Die DSGVO liegt uns zu Füßen! 6 WhatsApp & DSGVO - geht das ? 8 Ich bin Aidshilfe: Urs G. aus Berlin 10 Kriminalisierung & ...
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07 2018 2 Die DSGVO liegt uns zu Füßen! 6 WhatsApp & DSGVO – geht das ? 8 Ich bin Aidshilfe: Urs G. aus Berlin 10 Kriminalisierung & HIV-Aktivismus 12 Mit euch kann man über Sex reden! 13 Unterstützen, nicht bestrafen!
Ausgabe 07/2018 1 Vorwort Inhalt Berlin, 4. Juli 2018 Liebe Leserinnen und Leser, Vorwort................................................................ 1 die DSGVO ist seit mehr als einem Monat in Kraft und wir haben es alle überlebt! Wie man mit der DGSVO weiterlebt, zeigen uns einige Autor_innen dieses Heftes. Zum Beispiel, indem man den Daten- MfG mit freundlichen Grüßen, schutz zu seinem Hobby macht, so wie es Susanne Stillger von der die DSGVO liegt uns zu Füßen! ............................. 2 Münchner AIDS-Hilfe gelegentlich von ihren Kolleg_innen unterstellt wird. Klaus Purkart musste erst gar nicht aufgefordert werden, etwas Datensicherheit als Qualitätsmerkmal.................. 4 zur Bedeutung des Datenschutzes für Chat- und Onlineberatung zu schreiben, sondern er meldete sich – man glaubt es kaum – freiwillig für das Thema. WhatsApp & DSGVO – geht das ? ........................ 6 Dass ich noch einen Beitrag über WhatsApp drangehängt habe, hat mal wieder unsere Frauenreferentin zu verantworten. „Was? Du hast Impressum ........................................................... 7 noch WhatsApp?“, raunte mir Marianne in unserer Mittwochsrunde zu, als sie einen Blick auf mein Smartphone warf. Ganz schuldbewusst Ich bin Aidshilfe: Urs G. aus Berlin ........................ 8 löschte ich noch unter ihrer Aufsicht die besagte App und startete eine umfassende Recherche, von deren Ergebnissen jetzt diejenigen Juristisches Erdbeben in Schweden ...................... 9 profitieren können, die nicht ganz auf einen Messenger Dienst ver- zichten mögen. Kriminalisierung & HIV-Aktivismus ......................11 Nach langer Pause präsentieren wir mit Urs Gamsavar von der ziK gGmbh aus Berlin wieder ein Gesicht aus der Aidshilfearbeit. Das obli- gatorische Thema Kriminalisierung darf in dieser Ausgabe nicht feh- Mit euch kann man über Sex reden! ....................12 len: Gute Nachrichten hierzu gibt es aus Schweden, wo Menschen mit HIV ihre Sexualität in Zukunft angstfreier leben können. Unterstützen, nicht bestrafen! ............................13 Zum Schluss treten wir eine Reise in den Süden der Republik an: Rich- tung Ulm und um Ulm herum. Denn dort gibt es (wahrscheinlich) den einzigen ehrenamtlichen Checkpoint Deutschlands – oder? Korrigiert mich, wenn ich irre! Mit besten Grüßen Karl Lemmen (karl.lemmen@dah.aidshilfe.de)
2 Ausgabe 07/2018 Nun gut! Von der EU-DSGVO habe ich 2016 das erste Mal gehört! „Was MfG mit freundlichen Grüßen, für eine Abkürzung“, habe ich mir damals spontan gedacht! Da ich seit 2014 den Posten der „internen Datenschutzbeauftragten“ (DSB) 2 der die DSGVO liegt uns zu Füßen!1 Münchner AIDS-Hilfe e.V. innehabe, wusste ich, dass dieser Kelch nicht an mir vorübergehen würde. „Datenschutz ist ihr Hobby“ Susanne Stillger von der MüAH Aber es ist ja noch viel Zeit! Ich begann erst einmal mit einer Internet- recherche. Habe mir den Text des Gesetzes heruntergeladen und ei- Mit der Verabschiedung der DSGVO haben nen Ordner „Infothek EU-DSGVO“ angelegt. Dann den gesamten Geset- wir uns als Redaktion zum Ziel gesetzt, in zestext ausgedruckt und mich erst mal durch die gefühlten 500 jeder Ausgabe von HIV-BeratungAktuell Anmerkungen durchgekämpft – nicht digital, sondern analog, mit Text- über die konkrete Umsetzung in der Aids- marker und Bleistift! Es fällt mir einfach leichter, Texte auf Papier zu hilfe zu berichten. Bei der Frage, wen wir bearbeiten und mir so Sachverhalte besser zu merken. Bei der Menge für diese Nummer gewinnen könnten, kam an Informationen wurde mir erst mal ganz mulmig. von Michael Tappe wie aus der Kanone ge- schossen: „Sprich doch meine Ex-Kollegin Kein Grund zur Panik! aus München an. Die ist mit ganz viel Leidenschaft bei der Sache!“ Auf den zweiten Blick tritt Beruhigung ein. Soviel anders als das (alte) Gesagt, getan. Meine Anfrage an Susanne Stillger war noch vorsichtig for- Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) liest sich die DSGVO auch nicht. Ein muliert und eine mögliche Absage einkalkuliert. Aber nein, ich bekam paar Dinge wurden anscheinend umbenannt. Die Strafen sind wesent- gleich eine freudige Zusage! lich höher. Der Anspruch an Transparenz und Datensparsamkeit ist DSGVO – Da muss ich automatisch an „Die fantastischen strenger. Löschpflichten sind klarer definiert. So viel Neues scheint es Vier“ denken aber gar nicht zu geben. Und will mich schon gelassen zurücklehnen. Da lag sie vor mir, die Anfrage von Karl Lemmen: Thema meines Bei- Aber es bleibt ein leiser Zweifel an meinen eigenen „Erkenntnissen“. trags sollte die Umsetzung der DSGVO in der Aids-Hilfe sein. Was sind Schließlich machen alle so ein Theater um die DSGVO. Aber warum ei- die ersten und wichtigsten Schritte? Was heißt es, Datenschutzbeauf- gentlich? Habe ich was übersehen? Ich arbeite noch mal die Anforde- tragte zu sein? Lust am oder Frust durch das Thema dürfen zur Sprache rungen durch: kommen. Es sollte ein lebendiger Beitrag werden, hinter dem auch die schreibende Person zum Vorschein kommt. 1Erste Liedzeile aus dem Song „MfG“ der Gruppe „Die Fantastischen Vier“ aus dem Jahr 2 DSB ist die genderneutrale Abkürzung für Datenschutzbeauftragte_r: Ein_e betriebli- 1999 che_r Datenschutzbeauftragte_r muss mit dem Inkrafttreten der Datenschutz-Grundver- ordnung (DSGVO) europaweit spätestens bis Mai 2018 von allen Unternehmen und Ein- richtungen bestellt werden.
