Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre
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Themenzentrierte Interaktion Theoretische Beiträge Andrea Schmid, Stefan Böhm Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung Die in diesem Artikel vorgelegte, qualitative Auswertung der In- terviews mit vier TZI-Kursteilnehmenden erschließt Hinweise darauf, wie Teilnehmende einen Zugang zur TZI finden. Mit „Zugang“ ist die Weise gemeint, in der sie ein erstes Interesse an TZI ausbilden, Anteile der TZI im Verlauf ihrer Auseinanderset- zung auswählen und in ihre (Arbeits-)Lebenspraxis transferieren. Die Akzeptanz und der Transfer der Ausbildungskurse bestimmen den Ergebnissen zufolge nachhaltig, wie die Teilnehmenden die TZI einschätzen. Bei genauerer Betrachtung erscheint die TZI als Zur Autorin Andrea Schmid, Jg. 1967, Sozi- eine Arbeitsform, die sich ausdifferenzieren muss, um mehr und alpädagogin (FH), freiberufliche andere Menschen anzusprechen. Supervisorin (DGSv), Seminar- leiterin & Organisationsentwick- The qualitative assessment of interviews with four TCI course lerin, TZI-Graduandin, Vorsit- participants contained in this article provides indications of how zende RCI München. kontakt@ participants gain access to TCI. This “access” has to do with the schmid-supervision.de way in which participants develop an initial interest in TCI and in which they proceed to select elements of TCI in the process of familiarizing themselves with it and transfer these to their everyday life and work. According to the results presented, the acceptance and transfer of training courses lastingly determine participants’ opinion of TCI. A closer look shows that TCI appears to be a working method which will need to distinguish itself from others in order to attract more and diverse followers. Einleitung Zum Autor Stefan Böhm, Jg. 1966, Dr. Im Heft 2/2011 der „Themenzentrierten Interaktion“ beschrieben phil., Sozialarbeiter (FH), Pä- wir AutorInnen unter dem Titel „In der Milieufalle? Zur Darstel- dagoge, Pastoraler Mitarbeiter lung und Rezeption der TZI“ Ergebnisse der Milieuforschung und & freiberuflicher Coach (DGSv), entwickelten Hypothesen dazu, wie Milieus innerhalb der deut- TZI-Graduand. info@changesophy.de schen Gesellschaft einzelne Aspekte der TZI-Systematik annehmen bzw. ablehnen. Im vorliegenden, zweiten Teil des Artikels gehen wir über die hypothetischen Überlegungen hinaus und stellen dazu Interviews Teilnehmender an TZI-Ausbildungskursen vor. Unser 56
26. Jahrgang Heft 2 Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre Herbst 2012 Interesse gilt der Frage, wie ihnen in der gelebten Kurskultur1 der individuelle Zugang zur Methode, der Haltung und dem Modell „TZI“ erleichtert oder erschwert wurde. Die Ergebnisse halten wir für sehr aufschlussreich für alle, die Menschen den Zugang zur TZI ermöglichen wollen. Wir danken unseren Interviewpart- nerInnen herzlich für ihre freundliche Bereitschaft. Ihre Namen sowie die Bezeichnungen von Orten und Institutionen wurden anonymisiert. Damit der Weg zu den Ergebnissen nachvollzogen werden kann, beschreiben wir zunächst unser forschungsmetho- disches Vorgehen. Forschungsmethodik Unsere Ergebnisse basieren auf vier Interviews mit drei Frauen und einem Mann, die an Ausbildungsgängen für Junge Erwachsene teilnahmen. Dass nur vier Interviews ausreichen, um wissen- schaftliche Erkenntnis behaupten zu können, erklärt sich durch die Eigenlogik qualitativer Sozialforschung. Diese geht davon aus, dass in einem Fall die Eigenlogik des Gegenstands auffindbar ist, wenn dieser Fall mit einem geeigneten Verfahren in seiner Tiefe 1 Bereits auf dem IAT 2000 untersucht wird. Wir wählten zur Auswertung das Verfahren der betonte Markus Rieger, „Grounded Theory“ nach Anselm Strauss (vgl. Strauss, 1998, dass die Wirkung eines for- Strauss/Corbin, 1996).2 mulierten Themas damit zu Wir untersuchten, welcher Logik die Interviewten in Bezug tun hat, ob „man (nur) mit auf die Darstellung ihres Zugangs zur TZI folgen. Die Ergebnisse dem Milieu vertraut ist“. Er spricht von einem „typischen verdichten wir im Abschnitt „Zugangsprofile“ zu einer eingän- Habitus des TZI-lers und der gigen Systematik. In der Logik der Interviewten bildet sich aber TZI-lerin“, der sich in einem nur ein Teil der Wirklichkeit ab. Wir stellten beim Interviewen bestimmten „Geschmack“ nämlich fest, dass unsere InterviewpartnerInnen viel bürgerlich- und „Vorlieben“ äußerst postmaterielles Kulturkapital besitzen, in der die TZI-Ausbildung (Rieger, 2000, 12f). 