Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre

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Themenzentrierte
Interaktion                        Theoretische Beiträge

Andrea Schmid, Stefan Böhm
Milieusensibilität als Anforderung
an die TZI-Lehre
Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung

                                   Die in diesem Artikel vorgelegte, qualitative Auswertung der In-
                                   terviews mit vier TZI-Kursteilnehmenden erschließt Hinweise
                                   darauf, wie Teilnehmende einen Zugang zur TZI finden. Mit
                                   „Zugang“ ist die Weise gemeint, in der sie ein erstes Interesse an
                                   TZI ausbilden, Anteile der TZI im Verlauf ihrer Auseinanderset-
                                   zung auswählen und in ihre (Arbeits-)Lebenspraxis transferieren.
                                   Die Akzeptanz und der Transfer der Ausbildungskurse bestimmen
                                   den Ergebnissen zufolge nachhaltig, wie die Teilnehmenden die
                                   TZI einschätzen. Bei genauerer Betrachtung erscheint die TZI als
Zur Autorin
Andrea Schmid, Jg. 1967, Sozi-
                                   eine Arbeitsform, die sich ausdifferenzieren muss, um mehr und
alpädagogin (FH), freiberufliche   andere Menschen anzusprechen.
Supervisorin (DGSv), Seminar-
leiterin & Organisationsentwick-   The qualitative assessment of interviews with four TCI course
lerin, TZI-Graduandin, Vorsit-     participants contained in this article provides indications of how
zende RCI München. kontakt@        participants gain access to TCI. This “access” has to do with the
schmid-supervision.de
                                   way in which participants develop an initial interest in TCI and
                                   in which they proceed to select elements of TCI in the process of
                                   familiarizing themselves with it and transfer these to their everyday
                                   life and work. According to the results presented, the acceptance
                                   and transfer of training courses lastingly determine participants’
                                   opinion of TCI. A closer look shows that TCI appears to be a
                                   working method which will need to distinguish itself from others
                                   in order to attract more and diverse followers.

                                   Einleitung
Zum Autor
Stefan Böhm, Jg. 1966, Dr.         Im Heft 2/2011 der „Themenzentrierten Interaktion“ beschrieben
phil., Sozialarbeiter (FH), Pä-    wir AutorInnen unter dem Titel „In der Milieufalle? Zur Darstel-
dagoge, Pastoraler Mitarbeiter     lung und Rezeption der TZI“ Ergebnisse der Milieuforschung und
& freiberuflicher Coach (DGSv),
                                   entwickelten Hypothesen dazu, wie Milieus innerhalb der deut-
TZI-Graduand.
info@changesophy.de                schen Gesellschaft einzelne Aspekte der TZI-Systematik annehmen
                                   bzw. ablehnen. Im vorliegenden, zweiten Teil des Artikels gehen wir
                                   über die hypothetischen Überlegungen hinaus und stellen dazu
                                   Interviews Teilnehmender an TZI-Ausbildungskursen vor. Unser
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Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre                      Herbst 2012

Interesse gilt der Frage, wie ihnen in der gelebten Kurskultur1 der
individuelle Zugang zur Methode, der Haltung und dem Modell
„TZI“ erleichtert oder erschwert wurde. Die Ergebnisse halten
wir für sehr aufschlussreich für alle, die Menschen den Zugang
zur TZI ermöglichen wollen. Wir danken unseren Interviewpart-
nerInnen herzlich für ihre freundliche Bereitschaft. Ihre Namen
sowie die Bezeichnungen von Orten und Institutionen wurden
anonymisiert. Damit der Weg zu den Ergebnissen nachvollzogen
werden kann, beschreiben wir zunächst unser forschungsmetho-
disches Vorgehen.

Forschungsmethodik

Unsere Ergebnisse basieren auf vier Interviews mit drei Frauen
und einem Mann, die an Ausbildungsgängen für Junge Erwachsene
teilnahmen. Dass nur vier Interviews ausreichen, um wissen-
schaftliche Erkenntnis behaupten zu können, erklärt sich durch
die Eigenlogik qualitativer Sozialforschung. Diese geht davon aus,
dass in einem Fall die Eigenlogik des Gegenstands auffindbar ist,
wenn dieser Fall mit einem geeigneten Verfahren in seiner Tiefe
                                                                      1 Bereits auf dem IAT 2000
untersucht wird. Wir wählten zur Auswertung das Verfahren der           betonte Markus Rieger,
„Grounded Theory“ nach Anselm Strauss (vgl. Strauss, 1998,              dass die Wirkung eines for-
Strauss/Corbin, 1996).2                                                 mulierten Themas damit zu
   Wir untersuchten, welcher Logik die Interviewten in Bezug            tun hat, ob „man (nur) mit
auf die Darstellung ihres Zugangs zur TZI folgen. Die Ergebnisse        dem Milieu vertraut ist“. Er
                                                                        spricht von einem „typischen
verdichten wir im Abschnitt „Zugangsprofile“ zu einer eingän-           Habitus des TZI-lers und der
gigen Systematik. In der Logik der Interviewten bildet sich aber        TZI-lerin“, der sich in einem
nur ein Teil der Wirklichkeit ab. Wir stellten beim Interviewen         bestimmten „Geschmack“
nämlich fest, dass unsere InterviewpartnerInnen viel bürgerlich-        und „Vorlieben“ äußerst
postmaterielles Kulturkapital besitzen, in der die TZI-Ausbildung       (Rieger, 2000, 12f).
                                                                      2 Die Auswertung nach der
unserem Befund nach bereits beheimatet ist3. Daher spezifizieren
                                                                        Grounded Theory entfernt
wir unsere Auswertung in einem weiteren Schritt auf Aspekte, die        sich sprachlich vom gespro-
anderen Milieus einen guten Zugang zur TZI bieten würden. Um            chenen Wort des Interviews,
unsere Ergebnisse anschaulich darzulegen, schreiben wir diesen          weil sie von diesem stark
Aspekten fiktive Figuren zu.                                            abstrahiert. Wir erheben
                                                                        den Anspruch, entsprechend
                                                                        zu abstrahieren, halten uns
                                                                        aber in diesem Artikel nahe
Zugangsprofile                                                          am Interview, um die Aus-
                                                                        wertung nachvollziehbar zu
Die Interviewten beschreiben im Wesentlichen zwei erste Zugänge         machen und die Ergebnisse
zur TZI: Zum einen spielen in ihren Erzählungen Menschen eine           im Material des Interviews
                                                                        zu verwurzeln.
bedeutende Rolle, die sie zur Teilnahme animierten. Zum anderen
                                                                      3 Zu diesem Ergebnis kamen
nennen sie einen eigenen Bedarf an Weiterbildung. Dieses Ergeb-         wir im ersten Teil des Arti-
nis erscheint zunächst sehr banal. Der Zugang über animierende          kels, siehe „Zusammenfas-
Menschen und der Zugang über den eigenen Weiterbildungsbedarf           sung und Ausblick“.