Ausgabe 07/2018 3 • Interne Verfahrensverzeichnisse 3? Hatten wir zum Glück schon! Zum Datenschutz gehört eine gute Portion Überzeugungs- Die mussten nur noch aktualisiert, ergänzt und umbenannt wer- arbeit den. Sie heißen nun Verarbeitungsverzeichnisse (VVZ) und Verar- beitungstätigkeiten (VVT). Aber ich habe mir auch Hilfe geholt, bzw. andere an die Arbeit gesetzt. • Verträge zur Auftragsdatenverarbeitung 4? Verträge zur Auf- Zur Frage des Zwecks und der Verhältnismäßigkeit der Erfassung der tragsverarbeitung (AV) waren zu überarbeiten, bzw. es erreichte Daten waren die jeweiligen Fachabteilungen angehalten, ihre Begrün- uns eine richtige Flut von neuen Verträgen. Sogar mikatiming dungen zu liefern. Ebenso bei der Überarbeitung der sogenannten (Chips zur Zeitmessung bei Laufwettbewerben) schrieb uns an, technischen und organisatorischen Maßnahmen (TOMs) 7. Alles in al- obwohl wir gar keinen Vertrag haben; unser Benefizlauf ist ein rei- lem hatten wir zwar einiges zu tun, aber es gab niemals Anlass zur Pa- ner Spaß-Lauf ohne Chipmessung. nik. Denn vieles, was die DSGVO fordert, war auch vorher schon vorge- • Neu ist, dass Löschkonzepte 5 benötigt werden. Da stöhnen natür- schrieben, und da hatten wir unsere Hausaufgaben ja schon immer gut lich alle. Muss das jetzt auch noch sein, dass wir festlegen, wann gemacht. wir welche Daten löschen müssen? Wer behält das alles im Blick? Je näher der Stichtag für die DSGVO – der 25. Mai 2018 – rückte, desto • Die Datenschutzfolgeabschätzung (DSF) 6 kommt neu hinzu. Nie mehr E-Mails kamen an, darunter auch viel Spam Mails von Absendern, davon gehört. Also mache ich einen Entwurf – wieder mit meinen die das neue Gesetz als Aufhänger nahmen, um neue Newsletter Abon- Internetrecherchen – und erarbeite, unterstützt von den Fachab- nenten anzulocken. Hier war also Vorsicht geboten. Und auch unserer- teilungen, eine Datenschutzfolgeabschätzung. So was muss die seits standen wir nicht unter Druck, alle Einverständniserklärungen DSB eigentlich nicht machen, sondern sie wird lediglich „zu Rate neu einzuholen, obwohl manche das so zu verstehen scheinen. gezogen“, heißt es. Aber wenn man einmal das Label DSB hat, dann landet alles bei dir. Also machst du das Ding halt, wer denn „Datenschutz ist ihr Hobby“, so heißt es manchmal bei uns in der sonst? Münchner Aids-Hilfe. Wie auch immer das gemeint ist, ich bin mit Herz und Seele dabei, auch wenn’s die anderen des Öfteren nervt. Es ist halt 3 Gemeint ist damit die Protokollierung der laufenden Verarbeitung aller personenbezo- 6 Eine Datenschutzfolgeabschätzung (kurz DFSA) ist eine Form der Vorabkontrolle genen Daten des/der Datenschutzbeauftrage_n, die immer dann durchzuführen ist, wenn besonders 4 Die Auftragsverarbeitung ist die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von personen- sensible Daten verarbeitet werden oder die Datenverarbeitung dazu bestimmt ist, die bezogenen Daten durch einen Auftragnehmer gemäß den Weisungen des Auftraggebers Persönlichkeit des Betroffenen, einschließlich seiner Fähigkeiten, Leistungen oder seines auf Grundlage eines schriftlichen Vertrags. Mit der DSGVO erfährt die Auftragsverarbei- Verhaltens, zu bewerten. In diesen Fällen prüft der/die Datenschutzbeauftragte die dem tung eine detaillierte europaweite gesetzliche Regelung. Verfahren innewohnenden besonderen Risiken für die Rechte und Freiheiten des Be- 5 Eine automatisierte Datenverarbeitung benötigt eine automatisierte Datenlöschung. troffenen und gibt am Ende dieser Prüfung eine Stellungnahme zur Rechtmäßigkeit der Die DSGVO verpflichtet Unternehmen, personenbezogene Daten zu löschen, wenn diese Datenverarbeitung ab. nicht mehr erforderlich sind und keine gesetzlichen Aufbewahrungspflichten bestehen. 7 Die technisch-organisatorischen Maßnahmen (TOMs) regeln die „Sicherheit der Verar- Entsprechend müssen Unternehmen Löschkonzepte und Löschroutinen erarbeiten und beitung“ auf einem angemessenen, aktuellen Schutzniveau. Sie umfassen sowohl Data implementieren. protection by design (Datenschutz durch Technik) als auch Data protection by default (datenschutzfreundliche Einstellungen) bei IT-Systemen.