2 Die Auswertung nach der unserem Befund nach bereits beheimatet ist3. Daher spezifizieren Grounded Theory entfernt wir unsere Auswertung in einem weiteren Schritt auf Aspekte, die sich sprachlich vom gespro- anderen Milieus einen guten Zugang zur TZI bieten würden. Um chenen Wort des Interviews, unsere Ergebnisse anschaulich darzulegen, schreiben wir diesen weil sie von diesem stark Aspekten fiktive Figuren zu. abstrahiert. Wir erheben den Anspruch, entsprechend zu abstrahieren, halten uns aber in diesem Artikel nahe Zugangsprofile am Interview, um die Aus- wertung nachvollziehbar zu Die Interviewten beschreiben im Wesentlichen zwei erste Zugänge machen und die Ergebnisse zur TZI: Zum einen spielen in ihren Erzählungen Menschen eine im Material des Interviews zu verwurzeln. bedeutende Rolle, die sie zur Teilnahme animierten. Zum anderen 3 Zu diesem Ergebnis kamen nennen sie einen eigenen Bedarf an Weiterbildung. Dieses Ergeb- wir im ersten Teil des Arti- nis erscheint zunächst sehr banal. Der Zugang über animierende kels, siehe „Zusammenfas- Menschen und der Zugang über den eigenen Weiterbildungsbedarf sung und Ausblick“. 57
Themenzentrierte Interaktion Theoretische Beiträge sind nicht alternativ; in spezifischen Kombinationen treten beide Zugänge in den erzählten Lebenssequenzen auf; aus der Form, wie das im Einzelfall geschieht, lässt sich aber eine jeweilige Logik der individuellen Anschauung und Bedeutung von TZI herausarbeiten. Diese Logik interessiert im Hinblick auf die Frage, wie die TZI eine Methode für alle sein kann. In einer tieferliegenden Ebene messen die Interviewten einer weiteren Dimension Bedeutung bei: Sie beschreiben ihren Zugang als inspiriert durch die Methode und durch die Haltung. Auch hier sind beide Pole nicht als Alternativen aufzufassen, sondern ihr Zwischenraum als Kontinuum, in dem die erzählte Selbst- Einordnung der InterviewpartnerInnen interessiert. In der Form, wie sie sich einordnen, wird viel von deren Auffassung der TZI deutlich. Auch der Befund, dass man einen Zugang zur TZI eher über die Haltung oder eher über die Methode finden kann, scheint zunächst nicht weiter zu überraschen. Brisanz gewinnen die beiden Befunde in der Kombination der Dimensionen Haltung vs. Methode einerseits und Lösungsbedarf vs. Menschen andererseits, weil sich daraus für die TZI respektive für die Menschen, die TZI verkörpern, unterschiedliche TZI-Sichtweisen und zugehörig verschiedene Haltungen beschreiben lassen. Die Systematik der Zugangsprofile Wir können einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Formen, die TZI aufzufassen und zugehörigem Habitus fest- Es gibt einen Zusam- stellen. Habitus bezeichnet in Anlehnung an Pierre Bourdieu menhang zwischen (1982) die spezifische Weise, in der Menschen sich selbst und verschiedenen For- ihre Umwelt interpretieren. Diese Sichtweise könnte als men, die TZI aufzu- Einzelfallentscheidung des aufgeklärten Subjekts angesehen fassen und dem zu- werden, Pierre Bourdieus Theorie nach aber entwickeln gehörigen Habitus Gruppen in Gesellschaften und Organisationen relativ homo- gene Bündel an Einstellungen und Sichtweisen (Habitus) und unterscheiden sich damit deutlich vom Habitus anderer. Die Auswertungen der Interviews verdichten wir. Dadurch entstehen bei der Betrachtung von Zugängen zur TZI Idealtypen. Diese verstehen wir als eine Heuristik – also als ein Erkenntnis- modell der Wirklichkeit, nicht als die Wirklichkeit selbst. Nie wird der TZI-Zugang eines Menschen völlig mit einem Idealtyp übereinstimmen und auch die Auswertung eines jeden Interviews erbrachte Hinweise auf verschiedene Zugangsprofile, wenngleich jedes Interview eine Tendenz zu je einem Typ beinhaltet. Der Nutzen der Typisierung liegt darin, dass sie ein mentales Modell darstellt, mit dem beispielsweise TZI-Lehrende ihre Vermittlung überprüfen können. 58
26. Jahrgang Heft 2 Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre Herbst 2012 Abb. 1: Sichtweisen der TZI und zugehöriger Habitus TZI als Lebensbegleitung: Habitus der Initiierten Der Fall der Teilnehmerin Marie-Theres Gasser (MG) illustriert das Verständnis der TZI als Lebensbegleitung. Sie schätzt die TZI vor allem wegen der Haltung, die sie in ihr realisiert sieht, und wegen der Menschen, die ihr im TZI-Kontext begegnen. Sie beschreibt eine besondere Anziehung davon, „dass es um mehr geht. Auch um die Persönlichkeit und ja, das hat mich sehr interessiert, und auch der Selbsterfahrungsaspekt“ (Z. 64ff) – dieses „mehr“ konkretisiert sie, indem sie immer wieder auf die Haltung verweist, die in ihrer Darstellung äußerst stark durch Personen realisiert wird (und nicht über die Methode). Eine humanistische Grundhaltung ist MG