9 Vorfälle allein im Jahr 2019: So rechtsextrem ist Deutschland bereits - Volksverpetzer

Die Seite wird erstellt Hortensia-Luzy Huber
 
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9 Vorfälle allein im Jahr 2019: So rechtsextrem ist Deutschland bereits - Volksverpetzer
9 Vorfälle allein im Jahr
2019: So rechtsextrem ist
Deutschland bereits

Der Rechtsruck ist da
Das Jahr ist noch keine drei Wochen alt, aber bis jetzt sind
schon mehrere Dinge passiert, die vor einigen Jahren noch
undenkbar gewesen wären oder viel größere Empörung und
Entsetzen hervorgerufen hätten. Auch trotz der Erklärung der
AfD zum Prüffall durch den Verfassungsschutz gibt es Grund zur
Sorge. Fremden- und verfassungsfeindliche Positionen sind
nicht mehr am Rand der Gesellschaft zu finden, sondern
schleichen sich immer weiter prominent in den Diskurs.

Während immer mehr Menschen öffentlich rechtsextreme
Positionen vertreten, gibt es immer mehr auch prominente
Apologeten, die der Intoleranz und Diskriminierung einen Platz
im gesellschaftlichen Diskurs einräumen möchten und eine
Täter-Opfer-Umkehr mit der berechtigten Kritik daran
betreiben. Wie weit sich der Diskurs verschoben hat, möchte
ich an diesen 9 Ereignissen aus diesem jungen Jahr zeigen.
Danke an Nhi Le für ihre Recherchen an dieser Stelle.
9 Vorfälle allein im Jahr 2019: So rechtsextrem ist Deutschland bereits - Volksverpetzer
1. Januar: Anschlag in Bottrop
Ein Mann fährt in Essen und Bottrop in eine Menschenmenge um
„Ausländer zu töten“. Doch der Innenminister Nordrhein-
Westfalens entpolitisiert die Tat umgehend und spricht von
„persönlicher Betroffenheit und Unmut“ als Motiv des Täters.
Wäre das nicht bei fast JEDEM Terroranschlag der Grund? Warum
wird auch nur ansatzweise ein Terroranschlag als berechtigte
Reaktion für irgendwas angesehen? Fatal (Quelle).

1. Januar: „Nazis raus“ – Shitstorm
Die ZDF-Journalistin twittert „Nazis raus“ und bekommt dafür
einen riesigen Shitstorm, Hassmails und Morddrohungen. Obwohl
es sich bei dieser Aussage um eine demokratische
Selbstverständlichkeit handeln müsste (Quelle). Führende
Medien diskutierten dagegen, ob so eine Aussage gar
„grundgesetzwidrig“ sei, absichtlich wurde die eindeutige
Bedeutung fehlinterpretiert und entkontextualisiert. Absurd.
Mehr dazu:

 Rückblick: Die 8 besten Tweets zu #NazisRaus

4. Januar: Doxing-Angriff auf Politiker
aller Parteien außer AfD
PolitikerInnen aller Parteien außer der AfD, JournalistInnen
und Personen des öffentlichen Lebens wurden Opfer eines
Doxing-Angriffs. Man hat viele private Daten und Fotos
veröffentlicht. Auch hier wurde die Tat entpolitisiert, das
angebliche Motiv des Täters seien „Ärgernis über Aussagen der
Betroffenen“ gewesen. Auch hier wird subtil die Schuld den
Opfern zugeschoben, dabei ist die politische Agenda eindeutig
(Quelle). Mehr dazu:

 Ist der Datenleak eine Gefahr für die Demokratie? Interview
9 Vorfälle allein im Jahr 2019: So rechtsextrem ist Deutschland bereits - Volksverpetzer
mit Daniel Mönch (Piraten)

4. Januar: Rechte Drohliste mit Adressen
von Journalisten und Politikern
Eine Liste mit Namen, Adressen und Telefonnummern von
JournalistInnen, PolitikerInnen und antifaschistischen
AktivistInnen wurde veröffentlicht. Oftmals wurde diese mit
rassistischen und herabwertenden Kommentaren versehen. Das
Zirkulieren solcher „Feindeslisten“ mit politischen
GegnerInnen ist höchst beunruhigend, erweckte aber keine
öffentliche Reaktion (Quelle).

10. Januar: Rechtsextremes Netzwerk bei
Polizei größer als angenommen
Das rechtsextreme Netzwerk bei der Polizei, welches man im
Vorjahr entdeckte, ist größer als angenommen. Bekannt wurde
es, nachdem man feststellte, dass ein Polizist interne Daten
an eine gewaltbereite Neonazi-Gruppe weitergegeben hat. Wie
groß die rechtsextremen Sympathien und Einstellungen in der
Polizei verbreitet sind, lässt sich nur erahnen (Quelle).

11. Januar: Mehrere Landgerichte erhalten
bundesweit Bombendrohungen
Mehrere Landgerichte mussten nach Bombendrohungen geräumt
werden. Laut Polizei gingen anonyme E-Mails einer
„nationalsozialistischen Offensive“ ein. Auch in der
Silvesternacht wurde ein Gebäude des Bundesgerichtshofs
beschädigt. Die Polizei geht von einer geplanten und
organisierten Aktion aus. Es gab öffentlich keine Diskussionen
zu der Tat (Quelle).
9 Vorfälle allein im Jahr 2019: So rechtsextrem ist Deutschland bereits - Volksverpetzer
14. Januar: Neues Drohfax von „NSU 2.0“
Die NSU-Opfer Anwältin Seda Basay-Yildiz erhält erneut ein
Drohfax, das mit „NSU 2.0“ unterschrieben wurde. Die Spur nach
dem ersten Fax führte zu dem rechtsextremen Netzwerk an
Polizisten aus Hessen. Man drohte ihr, ihre kleine Tochter
„abzuschlachten“. Gegen weitere Beamte wird ermittelt. Auch
hier blieb eine öffentliche Diskussion aus (Quelle).