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                   sind nicht alternativ; in spezifischen Kombinationen treten beide
                   Zugänge in den erzählten Lebenssequenzen auf; aus der Form, wie
                   das im Einzelfall geschieht, lässt sich aber eine jeweilige Logik der
                   individuellen Anschauung und Bedeutung von TZI herausarbeiten.
                   Diese Logik interessiert im Hinblick auf die Frage, wie die TZI
                   eine Methode für alle sein kann.
                      In einer tieferliegenden Ebene messen die Interviewten einer
                   weiteren Dimension Bedeutung bei: Sie beschreiben ihren Zugang
                   als inspiriert durch die Methode und durch die Haltung. Auch
                   hier sind beide Pole nicht als Alternativen aufzufassen, sondern
                   ihr Zwischenraum als Kontinuum, in dem die erzählte Selbst-
                   Einordnung der InterviewpartnerInnen interessiert. In der Form,
                   wie sie sich einordnen, wird viel von deren Auffassung der TZI
                   deutlich. Auch der Befund, dass man einen Zugang zur TZI eher
                   über die Haltung oder eher über die Methode finden kann, scheint
                   zunächst nicht weiter zu überraschen.
                      Brisanz gewinnen die beiden Befunde in der Kombination der
                   Dimensionen Haltung vs. Methode einerseits und Lösungsbedarf vs.
                   Menschen andererseits, weil sich daraus für die TZI respektive für die
                   Menschen, die TZI verkörpern, unterschiedliche TZI-Sichtweisen
                   und zugehörig verschiedene Haltungen beschreiben lassen.

                   Die Systematik der Zugangsprofile

                         Wir können einen Zusammenhang zwischen verschiedenen
                         Formen, die TZI aufzufassen und zugehörigem Habitus fest-
Es gibt einen Zusam- stellen. Habitus bezeichnet in Anlehnung an Pierre Bourdieu
 menhang zwischen (1982) die spezifische Weise, in der Menschen sich selbst und
 verschiedenen For- ihre Umwelt interpretieren. Diese Sichtweise könnte als
 men, die TZI aufzu- Einzelfallentscheidung des aufgeklärten Subjekts angesehen
 fassen und dem zu- werden, Pierre Bourdieus Theorie nach aber entwickeln
  gehörigen Habitus Gruppen in Gesellschaften und Organisationen relativ homo-
                         gene Bündel an Einstellungen und Sichtweisen (Habitus) und
                         unterscheiden sich damit deutlich vom Habitus anderer.
                    Die Auswertungen der Interviews verdichten wir. Dadurch
                 entstehen bei der Betrachtung von Zugängen zur TZI Idealtypen.
                 Diese verstehen wir als eine Heuristik – also als ein Erkenntnis-
                 modell der Wirklichkeit, nicht als die Wirklichkeit selbst. Nie
                 wird der TZI-Zugang eines Menschen völlig mit einem Idealtyp
                 übereinstimmen und auch die Auswertung eines jeden Interviews
                 erbrachte Hinweise auf verschiedene Zugangsprofile, wenngleich
                 jedes Interview eine Tendenz zu je einem Typ beinhaltet. Der
                 Nutzen der Typisierung liegt darin, dass sie ein mentales Modell
                 darstellt, mit dem beispielsweise TZI-Lehrende ihre Vermittlung
                 überprüfen können.
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Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre        Herbst 2012