4 Ausgabe 07/2018 mein Job als interne Datenschutzbeauftragte! Man ist als solche wei- sungsfrei 8, aber nicht weisungsbefugt. Und die Haftung beschränkt Datensicherheit als Qualitätsmerkmal sich auf grobe Fahrlässigkeit, d. h- man haftet eben nicht, wenn man Vertraulich – Verlässlich - Kompetent seine „Hausaufgaben“ ordentlich macht und gut dokumentiert, was Bei ihrer Gründung vor mehr als zwölf Jahren man gemacht hat. haben sich die bundesweite Telefon- und On- Das Problem beim Datenschutz ist halt, dass die Lösungen, die gefragt lineberatung auf gemeinsame Qualitätsstan- dards geeinigt: Vertraulich, verlässlich und sind, auf die eine oder andere Art von allen mitgetragen werden müs- kompetent soll die bundesweite Beratung sen. Da muss man dann auch mal Überzeugungsarbeit leisten und viel sein. Die Vertraulichkeit steht nicht umsonst miteinander reden. Meistens haben die Widerstände, die einem begeg- an erster Stelle dieses Mottos! Sie ist die Vo- nen, auch gute Gründe, über die man diskutieren sollte. Zumindest wa- raussetzung für alles andere. Klaus Purkart ren wir im Mai 2018 so weit, dass angesichts des Stichtags bei uns keine unterstreicht, dass dies gleichermaßen für Panik aufkam. den neuen Live-Chat gilt. Und wie haben unsere bayerischen Aufsichtsbehörden in Ansbach auf Die Vorstellung von Datenströmen im Internet ist für uns oft sehr abs- den Stichtag reagiert? Auf ihrer Homepage war am 26.05.2018 zu lesen, trakt: Da tummeln sich Abfolgen von digitalen Sequenzen in Kabeln dass sie die Frist zur Meldung des Datenschutzbeauftragen bis zum und auf Festplatten, die angeblich irgendwelche Informationen über 31.8.2018 verlängert haben und darum bitten, von schriftlichen Mel- uns zu enthalten. Da der Datenschutz von uns eine penible Sorgsam- dungen abzusehen. Also auch sie haben alle Hände voll zu tun! keit im Umgang mit diesen Daten verlangt, ist es wichtig, ein klares Bild von dem zu bekommen, was wir da schützen sollen. Damit wünsche ich einen schönen und panikfreien Sommer! Und in diesem Sinne: Ran an die Paragrafen! Wenn Ihr noch Fragen an mich Datenschutz – beliebt macht man sich damit nicht habt, diskutiert mit uns im DAH-Intranet. Lasst Euch einen Zugang ge- Als Berater_innen müssen wir zum einen alle Informationen schützen, ben, und ich steige gerne mit in die Diskussion ein. die Ratsuchende uns anvertrauen, zum anderen aber auch die Tatsa- che, dass uns jemand überhaupt kontaktiert. Schon das allein ist eine Information, die im Zweifelsfall viel Unheil anrichten kann. Dem Einen oder Anderen mag die starke Betonung des Themas über- trieben erscheinen, für die Beratungsarbeit ist der Datenschutz jedoch eine Selbstverständlichkeit. Unser Arbeitsplatz, den an dem wir Bera- 8 Die DSGVO garantiert die Weisungsfreiheit des/der betrieblichen Datenschutzbeauf- tragten. Er/sie ist unmittelbar der höchsten Managementebene unterstellt und darf we- gen der Erfüllung seiner/ihrer Aufgaben nicht abberufen oder benachteiligt werden.
Ausgabe 07/2018 5 tungen durchführen, muss sich in einer geschützten Umgebung befin- darüber nachzudenken, was mit den Daten eigentlich geschieht, die den; wir müssen also immer wiedergewissenhaft dafür sorgen, dass wir jeden Tag sammeln und verarbeiten. dort auch wirklich niemand Einblick in den Kontakt zwischen uns und Wer kontrolliert die Übermittlung dieser Daten, und wer filtert Infor- dem Klienten nehmen kann. Dazu gehört auch, dass wir uns vom Be- mationen heraus, wenn sie im Internet verschickt werden oder vom ratungsprogramm abmelden, wenn wir Feierabend machen. Unser Server über eine Webseite auf andere Rechner gespielt werden? In der Rechner ist natürlich mit einem Bildschirmschoner und einer automa- Vergangenheit gab es alarmierende Beispiele, wie mit Angaben verfah- tischen Passwortabfrage geschützt, und selbstverständlich ist unser ren wurde, die jeder User der schwulen Dating-App GrindR zum eige- Büro immer abgeschlossen, wenn wir nicht da sind, damit niemand an nen HIV-Status machen konnte. Einige dieser Daten wurden nachweis- die Daten gelangt. Daran hat sich nichts geändert. Es ist nur manchmal lich an eine andere Firma weitergeleitet – es fand eine sogenannte nervig, immer wieder daran erinnert zu werden oder andere daran zu „Übermittlung an Dritte“ statt. erinnern. So etwas muss man aber aushalten, gerade weil der Daten- schutz ein Grundprinzip der Aidshilfen ist, das jeden Tag von neuem Keine Übermittlung an Dritte umgesetzt werden muss – am Rechner genauso wie in unserem Kopf. Hier liegt ein offensichtlicher Verstoß gegen den Datenschutz vor. Aber Bei den Beratungsangeboten im Internet hat die Deutsche AIDS-Hilfe auch andere Daten werden digital weitergegeben. Die Schrift (Font) auf zum Glück technische Voraussetzungen geschaffen, die eine größt- einer Webseite zum Beispiel hat immer einen Eigentümer, einen Desig- mögliche Datensicherheit sicherstellen. Die Verschwiegenheitserklä- ner und meist auch eine Firma, die sie vermarktet. Die meisten Schrif- rung, die jede_r Berater_in in der Onlineberatung aktuell erneut unter- ten kann jeder umsonst verwenden (wie diese hier, die Du grade liest). schreiben muss, macht aber deutlich: Als Berater_in bin ich selbst Andere Schriften kann man kaufen oder mieten. Es gibt auch Schriftar- ebenfalls in der Verantwortung, denn ich halte ja den Kontakt zum Kli- ten, die jeder für seine Webseite verwenden darf. Im Gegenzug instal- enten und muss mit den Informationen, die mir anvertraut werden, liert sich auf der Webseite ein kleines Programm, das alle Nutzer dieser sorgsam umgehen. Schrift zählt und der Schriftfirma meldet. So einer „Übermittlung an Dritte“ muss laut neuer DSGVO aber vorher zugestimmt werden. In Aidshilfe geht es immer um besonders sensible Daten Daten sind zu einer „heißen Ware“ geworden Datensicherheit ist ein zentrales Qualitätsmerkmal unserer Arbeit, da- her setzten sich die Aidshilfen von Anfang an dafür ein, dass personen- Warum sollten wir dieser Schriftfirma von vornherein vertrauen, wenn bezogene Daten