14. Januar: Rechtsextreme attackieren
Parteibüros und Redaktionsräume
In einer bundesweit organisierten Aktion griff die Identitäre
Bewegung mehrere Parteibüros in ganz Deutschland an, sowie die
Redaktionsräume der taz (Quelle), der ARD (Quelle) und der
Frankfurter Rundschau (Quelle). Eine taz-Mitarbeiterin wurde
bedrängt, die Polizei ermittelt wegen gefährlicher
Körperverletzung (Quelle). Mehr dazu:

 Aktion der Identitären Bewegung völlig daneben: Mit Gewalt
 gegen „Gewalt“?

16. Januar: Ku Klux Klan Mitglieder in
Thüringen
LKA-Beamte führten Razzien bei deutschen Ku Klux Klan-
Mitgliedern ( „National Socialist Knights of the Ku-Klux-Klan
Deutschland“) durch und fanden mehr als 100 verbotene Waffen,
darunter eine Vielzahl von Schwertern und Macheten, Faust- und
Butterflymessern, Wurfsternen und Teleskop-Schlagstöcken
(Quelle). Die Ermittler kamen der Gruppe durch die Auswertung
von Chatprotokollen, wo sie Hitlerbilder und andere
rassistische und nationalsozialistische Inhalte posteten, auf
die Spur (Quelle).
Angriffe auf Presse, Justiz und Parteien
Rechte Gewalt ist inzwischen Alltag geworden. Es gibt Angriffe
auf die unabhängige Justiz, auf JournalistInnen, politische
Gegner (oder wie im Fall Magnitz bisher unbestätigte
Anschuldigungen). Man greift Anwälte und Menschen mit
Migrationshintergrund an und bedroht sie. Polizei und
Bundeswehr sind anscheinend zum Teil von Rechtsextremen
unterwandert worden.

Die Zeichen sind da, und wir sind schon längst über „Anfänge“
hinaus. Es ist eine breite Offensive gegen die freiheitlich-
demokratische Grundordnung, die Freiheit der Presse, die
Justiz und gegen alle Parteien, die sich diesem Rechtsruck
auch nur ansatzweise entgegen stellen. Doch der öffentliche
Diskurs fokussiert sich teilweise auf völlig übertriebene und
falsche Opferdarstellungen von der AfD, lächerliche
Diskussionen, ob „Nazis raus“ „verfassungsfeindlich“ sei oder
ob es „linke“ „Meinungsverbote“ in Deutschland gäbe.

Die Kritik an den Zuständen wird als Zensur gebrandmarkt, die
AfD inszeniert sich maximal als Opfer, auch bei der möglichen
Überwachung durch den Verfassungsschutz. Während MigrantInnen,
JournalistInnen und PolitikerInnen Opfer von Anschlägen,
Drohungen und Einschüchterungen werden. – und sich
Rechtsextreme bewaffnen. Es gibt (noch) viele deutliche
Stimmen dagegen. Aber allein die ersten Tage des Jahres 2019
zeigen, dass das vielleicht nicht für immer so bleibt.

 Unterdrückte und verbotene Meinungen sind mir auch immer am
 liebsten, wenn sie in Schlagzeilen in der auflagenstärksten…

 Gepostet von Volksverpetzer am Mittwoch, 16. Januar 2019

Danke an @nhile_de für die Recherche! Quelle zur Behauptung
aus dem Teaser hier. Artikelbild: Alexandros Michailidis,
shutterstock.com
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Ceuta: Warum die AfD die
fiktive    Narrative    der
„schwarzen“      „Invasion“
verbreitet

Welchen Zweck verfolgt die AfD mit
diesem Framing?
In der letzten Woche gab es eine „Invasion“. So zumindest
lauteten viele Kommentare anlässlich der Überwindung des
Grenzzaunes zur spanisches Exklave Ceuta. Faktisch liegt Ceuta
auf dem afrikanischen Kontinent, gehört aber zur EU bzw.
Spanien. Nun stellt sich mir zunächst die Frage, ob wir es
hier wirklich mit einer „Invasion Europas“ zu tun haben. Kurz
gegoogelt: „Feindliches Einrücken von militärischen Einheiten
in fremdes Gebiet.“

Die Menschen nutzten demnach Bolzenschneider, Branntkalk und
selbstgebaute Flammenwerfer. Dieses tatsächlich brutale
Vorgehen Einiger ist zu verurteilen, das ist ganz klar. Ob wir
es aber deswegen mit einer „Invasion“ zu tun haben, bleibt
fraglich. Eine Invasion verbinde ich mit einer Übernahme von
Macht, mit einer kriegerischen Intention. Das erkenne ich hier
nicht, denn einmal den Zaun überwunden, passiert was genau?
Vermutlich werden die Männer einfach festgenommen und
teilweise einfach wieder zurückgeschickt.

Das   Framing   „Invasion“  soll                         ein
feindliche Absicht unterstellen                          und
Gewaltbereitschaft steigern
Und faktisch sind sie ja immer noch in Nordafrika. Ich glaube
nicht, dass sie, einmal in Ceuta angekommen, irgendwelche
kriegerischen Absichten haben. Im Gegenteil, sie fliehen
vermutlich teilweise vor kriegerischen Auseinandersetzungen.
Das Framing „Invasoren“ hat also nur einen Zweck: Angst
schüren. Angst vor dem schwarzen, bösen Mann. Ich nenne das
Entmenschlichung, denn hinter jedem dieser Menschen steckt
eine Geschichte, die wir nicht kennen.