Abb. 1: Sichtweisen der TZI und zugehöriger Habitus

TZI als Lebensbegleitung: Habitus der Initiierten

Der Fall der Teilnehmerin Marie-Theres Gasser (MG) illustriert das
Verständnis der TZI als Lebensbegleitung. Sie schätzt die TZI vor
allem wegen der Haltung, die sie in ihr realisiert sieht, und wegen
der Menschen, die ihr im TZI-Kontext begegnen. Sie beschreibt
eine besondere Anziehung davon, „dass es um mehr geht. Auch um
die Persönlichkeit und ja, das hat mich sehr interessiert, und auch
der Selbsterfahrungsaspekt“ (Z. 64ff) – dieses „mehr“ konkretisiert
sie, indem sie immer wieder auf die Haltung verweist, die in ihrer
Darstellung äußerst stark durch Personen realisiert wird (und nicht
über die Methode). Eine humanistische Grundhaltung ist MG
nicht fremd, sondern gehörte ihrer Darstellung nach bereits vor
der Begegnung mit TZI zum eigenen Lebensentwurf. So wird die
Ansprache von Menschen, die die TZI vertreten, für sie besonders
wichtig. Diese erkennen ihre Passung zur TZI. So sagt eine Dozentin
ihrer Uni zu ihr: „Also ich hab das Gefühl, das wär was für dich“
(Z. 16). Sie selbst stellte diese Passung ihrem Bericht zufolge um-
gekehrt ebenfalls fest und berichtet im Interview, die Beschreibung
der Ausbildung „hat auch so meiner, meiner Menschenhaltung und
Menschenbild auch äh einfach entsprochen“ (Z. 19f).
   Im dargestellten Fall wird sehr deutlich, wie sich der Habitus der
Initiierten konstituiert: Zur Initiierung von Menschen, die in ihrer
Grundhaltung mit den Werten der TZI übereinstimmen, braucht
es keine Überzeugung, sondern lediglich ein mehr oder weniger
zufälliges Zusammentreffen. Es wäre wenig denkbar, dass Menschen
ihre eigene Methodik so sehr in der TZI realisiert sehen, wie Ini-
tiierte dies in Bezug auf ihre Haltung für sich wahrnehmen. Das
„Füreinander-geschaffen-Sein“ von TZI und Person bedeutet den
Initiierten sehr viel. Wie in keinem anderen Habitus, den wir im
biografischen Material der InterviewpartnerInnen fanden, gehört
die TZI für die Initiierten zum eigenen Selbst. Sie übernimmt eine
weitreichende Funktion, nämlich die einer umfassenden Lebensbe-
                                                                                  59
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                  gleitung. Entsprechend wird der besondere Nutzen der Teilnahme
                  an TZI-Kursen von den Interviewten im Habitus der Initiierten
                          deutlich mit Selbsterfahrung, Persönlichkeits- und Identi-
                          tätsentwicklung benannt. Ein Nutzen für den Beruf wird
Die TZI gehört für die konsequenterweise nur indirekt gesehen. TZI bleibt Le-
 Initiierten zu einer bensbegleitung und rückt in diesem Sinn in der Sicht der
    umfassenden           Initiierten hinter wichtigere Weiterbildungen, die in ihrem
 Lebensbegleitung Berufsfeld eher gefordert werden oder renommiert sind.
                             Die Ausbildung abzuschließen besitzt in diesem Habitus
                          wenig Bedeutung. TZI kann auch nicht als hilfreiche Methode
                  empfohlen werden. Selbst engen Freundinnen und Freunden wird
                  nicht genau erklärt, worum es sich bei den Seminaren, die da besucht
                  werden, eigentlich handelt (vgl. Z. 199ff). Als Lebensbegleitung ist TZI
                  eben recht intim. Idealtypisch formuliert MG: „für meine Arbeit […]
                  brauch ich einfach noch mehr also ganz harte Methoden – und das
                  hab ich ein bisschen bei der TZI vermisst […] da war nicht viel Neues
                  dabei“ (Z. 135ff). Im Habitus der Initiierten wird die Erfahrung, keine
                  Methoden zu finden, ausgegrenzt. Diese Distanzierung wird in ihren
                  Ausführungen deutlich: „Ich glaub, da war ich am Anfang überrascht“
                  (Z. 155), sagt sie im Interview und wenig später berichtet sie über
                  ihre Vermutung, dass sie in späteren berufsspezifischen Kursen „da
                  mehr mitnehmen würde“ (Z.164). In beiden Zitaten erscheint die
                  Bedeutung des Wortes „da“ aufschlussreich, denn mit ihm wird der
                  Methodenvermittlung ein separater Ort zugewiesen, der mit dem
                  „Eigentlichen“ der TZI wenig in Verbindung zu zu bringen ist.
                     Dass TZI als Methode im Habitus der Initiierten verschwommen
                  bleibt, zeigt sich beispielsweise, wenn MG die Methode als Trias
                  von Reflexionsrahmen, Austausch und Selbsterfahrung beschreibt
                  (vgl. Z. 142f). Dazu passt, dass der eigene Zugang zur TZI als äu-
                  ßerst gefühlvoll beschrieben wird. Sie berichtet, sie sei nach den
                  ersten Kontakten „sehr begeistert“ (Z. 22) gewesen und habe „das
                  Gefühl gehabt“ (Z. 41f), sie müsse sich die TZI anschauen.
                     Die tendenzielle Abwertung der Methodenseite der TZI im
                  Habitus der Initiierten hat für die Weiterentwicklung der TZI
                  herbe Konsequenzen. Er befördert zwar den Wert persönlicher
                  Entwicklungsarbeit, wie sie im bürgerlich-postmateriellen Milieu
                  (vgl. Schmid/Böhm, 2011, 69) wertgeschätzt wird, und sorgt dafür,
                  dass passende „Insider“ dazu kommen. Weil jedoch passende Neue
                  ausgesucht werden, entsteht kaum Veränderungspotenzial innerhalb
                  der TZI-Community, ausreichende Irritationen fehlen.