nicht fremd, sondern gehörte ihrer Darstellung nach bereits vor der Begegnung mit TZI zum eigenen Lebensentwurf. So wird die Ansprache von Menschen, die die TZI vertreten, für sie besonders wichtig. Diese erkennen ihre Passung zur TZI. So sagt eine Dozentin ihrer Uni zu ihr: „Also ich hab das Gefühl, das wär was für dich“ (Z. 16). Sie selbst stellte diese Passung ihrem Bericht zufolge um- gekehrt ebenfalls fest und berichtet im Interview, die Beschreibung der Ausbildung „hat auch so meiner, meiner Menschenhaltung und Menschenbild auch äh einfach entsprochen“ (Z. 19f). Im dargestellten Fall wird sehr deutlich, wie sich der Habitus der Initiierten konstituiert: Zur Initiierung von Menschen, die in ihrer Grundhaltung mit den Werten der TZI übereinstimmen, braucht es keine Überzeugung, sondern lediglich ein mehr oder weniger zufälliges Zusammentreffen. Es wäre wenig denkbar, dass Menschen ihre eigene Methodik so sehr in der TZI realisiert sehen, wie Ini- tiierte dies in Bezug auf ihre Haltung für sich wahrnehmen. Das „Füreinander-geschaffen-Sein“ von TZI und Person bedeutet den Initiierten sehr viel. Wie in keinem anderen Habitus, den wir im biografischen Material der InterviewpartnerInnen fanden, gehört die TZI für die Initiierten zum eigenen Selbst. Sie übernimmt eine weitreichende Funktion, nämlich die einer umfassenden Lebensbe- 59
Themenzentrierte Interaktion Theoretische Beiträge gleitung. Entsprechend wird der besondere Nutzen der Teilnahme an TZI-Kursen von den Interviewten im Habitus der Initiierten deutlich mit Selbsterfahrung, Persönlichkeits- und Identi- tätsentwicklung benannt. Ein Nutzen für den Beruf wird Die TZI gehört für die konsequenterweise nur indirekt gesehen. TZI bleibt Le- Initiierten zu einer bensbegleitung und rückt in diesem Sinn in der Sicht der umfassenden Initiierten hinter wichtigere Weiterbildungen, die in ihrem Lebensbegleitung Berufsfeld eher gefordert werden oder renommiert sind. Die Ausbildung abzuschließen besitzt in diesem Habitus wenig Bedeutung. TZI kann auch nicht als hilfreiche Methode empfohlen werden. Selbst engen Freundinnen und Freunden wird nicht genau erklärt, worum es sich bei den Seminaren, die da besucht werden, eigentlich handelt (vgl. Z. 199ff). Als Lebensbegleitung ist TZI eben recht intim. Idealtypisch formuliert MG: „für meine Arbeit […] brauch ich einfach noch mehr also ganz harte Methoden – und das hab ich ein bisschen bei der TZI vermisst […] da war nicht viel Neues dabei“ (Z. 135ff). Im Habitus der Initiierten wird die Erfahrung, keine Methoden zu finden, ausgegrenzt. Diese Distanzierung wird in ihren Ausführungen deutlich: „Ich glaub, da war ich am Anfang überrascht“ (Z. 155), sagt sie im Interview und wenig später berichtet sie über ihre Vermutung, dass sie in späteren berufsspezifischen Kursen „da mehr mitnehmen würde“ (Z.164). In beiden Zitaten erscheint die Bedeutung des Wortes „da“ aufschlussreich, denn mit ihm wird der Methodenvermittlung ein separater Ort zugewiesen, der mit dem „Eigentlichen“ der TZI wenig in Verbindung zu zu bringen ist. Dass TZI als Methode im Habitus der Initiierten verschwommen bleibt, zeigt sich beispielsweise, wenn MG die Methode als Trias von Reflexionsrahmen, Austausch und Selbsterfahrung beschreibt (vgl. Z. 142f). Dazu passt, dass der eigene Zugang zur TZI als äu- ßerst gefühlvoll beschrieben wird. Sie berichtet, sie sei nach den ersten Kontakten „sehr begeistert“ (Z. 22) gewesen und habe „das Gefühl gehabt“ (Z. 41f), sie müsse sich die TZI anschauen. Die tendenzielle Abwertung der Methodenseite der TZI im Habitus der Initiierten hat für die Weiterentwicklung der TZI herbe Konsequenzen. Er befördert zwar den Wert persönlicher Entwicklungsarbeit, wie sie im bürgerlich-postmateriellen Milieu (vgl. Schmid/Böhm, 2011, 69) wertgeschätzt wird, und sorgt dafür, dass passende „Insider“ dazu kommen. Weil jedoch passende Neue ausgesucht werden, entsteht kaum Veränderungspotenzial innerhalb der TZI-Community, ausreichende Irritationen fehlen. TZI als Geheimbund: Habitus der Gläubigen Das Hinführen zur TZI geschieht bei Menschen im Habitus der Gläubigen entweder als selektive Auswahl durch Reprä- 60
