ergebnisse des ESS,
funktioniert, stellt die 6. Welle des ESS                                                                      dass die demokratische Leistungsfähigkeit
wertvolle und präzise Daten über die                                                                           die Einstellungen der Bürger*innen
Sichtweisen der Europäer*innen auf die                                                                         gegenüber der Demokratie stärker
18 ESS Topline Results (4)

beeinflusst als die wirtschaftliche                         Quellenangaben
Leistungsfähigkeit. Dies deutet darauf hin,
dass die europäische Wirtschaftskrise nicht                 Anderson, Christopher J., and Christine
notwendigerweise negative Konsequenzen                      A. Guillory. (1997) ‘Political Institutions
                                                            and Satisfaction with Democracy: A
für die Demokratie haben muss. Da die
                                                            Cross-National Analysis of Consensus
Befunde jedoch nur auf Querschnittsdaten
                                                            and Majoritarian Systems’, The American
eines bestimmten Zeitpunkts basieren, ist es
                                                            Political Science Review 91 (1): 66.
derzeit noch zu früh, auch für die Zukunft eine             doi:10.2307/2952259.
Garantie für die langfristige Unterstützung
der Demokratie durch die Europäer*innen                     Kriesi, Hanspeter, Lavenex, Sandra,
auszusprechen. Die Rolle des ESS, künftige                  Esser, Frank, Bühlmann, Marc, and Daniel
Veränderungen in den Einstellungen zur                      Bochsler. (2013) Democracy in the
Demokratie zu erfassen, wird weiterhin von                  Age of Globalization and Mediatization,
großer Bedeutung sein.                                      Palgrave Macmillan. http://cadmus. eui.eu/
                                                            handle/1814/25382.

                                                            Morlino, Leonardo. (2009) ‘Legitimacy and
                                                            the Quality of Democracy.’ International
                                                            Social Science Journal, 60 (196): 211–22.
                                                            doi:10.1111/ j.1468-2451.2010.01717.x.
 Note

 i Weitere Informationen zum ESS sowie Details zu teilnehmenden Ländern, Stichprobengrößen, Fragebögen

 und Ausschöpfungsquoten finden Sie unter www.europeansocialsurvey.org.

  Die Analyse basiert auf einer vollständigen Stichprobe von rund 54.600 Befragten im Alter von mindestens
 ii

 15 Jahren. Für die Analyse auf Länderebene wurden ESS Designgewichtungen verwendet; für die regionalen
 Analysen wurden sowohl Design- als auch Populationsgewichtungen verwendet.

 iii Für diese drei Elemente wurde aufgrund ihres Trade-Off-Charakters eine andere Messung gewählt:

 Mehrheits- vs. Verhältniswahl, Delegate vs. Trustee Repräsentation und Recht auf freie Meinungsäußerung für
 alle vs. keine Meinungsfreiheit für intolerante Ansichten.

 ivDie beiden Elemente, die den sozialen Demokratieindex bilden, sind ebenfalls hierarchisch geordnet. Der
 Schutz vor Armut hat in der Regel Vorrang, wobei mehr Befragte dies als essentiell ansehen und ein Teil dieser
 Befragten auch die Verringerung der Einkommensunterschiede als wesentlich erachtet. Der Direktdemokratie-
 Index enthält nur ein Element, weshalb keine Hierarchie vorliegt.

 v Die Befragten wurden nicht danach gefragt, die Subdimension „Horizontale Verantwortlichkeit“ zu beurteilen

 (obwohl sie diese in Bezug auf ihre Bedeutung bewertet haben).

 viMittelwert der sechs zusammenfassenden Schätzungen für 2012: Korruptionskontrolle;
 Regierungseffektivität; Politische Stabilität; Regulatorische Stabilität; Rechtsstaatlichkeit; Mitspracherecht und
 Verantwortlichkeit. Quelle: Worldwide Governance Indikatoren (www.govindicators.org). Höhere Werte stehen
 für eine bessere Regierungsqualität.

 vii Veränderung des durchschnittlichen BIP-Wachstums (jährlich in %) 2005-2008 im Vergleich zu 2009-2012.