                     TZI als Geheimbund: Habitus der Gläubigen

                     Das Hinführen zur TZI geschieht bei Menschen im Habitus
                     der Gläubigen entweder als selektive Auswahl durch Reprä-
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Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre       Herbst 2012

sentantInnen der TZI („ich hab das Gefühl, das wär was für
dich. Und da hab ich mir gedacht, irgendwie kennt sie mich ja
doch“, MG Z. 40ff) oder als Animation über mehrere Ecken
wie bei Teilnehmerin Emma Martin (EM) (Z. 4ff). Es ist ein
„Hingeführt-werden“, das von potenziellen Teilnehmenden ein
Einlassen auf Unklares und Unbekanntes („ich hab schon/hatt
schon so Schwierigkeiten mir vorzustellen, was das jetzt wirklich
ist oder ob das was für mich ist“ EM Z. 12ff) verlangt. TZI ist in
diesem Sinn nicht einfach eine Weiterbildung, sondern verlangt
von den Rezipierenden langen Atem, um das „Geheimnis“ der
TZI zu ergründen. Wenn wir hier den Habitus der „Gläubigen“
erkennen, verstehen wir darunter, dass die Ausbildung zwar als
methodisches Konzept, gleichzeitig aber als Prozess des Werdens
und Wachsens wahrgenommen wird. Ihre Plausibilität erhält
die TZI zuallererst durch Menschen, die glaubwürdig
und begeisternd sind. So erzählt EM von ihrem ersten
Kurs des RCI: „Und, ja, ich fand’s dann sehr interes- Ihre Plausibilität er-
sant irgendwie auch von den Leuten, wer da überhaupt hält die TZI zualler-
hinkommt und was die alle so für’n Hintergrund haben erst durch Menschen,
und […] ich war eigentlich schon beeindruckt von dem die glaubwürdig und
Ganzen. Also ich hab/fand das auf jeden Fall so gut, dass      begeisternd sind
ich gesagt hab, ich will das unbedingt weiter machen“
(Z. 20ff). In diesem Zitat wird deutlich, dass die Vertre-
terInnen der TZI für Menschen im Habitus der Gläubigen
nicht ausgewiesene Fachleute sein müssen; es reicht aus, dass
sich authentische Menschen zusammenfinden, die sich für die
TZI interessieren. Im Habitus der Gläubigen geht es nicht um
eigene Transferfragen oder um die tiefe Auseinandersetzung
mit der Haltung der TZI, sondern darum, dass im Erleben der
Anwendung von TZI originäre Erfahrungen gemacht werden
und diese Erfahrungen auch von anderen Menschen als wirk-
sam und gut befunden werden. Es braucht dazu ebenfalls nicht
geforscht zu werden, wieso die Methode der TZI gut wirkt. Die
TZI wird in dieser Konstellation weniger als wissenschaftlich
fundierte Methode oder soziale Bewegung wahrgenommen.
Sie wirkt wie eine fremde Welt und erscheint wie eine sehr
spezielle Szene von Menschen, die mit dem sonstigen Leben
nur wenig in Verbindung zu bringen sind. TZI scheint ein
Geheimbund zu sein.
   Diese Perspektive verlangt von den Teilnehmenden, dass sie
in der TZI einen Wert annehmen, den sie weder bemessen noch
beschreiben können, sondern der weitgehend getragen ist von
einem gefühlsmäßigen Zugang, der in anderen eine Bestätigung
findet, denen es scheinbar genauso geht. Daher bezeichnen wir
den Habitus der Menschen, denen TZI als Geheimbund erscheint,
als Gläubige.
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                    TZI als Arbeitstechnik: Habitus der Suchenden

                 Der Zugang zur TZI als Methodik wird in den Interviews we-
                 sentlich weniger thematisiert als die Haltung der TZI. Das mag
                 an der starken Betonung der Persönlichkeitsentwicklung durch
                 die Interviewpartner und/oder durch die Ausbildung liegen. Der
                 Befund bräuchte daher nicht weiter zum Nachdenken Anlass zu
                 geben, würde die Methode TZI von den Teilnehmenden nicht
                 auch explizit als unklar und nicht differenzierbar beschrieben.
                 Deutlich wird dies im Transfer der TZI in das eigene Arbeitsfeld
                 oder in der Art, wie die Interviewten die „Haltung“ der TZI be-
                 tonten. Ihren Transfer ins Arbeitsfeld beschreibt MG (Z. 471ff) als
                 schwierig, weil vorgegebene Strukturen und Hierarchien keinen
                 Raum für anderes bieten („aber ich hatte das schon immer in
                 meinem Hintergrund“ Z. 482).
                    Die Haltung der Suchenden wird im kritisch-interessierten
                 Interesse an einer wissenschaftlich und methodisch orientierten
                 Weiterentwicklung der TZI-Praxis deutlich. So bilanziert Linus
                 Steinleitner (LS) schlicht: „Also, was ich nicht brauche, ist eine
                 gestaltete Mitte“ (Z. 176f). Um dem, was wie eine rein ästhetische
                 Abneigung aussieht, einen inhaltlichen Sinn beizumessen, führt
                 er aus, die gestaltete Mitte sei „kontraproduktiv zu dem, was die
                 TZI will: die Leute miteinander in Kontakt bringen“ (Z. 185f).
                 Schließlich erklärt er sich das Festhalten der TZI an der Form der
                 gestalteten Mitte, indem er der diagnostizierten Dysfunktion einen
                 individuellen Bedeutungsgehalt zuschreibt: „Meine Vermutung war
                 dahinter: Es ist irgendwie so eine alte Geschichte, die überdauert
                         und manchen Leuten Sicherheit gibt, wenn sie das machen,
                         und ja, dann haben sie was zu tun im Vorfeld“ (Z.192ff).
     Ästhetisch          Es bleibt unerheblich, wie ernst ihm im Interview diese
    wird die TZI         Bemerkung war; auf jeden Fall pointiert sie einen Habitus,
  immer noch in der der wesentlich darin besteht, sich in die überkommenen
 Ökologiebewegung Handlungsformen nicht einfach einzusozialisieren, sondern
  und im Bürgertum Wesentliches und Folkloristisches der TZI-Lehre anhand
 verwurzelt gesehen ihres Werte- und Wissensbestands zu separieren. Die Vertre-
                         terInnen dieses Habitus sind sehr an der Weiterentwicklung
                         der TZI interessiert, sie vergleichen sie mit anderen Metho-
                 den (LS Z. 371ff, M-TG Z. 136ff). Das dargestellte Beispiel Linus
                 Steinleitners macht deutlich: Die Infragestellung und Abgrenzung
                 zu gewachsenen Handlungsformen in der TZI-Lehre beziehen sich
                 sowohl auf inhaltliche als auch auf ästhetische Verfahrensweisen.
                 Ästhetisch wird die TZI immer noch in der Ökologiebewegung
                 und im Bürgertum verwurzelt angesehen.
                    Von MG (Z. 135) und LS (Z. 144ff) wird explizit beklagt, dass
                 „harte Methoden“ fehlen und die Konzentration auf das Persön-
                 liche manche potenzielle Kunden abschrecken würde. Verschärft
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                                                                                      Heft 2
Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre               Herbst 2012