26. Jahrgang Heft 2 Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre Herbst 2012 sentantInnen der TZI („ich hab das Gefühl, das wär was für dich. Und da hab ich mir gedacht, irgendwie kennt sie mich ja doch“, MG Z. 40ff) oder als Animation über mehrere Ecken wie bei Teilnehmerin Emma Martin (EM) (Z. 4ff). Es ist ein „Hingeführt-werden“, das von potenziellen Teilnehmenden ein Einlassen auf Unklares und Unbekanntes („ich hab schon/hatt schon so Schwierigkeiten mir vorzustellen, was das jetzt wirklich ist oder ob das was für mich ist“ EM Z. 12ff) verlangt. TZI ist in diesem Sinn nicht einfach eine Weiterbildung, sondern verlangt von den Rezipierenden langen Atem, um das „Geheimnis“ der TZI zu ergründen. Wenn wir hier den Habitus der „Gläubigen“ erkennen, verstehen wir darunter, dass die Ausbildung zwar als methodisches Konzept, gleichzeitig aber als Prozess des Werdens und Wachsens wahrgenommen wird. Ihre Plausibilität erhält die TZI zuallererst durch Menschen, die glaubwürdig und begeisternd sind. So erzählt EM von ihrem ersten Kurs des RCI: „Und, ja, ich fand’s dann sehr interes- Ihre Plausibilität er- sant irgendwie auch von den Leuten, wer da überhaupt hält die TZI zualler- hinkommt und was die alle so für’n Hintergrund haben erst durch Menschen, und […] ich war eigentlich schon beeindruckt von dem die glaubwürdig und Ganzen. Also ich hab/fand das auf jeden Fall so gut, dass begeisternd sind ich gesagt hab, ich will das unbedingt weiter machen“ (Z. 20ff). In diesem Zitat wird deutlich, dass die Vertre- terInnen der TZI für Menschen im Habitus der Gläubigen nicht ausgewiesene Fachleute sein müssen; es reicht aus, dass sich authentische Menschen zusammenfinden, die sich für die TZI interessieren. Im Habitus der Gläubigen geht es nicht um eigene Transferfragen oder um die tiefe Auseinandersetzung mit der Haltung der TZI, sondern darum, dass im Erleben der Anwendung von TZI originäre Erfahrungen gemacht werden und diese Erfahrungen auch von anderen Menschen als wirk- sam und gut befunden werden. Es braucht dazu ebenfalls nicht geforscht zu werden, wieso die Methode der TZI gut wirkt. Die TZI wird in dieser Konstellation weniger als wissenschaftlich fundierte Methode oder soziale Bewegung wahrgenommen. Sie wirkt wie eine fremde Welt und erscheint wie eine sehr spezielle Szene von Menschen, die mit dem sonstigen Leben nur wenig in Verbindung zu bringen sind. TZI scheint ein Geheimbund zu sein. Diese Perspektive verlangt von den Teilnehmenden, dass sie in der TZI einen Wert annehmen, den sie weder bemessen noch beschreiben können, sondern der weitgehend getragen ist von einem gefühlsmäßigen Zugang, der in anderen eine Bestätigung findet, denen es scheinbar genauso geht. Daher bezeichnen wir den Habitus der Menschen, denen TZI als Geheimbund erscheint, als Gläubige. 61
Themenzentrierte Interaktion Theoretische Beiträge TZI als Arbeitstechnik: Habitus der Suchenden Der Zugang zur TZI als Methodik wird in den Interviews we- sentlich weniger thematisiert als die Haltung der TZI. Das mag an der starken Betonung der Persönlichkeitsentwicklung durch die Interviewpartner und/oder durch die Ausbildung liegen. Der Befund bräuchte daher nicht weiter zum Nachdenken Anlass zu geben, würde die Methode TZI von den Teilnehmenden nicht auch explizit als unklar und nicht differenzierbar beschrieben. Deutlich wird dies im Transfer der TZI in das eigene Arbeitsfeld oder in der Art, wie die Interviewten die „Haltung“ der TZI be- tonten. Ihren Transfer ins Arbeitsfeld beschreibt MG (Z. 471ff) als schwierig, weil vorgegebene Strukturen und Hierarchien keinen Raum für anderes bieten („aber ich hatte das schon immer in meinem Hintergrund“ Z. 482). Die Haltung der Suchenden wird im kritisch-interessierten Interesse an einer wissenschaftlich und methodisch orientierten Weiterentwicklung der TZI-Praxis deutlich. So bilanziert Linus Steinleitner (LS) schlicht: „Also, was ich nicht brauche, ist eine gestaltete Mitte“ (Z. 176f). Um dem, was wie eine rein ästhetische Abneigung aussieht, einen inhaltlichen Sinn beizumessen, führt er aus, die gestaltete Mitte sei „kontraproduktiv zu dem, was die TZI will: die Leute miteinander in Kontakt bringen“ (Z. 185f). Schließlich erklärt er sich das Festhalten der TZI an der Form der gestalteten Mitte, indem er der diagnostizierten Dysfunktion einen individuellen Bedeutungsgehalt zuschreibt: „Meine Vermutung war dahinter: Es ist irgendwie so eine alte Geschichte, die überdauert und manchen Leuten Sicherheit gibt, wenn sie das machen, und ja, dann haben sie was zu tun im Vorfeld“ (Z.192ff). Ästhetisch Es bleibt unerheblich, wie ernst ihm im Interview diese wird die TZI Bemerkung war; auf jeden Fall pointiert sie einen Habitus, immer noch in der der wesentlich darin besteht, sich in die überkommenen Ökologiebewegung Handlungsformen nicht einfach einzusozialisieren, sondern und im Bürgertum Wesentliches und Folkloristisches der TZI-Lehre anhand verwurzelt gesehen ihres Werte- und Wissensbestands zu separieren. Die Vertre- terInnen dieses Habitus sind sehr an der Weiterentwicklung der TZI interessiert, sie vergleichen sie mit anderen Metho- den (LS Z. 371ff, M-TG Z. 136ff). Das dargestellte Beispiel Linus Steinleitners macht deutlich: Die Infragestellung und Abgrenzung zu gewachsenen Handlungsformen in der TZI-Lehre beziehen sich sowohl auf inhaltliche als auch auf ästhetische Verfahrensweisen. Ästhetisch wird die TZI immer noch in der Ökologiebewegung und im Bürgertum verwurzelt angesehen. Von MG (Z. 135) und LS (Z. 144ff) wird explizit beklagt, dass „harte Methoden“ fehlen und die Konzentration auf das Persön- liche manche potenzielle Kunden abschrecken würde. Verschärft 62