 Quelle: World Development Indicators (http://data.worldbank.org/indicator).
Über den ESS
Der European Social Survey ist eine alle zwei Jahre                                 Der ESS wurde 2013 mit
stattfindende Erhebung über soziale Einstellungen                                  dem Status als European
und Verhaltensweisen, die seit 2001 in bis zu 36                                     Social Survey Research
                                                                                  Infrastructure Consortium
europäischen Ländern durchgeführt wird.                                      (ERIC) ausgezeichnet. Während
                                                                                  der 6. Welle hatte der ESS
Der Datensatz beinhaltet die Ergebnisse von fast                                ERIC 14 Mitglieds- und zwei
300.000 abgeschlossenen Interviews und ist frei                                           Beobachterländer.
verfügbar. Die von ESS ERIC erstellten Umfragedaten                                                      Mitglieder:
sowie damit verbundene Dokumentationen sind für                                      Belgien, Deutschland, Estland,
nicht-kommerzielle Zwecke frei zugänglich.                                  Frankreich, Irland, Litauen, Niederlande,
                                                                            Österreich, Polen, Portugal, Schweden,
                                                                                Slowenien, Tschechische Republik,
ESS Themen:                                                                                   Vereinigtes Königreich.
• Vertrauen in Institutionen               • Haushaltsbezogene Umstände
                                                                                                    Beobachter:
• Politisches Engagement                   • Einstellungen zum                                 Norwegen, Schweiz.
• Soziopolitische Werte                      Wohlfahrtsstaat
                                                                                    Weitere Teilnehmerländer:
• Moralische und soziale Werte             • Vertrauen in Strafjustiz          Dänemark, Finnland, Israel, Slovakei.
• Soziales Kapital                           und Polizei
• Soziale Exklusion                                                          Die internationalen Beiräte des ESS
                                           • Formen und Erfahrungen von        ERIC bestehen aus dem Methods
• Nationale, ethnische und                   Altersdiskriminierung               Advisory Board (MAB) und dem
  religiöse Identität                      • Staatsbürgerschaft,                Scientific Advisory Board (SAB).
• Wohlbefinden, Gesundheit                   Partizipation und Demokratie
                                                                   Das ESS ERIC Core Scientific
  und Sicherheit                           • Immigration      Team besteht aus: GESIS – Leibniz-
• Demographische                           • Familie, Arbeit und    Institut für Sozialwisenschaften
                                                                          (Deutschland); Katholieke
  Zusammensetzung                            Wohlbefinden      Universiteit Leuven (Belgien); NSD
• Bildung und Beruf                        • Wirtschaftsmoral    - Norwegian Centre for Research
• Finanzielle Umstände                     • Lebensplanung und -führung
                                                                      Data (Norwegen); SCP - The
                                                                    Netherlands Institute for Social
                                                               Research (Niederlande); Universitat
                                                              Pompeu Fabra (Spanien); University
Nähere Informationen über das ESS ERIC und den Datenzugang of Ljubljana (Slowenien). Das National
unter: www.europeansocialsurvey.org                           Coordinators’ (NC) Forum setzt sich
                                                                aus ESS NCs aller teilnehmenden
Vergleichende Ergebnisse zum Wohlbefinden in Europa sind hier                     Länder zusammen.
interaktiv aufbereitet: www.esswellbeingmatters.org
Folgen Sie dem ESS auf Twitter: @ESS_Survey @EssDeutschland

                 Diese Veröffentlichung wurde durch das Rahmenprogramm
                 für Forschung und Innovation Horizont 2020 der
                 Europäischen Union unter der Finanzhilfevereinbarung
                 Nr. 676166 finanziell gefördert.

Veröffentlicht durch den European Social Survey ERIC
City, University of London
Northampton Square
London EC1V 0HB
United Kingdom

Deutsche Übersetzung: ESS Team Deutschland
(Kontakt: christian.schnaudt@gesis.org), Januar 2019
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