Uns wird stattdessen eine böse, schwarze, aggressive Welle
gezeichnet. Sie unterstellt den Menschen, die vor Hunger,
Verfolgung und Krieg fliehen böse Absichten. Sie macht sie zu
„anderen“, zu „Feinden“. Und denen muss man nicht helfen, die
muss man bekämpfen. Die AfD will die Hilfsbereitschaft unserer
Gesellschaft nach und nach zerstören. Stattdessen soll unsere
Gewaltbereitschaft gesteigert werden.

Es verfolgt ein Ziel:
Wie ich zuletzt in einer Hass-Tirade gegen mich lesen musste,
„kippt endlich die Stimmung in Europa“. Mein Gegenüber genießt
„den Rechtsruck“. Und vor allem war er der Auffassung, dass
„10-15% genügen, um eine Gesellschaft radikal zu verändern.“
Bei letzteren hat er allerdings Recht. Genau das ist der Plan
der Hetzer: Sie streben einen Wandel der Gesellschaft an!

Wenn ich nun die Forderungen hierzulande lese , dass
Waffengewalt eingesetzt werden soll, dann wundere ich mich
über die Verhältnismäßigkeit. Einige Politiker der AfD fordern
aber aus ihrer Sicht folgerichtig genau das für die deutsche
Grenze, basierend auf einem Vorfall in Nordafrika. (Quelle)

Die spanische Regierung geht einen anderen Weg. Sie lässt die
messerscharfen Klingen an den Zäunen entfernen. Der ganze
Vorfall zeigt doch ganz deutlich, dass politische Lösungen
gefordert sind oder wollen wir jetzt jeden, der über den Zaun
klettert, vom Zaun runterschießen? Dass manche das nicht
sofort als absurde Vorstellung abtun werden, zeigt, wie
verroht der Diskurs inzwischen ist.

Runterschießen, Seenotretter kriminalisieren, Menschen auf dem
Mittelmeer im Stich lassen oder im menschenunwürdige Lager
zurückschicken wollen. Das sind die einfachen und falschen
Antworten der Populisten. Wenn sie gewinnen, werden wir uns in
vielen Jahren Fragen stellen lassen müssen.

Artikelbild: Erik Marquardt, alle Rechte vorbehalten. Danke!

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Wir   haben   eine   riesige
antirassistische Mehrheit im
Land – Warum werden wir
ignoriert?

Wann hört die Politik auf, einer
rechtsextremen        Minderheit
hinterherzulaufen?
12.000 demonstrierten für die Seebrücke, 30.000 gegen die AfD
in Berlin, selbst 6000 gingen gegen die AfD in Augsburg auf
die Straße. Selbst die größte Demo der AfD hatte weniger. Wir
haben eindeutig eine antirassistische Mehrheit in diesem Land.
Eine, die sich nicht von Mythen und Fake News über Geflüchtete
manipulieren lässt. Die Mehrheit der Deutschen ist der
Meinung, dass die Politik zu viel über Geflüchtete redet und
zu wenig über die Situation der Pflege, Bildungspolitik oder
bezahlbaren Wohnraum (Umfrage).

Warum ignoriert die Groko diese Themen und warum inszeniert
sie schon seit Wochen eine „Krise“, die es gar nicht
gibt? Warum biedern sich die Parteien der Mitte nicht der
Mehrheit an, wie sie es derzeit bei einer kleinen,
rechtsextremen Minderheit tun? Die Mehrheit ist doch bereit,
auf die Straße zu gehen. Für die Seenotrettung, gegen
Rassismus. Lassen sie sich von den manipulierten Trends und
Social-Media-Kommentaren beeinflussen?

Vermeintliche rassistische Übermacht in
Social Media ist Fake
Eine Studie beängstigt und beruhigt mich gleichermaßen:
Ichbinhier e.V und das Institute for Strategic Dialogue haben
sich die Hetzkommentare angesehen und festgestellt: Nur 5% der
Accounts liken 50% der Hetz-Kommentare. Die vermeintliche
„Mehrheit“ der Menschen, die kein Mitgefühl für ertrinkende
Kinder übrig haben, sind professionelle Trolle und Bots. Sie
manipulieren die Kommentarspalten und trendende Hashtags, um
den anderen 95% zu suggerieren, dass der Hass und die Lügen
von der Mehrheit geglaubt werden.

Die Rassisten wollen so lange eine Mehrheit simulieren, bis
sie wirklich da ist. Und die Psychologie weiß: Wenn wir
glauben, dass es alle machen, steigt unsere Bereitschaft, es
auch zu tun. Und das ist ihr Ziel. Aber Bots und Fake-Accounts
können nicht demonstrieren und wählen. Doch wenn die Groko-
Parteien AfD-Politik damit legitimieren, indem sie ihr
nachgeben und nicht demokratischen und menschlichen Prinzipien
treu bleiben, erodieren sie diese Mehrheit.

Wenn jeder, der gegen Rassismus ist, das Gefühl hat, in der
Unterzahl zu sein, wenn jeder denkt, seine Stimme und Meinung
wird ignoriert, könnte das zu Apathie führen. Oder noch
schlimmer: Zur Anpassung. Und dann haben die PolitikerInnen,
die angeblich den Rechtsruck aufhalten wollen, durch ihre
Handlungen genau diesen erst vollendet. Das darf nicht
passieren. Wann werden die Parteien endlich merken, dass es
eine ganze Parteienlandschaft links der AfD gibt?