26. Jahrgang Heft 2 Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre Herbst 2012 wird dies durch die Aussage, dass die Qualität der Lehrenden sehr unterschiedlich sei (LS Z. 237ff). Der Habitus der Suchenden be- schreibt nicht nur die TZI selbst, sondern auch die Selbstdarstellung der TZI als inhomogen und inkonsistent, die manchmal „genau das zu sein scheint, was jemand braucht“ (EM Z.44–45) und teilweise abschreckt oder nicht genügt. Die Motivation, eine Ausbildung in TZI zu machen, scheint nur marginal von „externen Lern- anforderungen“ abhängig zu sein. In der (sozial-)pädagogischen Ausbildung wird die TZI zwar erwähnt, als Motivation für die Teilnahme an Ausbildungskursen fehlt aber die „Fremdreferenz“ (vgl. Siebert, 2011, 93) von Institutionen und Vorgesetzten. Dies findet sich bei allen vier Interviewten in unterschiedlicher Form, z.B. wird bei Emma Martin (Z. 30ff) die Freistellung abgelehnt mit der Begründung, dass TZI nicht im Rahmen der Lehreraus- bildung notwendig sei, oder der Bewertung des Zertifikats, das im Gegensatz zu anderen Labeln nicht als professionell wahrge- nommen würde (LS Z. 377). Indirekt spiegelt sich das Fehlen der Fremdreferenz wider, wenn TZI eher als grundlegende Persön- lichkeitsentwicklung betont wird. TZI als Allgemeinbildung: Habitus des Inner Circle Im Schnittfeld von Lösungsbedarf und Haltung gewinnt die TZI als grundlegende Weiterbildung an Bedeutung. LS spricht davon, dass TZI Menschen den Zugang zu psychoanalytischen und hu- manistischen Erkenntnissen ermöglicht (Z. 299) und bezeichnet sie als den unschlagbaren Ansatz zum Leiten von Gruppen (Z. 220ff). Gleichzeitig bemerkt er die unsaubere Darstellung und undifferen- zierte Verbreitung (Reduktion auf Hilfsregeln etc.). Zum Habitus des Inner Circle gehört zwar eine gewisse Vorstellung davon, wie TZI methodisch wirkt, der eigene Zugang erfolgt jedoch über die Haltung der TZI. Zum Inner Circle gehört auch, die TZI klar beschreiben zu können, dies aber undifferenziert zu tun. Yolanda Kempf (YK) gibt dafür ein Beispiel, als sie nach dem Spezifikum der TZI gefragt wird: „ … also wenn wir davon ausgehen, man sieht es an den Themenfor- mulierungen, gleich, Themen springen einem ins Auge, das muss TZI sein. Ähm, dass einfach viel mehr Zeit für die Gruppe auch verwendet wird. Also, dass es nicht wie beim rein sachlichen Workshop irgendwie gleich ins Thema eingestiegen [wird]“ (Z. 60ff). In dieser Haltung gegenüber der Methodenseite der TZI ist eine gewisse Abwertung der TZI erkennbar, die allerdings nicht einer ablehnenden Grundeinstellung entspringt, sondern einer Indiffe- 63
Themenzentrierte Interaktion Theoretische Beiträge renz gegenüber methodischer Differenzierung. Die VertreterInnen des Inner Circle gehen davon aus, dass sie den methodischen Teil der TZI kennen und verstanden haben, dass sie dessen Verbindung zu den Wertegrundlagen der TZI zutreffend einschätzen können und damit keine relevante Frage mehr offen bleibt. TZI muss sich nicht als Methode beweisen, ihr Alleinstellungsmerkmal ist bekannt und wird in TZI-Kontexten immer wieder erlebt: „Also ich habe mich bei TZI immer viel mehr als Ich angesprochen gefühlt“ (Z. 39f), sagt beispielsweise YK auf die Frage, was bei der TZI anders ist. Hierin zeigt sich die Eigenlogik der Haltung des Inner Circle. Je weniger Methodik und Systematik der TZI vermittelt werden, desto mehr gerinnt die Ausbildung zu allgemeinen Fertigkeiten und persönlicher Entwicklungsgeschichte. Die Konzeption der Ausbildung befördert den Eindruck der TZI als Allgemeinbildung und wird in diesem Sinne vor allem von Menschen angenommen, die darin einen hohen Wert sehen. Mit dem Habitus des Inner Circle vermitteln TZIlerInnen den Eindruck eines langen, aber lohnenswerten Wegs, der zur „Vollendung“ führt. Diejenigen, die dazu gehören wollen, werden über ein lebenslanges, internes Weiterbildungsangebot begleitet. Diejenigen, die dazugehören, haben ein Interesse, den Status quo zu halten und für die nächste Generation zu sichern. Weitere Befunde In den