wird dies durch die Aussage, dass die Qualität der Lehrenden sehr
unterschiedlich sei (LS Z. 237ff). Der Habitus der Suchenden be-
schreibt nicht nur die TZI selbst, sondern auch die Selbstdarstellung
der TZI als inhomogen und inkonsistent, die manchmal „genau das
zu sein scheint, was jemand braucht“ (EM Z.44–45) und teilweise
abschreckt oder nicht genügt. Die Motivation, eine Ausbildung
in TZI zu machen, scheint nur marginal von „externen Lern-
anforderungen“ abhängig zu sein. In der (sozial-)pädagogischen
Ausbildung wird die TZI zwar erwähnt, als Motivation für die
Teilnahme an Ausbildungskursen fehlt aber die „Fremdreferenz“
(vgl. Siebert, 2011, 93) von Institutionen und Vorgesetzten. Dies
findet sich bei allen vier Interviewten in unterschiedlicher Form,
z.B. wird bei Emma Martin (Z. 30ff) die Freistellung abgelehnt
mit der Begründung, dass TZI nicht im Rahmen der Lehreraus-
bildung notwendig sei, oder der Bewertung des Zertifikats, das
im Gegensatz zu anderen Labeln nicht als professionell wahrge-
nommen würde (LS Z. 377). Indirekt spiegelt sich das Fehlen der
Fremdreferenz wider, wenn TZI eher als grundlegende Persön-
lichkeitsentwicklung betont wird.

TZI als Allgemeinbildung: Habitus des Inner Circle

Im Schnittfeld von Lösungsbedarf und Haltung gewinnt die TZI
als grundlegende Weiterbildung an Bedeutung. LS spricht davon,
dass TZI Menschen den Zugang zu psychoanalytischen und hu-
manistischen Erkenntnissen ermöglicht (Z. 299) und bezeichnet sie
als den unschlagbaren Ansatz zum Leiten von Gruppen (Z. 220ff).
Gleichzeitig bemerkt er die unsaubere Darstellung und undifferen-
zierte Verbreitung (Reduktion auf Hilfsregeln etc.). Zum Habitus
des Inner Circle gehört zwar eine gewisse Vorstellung davon, wie
TZI methodisch wirkt, der eigene Zugang erfolgt jedoch über
die Haltung der TZI. Zum Inner Circle gehört auch, die TZI klar
beschreiben zu können, dies aber undifferenziert zu tun. Yolanda
Kempf (YK) gibt dafür ein Beispiel, als sie nach dem Spezifikum
der TZI gefragt wird:

       „ … also wenn wir davon ausgehen, man sieht es an den Themenfor-
       mulierungen, gleich, Themen springen einem ins Auge, das muss TZI
       sein. Ähm, dass einfach viel mehr Zeit für die Gruppe auch verwendet
       wird. Also, dass es nicht wie beim rein sachlichen Workshop irgendwie
       gleich ins Thema eingestiegen [wird]“ (Z. 60ff).

In dieser Haltung gegenüber der Methodenseite der TZI ist eine
gewisse Abwertung der TZI erkennbar, die allerdings nicht einer
ablehnenden Grundeinstellung entspringt, sondern einer Indiffe-
                                                                                         63
Themenzentrierte
Interaktion          Theoretische Beiträge

                     renz gegenüber methodischer Differenzierung. Die VertreterInnen
                     des Inner Circle gehen davon aus, dass sie den methodischen Teil
                     der TZI kennen und verstanden haben, dass sie dessen Verbindung
                     zu den Wertegrundlagen der TZI zutreffend einschätzen können
                     und damit keine relevante Frage mehr offen bleibt. TZI muss sich
                     nicht als Methode beweisen, ihr Alleinstellungsmerkmal ist bekannt
                     und wird in TZI-Kontexten immer wieder erlebt: „Also ich habe
                     mich bei TZI immer viel mehr als Ich angesprochen gefühlt“ (Z.
                     39f), sagt beispielsweise YK auf die Frage, was bei der TZI anders
                     ist. Hierin zeigt sich die Eigenlogik der Haltung des Inner Circle.
                     Je weniger Methodik und Systematik der TZI vermittelt werden,
                     desto mehr gerinnt die Ausbildung zu allgemeinen Fertigkeiten
                     und persönlicher Entwicklungsgeschichte. Die Konzeption der
                     Ausbildung befördert den Eindruck der TZI als Allgemeinbildung
                     und wird in diesem Sinne vor allem von Menschen angenommen,
                     die darin einen hohen Wert sehen.
                        Mit dem Habitus des Inner Circle vermitteln TZIlerInnen
                     den Eindruck eines langen, aber lohnenswerten Wegs, der zur
                     „Vollendung“ führt. Diejenigen, die dazu gehören wollen, werden
                     über ein lebenslanges, internes Weiterbildungsangebot begleitet.
                     Diejenigen, die dazugehören, haben ein Interesse, den Status quo
                     zu halten und für die nächste Generation zu sichern.