Artikelbild: Marcel Bauer (C)

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Wie ein rechter Shitstorm
versuchte,    diesen    G20-
Journalisten zu vernichten

Ein Jahr nach G20 schreibt Soeren
Kohlhuber wie er durch seine
Berichterstattung zur Zielscheibe
gezielter rechter Hassnachrichten
wurde.
Vor einem Jahr fand der G20-Gipfel in Hamburg statt. Er war
der Anlass für Proteste und Ausschreitungen. Für mich
persönlich endete der Gipfel bereits Freitagnacht während
großen Ausschreitungen vom Schulterblatt. Gegen 21:30 Uhr
begann ein siebentägiger internationaler Shitstorm gegen mich,
initiiert von US-Amerikanischen Rechten. Das Finale waren
Hetze, öffentliche Outings, Morddrohungen, Solidarität, aber
auch ein großes Schweigen.

Bislang gab es nur wenige Menschen, die mich direkt fragten,
wie ich die Zeit erlebte. Besonders in der Zeit nach dem
Gipfel wurde nur über und nicht mit mir gesprochen. Lange
hatte ich überlegt, ob ich mich äußern sollte, doch seit einem
Jahr ist das Arbeiten nicht mehr wie vorher. Es vergeht keine
Woche, in der Rechte mich nicht wissen lassen, dass der G20-
Gipfel mich mein Leben lang wohl begleiten wird.
Was war nochmal geschehen?

Rechte Aktivistin mit Shirt der Identitären Bewegung auf G20-
Demonstration © Sören Kohlhuber

Am Donnerstag den 06.07.2017 wollten internationale Linke
durch die Hamburger Hafenstraße und die Innenstadt ziehen.
Unter den zehntausenden Menschen sollen nach Darstellung der
Polizei einige hundert vermummt gewesen sein. Sie werden als
Grund herangezogen, um zehntausende Menschen zu entrechten.
Die Demonstration wurde nicht angegriffen, um Straftäter
festzunehmen, sondern um sie zu zerschlagen. Mit Reizstoffen
und Wasserwerfern wurde das Gebiet großflächig geräumt. Erst
viel später konnte eine Demonstration durch die Straßen
ziehen.

Ebenfalls vor Ort waren Aktivisten der „Alt-Right“-Bewegung,
sowie anderen rechten Strömungen. Als Medienaktivisten sind
sie besonders in den USA bereits bekannt gewesen. So gibt es
Videos, wie Personen dieser Gruppe, besonders Lauren Southern,
gezielt versuchen, Antifas in den USA aber auch Europa zu
provozieren, in der Hoffnung auf einen Übergriff, um sich
darauf folgend zu victimisieren.
Auch in Hamburg war das offenbar das Ziel der Gruppe.
Ausgestattet mit einem T-Shirt der „Identitären Bewegung“ zog
man in Gruppenstärke durch die linke Demo. Die Personen
stellen sich seit einigen Jahren vor die Kameras, präsentieren
sich mit rechten Aktivisten von der „Identitären Bewegung“ bis
zu den „Proud Boys“. Eine Sichtbarmachung von rechten
Protagonisten bei den G-20-Gipfeln ist nach wie vor für einige
ein Thema.

Meine auf Twitter veröffentlichten Bilder
der Gruppe sollen in Folge für einen
körperlichen Übergriff gesorgt haben
Wer mit einem T-Shirt einer rechten Gruppe in einer linken
Demonstration umherzieht, dem sage ich Kalkül nach, so dass er
zumindest davon nicht überrascht sein kann, wenn die
Demonstrationsteilnehmenden aggressiv reagieren. Der erfolgte
Übergriff wurde entsprechend dankbar von diesen Alt-Right-
Kandidaten angenommen. Sofort veröffentlichten sie, wie sie es
immer machen, Youtube-Videos und beschuldigten mich der Hetze.

Ihre Fangemeinde sprach davon, ich hätte dazu aufgerufen, die
Gruppe anzugreifen und hätte sie als Neonazis bezeichnet.
Beides ist aber falsch. Ich habe auf eine Person mit
entsprechenden Shirt und das Umfeld hingewiesen. Mit keinem
Wort habe ich dazu aufgefordert, die Gruppe anzugreifen. Auch
wurden keine Persönlichkeitsrechte verletzt – wie auch, wenn
Personen sich 24/7 in Bild und Ton darstellen und die
öffentliche Präsentation ihr Kapital ist. Doch dies ist
unerheblich. Der Stein rollte und war nicht mehr aufzuhalten.
Screenshots von Nachrichten

Als am Freitag neben mir auf dem Schulterblatt die Feuer
meterhoch in den Himmel ragten, das Adrenalin konstant hoch
war, bekam ich die ersten Nachrichten. Wegen mir seien
Journalisten angegriffen worden. Ich hätte die Gesundheit von
Kollegen auf dem Gewissen. Minütlich kamen Nachrichten vor
allem aus dem englischsprachigen Raum bei mir an. War es
anfangs noch ein Shitstorm, der auf Alt-Rights und deren
europäischen Freunde beschränkt war, sickerte die Meldung
eines linken Journalisten, der „die Antifa“ auf rechte
„Kollegen“ gehetzt hat auch in das         deutschsprachige
neurechte/konservative Milieu hinein.

Die sahen sich nun meinen Twitteraccount genauer an. Gefunden
wurden „Aufrufe zur Gewalt“ in Form von zwei zentralen Tweets.
„Die Gewalt ging von Staat und Polizei aus. Jede Flasche,
jeder Stein hat heute seine Berechtigung.“ ist der zentrale
Aufreger-Tweet. Der Tweet wurde u.a. im Nachhinein mit den
Ausschreitungen auf dem Schulterblatt in Verbindung gebracht,
obwohl dieser 24 Stunden vorher, nämlich im Nachgang der
„Welcome-to-hell“-Demonstration abgesetzt wurde.