vier Interviews zeigt sich das Dilemma, in einem immer schnelleren und pointierteren Ausbildungsmarkt eine relativ lange und teure Ausbildung zu vermarkten. Gleichzeitig vermisst z. B. LS eine Marktgängigkeit der Abschlüsse, die vergleichba- ren Ausbildungen entspricht. Für denselben Preis ernten Für denselben TeilnehmerInnen anderer Institute mehr Akzeptanz. Das Preis ernten Verhältnis von Dauer/Aufwand zur Wirkung des Zertifikats TeilnehmerInnen wird folglich als unstimmig erachtet. Die Außendarstellung anderer Institute wird als deutlich verschieden zu anderen Weiterbildungs- mehr Akzeptanz angeboten bezeichnet. Es kann erst einmal irritieren, wenn die TZI mit ihrer Sprache auf den Markt geht. Insofern der Wahrnehmung der Teilnehmenden gefolgt wird, dass Ar- beitgeber und Institutionen bei der Frage von Weiterbildungen auf konkreten Nutzen für das Arbeitsfeld und unmittelbar umsetzbare Methodik drängen, lässt dies den Schluss zu, dass TZI – weil sie als unspezifisch wahrgenommen wird – abgelehnt wird. Mit dem Strukturmodell von Walter Lotz ließe sich das so erklären, dass die TZI-Ausbildung im Kontext von Begegnung, Kooperation, Bildung und Verantwortung in der Außendarstellung den ICH- ES-Bezug, mithin ihre Bildungsfunktion klarer formulieren müsste 64
26. Jahrgang Heft 2 Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre Herbst 2012 (vgl. Lotz, 2009, 76). Im Sinne der Milieuforschung würde dies den Weiterbildungsneigungen mancher Milieus durch unterschiedliche Schwerpunktbezüge in der Themenformulierung entsprechen. Walter Lotz fordert im Briefwechsel mit Helmut Reiser (Reiser/ Lotz, 1995, 248), dass „die TZI mit verschiedenen Gesichtern – entsprechend der unterschiedlichsten Praxiskontexte – versehen“ werden könnte, was sich unseres Erachtens nach ergänzen ließe mit den unterschiedlichen Milieukontexten. In Bezug auf die Außendarstellung (Seminarverzeichnis, Internetauftritt) wird diese in jüngerer Zeit von den Interviewten erheblich klarer und pro- fessioneller empfunden, sollte aber noch offensiver, einheitlicher und professioneller werden. Interessant für die Darstellung der TZI ist auch, was in den Inter- views nicht zur Sprache kommt. So wird ihrer Darstellung zufolge von keinem der Interviewten die TZI wegen ihrer gesellschafts- therapeutischen Dimensionen genutzt. Wenn die Teilnehmenden die Haltungsseite der TZI stark betonen, so bezieht sich diese ihrer Wahrnehmung nach mehr auf die persönlich-individuelle Beziehungsarbeit. Gesellschaftspolitische Themen bleiben außen vor und bieten keinen Zugang zur TZI. Wenn wir zu Beginn feststellen, dass alle Interviewten den bürgerlich-postmateriellen Milieus zugeordnet werden können, beschreiben wir im Folgenden fiktiv, wie prototypische Vertre- terInnen aus dem hedonistischen und aus dem experimenta- listischen Milieu nach unseren Erkenntnissen Zugang zur TZI finden könnten. Beispiel 1: Eine Vertreterin aus dem hedonistischen Milieu Yvonne ist 24 Jahre, besuchte nach der Hauptschule die zweijährige Fachschule für Kinderpflege. Kurz vor Beendigung der Ausbildung wurde sie schwanger und noch vor der Geburt von ihrem Freund verlassen. Zusammen mit ihrer fünfjährigen Tochter lebt sie in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Seit das Kind im Kindergarten ist, kann sie zumindest wieder Teilzeit arbeiten. In ihrer Freizeit trifft sie sich gerne mit Freundinnen, geht (sofern die Mutter auf die Tochter aufpasst) in die Disko und gönnt sich auch mal was beim Shoppen. Sie hört von einer Kollegin, dass diese in so eine Weiterbildung geht, die einen etwas komischen Namen hat. Sie meint dazu: „Ich würd ja auch auf ne Fortbildung gehen, aber das musste dir erst mal leisten können. Das ist ja wirklich eher was für Studierte. Aber als alleinerziehende Mutter hat man’s da echt schwer. Ich kann’s auch echt nicht ab haben, wenn da so Typen meinen, sie wüssten besser wie ich, wie das Leben geht. Und so von oben runter geht gar nicht. Auf Psychogeschwafel könnt ich verzichten. Die sollten mir dann schon konkret sagen, so geht’s und so nicht. Schön wär, wenn da ein 65