                     Weitere Befunde

                    In den vier Interviews zeigt sich das Dilemma, in einem immer
                    schnelleren und pointierteren Ausbildungsmarkt eine relativ lange
                    und teure Ausbildung zu vermarkten. Gleichzeitig vermisst z. B.
                           LS eine Marktgängigkeit der Abschlüsse, die vergleichba-
                           ren Ausbildungen entspricht. Für denselben Preis ernten
      Für denselben        TeilnehmerInnen anderer Institute mehr Akzeptanz. Das
       Preis ernten        Verhältnis von Dauer/Aufwand zur Wirkung des Zertifikats
     TeilnehmerInnen       wird folglich als unstimmig erachtet. Die Außendarstellung
     anderer Institute     wird als deutlich verschieden zu anderen Weiterbildungs-
     mehr Akzeptanz        angeboten bezeichnet. Es kann erst einmal irritieren, wenn
                           die TZI mit ihrer Sprache auf den Markt geht. Insofern der
                           Wahrnehmung der Teilnehmenden gefolgt wird, dass Ar-
                    beitgeber und Institutionen bei der Frage von Weiterbildungen auf
                    konkreten Nutzen für das Arbeitsfeld und unmittelbar umsetzbare
                    Methodik drängen, lässt dies den Schluss zu, dass TZI – weil sie
                    als unspezifisch wahrgenommen wird – abgelehnt wird. Mit dem
                    Strukturmodell von Walter Lotz ließe sich das so erklären, dass
                    die TZI-Ausbildung im Kontext von Begegnung, Kooperation,
                    Bildung und Verantwortung in der Außendarstellung den ICH-
                    ES-Bezug, mithin ihre Bildungsfunktion klarer formulieren müsste
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26. Jahrgang
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Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre               Herbst 2012

(vgl. Lotz, 2009, 76). Im Sinne der Milieuforschung würde dies den
Weiterbildungsneigungen mancher Milieus durch unterschiedliche
Schwerpunktbezüge in der Themenformulierung entsprechen.
Walter Lotz fordert im Briefwechsel mit Helmut Reiser (Reiser/
Lotz, 1995, 248), dass „die TZI mit verschiedenen Gesichtern –
entsprechend der unterschiedlichsten Praxiskontexte – versehen“
werden könnte, was sich unseres Erachtens nach ergänzen ließe
mit den unterschiedlichen Milieukontexten. In Bezug auf die
Außendarstellung (Seminarverzeichnis, Internetauftritt) wird diese
in jüngerer Zeit von den Interviewten erheblich klarer und pro-
fessioneller empfunden, sollte aber noch offensiver, einheitlicher
und professioneller werden.
   Interessant für die Darstellung der TZI ist auch, was in den Inter-
views nicht zur Sprache kommt. So wird ihrer Darstellung zufolge
von keinem der Interviewten die TZI wegen ihrer gesellschafts-
therapeutischen Dimensionen genutzt. Wenn die Teilnehmenden
die Haltungsseite der TZI stark betonen, so bezieht sich diese
ihrer Wahrnehmung nach mehr auf die persönlich-individuelle
Beziehungsarbeit. Gesellschaftspolitische Themen bleiben außen
vor und bieten keinen Zugang zur TZI.
   Wenn wir zu Beginn feststellen, dass alle Interviewten den
bürgerlich-postmateriellen Milieus zugeordnet werden können,
beschreiben wir im Folgenden fiktiv, wie prototypische Vertre-
terInnen aus dem hedonistischen und aus dem experimenta-
listischen Milieu nach unseren Erkenntnissen Zugang zur TZI
finden könnten.

Beispiel 1: Eine Vertreterin aus dem hedonistischen Milieu
Yvonne ist 24 Jahre, besuchte nach der Hauptschule die zweijährige
Fachschule für Kinderpflege. Kurz vor Beendigung der Ausbildung
wurde sie schwanger und noch vor der Geburt von ihrem Freund
verlassen. Zusammen mit ihrer fünfjährigen Tochter lebt sie in
einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Seit das Kind im Kindergarten
ist, kann sie zumindest wieder Teilzeit arbeiten. In ihrer Freizeit
trifft sie sich gerne mit Freundinnen, geht (sofern die Mutter auf
die Tochter aufpasst) in die Disko und gönnt sich auch mal was
beim Shoppen. Sie hört von einer Kollegin, dass diese in so eine
Weiterbildung geht, die einen etwas komischen Namen hat. Sie
meint dazu:
       „Ich würd ja auch auf ne Fortbildung gehen, aber das musste dir erst
       mal leisten können. Das ist ja wirklich eher was für Studierte. Aber
       als alleinerziehende Mutter hat man’s da echt schwer. Ich kann’s auch
       echt nicht ab haben, wenn da so Typen meinen, sie wüssten besser
       wie ich, wie das Leben geht. Und so von oben runter geht gar nicht.
       Auf Psychogeschwafel könnt ich verzichten. Die sollten mir dann
       schon konkret sagen, so geht’s und so nicht. Schön wär, wenn da ein

                                                                                         65
Themenzentrierte
Interaktion        Theoretische Beiträge

                         paar coole Typen dabei wären, damit wir vor allem Spaß miteinander
                         haben könnten. Und den ganzen Tag Fortbildung, das geht gar nicht.
                         Ich bräucht’ da schon auch Zeit zum Entspannen. Stress habe ich in
                         meinem Alltag genug.“