Grundrechte mit Füßen getreten
In dem Tweet wird nicht Gewalt verherrlicht, wie es gerne
dargestellt wird, sondern die Legitimität einfacher Gewalt
beschrieben. Grundrechte wie das Versammlungsrecht, teilweise
die Pressefreiheit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit,
die Möglichkeit des Rechtswegs – all diese in den Artikeln
1-19 beschriebene Grundrechte wurden den Menschen auf der
Welcome-to-hell-Demonstration durch staatliche „Paramilitärs“
entzogen.

In Artikel 20 ist geregelt, dass, wenn Protagonisten versuchen
diese Ordnungen zu beseitigen, „alle Deutsche das Recht zum
Widerstand“ haben. Während antistaatliche Gewalt auf dem
Maidan noch von der deutschen Politik hofiert oder staatliche
Repression auf Taksim und Tahir sogar kritisiert wurde – und
zwar zurecht – gilt in Deutschland ein anderes Prinzip.

Im Kontext des Angriffs auf Grundrechte sehe ich es auch
weiterhin als legitim an, dass man bewusst das Recht bricht.
Insbesondere, wenn es keinen Schutz durch Legislative und
Judikative geben kann, da die Gewaltenteilung faktisch
abgeschafft wurde, bzw. Gerichtsentscheidungen übergangen
wurden. Menschen sollen sich entsprechend ihrer zur Verfügung
stehenden Mittel gegen    autoritäre   und   unterdrückerische
Aktivitäten wehren.

Dies schließt explizit nicht die später am Abend oder in den
Folgetagen stattgefunden Ausschreitungen mit ein, sondern
bezieht sich einzig und allein auf die Situation im Vorfeld
der Welcome-to-hell-Demo und ihrer Auflösung. Dennoch
schafften es rechte Journalisten wie Alexander Wendt im Focus
oder Rainer Meyer in der FAZ meine Person und meine Tweets aus
ihrem Kontext zu ziehen, in einen weiteren zu setzen und so zu
verfremden.

Der rechte Mob bekommt freie Hand
Rechte Promis und Blogs

Vom rechten Mob bis hin zur CDU Brandenburg hatte ein
gefundenes Fressen für die Agitation gegen die Anti-G20-
Proteste gefunden. Besonders die Tweets von Jakob Augstein,
einem weiteren ehemaligen Störungsmelder-Kollegen und mir
wurden 24/7 durchgekaut. Die Zeit.Online, bei welcher der
Störungsmelder-Blog angesiedelt ist, sah sich ebenfalls einem
massiven Druck ausgesetzt.

Es war offenbar nicht möglich, sich inhaltlich kritisch zu mir
zu äußern ohne mich dem rechten Mob auszuliefern. Mit der
Distanzierung aufgrund vermeintlich „unethischem Verhalten“
war klar, dass es keinen Schutz von ihnen gibt. Der rechte Mob
sah sich bestätigt und es war erst Tag zwei des Shitstorms.
Durch die Statements von Zeit.Online und PNN wurde dem rechten
Mob signalisiert, sie seien im Recht und ihre Diffamierungen
führen zum gewünschten Ziel.

Dachte ich anfangs, dass die Distanzierungen dafür sorgen
würde, dass es ruhiger würde, wurde es nur doller. Die
Morddrohungen wurden heftiger, meine Wohnanschrift fand ihren
Weg ins Internet. Ein extra erstelltes Bild mit meinem
Gesicht, meiner Anschrift und den Tweets ging viral um die
Welt.
Was folgte war der erzwungene Wohnortwechsel, da nicht klar
war, ob nach der Veröffentlichung meiner Adresse die
Bedrohungen nicht doch noch in die Tat umgesetzt werden
würden. Danke an die Menschen, die mir sofort Unterschlupf
boten.

Solidarität und das große Schweigen
Die neue Rechte ist besonders stark in den sozialen Medien
präsent und das bekam ich zu spüren. Gegen die Flut an
Hassnachrichten konnte ich nur dank Freunden ankommen, die die
Administration meiner Social Media Accounts übernahmen. Ich
selber konnte weder alleine filtern, noch reagieren, zu viel
und zu extrem waren die Nachrichten. Meine Arbeit einstellen-
das gab es nicht als Option.

Dazu passend kamen die ersten Solidaritätsbekundungen,
verrückterweise waren die ersten aus den USA. Antifagruppen
von New York bis keine Ahnung wohin bekamen noch vor mir mit,
was passiert. A special thanks to the New York City Antifa,
die mich mit entsprechenden Informationen versorgte und auf
die kommenden Tage exakt vorbereitete.

Die virtuellen Shitstorms der neuen Rechten sind dort ein
länger bekanntes Phänomen. Sie konnten vorraussagen wie lange,
wie stark der Shitstorm agiert und welche Netzwerke, wann wie
wo zuschlagen werden. Selbst die Angriffe auf meine
verschiedenen Accounts wurden vorrausgesagt. Gleichzeitig gab
es eine breite auch in Teilen kritische Solidarität aus
linksradikalen, antifaschistischen Zusammenhängen. Per
Privatnachrichten äußerten sich auch Redakteure sog. „seriöser
Medien“. Sie wollten mir beistehen, trauten sich dies aber
nicht öffentlich aus Angst davor, ebenfalls in den Abgrund
gezogen zu werden.

Dennoch gaben genau diese Bekundungen die Kraft
weiterzumachen. Und mir war es wichtig zu zeigen, dass die
Solidarität gegen rechte Angriffe, ob virtuell oder real nicht
verpufft, sondern wirkt. Bereits am 11.07. noch mitten im
Shitstorm fuhr ich nach Halle. Antifas demonstrierten gegen
die Eröffnung einer Zentrale der „Identitären Bewegung“. Meine
Anwesenheit sollte einen Mittelfinger gegen die Rechten senden
und die Dankbarkeit an die antifaschistische Bewegung für die
gebende Kraft in Form der Solidarität signalisieren.