Themenzentrierte Interaktion Theoretische Beiträge paar coole Typen dabei wären, damit wir vor allem Spaß miteinander haben könnten. Und den ganzen Tag Fortbildung, das geht gar nicht. Ich bräucht’ da schon auch Zeit zum Entspannen. Stress habe ich in meinem Alltag genug.“ Wenn wir soziokulturelle Gründe der (Nicht-)Teilnahme an TZI-Kursen diskutieren, kann es hilfreich sein, ein Milieu konkret zu betrachten. Mit Yvonne begegnen wir einer prototypischen Vertreterin der Hedonisten (vgl. Sinus Sociovision GmbH, 2004, 36ff). Im Gegensatz zu den vier Interviewten schreiben wir dieser Figur zu, dass sie sich von keinem der genannten Habitus ange- sprochen fühlt. Am ehesten würde sie der TZI als Lebensbegleitung etwas abgewinnen können – zumindest der in diesem Habitus liegenden Methodendistanz. In der praktischen Umsetzung fehlt es an Ausdauer und Kontinuität. Oft kompensiert sie dies durch vermeintliche Liberalität. Viele Bedürfnisse der Hedonisten könnte die TZI „bedienen“, z.B. Leitende, die sich als Teilnehmende verstehen, die Förderung von Interaktion innerhalb der Gruppe, das Ernst-nehmen der Teil- nehmenden. Der Zugang zur TZI wird erschwert durch die hohe Anforderung an Selbstorganisation und Selbstleitung, die langen „Aufmerksamkeitsspannen“, die sowohl ein einzelner TZI-Kurs als auch eine ganze Ausbildung verlangen, und Kursthemen, die nicht mit den konkreten Fragestellungen in Bezug gebracht wer- den. Kursleitungen dürften Genuss nicht moralisch bewerten und müssten die fremde Lebenswelt akzeptieren und respektieren. Den Zugang erleichtern könnten konkrete, auf berufliche Situ- ationen zugeschnittene Kursmodule, Angebote, die ein „Erlebnis“ beinhalten, aber keine Anstrengung (vgl. Mediendienstleistung GmbH, 2005, 307), Angebote, die Genuss versprechen, (vgl. ebd., 298), kostengünstigere Module sowie Kurse im Arbeitskontext. Problematisch könnte hier sein, dass die TZI denen entgegen kommt, die sie als an sich wertvoll beurteilen, und nicht denen, die mal spontan Lust auf einen Kurs haben, und ein anderes Mal nicht. Beispiel 2: Ein Vertreter aus dem experimentalistischen Milieu Carl ist 25 und studiert im sechsten Semester Englisch und Deutsch für das Lehramt an Gymnasien. Vorher hat er schon mal ein Semester Politik studiert, war ein paar Monate in Neuseeland (vgl. Mediendienstleistung GmbH, 2005, 266) unterwegs und hat Zivildienst gemacht. Er jobbt bei einer Konzertagentur, die vor allem Bands aus dem Independent-Bereich betreut. Er lebt in einer Altbau-WG, hat aktuell keine feste Beziehung und war im Sommer zum Trekking in Südamerika mit einem befreundeten Kumpel. Eine Studienkollegin erzählt von einem TZI-Kurs, in 66
26. Jahrgang Heft 2 Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre Herbst 2012 dem es um eine Deutsch-Unterrichtsstunde ging. Grundsätz- lich hat Carl keine Berührungsängste vor neuen Erfahrungen, es geht ihm aber darum, seinen eigenen Weg zu finden und seinem inneren Sinn zu folgen (vgl. Sinus Sociovision GmbH, 2004, 35). Eine TZI-Grundausbildung käme ihm diesbezüglich entgegen, würde aber verlangen, dass er sich über längere Zeit bindet. Dies wiederum steht gegen das Prinzip der Spontaneität und Abwechslung. Carl würde schon mal einen Kurs mitmachen, könnte sich dann aber auch für noch ganz andere Kurserfahrun- gen erwärmen wie z. B. Kinesiologie oder NLP. Er sucht sich pragmatisch das raus, was ihm aktuell sinnvoll erscheint. Den Prototyp des Experimentalisten kennzeichnet, dass er sich vom Habitus der Suchenden durchaus angesprochen fühlen könnte, wenn er seine aktuellen Fragestellungen damit in Verbindung bringen kann. Er lehnt alles Dogmatische, Fremdbestimmung und enge Organisationsbindung ab. Den Zugang zu TZI-Kursen könnte ihm erleichtern, wenn die Teilnahme nicht an eine Mitgliedschaft gekoppelt ist, Kursmo- dule nach Bedarf gewählt werden können, Spaß, Anregung und Abwechslung erlebbar sind (also nicht nur fünf Tage im Kreis sitzen), alternative Erlebnisangebote gemacht werden (sportlich, künstlerisch), Kursleitende authentisch sind, aber nicht dogmatisch und pragmatische Lösungen für seine aktuellen Bedürfnisse ge- boten werden (vgl. Barz/Tippelt (Hg.), 2004, 65ff). Problematisch wären hier vor allem die starke Betonung der TZI im Habitus der Etablierten und des Inner Circle als feste, werteorientierte Gemeinschaft, die auf Dauer angelegt ist. Ausblick: Kriterien einer TZI für alle Die Interviews unserer Untersuchung sind eine Aufnahme der Interviewten in einem zufälligen Moment ihres Lebens. Aus dem, was sie uns als Daten zur Verfügung stellten, konnten wir Ide- altypen mit bestimmten Eigenschaften herausbilden. Interessant und weiterführend wäre die Frage, ob es typische Verläufe gibt: Ob Teilnehmende, die als „Gläubige“ mit der TZI in Berührung kommen, sich evtl. typischerweise im Verlauf ihrer Beschäftigung mit TZI zu Suchenden verändern oder wie solche typischen Ent- wicklungen verlaufen. Wir haben junge Menschen im Studium untersucht und vermuten, dass ältere Menschen oder Angehörige bestimmter Berufsgruppen einen anderen Habitus mit der TZI entwickeln. Wir halten weitere Untersuchungen für spannend. Die geführten Interviews wurden für diesen Artikel im Rahmen der Fachzeitschrift nur begrenzt ausgewertet. Auch hier liegt Potenzial für weitere Erkenntnisse. 67