geschützt werden müssen. An erster Stelle stehen da- wir nicht wissen, was sie am Ende mit unseren Daten macht? Daten bei besonders sensible Daten, die mit Religion, Rasse, Herkunft, lassen sich inzwischen in klingende Münze verwandeln, weil Informati- Gesundheit, politischer Überzeugung und sexueller Orientierung zu onen über Verbraucher_innen der Industrie ermöglichen, uns als tun haben. Hier gibt uns der Staat recht: Solche Daten sind besonders Kund_innen noch gezielter zu manipulieren. Hier müssen wir als Ver- schützenswert. Und um den Schutz auch im Datenverkehr zu realisie- antwortliche von Beratungsangeboten, Webseiten und Medien immer ren, gilt ab Ende Mai in der gesamten Europäischen Union die neue wieder mit äußerster Gründlichkeit überlegen, wo überall solche Zu- Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) . sammenhänge bestehen könnten. Und aufräumen: Schriften ersetzen Die neue Verordnung entspricht unserer Haltung als Organisation, je- und gegebenenfalls auch Fotos, Filme und Designs austauschen. der müsse selbst darüber bestimmen können, was mit seinen Informa- Weltweit ist längst ein harter Wettbewerb um die Kontrolle über Daten tionen passiert. Und sie bringt uns dazu, mal wieder von Grund auf und Informationen ausgebrochen. Die Frage ist nur: Kontrolliert der
6 Ausgabe 07/2018 Staat die Datensammlung oder tun es die Konzerne? Die neue Daten- schutzgrundverordnung ist ein Versuch, die Abläufe wieder durch die WhatsApp & DSGVO – geht das ? 9 Staatsgewalt zu kontrollieren und jede Person vor unerlaubter Ver- Im letzten HIV-BeratungAktuell (5/2018) hatten wir darüber berichtet, wendung der eigenen Daten zu schützen. dass der Autozulieferer Continental seinen rund 36.000 Mitarbeitern die Nutzung von WhatsApp aus Datenschutzgründen untersagt, weil WhatsApp nach Meinung von Experten gegen die Datenschutzgrundver- ordnung (DSGVO) verstößt. Auch die katholische und die evangelische Alle Ausgaben von HIV-BeratungAktuell auf Kirche sollen WhatsApp auf Diensthandys schon vor einem Jahr verboten haben 10. www.hiv-beratung-aktuell.de WhatsApp sei eigentlich nur für den privaten Gebrauch gedacht. Wer es beruflich nutze, gehe ein großes Risiko sein. Im Intranet der DAH hat dazu eine Diskussion begonnen, die von einer strikten Ablehnung bis hin zu einer begrenzten Erlaubnis der Nutzung reicht. Karl Lemmen hat im Netz recherchiert, wo das eigentliche Problem liegt. Problem 1: WhatsApp verarbeitet unerlaubt Daten WhatsApp greift automatisch auf alle Kontakte zu, die im Smartphone gespeichert sind. Darunter sind in der Regel immer auch Daten von Leuten, die den Messenger-Dienst gar nicht nutzen. Und genau das ist das Problem: Laut DSGVO braucht ein Unternehmen die schriftliche Einwilligung aller Personen, deren Daten genutzt und verarbeitet wer- den. Der Messenger greift jedoch auf Informationen von Personen zu, die das nie erlaubt haben – und noch nicht einmal wissen, dass ihre Wenn wir im Rahmen unserer Arbeit in Aidshilfen Beratung im Internet Daten auf einem amerikanischen Server gespeichert werden. anbieten, übernehmen wir eine große Verantwortung. Wir müssen da- „Wer WhatsApp beruflich nutzt, ohne diese Erlaubnis von jedem Ein- rauf achten, dass Gespräche anonym ablaufen, damit durch den Wort- zelnen Kontakt eingeholt zu haben, verstößt somit gegen die Daten- laut nicht auf eine bestimmte Person geschlossen werden kann. Wir schutzgrundverordnung“, sagt Rechtsanwalt Keller aus Köln. Grund- dürfen keine Daten transferieren und sie z.B. in eine persönliche E-Mail sätzlich gilt für die Verarbeitung und Speicherung von Daten, dass ein oder Excel-Datei übertragen. Aufgrund unseres „Herrschaftswissens“ Rechtsgrund bestehen muss. Ein Rechtsgrund kann aber niemals darin haben wir hier eine besondere Verantwortung, die wir immer wieder liegen, dass Facebook und WhatsApp sämtliche Daten aus dem Adress- wahrnehmen und uns auch immer wieder ins Gedächtnis rufen müs- buch kopieren und auf eigenen Servern lagern. Dasselbe gilt übrigens sen. Datenschutz erfordert daher immer auch ein Stück Selbstdisziplin. (KP) 9 https://www.impulse.de/recht-steuern/rechtsratgeber/dsgvo-whatsapp/7306035.html 10 https://www.datenschutz-notizen.de/das-ende-des-boesen-whatsapp-4320164/
Ausgabe 07/2018 7 auch für WhatsApp Business, den Messenger-Dienst für Unterneh- auf dem privaten Mitarbeiter-Handy Daten von Klient_innen gespei- men. chert, hat die Aidshilfe ein Problem, denn WhatsApp greift auf alle Kon- takte zu. Problem 2: WhatsApp gibt Daten an Facebook weiter Gibt es Lösungen zum Datenschutzproblem? Ein weiteres Problem: WhatsApp gibt die gesammelten Daten an Face- book weiter. Zwar ist WhatsApp seit 2014 ein Facebook-Tochterunter- Wer ein iPhone nutzt, kann WhatsApp unter dem Menüpunkt „Einstel- nehmen, trotzdem ist die Datenweitergabe zwischen den Firmen ohne lungen, Datenschutz“ den Zugriff auf das Adressbuch verweigern. And- Einwilligung der Nutzer verboten (Artikel 6 der DSGVO). In Deutsch- roid-Nutzer haben es nicht so leicht: Sie müssen eine zusätzliche App land durfte WhatsApp bisher keine Daten an Facebook weitergeben – herunterladen, damit WhatsApp nicht mehr auf Kontakte zugreift. das hatte das Hamburgische Oberverwaltungsgericht entschieden. Im Man kann auch andere Messenger-Dienste nutzen, deren Server in Eu- Moment teilt WhatsApp nach eigenen Angaben zwar keine Nachrich- ropa stehen und die damit datenschutzkonform sind, weil sie selbst ten und Bilder mit Facebook, dafür aber zum Beispiel: unter die DSGVO fallen. Mögliche Alternativen sollen Threema, Signal • die Telefonnummer des Nutzers oder Wire sein. Diese Dienste gelten als sicherer als WhatsApp. (KL) • Geräteinformationen (zum Beispiel: Gerätekennung und Be- triebssystem) Impressum • wann sich der Nutzer registriert hat HIV-BeratungAktuell • wann WhatsApp zuletzt benutzt wurde • welche Funktionen häufig genutzt werden Herausgeber Deutsche AIDS-Hilfe e.V. Sollten Aidshilfen WhatsApp verbieten? Wilhelmstraße 138, 10963 Berlin Fon: 030 690087-0, Fax: 030 