                   Wenn wir soziokulturelle Gründe der (Nicht-)Teilnahme an
                   TZI-Kursen diskutieren, kann es hilfreich sein, ein Milieu konkret
                   zu betrachten. Mit Yvonne begegnen wir einer prototypischen
                   Vertreterin der Hedonisten (vgl. Sinus Sociovision GmbH, 2004,
                   36ff). Im Gegensatz zu den vier Interviewten schreiben wir dieser
                   Figur zu, dass sie sich von keinem der genannten Habitus ange-
                   sprochen fühlt. Am ehesten würde sie der TZI als Lebensbegleitung
                   etwas abgewinnen können – zumindest der in diesem Habitus
                   liegenden Methodendistanz. In der praktischen Umsetzung fehlt
                   es an Ausdauer und Kontinuität. Oft kompensiert sie dies durch
                   vermeintliche Liberalität.
                      Viele Bedürfnisse der Hedonisten könnte die TZI „bedienen“,
                   z.B. Leitende, die sich als Teilnehmende verstehen, die Förderung
                   von Interaktion innerhalb der Gruppe, das Ernst-nehmen der Teil-
                   nehmenden. Der Zugang zur TZI wird erschwert durch die hohe
                   Anforderung an Selbstorganisation und Selbstleitung, die langen
                   „Aufmerksamkeitsspannen“, die sowohl ein einzelner TZI-Kurs
                   als auch eine ganze Ausbildung verlangen, und Kursthemen, die
                   nicht mit den konkreten Fragestellungen in Bezug gebracht wer-
                   den. Kursleitungen dürften Genuss nicht moralisch bewerten und
                   müssten die fremde Lebenswelt akzeptieren und respektieren.
                      Den Zugang erleichtern könnten konkrete, auf berufliche Situ-
                   ationen zugeschnittene Kursmodule, Angebote, die ein „Erlebnis“
                   beinhalten, aber keine Anstrengung (vgl. Mediendienstleistung
                   GmbH, 2005, 307), Angebote, die Genuss versprechen, (vgl. ebd.,
                   298), kostengünstigere Module sowie Kurse im Arbeitskontext.
                   Problematisch könnte hier sein, dass die TZI denen entgegen
                   kommt, die sie als an sich wertvoll beurteilen, und nicht denen,
                   die mal spontan Lust auf einen Kurs haben, und ein anderes Mal
                   nicht.

                   Beispiel 2: Ein Vertreter aus dem experimentalistischen Milieu
                   Carl ist 25 und studiert im sechsten Semester Englisch und
                   Deutsch für das Lehramt an Gymnasien. Vorher hat er schon mal
                   ein Semester Politik studiert, war ein paar Monate in Neuseeland
                   (vgl. Mediendienstleistung GmbH, 2005, 266) unterwegs und hat
                   Zivildienst gemacht. Er jobbt bei einer Konzertagentur, die vor
                   allem Bands aus dem Independent-Bereich betreut. Er lebt in
                   einer Altbau-WG, hat aktuell keine feste Beziehung und war im
                   Sommer zum Trekking in Südamerika mit einem befreundeten
                   Kumpel. Eine Studienkollegin erzählt von einem TZI-Kurs, in
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26. Jahrgang
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Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre      Herbst 2012

dem es um eine Deutsch-Unterrichtsstunde ging. Grundsätz-
lich hat Carl keine Berührungsängste vor neuen Erfahrungen,
es geht ihm aber darum, seinen eigenen Weg zu finden und
seinem inneren Sinn zu folgen (vgl. Sinus Sociovision GmbH,
2004, 35). Eine TZI-Grundausbildung käme ihm diesbezüglich
entgegen, würde aber verlangen, dass er sich über längere Zeit
bindet. Dies wiederum steht gegen das Prinzip der Spontaneität
und Abwechslung. Carl würde schon mal einen Kurs mitmachen,
könnte sich dann aber auch für noch ganz andere Kurserfahrun-
gen erwärmen wie z. B. Kinesiologie oder NLP. Er sucht sich
pragmatisch das raus, was ihm aktuell sinnvoll erscheint. Den
Prototyp des Experimentalisten kennzeichnet, dass er sich vom
Habitus der Suchenden durchaus angesprochen fühlen könnte,
wenn er seine aktuellen Fragestellungen damit in Verbindung
bringen kann. Er lehnt alles Dogmatische, Fremdbestimmung
und enge Organisationsbindung ab.
   Den Zugang zu TZI-Kursen könnte ihm erleichtern, wenn die
Teilnahme nicht an eine Mitgliedschaft gekoppelt ist, Kursmo-
dule nach Bedarf gewählt werden können, Spaß, Anregung und
Abwechslung erlebbar sind (also nicht nur fünf Tage im Kreis
sitzen), alternative Erlebnisangebote gemacht werden (sportlich,
künstlerisch), Kursleitende authentisch sind, aber nicht dogmatisch
und pragmatische Lösungen für seine aktuellen Bedürfnisse ge-
boten werden (vgl. Barz/Tippelt (Hg.), 2004, 65ff). Problematisch
wären hier vor allem die starke Betonung der TZI im Habitus
der Etablierten und des Inner Circle als feste, werteorientierte
Gemeinschaft, die auf Dauer angelegt ist.

Ausblick: Kriterien einer TZI für alle

Die Interviews unserer Untersuchung sind eine Aufnahme der
Interviewten in einem zufälligen Moment ihres Lebens. Aus dem,
was sie uns als Daten zur Verfügung stellten, konnten wir Ide-
altypen mit bestimmten Eigenschaften herausbilden. Interessant
und weiterführend wäre die Frage, ob es typische Verläufe gibt:
Ob Teilnehmende, die als „Gläubige“ mit der TZI in Berührung
kommen, sich evtl. typischerweise im Verlauf ihrer Beschäftigung
mit TZI zu Suchenden verändern oder wie solche typischen Ent-
wicklungen verlaufen. Wir haben junge Menschen im Studium
untersucht und vermuten, dass ältere Menschen oder Angehörige
bestimmter Berufsgruppen einen anderen Habitus mit der TZI
entwickeln. Wir halten weitere Untersuchungen für spannend. Die
geführten Interviews wurden für diesen Artikel im Rahmen der
Fachzeitschrift nur begrenzt ausgewertet. Auch hier liegt Potenzial
für weitere Erkenntnisse.
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Themenzentrierte
Interaktion                    Theoretische Beiträge