Dennoch sitzen einige Stacheln tief
Und zerschnittene Tischtücher sind auch ein Jahr später nicht
genäht. Dass linke Medien, Institutionen, Parteien und
Verbände schwiegen, während zwei linke Journalisten öffentlich
an den Pranger kamen und ohne Verteidigung dem Mob
ausgeliefert wurden, ist für mich bis heute nur schwer zu
verstehen. Dass es sogar linke Medien, wie das Neue
Deutschland, schafften in den Reigen des rechten Mobs
einzustimmen verwunderte sogar. Plötzlich war man eine
Persona-non-grata. Gegebene Interviews wurden nicht
veröffentlicht, niemand wollte mit dem Schmuddelkind in
Verbindung gebracht werden. Und das von denjenigen, die sich
sonst das Wort Solidarität groß auf die Fahnen schreiben.

Nach den erfolgreichen Angriffen auf meine Person, haben
rechte Medienaktivisten verstanden, wie sie antifaschistische
Journalismus destabilisieren können. Es sind dieselben Blogs
und Autoren, die im Jahr 2018 gegen Patrick Gensing agierten –
diesmal zum Glück ohne Erfolg.

Ein Kollege bei ver.di meinte, wenn der Sturm vorbeigezogen
ist, wird sich die neugewonnene Aufmerksamkeit positiv
auszahlen. Vielleicht erst ein halbes Jahr später, vielleicht
ein ganzes. Nun ist ein ganzes Jahr vergangen. Die Erde dreht
sich weiter. Die Rechten hetzen ebenfalls weiter. Es ist ein
wenig wie vor dem G20. Mit einem Unterschied. Ich weiß auf wen
ich mich in Zukunft verlassen kann und für wen ich diese
Arbeit mache.

An dieser Stelle nochmal Danke an die Menschen, die mir in
dieser schweren Woche im Juli 2017 beistanden, mich nicht
alleine ließen. Ich werde dies nicht vergessen. Di
eingeschränkte Solidarität war aber auch erschreckend. Gerade
in der Zeit es Rechtsrucks, ist es wichtig, dass die
emanzipatorischen, antifaschistischen Kräfte solidarisch
zueinander sehen, auch wenn es inhaltliche Differenzen geben
mag.

Autor: Soeren Kohlhuber, Link zum Original auf seinem Blog.
Sören Kohlhuber beobachtet als freier Journalist die
Entwicklung der rechten Szene in Deutschland und dokumentiert
regelmäßig deren Aufmärsche.

Artikelbild: pixabay.com,   CC0,   restliche   Bilder:   Soeren
Kohlhuber (c)

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Will die Regierung wirklich
Politik   für  5000  AfDler
machen anstatt für 25.000
Gegendemonstranten?

Die AfD hat zu ihrer Demo in Berlin
gerade     mal    5000    Menschen
mobilisieren       können.      Die
Gegendemonstrationen waren aber
fünf mal so groß. Warum will die
Politik sich ausgerechnet der
Minderheit anbiedern?
87% haben die AfD bei der letzten Bundestagswahl nicht
gewählt. Die Grünen haben mehr Mitglieder und Stimmen als die
AfD. Auf den heutigen Demos war das Verhältnis von Pro-AfD zu
Gegendemonstranten 1:5. Und dennoch scheinen die
Rechtspopulisten die Medien und Schlagzeilen zu beherrschen,
und die Sprache und Themen der Politik und Berichterstattung
zu bestimmen, wie beispielsweise kürzlich SPD-Chefin Nahles
zeigte, als sie einen AfD-Ausspruch kopierte.

Oder wenn die Tagesschau die Demonstration der Rechtsextremen
als „Systemkritik“ betitelt:

 Ganz fatale Schlagzeile: Sie impliziert, dass der
 Gegenprotest keine Systemkritik ist, außerdem verharmlost sie
 Angriffe auf Demokratie und Pressefreiheit als "Kritik".
 Sprache ist wichtig. Und hier hat AfD Sprache leider Eingang
 in die tagesschau gefunden. https://t.co/JoIchcx7sd
— Volksverpetzer (@Volksverpetzer) May 27, 2018

DAgegen? Dafür?
Die AfD ist NICHT das Volk, auch wenn sie das gerne behauptet.
Die digitalen Verstärker der Hashtags und Shitstorms, nicht
zuletzt durch Trollarmeen und Bots, mögen im Netz den Rechten
eine Scheinmehrheit bieten, aber wie man heute gesehen hat,
lässt sich diese Mehrheit nicht auf der Straße reproduzieren.
Da konnten anscheinend nicht einmal mehr Demogelder der AfD
helfen.

Wir sollten die Bedrohung, die durch die AfD ausgeht nicht
unterschätzen. Aber wichtiger ist, dass unsere PolitikerInnen
„der Mitte“ den Einfluss rechtsextremen Gedankenguts nicht
überschätzen und versuchen, sich diesem Wählerklientel
anzubiedern. Eine Politik, die die Sprache und Forderungen der
Rechtsextremen kopiert, wird sie nur stärken: Es wird
signalisiert, dass sie eigentlich Recht haben. Außerdem wird
nichts gegen die tatsächlichen Probleme des Landes getan,
sondern nur Scheinlösungen, unter denen schlimmstenfalls die
Schwächsten unter uns leiden.