690087-42, Die einzige legale Möglichkeit, WhatsApp auf den Firmenhandys zu nut- www.aidshilfe.de zen, ist, nur Daten von Kunden einzuspeichern, die zuvor auf die Da- V.i.S.d.P.: Karl Lemmen tenpolitik von Facebook und WhatsApp hingewiesen wurden und die Redaktion: Karl Lemmen, Werner Bock, Klaus Purkart, Michael Tappe, der Speicherung ihrer Daten im Adressbuch und der Nutzung des Mes- Steffen Taubert; sengers ausdrücklich zugestimmt haben. Ob dies im Kontext von Bera- Mitarbeiter_innen dieser Ausgabe: tungskontakten handhabbar und vom Schutz her ausreichend ist, ist Karl Lemmen (KL) Klaus Purkart (KP), Werner Bock (WB), Todd Sekuler (TS), Lina Bonde (LB), Friederike Faust (FF), eine andere Frage. Schließlich geht es in Aidshilfen immer um beson- Susanne Stillger (SST) Waltraud Schwendele (WS) ders schützenswerte Daten wie: Sex, Gesundheit, Herkunft! Wer sicher- Lektorat: Gerold Hens; Versand: Dennis Wulff; gehen will, keine Datenschutzverstöße zu begehen, sollte seinen Mit- Grafikvorlage: Carmen Janiesch; arbeitern verbieten, WhatsApp oder andere Messenger auf dem Förderung durch Firmenhandy zu installieren. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung www.bzga.de Wenn die Mitarbeiter allerdings ihr privates Handy beruflich nutzen („Bring your own device“) und WhatsApp heruntergeladen haben, kön- Anmeldung/Abmeldung HIV-BeratungAktuell: www.hiv-beratung-aktuell.de nen Arbeitgeber nicht von ihnen verlangen, die App zu löschen. Sind
8 Ausgabe 07/2018 Ich bin Aidshilfe: Urs G. aus Berlin hochverschuldet. Kurz: Die Menschen, mit denen Urs zu tun hat, haben einen ganzen Rattenschwanz an unterschiedlichsten Problemen, und Mit dieser Ausgabe greifen wir die lange ver- es fällt ihnen schwer, ihren Alltag alleine zu bewältigen. nachlässigte Rubrik „Aidshilfe hat ein Gesicht“ Was vielen seiner Klient_innen außerdem gemeinsam ist: Sie kennen wieder auf. Werner Bock interviewt dazu Urs es, von der Gesellschaft gemieden zu werden und auf Ablehnung zu Gamsavar, einen von 220 Mitarbeiter_innen der stoßen. Gerade deshalb spielen in der Arbeit von ZIK Respekt und Ach- ZiK gGmbH in Berlin. tung vor den Menschen und ihrer persönlichen Lebensgestaltung eine „Ich scheue mich nicht, auch mal Klar- große Rolle. text zu sprechen“ Man braucht die Bereitschaft, die Lebenswelt der Kli- Seit 1989 unterstützt und betreut ZIK (Zuhause ent_innen zu verstehen im Kiez) Menschen mit HIV/Aids und/oder He- In der Betreuung geht es um Unterstützung, nicht aber um Bevormun- patitis C in Berlin. Wenn die chronische Erkran- dung. Deswegen wird zu Beginn der Betreuung mit den Klient_innen kung zu starken gesundheitlichen und psychischen Belastungen führt, gemeinsam geplant, welche Ziele erreicht werden sollen, wie genau benötigen viele Betroffene eine psychosoziale Betreuung. Neben einer man sie erreichen will und auch, woran man sehen kann, ob die Stra- Wohnung bietet ZIK daher weitergehende Unterstützung zum Beispiel tegie erfolgreich war. Die Verbesserung der gesundheitlichen Situation in Form von Einzelgesprächen, Krisenintervention oder sozialrechtli- kann so ein Ziel sein, die Reduzierung des Drogenkonsums oder auch cher Beratung an. schlicht die Strukturierung des Alltags. Die Angebote werden derzeit von ca. 650 Menschen in Anspruch ge- Urs betreut acht Klient_innen, die er – je nach Hilfebedarf – ein- bis nommen. 220 Mitarbeiter_innen arbeiten für ZIK, einer davon ist Urs dreimal pro Woche trifft. Dabei ist Flexibilität gefragt. Besprochen wird, Gamsavar. Nach dem Studium der Sozialarbeit hat er noch einen Mas- was aktuell ansteht: „Man ist gerade an Gesundheitsthemen, dann ter-Studiengang in Gender-Studies angeschlossen. „Ich mag den Theo- kommt Post von der Justiz, und plötzlich ist ein bevorstehender Prozess rie-Praxis-Transfer“, erzählt Urs. „Deswegen wollte ich wieder raus aus das große Thema. Oder der_die Partner_in hat sich getrennt, oder die dem Elfenbeinturm der Uni und hinein ins `wirkliche´ Leben – ein Re- Schulden werden mehr und mehr. Dann reden wir natürlich zuerst dar- alitätscheck“ über und unterstützen die Klient_innen nach allen Möglichkeiten,“ er- In der Lebenswirklichkeit seiner Klient_innen spielen psychische Prob- zählt Urs. „Oft kommt alles zusammen, man weiß nie, was passiert. leme, wie Depression oder Paranoia ebenso eine Rolle wie massive Meistens ist es schon ein großer Erfolg, wenn die Leute stabil bleiben körperliche Probleme. „Auch Drogenkonsum ist bei vielen Klient_innen und nicht weiter abrutschen.“ ein Thema. Die Bandbreite reicht von Kiffen bis zum Konsum von Chrystal“, berichtet Urs. Und weiter: „Ich sehe hier schon krasse Bio- Unterstützung muss man auch annehmen können grafien.“ Nicht immer ist die Arbeit erfolgreich. „Manchmal muss man zu- Damit meint er Menschen, die schon früh heroinabhängig geworden schauen, wie eine_r in die Wohnungslosigkeit geht.“ Obwohl schon ein sind und sich dadurch mit Hepatitis C oder HIV infiziert haben. Andere Räumungsbefehl besteht, verpassen Klient_innen wichtige Termine, waren viele Jahre im Gefängnis oder lange wohnungslos. Manche Kli- um das noch aufzuhalten. „Ich kann dann nicht mehr sagen, als: `Es ist ent_innen haben ein massives Alkoholproblem, wieder andere sind dein Leben. du machst das nicht für mich. Wenn du Termine verpasst,