                   Die Auswertung der Interviews bestätigt unsere Hypothese, dass
                eine TZI „für alle“ nicht existiert. Mit den Prototypen der Hedo-
                nisten und Experimentalisten verdeutlichen wir diesen Befund.
                Die TZI kommt ihrem Anspruch, ein Angebot für alle zu sein,
                schon deswegen nicht nach, weil die Kursleitungen wenige Milieus
                repräsentieren. Es gibt in der TZI-Ausbildung wenig Kultur dafür,
                eigene ästhetische Grenzen zu überqueren. Unseres Erachtens nach
                lohnt es sich, an die Ergebnisse weitere Forschungen anzuschließen,
                nicht zuletzt weil die Auseinandersetzung über die zukünftige
                Ausrichtung der TZI das Milieudilemma widerspiegelt. Besonders
                auffällig kristallisiert sich das Milieudilemma am Status, der der
                Person Ruth Cohn in der Lehre zugewiesen wird. 40 Jahre nach
                Gründung des RCI verhindert eine mögliche Öffnung in andere
                Milieus Stagnation und würde unsere „Verfassung“ lebendig
                entwickeln, fordert uns aber gleichzeitig heraus, eigene Grenzen
                zumindest zu weiten und den Blick darüber hinaus zu wagen.4
                   Wie in der Darstellung der Zugangsprofile pointiert wurde,
                bedeutet die Entwicklung von Milieusensibilität, die TZI in ihrer
                        Differenz zu sehen, anzunehmen und zu vermitteln. Dem
                        Bedarf an methodischem TZI-Wissen werden die Ausbil-
    Dem Bedarf an       derinnen und Ausbilder unserer Untersuchung zufolge bei
  methodischem TZI- Weitem zu wenig gerecht. Wichtig – auch das hat unsere
  Wissen werden die Untersuchung gezeigt – wird es sein, die Kulturveränderung
  AusbilderInnen bei aufmerksam zu beobachten, die geschieht, wenn die TZI
   Weitem zu wenig      stärker als Arbeitsmethode vermittelt wird. Suchende Men-
       gerecht          schen sind kritisch gegenüber Herkömmlichem, und zwar
                        auch dann, wenn dieses Herkömmliche anderen Menschen
                        wertvoll ist. Schließlich wird eine realistische Reflexion der
                bisherigen Milieugebundenheit der TZI die Frage aufwerfen, wie
                die Strukturelemente der TZI für alle Milieus fruchtbar werden
                können. Wie beispielsweise Themenzentrierung ohne Themen-
                formulierung auskommt, wäre eine interessante Entwicklungsauf-
                gabe. Das RCI und die Lehre der TZI sind also vor eine enorme
                Herausforderung gestellt, die sie mit vielen Institutionen teilen:
                sich in der Balance zwischen Tradition und Herausforderung zu
                entwickeln. Wir AutorInnen wünschen uns, dass dies in einem
                Diskussionsrahmen möglich ist, bei dem einander unterstellt wird,
                TZI als Haltung und Methode wertzuschätzen.

4 Beim Staatsakt zum 40sten
  Geburtstag des Grundge-      Literatur
  setzes trug der damalige
  Bundespräsident Richard
                               Barz, Heiner; Rudolf Tippelt (Hg.): Weiterbildung und soziale Milieus in Deutschland. Praxishandbuch Milieu-
  von Weizsäcker den Fei-
  ernden auf nachzuforschen,            marketing. Bielefeld 2004.
  „in welcher Verfassung wir   Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main 1982.
  sind“ (1989).                Lotz, Walter: Sozialpädagogisches Handeln. Eine Grundlegung sozialer Beziehungsarbeit mit Themenzentrierter

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26. Jahrgang
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Schmid, Böhm, Milieusensibilität als Anforderung an die TZI-Lehre                                                       Herbst 2012

          Interaktion. Mainz, zitiert (76) in Schneider-Landolf et al. (Hg.): Handbuch Themenzentrierte Interaktion,
          Göttingen 2009, 67–77.
Medien-Dienstleistungs GmbH (Hg.): Milieuhandbuch „Religiöse und kirchliche Orientierungen“. München
          2005.
Reiser, Helmut; Walter Lotz: Themenzentrierte Interaktion als Pädagogik. Mainz 1995.
Rieger, Markus: Aufdringlich authentisch – Beobachtungen zum TZI-Habitus. In: Themenzentrierte Interaktion
          2/2000, 9–22.
Schmid, Andrea; Stefan Böhm: In der Milieufalle? Zur Darstellung und Rezeption der TZI. In: Themenzentrierte
          Interaktion 2/2011, 65–73.
Sinus Sociovision GmbH: Erziehungsziele und -stile von Müttern mit kleinen Kindern. Heidelberg November 2004
          aus http://www.bdkj.de/fileadmin/redakteur/bilder/pdfs/jungemuetter_report.pdf.
Siebert, Horst: Lernen und Bildung Erwachsener. Bielefeld 2011.
Strauss, Anselm: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Datenanalyse und Theoriebildung in der empirischen
          soziologischen Forschung. München 1998.
Strauss, Anselm; Juliet Corbin: Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Weinheim 1996.
von Weizsäcker, Richard: 40 Jahre Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland – Rede von Bundespräsident
          Richard von Weizsäcker bei einem Staatsakt in der Beethovenhalle in Bonn. Bonn 1989. www.
          bundespraesident.de.

Interviews

www.schmid-supervision.de/tzi-interviews

                                                                                                                                 69
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