Heute stand eine kleine Gruppe überwiegend männlicher und
alter Menschen, die gegen alles waren – Gegen Asylbewerber,
Gegen Ausländer, Gegen Merkel der mindestens fünffachen Menge
an jungen, bunten, dynamischen und ausgelassenen
Gegendemonstranten gegenüber. Die AfD ist eine kleine, wenn
auch radikale Minderheit. Die Politik darf nicht den Fehler zu
machen, zu versuchen, diesen Menschen mit meist geschlossenem
Weltbild hinterherzulaufen.

Eine Mehrheit dieses Landes läuft nicht dem Hass hinterher,
sondern fordert wirkliche Veränderungen: Gerechte Bezahlung
für Arbeit, menschenwürdige Sozialhilfe, mehr Geld für
Pflegekräfte, Umweltschutz, eine Rente, von welcher man leben
kann und Freiheit und freie Entfaltung für alle.

Artikelbild: Marcel Bauer

P.S.: Laut Veranstalter waren auf der Gegendemonstration
übrigens 72.000 Menschen. Die Polizei ist bekannt dafür,
konservativ zu schätzen und gibt selbst zu, dass die Zahlen
wohl größer waren. Das dürfte das Argument nur noch mehr
verdeutlichen.

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„Wir   können    nicht  alle
aufnehmen“? Wir können nicht
alle abschieben!

SPD-Vorsitzende Nahles sagt: „Wir
können nicht alle aufnehmen“. Sie
ist die letzte in einer ganzen
Reihe   an   Personen,   die   der
Vorstellung eine Absage erteilt,
dass.. was eigentlich? Deutschland
alle 65 Millionen Flüchtende der
Welt   aufnimmt?   Überhaupt    gar
niemand       fordert,        „alle
aufzunehmen“. Erneut wird eine
Sprache verwendet, die der AfD
nutzt, weil sie angeblich „linken“
Forderungen eine Absage erteilt und
sie als unrealistisch darstellt.
Warum sagt niemand, „wir können
nicht alle abschieben“?
Über Nahles‘ Aussage wird in zwei Wochen bereits keiner mehr
reden. Aber den Schaden, den sie angerichtet hat, werden wir
noch Jahre zu spüren bekommen. Und das ist den meisten von uns
gar nicht bewusst. Das macht es nämlich so gefährlich.
Deswegen lass mich erklären, warum sie das gesagt hat, was das
für uns bedeutet und warum es so dramatische Auswirkungen auf
die deutsche Politik hat.

Was hat sie (wirklich) gesagt?
Es war ein Appell an die Grünen, „endlich“ die Maghreb-Staaten
(Tunesien, Algerien, Marokko und Westsahara, manchmal
allgemein Nordafrika) zu sicheren Herkunftsländern zu
erklären, damit man Asylbewerber von dort kompromisslos
abschieben kann. Begleitet von der bekannten Aussage „Wir
können nicht alle aufnehmen“.

Warum hat Nahles das gesagt?
Diese Antwort ist einfach: Weil sie, genau wie so viele
PolitikerInnen glaubt, durch verbale Zugeständnisse und
symbolische Gesten die WählerInnen am rechten Rand wieder
einfangen zu können. Warum symbolische Gesten? Weil das
Erklären der Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern
letztendlich so gut wie gar keine Abschiebungen zu Folge
hätte.

Aus den Maghreb-Staaten kommen eigentlich keine Asylgesuche.
Wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine
Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke hervorgeht, kamen
2,2% aller Asylbewerber 2017 aus Tunesien, Marokko und
Algerien. Also etwa 4000 Leute. Von denen etwa 10% eine
Bewilligung bekamen. Von den 1,5% der seit 2013 eingereisten,
ausreisepflichtigen Asylbewerber, die keinen Asylantrag
bewilligt bekamen oder nicht aus humanitären Gründen geduldet
werden, machen sie einen Bruchteil aus.

Warum ist die Aussage dann so fatal?
Nahles und andere PolitikerInnen, die fatalerweise versuchen,
rechte WählerInnen zu hofieren, wollen den politischen
Rechtsruck aufhalten. Jedoch sind sie diejenigen, die diesen
erst mit verursachen: Mit so einer folgenlosen Symbolpolitik
denken die PolitikerInnen, sie könnten so tun, als würden sie
sich um die Interessen der rechten WählerInnen kümmern, ohne
wirklich was zu tun. Klingt nobel, hat aber den gegenteiligen
Effekt: Parteien wie die AfD bekommen das Signal, dass sie
erstens etwas bewirken und zweitens Recht hatten in ihren
Forderungen.

Und drittens wird ja allein schon das Ausbleiben von spürbaren
Konsequenzen diese WählerInnen nicht zufrieden stellen. Allein
schon, weil sie sowieso in einer journalistischen
Parallelwelt aus rechten Medien und Blogs leben, die jetzt
bereits ein nicht realitätsnahes Bild von Kriminalität und
Chaos zeichnen und die üblichen Verdächtigen beschuldigen. Das
wird sich nicht ändern, selbst bei den radikalsten Maßnahmen.

Wie   ich   bereits   oft   geschrieben   habe:   Der   Versuch,
rechtsextreme Politik aufzuhalten, indem man selbst
rechtsextreme Politik macht ist absurd und natürlich zum
Scheitern verurteilt. Und hat noch niemals funktioniert. In
keinem Land, in keiner Zeit. Man braucht nur in die
Geschichtsbücher oder in andere Länder blicken. Und trotzdem
versucht man es immer wieder.

Nahles bestätigt das Weltbild der AfD
Warum? Wegen der zweiten Konsequenz dieses Satzes von Frau
Nahles: Indem sie eine substanzlose Änderung vorschlägt, die
so scheinen soll, als würde sie die Forderungen der Rechten
ernst nehmen (Forderungen, nicht Ängste!), gibt sie der
Weltanschauung der Rechten recht! Wie ich in der Einleitung
geschrieben habe: NIEMAND fordert, dass wir „alle aufnehmen“.
Kein „Linker“ oder sonstwer, Was soll überhaupt „alle
aufnehmen“ heißen?