Ausgabe 07/2018 9 ist das dein Problem´. Die Klient_innen müssen selber etwas bewegen wollen.“ Und dann schiebt er noch nach: „Unterstützung muss man Juristisches Erdbeben in Schweden auch annehmen können. Allerdings versuchen wir mit viel Kreativität, Oberster Gerichtshof erkennt Viruslast an die Unterstützung so anzupassen, dass der Klient oder die Klient_in sie Schweden galt bisher als das Land mit der höchsten HIV- auch annehmen kann. Manchmal braucht es dafür einen langen Atem.“ Kriminalisierungsquote in Europa. HIV-Positive waren in Schweden bis- Ist da nicht viel Frust vorprogrammiert? „Ich sehe das eher als Heraus- her verpflichtet – auch bei Kondombenutzung – ihren Serostatus vor forderung“, sagt Urs. „Die Arbeit macht mir Spaß, ich kann Menschen dem Sex offenzulegen. Auch internationale Appelle wie z.B. von unterstützen. Wenn man im betreuten Wohnen arbeitet, braucht man UNAIDS, diese Praxis zu ändern, hatten wenig Erfolg. Offenheit und die Bereitschaft, die Lebenswelt der Klient_innen verste- Umso mehr überrascht eine aktuelle Entscheidung des obersten hen zu wollen – Empathie eben.“ Und dann erzählt Urs von den Erfolgs- schwedischen Gerichtshofs. In dem Urteil geht es um einen HIV- erlebnissen: positiven Mann, der angeklagt war, ungeschützten Geschlechtsverkehr Aber es gibt auch schöne Momente mit einem anderen Mann gehabt zu haben. Der HIV-Positive war in Therapie und hatte eine nicht nachweisbare Viruslast. Eine Übertra- „Es ist schön zu sehen, wenn Klient_innen die Erfahrung machen: Ich gung hatte nicht stattgefunden. werde noch wie ein Mensch behandelt – z. B. beim Arzt – und sie dadurch wieder Mut schöpfen. Toll ist auch, wenn man es schafft, Die Anklage wurde nicht zugelassen, da bei einer funktionierenden Schulden abzuwenden, wenn man eine Wohnung gefunden hat, wenn Therapie mit einer nicht nachweisbaren Viruslast kein Übertragungsri- die Hepatitis C ausgeheilt ist und die Leute vor Freude strahlen, wenn siko bestehe. Verurteilt werden könne aber nur jemand, der andere die HIV-Viruslast unter der Nachweisgrenze ist, ein Stiftungsantrag po- Menschen einer Gefahr aussetze. Dies sei hier jedoch nicht gegeben sitiv beschieden wurde und man dann ein neues Bett kaufen kann oder gewesen. Aktivisten sprechen vom Ende einer „dunklen Vergangen- wenn wir in der Kochgruppe ein tolles Essen kochen.“ heit“ im Umgang mit HIV-Infizierten in Schweden. (KL) Das sind die Momente, die wieder wettmachen, wenn Urs sich mit Äm- Kriminalisierungsrate pro Kopf der im Land lebenden HIV-Positiven 11 tern herumschlagen muss oder wenn Sachen nicht klappen: Wenn bei- spielsweise gemeinsam mit einem_r Klient_in lang und breit ein Plan Schweden 0,051 ausgearbeitet wurde, wie das Geld für den Monat eingeteilt werden Norwegen 0,026 soll, und dann doch schon in der ersten Woche zu viel ausgegeben Finnland 0,025 wird, sodass am Monatsende nur noch Tafel und Suppenküche als Aus- weg bleiben. „Es sind erwachsene Menschen“, sagt Urs. „Ich sage ihnen Dänemark 0,024 dann nur: `Komm, jetzt machen wir das nochmal von vorne. War blöd, Österreich 0,022 das merkst du selbst.´ Ich kann das so sagen, weil die Klient_innen merken und wissen, dass ich das nicht böse, sondern wertschätzend Deutschland 0,002 meine.“ So wie Urs das sagt, glaubt man ihm das sofort. (WB) 11 Daten aus 2010, siehe HIV-BeratungAktuell 06-2018 Kriminalisierung
10 Ausgabe 07/2018 Kriminalisierung & HIV-Aktivismus Kriminalisierung ist für uns, wie das Zitat des Soziologen Émile Durk- heim deutlich macht, weit mehr als eine rein juristische Angelegenheit. Neues Forschungsprojekt zu „HIV-Aktivismus“ Kriminalisierung verstehen wir auch als Prozess gesellschaftlicher Äch- tung und Stigmatisierung, der weitreichende, unvorhersehbare und wi- an der Humboldt-Universität zu Berlin dersprüchliche Konsequenzen für Gesundheit und Bürgerrechte hat von Todd Sekuler, Lina Bonde & Friederike Faust und ganz unterschiedliche aktivistische Strategien auf den Plan ruft. „Man darf nicht sagen, dass eine Tat das gemeinsame Bewusstsein verletzt, Unser Blick richtet sich nicht nur in historische Tiefen bis zurück zu den weil sie kriminell ist, sondern sie ist kriminell, weil sie das gemeinsame Be- Anfängen der Epidemie, sondern auch auf gegenwärtige geographi- wusstsein verletzt. sche Breiten, indem wir neben DEUTSCHLAND auch die Politik in POLEN, Wir verurteilen sie nicht, weil sie ein Verbrechen ist, sondern sie ist ein Ver- GROßBRITANNIEN, in der TÜRKEI sowie auf der europäischen Ebene un- brechen, weil wir sie verurteilen." (Durkheim 1992 (1930), 130) 12 tersuchen. Die Geschichte von HIV war immer auch eine Geschichte Unser Forschungsteam ist seit 2016 an den Universitäten in BERLIN, der Kriminalisierung BASEL, KRAKAU und LONDON tätig, die jeweils einzelne regionale Schwer- punkte verfolgen, aber eng vernetzt zusammenarbeiten. Förderung er- Die Geschichte des HI-Virus ist stets auch eine Geschichte der Kriminali- halten wir durch die Europäische Union. 14 außer-akademische Koope- rationspartner_innen begleiten das Forschungsprojekt, darunter auch sierung von Menschen mit HIV gewe- sen. HIV-Aktivismus war daher immer die Deutsche AIDS-Hilfe. Die Partner_innen aus der Zivilgesellschaft übernehmen die Rolle von Berater_innen – sie gewähren Einblicke in auch Widerstand … ihre Arbeit, sie diskutieren mit uns wissenschaftliche Konzepte und un- • gegen die Strafverfolgung bei HIV-Übertragungen terstützen unsere Suche nach Interviewpartner_innen. • gegen die Kriminalisierung von Sexarbeit Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Verflechtungen in Eu- • gegen den Paragraphen 175 und die lange fortbestehende Krimi- ropa nalisierung der Homosexualität EUROPACH will Gemeinsamkeiten und Unterschiede europäischer • gegen eine repressive Drogenpolitik HIV/Aids-Politik sichtbar machen. Einerseits brechen wir mit der pau- schalisierenden Idee, der zufolge überall in Europa ähnliche Gesund- An der Schnittstelle dieser Themen setzt das Forschungsprojekt mit heitsnormen gelten. Wir zeigen stattdessen die feinen Unterschiede dem ambitionierten Titel „Disentangling EUROpean HIV/Aids Policies: auf, die sich in den unterschiedlichen lokalen Kontexten hinter densel- Activism, Citizenship & Health“ (EUROPACH) an, das über das HERA- ben Begriffen und politischen Leitlinien verbergen. Andererseits ma- Programm 13 von der EU gefördert wird. chen wir die Verflechtungen sichtbar: Staatliche Gesundheitspolitik und zivilgesellschaftliche Strategien waren und sind immer beeinflusst von den Geschehnissen in anderen europäischen Ländern. Politische 12Durkheim, Emile. 1992 (1930). Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die 13 http://heranet.info Organisation höherer Gesellschaften. Frankfurt a.M., Erstausgabe 1930.