Themenzentrierte Interaktion Theoretische Beiträge Die Auswertung der Interviews bestätigt unsere Hypothese, dass eine TZI „für alle“ nicht existiert. Mit den Prototypen der Hedo- nisten und Experimentalisten verdeutlichen wir diesen Befund. Die TZI kommt ihrem Anspruch, ein Angebot für alle zu sein, schon deswegen nicht nach, weil die Kursleitungen wenige Milieus repräsentieren. Es gibt in der TZI-Ausbildung wenig Kultur dafür, eigene ästhetische Grenzen zu überqueren. Unseres Erachtens nach lohnt es sich, an die Ergebnisse weitere Forschungen anzuschließen, nicht zuletzt weil die Auseinandersetzung über die zukünftige Ausrichtung der TZI das Milieudilemma widerspiegelt. Besonders auffällig kristallisiert sich das Milieudilemma am Status, der der Person Ruth Cohn in der Lehre zugewiesen wird. 40 Jahre nach Gründung des RCI verhindert eine mögliche Öffnung in andere Milieus Stagnation und würde unsere „Verfassung“ lebendig entwickeln, fordert uns aber gleichzeitig heraus, eigene Grenzen zumindest zu weiten und den Blick darüber hinaus zu wagen.4 Wie in der Darstellung der Zugangsprofile pointiert wurde, bedeutet die Entwicklung von Milieusensibilität, die TZI in ihrer Differenz zu sehen, anzunehmen und zu vermitteln. Dem Bedarf an methodischem TZI-Wissen werden die Ausbil- Dem Bedarf an derinnen und Ausbilder unserer Untersuchung zufolge bei methodischem TZI- Weitem zu wenig gerecht. Wichtig – auch das hat unsere Wissen werden die Untersuchung gezeigt – wird es sein, die Kulturveränderung AusbilderInnen bei aufmerksam zu beobachten, die geschieht, wenn die TZI Weitem zu wenig stärker als Arbeitsmethode vermittelt wird. Suchende Men- gerecht schen sind kritisch gegenüber Herkömmlichem, und zwar auch dann, wenn dieses Herkömmliche anderen Menschen wertvoll ist. Schließlich wird eine realistische Reflexion der bisherigen Milieugebundenheit der TZI die Frage aufwerfen, wie die Strukturelemente der TZI für alle Milieus fruchtbar werden können. Wie beispielsweise Themenzentrierung ohne Themen- formulierung auskommt, wäre eine interessante Entwicklungsauf- gabe. Das RCI und die Lehre der TZI sind also vor eine enorme Herausforderung gestellt, die sie mit vielen Institutionen teilen: sich in der Balance zwischen Tradition und Herausforderung zu entwickeln. Wir AutorInnen wünschen uns, dass dies in einem Diskussionsrahmen möglich ist, bei dem einander unterstellt wird, TZI als Haltung und Methode wertzuschätzen. 4 Beim Staatsakt zum 40sten Geburtstag des Grundge- Literatur setzes trug der damalige Bundespräsident Richard Barz, Heiner; Rudolf Tippelt (Hg.): Weiterbildung und soziale Milieus in Deutschland. Praxishandbuch Milieu- von Weizsäcker den Fei- ernden auf nachzuforschen, marketing. Bielefeld 2004. „in welcher Verfassung wir Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main 1982. sind“ (1989). Lotz, Walter: Sozialpädagogisches Handeln. Eine Grundlegung sozialer Beziehungsarbeit mit Themenzentrierter 68
26. Jahrgang Heft 2 Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre Herbst 2012 Interaktion. Mainz, zitiert (76) in Schneider-Landolf et al. (Hg.): Handbuch Themenzentrierte Interaktion, Göttingen 2009, 67–77. Medien-Dienstleistungs GmbH (Hg.): Milieuhandbuch „Religiöse und kirchliche Orientierungen“. München 2005. Reiser, Helmut; Walter Lotz: Themenzentrierte Interaktion als Pädagogik. Mainz 1995. Rieger, Markus: Aufdringlich authentisch – Beobachtungen zum TZI-Habitus. In: Themenzentrierte Interaktion 2/2000, 9–22. Schmid, Andrea; Stefan Böhm: In der Milieufalle? Zur Darstellung und Rezeption der TZI. In: Themenzentrierte Interaktion 2/2011, 65–73. Sinus Sociovision GmbH: Erziehungsziele und -stile von Müttern mit kleinen Kindern. Heidelberg November 2004 aus http://www.bdkj.de/fileadmin/redakteur/bilder/pdfs/jungemuetter_report.pdf. Siebert, Horst: Lernen und Bildung Erwachsener. Bielefeld 2011. Strauss, Anselm: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Datenanalyse und Theoriebildung in der empirischen soziologischen Forschung. München 1998. Strauss, Anselm; Juliet Corbin: Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Weinheim 1996. von Weizsäcker, Richard: 40 Jahre Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland – Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei einem Staatsakt in der Beethovenhalle in Bonn. Bonn 1989. www. bundespraesident.de. Interviews www.schmid-supervision.de/tzi-interviews 69
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