Dass PolitikerInnen Worte um sich werfen, von denen keiner so
wirklich weiß, was sie bedeuten sollen (wie „Heimat“) ist
normal. Doch die Vorstellung, die dieser Satz mit trägt ist
folgende: Die „Linken“ haben naive Vorstellungen und
lächerlicher Forderungen. Der Eindruck muss entstehen, als
seien alle, die nicht gegen Asyl sind dafür, noch mehr
Menschen hier aufzunehmen oder sich wünschen würden, dass noch
mehr Menschen fliehen müssten oder dergleichen. Das ist absurd
und lächerlich, wird aber wegen solchen Aussagen geglaubt!

Und wer sich gegen weitere Verschärfungen gegen des
Menschenrechts Asyl ausspricht, hilft nicht, wenn er dazu
verleitet wird, Nahles zu widersprechen und den willigen
Naivling für die rechte Presse spielt. Aber wenn Groko-
PolitikerInnen und andere (zu Recht) AfD-PolitikerInnen für
rassistische Sprache und menschenverachtende Forderungen
schelten und dann wenig später verbal ihre Wertvorstellungen
reproduzieren und Politik für dieses Klientel machen, muss das
für rechte WählerInnen paradox und absurd wirken. Und keinen
einzigen davon überzeugen, wieder eine demokratische Partei zu
wählen.

Wir können nicht alle abschieben!
Ich habe oben gesagt, so eine Politik wird den Rechtsruck noch
verstärken, habe ich einen besseren Vorschlag? Ja, wenn wir
bei naiven Forderungen sind, sollte sich einmal angeschaut
werden, was denn die „Gegenseite“ fordert: Alle abschieben?
DAS ist naiv. Das sollte angesprochen werden. Das Asylrecht
ist immerhin ein Menschenrecht und wenn das abgeschafft wird,
wer weiß, bei welchen Menschenrechten weiter gemacht wird? Und
wohin mit den ganzen Menschen? Die anderen Länder Europas sind
teilweise noch ablehnender Asylbewerbern gegenüber. Das ist
lächerlich und absurd. Vor allem, weil die meisten
Asylbewerber ja ein Recht haben, hier zu sein.

Ja, natürlich fordern viele AfD-PolitikerInnen zumindest nach
außen nicht, alle abzuschieben. Aber die weniger
unrealistischeren Forderungen sind doch alle schon Realität:
Konsequente Abschiebungen, „Ankerzentren“, Obergrenzen, mehr
sichere Drittstaaten. Und alles andere sind Forderungen, die
entweder nur einen völlig irrelevanten Bruchteil an Menschen
betreffen oder rechtlich nun mal nicht möglich sind.

Und wie sieht jetzt die Politik aus, die den Rechtsruck
aufhalten kann? Es geht nicht darum, dass die echten oder
potentiellen WählerInnen der AfD ignoriert werden sollen. Man
muss definitiv ihre Ängste ernst nehmen und Politik für diese
Menschen machen. Das heißt NICHT, dass man die FORDERUNGEN
ernst nimmt, die rechte PolitikerInnen in deren Namen
aufstellen. Ich wünschte mir eine Aussage von Nahles, in der
sie sagt: „Wir können nicht alle abschieben“. Wir müssen der
Weltsicht widersprechen, die diese Menschen in der rechten
Presse gefüttert bekommen, anstatt sie so zu bestätigen.

Wie wir den Rechtsruck wirklich stoppen
können
Wir müssen erstens ihrer Problemanalyse eine Absage erteilen,
dass Asylsuchende für alle Probleme verantwortlich gemacht
werden könnten, wenn beispielsweise weder Kriminalität (Link),
noch Geldprobleme (Link) deren Schuld sind. Zweitens muss man
die Lächerlichkeit und Unmöglichkeit der damit verbundenen
Forderungen aufzeigen, anstatt sie selbst zu fordern! Wenn wir
Tunesien zum sicheren Herkunftsland erklären, ändert das auch
nichts daran, dass die Regierung die Hartz-IV-Sätze
kleinrechnet.

Drittens man muss echte Lösungen als Alternativen bieten: Wenn
wir eine Reform des Asylsystems in Europa brauchen, dann
sollten wir darüber reden! Denn wenn kein Land in Europa
Flüchtende aufnimmt, die dann ziellos umherwandern, dann haben
wir erst ein echtes Asylchaos. Und wenn Menschen die AfD
wählen, weil sie von ihrer Arbeit oder von Hartz-IV kein
menschenwürdiges Leben führen können, dann sollte man endlich
einmal an den wahren Problemen ansetzen, anstatt ihren
Scheinlösungen nachzugeben.

Aber   da   ist   ja   das   Problem,   nicht   wahr?   Die   Groko-
PolitikerInnen sind zufrieden damit, wenn sie den Rechten nach
dem Mund reden und weder die Scheinlösungen konsequent
umsetzen, noch unseren unmenschlichen Arbeitsmarkt und unser
grausames Sozialsystem reformieren. Sie wollen jetzt
Wählerstimmen (als ob das bei der SPD, CDU oder der CSU so gut
funktioniert hat!) und alles so lassen, wie es ist. Warum
versuchen sie überhaupt die WählerInnen der AfD abzuwerben?
Die Grünen haben mehr Stimmen als die AfD! Das ist doch
pervers. Das darf uns nicht egal sein. Das ist der direkte Weg
zum Ende unserer Demokratie.

Artikelbild: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0

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