Ausgabe 07/2018 11 Strategien wandern also über nationale Grenzen hinweg, nehmen da- gerade arbeiten. Sie wird die unterschiedlichen Spielarten der Ent-/Kri- bei in jedem neuen Kontext andere Formen an und erzeugen so ganz minalisierungspolitik in Europa darstellen. unterschiedliche Gegenwarten innerhalb Europas. Das bringt uns zum Herzstück unseres Projekts: das European HIV/Aids Um diese Geschichten „erzählbar zu machen“, interviewen wir langjäh- Archive. Wir wollen damit die Kämpfe gegen die Epidemie in Europa rige Aktivist_innen, engagierte Mediziner_innen, Politiker_innen und sichtbarer machen und ihnen aus dem Schatten der US- andere relevante Personen. Wir begeben uns in Archive und suchen amerikanischen Bewegung verhelfen. Zu diesem Zweck führen wir In- nach politischen Dokumenten aus nichtdigitaler Vorzeit sowie Spuren terviews mit Zeitzeug_innen aus Politik, Medizin und Bewegung und er- früherer aktivistischer Arbeit. Aber auch die Gegenwart interessiert gänzen diese Expert_innen- und Erfahrungsberichte mit einer Samm- uns: Wir führen Expertengespräche mit aktuell aktiven Personen, wir lung politischer Dokumente sowie einer Galerie HIV-bezogener untersuchen relevante Dokumente – Veröffentlichungen, Broschüren, Kunstwerke. Richtlinien, Handlungsempfehlungen, Gerichtsurteile, Diskussionspro- Wir wollen so verhindern, dass die kleinen und großen Aktionen, Strei- tokolle etc. –, und wir nehmen an all jenen Veranstaltungen und Ereig- tigkeiten, Erfolge wie Misserfolge, aber auch der Umgang mit Trauer nissen teil, bei denen politische Strategien entwickelt, umgesetzt oder und Wut in Vergessenheit geraten. An diesem Archiv arbeiten wir ge- kritisiert werden. Wir freuen uns daher immer über Hinweise auf Ver- meinsam mit dem DFG-Forschungsprojekt „'Keine Rechenschaft für anstaltungen und Veröffentlichungen. Leidenschaft!' 14 Aids-Krise und politische Mobilisierung in den 1980er Erfolge des HIV-Aktivismus sichtbar machen und frühen 1990er Jahren in Deutschland“ und dem Arbeitskreis AIDS- Geschichte ins Museum (AKAIM) 15 der Deutschen AIDS-Hilfe. Unsere wissenschaftlichen Veröffentlichungen beschäftigen sich bei- spielsweise damit, wie sich bestimmte Begriffe und Kategorien über Alle Ergebnisse werden am Projektende im Herbst 2019 über unsere die Jahre veränderten und sich damit auch das Verständnis von be- Website zugänglich sein, doch noch sind wir auf der Suche nach Inter- troffenen Gruppen wandelte. So konnten wir in den Empfehlungen des viewpartner_innen, die uns ihre Sicht auf die Geschichte oder Gegen- Europarats zum Umgang mit Blutspenden nachverfolgen, wie sich das wart darlegen möchten. Vor allem interessieren uns die Arbeit in den Bild des Drogengebrauchenden verschob: War zu Beginn noch von Bereichen Haft und Drogen sowie Verhandlungen auf der europäi- „drug abusers“ die Rede, so wandelte sich der Terminus hin zu „people schen Ebene. Meldet euch gerne per E-Mail: europach.ethno@hu- who use drugs“. Dank aktivistischen Einsatzes war es so also gelungen, berlin.de nicht länger die als moralisch verwerflich etikettierte Person in den Mit- Wir freuen uns, wenn ihr uns auf Twitter folgt: @europach_hera, oder telpunkt zu stellen (der Drogenmissbrauchende), sondern ein be- den Austausch mit uns auf anderen Kanälen sucht. (TS/LB/FF) stimmtes Verhalten (Drogengebrauch) als Gegenstand der Gesund- heitspolitik zu definieren. Dieses und weitere working papers können von unserer Homepage heruntergeladen werden: www.europach.eu. Hier haben wir auch eine Liste mit relevanten politischen Dokumenten zusammengestellt, die fortlaufend erweitert wird. In naher Zukunft wird dort auch jene interaktive digitale Karte zu finden sein, an der wir 14 https://www.euroethno.hu-berlin.de/de/forschung/projekte/AKPMD 15 http://www.aidsarchive.net/aids-geschichte-ins-museum
12 Ausgabe 07/2018 Mit euch kann man über Sex reden! Klienten bei unserem ersten Testabend kommen nun zwischen 15 und 25 Personen zu uns. Über die Hälfte der Klient_innen wünschen sich Der Checkpoint für „Ulm und um Ulm herum“ mehr als nur einen HIV-Test. Gerne würden wir einen zweiten Test- abend pro Monat anbieten, aber leider limitiert der „Ärzt_innenman- Wer kennt ihn nicht aus seiner Kindheit, den Zungenbrecher: „In Ulm und gel“ unser Angebot. (WS) um Ulm und um Ulm herum!“ Das besondere an Ulm ist, dass der Check- point dort von einem ehrenamtlichen Team betrieben wird. Wir setzen „Ich bin schon seit mehreren Jahren beim Testabend dabei und mache mit Ulm unsere Serie über die „Glorreichen Sieben“-Checkpoints der Re- Empfang und Kasse. Ich beantworte erste Fragen und helfe manchmal beim publik fort. Waltraud Schwendele gibt uns eine kurze Einführung, um Ausfüllen des Fragebogens. Seit der Umstellung auf Tablets bin ich für die dann vier der acht Ehrenamtlichen selbst zu Wort kommen zu lassen. Ausgabe und die Erklärung der Tablets zuständig. Ich Großen und Ganzen 2019 feiert unser Testangebot sein zehnjähriges Bestehen. Damals macht mir diese Aufgabe Spaß.“ (BI) hatten sich einige Kolleg_innen durch eine Hospitation bei der Münch- Über den Test kommen wir mit Schwulen ins Gespräch ner Aidshilfe und den Besuch des Testseminars bei der DAH auf das neue Angebot vorbereitet. Zu Beginn wurden wir durch eine engagierte „Ich bin seit ca. 10 Jahren bei der Aidshilfe. In Ulm ist die schwule Szene Ärztin aus dem Gesundheitsamt unterstützt, die bei Bedarf auch venö- sehr klein. Partys gibt es kaum noch. Da ist der Test eine Möglichkeit für ses Blut abnehmen konnte. Als sie 2014 von Ulm wegzog, fand sich lei- uns, schwule Männer in und um Ulm zu erreichen und mit ihnen ins Ge- der kein Nachfolger im Gesundheitsamt. Glücklicherweise hatten wir spräch zu kommen. Vorbereitet haben wir uns durch einen Besuch bei der damals einen Arzt im Vorstand, der dann über drei Jahre die Verant- Münchner Aidshilfe, der uns überzeugt hat, dass wir das in Ulm auch an- wortung für das Testangebot übernahm. Als er berufsbedingt aus- bieten sollten. Inzwischen wird das Angebot gut angenommen, leider fehlen schied, konnten wir eine Ärztin von der Uniklinik für Testsprechstunde uns für eine Ausweitung momentan die Ressourcen. Die Testdurchführung und Vorstandamt gewinnen. Seit Kurzem stehen uns zusätzlich zwei geht mittlerweile gut von der Hand, aber die Umstellung auf die webbasier- weitere Ärzt_innen zur Verfügung, die einspringen können. Denn unser ten Fragebögen war ein schwerer Brocken. Ständig gibt es Kleinigkeiten, die Testangebot steht und fällt mit Ärzt_innen, die sich unentgeltlich und nicht wie vorgesehen funktionieren und den Ablauf durcheinanderbringen. ehrenamtlich engagieren. Das ist recht nervig und kostet uns viel Zeit, die wir lieber in die Beratung und Testdurchführung investieren würden. Deshalb meine Frage an die Der Ärzt_innen-Mangel begrenzt unser Angebot DAH: Warum reicht es nicht, den Auswertebogen online zu erfassen? Wa- Neben mir selbst als einziger Hauptamtlicher haben wir weitere drei rum die Daten auf einem Cloudserver speichern? Gerade in Zeiten der ehrenamtliche Berater_innen, die den HIV-Schnelltest durchführen DSGVO sollten wir doch nur die Daten erheben, die auch wirklich gebraucht können, sodass wir bis zu vier Klient_innen gleichzeitig beraten und werden. Bis auf die lästige Technik bin ich soweit recht zufrieden. Die Kli- testen können. Daneben sind unsere Ehrenamtlichen am Empfang, in ent_innen nehmen uns die Probleme mit der Technik nicht übel, und in den unserer „Testzentrale“ und bei Labortätigkeiten engagiert. meisten Fällen können wir ihnen weiterhelfen. Manchmal wünschte ich mir etwas mehr Zeit für die Beratungsgespräche. Andererseits scheinen sich un- Neben dem HIV-Schnelltest bieten wir den HIV-Labortest, den Syphilis- sere Klient_innen heute besser über HIV und Ansteckung im Internet infor- Labortest, HBV- und HCV-Labortest, Abstrich- und Urinuntersuchun- miert zu haben. Wir haben aber auch eine größere Anzahl von bisher un- gen auf Clamydien und Gonokokken an. Vor Kurzem kamen noch Nie- getesteten Klient_innen, die zu ersten Mal zum Test kommen, und da muss ren- und Lebertests im Rahmen der PrEP hinzu. Von zunächst einem
Ausgabe 07/2018 13 man sich mehr Zeit nehmen. Manche wissen das sehr zu schätzen, wie ein- mal ein_e Klient_in sagte: Mit euch kann man offen über Sex reden.“ (BO) Unterstützen, nicht bestrafen! Man muss sich im Team aufeinander verlassen können Aktionstag als ein Beispiel für strukturelle Prävention „Ich bin von Anfang bei den Testabenden in Ulm dabei. Angefangen habe Mit der Kampagne „Unterstützen, nicht bestrafen!“ stellen wir Euch ich als Empfangskraft und Kassierer, habe die Fragebögen ausgegeben und wieder ein Beispiel für „Strukturelle Prävention“ vor. Die Kampagne for- an die Berater_innen weitergeleitet und die ganze Abrechnung gemacht. Mit dert die Regierungen auf, die Kriminalisierung des Drogengebrauchs der Zeit bin ich zur „Orga- und Laborkraft“ aufgestiegen. Ich sorge dafür, zu beenden, Gesetze zu reformieren, die eine effektive HIV-Prävention dass jede_r Berater_in am Testabend alles vor sich liegen hat, was er/sie unter Drogengebrauchenden behindern, und HIV- benötigt. Zum anderen bereite ich die Proben fürs Labor vor und führe das Präventionsmaßnahmen für Drogenkonsumierende wie etwa Sprit- Laborbuch. Dabei durfte ich 2017/2018 die Einführung der digitalen Frage- zentausch sowie Substitutionstherapien zu fördern. bögen miterleben. Plötzlich hast du nix mehr in der Hand, was du lochen, tackern und abheften kannst. Das war schon gewöhnungsbedürftig. Unser Team in Ulm arbeitet bis auf eine hauptamtliche Sozialarbeiterin rein eh- renamtlich, von der Eingangszone über die Zentrale bis hin zu den Bera- ter_innen und Ärzt_innen. Deshalb sind für uns als Team gegenseitiges Ver- trauen und Zuverlässigkeit sehr wichtig, um unseren Checkpoint am Laufen zu halten.“ (MI) Das ist der richtige Weg, wie man Leute erreicht Ich bin schon einige Jahre ehrenamtlich in der Aidshilfe tätig. Erst in der Öffentlichkeitsarbeit und jetzt seit einem Jahr beim Checkpoint. Als gelernte Arzthelferin hab‘ ich den Part übernommen, Blut, Urin etc. weiterzubear- beiten, um sie dann ans Labor zu schicken. Mich erstaunt es jedes Mal aufs Weltweit konsumieren laut Angaben von „Support. Don’t punish“ – so Neue, wie gut unser Testangebot von den Leuten angenommen wird. Oft der englische Titel der Kampagne – 11 bis 21 Millionen Menschen Dro- sind an einem Abend bis zu 20 Klient_innen da, und dann kann es auch gen intravenös. In manchen Ländern Osteuropas und Zentralasiens schon mal stressig werden. Aber unser Team stemmt solche Herausforde- sollen bis zu 80 Prozent von ihnen mit HIV infiziert sein. Der Aktionstag rungen wunderbar, denn wir sind alle gerne und mit viel Freude dabei. Die wurde bewusst auf den „Internationalen Tag gegen Drogenmiss- Umstellung auf die webbasierte Form des Fragebogens war erst etwas holp- brauch“ gelegt, weil dieser von vielen Regierungen dazu genutzt wird, rig, aber jetzt läuft es bis auf ein paar Ausnahmen ganz gut. Für mich per- eine härtere Drogenpolitik zu propagieren. Die Kampagne „Unterstüt- sönlich ist es schön zu sehen, dass unsere Testsprechstunde der richtige zen, nicht bestrafen!“ sendet stattdessen eine gegenteilige Botschaft: Weg ist, wie man die Leute erreicht.“ (NA) Die Drogenpolitik muss reformiert und an den Menschenrechten so- wie an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert werden. Schaut mal auf die Homepage: http://supportdontpunish.org/
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